3.

Im Büro des AFAO in Albuquerque war eine halbe Stunde nach dem Verschwinden der seltsamen Himmelserscheinung alles fertig. Die Mechaniker hatten voll geladene Batterien in die sechs elektrisch angetriebenen Raupenfahrzeuge gepackt; der Computer hatte bereits eine Karte geliefert, aus der die möglichen Aufschlagstellen etwaiger Trümmer hervorgingen; Bronstein, Colonel Falkners Adjutant, hatte die dienstfreien Männer zusammengetrommelt. Nun standen sie unbehaglich im Halbkreis vor der Leuchttafel im Hauptbüro und starrten auf die gestrichelte rote Linie, die die Bahn des unbekannten atmosphärischen Objekts darstellte.

Fünf Meter weiter, hinter der abgeschlossenen und verriegelten Badezimmertür, war Tom Falkner um seine Ernüchterung bemüht.

Auf der Fahrt vom Offizierskasino hierher hatte Falkner eine Antistim-Tablette geschluckt. Das waren praktische kleine Dinger, geeignet, einem alkoholvernebelten Geist in einer halben Stunde zur Klarheit zu verhelfen. Aber der Prozeß war nicht angenehm. Die Pillen beschleunigten alle körperlichen Vorgänge, einschließlich desjenigen, der den Alkohol aus dem Blut brannte. Unter dem Einfluß von Antistim-Tabletten waren die Ereignisse von sechs oder sieben Stunden auf zehn Minuten zusammengedrängt. Es war eine brutale Methode, aber sie wirkte. Wenn man einen ruhigen Abend genutzt hatte, um sich zielstrebig vollaufen zu lassen, und plötzlich entdeckte, daß es wichtig war, sich sofort wieder zu ernüchtern, gab es nur die Tabletten.

Falkner hockte auf dem Fliesenboden des Badezimmers und hielt sich mit beiden Händen am Handtuchhalter fest. Er zitterte. Große Schweißflecken zeichneten sich dunkel auf seinen Uniformstücken ab. Sein Gesicht war rot, sein Puls war auf Hundert geklettert und kletterte weiter, und das furchtbare Donnern seines Herzens war wie ein Trommelwirbel in seinem Brustkasten. Er hatte sich bereits übergeben und war so die letzten drei oder vier Gläser Scotch losgeworden, bevor sie tiefer ins Labyrinth seines Körpers einsickern konnten, und sein heftiges inneres Fegefeuer besorgte den Rest. Sein Gehirn begann sich zu klären. Dies war erst das vierte oder fünfte Mal in seinem Leben, daß er die Pillen genommen hatte, und jedesmal hoffte er, daß es das letztemal sein werde.

Nach langer Zeit stand er auf.

Seine Finger, die er zur Probe ausgestreckt vor sich hielt, wackelten und zuckten, wie wenn er einen Brief auf der Maschine tippte. Das Blut war aus seinem Gesicht gewichen. Falkner beäugte sich im Spiegel und schauderte. Er war ein großer Mann mit massigen Schultern, kurzgeschnittenem schwarzem Kraushaar, einem borstigen kleinen Schnurrbart und blutunterlaufenen Augen. In seinen Astronautentagen war er bemüht gewesen, sein Gewicht bei hundertfünfundsechzig Pfund zu halten, aber jene Tage waren längst vergangen, und nun war sein Knochengerüst reichlich ausgefüllt. Um die Wahrheit zu sagen, hatte er darüber hinaus noch einiges Fett angesetzt. In Uniform sah er bullig und massiv aus, ohne Uniform dickbäuchig und etwas aufgeschwemmt. Er war nicht stolz auf das, was in seinen mittleren Jahren aus ihm geworden war.

Er fühlte sich allmählich etwas besser. Er wusch sein Gesicht mit kaltem Wasser, wischte sich den Schweiß vom Hals und richtete Kragen und Krawatte. Obschon er auch jetzt noch nicht ganz nüchtern war, hatte sein Rausch sich verflüchtigt. Das Prickeln in seiner Nasenspitze war vergangen; seine Augen arbeiteten wieder, wie Augen arbeiten sollen. Langsam und mit behutsamen Bewegungen ging Falkner zur Tür, öffnete sie und marschierte steif ins Büro.

