5.

Etwa um Mitternacht glaubte Kathryn wieder einmal das Wimmern von Jills Kätzchen zu hören. Sie wälzte sich auf die andere Seite und sagte sich, es sei bloß ein Traum, aber das Geräusch wiederholte sich, und Kathryn setzte sich auf. Ja, draußen war etwas. Gott sei Dank, dachte sie. Wie glücklich wird Jill sein, daß das Kätzchen zurückgekommen ist!

Sie sprang aus dem Bett. Ihr Morgenmantel lag am Boden; sie hob ihn auf, schlüpfte hinein und zog den Gürtel fest zu. Dann öffnete sie die Tür zur Veranda. Ein kalter Nordwind blies von der Wüste herüber, fuhr durch den dünnen Morgenmantel und das noch dünnere Nachthemd und jagte ihr Schauer über den Körper. Wo steckte das Kätzchen?

Sie konnte es nirgends sehen. Nur das leise, hohe Wimmern war noch zu hören. Doch nun schien es ihr weniger ein wimmerndes Miauen zu sein, sondern mehr ein Stöhnen.

Kathryn kämpfte einen Impuls nieder, ins Haus zu rennen und die Tür hinter sich abzusperren. Vielleicht lag ein Verletzter dort draußen. Ein Autounfall? Sie hatte nichts gehört, aber das besagte wenig; ihr Schlafzimmer lag nicht an der Straßenseite. Wachsam blickte sie umher, vom Nachbarhaus zu ihrer Linken bis zur leeren Wüste zu ihrer Rechten. Sie machte ein paar zögernde Schritte.

Plötzlich sah sie den Mann, der kaum zehn Meter von ihr entfernt auf der sandigen Erde lag.

Er lag etwas gekrümmt auf der Seite und hatte sein Gesicht ihr zugekehrt. Er trug eine Art Fliegerkombination. Das Glas vor seinem Gesicht war gesprungen und hing halb offen. Kathryn sah Blut in seinem Gesicht. Seine Augen waren geschlossen, und er stöhnte immer wieder leise, ohne sich jedoch zu bewegen. Neben ihm lagen drei oder vier schimmernde Metalldinger, Werkzeuge irgendwelcher Art, die offenbar aus den Taschen seines Anzugs gefallen waren.

Sie mußte an den Feuerball denken, den sie ein paar Stunden zuvor gesehen hatte. Nur ein Meteor? Oder war es in Wirklichkeit doch eine explodierende Maschine gewesen, und dieser Mann hier einer der Überlebenden?

Kathryn lief zu ihm. Als sie näherkam, regte er sich ein wenig, doch seine Augen blieben geschlossen.

Sie kauerte neben ihm nieder. Es war schwierig zu sagen, wie schwer seine Verletzungen waren. Er schien ziemlich jung zu sein — dreißig oder so — und starke Schmerzen zu haben. Und er war sehr hübsch. Kathryn war über die Intensität ihrer Reaktion auf sein gutes Aussehen erschrocken. Sie fühlte sich im Griff einer plötzlichen sexuellen Anziehungskraft, und das verwirrte sie. Sie beugte sich vor, um ihn näher zu untersuchen.

Sein Gesicht war blutig. Ich müßte die Polizei rufen, dachte sie, oder einen Krankenwagen.

Aber sie tat es nicht. Sie wollte nicht, daß irgendwelche Behörden sich in diese Sache einmischten. Es war Nacht, und sie wollte kein Aufhebens. Vorsichtig steckte sie ihre Hand in den offenen Helm und berührte die Wange des Verletzten. Fiebrig. Aber kein Schweiß. Warum das? Sie hob eines der Augenlider, und ein graues Auge blickte sie an. Das Lid klappte wieder herunter, als sie es losließ, und der Mann zuckte und stöhnte. In seinem Stöhnen wurden jetzt Worte hörbar, aber sie blieben Kathryn unverständlich. War das irgendeine fremde Sprache, oder babbelte er im Delirium seiner Schmerzen? Sie bemühte sich, wenigstens einzelne Worte zu verstehen, aber ohne Erfolg.

