Als er der Erde entgegenfiel, begriff Mirtin, daß er mit ernsten Verletzungen rechnen mußte. Er nahm das ruhig hin, wie er alles hinzunehmen pflegte, das er nicht ändern konnte.
Es hieß, daß der Aufprall bei einem Notabsprung wie diesem etwa dem eines freien Falls aus dreißig Metern Höhe entsprach. Ein solcher Aufschlag konnte einen Dirnaer nicht töten, aber es würde einen heftigen Stoß geben. Da sie das Schiff in einer Höhe verlassen hatten, die weit über der für einen sicheren Sprung empfohlenen lag, war es vernünftig, ernste körperliche Verletzungen zu erwarten. Mirtin tat, was er konnte, und zog sein dirnaisches Inneres so eng wie möglich in der fleischigen äußeren Schale seiner irdischen Verkleidung zusammen. Mehr konnte er nicht tun. Die Knochen, die seine Schale stützten, würden wahrscheinlich brechen, und Knochenbrüche würden ihm Schmerzen und Unbequemlichkeiten bereiten, selbst wenn sein eigentlicher innerer Körper unverletzt bliebe. Dieses Gehäuse, in dem er jetzt steckte, war mehr als eine bloße Schale; es war auch sein Körper, obwohl er nicht darin geboren war.
In den letzten Augenblicken drohte ihn die Besinnung zu verlassen. Mit großer Anstrengung gelang es ihm, bei Bewußtsein zu bleiben. Er sah, daß er weit entfernt von jeder größeren Stadt landete. Im Osten machte er die rechteckigen Lehmhäuser eines Indianerdorfes aus, einer jener lebenden Kuriositäten aus der Vergangenheit, die die Erdbewohner in diesem Teil ihrer Welt so sorgfältig bewahrten. Im Westen war in weiter Ferne die riesige Kluft eines Cañons zu sehen. Dazwischen lag sein Landegebiet, eine von tiefen Schluchten, erodierten Terrassen und steil aufsteigenden Tafelbergen gefurchte Ebene. In dieser Höhe war er atmosphärischen Strömungen ausgesetzt; Mirtin fühlte sich leicht angehoben und etwa einen Kilometer in Richtung auf das Indianerdorf abgetrieben. Er bremste die Abdrift mit den kleinen, in seinen Anzug eingebauten Stabilisierungsdüsen, und hielt sich für den Aufprall bereit.
Im letzten Moment wurde er trotz seiner harten Arbeit ohnmächtig. Es war auch so gut; denn als er das Bewußtsein wiedererlangte, wußte Mirtin, daß er schwere Verletzungen erlitten hatte.
Zuerst galt es, die Schmerzen erträglich zu machen. Er ging systematisch die Reihen der Ganglien durch und schaltete sie ab. Einige mußten natürlich aktiv bleiben — diejenigen, die sein autonomes Nervensystem bedienten. Er benötigte den Atmungsreflex und die Nervenstränge, die seine selbsttätigen Körperfunktionen steuerten. Aber alles, was ihm entbehrlich erschien, wurde einstweilen abgeschaltet. Ohne diesen fiebrigen Schleier der Schmerzen konnte er seine Lage klarer übersehen und nachdenken, was sonst noch zu tun war.
Es dauerte länger als eine Stunde, bis Mirtin genug Nervenstränge unterbrochen hatte, um die Schmerzen auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Eine weitere halbe Stunde brauchte er, um die angesammelten Schmerzgifte aus seinem Körper zu spülen. Dann sah er sich um.
Er lag auf seinem Rücken nicht weit vom Rand einer grob dreieckigen Terrasse, die etwas höher lag als das umgebende Terrain. Zu seiner Linken war die trockene Schlucht eines Baches, der anscheinend nur im Frühjahr Wasser führte. Zu seiner Rechten befand sich eine steil aufragende Klippe, und im grauen Licht des nahenden Morgens sah er, daß das Gestein weich und sandig war, von Wind und Regen zerfressen und an vielen Stellen durchlöchert. Zehn oder fünfzehn Körperlängen hinter ihm war die schwarze Öffnung einer Höhle. Wenn er dort hineinkriechen könnte, hätte er den geschützten Zufluchtsort, den er brauchte, während sein Körper den Heilungsprozeß durchmachte.
Aber er konnte nicht kriechen.
Er konnte sich überhaupt nicht bewegen.
