44 Der Sturm naht

Perrin öffnete langsam die Augen und blickte auf zu der weiß getünchten Decke. Er brauchte einen Augenblick lang, bis ihm klar wurde, daß er in einem Himmelbett und auf einer Federmatratze lag, eine Decke über dem Körper hatte und ein mit Gänsefedern gestopftes Kissen unter dem Kopf. Unzählige Gerüche kämpften um die Vorherrschaft in seiner Nase: die Federn, die Wolle seiner Decke, eine brutzelnde Gans, Brot und Honigkuchen im Backofen. Eines der Zimmer in der Weinquellenschenke. Durch die zugezogenen weißen Vorhänge an den Fenstern drang unverkennbar heller Morgensonnenschein. Morgen. Er tastete nach seiner Seite. Seine Finger berührten glatte Haut, aber er fühlte sich schwächer als zuvor, schwächer als je, seit der Pfeil ihn getroffen hatte. Doch dieser Preis, den er zu zahlen hatte, war ja wohl gering, wenn man ihn mit dem Erfolg verglich. Seine Kehle war völlig ausgetrocknet.

Als er sich rührte, sprang Faile von einem Stuhl neben einem kleinen, aus Natursteinen gemauerten Kamin auf, warf schnell eine rote Decke zur Seite und streckte sich dann. Sie hatte sich umgezogen und trug nun ein dunkleres enges Reitkleid. Die graue Seide war recht verknittert und wies darauf hin, daß sie auf diesem Stuhl geschlafen hatte. »Alanna sagte, daß du Schlaf brauchtest«, sagte sie. Er langte nach der weißen Kanne auf dem kleinen Nachttischchen, und so goß sie ihm hastig einen Becher Wasser ein und reichte ihn Perrin. »Du mußt noch zwei oder drei Tage hierbleiben, bis deine Kraft zurückgekehrt ist.« Diese Worte klangen normal. Nur eine leichte Unterstrom lag darin, den er kaum bemerkte und der sich höchstens noch in einem Zusammenziehen ihrer Augen zeigte. »Was ist los?« Sie stellte vorsichtig den Becher wieder auf den Nachttisch zurück und strich sich das Kleid glatt. »Nichts ist los.« Die Anspannung in ihrer Stimme wurde noch deutlicher.

»Faile, lüg mich nicht an!« »Ich lüge nicht!« fauchte sie. »Ich werde dir das Frühstück bringen lassen, und du hast noch Glück, daß ich das überhaupt mache, obwohl du mich der Lüge bez... « »Faile.« Er sprach ihren Namen so ernst wie möglich aus, und sie zögerte. Ihr arroganter Blick mit hocherhobenem Kinn wandelte sich dann aber langsam zu einem besorgten Stirnrunzeln, das ebenso schnell wieder verschwand. Er sah ihr geradewegs in die Augen. Er würde sie nicht so davonkommen lassen, nur weil sie die typischen Tricks einer hochnäsigen Lady beherrschte.

Schließlich seufzte sie resignierend. »Ich glaube, du hast ein Recht darauf, Bescheid zu wissen. Aber du wirst in diesem Bett liegenbleiben, bis Alanna und ich dir erlauben, aufzustehen. Loial und Gaul sind weg.« »Weg?« Er riß die Augen verwirrt auf. »Was meinst du damit — weg? Sind sie fortgegangen?« »Ja, so in etwa. Die Wachen haben sie gehen sehen, heute morgen bei Tagesanbruch. Sie sind nebeneinander zum Westwald hinübergetrabt. Keiner dachte sich etwas dabei, und ganz gewiß hat niemand versucht, sie aufzuhalten — einen Ogier und einen Aiel. Ich habe vor nicht einmal einer Stunde erst davon gehört. Sie sprachen über Bäume, Perrin. Und über die Baumgesänge der Ogier.« »Bäume?« grollte Perrin. »Es liegt an diesem verfluchten Wegetor! Seng mich, ich habe ihm doch gesagt, er solle nicht... Sie werden sich noch umbringen lassen, bevor sie es überhaupt erreichen!« Er warf die Decke zur Seite, schwang seine Beine über die Bettkante und stand wacklig auf. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß er nichts anhatte, nicht einmal Unterwäsche. Aber wenn sie erwarteten, daß sie ihn auf diese Weise unter der Bettdecke festnageln konnten, dann hatten sie sich getäuscht. Er sah, daß seine Kleider sauber zusammengefaltet auf dem Stuhl mit der hohen Lehne an der Tür lagen. Daneben standen seine Stiefel, und die Axt hing am Gürtel an einem Haken an der Wand. So stolperte er hinüber zu seinen Kleidern und begann, sich so schnell wie möglich anzuziehen.

»Was machst du da?« wollte Faile wissen. »Du gehst sofort zurück ins Bett!« Die eine Faust hatte sie in die Hüfte gestützt, und mit dem Zeigefinger der anderen Hand deutete sie energisch auf das Bett, als könne ihn allein die Geste hinbringen.

»Sie können noch nicht weit sein«, sagte er zu ihr. »Nicht zu Fuß. Gaul reitet nicht, und Loial hat immer behauptet, er traue seinen eigenen Beinen mehr zu als einem Pferd. Auf Traber kann ich sie bis spätestens um die Mittagszeit eingeholt haben.« Er zog sich das Hemd über den Kopf, ließ es aber lose über die Hose hängen und setzte sich erstmal, oder besser gesagt: Er plumpste auf den Stuhl, um die Stiefel anzuziehen.

»Du spinnst ja wohl, Perrin Aybara! Du kannst sie in diesem Wald noch nicht einmal finden!« »Ich bin kein so schlechter Spurensucher. Ich kann sie aufspüren.« Er lächelte sie an, doch sie ließ sich davon nicht berühren.

