Drei Tage lang lebte Glair in einem nebelerfüllten Dämmerzustand an der Schwelle ihres Bewußtseins. Ein rasender Schmerz hämmerte unablässig in ihren Beinen; ihr ganzer Körper fühlte sich gebläht und geschwollen an. Sie wußte, daß sie gräßlich zugerichtet war, und das stieß sie ab. Das war fast noch schwerer zu ertragen als die Schmerzen.
Eine Art Rückkoppelungsmechanismus hielt sie ständig an der Grenze wachen Bewußtseins. Wachte sie auf, wurden die Schmerzen unerträglich, und sie begann die Augenblicke klaren Bewußtseins zu benützen, um alle nicht lebenswichtigen Nervenstränge zu unterbrechen. Als das geschehen war, entspannte sie sich und versank in eine schmerzlose Bewußtlosigkeit.
In ihren klaren Augenblicken begriff Glair, daß man sie in der Wüste gefunden und ins Haus eines Erdbewohners gebracht hatte. Sie wußte auch, daß man ihr Anzug und Hüftband abgenommen hatte. Sie fühlte die Aufeinanderfolge der Tage und Nächte. Sie hatte das Gefühl, daß man ihr schmerzlindernde Drogen verabreichte — ein nutzloses Unterfangen, denn ihr Körper konnte nicht darauf reagieren —, und daß etwas unternommen wurde, um ihre gebrochenen Beine zu richten, was nützlicher war. Aber sie kam nicht soweit, daß sie ihre Umgebung wahrnehmen konnte. Sie lag still in ihrem Bad aus Schmerzen.
Hatte Vorneen die Explosion überlebt? War Mirtin noch rechtzeitig von Bord gekommen?
Sie war zu beschäftigt gewesen, ihren fehlerhaften Absprung zu korrigieren, um dem Geschehen über ihr Aufmerksamkeit schenken zu können. Sie vermutete, daß den beiden anderen der Absprung geglückt sei, aber mit Sicherheit konnte sie es nicht sagen.
Am vierten Tag wachte sie mit klarem Kopf auf.
Sie fühlte zuerst ein Kitzeln an ihrem Arm, und obwohl es etwas war, das sie in diesen Tagen der Schmerzen schon öfter gefühlt hatte, amüsierte es sie diesmal. Sie öffnete die Augen, um zu sehen, was da geschah. Ein muskulöser Erdbewohner stand über sie gebeugt und preßte eine glänzende braune Keramikröhre gegen die Innenseite ihres Armes. Als er ihren Blick sah, ließ er sofort von ihr ab und richtete sich auf.
»Endlich sind Sie wach«, sagte er. »Wie fühlen Sie sich?«
»Furchtbar. Was wollten Sie mit meinem Arm machen?«
»Ich wollte Ihnen eine intravenöse Injektion geben. Ich versuche Sie zu ernähren. Aber ich hatte Mühe, Ihre Venen zu finden.«
Glair versuchte zu lachen, aber ihre Ausbildung in den Sitten und Gewohnheiten der Menschen lag lange zurück, und ihre Gesichtsmuskeln brachten die notwendige Verzerrung nicht leicht zustande. Sie mußte sich anstrengen, und das Resultat schien mehr einer ängstlichen Grimasse als einem Lächeln zu gleichen, denn es löste bei dem Erdbewohner ein Seufzen aus.
»Sie haben Schmerzen«, sagte er. »Ich habe hier ein Mittel…«
Glair schüttelte den Kopf. »Nein, nein, es geht schon besser. Ist das ein Krankenhaus? Sind Sie ein Arzt?«
»Nein.«
Sie war erleichtert und erstaunt zugleich. »Wo bin ich?«
»In meinem Haus. In Albuquerque. Ich habe mich um Sie gekümmert, seit ich Sie in der Nacht dort draußen fand.«
Glair betrachtete ihn aufmerksam. Er war der erste echte Erdbewohner, den sie je gesehen hatte, und sein Anblick faszinierte sie. Wie dick und massiv sein Körper war, wie schwer seine Schultern! Ihr feiner Geruchssinn fing den Duft seines Körpers auf, wohlriechend und aufregend gegen den schärferen Geruch der Luft. Er schien Tier und intelligentes Geschöpf zugleich zu sein, so archaisch kraftvoll sah seine Gestalt aus.