Es war schwierig, mit einem nur noch teilweise funktionierenden Nervensystem die erlittenen Verletzungen zu bestimmen, doch Mirtin vermutete, daß seine Wirbelsäule gebrochen war. Seine Arme und Beine schienen in Ordnung zu sein, aber sie waren ohne motorische Reaktion, was bedeutete, daß das Rückgrat mit seinen Nervenbahnen zertrennt sein mußte. Er konnte das reparieren, wenn ihm genug Zeit zur Verfügung stünde. Zuerst müßte der Knochen geflickt werden, und dann müßte er die Nervenstränge regenerieren. Es würde etwa zwei Monate lokaler Zeit erfordern. Sein innerer, dirnaischer Körper war intakt geblieben, und so kam es allein darauf an, seine äußere Hülle wiederherzustellen.
Doch wie sollte das geschehen? Hier draußen, auf dem Rücken liegend? Im Winter? Ohne Nahrung?
Sein Körper besaß viele Fähigkeiten, die auf Erden unbekannt waren, aber er konnte nicht unbegrenzte Zeit ohne Nahrung auskommen. Mirtin erkannte, daß er lange vor seiner Heilung verhungern würde. Das war sowieso akademisch; eine Woche ohne Wasser, und er wäre erledigt. Er brauchte Obdach und Nahrung und Wasser, und in seiner gegenwärtigen Verfassung konnte er nichts davon ohne Hilfe von außen bekommen. Was bedeutete, daß er Hilfe brauchte.
Vorneen? Glair? Wenn sie noch lebten, hatten sie ihre eigenen Probleme. Mirtin war nicht imstande, sein Sendegerät in Betrieb zu nehmen, das in Hüfthöhe an seine Seite geschnallt war, und so gab es auch keine Möglichkeit, sie herbeizurufen. Seine einzige Hoffnung blieb das Erscheinen eines freundlichen Erdbewohners. Und das fand Mirtin in diesem öden Land nicht sehr wahrscheinlich.
Er begriff, daß er zum Sterben verurteilt war.
Aber noch nicht gleich. Er beschloß, drei Tage zu warten und zu sehen, was in dieser Zeit geschah. Bis dahin würde der Wassermangel ihn in große Not bringen, und es würde ihm nicht schwerfallen, die restlichen Stränge seines Nervensystems zu unterbrechen und in einen friedvollen Tod hinüberzugleiten. Sein Körper würde rasch verwesen, selbst in diesem trockenen Klima, und eines Tages würde man nur seinen leeren Anzug entdecken. Diese künstlichen Menschenkörper waren so angelegt, daß sie in kurzer Zeit verrotteten, Knochen und alles, wenn ihnen der innere Funke dirnaischen Lebens entzogen wurde; es war dafür gesorgt, daß die Beobachteten nicht von der Gegenwart der Beobachter erfuhren.
Mirtin wartete.
Der Morgen kam, ein langsames Zunehmen der Helligkeit. Er lag geduldig. Noch ein Morgen und noch einer, und alles wäre vorbei. Er hielt Rückschau auf sein Leben. Er dachte an Glair und Vorneen, und wie tief er sich ihnen verbunden fühlte. Er überdachte ganz sachlich, ob es fruchtbringend gewesen sei, sein Leben für eine Welt wie diese hinzugeben.
Nach einiger Zeit merkte er, daß jemand sich näherte.
Das hatte Mirtin nicht erwartet. Er hatte sich damit abgefunden, die willkürlich gewählten drei Tage in der Wüste zu liegen, die Uhr ablaufen zu lassen und sich auszulöschen. Doch nun schien es, daß er doch noch entdeckt würde.
In der Ferne sah er einen Erdbewohner und ein gezähmtes Tier auf sich zukommen, allerdings mehr zufällig als absichtlich. Sie bewegten sich mal hierhin und mal dorthin, das Tier herumspringend und scherzend, der Erdbewohner oft stehenbleibend, um Steine in die Schlucht zu werfen. Mirtin überlegte, wie er sich verhalten sollte. Ein schneller Tod, jetzt, bevor man ihn entdeckte? Wenn Gefahr bestand, daß man ihn vor Behörden brachte, war er durch Eid verpflichtet, sich das Leben zu nehmen. Aber der Erdbewohner sah jung aus. Es war bloß ein Junge. Mirtin zwang sich, in englischer Sprache zu denken. Was für ein Tier war das? Er hatte das meiste von dem vergessen, was er über die örtlichen Säugetiere wußte. Katze, Ratte, Fledermaus? Hund. Ein Hund. Der Hund hatte jetzt seine Witterung aufgenommen. Ein schlankes kleines braunes Geschöpf mit einem haarigen weißen Schwanz, einer schwarzglänzenden Nase und gelbbraunen Augen. Es kam näher und schnüffelte. Der Junge folgte.