Captain Bronstein schien wie gewöhnlich alles unter Kontrolle zu haben. Da stand er und unterwies die Männer knapp und sachlich und präzise. Als er Falkners ansichtig wurde, machte er eine Rechtswendung und sagte: »Wir können jederzeit starten, Colonel.«

»Alles berechnet? Die Routen zugeteilt?«

»Alles«, sagte Bronstein. Er gab ihm ein rasches, möglicherweise spöttisches Lächeln. »In der Telefonzentrale geht es zu wie in einem Bienenhaus. An die tausend Meldungen über das Objekt sind schon eingegangen, und es kommen immer noch welche. Diesmal ist es echt.«

»Großartig«, murmelte Falkner. »Wir werden berühmt. Extraterrestrisches Raumschiff macht Bruchlandung; Besatzung springt ab; die tapferen Offiziere und Mannschaften das AFAO überwältigt sie mit bloßen Händen…«

Falkner fing sich. Sein Geschwafel war ein Zeichen, daß er vielleicht doch noch nicht so nüchtern war, wie er geglaubt hatte. Bronsteins warnender Blick war beredt genug. Ihre Augen begegneten sich für einen Moment, und Falkner erkannte in rasch aufflammender Wut, wie mitleidig Bronsteins Ausdruck war. Eine Welle puren Hasses durchlief den Körper des Colonels.

In Augenblicken wie diesem pflegte Falkner sich starrsinnig einzureden, daß er Bronstein nicht bloß haßte, weil Bronstein Jude war. Das hatte nichts damit zu tun. Er haßte Bronstein, weil der gewandte kleine Captain Ambitionen hatte, weil er fähig war, weil er sich niemals gehen ließ, und weil er glaubte, daß die Fliegenden Untertassen von einer anderen Welt kämen. Bronstein war der einzige Offizier, von dem Falkner wußte, daß er sich freiwillig zum AFAO gemeldet hatte. Allgemein wurde das Amt als Abladeplatz für Karrieremänner betrachtet, die in anderen Abteilungen der Luftwaffe gescheitert waren, aber Bronstein hatte sich regelrecht hineingedrängt. Warum? Weil er überzeugt war, daß die Untertassen die kommende Sache seien, die größte Aufgabe, die der Luftwaffe je gestellt worden war. Und er wollte rechtzeitig dabei sein, sich im Ruhm sonnen und die Schlagzeilen liefern, wenn Phantasie sich in Realität verwandelte. Für Bronstein war die Untertassenmasche das Sprungbrett zu größeren Dingen.

Senator Bronstein. Präsident Bronstein.

Falkners Laune wurde noch schlechter. Er schnappte: »Los, zu den Fahrzeugen. Raus in die Wüste, schnell! Morgen früh will ich diesen Meteoriten sehen!«

Die Männer salutierten und eilten hinaus. Bronstein blieb allein zurück. Mit weicher Stimme sagte er: »Tom, ich glaube, diesmal ist es kein blinder Alarm. Diesmal ist es die Fallschirmsituation, auf die wir gewartet haben.«

»Gehen Sie zur Hölle.«

»Würden Sie nicht überrascht sein, wenn Sie einen interstellaren Botschafter im Salbeigesträuch sitzen sähen?«

»Es war ein Meteor«, sagte Falkner abweisend.

»Haben Sie es gesehen?«

»Nein. Ich habe — Meldungen studiert.«

»Ich habe es gesehen«, sagte Bronstein. »Es war kein Meteor. Es hätte mir beinahe die Augen ausgebrannt. Das war eine Art Fusionsgenerator, der über der Stratosphäre explodierte. Ein paar Minuten lang schien es wie eine kleine Sonne, Tom. Ein Meteor wäre viel schneller heruntergekommen. Die Leute von Los Alamos sagten das gleiche. Wissen Sie von irgendwelchen Luftwaffenprojekten, die mit Fusionsgeneratoren fliegen?«

»Nein.«

»Ich auch nicht. Also…«

»Also war es ein chinesischer Fernaufklärer«, sagte Falkner.

