45 Das Schwert des Kesselflickers

Er galoppierte mit Faile auf den Fersen durch das Dorf und fand die Männer an der Südseite in einer dicht gedrängten Menge vor. Sie spähten über die geräumten Felder hinweg und unterhielten sich in gedämpftem Tonfall. Einige hatten die Bögen halb gespannt. Zwei Wagen versperrten die Lücke im Dornenwald der zugespitzten Pfähle, die man für die Alte Straße gelassen hatte. Die nächste der noch stehenden niedrigen Steinumgrenzungen, die ein Tabakfeld schützte, lag fünfhundert Schritt entfernt, und zwischen ihr und dem Dorf gab es nichts Höheres als Gerstenstoppeln. Doch in dem Stück Boden davor steckten Pfeile, als wüchsen sie wie Unkraut. In größerer Entfernung quollen Rauchwolken in den Himmel, ein Dutzend oder mehr, einige davon so dick, als brannten ganze Felder.

Cenn Buie war da und Hari und Darl Coplin. Bili Congar hatte den Arm um die Schultern seines Cousins Wit gelegt, Daises knochigen Mann, der aussah, als habe er es gar nicht gern, wenn Bilis Atem ihn streifte. Keiner roch nach Angst — nur Aufregung konnte Perrin da wittern. Und Bili roch nach Bier. Mindestens zehn Männer versuchten gleichzeitig, ihm zu erzählen, was passiert sei. Ein paar davon überschrien die anderen.

»Die Trollocs haben hier auch probiert anzugreifen«, schrie Hari Coplin, »aber wir haben es ihnen gezeigt, oder?« Es gab zustimmendes Gemurmel, aber genauso viele blickten einander zweifelnd an und traten nervös von einem Fuß auf den anderen. »Wir haben hier auch Helden«, sagte Darl mit lauter, rauher Stimme. »Euer Haufen oben am Wald ist nicht der einzige, der etwas geleistet hat.« Er war größer als sein Bruder, hatte jedoch das gleiche wieselspitze Gesicht, das so typisch für die Coplins war, und den gleichen schmalen Mund, der wirkte, als habe er gerade eben in eine grüne Dattelpflaume gebissen. Als er glaubte, daß Perrin nicht herschaute, warf er ihm einen gehässigen Blick zu. Was er gesagt hatte, hieß auch nicht unbedingt, daß er lieber oben am Westwald gewesen wäre. Darl und Hari und die meisten ihrer Verwandten schafften es jedoch fast immer, sich selbst als die Betrogenen darzustellen, gleich, worum es gerade ging.

»Darauf müssen wir einen trinken!« rief der alte Bili, und dann machte er eine enttäuschte Miene, als keiner einstimmte.

Ein Kopf hob sich kurz über den Rand der entfernten Mauer und duckte sich schnell wieder, aber Perrin hatte das leuchtend gelbe Wams bereits entdeckt. »Keine Trollocs«, grollte er angewidert. »Kesselflicker! Ihr habt auf Tuatha'an geschossen! Räumt diese Wagen zur Seite.« Er stellte sich in den Steigbügeln auf und legte die Hände als Schalltrichter um den Mund. »Ihr könnt herkommen!« schrie er. »Alles ist in Ordnung! Keiner wird Euch etwas tun! Ich sagte doch, Ihr solltet die Wagen wegschieben«, fauchte er die Männer an, die herumstanden und ihn mit großen Augen anblickten. Kesselflicker mit Trollocs zu verwechseln! »Und geht raus, holt Eure Pfeile wieder. Irgendwann werdet Ihr sie wirklich brauchen.« Ein paar bequemten sich nun langsam, und so schrie er inzwischen wieder: »Keiner tut Euch etwas! Es ist alles in Ordnung! Kommt nur!« Die Wagen wurden mit quietschenden Achsen jeder auf eine Seite geschoben. Offensichtlich mußten die Achsen dringend geschmiert werden.

