SECHZEHNTES KAPITEL Zwischen Drumner und Dremegole

Odyrny Thern. Ai, der in seinem Schlafsack liegt, fragt mich:»Was schreiben Sie da, Harth?«

»Einen Bericht.«

Er lacht.»Ich müßte auch ein Tagebuch für die Akten der Ökumene führen; aber ohne Stimmschreiber habe ich nie lange durchgehalten.«

Ich erkläre ihm, daß die Aufzeichnungen für meine Leute in Estre bestimmt sind, die sie nach ihrem Belieben den Akten der Domäne beifügen werden. Da dies meine Gedanken wieder meinem Herd und meinem Sohn zuwendet, gebe ich mir Mühe, mich rasch davon abzulenken und frage:»Leben Ihre Eltern eigentlich noch?«

»Nein«, antwortet Ai.»Sie sind schon seit siebzig Jahren tot.«

Das wunderte mich. Ai konnte keine dreißig Jahre alt sein.»Dann zählen Sie dort die Jahre nach einer anderen Länge als wir?«

»Nein. Ach so, jetzt verstehe ich! Wissen Sie, ich habe Zeitsprünge gemacht. Zwanzig Jahre von der Erde nach Hain- Davenant, von dort fünfzig Jahre nach Ellul, von Ellul nach hier siebzehn Jahre. Außerhalb der Erde habe ich nur sieben Jahre gelebt, aber ich bin dort vor hundertundzwanzig Jahren geboren worden.«

Vor langen Monaten schon, in Erhenrang, hatte er mir erklärt, daß die Zeit in den Schiffen, die fast so schnell wie das Licht zwischen den Sternen fahren, verkürzt ist, aber ich hatte diese Tatsache nie mit der Länge eines Menschenlebens oder mit dem Leben derjenigen in Verbindung gebracht, die er auf seiner eigenen Welt zurückließ. Während er auf der Reise von einem Planeten zum anderen in einem dieser unvorstellbaren Schiffe nur wenige Stunden verlebte, wurden alle, die er zu Hause zurückgelassen hatte, alt und starben, sogar ihre Kinder wurden schon alt… Zuletzt sagte ich:»Und ich hielt mich für einen Verbannten!«

»Sie für mich — ich für Sie«, gab er, abermals lachend, zurück. Sein Lachen klang fröhlich in der bedrückenden Stille. In diesen drei Tagen, seit wir den Paß überquert haben, hatten wir viel harte Arbeit für nichts und wieder nichts geleistet, doch Ai ist jetzt nicht mehr niedergeschlagen; er ist aber auch nicht übertrieben hoffnungsfreudig, und er hat jetzt mehr Geduld mit mir. Vielleicht hat er die Drogen aus seinem Körper herausgeschwitzt. Vielleicht haben wir gelernt, zusammen in einem Geschirr zu gehen.

Der ganze Tag war mit dem Abstieg von dem Basaltwall vergangen, den wir gestern hinaufgeklettert waren. Vom Tal aus hatten wir ihn für einen bequemen Weg zum Großen Eis hinauf gehalten, doch je näher wir kamen, desto häufiger trafen wir auf unwegsames Geröll und steile, glatte Felsflächen, und der Hang wurde immer abschüssiger, so daß wir ihn selbst ohne Schlitten nicht hätten erklimmen können. Jetzt, am Abend, saßen wir wieder an seinem Fuß in der Moräne, dem Tal der Steine. Hier wuchs überhaupt nichts. Es gab nur Fels, Geröll, Steinblöcke, Lehm und Schlamm. Aus diesem Kessel hat der Gletscher innerhalb der letzten fünfzig oder hundert Jahre einen Arm zurückgezogen und die nackten Knochen des Planeten freigelegt; ohne Fleisch aus Erde oder Gras. Hier und da legen Fumarolen einen schweren, gelblichen Dunst über den Boden, der langsam weiterkriecht. Die Luft riecht nach Schwefel. Es ist minus zehn Grad, windstill und bedeckt. Ich hoffe nur, daß nicht noch mehr Schnee fällt, ehe wir das schwierige Gelände zwischen unserem jetzigen Standort und dem Gletscherarm, den wir von dem Basaltkamm aus wenige Meilen weiter westlich sahen, hinter uns haben. Es scheint ein breiter Eisstrom zu sein, der vom Plateau herunter zwischen zwei Bergen hindurchläuft, zwei Vulkanen, beide mit einer Mütze aus Dampf und Rauch. Wenn wir diese Eiszunge über die Hänge des nächstgelegenen Vulkans erreichen, könnte er sich als ein Weg erweisen, die uns auf das Eisplateau führt, östlich von uns reicht zwar ein kleinerer Gletscher bis in einen zugefrorenen See herab, aber er hängt steil und in vielen Kurven, und selbst von hier aus können wir die tiefen Spalten erkennen, die ihn durchziehen. Bei unserer Ausrüstung ist er für uns unüberwindlich. Daher beschlossen wir, es mit der Gletscherzunge zwischen den Vulkanen zu versuchen, obwohl wir dabei zunächst rechtwinklig nach Westen gehen müssen und mindestens zwei Tagesmärsche verlieren werden: einen für den Umweg nach Westen, den anderen in Richtung Nordosten für das Wiederaufholen der Entfernung.