Und es schien Glair, daß dieser Mann, der ihr Retter war, unter heftigen Schmerzen leide. Unerfahren wie sie mit Menschen war, konnte sie gleichwohl die Zeichen der Bedrängnis in seinem Gesicht lesen. Er hielt seine Kiefer derart zusammengepreßt, daß die Muskeln in seinen Wangen Knoten bildeten. Seine Zunge fuhr immer wieder über die Lippen. Seine dunkelgeränderten, blutunterlaufenen Augen zeugten von Schlaflosigkeit. Diese Anspannung im Gesicht eines fühlenden und denkenden Wesens hatte etwas Furchterregendes. Glair vergaß für einen Augenblick ihre eigenen Schwierigkeiten und versuchte den Mann mit einer Ausstrahlung warmer Sympathie zu erreichen.
Sie lag in einem kleinen, spartanisch eingerichteten Zimmer mit niedriger Decke und wenigen bescheidenen Möbeln. Durch ein Fenster strömte Sonnenlicht herein. Eine leichte Decke verhüllte sie bis zur Taille. Die festen Halbkugeln ihrer Brüste waren unbedeckt, was sie nicht kümmerte, ihrem Gastgeber jedoch einige sexuelle Beunruhigung zu verursachen schien, weil er seinen Blick wieder und wieder hingehen ließ, um ihn jedesmal hastig abzuwenden. Der Erdbewohner schien gleichzeitig unter vielen verschiedenen Spannungen zu leiden.
Er sagte: »Ihre Beine sind beide gebrochen. Ich habe sie eingerichtet. Seit drei Tagen und Nächten habe ich Sie beobachtet. Zuerst glaubte ich, Sie würden sterben, doch nun haben Sie, wie es scheint, das Schlimmste überstanden.«
»Sie sind sehr freundlich. Wahrscheinlich wäre ich ohne Ihre Hilfe gestorben.«
»Aber ich hätte Sie nicht hierher bringen dürfen. Ich hätte Sie sofort in die Stadt zum Militärlazarett schaffen müssen.« Er zitterte, als ob jeder Muskel seines Körpers mit allen anderen Muskeln im Kampf läge. »Was ich hier tue, ist blanker Wahnsinn. Ich lade mir damit ein Kriegsgerichtsverfahren auf.«
Sie wußte nicht, was ein Kriegsgerichtsverfahren war, aber der Mann war offenbar einem Nervenzusammenbruch nahe. Beschwichtigend sagte sie: »Sie müssen ausruhen. Sicherlich haben Sie überhaupt nicht geschlafen. Sie sehen unglücklich aus.«
Er zog die Decke über sie, daß sie bis zum Hals bedeckt war, dann beugte er sich über sie und fragte mit halblauter, heiserer Stimme: »Was sind Sie?«
Ihre improvisierte Geschichte ging ihr leicht von den Lippen. »Ich bin Flugschülerin«, sagte sie unschuldig. »Ich startete am Nachmittag mit meinem Ausbilder vom Flughafen Taos, aber über Santa Fé hatten wir Maschinenschaden…«
Seine Hände ballten sich zu Fäusten. »Hören Sie«, unterbrach er sie rauh, »mir können Sie das nicht verkaufen. Seit drei Tagen liegen Sie nackt in meinem Haus. Ich habe Sie gepflegt, und dabei hatte ich genug Gelegenheit, Sie genau zu betrachten. Ich weiß nicht, was Sie sind, aber ich weiß, was Sie nicht sind. Sie sind kein niedliches junges Mädchen aus Taos, das mit dem Fallschirm abspringen mußte. Sie sind überhaupt kein Mensch. Machen Sie mir nichts vor, es hätte doch keinen Zweck. Sagen Sie mir, was Sie sind und woher Sie kommen!«
Glair zögerte. »Für was halten Sie mich?« fragte sie dann, um Zeit zu gewinnen.