Ein paar buntgekleidete Tuatha'an kletterten über die Mauer, dann noch ein paar, und sie trotteten zögernd und offenbar auf wundgelaufenen Füßen auf das Dorf zu. Sie schienen beinahe genausoviel Angst vor dem zu haben, was vor ihnen lag, wie vor dem, was hinter ihnen liegen mochte. Beim Anblick der aus dem Dorf herauslaufenden Männer rückten sie noch ein wenig enger zusammen und wirkten, als wollten sie wieder weglaufen, sogar dann, als die Leute von den Zwei Flüssen an ihnen vorbeiliefen, um nach einigen neugierigen Seitenblicken die Pfeile aus dem Boden zu ziehen. Dennoch stolperten sie weiter.

In Perrins Innerem zog sich alles zusammen, und ihm wurde eiskalt. Vielleicht zwanzig Männer und Frauen kamen da auf sie zu. Einige von ihnen trugen kleine Kinder, und eine Handvoll älterer Kinder rannte nebenher, ihre bunte Kleidung zerrissen und voller Schmutz. Und auf einigen Gesichtern befanden sich Blutspuren, stellte er fest, als sie näher kamen. Das war alles. Wie viele hatten sich im Lager befunden? Dann erspähte er zum Glück Raen, der wie betäubt durch den Schmutz schlurfte und von Ila geführt wurde. Die eine Hälfte ihres Gesichts war dick angeschwollen und dunkel verfärbt. Wenigstens sie hatten es überlebt.

Ein kurzes Stück vor der Öffnung im Pfahlwald blieben die Tuatha'an stehen und blickten sich nervös um. Zugespitzte Pfähle und eine Menge bewaffneter Männer. Ein paar der Kinder klammerten sich an die Erwachsenen und bargen ihre Gesichter in deren Kleidung. Sie rochen nach Furcht und Entsetzen. Faile sprang vom Pferd und lief zu ihnen hin, aber obwohl Ila sie umarmte, traten sie keinen Schritt näher heran. Doch die ältere Frau schien sich von der jüngeren beruhigen zu lassen.

»Wir werden Euch nichts tun«, sagte Perrin. Ich hätte sie zum Mitkommen zwingen müssen. Licht, seng mich, ich hätte sie zwingen sollen! »Ihr seid willkommen an unseren Feuern.« »Kesselflicker!« Hari verzog verächtlich den Mund. »Was wollen wir mit einem Haufen diebischer Kesselflicker? Die klauen doch alles, was nicht festgenagelt ist.« Darl öffnete den Mund, zweifellos um Hari zu unterstützen, aber bevor er etwas sagen konnte, rief jemand aus der Menge: »Das tust du doch auch, Hari! Und du klaust auch noch die Nägel!« Spärliches Gelächter ließ Darl den Mund wieder schließen. Es lachten aber nicht viele, und auch die paar beäugten die abgerissenen Tuatha'an und blickten dann verlegen zu Boden.

»Hari hat recht!« rief Daise Congar, die sich durch die Menge schob, indem sie einfach rechts und links die Leute wegschubste. »Kesselflicker stehlen, und nicht nur Sachen! Sie stehlen Kinder!« Sie schubste sich bis zu Cenn Buie durch und hielt ihm mahnend einen ausgestreckten Zeigefinger unter die Nase, der ebenso dick war wie Cenns Daumen. Er zog sich vor ihr zurück, soweit das in dieser Menschenansammlung möglich war. Sie überragte ihn um mindestens einen Kopf und wog bestimmt um die Hälfte mehr als er. »Du sollst ja wohl im Rat der Gemeinde hocken, aber wenn du nicht auf die Seherin hören willst, werde ich die Versammlung der Frauen einschalten, und dann kümmern wir uns darum.« Ein paar der Männer nickten und murmelten zustimmend.

Cenn kratzte sich im lichten Haar und beobachtete die Seherin von der Seite her. »Ääääh, also..., Perrin«, sagte er gedehnt mit seiner krächzenden Stimme, »du weißt ja, die Kesselflicker haben einen gewissen Ruf, und... « Er brach ab und sprang zurück, als Perrin Traber herumriß, um diesen Menschen der Zwei Flüsse in die Gesichter sehen zu können.

