17.

»Zwei fremde Rassen beobachten uns«, sagte Tom Falkner kopfschüttelnd. »Nun, vielleicht ist es ganz logisch. Ich wundere mich über nichts mehr. Wer ist zuerst zu uns gekommen, ihr oder die Kranazoi?«

»Niemand weiß das genau«, antwortete Glair. »Jede Seite behauptet, ihre Kundschafter hätten die Erde zuerst entdeckt. Das liegt schon so lange zurück, daß niemand die Behauptungen nachprüfen kann. Ich bilde mir gern ein, wir seien die ersten gewesen und die Kranazoi bloß Eindringlinge. Aber vielleicht täte ich unserer Propaganda damit zuviel Ehre an. Wie dem auch sei, die meisten von uns haben eingesehen, daß solche Prioritätsansprüche höchst albern sind; seither sind viele tausend Jahre vergangen.«

»Also haben die Fliegenden Untertassen schon unsere steinzeitlichen Vorfahren beobachtet«, murmelte Falkner. »Das würde manche alte Geschichten erklären, zum Beispiel das Himmelsrad, das Ezechiel gesehen haben wollte. Aber warum haben wir die Beobachter erst in den letzten dreißig oder vierzig Jahren regelmäßig bemerkt?«

»Weil wir jetzt viel zahlreicher sind. Bis zu eurem neunzehnten Jahrhundert beobachteten ein dirnaisches und ein kranazoisches Schiff die Erde, das war alles. Mit der Entwicklung eurer Technologie mußten wir die Zahl der Beobachter erhöhen. Um 1900 hatte jede Partei fünf Schiffe über der Erde. Als ihr mit Radiosendungen anfingt, fügten wir noch ein paar hinzu, um eure Sendungen zu überwachen. Dann kam die Atomenergie, und wir wußten, daß wir es hier mit einem besonderen Fall zu tun hatten. 1947 hatten wir ungefähr sechzig Beobachtungsschiffe hier stationiert.«

»Und die Kranazoi?«

»Oh, die halten immer mit uns Schritt, und wir mit ihnen. Keine Seite läßt der anderen einen Vorsprung. Wir schicken ein Schiff, sie schicken ein Schiff. Jedes Jahr kommen ein paar dazu, und jetzt haben wir schon…«

Sie verstummte.

»Du kannst es ruhig sagen«, meinte er. »Du hast mir schon soviel erzählt, daß es auf diese Zahl auch nicht mehr ankommt.«

»Jeder hat Hunderte von Schiffen hier«, sagte sie. »Ich weiß die genaue Zahl nicht, aber wahrscheinlich sind tausend Schiffe von uns und tausend von ihnen über das ganze System verteilt. Der Aufwand ist vielleicht ein wenig übertrieben, aber wir müssen es machen. Ihr habt euch so schnell entwickelt. Jedenfalls ist es kein Wunder, daß ihr ständig Meldungen über atmosphärische Objekte bekommt. Du hast doch Zugang zu den Archivunterlagen im AFAO, Tom. Hast du wirklich geglaubt, alle diese Beobachtungen beruhen auf Halluzinationen?«

»Ich versuchte das einfach zu verdrängen. Ich wollte nicht daran glauben. Aber nun bleibt mir wohl keine andere Wahl, nicht?«

Sie lachte. »Nein.«

»Aber wie lange wollt ihr und die Kranazoi diesen Wachdienst noch fortsetzen?«

»Wir wissen es nicht, Tom. Offen gesagt, wir wissen noch nicht einmal, wie wir euch behandeln sollen. Eure Rasse ist einzigartig in der galaktischen Geschichte. Sie ist die erste, die eine Raumfahrt entwickelt hat, bevor sie gelernt hat, ihre kriegerischen Instinkte unter Kontrolle zu bringen. Es hat noch nie eine unreife, barbarische Rasse gegeben, die Raumfahrzeuge und Kernfusionswaffen bauen konnte. Gewöhnlich kommt die ethische Reife ein paar Jahrtausende vor der technologischen. Aber hier nicht.«

Falkner errötete. »Für euch sind wir eine Horde gefährlicher Jugendlicher, nicht?«

»Ich fürchte, so ungefähr ist es. Aber einige von euch sind auch sehr liebenswert.«

Er ignorierte ihre zärtliche Umarmung. »Ihr bewacht uns also weiterhin«, sagte er. »Jeder von euch hat seine eigene galaktische Einflußsphäre, und jeder von euch würde uns gern in die seine einbeziehen, aber ihr wagt es nicht. Und jede Seite fürchtet, die andere könnte irgendwie mit uns ins Gespräch kommen. Also bewacht ihr in Wirklichkeit gar nicht uns; ihr bewacht euch gegenseitig.«

»Beides. Immerhin haben wir Vereinbarungen über die Erde getroffen. Einen Vertrag. Weder Dirnaer noch Kranazoi dürfen auf der Erde landen oder aus dem Raum mit Erdbewohnern Verbindung aufnehmen. Die Devise lautet: strikte Nichteinmischung, bis die Erde jenen Reifegrad erreicht, den wir als notwendiges Minimum für den Eintritt in die interstellare Zivilisation betrachten. Ist das einmal der Fall, werden die Gesandten landen.«

»Aber was, wenn wir den notwendigen Reifegrad nie erreichen?« fragte Falkner.