»Du kannst dich höchstens selber umbringen lassen, du haariger Narr! Sieh dich doch selbst mal im Spiegel an. Du kannst ja kaum stehen! Du würdest aus dem Sattel fallen, bevor du noch eine Meile geritten wärst!« Er versuchte, nicht zu zeigen, welche Mühe es ihm bereitete, stand auf und stampfte mit den Füßen auf, um sie richtig in die Stiefel hineinzubekommen. Traber würde schließlich die Hauptarbeit verrichten müssen. Er mußte sich ja nur festhalten. »Unsinn, ich bin so stark wie ein Pferd. Hör auf, mich herumzukommandieren.« Er zog sein Wams über, packte seine Axt und den Gürtel. Faile packte dafür ihn, als er die Tür öffnete, und so schleifte er sie mit. Ihre Versuche, ihn zurückzuhalten, waren vergebens.

»Manchmal hast du jedenfalls den Verstand eines Pferds«, schnaufte sie. »Weniger! Perrin, du mußt auf mich hören. Du mußt... « Das Zimmer befand sich nur wenige Schritte von der Treppe entfernt, die hinunter zum leeren Schankraum führte. Diese Treppe wurde ihm jetzt zum Verhängnis. Als er sein Knie beugte, um die erste Stufe hinabzusteigen, gab es nach, und er taumelte vorwärts. Vergeblich bemühte er sich, nach dem Geländer zu greifen. Er riß auch noch die schreiende Faile mit. Sie überschlugen sich immer wieder und krachten schließlich mit einem dumpfen Schlag gegen das Faß am Fuß der Treppe. Faile lag ganz auf ihm und streckte alle viere von sich. Das Faß kippte und drehte sich. Die Schwerter drinnen klapperten, doch dann stand es schließlich wieder still.

Perrin brauchte einen Moment, um wieder Luft zu bekommen und zu sprechen. »Geht es dir gut?« fragte er besorgt. Sie lag schlaff auf seinem Brustkorb. Er schüttelte sie sanft. »Faile, was ist...?« Langsam hob sie den Kopf, wischte sich ein paar dunkle Haarsträhnen vom Gesicht und sah ihn eindringlich an. »Geht es dir denn gut? Wenn ja, dann werde ich dir möglicherweise zur Strafe etwas antun.« Perrin schnaubte. Ihr tat wahrscheinlich weniger weh als ihm. Vorsichtig fühlte er nach der Stelle, wo der Pfeil gesteckt hatte, aber die fühlte sich auch nicht anders an als der Rest. Nun ja, sein ganzer Körper schmerzte von oben bis unten. »Geh runter von mir, Faile. Ich muß Traber aus dem Stall holen.« Statt dessen packte sie ihn mit beiden Händen am Kragen, und ihr Gesicht näherte sich dem seinen so weit, daß sich ihre Nasen fast berührten. »Hör auf mich, Perrin«, sagte sie beschwörend. »Du-kannst-nicht-alles-allein-schaffen. Falls Loial und Gaul gegangen sind, um das Wegetor zu verschließen, mußt du das ihnen überlassen. Dein Platz ist hier. Selbst wenn du wieder bei Kräften wärst — und das ist nicht der Fall! Hörst du? Du bist nicht stark genug! — Aber selbst wenn du stark genug wärst, dürftest du ihnen nicht hinterherreiten. Du kannst nicht alles selbst erledigen!« »Also, was treibt Ihr beiden denn da?« fragte Marin al'Vere. Sie wischte sich die Hände an der langen, weißen Schürze ab. Sie war von der Hintertür des Schankraums hergekommen. Die Augenbrauen hatte sie fast bis zum Haaransatz hochgezogen. »Bei diesem Lärm hatte ich Trollocs erwartet, aber nicht so was.« Es klang peinlich berührt, aber auch amüsiert.

Perrin wurde klar, wie die Szene auf andere wirken mußte: Faile lag auf ihm, und ihre Köpfe waren einander so nahe, daß sie wie ein Paar beim heftigen Küssen aussehen mußten. Auf dem Fußboden des Schankraums.

Failes Wangen erröteten, und sie stand ganz schnell auf und klopfte sich den Staub vom Kleid. »Er ist genauso stur wie ein Trolloc, Frau al'Vere. Ich sagte ihm, er sei zu schwach zum Aufstehen. Er muß sofort zurück ins Bett. Er sollte endlich lernen, daß er nicht alles selbst erledigen kann, besonders, wenn er nicht einmal eine Treppe hinunterlaufen kann.« »Oh, meine Liebe«, sagte Frau al'Vere kopfschüttelnd, »das ist aber die falsche Methode.« Sie beugte sich zu der jüngeren Frau vor und flüsterte ihr leise etwas zu, doch Perrin verstand jedes Wort. »Er war als kleiner Junge die meiste Zeit über durchaus angenehm und leicht zu führen, wenn man wußte, wie. Aber wenn man versuchte, ihn zu etwas zu zwingen, dann wurde er so starrköpfig, wie man nur sein kann. Die Männer ändern sich nicht so arg; sie werden nur größer. Wenn Ihr ihm weiterhin sagt, er müsse dies tun und das dürfe er nicht tun, dann legt er die Ohren an und stemmt sich mit aller Macht dagegen. Laßt mich es Euch zeigen.« Marin lächelte ihn strahlend an und ignorierte seinen bösen Blick. »Perrin, glaubst du nicht, daß eine meiner Gänsefedermatratzen bequemer ist als der Fußboden? Ich bringe dir etwas von meiner Nierenpastete, sobald du wieder in den Federn steckst. Du mußt ja mächtig Hunger haben, nachdem du gestern abend nichts zu essen hattest. Hier. Laß mich dir aufhelfen.« Er stieß ihre Hände weg und stand alleine auf. Nun ja, an der Wand mußte er sich ein wenig abstützen. Er glaubte, die Hälfte aller Muskeln in seinem Körper müßten gezerrt sein. Starrköpfig? Er war noch nie in seinem Leben starrköpfig gewesen. »Frau al'Vere, würdet Ihr bitte Hu oder Tad Traber satteln lassen?« »Wenn es dir wieder besser geht«, sagte sie und versuchte, ihn zur Treppe hin zu lenken. »Glaubst du nicht, du könntest noch ein bißchen mehr Ruhe vertragen?« Faile nahm ihn an seinem anderen Arm.