Opposthe Thern. Es schneit neserem: feinen Schnee bei leichtem Sturm. Ein leichter Blizzard. — Kein Weiterkommen. Wir haben beide den ganzen Tag geschlafen. Jetzt ziehen wir unseren Schlitten schon einen ganzen Halbmonat; da tut uns der Schlaf spürbar gut.

Ottormenbod Thern. Es schneit neserem. Ausreichend Schlaf. Ai hat mir ein terrestrisches Spiel gezeigt, das man mit kleinen Steinchen auf Quadraten spielt; es nennt sich Go und ist ein unterhaltsames, aber schwieriges Spiel. Dazu bemerkte er ganz richtig, daß es ja hier genügend Steine gebe, um Go zu spielen.

Ai erträgt die Kälte recht gut und würde sie, wenn es nur auf den Mut ankäme, so munter wie ein Schneewurm überstehen. Es ist sehr merkwürdig anzusehen, wie er sich in Hieb, Mantel und Kapuze verkriecht, wenn die Temperatur auf minus achtzehn sinkt. Doch wenn wir den Schlitten ziehen und die Sonne scheint, oder der Wind ist nicht allzu kalt, zieht er den Mantel schon bald aus und schwitzt genau wie einer von uns. Was das Beheizen des Zeltes angeht, so müssen wir einen Kompromiß schließen. Er hätte es am liebsten ganz heiß, ich dagegen brauche es kalt, und des einen Wohlbefinden ist des anderen Lungenentzündung. So haben wir uns auf einen Mittelwert geeinigt, und nun fängt er außerhalb seines Schlafsackes an zu zittern, während ich in dem meinen vor Hitze umkomme. Wenn man jedoch bedenkt, welch eine große Entfernung zwischen uns lag, bevor wir zusammentrafen, um dieses Zelt für eine Weile zu teilen, kann man wohl sagen, daß wir nicht schlecht miteinander auskommen.

Getheny Thanern. Nach dem Blizzard den ganzen Tag klar, windstill, das Thermometer um minus zehn Grad. Wir zelten am unteren Hang des ersten Vulkans, der nach meiner Karte Dremegole-Berg heißt. Sein Kollege auf der anderen Seite des Eisflusses nennt sich Drumner. Die Karte ist schlecht: Im Westen sehe ich einen hohen Gipfel, der auf ihr gar nicht verzeichnet ist, und außerdem stimmen die Proportionen nicht. Anscheinend kommen die Orgota nur selten in die Feuerberge. Man findet hier tatsächlich auch nur eines: Erhabenheit. Elf Meilen haben wir heute geschafft, über sehr schwieriges Gelände — nichts als Fels. Ai schläft bereits. Ich habe mir die Achillessehne gezerrt, als mein Fuß zwischen zwei Steinbrocken eingeklemmt war und ich wie ein Verrückter daran zog, und mußte den ganzen Nachmittag humpeln. Nach der Ruhe heute nacht wird mein Fuß wohl wieder in Ordnung sein. Morgen müßten wir auf den Gletscherarm hinunterkommen. Unsere Lebensmittelvorräte sind alarmierend zusammengeschmolzen, aber das kommt daher, daß wir zuerst alles gegessen haben, was Platz wegnimmt. Wir hatten neunzig bis hundert Pfund frischer Nahrungsmittel — die Hälfte von allem, was ich in Turuf gestohlen habe; davon sind jetzt, nach fünfzehn Marschtagen, sechzig Pfund verbraucht. Nun gebe ich das Gichymichy aus — ein Pfund pro Tag — und spare zwei Säcke Kadik-Keime, etwas Zucker und eine Kiste mit Trockenfisch für später auf, damit wir auch dann ein wenig Abwechslung haben. Ich bin froh, das schwere Zeug aus Turuf los zu sein. Der Schlitten zieht sich schon viel leichter.

Sordny Thanern. Höchstens noch minus fünf Grad. Eisregen, Wind, der wie ein Luftstrom in einem Tunnel den Eisfluß herunterjagt. Wir lagerten eine Meile vom Ufer entfernt auf einem langen, flachen Streifen Firn. Der Weg vom Dremegole herunter war mühsam und steil und ging über nackten Felsen und Geröllhalden. Der Rand des Gletschers ist von zahllosen Spalten durchzogen und so dicht mit festgefrorenen Gesteinstrümmern und Felsbrocken übersät, daß wir auch dort die Räder des Schlittens benutzen mußten. Nach knapp hundert Metern blieb das eine Rad stecken, und prompt verbog sich auch die Achse. Seitdem benutzen wir ausschließlich Kufen. Wir haben heute nur vier Meilen geschafft, und das noch immer in der verkehrten Richtung. Der Gletscherarm scheint in einer langen Westkurve zum Gobrinplateau hinaufzuführen. Hier, zwischen den beiden Vulkanen, ist er ungefähr vier Meilen breit, und mehr nach der Mitte zu müßte es sich auf ihm leichter marschieren lassen, aber ich hätte nie gedacht, daß wir von so vielen Spalten behindert werden würden, und daß seine Oberfläche so zerrissen wäre.