Die schwarze Nase beschnupperte jetzt seine Gesichtsscheibe. Und dann stand der Junge über ihm, Mund und Augen weit geöffnet. Mirtin befragte sein erlerntes Wissen. Der Junge war noch im vorpubertären Stadium, vielleicht zehn oder elf Jahre alt. Schwarzes Haar, schwarzbraune Augen, hellbraune Haut. Ein Angehöriger der Negerbevölkerung? Nein. Das Haar war glatt, die Lippen waren dünn, und er hatte eine schmale Nase. Ein Angehöriger der Urbevölkerung des Kontinents. Spricht er Englisch? Ist er böswillig? Der Mund klappte zu, und die Mundwinkel bogen sich nach oben. Ein Lächeln. Ein Zeichen von Freundlichkeit. Auch Mirtin versuchte zu lächeln und war erleichtert, daß seine Gesichtsmuskeln arbeiteten.
»Valgame!« sagte der Junge. »Hast du dir wehgetan?«
»Ich — ja. Ich bin schwer verletzt.«
Der Junge kniete neben ihm nieder. Glänzende dunkle Augen spähten in die seinen. Der Hund beschnupperte Mirtin schwanzwedelnd und stieß ihn leicht mit der Schnauze. Der Junge sagte etwas, das Mirtin als spanisch identifizierte, und der Hund setzte sich gehorsam auf die Keulen. Mirtin fühlte Sympathie von dem jungen Erdbewohner.
»Wo kommst du her?« flüsterte der Junge. »Bist du aus einem Flugzeug gefallen?«
Mirtin überhörte die peinliche Frage. »Ich brauche Nahrung… Wasser…«
»Was soll ich machen, den Häuptling rufen? Sie können einen Jeep herschicken und dich ins Krankenhaus nach Albuquerque bringen, vielleicht.«
Mirtin erschrak. Krankenhaus? Durchleuchtung? Das durfte er nicht riskieren. So ein irdischer Arzt brauchte ihn nur zu durchleuchten und zu sehen, was in ihm war, und das Spiel wäre verloren. Lieber sterben.
Vorsichtig sagte Mirtin: »Könntest du mir Essen hier herausbringen? Etwas zu trinken? Mich vielleicht in diese Höhle ziehen? Damit wäre mir schon geholfen.«
Eine lange Stille folgte.
Dann — ein Zufallstreffer, eine Intuition, vielleicht? — zog der Junge seine Lippen zusammen, machte ein pfeifendes Geräusch und sagte: »Madre mia, ich weiß! Du bist aus der Fliegenden Untertasse gefallen!«
Das war ein Schuß ins Schwarze, und Mirtin zuckte zusammen. Darauf war er nicht vorbereitet. Mechanisch sagte er: »Fliegende Untertasse? Nein… nein, keine Fliegende Untertasse. Ich fuhr mit einem Wagen. Es gab einen Unfall. Ich wurde herausgeschleudert.«
»Wo ist dann der Wagen?«
Mirtin verdrehte seine Augen zur Schlucht. »Dort unten, glaube ich. Ich weiß es nicht. Ich war bewußtlos.«
»Da ist kein Wagen. Hier kann man mit einem Wagen gar nicht fahren. Du bist aus dieser Fliegenden Untertasse gefallen, hombre. Mir kannst du nichts vormachen. Von welchem Planeten kommst du, eh? Wie kommt es, daß du wie ein Mensch aussiehst, wie einer von hier?«
Mirtin war zum Lachen zumute. In diesem mageren kleinen Gesicht war soviel Intelligenz, so ein skeptischer scharfer Verstand hinter diesen glänzenden Augen. Der Junge gefiel ihm sehr. Bloß ein schäbiges, beinahe zerlumptes Kind, dessen Englisch einen starken spanischen Akzent hatte. Mirtin erkannte, welches Potential in ihm steckte. Er wünschte, er könnte aufrichtig mit ihm sein und diese mühevoll errichtete Fassade aus Lügen fallenlassen.
»Kannst du mir Essen bringen?« fragte Mirtin. »Und Wasser?«
»Du meinst, ich soll es hier herausbringen?«
»Ja. Wenn ich einfach in der Höhle dort bleiben könnte — bis ich wieder gesund bin…«
»Aber ich könnte Hilfe vom Pueblo holen. Wir würden dich in ein Krankenhaus bringen.«
»Ich will in kein Krankenhaus. Ich möchte nur hier draußen bleiben — allein.«
Wieder Stille.
