Kapitel 2

Es ergab sich, daß sich Angela Bender und Peter Perthes öfters

_in diesen Tagen in der Klinik trafen. Diese Treffs waren nicht

zufällig, sondern von dem jungen Arzt gewollt. Kurz nach der Einlieferung des Jungen von Barthey hatte Dr. Perthes eine längere Unterredung mit dem Chef der Klinik, Professor Window.

«Ich habe eine große Bitte«, sagte er, als er mit dem Klinikchef nach dem Essen im Ärztekasino saß und einen Mokka trank. Lauernd betrachtete der Professor Dr. Perthes von der Seite.»Schon wieder hundert Kaninchen oder hundert Meerschweinchen? Du rottest mit deinen Giften noch die gesamte Tierwelt aus!«Er lachte schallend, als er Peter Perthes' Verblüffung sah.»Du treibst den Preis für Meerschweinchen unheimlich in die Höhe!«

Peter zündete sich eine Zigarette an und trank ein wenig hastig seinen Mokka aus. Wie soll ich ihm das nur klarmachen? dachte er. Er wird mich für geistesgestört halten, wenn ich diesen Wunsch ausspreche. Aber es ist die einzige Möglichkeit, diese Angela Bender, diese entzückende Kratzbürste, wiederzusehen.

«Es handelt sich um keine Versuchstiere, sondern um einen Menschen.«

«Du willst aus der Anatomie eine Leiche?«Professor Window schüttelte den Kopf.»Was wir haben, ist bereits für die Uni reserviert. Nichts zu machen, Peter.«»Um einen lebenden Menschen.«

Professor Window stellte die Tasse ab, die er gerade zum Mund führen wollte. Es klirrte ein wenig, weil er sie in seiner Verblüffung zu hart aufsetzte.»Nun willst du auch noch am lebenden Menschen deine neuen Gifte und Antigifte ausprobieren?«

Peter Perthes winkte ab.»Vergiß einmal, daß ich Toxikologe bin. Vor einer Stunde ist in der Ambulanz ein Junge eingeliefert worden, der einen Unfall hatte. Ich war dabei, als er unters Auto kam — reiner Zufall — und habe ihn gleich zu einem Arzt in der Nähe gebracht, oder vielmehr zu einer Ärztin. Dann habe ich ihn in die Lindenburg einweisen lassen. Und nun möchte ich gern, daß der Junge nicht auf die Kinderstation kommt, sondern in die Chirurgie.«

«In die Chirurgische? Das geht Sacher an.«

«Dr. Sacher sagt nicht nein, wenn der Chef ja gesagt hat!«

Der Professor schüttelte abermals den Kopf.»Komische Idee von dir! Was soll der Junge denn bei uns?«Er drückte seinen Zigarrenstummel aus, eine Angewohnheit, die ihm die Verachtung aller wahren Zigarrenraucher eintrug.»Was hat er denn?«

«Gehirnerschütterung, ein paar Quetschungen und einen Schlagaderriß.«

«Alles Dinge, die die Chirurgische wenig angehen. «Window erhob sich.»Warum soll er denn nicht bei Dr. Bender auf der Kinderstation liegen?«

«Eben wegen dieser Dr. Bender, Chef.«

Professor Window stutzte, drehte sich zu Dr. Perthes um und sah ihn groß an.»Haben Sie etwas gegen die Kollegin?«fragte er sehr förmlich.

«Durchaus nicht! Die Kollegin ist die Ärztin, bei der ich den Jungen zur Ersten Hilfe einlieferte. Und ich hätte gern, daß Dr. Bender ihren kleinen Patienten in der Chirurgischen besucht, weil. «Er stockte und sah wie ein großer, sich schämender Junge zu Boden. Sogar rot wurde er und sehr verlegen.

Professor Window sah seinen >Giftmischer< an; dann überzog ein breites Lächeln sein Gesicht, und die blauen Augen unter dem weißen Haarschopf leuchteten.

«Du Lausejunge«, sagte der Professor leise.»Sie soll in die Chirurgische kommen, weil du daneben deine Labors hast! Du bist ja ein ganz ausgekochter Bursche, Peter! Hat es dich endlich doch gepackt?«

«Ich finde sie nett«, wich Perthes aus. Aber er lächelte dabei.