Bronstein lachte. »Wissen Sie was, Tom? Ich will die Chinesen nicht herabsetzen, aber ich halte es für viel wahrscheinlicher, daß dieses Schiff von Prokyon oder irgendeinem anderen Sonnensystem gekommen ist. Sagen Sie ruhig, ich sei verrückt. Das ist meine Überzeugung.«

Falkner antwortete nicht. Er wippte eine Weile auf Ballen und Zehen vor und zurück und versuchte sich zu überreden, daß er dies alles tatsächlich erlebe und nicht bloß träume. Dann winkte er Bronstein mißmutig, und sie gingen hinaus in die Nacht.

Vier der Raupenfahrzeuge waren bereits losgefahren. Falkner kletterte in eines der beiden übriggebliebenen, Bronstein in das andere, und sie rasselten aus dem Hof. Falkners Kabine enthielt eine Sprechfunkanlage, die ihn mit den anderen Suchfahrzeugen, dem Büro in Albuquerque, dem Hauptquartier des AFAO in Topeka und den verschiedenen, seinem Befehl unterstehenden Stationen in den vier südwestlichen Bundesstaaten verband. Auf der Schalttafel ging es lebhaft zu; ein Dutzend Signalknöpfe leuchtete gleichzeitig.

Falkner stellte eine Verbindung mit Topeka her und sah, wie das Gesicht seines Kommandeurs, des Generals Weyerland, auf dem kleinen Bildschirm entstand.

Weyerland war, wie Falkner selbst, kosmischer Abfall, eine Niete aus dem Raumfahrtprogramm, die man auf das Abstellgeleise des AFAO abgeschoben hatte. Als Trost hatte Weyerland immerhin vier Sterne auf der Schulter. Wenn man bedachte, daß er die persönliche Verantwortung für die Tode zweier Astronauten trug, die bei einem Raumexperiment ums Leben gekommen waren, durfte Weyerland sich glücklich schätzen, überhaupt noch einen Job zu haben, selbst beim AFAO. Falkner ließ sich nichts von diesen Gedanken anmerken und gab sich aufmerksam und geschäftig. Weyerland tat immer so, als bedeutete ihm diese Sache etwas.

Der General sagte: »Was können Sie mir an Neuigkeiten sagen, Tom?«

»Nicht viel, Sir. Ein Lichtstreifen am Himmel, ein Haufen aufgeregter Bürger, und jetzt eine Nachforschung. Ich bin von hier aus mit sechs Raupenfahrzeugen unterwegs. Zwei weitere fahren von Santa Fé nach Nordosten. Eine Routinesache, wie bei all diesen Beobachtungen.«

»Ich bin da nicht so sicher«, sagte Weyerland.

»Sir?«

»Washington war zweimal bei mir am Apparat. Sogar der große Mann persönlich. Er ist besorgt. Wissen Sie, daß dieser Lichtstreifen über Tausenden von Quadratmeilen gesehen worden ist? Sogar in Kalifornien haben sie ihn gesichtet. Die Leute dort draußen sind außer Rand und Band geraten.«

»Kalifornien.« Falkner machte eine geringschätzige Geste.

»Ja, ich weiß. Aber die Öffentlichkeit ist alarmiert. Sie bedrängt das Weiße Haus, und der Alte bedrängt uns.«

»Ein Hundertsieben ist doch schon hinausgegangen, nicht?«

»Über alle Sender«, sagte Weyerland. Die Bezeichnung »107« war das Kodewort für eine leisetreterische Bekanntmachung, daß es sich bei dem mysteriösen Objekt lediglich um ein natürliches Phänomen handle und daß kein Anlaß zur Besorgnis bestehe. »Aber wir haben schon so viele Hundertsieben ausgegeben, daß niemand mehr an sie glaubt. Wir sagen Meteor, und die Leute denken ›Fliegende Untertasse‹. Die Zeit wird kommen, wo wir anfangen müssen, die Wahrheit zu sagen.«

Was für eine Wahrheit? wollte Falkner fragen. Aber er schwieg.