Der Drumner bricht aus. Der Schneeregen auf unseren Lippen schmeckt nach Rauch und Schwefel. Im Westen lastete den ganzen Tag Dunkelheit, sogar unter den Regenwolken. Von Zeit zu Zeit wurde alles, Wolken, Eisregen, Eis und Luft, dunkelrot und verblaßte dann wieder zu totem Aschgrau. Der Gletscher unter unseren Füßen bebt ein wenig.

Nach Eskichwe rem ir Hers Hypothese hat sich die Vulkantätigkeit in N.W.-Orgoreyn und dem Archipel während der letzten zehn bis zwanzig Jahrtausende verstärkt und kündigt das Ende des Großen Eises, oder wenigstens sein Zurückweichen und damit das Heraufkommen einer Zwischeneiszeit an. Das von den Vulkanen in die Atmosphäre geschickte CO2 wird mit der Zeit wie eine Isolierschicht wirken und die von der Oberfläche reflektierte Wärmestrahlung festhalten, während es die direkte Sonnenhitze unvermindert eindringen läßt. Die Durchschnittstemperatur der Welt wird, laut Her, zuletzt um etwa achtzehn Grad, also bis auf dreiundzwanzig Grad Celsius steigen. Ich bin froh, daß ich dann nicht mehr da sein werde. Ai sagt, daß die terrestrischen Wissenschaftler ganz ähnliche Theorien vorgebracht haben, um damit das immer noch nicht beendete Zurückweichen ihrer letzten Eiszeit zu erklären. All diese Theorien sind und bleiben weitgehend ebenso unwiderlegbar wie unbeweisbar; kein Mensch weiß mit Sicherheit, warum das Eis kommt, und warum es geht. Der Schnee der Unwissenheit bleibt unberührt.

Über dem Drumner brennt jetzt im Dunkel eine riesige, dunkelrote Feuerwand.

Eps Thanern. Der Tachometer zeigt heute sechzehn zurückgelegte Meilen an, in der Luftlinie jedoch haben wir uns dennoch nicht mehr als acht Meilen von unserem gestrigen Lagerplatz entfernt. Wir befinden uns immer noch in dem Eispaß zwischen den beiden Vulkanen. Der Drumner spuckt Feuer. Glutwürmer kriechen an seinen schwarzen Flanken herab, zu sehen jedoch nur, wenn der Wind die Wirbel von Aschenwolken, Rauchwolken und weißem Dampf wegtreibt. Ein ständiges, nie nachlassendes Grollen erfüllt die Luft, ein Geräusch, so anhaltend, und so betäubend, daß man es nicht hören kann, wenn man stehenbleibt, um zu lauschen; und dennoch erfüllt es den ganzen Körper, das ganze Wesen in all seinen Hohlräumen. Der Gletscher bebt unaufhörlich, er knackt und kracht und zuckt spürbar unter den Füßen. Sämtliche Schneebrücken, die der Blizzard möglicherweise über die Spalten gelegt hat, sind verschwunden, zerbrochen, sind auseinandergerissen worden von dem Dröhnen und Zittern des Eises und des Erdbodens unter dem Eis. Hin und her laufen wir, um das Ende einer Eisspalte zu suchen, die unseren Schlitten verschlucken würde, und müssen gleich darauf schon wieder das Ende der nächsten suchen. Ständig streben wir nach Norden, und sind doch immer wieder gezwungen, nach Westen oder Osten auszuweichen. Hoch über uns knurrt der Dremegole aus Sympathie mit seinem Kollegen und stößt übelriechende Rauchwolken aus.

Ai hatte heute morgen böse Erfrierungen im Gesicht; Nase, Ohren und Kinn — alles war, als ich ihn zufällig einmal anschaute, von einem leblosen Grau. Ich massierte ihm das Gesicht, bis es wieder gesunde Farbe annahm, und stellte fest, daß kein Schaden zurückbleiben würde. Aber er muß wesentlich vorsichtiger sein. Der Wind, der vom Großen Eis herunterbläst, ist schlicht und einfach lebensgefährlich für ihn, und da wir nach Norden wollen, müssen wir ihm direkt entgegengehen.

Auch ich bin froh, wenn wir endlich diesen zerklüfteten, unebenen Eisarm zwischen den beiden fauchenden Ungeheuern hinter uns haben. Berge sollte man sehen, aber nicht hören können.