«Nett?«Windows große Hand wischte durch die Luft. Für einen Augenblick blitzte der dicke Siegelring in einem Sonnenstrahl, der vom Fenster her in den Raum fiel.»Nett genügt mir nicht, um einen so schwerwiegenden Eingriff in die heilige Klinikordnung vorzunehmen!«

Peter Perthes trat einen Schritt vor, er stand jetzt dicht vor seinem Chef.»Du bist gemein«, sagte er leise, aber mit freudig glänzenden Augen.»Wenn du's wissen willst. ich habe mich in sie verliebt…«

Jetzt lachte der Professor laut. Er schlug sich mit der Hand auf den Schenkel und dann Peter auf die breite Schulter.»Unser Giftmischer und die kleine Bender! Himmel, ist das ein Witz! Wenn ich das dem Sacher erzähle, faßt der glatt aus Verwirrung sein Skalpell am falschen Ende an! Die unnahbare Bender! Und du, ausgerechnet du!«Er lachte noch, als er das Kasino verließ und über den langen Gang zu seinem Privatbüro ging.

Einen Augenblick lang blieb Peter Perthes verwirrt zurück, dann eilte er Professor Window nach und hielt ihn kurz vor dem Eintritt in sein Zimmer an.

«Wie ist das nun?«fragte Perthes.»Kommt der Kleine auf die Chirurgische!«

«Ja!«Der Professor lachte noch immer.»Sag's dem Sacher, der frißt dich auf. Er himmelt die Bender ja auch an. Und das in meiner Klinik.«

Damit verschwand er in seinem Zimmer und drückte vor Peters Nase die Tür zu.

Ja, hat er gesagt. Das war das einzige, was Dr. Perthes in diesem Augenblick beschäftigte. Daß auch Dr. Sacher entdeckt haben sollte, wie entzückend die Kollegin von der Kinderstation war, kam erst an zweiter Stelle. Sacher war sein Freund, und es war überhaupt nicht bewiesen, daß Angela Bender ihm irgendeinen Beweis ihrer Zuneigung gegeben hatte.

Peter Perthes blickte auf seine Armbanduhr. Nun mußte man schnell handeln, denn wenn der kleine Patient erst auf einer Station fest eingewiesen war, gab es immer Ärger, wenn man ihn wieder wegholte.

Mit langen Schritten ging er also durch die weißen, nach Karbol riechenden Gänge hinüber zur Chirurgie. An einer der Glaspendeltüren traf er auch sehr bald Dr. Sacher, der gerade aus einem Verbandsraum kam und auf dem Flur eine Zigarette rauchte.

«Verkehrsunfall«, sagte er, auf die Tür zeigend, als er Peter Perthes erblickte.»Grauenhafte Sache! Linkes Bein abgequetscht. War wie Mus.«

«Hast du amputiert?«

«War keine andere Lösung möglich. Jetzt bekommt er drei Transfusionen. Ein Wunder, wenn wir ihn durchbekommen. «Dr. Perthes stand wie auf heißen Kohlen. Er nahm eine der angebotenen Zigaretten und zündete sie hastig an.»Und wo ist der Junge von vorhin?«

«Der Kleine von Barthey? Bei der Kollegin Bender.«

«Schon?«

«Wieso schon? Nach dem Verbinden habe ich ihn an die Kinderstation abgegeben.«

«Ich habe aber vom Chef die Genehmigung, ihn in die Chirurgische zu legen.«

«Wieso — du hast?«Dr. Sacher schüttelte den Kopf. Er setzte sich in einen der Korbsessel, die in einer Nische des Ganges standen, und zuckte verwundert mit den Schultern.»Was willst du denn mit dem Jungen? Der Chef spinnt wohl, was soll ich mit dem Knaben auf meiner Station?«

«Ich will«, erwiderte Peter Perthes leise,»daß Angela öfter hierherkommt.«

Peter und Paul sahen sich eine Weile stumm an.

Dann huschte ein kleines, wehmütiges Lächeln über Dr. Sachers Gesicht.»Auch du, mein Sohn Brutus.«, sagte er verstehend.