Der Wind pfiff und blies ihr Staub ins Gesicht. Kathryn blickte auf, von der Befürchtung geplagt, ihre Nachbarn könnten sie hinter den Fenstern beobachten. Aber alles war still. Sie wunderte sich über ihr Verhalten diesem ungebetenen Besucher gegenüber. Etwas in ihr verlangte, daß sie ihn beschützte und ins Haus bringe. Aber das war Unsinn. Er war ein Fremder, und sie fürchtete Fremde. Schließlich gab es Krankenhäuser. Sie hatte mit diesem Mann nichts zu schaffen, der aus dem Himmel gefallen und der womöglich Agent eines kommunistischen Landes war. Wie hatte sie nur erwägen können, ihn ins Haus zu bringen?

Sie betastete das nahtlos verarbeitete Material seines Anzugs, hob die Werkzeuge auf. Eins sah wie eine Taschenlampe aus, eine Stablampe mit einem Knauf an einem Ende. Sie befingerte ihn neugierig und bekam einen tödlichen Schreck, als ein scharf gebündelter weißer Lichtstrahl herausschoß, einen Moment mit der Reflexbewegung ihrer Hand durch die Nacht fuhr und über einen Ast eines nahen Baumes wischte. Der Ast fiel krachend auf die Erde. Kathryn ließ das kleine Metallrohr fallen, als hätte sie sich die Finger daran verbrannt. Was war das? Eine Art von Hand-Laser? Ein Hitzestrahl?

Wo kommt dieser Mann her?

Sie hatte keine Ahnung, wozu die anderen Werkzeuge dienten, aber auf einmal kamen sie ihr unglaublich fremdartig vor, wie Dinge von einer anderen Welt. Sie erschauerte. Diese nächtliche Begegnung begann einen unwirklichen Charakter anzunehmen.

Sie wußte, daß sie ihn ins Haus schaffen, ihm die Fliegerkombination ausziehen und nachsehen mußte, was ihm fehlte. Es erschien ihr wenig wahrscheinlich, daß dieser Verletzte eine Bedrohung für sie oder ihr Kind darstellte. Letztes Jahr war in Syrien ein Mann vom Himmel gefallen, wie dieser hier. Ihr Mann, Ted. War er noch lebend unten angekommen? Hatte jemand ihm geholfen? Oder hatten sie ihn in der Wüste liegenlassen, bis er umgekommen war? Kathryn fragte sich, wie sie ihn hineinschaffen sollte. Verletzte sollte man überhaupt nicht bewegen, aber es war nicht weit. Konnte sie ihn heben?

Sie schob einen Arm unter seinen Nacken, den anderen unter seine Knie. Sie wollte ihn nicht aufheben, nur sehen, wie er reagierte. Zu ihrer Bestürzung fand sie, daß er unwahrscheinlich leicht war. Obwohl er die Größe eines ausgewachsenen Mannes hatte, schien er nicht mehr als siebzig oder achtzig Pfund zu wiegen. Ohne sich ganz bewußt zu werden, was sie tat, stand Kathryn auf und hielt ihn auf den Armen. Es kostete sie Anstrengung, war aber nicht unerträglich. Sie trug ihn zum Haus, stieß die angelehnte Tür auf und legte ihn schnaufend auf den einzigen geeigneten Platz — ihr Bett, das große Doppelbett, das sie sechs Jahre lang mit einem Mann geteilt hatte, der jetzt nur noch eine verblassende Erinnerung war. Der Verletzte stöhnte wieder und murmelte in seiner fremden Sprache, aber er wachte nicht auf. Auch schien der Transport ihm nicht geschadet zu haben. Kathryn stürzte zurück und verschloß die Tür, zog den Vorhang zu. Ihr Herz pochte. Sie war verwirrt. Was nun?