Arhad Thanern. Ein bißchen sove-Schnee; zwischen minus fünf und minus zehn Grad. Wir haben heute zwölf Meilen geschafft, ungefähr fünf davon, die uns voranbrachten, und der Rand des Gobrin im Norden, hoch über uns, ist sichtlich nähergerückt. Wir sehen jetzt, daß der Eisfluß mehrere Meilen breit ist: der ›Arm‹ zwischen Drumner und Dremegole ist nur ein Finger, und wir befinden uns inzwischen auf dem Handrücken. Wenn wir uns umdrehen und von unserem Lagerplatz zurückblicken, sehen wir den Gletscherfluß: gespalten, zersplittert, zerrissen und zerwühlt von den beiden schwarzen, rauchenden Gipfeln, die ihn durchbrechen. Nach vorn gewandt jedoch sehen wir, wie er breiter wird, wie er sich in leichter Steigung erhebt, bis die dunklen Erdwälle winzig klein neben ihm scheinen, und er sich hoch oben unter Schleiern aus Wolken, Rauch und Schnee mit der Eismauer vereinigt. Der fallende Schnee ist jetzt von glühenden Steinchen und Asche durchsetzt, das Eis durch die herabgeschleuderten und eingebrannten Schlackestückchen unwegsam geworden: ein Boden, auf dem man zwar gut marschieren, aber nur schlecht einen Schlitten ziehen kann, und die Kufen müßten schon jetzt neu beschlagen werden. Zwei- oder dreimal schlagen glühende Steine dicht neben uns ins Eis. Sie zischen, wenn sie auftreffen, und fressen sich mit ihrer Glut bis auf den Eissockel durch. Die Steinchen, die mit dem Schnee herunterkommen, verursachen ein brutzelndes Geräusch. Unendlich langsam arbeiten wir uns durch dieses schmutzige Chaos einer Welt im Entstehungsprozeß nach Norden vor.

Es lebe die unvollendete Schöpfung!

Netherhad Thanern. Seit heute morgen kein Schnee mehr; bedeckt und windig, ungefähr minus zehn Grad. Der große, mehrfach geteilte Gletscher, auf dem wir uns befinden, kommt aus dem Westen ins Tal herunter, und wir sind jetzt an seinem äußersten Ostrand. Die Vulkane haben wir bereits ein Stück hinter uns gelassen, und nur im Osten begleitet uns noch, etwa in Augenhöhe, ein scharfrückiger Ausläufer des Dremegole. Wir haben uns bis zu einem Punkt vorgearbeitet, wo wir uns entscheiden müssen, ob wir dem Gletscher in seiner weiten Westkurve folgen und somit langsam, aber sicher auf das Eisplateau hinaufsteigen wollen, oder ob wir die Eisklippen eine Meile nördlich unseres heutigen Lagerplatzes zu erklettern versuchen und dadurch zwar ein Risiko auf uns nehmen, uns aber zwanzig bis dreißig Meilen Weg ersparen könnten.

Ai ist für das Risiko.

Es ist eine gewisse Zerbrechlichkeit an ihm. Er ist vollkommen ungeschützt, dem Wetter ausgesetzt, anfällig, und das bezieht sich sogar auf sein Geschlechtsorgan, das er stets außerhalb des Körpers mit sich herumtragen muß; aber er ist stark, unglaublich stark. Ich weiß zwar nicht, ob er den Schlitten länger ziehen kann als ich, aber er kann eindeutig kräftiger und schneller ziehen als ich — doppelt so schnell. Er kann den Schlitten vorn oder hinten anheben, um ihn über ein Hindernis zu bringen. Ich könnte dieses Gewicht nur heben und halten, wenn ich in Dothe bin. Und passend zu dieser Diskrepanz zwischen Zerbrechlichkeit und Kraft, hat er ein Temperament, das schnell verzweifelt, doch ebenso schnell auch aufbegehrt: Es ist ein wütender, ungeduldiger Mut in ihm. Diese mühselige, harte Arbeit, dies langsame Vorwärtskommen, die Plackerei der vergangenen Tage haben ihn körperlich und seelisch erschöpft, so daß ich ihn für einen Feigling halten würde, wenn er zu meiner Rasse gehörte. Aber er ist alles, nur nicht das; er besitzt eine unerschütterliche Tapferkeit, die ich noch niemals an einem Menschen beobachtet habe. Er ist bereit, er plädiert sogar mit Eifer dafür, sein Leben bei diesem gefährlichen Versuch an der Steilwand aufs Spiel zu setzen.

›Feuer und Furcht — gute Diener, schlechte Herren‹. Er macht die Furcht zu seinem Diener. Ich hätte mich von der Furcht zu dem weiten Umweg verführen lassen. Auf seiner Seite stehen Mut und Vernunft. Was nützt es, auf einem Marsch wie dem unseren den sicheren Weg zu wählen? Es gibt zwar sinnlose Wege, die ich nicht einschlagen würde, einen sicheren Weg aber gibt es nicht.

Streth Thanern. Kein Glück. Nirgends eine Möglichkeit, den Schlitten hinaufzubringen, obwohl wir den ganzen Tag gesucht haben.