«Ich habe mich in sie verliebt, Paul.«

«Ich auch, Peter.«

«Ich weiß. Window deutete es an.«

«Aber ich bin abgeblitzt, restlos!«Paul Sacher lachte kurz auf, und es klang wie ein Seufzer.»Seit einem Jahr habe ich mich darum bemüht, habe sie eingeladen… zu einer Tasse Kaffee, zu einem Opernabend, ja selbst zum Medizinerball. immer nur Körbe! Es waren zwar nette, freundliche Körbe, so mit Girlanden, vielen Blumen und Schleifchen. Und mit einem Spruchband: Du bist leider nicht mein Typ! Und jetzt kommst du.«

Er sah seinen Freund Peter mit zur Seite geneigtem Kopf an.»Sie hat im übrigen eine Sauwut auf dich!«

«Ich weiß! Und eben deshalb möchte ich, daß der Junge auf die Chirurgische kommt!«

«Das wird ein Drama, Peter. Angela wird mir die Augen auskratzen.«

«Schieb nur alle Schuld auf mich, Paul. «Perthes drückte seine Zigarette aus und klopfte dem noch sitzenden Paul Sacher auf die Schulter.»Ich werde den Knaben jetzt holen lassen.«

«Tu, was du nicht lassen kannst und was du immer bereuen wirst!«

Munter pfeifend verließ Peter Perthes die chirurgische Station.

Kopfschüttelnd sah ihm Dr. Sacher nach. Diese Sicherheit wird ihm nichts helfen, dachte er ein wenig schadenfroh. Auch er wird abblitzen wie alle anderen. Angela Bender ist ein viel zu selbständiger und kluger Mensch, um auf diesen Windhund mit Namen Peter Perthes hereinzufallen.

Sieben Minuten später gab es auf der Kinderstation einen handfesten Krach.

Zwei Krankenpfleger von der Chirurgie erschienen mit einem Roll-bett auf der Station. Draußen, auf dem Rasen, stand außerdem ein kleiner Elektrotransportwagen mit einer geheizten Kabine bereit.

Ein Assistenzarzt sah die beiden Pfleger groß an, als sie das Bett über den Gang schoben und freundlich grüßten.

«Wo liegt ein kleiner Patient namens Barthey?«fragte der eine Pfleger.

Der Assistenzarzt gab darauf keine Antwort, sondern öffnete rasch eine Tür und rief:»Frau Dr. Bender, die Chirurgische will den kleinen Horst von Barthey abholen!«

Wie ein Wirbelwind fegte daraufhin Angela Bender aus dem Zimmer und stellte sich den beiden Krankenpflegern in den Weg.

«Wer will hier wen holen?«rief sie empört.»Wer hat das angeordnet?«

«Der Chef«, antwortete der eine Pfleger, und beide grinsten.

«Professor Window? Das glaube ich nicht. Ich werde Dr. Sacher anrufen!«

«Der schickt uns ja, Frau Doktor!«

«Unerhört! Das ist ein klarer Fall für meine Station.«

«Aber der Chef hat's doch angeordnet. Außerdem hat es auch Dr. Perthes gewünscht.«

«Dr. Perthes? Ach so!«Angela Bender biß die Lippen zusammen. Dr. Perthes! Also aus dieser Richtung wehte der Wind. Sie besann sich einen Augenblick, dann winkte sie.»Holen Sie also den Jungen! Zimmer neunzehn!«

Schroff wandte sie sich ab und ging schnell in ihr Zimmer zurück. Dort stand sie am Fenster und klopfte erregte mit einem Finger gegen die Scheibe. Sie sah, wie das Rollbett aus der Station gefahren wurde, sie erkannte noch, wie Horsts Augen noch einmal über das weiße Gebäude der Kinderstation glitten, fragend, ein wenig ängstlich, verwundert.

«Das ist eine glatte Gemeinheit!«sagte Angela Bender laut.»Eine Frechheit! Aber sie sollen mich kennenlernen da drüben, die großen Chirurgen und ihr Anhang, diese Herrgötter der Klinik! Und wenn dieser Dr. Perthes denkt, mich damit kleinzukriegen. Ich nehme den Fehdehandschuh auf!Ich werde kämpfen!«

Unten, vor der Station auf dem Rasen, rollte der Elektrowagen an, fuhr einen eleganten Bogen auf dem grünen Rasenstück und schwenkte dann auf den Kiesweg ein, der zu dem großen Gebäudekomplex der Chirurgischen Klinik führte.

Mit zusammengebissenen Lippen mußte Angela Bender zusehen, wie auf einer der Treppen ein weißer Kittel erschien und dem Wagen entgegensah. Es war, sie konnte es deutlich erkennen, die Treppe, die auch zu den toxikologischen Labors führte. Und wer dort stand, ganz Sieger, ganz in froher Erwartung, war kein anderer als dieser Dr. Peter Perthes.

Wütend trat Dr. Bender vom Fenster zurück und stampfte mit dem Fuß auf. Warte, dachte sie, warte, Freundchen, das sollst du noch bereuen.