»Trollocs!« Der Schrei von draußen wurde durch die Wände gedämpft. Dann wiederholten ein Dutzend Stimmen: »Trollocs! Trollocs!« »Das geht dich heute nichts an«, sagte Frau al'Vere bestimmt und gleichzeitig beruhigend. Er hätte am liebsten mit den Zähnen geknirscht. »Die Aes Sedai werden schon damit fertig. In ein oder zwei Tagen bist du dann auch wieder auf den Beinen. Du wirst schon sehen.« »Mein Pferd«, sagte er und versuchte, sich loszureißen. Sie hielten ihn an den Ärmeln fest und er erreichte lediglich, daß sie vor- und zurückgezerrt wurden. »Bei der Liebe des Lichts, hört Ihr jetzt endlich auf, an mir herumzuzerren und laßt mich zu meinem Pferd? Laßt mich los!« Faile sah ihm in die Augen, seufzte und ließ seinen Arm los. »Frau al'Vere, laßt Ihr bitte sein Pferd satteln und zum Eingang bringen?« »Aber meine Liebe, er braucht wirklich... « »Bitte, Frau al'Vere«, sagte Faile energisch. »Und mein Pferd auch.« Die beiden Frauen blickten sich an, als hätten sie vergessen, daß er überhaupt existierte. Schließlich nickte Frau al'Vere.

Perrin runzelte die Stirn, während er zusah, wie sie durch den Schankraum in Richtung Küche und Stall ging. Was hatte Faile an sich, daß es plötzlich doch ging? Er wandte ihr seine Aufmerksamkeit zu und fragte: »Warum hast du deine Meinung geändert?« Sie steckte ihm das Hemd in die Hose und murmelte etwas in sich hinein, das zweifellos nicht für seine Ohren bestimmt war, oder? »Ich darf nicht sagen, ›du mußt‹, ja? Wenn er zu stur ist, um geradeaus gucken zu können, muß ich ihm noch Honig um den Mund schmieren, ja?« Sie warf ihm einen Blick zu, der bestimmt nichts mit Honig zu tun hatte, aber dann verwandelte sich der Ausdruck ihrer Augen, und der Blick wurde plötzlich so unausstehlich süß, daß er beinahe einen Schritt rückwärts tat. »Mein liebstes Herz«, flötete sie und zog sein Wams zurecht, »was da draußen auch geschehen mag, ich hoffe jedenfalls, du bleibst im Sattel und so weit auf Abstand von den Trollocs wie möglich. Du bist im Moment wirklich noch nicht in einer Verfassung, um gegen Trollocs zu kämpfen, oder? Vielleicht morgen. Denk auch bitte daran, daß du ein General bist, ein Anführer, und genauso ein Symbol für deine Leute darstellst wie die Flagge da draußen. Wenn du auf den Beinen bist und dich dem Volk zeigst, wird das die Moral heben. Und es ist viel leichter, zu kalkulieren, was zu tun ist, und deine Befehle auszugeben, wenn du dich nicht selbst im Getümmel befindest.« Sie hob seinen Gürtel vom Fußboden auf und schlang ihn um seine Hüfte. Sorgfältig rückte sie sodann die Axt an seiner Seite zurecht. Und dann noch ihr Augenaufschlag! »Bitte, sag, daß du meinem Rat folgen wirst. Bitte!« Sie hatte ja recht. Gegen einen Trollocs könnte er sich keine zwei Minuten halten. Und gegen einen Blassen vielleicht nicht einmal zwei Sekunden. Und so schwer es ihm fiel, das zuzugeben, würde er sich doch keine zwei Meilen im Sattel halten können, wenn er jetzt hinter Loial und Gaul herritt. Dieser Narr von einem Ogier! Er ist Schriftsteller und kein Held. »In Ordnung«, sagte er. Aber die Taktik würde er ihr zurückzahlen. So, wie sie und Frau al'Vere über seinen Kopf hinweg entschieden, was für ihn das Beste sei, und dann noch ihr Augenaufschlag, als sei er ein vollständiger Idiot. »Ich kann dir doch keinen Wunsch abschlagen, wenn du mich so süß anlächelst.« »Da bin ich aber froh.« Immer noch lächelnd, wischte sie ihm Fusseln vom Wams, die er überhaupt nicht sehen konnte. »Denn wenn nicht, und falls du dann überleben solltest, werde ich mit dir das gleiche anstellen, was du am ersten Tag innerhalb der Kurzen Wege mit mir gemacht hast. Ich glaube nicht, daß du genug Kraft hast, um mich davon abzuhalten.« Dieses frühlingshafte Lächeln strahlte voller Süße sein Gesicht an. »Hast du mich verstanden?« Er mußte unwillkürlich schmunzeln. »Klingt, als ob ich mich doch besser von ihnen umbringen lassen sollte.« Sie schien das nicht lustig zu finden.

