18.

Man brauchte nur ein bißchen Klugheit und viel Beharrlichkeit, sagte sich David Bridger. Was war schon dabei, ein paar Dirnaern auf die Spur zu kommen? Man hielt die Ohren offen, man lächelte viel, man stellte geschickte Fragen. Und man bekam, was man wollte.

Natürlich hatte er noch keinen der Dirnaer zu Gesicht bekommen. Aber er war ziemlich sicher, daß er zumindest einen von ihnen gefunden hatte, und in einer Weile würde er es genau wissen. Der erste konnte ihn vielleicht zu den beiden anderen führen. Auf jeden Fall war die Entdeckung auch eines einzelnen schon ein beachtlicher Erfolg. Der Kranazoi lächelte und zupfte zufrieden an seinem schweren Doppelkinn. Noch ein paar Minuten, dachte er, und ich werde das Schiff anrufen und 79-Codon-zzz mit der Neuigkeit überraschen.

Er machte es sich in seinem geparkten Wagen bequem und fuhr fort, Colonel Falkners Haus zu beobachten.

Es war ein kompliziertes Puzzlespiel gewesen, bis er die Geschichte zusammengesetzt hatte. Zuerst war das Gerücht gekommen, daß Untertassenleute in der Wüste gelandet seien. Dann kam die Geschichte, daß ein gewisser AFAO-Offizier an der Suchaktion teilgenommen und etwas gefunden habe, das er dann, statt es zu melden, absichtlich verborgen habe. Das war die Erzählung, die Bridger in der Cocktailbar gehört hatte. Wenn man ihr Glauben schenken durfte, war der AFAO-Offizier mit einem Geländewagen in die Steppe gefahren und hatte dort etwas oder jemanden gefunden und mitgenommen. Der einzige Zeuge war der Fahrer des Geländewagens gewesen, ein nicht sehr heller Kopf, der aber trotzdem gemerkt hatte, daß da etwas Seltsames vorging. Der Fahrer, so ging die Geschichte, war sofort zu einem abgelegenen Militärstützpunkt im Norden versetzt worden — aber nicht, bevor er sein Erlebnis ausgeplaudert hatte.

Bridgers nächster Schritt war die Feststellung der Namen der an dieser Suchaktion beteiligten AFAO-Offiziere gewesen; eine schwierige Aufgabe, aber nicht unmöglich. Im Laufe seiner Nachforschungen entdeckte er, daß die Aktion vom örtlichen AFAO-Kommandeur Falkner geleitet worden war. Außer diesem hatte noch ein Captain Bronstein an der Suche teilgenommen. Sie waren seine logischen Kandidaten. Ihre Adressen fand er mühelos; es war verblüffend, wieviel Ermittlungsarbeit man mit einem Telefonbuch, einem Stadtplan und den Tageszeitungen in einer öffentlichen Bücherei leisten konnte. Dann mietete er sich einen Wagen und machte sich daran, das Verhalten der beiden Männer zu studieren.

Wiederholte Beobachtungen überzeugten ihn bald, daß Bronstein nicht sein Mann sein konnte. Außer einer verhärmt aussehenden Frau und vier Kindern hatte der Captain nichts in seinem Haus.

Aber dieser Falkner…

Der Mann lebte allein in einem Einfamilienhaus. Verdächtig. Eine Nachbarin erzählte, daß Falkner letztes Jahr von seiner Frau geschieden worden sei. Die ganze Zeit hatte er die Sonnenjalousien vor den Fenstern, auch an bedeckten Tagen. Ebenfalls verdächtig. Er kam selten heraus, und wenn er es tat, dann nur zu kurzen Einkaufsgängen. Ein Anruf in Falkners Büro ergab, daß er krank sei. Vielleicht, weil er einen besonderen Gast in seinem Haus beherbergte?

Bridger beobachtete das Haus fünf Tage lang. Er gewann keine Anhaltspunkte über das, was dort drinnen geschah, aber er glaubte immer fester daran, daß Falkner einen der Dirnaer beherbergte. Einmal wurde das Licht eingeschaltet, bevor die Vorhänge zugezogen waren, und Bridger sah die Gestalt und das Gesicht einer jungen Frau, die sich mit Hilfe von Stöcken oder Krücken mühsam fortbewegte. Er konnte natürlich nicht beurteilen, ob sie Dirnaerin war, aber sein Verdacht festigte sich. Nun brauchte er nur zu warten, bis Falkner wieder einmal das Haus verließ, um hineinzugehen. Er rechnete nicht damit, daß die Dirnaerin auf sein Läuten öffnen würde, aber er hatte ein paar praktische Werkzeuge, die mit jeder Art von Schloß fertigwerden konnten. Einmal drinnen, konnte er der Dirnaerin gegenübertreten, ihr ein paar passende Worte an den Kopf werfen und ihre Reaktion beobachten. Wenn er sich nicht sehr täuschte, würde sie sich verraten. Dann könnte er sie in Gewahrsam nehmen und Anklage wegen Verletzung des Abkommens erheben. Und dann…

Die Tür ging auf.

Colonel Falkner verließ das Haus.

Diesmal schien er nicht bloß einkaufen zu gehen. Statt der üblichen Zivilkleider trug er diesmal seine Uniform, als ob er seinen Krankheitsurlaub beendet hätte und ins Büro gehen wollte. Fein, dachte Bridger, das gibt mir Zeit genug. Er sah den Colonel davonfahren, vergewisserte sich, daß er seine Werkzeuge in der Jackentasche hatte, und schob seinen fetten Körper aus dem Wagen. Er watschelte über die Straße auf Falkners Haus zu.