Um elf Uhr war Visite, und um siebzehn Uhr noch einmal. Als die Uhr auf die Zahl 5 vorrückte, rief Dr. Bender ihre Assistenzärzte, ihre Famuli und Schwestern zusammen. Sie hatte sich ein wenig zurechtgemacht, hatte Rouge aufgetragen und auch die Lippen dezent geschminkt. Sie überblickte die Schar der jungen Ärzte und Schwestern, die auf dem Flur stand, und nickte entschlossen.

«Gehen wir«, sagte sie mit fester Stimme.»Man hat uns einen Fall in die Chirurgische verlegt. Ungerechtfertigt weggenommen! Es kann uns daher kein Mensch verübeln, wenn wir bei diesem Fall, dem jungen Horst von Barthey, auch unsere Visite machen. Gehen wir.«, wiederholte sie.

Sie gingen über den kurzen Rasen, über den Kiesweg, und betraten die Station Dr. Sachers — zwölf Schwestern und Ärzte, an der Spitze Dr. Angela Bender mit entschlossenem Gesicht und blitzenden, kampfeslustigen Katzenaugen.

Erstaunt und verblüfft kam Dr. Paul Sacher durch den langen Gang gestürmt und überblickte ein wenig ratlos die große Schar der weißen Hauben und Mäntel.

«Willkommen, Frau Kollegin!«rief er geistesgegenwärtig.»Ein Staatsbesuch?«Er lachte ein wenig gequält und wünschte sich, Peter Perthes an seiner Seite zu haben.

«Eine Visite, Herr Kollege, zur gewohnten Stunde! Sie haben ei-nen Fall von mir hier liegen, und ich muß ihn mir ja ansehen!«

«Aber natürlich, natürlich. «Paul Sacher stotterte verlegen und gab den Weg frei.»Zimmer vierunddreißig, Kollegin Bender.«

Er hat recht behalten, dachte er. Dieser Peter kennt sie schon besser als ich! Sie kommt tatsächlich hierher! Sie nimmt den Kampf auf. Zwei Dickköpfe prallen aufeinander. Himmel, wie soll das enden?

Er sah Angela Bender nach, wie sie mit ihrer Heerschar im Zimmer 34 verschwand. Dann eilte er zum Telefon, um Professor Window anzurufen.

«Chef«, sagte er erregt,»Angela Bender ist tatsächlich hier! Sie macht die Visite! Ja, mit ihrer ganzen Belegschaft!«

Als er Professor Window lachen hörte, legte er wütend auf und setzte sich auf die Fensterbank.

Von diesem Tag an begann für Paul Sacher eine Woche der Qualen. Angela Bender erschien mit ihrer Heerschar zwei, drei-, auch viermal am Tag zu einer Extravisite, rauschte durch die stillen Gänge und störte den ganzen Betrieb des so vorzüglich eingespielten Apparates der Chirurgie. Immer, wenn gerade die Gänge geputzt waren, wenn das Linoleum frisch gebohnert war, erschienen die zwölf Menschen von der Kinderstation und brachten Unruhe in das stille Haus.

Paul Sacher war an der Grenze angelangt, wo man die Nerven verliert und sich nicht mehr beherrschen kann.

«Kollegin Bender«, sagte er eines Morgens, als sie wieder mit ihrer Schar zur Visite erschien,»übertreiben Sie nicht ein wenig die Sorge um diesen Jungen? Glauben Sie, wir könnten ihn nicht ordnungsgemäß versorgen?«

Angela Bender zuckte mit den Schultern und sah den Chirurgen mit zur Seite geneigtem Kopf an. In ihren Augen stand Angriff. Wie ein Schock durchfuhr es Dr. Sacher: sie sah wunderschön aus in ihrem Zorn.

«Der Junge ist schließlich mein Patient. Man hat ihn mir aus unbekannten Gründen weggenommen, aber ich fühle mich nach wie vor für ihn verantwortlich. Ich habe das Recht, meine Patienten zu mir angemessen erscheinenden Zeiten zu besuchen! Und wenn es zehnmal am Tag ist! Die Notwendigkeit muß ich als Ärztin und Chefin der Kinderklinik allein verantworten.«

«Sie halten aber meinen Betrieb auf, Frau Kollegin!«Dr. Sacher wurde wütend.»Sie benutzen meinen Verbandsraum, wenn ich ihn dringend benötige; dann kommen Sie zu den unmöglichsten Tagesund Nachtzeiten.«

Angela Bender nickte. Ein Lächeln überzog ihr vor Erregung gerötetes Gesicht.»Es bedarf nur der Rückverlegung auf meine Station, und Sie sind von uns erlöst, lieber Herr Kollege Sacher. Dann haben Sie gleich Ihre Ruhe wieder. Aber so. «Sie zuckte erneut mit den Schultern, ein wenig maliziös, wie Dr. Sacher feststellte, und wandte sich an ihren Stab.»Kommen Sie, wir müssen weiter!«

Und die Visite rollte ab.