»Dann warten wir weiter.«

»Und wenn wir uns zuvor selber in die Luft jagen?«

»Damit wäre für uns ein heikles Problem gelöst, Tom. Findest du es schockierend, wenn ich dir sage, daß wir wahrscheinlich am glücklichsten wären, wenn ihr euch selbst vernichtetet? Ihr seid schon jetzt zu mächtig. Wenn ihr erst weiter in den Weltraum vordringt, werdet ihr vermutlich das Gleichgewicht zwischen Dirna und Kranaz zerstören, das seit Tausenden von Jahren existiert.«

»Wenn ihr so denkt, könntet ihr doch ein paar Dutzend Unruhestifter landen und versuchen, hier einen nuklearen Krieg auszulösen. Warum tut ihr das nicht?«

Glair sagte: »Weil wir zivilisiert sind, Tom.«

Er schwieg eine Weile, um darüber nachzudenken, dann fragte er: »Habt ihr mit eurer Landung nicht den Vertrag mit Kranaz gebrochen, Glair?«

»Es war eine Notlandung. Ich versichere dir, freiwillig haben wir es nicht getan.«

»Aber dann hast du mich entdecken lassen, was du wirklich bist.«

»Das war für mein Überleben wichtig. Und was den Vertrag angeht, ist es viel besser für mich, hier bei dir versteckt zu sein, als in irgendeinem Regierungshospital untersucht zu werden. Dann würde die ganze Sache auffliegen.«

»Aber du hast mir alles erzählt. Was kann mich daran hindern, dem AFAO einen vollständigen Bericht einzureichen?«

Ihre Augen funkelten. »Was würde es dir nützen? Du weißt, wie alle diese Meldungen über Kontakte von offizieller Seite betrachtet werden. Kein Tag vergeht, ohne daß jemand auftaucht und erklärt, er sei in einer Fliegenden Untertasse gewesen. Die Meldung geht zum AFAO, und das Amt legt sie zu den Akten. Es kommt nichts dabei heraus. Es gibt keine Fakten oder Beweise, nur Meldungen, in denen steht, daß da oben etwas ist.«

»Aber wenn diese Meldung von einem Offizier des AFAO selbst käme…«

»Denk nach, Tom! Liegen nicht schon Meldungen von allen möglichen angesehenen Leuten vor? Ohne Beweise…«

»Na schön. Aber ich könnte dich zusammen mit meiner Meldung abliefern. Hier ist eine Dirnaerin, könnte ich sagen. Fragt sie über die Fliegenden Untertassen aus. Schneidet sie auf und seht nach, was sie unter ihrer Haut hat.«

»Ja, das könntest du tun«, gab Glair zu. »Nur würdest du es nicht tun.«

»Nein«, sagte er resignierend. »Ich würde es nicht — und ich könnte es nicht. Könnte ich es, hätte ich es am Anfang getan, statt dich nach Hause zu bringen.«

»Darum habe ich dir vertraut. Darum vertraue ich dir immer noch. Darum habe ich dir entgegen meinen Vorschriften alle möglichen Geheimnisse anvertraut. Weil ich weiß, daß du mich nicht verraten wirst, solange ich bei dir bin. Und wenn ich fort bin, spielt es keine Rolle mehr, weil niemand dir glauben würde.« Sie nahm seine Hände. »Habe ich recht?«

»Du hast recht, Glair. Wann wirst du mich verlassen?«

»Meine Beine sind beinahe gesund.«

»Wohin würdest du gehen?«

»Es müssen Rettungsmannschaften unterwegs sein, die mich suchen. Ich werde versuchen, mich mit ihnen in Verbindung zu setzen. Oder die anderen Mitglieder meiner Sexualgruppe zu finden.«

»Du möchtest nicht bleiben, wie?«

»Für immer?«

»Ja. Hierbleiben und mit mir leben.«

Sie schüttelte freundlich ihren Kopf. »Ich würde es gern tun, Tom. Aber es würde nicht klappen. Ich gehöre nicht hierher, und die Unterschiede zwischen uns würden alles zerstören.«

»Ich brauche dich, Glair«, sagte er leise. »Ich liebe dich.«

»Ich weiß, Tom. Aber sei realistisch. Wie wird dir zumute sein, wenn du alt wirst und ich nicht?«

»Du wirst nicht alt?«

»In fünfzig Jahren werde ich genauso aussehen wie heute.«

»In fünfzig Jahren werde ich tot sein«, flüsterte er.

»Siehst du? Und ich habe meine eigenen Leute. Meine — Freunde.«

»Deine Partner. Ja. Du hast recht, Glair. Schiffe, die einander in der Nacht begegnen, das sind wir. Ich darf mich nicht mit der Illusion täuschen, dies könnte von Dauer sein. Ich sollte meinen Krankheitsurlaub beenden und wieder Dienst tun. Und ich sollte anfangen, dir Lebewohl zu sagen.« Seine Hände packten ihren Körper, hielten ihn krampfhaft fest. »Glair!«

Sie streichelte ihn.

»Ich will nicht Lebewohl sagen«, murmelte er. »Ich will dich nicht den Sternen zurückgeben!« Er riß sie an sich. Sie fühlte ein Beben der Verzweiflung seinen Körper durchlaufen, und sie öffnete sich ihm und linderte diese Verzweiflung in der einzigen Weise, die ihr zu Gebote stand.

Und während dies geschah, dachte sie an Vorneen und Mirtin, und ob sie am Leben wären. Sie dachte daran, dieses Haus zu verlassen und sie zu suchen. Sie dachte an Dirna. Sie dachte an das zerstörte Schiff mit seinem kleinen Garten und seiner winzigen Galerie dirnaischer Kunstwerke.

Dann schlang sie ihre Arme um Tom Falkners breiten Rücken und versuchte alle diese Gedanken abzuschütteln. Für den Augenblick wenigstens gelang es ihr.

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