Einige rannten erschreckt vor dem Hengst davon, doch das war Perrin gleich. »Wir werden niemanden abweisen«, sagte er mit mühsam unterdrücktem Zorn in der Stimme. »Niemanden! Oder wollt Ihr etwa den Trollocs diese Kinder schicken?« Eines der Tuatha'an Kinder begann zu weinen, ein durchdringendes Klagen, und er verwünschte seine Worte, doch Cenns Gesicht färbte sich puterrot, und selbst Daise blickte zerknirscht drein.

»Natürlich nehmen wir sie auf«, sagte der Dachdecker unwirsch. Dann fuhr er Daise an, wobei er sich aufplusterte wie ein aufgeregter Gockel, der bereit ist, auf den Hofhund loszugehen: »Und wenn du die Versammlung der Frauen einschalten und dagegen aufbringen willst, dann wird Euch der Rat der Gemeinde den Mund stopfen! Wart's nur ab!« »Du warst schon immer ein alter Narr, Cenn Buie«, schnaubte Daise. »Glaubst du, wir würden dich Kinder zu den Trollocs hinausschicken lassen?« Cenns Kinnlade bewegte sich verkrampft, doch bevor er ein Wort herausbringen konnte, drückte ihm Daise eine Hand auf die schmale Brust und schob ihn beiseite. Sie setzte ein schwaches Lächeln auf und ging hinaus zu den Tuatha'an. Dort angekommen, legte sie beruhigend den Arm um Ila.

»Kommt nur einfach mit mir, und ich sorge dafür, daß Ihr baden und Euch ausruhen könnt. Die Häuser sind zwar überfüllt, aber wir finden schon Platz für alle. Kommt.« Marin al'Vere eilte durch die Menge heran und dazu Alsbet Luhhan, Natti Cauthon, Neysa Ayellin und weitere Frauen. Sie nahmen die Kinder hoch oder die Tuatha'an-Frauen in den Arm und führten sie weg. Dabei schimpften sie mit den Männern, weil sie nicht schnell genug Platz machten. Nicht, daß irgend jemand unwillig gewesen wäre, doch es war nicht so leicht, mitten in der Menschenmenge auszuweichen und eine Gasse zu öffnen.

Faile warf Perrin einen bewundernden Blick zu, aber er schüttelte den Kopf. Das war nicht das Werk eines Ta'veren. Vielleicht brauchte man manchmal den Holzhammer bei den Menschen der Zwei Flüsse, aber wenn sie etwas einsahen, dann handelten sie auch dementsprechend. Selbst Hari Coplin wirkte nicht mehr so unwirsch, als er zusah, wie man die Kesselflicker ins Dorf führte. Nun ja, nicht ganz so unwirsch. Man konnte natürlich keine Wunder erwarten.

Raen schlurfte vorbei und blickte mit trüben Augen zu Perrin auf. »Der Weg des Blatts ist der einzig richtige. Alles stirbt zu seiner vorbestimmten Zeit, und... « Er brach ab, als könne er sich nicht mehr daran erinnern, was er hatte sagen wollen.

»Sie kamen letzte Nacht«, sagte Ila mühsam und offensichtlich unter Schmerzen, da ihr Gesicht so verschwollen war. Ihr Blick war beinahe genauso leer wie der ihres Mannes. »Die Hunde hätten uns vielleicht zur Flucht verhelfen können, aber die Kinder des Lichts hatten ja alle Hunde getötet und... Wir konnten überhaupt nichts tun.« Hinter ihr schauderte Aram in seinem gelbgestreiften Wams zusammen, und er blickte die vielen bewaffneten Männer verängstigt an. Die meisten Kinder der Kesselflicker weinten mittlerweile.