Hu und Tad, die schlacksigen Stallburschen, führten Traber und Schwalbe heran, sobald sie nach draußen traten. Alle augenblicklichen Einwohner Emondsfelds schienen sich am anderen Ende des Dorfs versammelt zu haben, weit jenseits des Angers mit seinen Schafen und Kühen und Gänsen und der rotweißen Flagge mit dem Wolfskopf, die im leichten Morgenwind flatterte. Sobald er und Faile auf den Pferden saßen, rannten die Stallburschen ohne ein weiteres Wort in die gleiche Richtung.

Was sich dort auch abspielen mochte, um einen Angriff handelte es sich bestimmt nicht. Er konnte in der Menschenmenge Frauen und Kinder erkennen, und die ›Trolloc‹-Rufe waren erstorben. Das Gemurmel der Menge klang wie ein Echo des Gänsegeschnatters. Er ritt langsam, da er nicht im Sattel herumschwanken wollte. Faile hielt sich mit Schwalbe ganz nah bei ihm und beobachtete ihn. Wenn sie einmal ihre Meinung ohne offensichtlichen Grund geändert hatte, konnte sie das wieder tun, und er wollte sich einfach nicht mit ihr herumstreiten, ob er nun hier sein sollte oder nicht.

Die wild durcheinanderredende Menge schien tatsächlich jeden in Emondsfeld zu umfassen, Dorfbewohner genauso wie Bauern von außerhalb. Alle standen Schulter an Schulter dicht gedrängt, aber sie machten für ihn und Faile Platz, als sie sahen, wer kam. Sein Name wurde rundherum gemurmelt, und oft hörte er das hinzugefügte ›Goldauge‹. Er hörte auch wieder das Wort ›Trollocs‹, aber eher staunend gesprochen und nicht verängstigt. Von Trabers Rücken aus hatte er eine gute Sicht über ihre Köpfe hinweg.

Die Menschenmenge erstreckte sich bis über die letzten Häuser hinaus dorthin, wo die vielen zugespitzten Pfähle im Boden steckten. Der beinahe sechshundert Schritt entfernte Waldrand hinter den niedrigen Baumstümpfen war menschenleer; niemand hackte dort auf die Bäume ein.

Die Männer mit den Äxten standen verschwitzt und mit nackten Oberkörpern in der Menge und bildeten einen Kreis um Alanna, Verin und zwei Männer. Jon Thane, der Müller, wischte sich Blut vom Oberkörper. Er starrte angestrengt nach unten, um genau sehen zu können, was seine Hände taten. Alanna richtete sich gerade von dem anderen Mann her auf, einem grauhaarigen Burschen, den Perrin nicht kannte. Er sprang nun auf und tänzelte herum, als könne er selbst nicht fassen, daß er wieder laufen konnte. Er und der Müller blickten die Aes Sedai voller Ehrfurcht an.

Das Gewirr um die Aes Sedai herum war zu dicht, um mit den Pferden durchzukommen, aber es gab ein paar kleinere fast freie Flächen um Ihvon und Tomas herum, vor deren Streitrössern jedermann Respekt hatte. Die Leute machten einen großen Bogen um die Tiere mit ihren wilden Augen, die wirkten, als warteten sie nur auf eine passende Gelegenheit, um auszuschlagen und zuzubeißen.

Perrin schaffte es, Tomas ohne größere Schwierigkeiten zu erreichen. »Was ist geschehen?« »Ein Trolloc. Nur ein einziger.« Trotz des Plaudertons des ergrauten Behüters sah er dabei nicht Perrin und Faile an, sondern beobachtete sowohl Verin wie auch den Waldrand aufmerksam. »Allein entwickeln sie gewöhnlich nicht gerade viel Intelligenz. Schlau sind sie schon, aber nicht klug. Die Holzfäller haben ihn vertrieben, bevor er mehr Unglück anrichten konnte, als die beiden zu verletzen.« Die beiden Aielfrauen erschienen plötzlich am Waldrand. Sie hatten die Schufa um den Kopf gewickelt und sich verschleiert, so daß er sie nicht unterscheiden konnte. Zunächst rannten sie schnell heran, dann verlangsamten sie aber doch ihr Tempo und schlängelten sich zwischen den spitzen Pfählen durch. Schließlich drängten sie sich resolut durch die Menge. Die Menschen im Gewühl wichen ihnen so gut es ging aus. Als sie schließlich Faile erreichten, hatten sie bereits die Schleier abgenommen. Faile beugte sich hinunter, um dem zu lauschen, was sie ihr sagen wollten.

»Vielleicht fünfhundert Trollocs«, berichtete Bain gerade. »Und sie befinden sich kaum mehr als eine oder zwei Meilen hinter uns.« Ihre Stimme klang ruhig, doch ihre dunkelblauen Augen glitzerten freudig erregt. Genau wie Chiads graue Augen.

»Wie ich erwartete«, sagte Tomas seelenruhig. »Der eine ist wahrscheinlich nur allein durch den Wald marschiert, um sich etwas zum Essen zu suchen. Die anderen werden bald kommen, denke ich.« Die Töchter des Speers nickten.