Sove-Schnee in dicken Flocken, mit Asche vermischt. Den ganzen Tag war es dunkel, weil der Wind aus dem Westen die Rauchwolken des Drumner zu uns herüberblies. Hier oben zittert das Eis nicht mehr so stark, doch als wir heute versuchten, eine abschüssige Klippe zu erklettern, gab es ein richtiges Erdbeben. Der Schlitten wurde von da, wo wir ihn festgekeilt hatten, losgerissen und zog mich ungefähr drei Meter weit mit sich, doch Ai hatte zum Glück guten Halt, und seine Kraft bewahrte uns alle davor, sieben Meter oder noch tiefer zum Fuß der Klippe hinabzurutschen. Wenn einer von uns bei diesem Marsch ein Bein oder eine Schulter bricht, so bedeutet das für uns beide vermutlich das Ende: Genau darin liegt unser Risiko — bei Licht betrachtet, ein ziemlich häßliches. Das tiefer gelegene Gletschertal hinter uns ist von weißem Dampf erfüllt: Dort unten ergießt sich Lava aufs Eis. Umkehren ist also ausgeschlossen. Morgen werden wir den Aufstieg ein wenig weiter westlich versuchen.

Beren Thanern. Kein Glück. Wir müssen noch weiter nach Westen ausweichen. Den ganzen Tag nicht richtig hell geworden. Unsere Lungen schmerzen — nicht von der Kälte (die Temperatur sinkt sogar bei Nacht nicht unter minus achtzehn Grad), sondern vom Einatmen der Asche und der Dämpfe von den Eruptionen. Am Ende des zweiten Tages unserer vergeblichen Bemühungen, nach all dem ergebnislosen Krabbeln und Kriechen über Eisblöcke und an Eisklippen entlang, immer wieder durch eine glatte Wand, einen Überhang zum Umkehren gezwungen, um nach einem weiteren Versuch abermals keinen Erfolg zu haben, war Ai erschöpft und aufgebracht. Er zog ein Gesicht, als werde er gleich in Tränen ausbrechen, aber er tat es nicht. Ich glaube, er hält es entweder für schlecht oder für beschämend, wenn man weint. Selbst als er in den ersten Tagen unserer Flucht noch sehr, sehr krank und schwach war, versteckte er sein Gesicht vor mir, sobald er weinte. Ob aus persönlichen, rassischen, sozialen, sexuellen Gründen — wie kann ich erraten, warum Ai nicht weinen darf? Obwohl sein Name wie ein Schmerzensschrei klingt. Aus diesem Grund suchte ich ihn in Erhenrang übrigens zum erstenmal auf — wie lange das schon zurückzuliegen scheint! Ich hörte jemanden von ›einem Fremden‹ sprechen und fragte laut über die Straße nach dessen Namen; als Antwort hörte ich einen Schmerzensschrei, der aus einer menschlichen Kehle quer durch die Nacht zu mir herüberdrang.

Jetzt schläft er. Seine Arme zittern und zucken: Muskelermüdung. Und auch die Welt um uns herum, die Welt aus Eis und Fels, Asche und Schnee, Feuer und Nacht, zittert und grollt. Als ich vor einer Minute einmal hinausschaute, sah ich die Glut des Vulkans wie eine dunkelrote Blume unter dem Bauch der dichten Wolkendecke blühen, die über der Dunkelheit hängt.

Orny Thanern. Kein Glück. Dies ist der zweiundzwanzigste Tag unserer Reise, und seit dem zehnten Tag schon sind wir nicht mehr weiter nach Osten gekommen, sondern haben, im Gegenteil zwanzig bis fünfundzwanzig Meilen verloren, weil wir nach Westen marschieren mußten. Seit dem achtzehnten Tag haben wir überhaupt keine Fortschritte mehr gemacht und hätten ebensogut an einem Fleck bleiben können. Wenn wir jemals aufs Große Eis hinaufkommen — wird unser Lebensmittelvorrat dann noch reichen, bis wir es ganz überquert haben? Ich werde diesen Gedanken nicht los. Nebel und der Rauch der Eruptionen behindern die Sicht so sehr, daß wir unsere Kletterversuche ziemlich planlos unternehmen müssen. Ai möchte am liebsten jeden Aufstieg, der eine Andeutung von Schrägung hat, und sei sie auch noch so steil, in Angriff nehmen. Auf meine Vorsicht reagiert er mit Ungeduld. Ich muß mein Temperament zügeln. In ein bis zwei Tagen komme ich in die Kemmer, und dann wird die Nervenbelastung für mich noch zunehmen. Vorläufig sind wir damit beschäftigt, in einem von Asche erfüllten, eiskalten Dämmerlicht immer wieder gegen Eisklippen anzurennen. Wenn ich den Yomesh-Kanon umschreiben müßte, dann würde ich die Diebe nach ihrem Tod hierher schicken. Die Diebe, die bei Nacht in Turuf Säcke mit Lebensmitteln stehlen. Die Diebe, die einem Mann den Herd und den Namen stehlen und ihn, mit Schande bedeckt, in die Verbannung schicken. Mein Kopf ist schwer; ich muß all das, was ich jetzt geschrieben habe, später ausstreichen. Jetzt bin ich zu müde, es noch einmal durchzulesen.