»Wir melden uns wieder, sobald wir ein greifbares Resultat haben«, sagte er.

»Rufen Sie mich einmal stündlich an«, sagte Weyerland, »ob Sie etwas gefunden haben oder nicht.«

Der General unterbrach die Verbindung, und Falkner begann nacheinander die anderen Anrufe entgegenzunehmen. Von vier Stationen bekam er Daten, die von den vorgeschobenen Radaranlagen des Frühwarnsystems gesammelt worden waren. Sie hatten alle ein massives Objekt ausgemacht, das in dreißigtausend Metern Höhe aus der Gegend des Nordpols gekommen war und über Manitoba bis auf vierzigtausend Meter gestiegen war, um schließlich über New Mexico zu explodieren. Gewiß, irgend etwas war heute abend dort oben gewesen. Aber neben der phantastischen gab es auch eine rationale Erklärung dafür: das Ding war ein schwerer Eisenmeteorit, der sich schon wer weiß wie lange in einer Umlaufbahn befunden hatte und nun von der Erdanziehung in die Atmosphäre gerissen worden war, wo er verglüht war. Warum galaktische Raumschiffe heraufbeschwören, wenn Meteore so häufig waren?

Falkners Raupenfahrzeug knirschte unverdrossen vorwärts. Albuquerque blieb zurück, und Falkner ging auf Nordwestkurs in Richtung auf den Cibola-Nationalpark. Zu seiner Linken konnte er die Scheinwerfer der Wagen sehen, die die Bundesstraße 40 entlanghuschten. Er näherte sich dem Rio Puerco, der jetzt, nach einem regenlosen Herbst, nur noch ein trockenes Geröllbett war. Die Sterne waren außergewöhnlich klar zu sehen. Die Luft roch nach Schnee, aber er wußte, daß in dieser Nacht noch keiner fallen würde. Das Fahrzeug rumpelte über Unebenheiten, brach durch Gestrüpp. Mißgelaunt wies Falkner seinen Fahrer an, das Tempo zu verlangsamen.

Die Öffentlichkeit war beunruhigt. Die Öffentlichkeit! Da brauchte bloß ein Hubschrauber durch die Gegend zu fliegen, und hunderttausend Leute rasten an ihre Telefone, um der Polizei von Fliegenden Untertassen zu erzählen. Dieses kleine himmlische Schauspiel heute abend, dachte Falkner ärgerlich, hatte der Telefongesellschaft wahrscheinlich ein kleines Vermögen an Extraeinnahmen eingebracht. Die halbe Nacht waren alle Leitungen blockiert. Der ganze Schwindel war nur ein Verkaufstrick, den die Leute von der Telefongesellschaft ausgeknobelt hatten.

Was Falkner bei den Geschichten über UFOs beunruhigte, war die zunehmende Zahl der gemeldeten Beobachtungen. Hinzu kam, daß die Qualität der Beobachter sich veränderte. Anfangs stammten die meisten Untertassengeschichten von alten Jungfern, die unter den Beschwerden der Wechseljahre litten, oder von kropfbehafteten Landbewohnern mit Nickelbrillen und abergläubischen Neigungen, aber mit der Zeit rückte dieses offenkundig schrullige Segment der Bevölkerung in den Hintergrund und machte jenen Platz, deren Wort mehr Gewicht hatte. Als auch Bankpräsidenten, Polizisten, Kongreßabgeordnete und Physikprofessoren anfingen, runde Objekte am Himmel zu sehen, war die Sache aus dem Stadium heraus, in dem man sie noch als Halluzination verwirrter Köpfe abtun konnte, das mußte Falkner zugeben. Besonders seit 1975 war die Zahl der Beobachtungen und die Zahl der glaubwürdigen Zeugen kräftig angestiegen. Verrückte Randfiguren, die behaupteten, in einer Fliegenden Untertasse geflogen zu sein, waren immer da. Falkner ignorierte sie. Die anderen konnte er nicht ignorieren.