Perrin deutete konsterniert auf die Menschenansammlung. »Also sollten die sich nicht alle hier draußen befinden. Warum habt Ihr sie nicht weggetrieben?« Es war Ihvon, der auf seinem Grauen durch die Menge herankam und ihm antwortete: »Eure Leute scheinen einfach nicht auf Fremde hören zu wollen, jedenfalls nicht, wenn sie Aes Sedai bei der Arbeit zuschauen können. Ich würde vorschlagen, Ihr versucht es selbst einmal.« Perrin war sicher, daß sie sich durchgesetzt hätten, hätten sie es nur ernsthaft versucht. Zumindest Verin und Alanna brachten so etwas fertig. Also, warum haben sie dann gewartet und es mir überlassen, obwohl sie die Trollocs erwarteten? Es wäre leicht gewesen, das vielleicht der Tatsache zuzuschreiben, daß er ein Ta'veren war, doch das war töricht. Ihvon und Tomas ließen sich und vor allem Verin und Alanna nicht von Trollocs umbringen, weil sie darauf warteten, daß ihnen ein Ta'veren sagte, was sie zu tun hätten. Die Aes Sedai schubsten ihn einfach wieder herum und riskierten dabei aller Leben, selbst die eigenen. Aber wozu? Sein Blick traf den Failes und sie nickte leicht, als wisse sie, woran er dachte.

Er hatte jetzt keine Zeit, um das herauszufinden. Statt dessen suchten seine Blicke die Menge ab, und er entdeckte Bran al'Vere, der mit Tam al'Thor und Abell Cauthon die Köpfe zusammensteckte. Der Bürgermeister hatte einen langen Speer an die Schulter gelehnt und trug auf dem Kopf eine zerbeulte alte Stahlkappe. Um seinen rundlichen Oberkörper spannte sich ein Lederwams mit aufgenähten Stahlscheiben.

Alle drei Männer blickten auf, als Perrin sich auf Traber durch die Menge zu ihnen herüberschob. »Bain sagt, daß Trollocs auf dem Weg hierher sind, und die Behüter glauben auch, daß wir bald angegriffen werden.« Des unaufhörlichen Stimmengewirrs wegen mußte er schreien, um gehört zu werden. Einige der am nächsten stehenden Leute verstanden seine Worte und hörten mit Reden auf. Bald verbreiteten sich leise Wellen von Worten wie ›Trollocs‹ und ›Angriff‹.

Bran kniff die Augen zusammen. »Ja. Das mußte ja kommen, nicht wahr? Na ja, wir wissen, was zu tun ist.« Er hätte mit seinem beinahe bis zum Platzen gespannten Lederwams und der auf seinem Kopf auf- und abhüpfenden Stahlkappe eigentlich komisch wirken müssen, doch er sah lediglich ernst und entschlossen aus. Dann erhob er die Stimme und verkündete: »Perrin sagt, daß bald Trollocs hier ankommen werden. Ihr wißt alle, wohin ihr gehört. Also beeilt Euch bitte. Schnell!« In der Menge entstand Unruhe. Frauen schickten ihre Kinder zurück zu den Häusern, und die Männer liefen in allen Richtungen fort. Die Verwirrung schien zu wachsen —von Ordnung war nichts zu bemerken.

»Ich werde dafür sorgen, daß die Schafhirten hereinkommen«, sagte Abell zu Perrin und tauchte in der Menge unter.

Cenn Buie schob sich im Tumult an Perrin vorbei. Er benützte eine Hellebarde, um Hari Coplin, wie immer mit saurer Miene, Haris Bruder Darl und den alten Bili Congar anzutreiben. Bili wankte, als sei er bereits am Morgen betrunken, was durchaus sein konnte. Trotzdem trug von diesen dreien gerade Bili seinen Speer als einziger so, als wolle er ihn auch tatsächlich benützen. Cenn berührte seine Stirn kurz mit der Hand, als er an Perrin vorbeikam. Es sollte wohl eine Art von Gruß sein. Eine ganze Anzahl der Männer tat es ihm gleich. Das machte ihn verlegen. Bei Dannil und den anderen jungen Burschen war das etwas anderes, doch diese Männer hier waren um mehr als die Hälfte älter als er.

»Du hältst dich gut«, stellte Faile fest.

»Ich wünschte, ich wüßte, was Verin und Alanna planen«, knurrte er. »Und damit meine ich nicht, was sie jetzt gerade wollen.« Zwei der Katapulte, die von den Behütern mit Hilfe der Zimmerleute im Dorf gebaut worden waren, standen an diesem Ende von Emondsfeld, mehr als mannshohe, kantige Gebilde aus schweren Balken mit dicken, gewundenen Tauen. Von ihren Pferden aus beaufsichtigten Ihvon und Tomas das Herunterwinden der wuchtigen Tragebalken. Die beiden Aes Sedai waren dagegen mehr an den großen Steinbrocken interessiert, die jeder fünfzehn oder zwanzig Pfund wiegen mochten und deren erste man nun in die Schalen am Ende der Schwungbalken legte.

»Sie haben vor, dich zu einem Anführer unter den Menschen zu machen«, antwortete Faile ruhig. »Ich glaube auch, du wurdest dazu geboren.« Perrin schnaubte. Er war zum Schmied geboren worden. »Ich würde mich viel wohler fühlen, wenn ich wüßte, warum sie das wollen.« Die Aes Sedai blickten ihn an, Verin mit schräg gehaltenem Kopf, raubvogelartig, und Alanna mit offenem Blick und einem angedeuteten Lächeln. Wollten sie beide das gleiche und auch aus dem gleichen Grund? Das war eben das Schwierige an den Aes Sedai: Es gab immer mehr Fragen als Antworten.