Harhahad Thanern. Auf dem Gobrin! Der dreiundzwanzigste Tag unserer Reise. Wir sind auf dem Gobrin-Eis! Kaum hatten wir uns heute morgen auf den Weg gemacht, da sahen wir, nur hundert Meter hinter unserem gestrigen Lager, einen Weg, der auf das Eis hinaufführte, eine richtige Straße, die sich breit und mit Schlackenstückchen gepflastert von dem Geröll und den Spalten des Gletschers geradenwegs zwischen den Eisklippen hindurch nach oben zog. Wir spazierten hinauf, als schlenderten wir die Uferpromenade des Sees entlang. Wir sind auf dem Eis! Wir marschieren wieder nach Osten, nach Hause!

Ich habe mich von Ais Jubel über unsere Leistung anstecken lassen. Nüchtern betrachtet, ist es hier oben auch nicht viel besser. Wir befinden uns am Rand des Plateaus. Zahllose Spalten — einige davon breit genug, um ganze Dörfer zu verschlingen, nicht Haus um Haus, sondern ein ganzes Dorf auf einmal — ziehen sich nach Norden, soweit man sehen kann. Die meisten verlaufen quer zu unserer Route, so daß wir nach Norden gehen müssen, statt nach Osten. Die Oberfläche ist schlecht. Wir winden uns mit dem Schlitten zwischen großen Eisbuckeln und -brocken hindurch, ungeheuren Brocken, die durch die Kraft aufgeworfen wurden, mit der sich diese riesige Plastikplatte aus Eis zwischen dem Engpaß der Feuerberge hindurchrecken muß. Die durch den Druck entstandenen Verwerfungen haben seltsame Formen: umgestürzte Türme, beinlose Giganten, Katapulte. Das Eis, normalerweise eine Meile dick, erhebt sich und verdickt sich hier, versucht die Berge zuzudecken und die Feuerschlünde zu ersticken. Einige Meilen weiter im Norden ragt ein Gipfel aus dem Eis, der scharf gezeichnete, elegante, nackte Kegel eines jungen Vulkans: um Tausende von Jahren jünger als die Eisplatte, die niemals aufhört, zu mahlen und zu schieben, bis sie, zerrissen von Abgründen und zusammengedrückt zu Blöcken und Falten, die über zweitausend Meter niedrigeren Hänge, die wir nicht sehen können, verschlingen wird.

Immer, wenn wir uns während des Tages umdrehten, sahen wir den Rauch von Drumners Eruptionen wie eine grau-braune Verlängerung der Eisfläche hinter uns stehen. Ein steter Wind, der in Bodenhöhe von Nordosten kommt, reinigt die Luft hier oben vom Ruß und Gestank aus den Eingeweiden des Planeten, die wir seit Tagen haben einatmen müssen, und hindert den Rauch hinter uns am Emporsteigen, so daß er wie ein dunkler Deckel über den Gletschern, den niedrigeren Bergen, den Tälern voller Steinen, dem Rest der Erde liegt. Es existiert nichts als das Eis, sagt das Eis. Aber da hat der junge Vulkan oben im Norden wohl auch noch ein Wort mitzureden.

Kein Schnee, nur eine dünne, hohe Wolkendecke. Bei Anbruch der Dämmerung minus zwanzig Grad auf dem Plateau. Ein Durcheinander von Firn, neuem Eis und altem Eis unter unseren Füßen. Das neue Eis ist tückisch, eine glatte, bläuliche Fläche, nur eben von einem weißen Schleier bedeckt. Wir sind beide schon oft hingefallen. Einmal rutschte ich fünf Meter auf dem Bauch über eine solche Eisfläche. Ai, der im Geschirr ging, bog sich vor Lachen. Anschließend entschuldigte er sich und erklärte mir, er habe geglaubt, auf Gethen der einzige zu sein, der auf dem Eis ausrutscht.

Dreizehn Meilen heute. Doch wenn wir bei all den zerschnittenen, aufgetürmten, von Spalten durchzogenen Eis Verwerfungen dieses Tempo beibehalten wollen, werden wir uns völlig aufreiben oder noch Schlimmeres erleben als eine Rutschpartie auf dem Bauch.

Der zunehmende Mond, dunkelrot wie getrocknetes Blut, steht tief; er ist umgeben von einem bräunlichen, irisierenden Hof.

Guyrny Thanern. Ein wenig Schnee, auffrischender Wind und fallende Temperaturen. Heute wieder dreizehn Meilen, womit die zurückgelegte Strecke seit dem Verlassen des Lagers insgesamt 254 Meilen beträgt. Wir haben also durchschnittlich zehneinhalb Meilen pro Tag geschafft — elfeinhalb, wenn wir die beiden Tage, die wir während des Blizzards warten mußten, abziehen. Fünfundsiebzig bis hundert dieser mühseligen Meilen haben uns keinen Schritt vorwärts gebracht. Wir sind noch immer fast so weit von Karhide entfernt wie bei unserem Aufbruch. Aber die Chance, endlich doch ans Ziel zu gelangen, hat sich, glaube ich, ein wenig erhöht.