Falkner war emotionell mit seiner Arbeit verbunden, aber auf eine negative Weise. Er konnte sich nicht erlauben, den Glauben gewisser Leute zu teilen, nach dem die sogenannten Untertassen mehr als natürliche Phänomene waren. Wenn es sich wirklich um Schiffe aus dem Weltraum handelte, dann war seine Arbeit für das AFAO eminent wichtig, und die Bitterkeit, die wie ein Stachel in seiner Seele saß, wäre unbegründet. Tom Falkner aber brauchte diesen Stachel als Ansporn. Und so empfand er eine instinktive Feindseligkeit gegen jede Andeutung, seine Arbeit könne für die Sicherheit seines Landes von Bedeutung sein.

Er überprüfte die Suchgeräte an Bord, besonders den Metalldetektor, eine Art weiterentwickeltes Minensuchgerät zur Feststellung metallischer Gegenstände.

Nichts. In der Wüstensteppe waren keine ungewöhnlichen Objekte auszumachen.

Er sprach mit Bronstein, der inzwischen achtzig Meilen südlich von ihm war, in der Gegend von Acoma Pueblo.

»Neuigkeiten? Haben Sie was entdeckt?«

»Fehlanzeige«, sagte Bronstein. »Allerdings haben sie in Acoma den Lichtstreifen gesehen. Auch in Laguna. Der Häuptling sagt, viele von seinen Leuten seien verängstigt.«

»Sagen Sie ihnen, es gebe keinen Anlaß zur Besorgnis.«

»Das habe ich getan. Es hilft nichts. Sie sind verstört, Tom.«

Falkner gähnte. »Wissen Sie eigentlich, daß auch das Weiße Haus verstört ist? Der arme Weyerland ist in Druck. Er will Resultate.«

»Ich weiß. Er hat mich angerufen.«

Falkners Miene verdüsterte sich. Es gefiel ihm nicht, daß sein Vorgesetzter mit seinem Adjutanten konferierte. Für solche Situationen gab es den Dienstweg. Er unterbrach die Verbindung und schaltete auf einen anderen Kanal. Das Geländefahrzeug rasselte westwärts. Auf seinem Dach wippten Antennen, und darunter rotierte der Thermaldetektor, der jeden lebenden Körper über Rattengröße an seiner Infrarotstrahlung ausmachen konnte.

Falkner drückte Knöpfe, stellte Skalen ein, schaltete Stromkreise ein und aus, wie er es bei jeder dieser furchtlosen Suchaktionen zu tun pflegte, obgleich er fest davon überzeugt war, daß er nie etwas finden werde. Vor ein paar Monaten war ihm endlich aufgegangen, was er tat, wenn er in dieser krampfhaften Weise mit dem Mechanismus umging: er spielte Astronaut.

Wie er hier in der geheizten Kabine seines Raupenfahrzeugs vor den Instrumenten saß, könnte er genausogut in einer Raumkapsel sitzen und fünfhundert Kilometer höher die Erde umrunden. Außer, natürlich, daß sein Gesäß die Stöße und Schaukelbewegungen des Fahrzeugs allzu deutlich registrierte. Es machte ihn nicht glücklich, an die Parallele zu denken, weil sie ihm wieder die Vergeblichkeit dieser Untertassensucherei vergegenwärtigte, und obendrein noch seine verpfuschte Karriere. Doch er konnte es nicht lassen, mit den Leuchtknöpfen, den Blinklampen und den kleinen Bildschirmen herumzuspielen.

Er sprach wieder mit Topeka. Er plauderte mit den Leuten in den zwei nördlichen Suchfahrzeugen, von denen das eine bereits an Taos vorbei war, während das andere bei den spanischen Dörfern auf der anderen Seite des Nationalparks kreuzte. Er kontrollierte die im Süden zwischen Socorro und Isleta operierenden Männer und tauschte kurze Kommentare mit Bronstein aus, der im abgelegenen leeren Land südlich Acoma Pueblo war und Kurs auf die Zuni-Reservation hielt. Zu jeder vollen Stunde schaltete Falkner die verschiedenen Radio- und Fernsehstationen ein und hörte die Nachrichten ab. Offenbar war das ominöse Wort »Fliegende Untertasse« heute nacht in aller Munde, denn die Sprecher gaben sich große Mühe nachzuweisen, daß es nichts als ein Meteor gewesen sei. Alle Stationen gaben die gleichen leeren Versicherungen ab, und alle zitierten einen gewissen Brotsky vom Palomar-Observatorium. Wer war Brotsky? Ein Astronom vielleicht? Nein, nur vom »technischen Stab«, was immer darunter zu verstehen war. Wahrscheinlich ein Portier. Aber die Massenmedien gebrauchten die Magie seiner Verbindung mit Palomar als eine Art Talisman, um die beunruhigten Hörer wieder zu besänftigen.