»Sie sind in der Wüste gelandet, nachdem dieser verdammte Feuerball über den Himmel gekommen war. Sie hatten keinen Fallschirm, nur einen Gummianzug voller komischer Instrumente und Werkzeuge. Sie phantasierten in einer Sprache, die ich nie zuvor gehört habe. Gewiß, ich könnte immer noch glauben, daß Sie eine Spionin aus einem fremden Land sind. Aber ich brachte Sie zu mir nach Hause. Ich weiß nicht, warum ich das tat, aber ich habe es getan, und ich habe meinen Fahrer nach Wyoming versetzt, damit er nichts ausplaudern kann.«
Er richtete sich auf, marschierte ungeduldig zum Fenster und wieder zurück. »Ich habe Sie untersucht. Beide Beine gebrochen. Als ich das eine Ihrer Beine abtastete, um festzustellen, welcher Art der Bruch sei, fühlte ich den Knochen wieder zurückschnappen. Was sind das für Knochen? Sie schwitzen auch nicht, und Sie scheiden nichts aus. Ihre Körpertemperatur ist dreißig Grad. Ich weiß nicht einmal, ob Sie die Nahrung gebraucht haben, die ich Ihnen eingespritzt habe.« Er starrte ihr in die Augen. »Sie sind kein menschliches Wesen. Sie sind die perfekte Hülle eines hübschen Mädchens, unter der sich Gott weiß was verbirgt. Was also sind Sie?«
Glair sagte mir ruhiger Stimme: »Ich bin ein Beobachter. Ich komme von Dirna. Das ist ein Planet einer anderen Sonne. Macht es Sie glücklich, das zu wissen?«
Er reagierte, als habe sie ihm einen Dolch in den Leib gestoßen. Er wich zurück und stieß zischend seinen Atem aus. Dann hob er seine Hände und rieb seine Brust, wie wenn er dort Schmerzen hätte. Seine Stimme war tonlos, als er fragte: »Sie sind von einer Fliegenden Untertasse, ist es das?«
»Sie nennen unsere Schiffe so, ja.«
»Sagen Sie es. Sprechen Sie den ganzen albernen Satz aus!«
»Ich bin von einer Fliegenden Untertasse«, sagte Glair.
Der Mann wandte sich von ihr ab. »Ich könnte jetzt in die Stadt gehen und im Kontaktkult predigen«, sagte er hohl. »Ich könnte den Leuten dort alles über die hübsche Untertassenfrau erzählen, die ich in der Wüste gefunden habe, wie ich sie nach Hause gebracht und gepflegt habe, und wie sie mir Geschichten von ihrem fernen Planeten erzählt hat. Das ganze verrückte Zeugs, wie es auch die anderen verzapfen. Außer, daß ich keiner Halluzination zum Opfer gefallen bin!«
»Beobachter müssen wie Menschen aussehen«, sagte sie. »Manchmal ist es erforderlich, daß wir zu Ihnen kommen. Nicht oft, aber wenn es einmal dazu kommt, müssen wir wie Ihresgleichen aussehen. Natürlich besteht dabei immer die Gefahr, daß einer von Ihnen uns zu nahe kommt und entdeckt, was unter der Haut liegt. Wir haben keine Möglichkeit, unsere innere Natur zu einem Duplikat der Ihren zu machen.«
»Dann ist es also wahr? Wesen aus dem Weltraum haben die Erde aus — aus Fliegenden Untertassen beobachtet?«
»Das ist seit vielen Jahren so. Wir haben die Erde schon länger beobachtet, als Sie Jahre zählen. Länger als ich am Leben bin. Die ersten Patrouillen kamen vor über tausend Jahren. Heute ist unser Beobachtungssystem lückenloser denn je.«
Des Mannes Arme hingen schlaff an seinen Seiten herab. Sein Mund arbeitete, aber kein Wort kam heraus.
Schließlich sagte er: »Wissen Sie, was das AFAO ist, das Amt für die Untersuchung atmosphärischer Objekte?«
Glair hatte davon gehört. »Es ist eine Organisation der amerikanischen Erdbewohner hier. Um die Beobachter zu beobachten, sozusagen.«
»Ja. Um die Beobachter zu beobachten. Nun, ich arbeite für das AFAO. Es ist meine Aufgabe, allen Meldungen über das nachzugehen, was diese Idioten Fliegende Untertassen nennen, und zu sehen, ob etwas dahintersteckt. Jeden Monat kriege ich ein Gehalt dafür, daß ich nach fremden Wesen suche. Verstehen Sie, ich kann Sie nicht hier behalten! Ich habe die Pflicht, Sie meiner Regierung auszuliefern!«