Sie rannte hinaus und spähte ins Schlafzimmer ihrer Tochter. Jill schlief fest. Nun ins Bad. Sie riß das Medizinschränkchen auf und nahm beinahe wahllos heraus, was ihr in die Hände kam: Bandagen, eine Schere, Heftpflaster, Heilsalbe, antiseptische Tinktur, eine Flasche Schmerzbetäuber und sieben oder acht andere Dinge. Alles das stopfte sie in die Taschen ihres Morgenmantels, dann raste sie zurück. Der Mann auf ihrem Bett hatte sich noch nicht bewegt. Zuerst mußte sie diesen Anzug herunterbekommen. Sie suchte nach einem Reißverschluß, nach Schnallen oder Knöpfen. Sie konnte nichts finden. Das Material war glatt, der Anzug war aus einem Stück geschweißt. Kathryn nahm eine Falte zwischen zwei Finger und versuchte sie zu schneiden, doch der Stoff widerstand der Schere, als ob er aus Stahldraht gewebt wäre. Sie wagte nicht, den Verletzten auf den Bauch zu wälzen, um auf der anderen Seite nach einem Reißverschluß zu suchen.

Sie besprühte sein Gesicht mit Kölnisch Wasser von ihrem Toilettentisch, und er regte sich. »Glair?« sagte er deutlich. »Glair?«

»Rühren Sie sich nicht. Es ist alles in Ordnung. Bleiben Sie still liegen und lassen Sie sich helfen.«

Er wurde wieder ruhig. Kathryn fummelte mit wachsender Besorgnis an seinem Anzug herum. Das Ding lag wie eine zweite Haut an seinem Körper, und sie war schon am Verzweifeln, als sie endlich einen winzigen Knopf unter dem Kinn des Mannes entdeckte. Drücken nützte nichts, aber als sie ihn behutsam nach links drehte, schien etwas unter der Oberfläche des Anzugs nachzugeben, und dann öffnete er sich von selbst, spaltete sich in gerader Linie entlang einer unsichtbaren Naht von Kopf bis Fuß. Sie brauchte die Teile nur noch zurückzuschlagen.

Der Mann trug darunter lediglich eine gummiartige gelbe Umwicklung, die Unterleib und Hüften bedeckte. Sein Körper war schlank, sehr bleich, haarlos und… schön. Das Wort drängte sich ungebeten in Kathryns Bewußtsein. Es ging eine fast feminine Schönheit von ihm aus; seine Haut war glatt und fast durchsichtig. Zugleich aber war er unleugbar männlich. Unter der Elfenbeinhaut lagen kräftige Muskeln. Seine Schultern waren breit, die Hüften schmal, Bauch und Brustkorb flach und fest. Er hätte eine zum Leben erwachte griechische Statue sein können.

Welcher Art mochten seine Schmerzen sein? fragte sich Kathryn. Sie begann ihn auf der Suche nach Verletzungen behutsam abzutasten. Krankenhauserfahrungen, die sie längst vergessen glaubte, fluteten in ihr Gedächtnis zurück. Sie sah, daß sein linkes Bein gebrochen war, und es schien ein glatter Bruch zu sein.

Andere Brüche konnte sie nicht finden, obwohl er viele Abschürfungen und Prellungen davongetragen hatte, aber es gab da zweifellos innere Verletzungen. Das erklärte die Blutung aus seinem Mund. Dieses Blut, Kathryn sah es deutlich im hellen Licht, war orangefarben. Sie betrachtete es ungläubig, dann wanderte ihr Blick zu dem offenen Anzug, auf dem er immer noch lag, und sah die verschiedenen geheimnisvollen Taschen und Geräte längs der Innenseite. Sie wehrte sich gegen die abenteuerliche Schlußfolgerung, daß dieser Mann von einer anderen Welt kam, und sie schob energisch alle Spekulationen beiseite und konzentrierte sich darauf, ihn zu untersuchen.