Perrin sah mit gerunzelter Stirn hinüber, wo sich im Süden eine Rauchwolke erhob. Wenn er sich im Sattel herumdrehte, konnte er im Norden und im Osten weitere entdecken. Selbst wenn die meisten davon von Häusern stammten, die sowieso schon verlassen waren, hatten die Trollocs doch ganze Arbeit geleistet. Wie viele mußten es gewesen sein, um eine so große Anzahl von Bauernhöfen anzustecken? Klar, sie konnten von einem zum anderen gelaufen sein und sich dann lediglich die Zeit genommen haben, um eine Fackel in ein leeres Haus oder auf ein unbewachtes Feld zu werfen, aber trotzdem... Vielleicht waren es noch mal genauso viele gewesen, wie sie heute getötet hatten. Was sagte das aus in bezug auf die Anzahl der Trollocs, die sich bereits an den Zwei Flüssen befand? Es schien unmöglich, daß eine einzige Horde all dies angerichtet haben konnte, all die Häuser niederzubrennen und auch den Wagenzug der Tuatha'an zu zerstören.

Als sein Blick wieder auf die Tuatha'an fiel, während sie weggeführt wurden, fühlte er Verlegenheit in sich aufsteigen. Sie hatten zugesehen, wie letzte Nacht all ihre Verwandten getötet worden waren, während er kaltblütig nur an Zahlen dachte. Er konnte hören, wie sich einige der Männer von den Zwei Flüssen leise darüber unterhielten, welche Rauchwolke wohl von welchem Hof stammen mochte. Für all diese Menschen bedeuteten jene Brände wirkliche Verluste, nicht nur kalte Zahlen. Er war hier nutzlos. Jetzt, wo Faile damit beschäftigt war, sich um die Kesselflicker zu kümmern, war der richtige Zeitpunkt gekommen, Loial und Gaul zu folgen.

Meister Luhhan in seiner Weste mit der langen Lederschürze packte Trabers Zügel. »Perrin, du mußt mir helfen. Die Behüter wollen, daß ich weitere Teile für die Katapulte anfertige, aber mindestens zwanzig Mann wollen gleichzeitig, daß ich Teile von Rüstungen repariere, die von den närrischen Großvätern ihrer Großväter von irgendwelchen dummen Leibwächtern gekauft wurden.« »Ich würde Euch ja gern helfen«, sagte Perrin, »aber es gibt da etwas anderes, das unbedingt erledigt werden muß. Wahrscheinlich bin ich auch etwas aus der Übung. Ich habe das letzte Jahr über nur selten in einer Schmiede gearbeitet.« »Licht, so habe ich das nicht gemeint. Ich wollte doch nicht, daß du mit dem Hammer arbeitest.« Der Schmied klang ganz erschrocken. »Jedesmal, wenn ich einen dieser Schafsköpfe mit einem Auftrag losschicke, kommt er zehn Minuten später mit einer anderen Ausrede zurück. Alle stehen mir im Weg herum. Ich kann einfach nicht richtig arbeiten. Aber auf dich werden sie hören.« Perrin bezweifelte das. Wenn sie schon nicht einmal auf Meister Luhhan hörten... Abgesehen davon, daß er Mitglied des Rates der Gemeinde war, war Haral Luhhan eben auch groß genug, um beinahe jeden Mann an den Zwei Flüssen hochheben und durch die Luft schleudern zu können. Also ritt er eben mit zu der improvisierten Schmiede, die Meister Luhhan in einem seitlich geöffneten, roh zusammengezimmerten Schuppen in der Nähe des Angers untergebracht hatte. Sechs Männer drängten sich um die Ambosse, die sie aus der von den Weißmänteln niedergebrannten Schmiede gerettet hatten. Ein anderer pumpte lässig an einem großen, ledernen Blasebalg, bis ihn der Schmied schließlich mit einem Schrei von den Handgriffen wegscheuchte. Zu Perrins Überraschung hörten sie wirklich auf ihn, als er sie wegschickte, und zwar ohne große Reden schwingen und sie dem Willen eines Ta'veren unterwerfen zu müssen, sondern nur auf die einfache Bemerkung hin, daß Meister Luhhan beschäftigt sei. Das hätte der Schmied durchaus selbst fertigbringen können, doch der schüttelte Perrin die Hand und dankte ihm überschwenglich, bevor er sich an die Arbeit machte.