Seit wir aus dem Vulkannebel heraus sind, brauchen wir uns seelisch nicht mehr ausschließlich mit Arbeit und Mühsal zu beschäftigen und können uns nach dem Abendessen im Zelt noch eine Weile unterhalten. Da ich in Kemmer bin, wäre es einfacher für mich, Ais Gegenwart ganz und gar zu ignorieren, doch das ist in einem Zweimannzelt so gut wie ausgeschlossen. Das Problem liegt natürlich darin, daß er auf seine merkwürdige Art ebenfalls in Kemmer ist: immer in Kemmer ist. Es muß ein sonderbares, vielleicht nur schwaches Begehren sein, daß es sich über das ganze Jahr erstrecken kann und keine Geschlechtswahl zuläßt, aber es ist da. Und ich bin da. Heute abend kann ich mich des überwältigenden Bewußtseins seiner unmittelbaren körperlichen Nähe nur schwer erwehren, und bin zu müde, es zu Untrance oder zu einer anderen Ausweichübung zu sublimieren. Schließlich fragte er mich, ob er mich gekränkt habe. Ein wenig verlegen erklärte ich ihm mein Schweigen. Ich fürchtete, er werde mich auslachen, denn schließlich ist er kein größeres sexuelles Unikum als ich es bin: Hier oben auf dem Eis ist jeder von uns beiden der einzige seiner Art, ist einer so isoliert wie der andere, bin ich ebenso von meiner Rasse, von meiner Gesellschaft mit ihren Regeln abgeschnitten wie er von seiner. Und darin sind wir uns nun gleich — isoliert, fremd, allein. Er lachte natürlich nicht, sondern begann mit einer Güte auf mich einzureden, der ich ihn nicht für fähig gehalten hätte. Nach einer Weile kam auch er auf das Thema Isoliertheit, Einsamkeit zu sprechen.

»Im Grunde ist eure Rasse erschreckend allein auf eurer Welt«, sagte er.»Es gibt keine andere vergleichbare Säugetier- Art. Es gibt keine andere zweigeschlechtliche Spezies. Kein Tier, das intelligent genug wäre, daß man es zum Haustier machen könnte. Diese Tatsache, diese Einzigartigkeit, muß eure Denkweise natürlich beeinflussen. Ich meine, nicht nur die wissenschaftliche Denkweise, obgleich ihr im Aufstellen von Hypothesen ganz außerordentlich begabt seid. — Erstaunlich, daß ihr angesichts dieser unüberbrückbaren Kluft zwischen euch und den niederen Tierarten überhaupt zu einem Evolutionskonzept gelangt seid! — Nein, ich meine auch, philosophisch, emotionell: So einsam zu sein, in einer so feindlichen Umwelt zu leben, muß eure gesamte Einstellung beeinflussen.«

»Die Yomeshta würden sagen, die Einzigartigkeit des Menschen liegt in seiner Göttlichkeit.«

»Die Herren der Erde — ja. Andere Kulte auf anderen Welten sind zu demselben Schluß gekommen. Zumeist handelt es sich dabei um die Kulte dynamischer, aggressiver, die Ökologie zerstörender Kulturkreise. In gewisser Weise paßt auch Orgoreyn in dieses Schema; zumindest scheinen die Orgota versessen darauf, den Lauf der Dinge zu bestimmen. Was aber sagen die Handdarata?«

»Nun ja, in der Handdara… Sie wissen doch, daß es da weder eine Theorie noch ein Dogma gibt… Aber vielleicht sind sie sich der Kluft zwischen Mensch und Tier nicht so sehr bewußt, sondern beschäftigen sich mehr mit den Ähnlichkeiten, den Bindegliedern, dem Ganzen, dessen Teile die lebenden Dinge sind.«Den ganzen Tag schon war mir Tormers Lied im Kopf herumgegangen; nun zitierte ich seine Worte:

»Das Licht ist die linke Hand der Dunkelheit,

die Dunkelheit die rechte Hand des Lichts.

Zwei sind eins, Leben und Tod,

sie liegen Beisammen wie Liebende in Kemmer,

wie ineinander gelegte Hände,

wie das Ziel und der Weg.«

Meine Stimme bebte, als ich die Verse sprach, denn als ich sie sprach, erinnerte ich mich, daß mein Bruder in dem Brief, den er mir vor seinem Tode schrieb, dieselben Worte zitiert hatte.