Mit einem feuchten Tuch wischte sie ihm das Blut vom Gesicht. Die Blutungen aus seinem Mund hatten aufgehört. Zögernd legte sie dann ihre Hände an das gebrochene Bein, fühlte den Bruch ab und versuchte die Knochen einzurichten, obwohl sie wußte, daß sie als ehemalige Hilfsschwester zu solchen Dingen nicht befugt war. Zu ihrer Verblüffung ließ das Bein sich leicht führen, und als sie mit der Arbeit fertig war und den Schenkel sorgfältig abgetastet hatte, war sie beinahe sicher, daß die beiden Hälften des gebrochenen Knochens miteinander in Linie waren. Der Mann auf dem Bett hatte während der Prozedur Grimassen geschnitten, aber jetzt atmete er leichter, mit halbgeöffnetem Mund. Kathryn nahm die Flasche Schmerzbetäuber und ließ ein paar Tropfen auf seine Zunge fallen. Er schluckte, und sie schüttete noch etwas hinterher.

Sie erkannte, daß sie nahezu alles getan hatte, was sie im Moment für ihn tun konnte. Es gab keine äußeren Wunden, die eines Verbandes bedurften. Er stöhnte nicht mehr und schien zu schlafen. Sie schaute besorgt auf ihn herab. Früher oder später würde er aufwachen, und was dann?

Kathryn wischte die Befürchtungen beiseite. Ohne dieses gummiartige Stück Unterwäsche hätte er es bequemer, beschloß sie. Wie sollte er sich mit diesem Ding um die Mitte entleeren? Sie sah auch keine Öffnung in dem Kleidungsstück, was sie noch mehr verwunderte.

Sie mußte ihm das Ding ausziehen.

Als sie daran dachte, machte sich dieses komische sexuelle Pulsieren in ihr wieder bemerkbar. Kathryn schürzte zornig die Lippen. Vor ihrer Ehe hatte sie als Krankenschwester Hunderte von männlichen Patienten versorgt und gesäubert, ohne irgend etwas dabei zu empfinden. Doch jetzt war es ihr unmöglich, diese sachliche und leidenschaftslose Haltung wiederzufinden. Hatte ein Jahr keuscher Witwenschaft sie so begierig gemacht, den Körper eines Mannes zu sehen? Oder war es etwas anderes, eine besondere Anziehungskraft, die nur von diesem einen Mann ausging? Vielleicht war es bloß Neugierde, der Wunsch, herauszufinden, was unter dem gummiartigen Zeug war. Wenn er wirklich von einer anderen Welt kam…

Kathryn nahm die Schere, schob sie unter das Material und versuchte es zu zerschneiden. Es gelang ihr nicht. Das Zeug war genauso zäh und widerstandsfähig wie sein Raumanzug.

Sie war überzeugt, das Kleidungsstück herunterrollen zu können, aber sie wollte sein gebrochenes Bein schonen. Verblüfft suchte sie nach einem versteckten Verschluß, und als ihre Hände über seine Hüften glitten, vertiefte sich Kathryn so in ihre Tätigkeit, daß sie sein Erwachen nicht bemerkte.

»Was tun Sie da?« fragte er mit angenehm wohlklingender Stimme.

Kathryn sprang in Panik zurück. »Oh — Sie sind wach!«

»Mehr oder weniger. Wo bin ich?«

»In meinem Haus in Bernalillo. Ungefähr zwanzig Meilen von Albuquerque. Sagt Ihnen das etwas?«

»Ein wenig.« Er sah an seinem Bein herab. »War ich lange besinnungslos?«

»Ich fand Sie vor einer Stunde. Sie waren direkt vor meinem Haus. Anscheinend sind Sie dort gelandet.«

»Ja. Ich landete.« Er lächelte. Seine Augen waren lebhaft, forschend und etwas ironisch. Er war unglaublich gutaussehend, wie ein Filmstar. Dann fragte er: »Wo sind die anderen von Ihrer Sexualgruppe?«

»Von meiner — Sexualgruppe?« fragte sie entgeistert.

Er lachte. »Ich bitte um Verzeihung. Ich meine Ihren Partner. Wo ist Ihr Ehemann?«

»Er ist tot«, murmelte Kathryn. »Er kam letztes Jahr ums Leben. Ich lebe mit meinem Kind.«

»Ich sehe.« Er wollte aufstehen, sank aber zähneknirschend zurück, als er sein linkes Bein bewegen wollte. Kathryn ging einen Schritt auf ihn zu und hob abwehrend ihre Hand.