Perrin beugte sich aus Trabers Sattel hinunter und packte einen der Männer an der Schulter, einen glatzköpfigen Bauern namens Get Eldin. Er forderte ihn auf, dazubleiben und jeden wegzuschicken, der Meister Luhhan belästigen wolle. Get mußte wohl dreimal so alt sein wie er, aber der Mann mit dem ledrigen, runzligen Gesicht nickte nur und bezog Posten in der Nähe Harals, der seinen Hammer auf heißes Eisen niederschmetterte. Jetzt konnte er weg, bevor Faile wieder auftauchte.

Doch kaum hatte er Traber wenden lassen, da tauchte Bran auf mit dem Speer auf der Schulter und der Stahlkappe unter einem kräftigen Arm. »Perrin, es muß doch möglich sein, die Schaf- und Viehhirten schneller hereinzuholen, wenn wir wieder angegriffen werden. Obwohl er die besten Läufer des Dorfs ausgeschickt hat, konnte Abell nicht einmal die Hälfte von ihnen zurückholen, bevor die Trollocs aus dem Wald brachen.« Dieses Problem war leicht zu lösen, denn er erinnerte sich an ein altes Signalhorn, beinahe schwarz angelaufen, das Cenn Buie an der Wand hängen hatte. Er entschied sich für ein Signal von drei langen Hornstößen, die auch der am weitesten entfernte Schafhirte hören würde. Dadurch kam das Gespräch auf weitere Signale, wie zum Beispiel eines, das alle an ihre Plätze schicken würde, wenn man einen Angriff erwartete. Das wiederum führte zu der Frage, woher man erfuhr, wann ein Angriff zu erwarten sei. Bain und Chiad und die Behüter erwiesen sich durchaus als gewillt, als Späher zu dienen, doch vier reichten wohl kaum aus. Also mußte man gute Waldläufer und Spurensucher finden und sie mit Pferden ausstatten, damit sie Emondsfeld auch erreichen konnten, bevor von ihnen beobachtete Trollocs da waren.

Anschließend mußte er Buel Dowtry beruhigen. Der weißhaarige, alte Pfeilmacher, dessen Nase beinahe so spitz war wie die Spitze eines Hammerkopfpfeils, wußte recht gut, daß die meisten Bauern ihre eigenen Pfeile anfertigten, aber er ereiferte sich endlos, weil er nicht wollte, daß ihm ein Ungelernter hier im Dorf half. Als könne er allein jeden Köcher im Dorf füllen... Perrin wußte hinterher selbst kaum zu sagen, wie er Buels schlechte Laune beruhigt hatte, aber irgendwie hatte er es geschafft, ihm eine ganze Gruppe von Jungen anzuhängen, denen er mit fröhlicher Miene beibrachte, wie man Gänsefedern ans Ende des Pfeils bindet und festklebt.

Edward Candwin, der stämmige Küfer, hatte ein anderes Problem. Da so viele Menschen im Dorf schließlich auch viel Wasser brauchten, mußte er mehr Eimer und Fässer anfertigen, als er ohne Hilfe schaffen konnte. Allein hätte er Wochen dafür gebraucht. Es dauerte nicht lange, dann waren fleißige Hände gefunden, die zumindest einmal Dauben auskehlen konnten. Aber immer mehr Menschen kamen mit Fragen und Problemen, und alle schienen zu glauben, nur Perrin könne ihnen die notwendigen Antworten liefern — ob es nun darum ging, wo man die Leichen der getöteten Trollocs verbrennen solle, oder ob es nun sicher sei, zu den eigenen Höfen zurückzukehren, um alles zu retten, was noch zu retten sei. Die letztere Frage beantwortete er jedesmal mit einem klaren »Nein«, wenn sie ihm wieder gestellt wurde, und das geschah oft. Die Männer und Frauen beobachteten besorgt die Rauchwolken draußen auf dem Land und hätten doch gern etwas unternommen. Ansonsten fragte er meist zurück, was der Frager denn für eine gute Lösung hielt, und dann riet er ihm, genau das zu tun. Nur selten mußte er sich eine eigene Lösung einfallen lassen. Die Leute wußten durchaus, was zu tun war, doch sie hatten einfach die unsinnige Angewohnheit entwickelt, ihn um Rat zu fragen.