Mit überraschender Schnelligkeit kehrte nun aber doch Ordnung ein. Hier am westlichen Ende des Dorfs knieten hundert Männer hinter dem Dornenwald von zugespitzten Pfählen. Sie stützten sich auf ein Knie und hielten ihre Speere, Hellebarden oder sonstigen Waffen, meist auf Stangen gesteckte Sicheln oder Buschhaken, nervös in den Händen. Hier und da trug einer einen Helm oder den Teil einer Rüstung. Hinter ihnen standen noch einmal doppelt so viele Männer in zwei Reihen, jeder mit einem guten Langbogen in Händen, wie er so typisch für die Zwei Flüsse war, und einen gefüllten Köcher am Gürtel. Knaben kamen von den Häusern hergerannt und brachten weitere Bündel von Pfeilen. Die Männer steckten sie mit den Spitzen in den Erdboden vor ihren Füßen. Tam schien hier den Befehl zu haben. Er lief die Reihen entlang und sprach mit jedem Mann wenigstens ein paar Worte. Bran marschierte neben ihm her und ermutigte die Männer ebenfalls. Perrin sah keinen Grund, warum sie ihn selbst auch noch benötigen sollten.

Zu seiner Überraschung kamen Dannil und Ban und all die anderen Burschen, die mit ihm geritten waren, aus dem Dorf heran, und sie bildeten einen Ring um Faile und ihn. Alle trugen ihre Bögen. Sie wirkten schon etwas eigenartig auf ihn. Die Aes Sedai hatten offensichtlich die schwerer Verwundeten mit ihren Kräften geheilt, und die leichter Verwundeten der Heilkraft von Salben und Tinkturen überlassen. So kam es, daß Burschen, die sich gestern noch kaum am Sattel festklammern konnten, nun leichtfüßig daherkamen, während Dannil und Tell und andere immer noch humpelten oder Bandagen trugen. So überrascht er bei ihrem Anblick war, so sehr stieß ihn das ab, was sie mitbrachten. Leof Torfinn, der noch eine Binde um den Kopf trug, die wie eine helle Kappe über seinen tiefliegenden Augen thronte, hatte den Bogen übergehängt und hielt dafür einen langen Stock in Händen, an dem eine kleinere Version der rotgeränderten Flagge mit dem Wolfskopf hing.

»Ich glaube, eine der Aes Sedai ließ sie nähen«, sagte Leof, als Perrin fragte, woher die denn käme. »Milli Ayellin brachte sie Wils Pa, aber Wil wollte sie nicht tragen.« Wil al'Seen zog abwehrend ein wenig die Schultern ein.

»Ich würde sie auch nicht tragen wollen«, kommentierte Perrin trocken. Sie lachten, als habe er einen Scherz gemacht. Sogar Wil stimmte nach kurzem Zögern ein.

Der Pfahlwald vor dem Dorf wirkte wohl ziemlich abschreckend, schien aber doch Trollocs gegenüber nicht viel ausrichten zu können. Nun, vielleicht half es ein wenig, aber er wollte auf keinen Fall, daß Faile hier war, wenn sie durchbrachen. Als er sie anblickte, hatte sie jedoch wieder diesen Blick, als wisse sie genau, was er dachte. Und es gefiel ihr wohl nicht. Wenn er den Versuch unternahm, sie zurückzuschicken, würde sie streiten und sich sträuben und den Sinn dahinter nicht einsehen. So schwach, wie er sich gerade fühlte, würde sie viel eher ihn zur Schenke zurückgeleiten, als er sie. Und ihre Haltung im Sattel, so wild und stolz, zeigte ihm, daß sie vorhatte, ihn zu verteidigen, falls die Trollocs durchbrachen. Er würde sie genau im Auge behalten müssen — mehr konnte er nicht tun.

Mit einemmal lächelte sie, und er kratzte sich verwirrt im Bart. Vielleicht konnte sie wirklich seine Gedanken lesen.

Die Zeit verging, die Sonne schob sich langsam am Himmel hoch, und es wurde wärmer. Manchmal rief eine Frau von einem der Häuser her und wollte wissen, was geschah. Hier und da setzten sich Männer hin, doch im Nu waren Tam oder Bran bei ihnen und befahlen ihnen, ganz schnell wieder aufzustehen und ihren Platz in der Reihe einzunehmen. Höchstens eine oder zwei Meilen entfernt, hatte Bain gesagt. Sie und Chiad saßen dicht bei den Pfählen und spielten irgendein Spiel mit einem Messer, daß offensichtlich im Boden zwischen ihnen steckenbleiben mußte. Wenn die Trollocs nahten, müßten sie doch mit Sicherheit mittlerweile angekommen sein. Ihm fiel langsam, aber sicher das Geradesitzen schwer. Da er sich Failes wachsamer Blicke bewußt war, hielt er sein Kreuz steif, auch wenn es nicht leicht war.

Ein Horn schmetterte blechern und schrill. »Trollocs!« rief ein halbes Dutzend Stimmen, und tierähnliche Gestalten in schwarzen Rüstungen glitten aus dem Westwald. Sie heulten laut, während sie über den von Baumstümpfen übersäten Boden heranjagten, und schwenkten Sichelschwerter, Dornenäxte, Speere und Dreizacke. Drei Myrddraal ritten auf pechschwarzen Pferden hinter ihnen, galoppierten hierhin und dorthin, um die Trollocs vor sich her zum Angriff zu treiben. Ihre schwarzen Umhänge fielen völlig bewegungslos herab, ganz gleich, wie ihre Rappen auch herumwirbelten oder galoppierten. Das Horn erklang immer wieder. In kurzen, harten Stößen trieb es die Horde an.

Zwanzig Pfeile schossen los, sobald der erste Trolloc erschien. Doch auch der längste Schuß war beinahe hundert Schritt zu kurz.