An diesem Tag traf Angela Bender auch Dr. Perthes, der im Krankenzimmer des Jungen darauf wartete, daß die Visite von der Kinderstation erschien. Als Dr. Bender hereinkam, erhob er sich sofort und verbeugte sich korrekt.

«Guten Tag, Frau Dr. Bender«, sagte er.»Es ist ja rührend, wie Sie sich um den kleinen Horst kümmern.«

Und um ihre Antwort, die sofort kommen mußte, abzuschneiden, fügte er hinzu:»Ich bin hier, weil wir ja alte Freunde sind, der Horst und ich!«

Der Junge nickte. Sein blasses Gesicht ragte spitz aus den Kissen.»Der Onkel kann so schön erzählen, von wilden Männern und von fremden Ländern. «Er lächelte Dr. Bender an.»Und der Onkel ist überall schon gewesen. Im Urwald.«

Angela Bender nickte.»Von dort hat er auch die Manieren mitgebracht«, sagte sie leise, daß es nur Peter Perthes hören konnte, der dicht neben ihr stand. Und lauter fügte sie hinzu:»Ich untersuche jetzt, Herr Kollege, wenn Sie erlauben.«

Durch das grinsende Spalier von Angela Benders Gefolgschaft verließ Peter Perthes den Raum.

Vergnügt ging er zum Chefzimmer Dr. Sachers und trat nach kurzem Anklopfen ein. Der Chefarzt war schlechtester Laune und sah dem Freund wütend entgegen.

Dann schlug er auf die Schreibtischplatte.»Beim Zeus!«rief er.»So geht das nicht weiter! Peter, schließe Frieden mit der kleinen Bender, oder ich werfe euch beide aus meiner Chirurgischen raus! Ich lasse mir nicht von euch vorschreiben, wann hier Visiten stattfinden! Ich kann meinen OP nicht mehr benutzen, weil Dr. Bender auf die Idee kommt, dort Verbandswechsel vorzunehmen! Noch drei Tage, Peter, und ich mache dem Chef Meldung!«

Peter Perthes nickte und verließ den Raum des so schlechtgelaunten Freundes. Auf dem Flur stieß er zu allem Unglück mit Angela Bender zusammen, die bei seinem Anblick ein wenig blaß wurde.

«Eine Frage, Herr Kollege«, sagte sie, scheinbar ruhig, und ließ die drei Schwestern, die in ihrer unmittelbaren Begleitung waren, vorausgehen.»Woher kennen Sie meine Narbe am linken Oberschenkel?«

«Ach du grüne Neune!«Peter Perthes lachte laut.»Ist das ein Verbrechen?«

«Ich habe keine Veranlassung, stolz darauf zu sein, daß ausgerechnet Sie die Narben an meinem Körper kennen! Also bitte, woher?«

Peter Perthes zuckte mit den Schultern und betrachtete intensiv die weißgetünchte Decke.

«Kennen Sie mich denn nicht?«frage er harmlos.»Ich bin doch der Mann mit dem Röntgenblick!«

«Affe!«

Sie wandte sich ab und ging mit großen Schritten ihrem Gefolge nach.

Verblüfft sah Peter Perthes ihr nach und fuhr sich über die Augen. Sie hat mich einen Affen genannt, dachte er. Im Ehrenkodex ist das eine eklatante Beleidigung. Man müßte sie fordern. Und sie müßte eine grausame Strafe dafür zahlen… für jeden Buchsta-

ben einen Kuß! Das wären vier. Sehr wenig für das Wort Affe! Sagen wir: pro Buchstaben zehn Küsse! Das wären vierzig. schon besser! So eine kleine Giftkröte, diese Angela.

Er kam nicht mehr dazu, seinen Plan auszuführen. Den ganzen Tag über ließ sich Angela Bender nicht mehr sehen, und am Samstag, der folgte, hatte sie frei.

Загрузка...