6.

Die spektakuläre Zerstörung des dirnaischen Beobachtungsschiffes wurde in dieser Nacht von vielen Augen gesehen, und nicht alle davon waren menschlich. In dem Augenblick, als der Fusionsgenerator explodierte, zog ein mit Kranazoi bemannter Aufklärer seine festgelegte Beobachtungsbahn über Montana ostwärts. Als die Bordinstrumente die Explosion registrierten und der Pilot kurz darauf mit eigenen Augen den sonnenhell aufglühenden Flugkörper erblickte, leitete er sofort die für solche Fälle vorgeschriebenen Maßnahmen ein.

Die genetische Bezeichnung des Piloten lautete 48-Codon-adf. Für den Zweck dieser Mission war sein eckiger, derbhäutiger Kranazoikörper, in dem er geboren war, mit einer Masse irdischen Fleisches umhüllt, die ihm ein gutmütiges, rundliches Aussehen verlieh, ein Aussehen, das mit seiner inneren Natur kaum übereinstimmte. Er teilte sein Schiff mit drei anderen Kranazoi, Mitgliedern seiner derzeitigen Paarungseinheit. Zwei von ihnen schliefen. Der dritte, dessen genetische Bezeichnung 51-Codon-bgt war, beschäftigte sich mit Datenanalysen, als die Explosion kam. Sie-es — das war ihre-seine doppelwertige Rolle in der Paarungseinheit — blickte sofort zu 48-Codon-adf auf und sagte: »Das dirnaische Schiff ist hochgegangen!«

»Ich weiß. Der Photonenschirm spielt verrückt.« 48-Codon-adf verfolgte die einlaufenden Meßdaten, während 51-Codon-bgt das verunglückte dirnaische Schiff nach den Kursangaben der Diensttabelle heraussuchte und identifizierte. Etwa zur gleichen Zeit entdeckte 48-Codon-adf, was zu entdecken er am meisten gefürchtet hatte. Drei Körper hatten das dirnaische Schiff verlassen und fielen erdwärts.

»Das ist wieder so ein Trick«, stieß er hervor. »Sie machen eine Landung. Drei von ihnen sind vor der Explosion ausgestiegen!«

»Bist du sicher, daß sie am Leben sind?« fragte 51-Codon-bgt.

Er blitzte sie-es an. »Ich sagte, daß sie vor der Explosion ausgestiegen sind. Das ist eine geplante Landung! Sie verletzen alle Verträge! Wir müssen ihnen nach und sie im Auge behalten, oder es gibt einen Mordsstunk!«

»Langsam, langsam. Wenn sie wirklich eine geplante Landung machen wollten, warum ließen sie dann ihr Schiff hochgehen? Dieser Blitz muß auf allen Ortungsgeräten zu sehen sein, den die Erdbewohner haben. Hättest du einen Landebefehl, würdest du ihn mit einem solchen Spektakel ausführen?«

48-Codon-adf lenkte ein. »Trotzdem, geplant oder nicht, sie sind gelandet.«

»Mit dem Kopf zuerst, möglicherweise.«

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Willst du es riskieren? Ich würde es nicht tun. Wenn wir dieses Ding verpfuschen, werden sie uns im Hauptquartier hirnbrennen. Wir müssen landen und diesen verdammten Dirnaern auf den Fersen bleiben und feststellen, was sie vorhaben!«

51-Codon-bgt machte ein entsetztes Gesicht. »Landen? Auf der Erde? Wir sind Beobachter!«

»Die Verträge erlauben eine Landung im Falle fragwürdigen Benehmens der anderen Seite. Wenn ein paar Kranazoi in dieser Weise über der Erde absprängen, würden die Dirnaer einen ganzen Schwarm ihrer Beobachter hinterher schicken, das ist mal klar. Wir können uns nicht leisten, daß sie uns übers Ohr hauen. Wenigstens kann ich es mir nicht leisten. Weck die anderen auf.«

Sie-es hatte Einwände. Die anderen zwei hatten ein paar Stunden früher eine erfolgreiche Paarung gehabt; der Schlaf stand ihnen zu. Aber 48-Codon-adf ließ nicht locker, und wenn er in einer Stimmung wie dieser war, konnte man nicht mit ihm reden. Kurz darauf kamen die beiden übrigen Mitglieder der Paarungseinheit aus ihren Schlafabteilen gestolpert, verdrossen und unausgeschlafen und ganz und gar nicht beeindruckt von der angeblichen Landung dreier Angehöriger der rivalisierenden Macht auf dem Territorium der Erde. Es beeindruckte sie weit mehr, daß 48-Codon-adf sie aus dem Schlaf gerissen hatte, und sie ließen es ihn wissen. Das Gezänk dauerte mehrere Minuten, die 48-Codon-adf dazu benützte, den Kurs des Schiffes nach Süden zum Ort der dirnaischen Landung zu verändern.