Der Junge sagte: »Aus dem Gefängnis bist du nicht geflüchtet. Warum willst du dann nicht ins Krankenhaus? Du in diesem komischen Anzug. Und du redest auch komisch. Nun sag’s schon, hombre: von welchem Planeten bist du? Mars? Saturn? Du kannst mir vertrauen. Ich habe es im Pueblo auch nicht so leicht. Ich helfe dir, du hilfst mir. De acuerdo?«
Mirtin sah seine Gelegenheit. Warum nicht dem Jungen vertrauen? Schließlich war er nicht durch Eid gebunden, alle Erdbewohner über seine Herkunft in Unwissenheit zu halten. Darüber mußte er selber entscheiden. Es mochte sein, daß er mehr zu gewinnen hatte, wenn er dem Jungen die Wahrheit sagte und sich auf diese Weise seine Hilfe sicherte. Und das um so mehr, als die anderen Alternativen auf Verdursten oder auf einen Transport zum Krankenhaus hinausliefen, wo man sein Geheimnis entdecken und in alle Welt hinausposaunen würde.
»Kann ich dir vertrauen?« fragte Mirtin.
»Du hilfst mir, ich helfe dir. Klar.«
»Also gut. Ich bin von einem Beobachtungsschiff abgesprungen. Einer Untertasse. Hast du sie gestern abend explodieren sehen?«
»Und ob ich das gesehen habe!«
»Nun, das war ich. Das heißt wir. Ich bin hier gelandet. Dabei habe ich mir den Rücken gebrochen. Es wird lange dauern, bis ich gesund bin. Aber wenn du dich um mich kümmerst und mir Essen und Wasser bringst und niemandem sagst, daß ich hier draußen bin, wird es wieder heilen. Und dann werde ich versuchen, dir zu helfen. Aber du darfst niemandem von mir erzählen.«
»Meinst du, die würden mir glauben? Ein Mann von der Fliegenden Untertasse hier in der Wüste? Nie! Ich werde nichts verraten.«
»Gut. Wie ist dein Name?«
»Charley Estancia. Ich habe zwei Schwestern, Lupe und Rosita, und zwei Brüder. Sie sind alle blöd. Wie heißt du?«
»Mirtin.«
Charley wiederholte es. »Ist das alles? Bloß Mirtin?«
»Das ist alles.«
»Und was bedeutet es?«
»Das ist ein Kodename. Er enthält Informationen über meinen Geburtsort, über die Namen meiner Eltern-Gruppe und über meinen Beruf. Du siehst, es steckt eine Menge in diesen zwei Silben.«
»Wie kommt es, daß du wie ein Mensch aussiehst, Mirtin?«
»Das ist eine Tarnung. Innen bin ich anders. Das ist der Grund, warum ich nicht in ein Krankenhaus möchte.«
»Sie würden dich durchleuchten und es herauskriegen, nicht?«
»Richtig.«
»Wie bist du innen?«
»Du würdest sagen, daß ich sehr seltsam sei. Ich werde später versuchen, es dir zu erklären.«
»Darf ich es sehen?«
»Das geht nicht«, sagte Mirtin. »Meine Verkleidung kann ich nicht einfach ablegen, Charley. Sie ist ein Teil von mir. Aber ich werde dir erzählen, was darunter ist, wenn wir mehr Zeit haben.«
»Du sprichst ziemlich gut Englisch.«
»Ich habe es lange studiert. Ich bin der Erde seit — seit 1972 zugeteilt. Das sind zehn Jahre.«
»Kannst du auch andere Sprachen? Spanisch?«
»Ganz gut.«
»Und Tewa? Das ist meine Stammessprache. Kannst du die auch?«
»Ich fürchte, nein«, bekannte Mirtin.