»Nein. Bleiben Sie liegen. Ihr Bein ist gebrochen.«

»So fühlt es sich an.« Er lächelte wieder. »Sind Sie ein Arzt?«

»Nein. Ich war vor meiner Ehe Krankenschwester. Ihr Bein wird schon wieder in Ordnung kommen, aber Sie dürfen es nicht bewegen oder gar belasten. Morgen früh werde ich einen Arzt holen, damit er Ihnen einen Gipsverband anlegt.«

Die Liebenswürdigkeit verflog aus der Stimme des Fremden. »Müssen Sie das tun?«

»Was?«

»Einen Arzt holen. Können Sie mich nicht gesundpflegen?«

»Ich? Aber ich — Sie…«

»Ist es moralisch verboten, daß eine früher verheiratete Frau einen fremden Mann aufnimmt? Ich kann Sie für Ihre Mühe bezahlen. In meinem Anzug ist Geld. Lassen Sie mich einfach hier liegen, bis mein Bein besser ist. Ich werde Ihnen nicht zur Last fallen, das verspreche ich Ihnen. Ich…« Ein plötzlicher Schmerz ließ ihn abbrechen. Er ballte die Fäuste und ächzte leise.

»Trinken Sie etwas von dieser Medizin«, sagte Kathryn und hielt ihm die Flasche mit dem Schmerzbetäuber hin.

»Das würde nichts nützen. Ich werde — schon fertig damit…«

Sie sah verwundert zu, wie er eine Art inneren Prozeß durchmachte. Was immer es war, es schien zu wirken. Die scharfen Linien in seinem Gesicht verschwanden, und er entspannte sich wieder. Schließlich kehrte auch der Ausdruck distanzierter Ironie zurück.

»Darf ich hierbleiben?« fragte er.

»Vielleicht — für eine Weile.« Sie wagte nicht zu fragen, woher er gekommen sei oder wie er heiße. »Haben Sie große Schmerzen in dem Bein?«

»Es geht. Ich glaube, die eigentlichen Verletzungen sind innen. Es gab einen harten Aufprall, als ich — als ich herunterkam.« Er schien das alles sehr ruhig zu nehmen, dachte sie. Er fuhr fort: »Sie brauchen nicht viel für mich zu tun. Ich brauche Ruhe, Nahrung, ein bißchen Hilfe. Ich werde Sie nur ein paar Wochen behelligen. Warum wollten Sie mein Hüftband abnehmen?«

Sie errötete heftig. »Um es Ihnen bequemer zu machen. Und für den Fall, daß Sie austreten müssen. Aber ich bekam es nicht auf, und dann wurden Sie wach.«

Seine linke Hand schob sich an die Hüfte und machte etwas, das Kathryn nicht sehen konnte, und das gelbe Zeug ging auf und fiel so schnell auseinander, daß Kathryn erschrocken die Hand vor den Mund schlug. Seltsamerweise war an seiner Nacktheit nichts Besonderes. Sie wußte nicht, was zu sehen sie erwartet hatte — irgendein fremdartiges Organ vielleicht, oder eher noch eine puppenähnlich geschlechtslose Fortsetzung des Bauches —, aber es war ganz konventionell konstruiert. Kathryn schaute schnell weg.

»Sie haben ein starkes Nacktheitstabu, nicht?« fragte er.

»Eigentlich nicht. Es ist nur, daß — oh, alles ist so komisch! Ich sollte Angst vor Ihnen haben, aber ich habe keine, und ich sollte die Polizei rufen, aber ich tue es nicht, und…« Sie faßte sich. »Ich werde Ihnen eine Bettpfanne bringen. Soll ich Ihnen etwas zu essen kochen? Etwas Suppe vielleicht und Toast dazu? Und hier, lassen Sie mich den Anzug unter Ihnen wegziehen. Ohne ihn werden Sie besser schlafen können.«

Er schien Schmerzen zu haben, als sie den Anzug unter ihm herauszog, doch er sagte nichts. Er lag schlank und nackt auf ihrem Bett und lächelte dankbar zu ihr auf. Kathryn deckte ihn zu. Er verhielt sich sehr ruhig, aber sicherlich stand er größere Schmerzen aus, als er sie wissen lassen wollte.