Als sie wieder einigermaßen vernünftig waren, sagte er: »Wir gehen auf dreitausend Meter hinunter, dann springe ich ab. Ihr benachrichtigt das Hauptquartier von unserer Aktion und bleibt in Empfangsweite, bis ihr wieder von mir hört.«

»Du willst allein da hinunter?« fragte 51-Codon-bgt entsetzt.

»Ich werde keinen Ärger mit den Leuten da unten kriegen«, erwiderte er zuversichtlich. »Einem dicken Mann tut niemand was. Ich werde mich umsehen, den Dirnaern auf die Spur kommen und versuchen, ihr Vorhaben aufzudecken. Wenn ich was weiß, gebe ich Nachricht, und ihr könnt mich holen.«

79-Codon-zzz sagte verächtlich: »Held! Medaillenjäger!«

»Halt den Mund. Wo ist dein Verantwortungsgefühl? Wo ist dein Patriotismus?«

79-Codon-zzz, die eine total weibliche Komponente in der Paarungseinheit darstellte und demgemäß die äußere Hülle einer weiblichen Erdbewohnerin trug, gab ihm einen bösen Blick. »Rede mir nicht von Patriotismus! Wir sind weit von unserer Heimat entfernt und tun einen stumpfsinnigen, sinnlosen, idiotischen Dienst, und ich laß mich lieber rösten, als daß ich ihn so ernst nehme, wie du es tust. Räuber und Gendarm! Jahraus, jahrein um diesen gräßlichen Planeten kreisen! Warum zeigen wir es den lausigen Dirnaern nicht einfach, und…«

48-Codon-adf drohte ihr daraufhin eine Meldung an, und 51-Codon-bgt gab ihr einen sanften Rippenstoß. »Hör schon auf«, murmelte sie-es. »Er ist entschlossen. Außerdem könnte es wirklich wichtig sein. Laß ihn abspringen, wenn er will.«

Die Angelegenheit war entschieden. Das Schiff kippte erdwärts.

48-Codon-adf war über die Haltung seiner Bordgenossen verärgert, aber er hatte keine Lust, sich jetzt auf ein längeres Streitgespräch mit ihnen einzulassen. Pflicht war Pflicht. Sie waren hier, nicht nur um über die Erde zu wachen, sondern auch zur Beobachtung ihrer Rivalen und deren Aktivitäten.

48-Codon-adf gab eine formelle Meldung über seine Landungsabsicht und die Gründe dafür zu Protokoll, dann legte er seine Absprungausrüstung an. In dreitausend Meter Höhe stellte er sich voll Zuversicht in die Luke und sprang in die schwarze Tiefe.

Die Landung war hart, aber nicht gefährlich. 48-Codon-adf befreite sich von der Sprungausrüstung und drehte den Selbstzerstörungsknopf. Das Zeug zündete zufriedenstellend und war eine Minute später restlos verbrannt. Nun trug er die Kleider wie auch den Körper eines fetten männlichen Erdbewohners mittleren Alters. Er aktivierte sein Identitätstraining und entdeckte, daß er David Bridger hieß, sechsundvierzig Jahre alt und unverheiratet war, aus Circleville, Ohio, stammte und in San Francisco, Kalifornien, ansässig war. Er war mehrere Meilen außerhalb der Stadt Albuquerque gelandet. Bis zur Morgendämmerung würden noch vier oder fünf Stunden vergehen; am Morgen wäre er längst in der Stadt und könnte seine Nachforschungen beginnen.

Wenn jene drei Dirnaer etwas Illegales vorhatten, so gelobte er, würden sie dafür bezahlen. Er würde sie vor die Vertragskommission bringen und als Eindringlinge und Saboteure verklagen. Für wen hielten sie sich, daß sie auf der Erde landeten, als ob der Planet ihnen gehörte?

David Bridger aus San Francisco — bis vor kurzem der Kranazoi-Beobachter 48-Codon-adf — marschierte entschlossen auf das nahe Albuquerque zu, finstere Gedanken über den Planeten Dirna und seine Bürger im Gehirn.

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