Der Junge explodierte vor Lachen. »Das ist gut! Wir können es nämlich selber nicht so gut. Die alten Leute, die glauben, sie können sich noch in Tewa unterhalten, verstehen sich gar nicht mehr richtig. Sie denken es bloß und machen sich was vor. Das ist komisch. Bist du vom Saturn? Oder Neptun?«
»Ich komme von einem anderen Sonnensystem«, sagte Mirtin. »Weit von hier. Von einem Planeten, der einen anderen Stern umläuft. Weißt du, was ein Sonnensystem ist? Und Sterne und Planeten? Diese Erde hier ist so ein Planet, und es gibt andere…«
»Oiga, hombre«, sagte Charley Estancia beleidigt, »meinst du, ich bin ein blöder Indianer? Ich weiß über Sterne und Planeten Bescheid. Auch über Spiralnebel und so. Alles. Ich bin kein Idiot. Ich kann lesen. Es gibt einen Büchereiwagen, der kommt viermal im Jahr sogar in unser Pueblo. Woher kommst du? Kannst du es mir zeigen, wenn die Sterne heute abend zu sehen sind?«
»Ich kann auf nichts zeigen, Charley. Ich kann meinen Arm nicht heben. Er ist gelähmt.«
»Ist es so schlimm?«
»Einstweilen, aber wenn du dich um mich kümmerst, wird es mir bald bessergehen. Ich will dir heute abend sagen, wohin du schauen mußt. Du kannst die drei hellen Sterne in einer Reihe leicht sehen.«
»Du meinst Orions Gürtel?«
Mirtin überlegte einen Moment. »Ja. Das ist richtig.«
»Und von dort kommst du?«
»So ist es. Der fünfte Planet des östlichen Sterns. Es ist eine weite Reise von hier.«
»Und du hast sie mit einer Fliegenden Untertasse gemacht?«
Mirtin lächelte. »Mit einem Beobachtungsschiff, ja. Um hier Dienst zu tun. Und in der letzten Nacht ist unser Schiff explodiert. Wir kamen gerade noch rechtzeitig heraus, und ich landete hier. Was mit den beiden anderen ist, weiß ich nicht.«
Der Junge starrte ihn schweigend an. Die dunklen, glänzenden Augen betrachteten Mirtins Anzug, dann schienen sie Mirtins Gesicht nach irgendeinem Zeichen von Fremdartigkeit abzusuchen. Schließlich sagte Charley: »Ich weiß nicht, wer verrückter ist. Du, weil du es erzählst, oder ich, weil ich es glaube.«
»Denkst du, daß ich nicht die Wahrheit sage?«
»Ich weiß nicht. Was soll ich machen. Ein Messer nehmen, dich aufschneiden und nachsehen, was in dir ist?«
»Es wäre mir lieber, du tätest es nicht.«
Der Junge brach wieder in sein explosives Lachen aus. »No te preocupes, das werde ich nicht machen. Aber alles das klingt so verrückt. Ein Mann von einer fliegenden Untertasse fällt hier herunter. Du mußt mir erzählen, wie es dort draußen ist, eh? Du erzählst, ich höre zu, dann bringe ich schon ‘raus, ob es wahr ist. Ich werde dir in diese Höhle helfen, und dann erzählst du mir von den Sternen. Ich muß alles wissen. Ich war nie von zu Hause fort, und du bist von einem anderen Planeten. Du wirst es mir erzählen, ja?«
»Ja«, sagte Mirtin.
»Nun müssen wir dich in diese Höhle bringen. Dann hol ich dir zu essen und zu trinken. Das Pueblo ist nicht weit. Wird es dir weh tun, wenn ich dir auf die Beine helfe? Du könntest dich auf mich stützen.«
»Das wird nicht gehen. Auch meine Beine sind gelähmt. Du mußt mich schleifen.«
»An den Armen über die Steine? Wo du so schwer verletzt bist? Das würde dir nicht gefallen. Ich habe eine bessere Idee, Mirtin. Ich mache dir eine Bahre.«
Mirtin sah den Jungen aufspringen, ein Jagdmesser aus einer Scheide an seiner Seite ziehen und davonlaufen. Er verschwand in einem nahen Gestrüpp und kam nach kurzer Zeit mit zwei dünnen, von Zweigen und Laubwerk befreiten Ästen und einem Armvoll graugrüner Pflanzen wieder zum Vorschein. Er trug sie zu Mirtin, setzte sich und begann mit geschickten Bewegungen seiner dünnen Finger ein Geflecht anzufertigen, das die beiden Stangen miteinander verband. Der Anblick faszinierte Mirtin. Es war primitiv, und doch so gekonnt. Nach einer Stunde war die Bahre fertig.
»Das wird jetzt wehtun«, sagte Charley. »Ich muß dich irgendwie auf diese Bahre kriegen. Wenn du darauf bist, ist alles in Ordnung, aber bis dahin…«
»Ich kann meinen Körper abschalten«, erwiderte Mirtin. »Ich werde dann einige Minuten lang nichts fühlen. Länger als das, und ich müßte sterben.«
»Einfach abschalten? Wie einen Schalter?«
»So ähnlich. Wenn ich die Augen schließe, wälzt du mich schnell auf die Bahre.«
»Ich bin fertig«, sagte Charley Estancia.
»Jetzt«, sagte Mirtin.
Er unterbrach die restlichen Ganglien. Er hatte ein vages Gefühl, daß dünne, kalte Hände seine Handgelenke umfaßten, dann versank er in der Dunkelheit eines vorübergehenden Todes.