Und nun ließen sie auch ein paar Astronomen zu Wort kommen. Einen gewissen Alvarez von der Sternwarte in Ciudad Mexico, und Ohiro Matsuoko, einen führenden japanischen Astronomen. Hatte Alvarez die Erscheinung gesehen? Nichts in seinen Worten deutete darauf hin. Matsuoko konnte sie natürlich nicht gesehen haben. Aber beide verbreiteten sich ausführlich über Meteore, erläuterten den Unterschied zwischen Meteor und Meteorit und erstickten alle Ängste mit einem Schwall beruhigender wissenschaftlicher Terminologie. Um Mitternacht gab das Informationsministerium einige sorgfältig ausgewählte Auskünfte, die angeblich von Radarstationen und Wettersatelliten stammten. Ja, die Augen dort oben hatten den Meteor gesehen. Nein, es war nichts zu befürchten. Rein natürliches Phänomen.

Falkner war angeekelt.

Sein eingefleischter Skeptizismus gegenüber den atmosphärischen Objekten wurde nur von seinem eingefleischten Skeptizismus gegenüber offiziellen Regierungsverlautbarungen übertroffen. Wenn die Regierung sich soviel Mühe gab, die Bevölkerung zu beruhigen, dann mußte da etwas wirklich Großes und Beunruhigendes sein. Soviel war sicher.

Mitternacht war längst vorbei. Falkner betrachtete den dicken Nacken seines Fahrers, der durch eine Glasscheibe von ihm getrennt war, und gähnte herzhaft. Er beschloß, die ganze Nacht durchzufahren. In Albuquerque erwartete ihn nichts als ein ungemachtes leeres Bett und ein Tag voll zerdrückter Zigarettenstummel. Seine Frau machte mit ihrem neuen Mann Urlaub in Buenos Aires. Falkner hatte sich inzwischen ans Alleinsein gewöhnt, aber es gefiel ihm nicht sehr. Andere Männer trösteten sich in solchen Fällen mit ihrer Arbeit, aber Falkners Arbeit war keine Arbeit für einen ausgewachsenen Mann, wie er oft sagte.

Um drei Uhr früh war er am Rand der Berge. Es gab eine Straße für die Holzabfuhr, die durch den Nationalpark führte und die er nehmen konnte, wenn er wollte, aber er gab dem Fahrer Anweisung zum Abbiegen. Er würde in einer weiten Schleife nach Albuquerque zurückfahren, hinter der Mesa Prieta vorbei und über Jemez Pueblo zum Westufer des Rio Grande.

Der Informationsstrom aus den verschiedenen Kanälen begann nachzulassen. Falkner hatte Mühe, die Augen offenzuhalten, und wünschte sich eine Flasche Scotch. In Washington war es schon Morgen, die Stunde, wo die Leute ihre Wagen aus den Garagen holten, um Verkehrsstauungen zu veranstalten.

Etwas an seinem Armaturenbrett machte ›ping‹.

»Anhalten!« schrie Falkner seinem Fahrer zu.

Das Fahrzeug hielt. ›Ping‹, ›ping‹ machte es in kurzen Abständen an seinem Armaturenbrett. Falkner untersuchte sehr sorgfältig seine Detektoranlagen und bemühte sich, herauszufinden, was das Geräusch bedeutete. Er isolierte den Grund der Störung. Das Infrarotgerät nahm die Wärmeausstrahlung eines menschlichen Körpers mit einer Masse von achtzig bis hundert Pfund innerhalb eines Radius von eintausend Metern wahr. Jemand hielt sich irgendwo dort draußen auf.