»Aufhören, Ihr geistig minderbemittelten Schafsköpfe!« schrie Tam. Bran fuhr zusammen und warf ihm einen überraschten Blick zu. Der wirkte genauso ungläubig wie die Blicke von Tams Freunden und Nachbarn. Einige murrten, daß sie sich nicht so anschreien lassen wollten, Trollocs hin oder her. Tam überging ihren Protest jedoch einfach. »Ihr wartet gefälligst, bis ich Euch den Befehl gebe, so, wie ich es Euch gezeigt habe!« Dann drehte sich Tam seelenruhig zu Perrin um, als kämen keine Hunderte von kreischenden und jaulenden Trollocs auf sie zu, und fragte ihn: »Bei dreihundert Schritt?« Perrin nickte schnell. Dieser Mann fragte ihn? Dreihundert Schritt. Wie schnell konnte ein Trolloc dreihundert Schritt zurücklegen? Er lockerte die Axt in ihrer Schlinge. Dieses verdammte Horn jaulte immer weiter. Die Speerträger kauerten sich hinter die Pfähle, als müßten sie sich zwingen, nicht wegzulaufen. Die Aiel hatten die Gesichter verschleiert.

Vorwärts wogte die schreiende Flut, gehörnte Köpfe und Gesichter mit Schnauzen oder Schnäbeln, jeder um die Hälfte größer als ein großer Mann, jeder nach Blut gierend. Fünfhundert Schritt. Vierhundert. Einzelne liefen vor den anderen voraus. Sie rannten so schnell wie Pferde. Hatten die Aiel recht gehabt? Konnten das wirklich nur fünfhundert sein? Es schien, als seien es Tausende.

»Bereit?« rief Tam, und zweihundert Bögen wurden gehoben. Die jungen Männer bei Perrin machten es schnell den älteren nach und bildeten schützende Reihen vor Perrin, diese närrische Flagge in der Mitte.

Dreihundert Schritt. Perrin konnte jetzt diese entsetzlichen Gesichter klar erkennen, von Wut und Blutdurst verzerrt, als befänden sie sich bereits direkt vor ihm.

»Schießt!« schrie Tam. Wie ein einziger, gewaltiger Peitschenhieb hörte sich das Zurückschnellen der Bogensehnen an. Gleichzeitig krachten die Balken der Katapulte gegen die lederumhüllten Streben, und die Steinbrocken flogen.

Es regnete Hammerkopfpfeile auf die Trollocs. Unförmige Gestalten stürzten zu Boden, doch einige erhoben sich wieder und taumelten, von Blassen angetrieben, weiter. Das Horn mischte sich in ihr kehliges Heulen und trieb sie voran zum Töten. Die von den Katapulten geschleuderten Steine schlugen zwischen ihnen ein, explodierten unter Funkenschlag zu scharfkantigen Bruchstücken und rissen große Löcher in die anstürmende Masse. Perrin war nicht der einzige, der bei diesem Anblick zusammenfuhr. Die Aes Sedai hatten also doch etwas mit den Katapulten angestellt. Er fragte sich, was wohl geschähe, wenn man einen solchen Stein beim Laden fallen ließ.

Ein weiterer Schwarm von Pfeilen erhob sich, und dann wieder einer und noch mal und immer wieder, und von den Katapulten aus wirbelten weitere Steine durch die Luft, wenn auch in größer werdenden Zeitabständen. Feuersprühende Explosionen fetzten in die Reihen der Trollocs. Hammerkopfpfeile regneten auf sie herab. Und sie kamen immer noch, kreischend, heulend, stürzend und sterbend, aber immer noch rannten andere weiter. Nun waren sie so nahe, daß die Bogenschützen ausschwärmten und nicht mehr gemeinsam schossen, sondern sich ihre Ziele einzeln auswählten. Männer schrien ihren eigenen Zorn aus sich heraus, schrien beim Schießen dem Tod ins Gesicht.

Und dann waren keine Trollocs mehr auf den Beinen und nur noch einer der Blassen, und der taumelte blind dahin, mit einer Unzahl Pfeilen gespickt. Das schrille Wiehern des Pferdes eines der Myrddraal, das im Sterben wild ausschlug, wetteiferte mit dem Stöhnen und Blöken gestürzter und sterbender Trollocs. Das Horn schwieg endlich. Hier und da auf der von Baumstümpfen übersäten Fläche bäumte sich ein Trollocs auf und sank, am Ende seiner Kräfte, zurück. Durch all diesen Lärm hindurch hörte Perrin die Männer schnaufen, als seien sie zehn Meilen weit gerannt. Auch sein eigenes Herz pochte und schien ihm aus dem Brustkorb springen zu wollen.

Plötzlich schrie irgend jemand lauthals seinen Jubel in die Welt hinaus, und als sei damit der Bann gebrochen, hüpften die Männer auf und ab und jubelten beglückt, schwenkten ihre Bögen oder was sie sonst in Händen hielten, und warfen Mützen in die Luft. Frauen stürzten aus den Häusern, lachten und jubelten ebenfalls, und die Kinder rannten herbei, tanzten und feierten mit den Männern. Ein paar kamen zu Perrin herüber und schüttelten ihm die Hand.

»Du hast uns zu einem großen Sieg geführt, mein Junge.« Bran lachte ihn von unten her an. Er hatte seinen Helm schief nach hinten geschoben. »Ich glaube, so sollte ich dich jetzt nicht mehr nennen. Ein großer Sieg, Perrin.« »Ich habe doch gar nichts getan«, wehrte er ab. »Ich habe lediglich auf meinem Pferd gehockt. Die Arbeit habt Ihr geleistet.« Bran hörte genausowenig auf ihn wie die anderen. Verlegen und steif saß Perrin auf seinem Pferd, gab vor, das Schlachtfeld überblicken zu wollen, und nach einer Weile ließen sie ihn endlich in Ruhe.