»David!« rief eine hohe Frauenstimme. »David Bridger!«

Der Kranazoi fuhr herum, zutiefst erschrocken. Ein unkontrollierbarer Krampf durchzuckte sein Nervensystem. Ein Mädchen näherte sich ihm — Leonore, so hieß sie, das alberne Ding, das ihm im Motel Augen gemacht hatte. Er hatte so eine Affäre nicht gewollt, aber sie hatte sich an ihn herangemacht, ziemlich aufdringlich, und er war gerade von dem blödsinnigen Kontaktkult zurückgekommen und hatte sich über die Ablenkung amüsiert. Dann war er neugierig geworden, wie es wohl sein mochte, mit einem Mädchen von der Erde sexuelle Beziehungen aufzunehmen. Sie war willig gewesen, und er hatte sie gehabt und vergessen. Was wollte sie von ihm, daß sie hier wieder auftauchte, und genau im falschen Moment?

Sie kam gelaufen, daß ihr Busen unter dem Pullover hüpfte. Außer Atem machte sie vor ihm halt. »Hallo, David!« sagte sie strahlend. »Du scheinst gar nicht erfreut zu sein!«

»Leonore? Wie kommt es — was…?«

»Ich wohne hier in der Nähe. Ich sah dich aus dem Wagen steigen und habe dich gleich erkannt. Wolltest du mich besuchen? Wie nett von dir!«

»Tatsächlich wollte ich — wollte ich…«

»Ja, David?«

»Hör zu, Leonore, ich bin hier, um einen geschäftlichen Besuch zu machen. Ich wußte gar nicht, daß du hier in der Nähe wohnst. Ich habe jetzt keine Zeit, verstehst du. Wir sehen uns ein andermal wieder, ja?«

Sie schmollte. »Wie du willst. Wen besuchst du denn?«

»Ist das wichtig für dich?«

»Ich dachte bloß — vielleicht ist es jemand, den ich kenne.«

»Den Mann wirst du nicht kennen. Ich…«

Bridger verstummte. Etwas Kleines und Kaltes drückte gegen seinen fleischigen Rücken. Eine männliche Stimme sagte: »Steig in den Wagen, Kranazoi, und mach keinen Ärger. Dies ist eine Antipersonalgranate, und wenn du Widerstand leistest, zünde ich sie.«

David Bridger — 48-Codon-adf — fühlte, wie der Gehsteig unter seinen Füßen sich in einen gähnenden Abgrund verwandelte.

»Nein«, sagte er. »Das muß ein Irrtum sein. Ich bin nicht Krana..., wer immer das sein soll. Ich bin David Bridger aus San Francisco, und ich…«

Die gepreßte Stimme unterbrach ihn. »Wir können deinen ekelhaften Kranazoi-Gestank einen Block weit riechen, also spare dir deine Worte. Du bist gefangen und solltest dich daran gewöhnen. In den Wagen, jetzt!«

»Das ist eine Unverschämtheit«, sagte 48-Codon-adf zornig. »Ich untersuche eine Vertragsverletzung. Drei Dirnaer sind unberechtigt auf der Erde gelandet, und wie ich jetzt sehe, sind sie nicht die einzigen. Dafür werdet ihr alle hirngebrannt! Ihr…«

»Los, in den Wagen. Zehn Sekunden, und du kriegst die Granate. Eins, zwei, drei, vier…«

48-Codon-adf nahm die Hand aus der Hosentasche und lächelte. »Ich beuge mich dem Zwang, unter Protest. Und ich mache euch vorsorglich darauf aufmerksam, daß dieses Gespräch zusammen mit einem Notsignal ausgesendet worden ist. So einfach könnt ihr mich nicht aus dem Weg…«

Die Dirnaer sahen einander an, dann schnatterten sie in ihrer Sprache durcheinander, bestürzt, wie 48-Codon-adf befriedigt feststellte. Er bestieg den Wagen, nicht seinen eigenen, sondern einen anderen, der während seines Gespräches mit dem Mädchen unbemerkt herangerollt war. Zum erstenmal sah er den Mann mit der Granate, einen großen, grobschlächtigen Erdbewohner, der keiner war und der sich jetzt mit finsterer Miene neben ihn setzte, die Granate in der linken Hand. Mit der rechten tastete er 48-Codon-adf geschickt ab, nahm ihm den Taschensender weg und warf ihn mit etwas, das wie ein Fluch klang, seiner jungen Assistentin zu. Dieses Mädchen, das er als Leonore kennengelernt hatte, saß hinter dem Steuer. Sie sah immer noch jugendlich und unschuldig aus, aber 48-Codon-adf wußte jetzt, daß auch sie eine dirnaische Agentin war und sich mit Absicht an ihn herangemacht hatte, um seine Identität nachzuprüfen. Dieser Planet mußte von ihnen wimmeln! Wenn er noch einmal Gelegenheit bekäme, seinen Behörden Meldung zu machen — und damit rechnete er, weil die Dirnaer nach seinem Notsignal kaum riskieren dürften, ihn einfach zu beseitigen —, würde er sie von diesem flagranten Vertragsbruch der Dirnaer unterrichten.

Im Wagen war noch eine dritte Person, eine ältere Frau. 48-Codon-adf sah mit Erbitterung zu, wie sie ausstieg, zur Tür von Falkners Haus ging und läutete. Er hatte einen der Dirnaer ausfindig gemacht, das war jetzt klar, aber nur um ihn oder sie an die eigenen Leute zu verlieren.

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