Die nächste Siedlung war zwanzig Meilen entfernt. Im Umkreis von zehn oder zwölf Meilen gab es nicht einmal eine Straße. Dies war ein abgelegener Landstrich, eine Steppe mit nichts als Salbeigesträuch, Grasinseln, Yuccapflanzen, dazu ein paar Wacholderbüsche und Kiefern, die sich hier angesiedelt hatten, obwohl sie ins Hochland gehörten. Keine Bäche, keine Teiche, keine Häuser. Nichts. Und niemand wohnte hier. Dieses Land war zu nichts gut. Falkner sagte sich, daß sein Infrarotdetektor einen kampierenden Jäger oder einen wandernden Indianer ausgemacht haben müsse. Nichtsdestoweniger war es seine Pflicht, sich zu vergewissern. Er ließ den Fahrer im Wagen zurück und stieg aus.

Wohin?

Tausend Meter Radius. Das war, berechnete man danach den Kreisumfang, eine beachtliche Fläche. Er beschloß, sich eine Viertelstunde lang umzusehen und dann einen Hubschrauber zu rufen.

Er wählte auf gut Glück eine Richtung aus und stapfte los. Der Grund war sandig, und Salbeigestrüpp behinderte seinen Marsch, aber als er hundertfünfzig Schritte gegangen war, sah er weiter rechts etwas im Salbei liegen, das wie ein Bündel Kleider aussah. Er rannte darauf zu, und auf einmal überkam ihn eine wilde, ängstliche Erregung, die er sich nicht erklären konnte.

Als er das Kleiderbündel erreichte, sah er, daß es eine Frau war, blond und jung, mit einem hübschen Gesicht. Mund und Kinn waren blutig, und sie lebte, obwohl sie nicht bei Bewußtsein zu sein schien. Sie trug eine Art Raumanzug von einem Schnitt, wie Falkner ihn noch nie gesehen hatte, matt schimmernd und von einer seltsamen Struktur. Sofort vermutete er, daß das Mädchen eine chinesische oder russische Spionin sein müsse, die beim Überfliegen des Landes zum Notabsprung gezwungen worden war. Rassisch war sie natürlich alles andere als eine Chinesin, aber es gab keinen Grund, warum Peking nicht eine Blondine aus Brooklyn anwerben sollte. Wenn die chinesischen Raumanzüge heutzutage so aussahen, mußte man vor den Leuten den Hut abnehmen.

Es gab keinen Zweifel, daß sie eine harte Landung gemacht hatte. Falkner konnte nicht viel von ihrem Körper sehen, aber nach ihrer gekrümmten Haltung zu urteilen, hatte sie gebrochene Beine und innere Verletzungen. Nun, in seinem Suchfahrzeug gab es eine Bahre mit ausklappbaren Rädern; er konnte sie mitnehmen, in die Stadt bringen und im Luftwaffenlazarett abliefern. Wenigstens kam sie nicht von einem anderen Sonnensystem, es sei denn, man produzierte auch dort draußen hübsche Blondinen.

Die sanft gebogene Glasplatte vor ihrem Gesicht war bei der Landung aufgesprungen. Falkner sah, daß sie sich regte, daß sie etwas zu murmeln schien, und er beugte sich rasch über sie.

Russisch sprach sie nicht: dafür klang die Aussprache zu weich. Chinesisch war es auch nicht, die Modulation fehlte ganz. Sie sprach überhaupt keine ihm bekannte Sprache. Vielleicht albanisch? Die Überlegung wirkte sich durch ein unangenehmes Gefühl im Magen aus. Er weigerte sich zu glauben, daß sie in der Sprache einer anderen Welt redete. Was er hörte, war Delirium. Ein bedeutungsloses Gestammel.

War das etwas auf englisch, jetzt?

»Wenn sie mir helfen… sie sprechen was hier? Englisch. Ja… Englisch…«

Er betrachtete wieder den Raumanzug, sah, wie fremdartig er war und bekam eine Gänsehaut.

Das Mädchen schlug die Augen auf. Schöne Augen. Ängstliche Augen. Von Schmerzen verschleierte Augen.

»Helfen Sie mir«, sagte sie.

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