Tam hatte nicht mitgefeiert. Er stand dicht hinter den Pfählen und betrachtete die Trollocs. Auch die Behüter lachten nicht mit. Gestalten in schwarzen Rüstungen lagen in Massen zwischen den niedrigen Baumstümpfen. Es konnten durchaus fünfhundert sein. Vielleicht auch weniger. Einige, nur ein paar, hatten es vielleicht bis zurück in den Wald geschafft. Keiner lag näher als fünfzig Schritt vom Dornenwald der Pfähle entfernt. Perrins Blick fand die anderen beiden Blassen, die sich am Boden wanden. Die drei konnte er also abhaken. Irgendwann würden sie zugeben, daß sie tot waren.

Die Menschen der Zwei Flüsse ließen ihn lärmend hochleben: »Perrin Goldauge! Hurra! Hurra! Hurra!« »Sie mußten das doch wissen«, sagte er nachdenklich. Faile blickte ihn fragend an. »Den Halbmenschen muß doch klar gewesen sein, daß es so nicht gehen würde. Schau dir das doch einmal an. Selbst ich sehe das jetzt, und ihnen muß das von Anfang an klar gewesen sein. Wenn das ihre gesamte Streitmacht war, warum haben sie es dann überhaupt versucht? Und wenn noch mehr Trollocs dort draußen sind, warum sind die dann nicht auch gekommen? Doppelt so viele, und sie wären bis zu den Pfählen gekommen. Noch mal doppelt so viele, und sie hätten zum Dorf durchbrechen können.« »Ihr habt ein gutes Auge«, sagte Tomas, der sein Pferd neben ihnen zum Stehen brachte. »Es war lediglich ein Test. Sie wollten feststellen, ob Ihr gleich beim ersten richtigen Angriff zusammenklappt, vielleicht auch, um zu sehen, wie schnell Ihr reagiert oder wie Eure Verteidigung organisiert ist, oder vielleicht auch etwas, das mir jetzt nicht einfällt, aber auf jeden Fall war es eine Probe aufs Exempel. Jetzt wissen sie Bescheid.« Er deutete zum Himmel, wo ein einzelner Rabe über dem Schlachtfeld kreiste. Ein normaler Rabe hätte sich niedergelassen und ein Festmahl unter den Toten gefeiert. Dieser Vogel beendete eine letzte Runde und flog dann in Richtung des Waldes davon. »Der nächste Angriff wird nicht sofort erfolgen. Ich sah, wie zwei oder drei Trollocs in den Wald rannten, also wird sich erstmal die Kunde verbreiten. Die Halbmenschen werden ihnen erst einmal wieder einbläuen müssen, daß sie einen Myrddraal mehr fürchten als den Tod. Aber der Angriff wird erfolgen, und er wird auf jeden Fall schlimmer als der gerade eben. Wie stark sie sein werden, hängt davon ab, wie viele von den Gesichtslosen durch die Kurzen Wege geführt worden sind.« Perrin verzog das Gesicht. »Licht! Und was, wenn es gleich zehntausend sind?« »Ziemlich unwahrscheinlich«, kommentierte Verin, die herankam und Tomas' Pferd den Hals tätschelte. Das Streitroß gestattete ihr die Berührung so friedlich wie ein Pony. »Zumindest im Augenblick. Nicht einmal einer der Verlorenen könnte eine größere Anzahl sicher durch die Wege führen, glaube ich. Ein Mann allein riskiert schon den Tod oder den Wahnsinn, wenn er nur von einem Wegetor zum nächstgelegenen geht, aber... sagen wir... tausend Mann oder tausend Trollocs... die hätten innerhalb von Minuten Machin Shin auf dem Hals wie eine riesige Wespe, die von einer Schale Honig angelockt wird. Es ist viel wahrscheinlicher, daß sie in Gruppen von nicht mehr als zehn oder zwanzig, höchstens aber fünfzig, in weiten Abständen durch die Wege gehen. Natürlich bleibt die Frage offen, wie viele solcher Gruppen sie durchbringen und in welchen Abständen. Einige würden sie bestimmt unterwegs verlieren. Es kann sein, daß Schattenwesen Machin Shin nicht in dem Maße anziehen wie Menschen, doch... Hmmmm. Ein faszinierender Gedanke. Ich frage mich...« Sie tätschelte Tomas' Bein auf die gleiche Art wie vorher sein Pferd und wandte sich gedankenverloren ab. Der Behüter ließ sein Pferd hinterhertraben.

»Wenn du auch nur einen Schritt in Richtung Westwald reitest«, sagte Faile gelassen, »ziehe ich dich am Ohr zur Schenke zurück und stecke dich persönlich ins Bett.« »Ich habe überhaupt nicht an so etwas gedacht«, log Perrin und ließ Traber wenden, damit er dem Wald den Rücken zuwandte. Ein Mann und ein Ogier würden vielleicht der Aufmerksamkeit ihrer Feinde entgehen und sicher zurück in die Berge gelangen. Eventuell. Das Wegetor mußte endgültig verschlossen werden, wenn Emondsfeld eine Überlebenschance haben sollte. »Du hast es mir doch ausgeredet, oder hast du das schon vergessen?« Ein anderer einzelner Mann könnte sie auf dem Weg vielleicht aufspüren, wenn er wußte, wohin sie wollten. Drei Paar Augen sahen mehr als nur zwei, besonders, wenn das eine Augenpaar zu ihm gehörte, und hier konnte er sowieso nichts ausrichten. Wenn er seine Kleider mit Stroh ausstopfte und auf Traber setzte, würde das genausoviel bewirken.

Plötzlich hörte er durch das anhaltende Geschrei in ihrer Umgebung hindurch schärfere Rufe und Lärm vom Süden her, aus der Nähe der Alten Straße.

»Und er hat behauptet, sie würden so schnell noch nicht wiederkommen!« grollte er und trieb Traber seine Fersen in die Flanken.

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