Ai brütete vor sich hin und sagte erst nach geraumer Zeit:»Ihr seid isoliert und ungeteilt. Vielleicht seid ihr genauso sehr in die Idee der Ganzheit verrannt, wie wir in die des Dualismus.«

»Wir sind aber auch dualistisch. Dualität ist wesentlich, nicht wahr? Solange es das Selbst und das Andere gibt.«

»Das Ich und das Du«, bestätigte er.»Ganz recht. Das geht schließlich doch über das Geschlechtliche hinaus…«

»Sagen Sie, Ai, wie unterscheidet sich das andere Geschlecht Ihrer Rasse eigentlich von dem Ihren?«

Er wirkte bestürzt, und ich war ebenso über meine Frage bestürzt; in der Kemmer neigt man zu derartig spontanen Regungen. Wir waren beide ein wenig verlegen.»Ach ja, daran habe ich überhaupt nicht gedacht«, sagte er.»Sie haben ja noch nie eine Frau gesehen.«Dabei benutzte er das Wort der Terranersprache, das mir bekannt war.

»Ich habe Ihre Bilder gesehen. Die Frau sah aus wie ein schwangerer Gethenianer, nur hatte sie größere Brüste. Unterscheiden sie sich von Ihrem Geschlecht auch in der Denkweise? Sind sie, im Vergleich zu Ihnen, praktisch eine andere Spezies?«

»Nein. Ja. Nein, natürlich nicht. Im Grunde nicht. Aber… nun der Unterschied ist äußerst wichtig. Ich glaube, das Allerwichtigste, der schwerwiegendste Einzelfaktor im Leben ist, ob man als Junge oder Mädchen geboren wird. Das entscheidet in den meisten Gesellschaftsformen über die Erwartungen, die man an das Leben stellt, stellen kann, die Beschäftigungen, die Einstellung, die Ethik, die Manieren — ja, praktisch alles. Das Vokabular. Die Anwendung der Semiotik. Die Kleidung. Sogar über das Essen. Frauen Frauen essen eher weniger… Es ist sehr schwierig, die angeborenen Unterschiede von den angelernten zu trennen. Sogar dort, wo die Frauen an der Gesellschaft im gleichen Maß teilhaben wie die Männer, bringen sie schließlich immer noch die Kinder zur Welt und sind auch für den größten Teil der Kindererziehung verantwortlich…«

»Dann ist die Gleichberechtigung nicht die Regel? Sind die Frauen denn geistig minderwertig?«

»Das weiß ich nicht. Es gibt unter ihnen kaum Mathematiker, Komponisten, Erfinder oder abstrakte Denker. Aber es ist nicht so, daß sie dumm wären. Körperlich gesehen, haben sie weniger stark ausgeprägte Muskeln, sind aber etwas widerstandsfähiger als Männer. Psychologisch…«

Er starrte lange schweigend in die Glut des Ofens. Dann schüttelte er den Kopf.»Harth«, sagte er,»ich kann Ihnen nicht beschreiben, was Frauen sind. Ich habe nie im abstrakten Sinne über sie nachgedacht, wissen Sie, und inzwischen habe ich sie — mein Gott! — praktisch vergessen. Ich bin jetzt seit zwei Jahren hier… Sie ahnen ja nicht… In gewissem Sinne sind Frauen mir jetzt fremder als Sie. Mit Ihnen habe ich wenigstens ein Geschlecht gemeinsam…«Er wandte sich ab und lachte nervös. Meine Gefühle waren sehr kompliziert, und wir ließen das Thema fallen.

Yrny Thanern. Achtzehn Meilen auf Skiern, nach dem Kompaß in Richtung Ost-Nordost. Nach einer Stunde Schlittenziehen kamen wir aus dem Gebiet der Verwerfungen heraus. Wir spannten uns beide ins Geschirr. Ich lief zunächst mit der Sonde voraus, aber wir brauchten den Boden nicht mehr zu sondieren: Der Firn liegt bis zu einem Meter hoch über festem Eis, und auf dem Firn liegen viele Zentimeter guten, tragfähigen Neuschnees vom letzten Niederschlag und boten eine ideale Oberfläche. Nirgends brachen wir selbst oder der Schlitten ein, und unser Gefährt ließ sich so leicht ziehen, daß wir uns kaum vorstellen konnten, immer noch jeder mehr als hundert Pfund nachzuschleppen. Während des Nachmittags wechselten wir uns mit dem Ziehen ab, denn auf dieser herrlich glatten Fläche schafft einer es gut allein. Nur schade, daß die schwerste Schlepperei bergauf und über die Felsen ging, als unsere Ladung noch erheblich schwerer war. Jetzt haben wir es leicht. Zu leicht: Ich muß immer wieder über unsere Lebensmittel nachdenken. Im Augenblick essen wir, wie Ai es ausdrückt, ätherisch. Den ganzen Tag ging es leicht und schnell über die flache Eisebene — totenbleich unter dem graublauen Himmel, nur von den wenigen, schwarzen, schon weit hinter uns liegenden Gipfeln durchbrochen, und noch weiter dahinter ein dunkler Fleck, der rauchige Atem des Drumner. Sonst nichts: nur die verschleierte Sonne und das Eis.

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