Er sagte: »Würden Sie den Anzug an einem sicheren Ort verwahren? Einem Ort, wo niemand ihn finden kann?«

»Ich wollte ihn in den Kleiderschrank hinter meine Sachen hängen«, sagte sie. »Ist Ihnen das recht?«

»Einstweilen«, sagte er, »möchte ich nicht, daß ihn außer Ihnen jemand zu sehen bekommt.«

Sie versteckte den Anzug hinter ihren Sommerkleidern. Seine Augen folgten jeder ihrer Bewegungen. Sie kam zurück und fragte: »Möchten Sie jetzt etwas essen?«

»Am Morgen, danke.« Seine Hand berührte flüchtig die ihre. »Wie heißen Sie?«

»Kathryn. Kathryn Mason.«

Seinen Namen nannte er nicht, und sie brachte es nicht über sich, ihn danach zu fragen.

»Kann ich Ihnen vertrauen, Kathryn?«

»In welcher Weise?«

»Daß Sie meine Anwesenheit hier geheimhalten.«

Sie lachte nervös auf. »Ich habe keine Lust, der Nachbarschaft einen Skandal zu liefern. Niemand wird Sie hier finden.«

»Ausgezeichnet.«

»Ich werde Ihnen jetzt die Bettpfanne holen.«

Sie verspürte eine gewisse Erleichterung, aus seiner Gegenwart zu entkommen. Er ängstigte sie, und ihre Angst wuchs mit den verstreichenden Minuten, statt nachzulassen. Seine unerschütterliche Ruhe war am unheimlichsten von allem. Er schien unwirklich zu sein, synthetisch. Alles an ihm wirkte unecht, von seinem zu hübschen Gesicht bis zu seiner zu glatten Stimme mit ihrer zu reinen, akzentlosen Aussprache. Und daß er innerhalb von fünfzehn Minuten aus bewußtlosem Delirium zu beherrschter Vernunft aufgestiegen war, brachte sie vollends aus der Fassung.

Kathryn zitterte. Sie zog die Bettpfanne aus dem Küchenschrank und spülte sie unter der Wasserleitung ab.

Da war ein fremder Mann in ihren vier Wänden, und das war beunruhigend.

Da war ein fremder Mann in ihrem Haus, der möglicherweise kein Mensch war, und das war noch viel beunruhigender.

Sie kehrte ins Schlafzimmer zurück, und er lächelte, als sie ihm die Bettpfanne unter die Decke schob. In einem Versuch, ihre alte klinische Objektivität wiederzugewinnen, sagte sie: »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«

»Sie könnten mir ein paar Auskünfte geben.«

»Selbstverständlich.«

»Gab es heute abend im Radio oder im Fernsehen irgendeine ungewöhnliche Meldung?«

»Über den Meteor«, sagte sie. »Ich habe ihn selbst gesehen. Ein großer Feuerball, der über den Himmel zog.«

»Es war also ein Meteor?«

»Das sagten sie in den Nachrichtensendungen.«

Er dachte darüber nach. Sie wartete und hoffte auf eine Enthüllung, auf das Eingeständnis seiner Herkunft. Aber er verriet nichts und sah sie nur schweigend an.

»Soll ich das Licht ausschalten?« fragte sie.

Er nickte.

Sie löschte das Licht. Erst jetzt wurde ihr klar, daß sie keine Schlafgelegenheit hatte. Er lag im Bett, und sie konnte schwerlich zu ihm hineinsteigen.

Sie legte sich mit angezogenen Beinen auf die Wohnzimmercouch. Aber sie konnte kein Auge zutun, und als sie gegen Morgen ins Schlafzimmer ging, sah sie, daß auch er die Augen offen hatte. Sein Gesicht war von Schmerzen gezeichnet.

»Glair?« fragte er.

»Kathryn. Was kann ich für Sie tun?«

»Halten Sie meine Hand in Ihrer«, flüsterte er, und sie tat es und setzte sich auf die Bettkante. So blieben sie bis zum Morgen.

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