Dannil und Ban und die anderen fanden ihn und bestanden darauf, ihm mit der Flagge überall hinterherzureiten, als sei die große drüben auf dem Anger nicht schon schlimm genug. Schließlich schickte er sie fort, die Männer zu bewachen, die zurück in den Westwald gegangen waren, um noch mehr Bäume zu fällen. Offensichtlich hatte ihnen Tam eine Geschichte über eine Truppe erzählt, die sich die ›Kameraden‹ nannte. Das war in Illian, und diese Soldaten ritten mit dem General eines Heeres mit und wurden dort eingesetzt, wo der Kampf am heißesten tobte. Ausgerechnet Tam mußte so etwas erzählen! Nun, wenigstens nahmen sie die Flagge mit. Perrin war sich richtig idiotisch vorgekommen, als sie das Ding hinter ihm herschleppten.

Mitten am Vormittag ritt Luc ein, ganz und gar goldhaarige Arroganz. Er nickte gnädig auf ein paar Hurrarufe hin. Es blieb ein Geheimnis, warum irgend jemand ihm zujubeln sollte. Er brachte eine Trophäe mit, die er aus einem Lederbeutel zog und auf einen Speer am Rand des Angers stecken ließ, damit jedermann sie sehen konnte: den augenlosen Kopf eines Myrddraal. Der Kerl war bescheiden. Ganz nebenbei erwähnte er, den Blassen getötet zu haben, als er auf eine Horde Trollocs stieß. Bewundernde Begleiter brachten ihn zum Schlachtfeld am Rand des Dorfs — sie nannten es mittlerweile großspurig ›Schlachtfeld‹ —, wo Pferde die Leichen der Trollocs wegschleiften, damit man sie auf große Scheiterhaufen werfen konnte, von denen bereits öligschwarzer Qualm aufstieg. Luc drückte ihnen pflichtbewußt seine Bewunderung aus und kritisierte lediglich ein- oder zweimal, wie Perrin seine Männer postiert hatte. Das hatten ihm die Einheimischen so berichtet, als habe Perrin die ganze Zeit über tatsächlich die Befehle ausgegeben. So wirkte es anscheinend auf die Menschen.

Perrin bekam von Luc ein joviales Lächeln der Anerkennung. »Das habt Ihr sehr gut gemacht, mein Junge. Natürlich habt Ihr Glück gehabt, aber das ist eben Anfängerglück, wie es im Buche steht.« Als er sich in sein Zimmer in der Weinquellenschenke zurückzog, ließ Perrin den Kopf wieder abnehmen und verscharren. Es war nicht richtig, daß alle Leute ihn anstarren konnten, vor allem auch die Kinder.

Die Fragerei hörte nicht auf, bis ihm schließlich bewußt wurde, daß die Sonne senkrecht über ihm am Himmel stand, er immer noch nichts gegessen hatte und ihm sein Magen diese Tatsache unmißverständlich meldete. »Frau al'Caar«, sagte er erschöpft zu der Frau mit dem langen Gesicht neben seinem Steigbügel, »ich denke, die Kinder können ruhig überall spielen, solange jemand auf sie aufpaßt und dafür sorgt, daß sie sich nicht von den Häusern entfernen. Licht, Frau, das wißt Ihr doch selbst. Ihr kennt doch Kinder viel besser als ich! Wenn nicht, wie habt Ihr es dann fertiggebracht, vier davon großzuziehen?« Ihr Jüngster war sechs Jahre älter als er selbst!

Nela al'Caar runzelte die Stirn und warf den Kopf zurück. Ihr graumelierter Zopf schaukelte. Einen Augenblick lang glaubte er, sie werde ihm die Nase abbeißen, weil er so mit ihr gesprochen hatte. Er wünschte sich das sogar fast, denn das wäre wenigstens normal gewesen und eine Abwechslung in diesem Einerlei von Ratsuchenden. »Natürlich kenne ich Kinder«, sagte sie. »Ich wollte nur sichergehen, daß Ihr nichts dagegen habt. Also werden wir es so machen.« Seufzend wartete er, bis sie weggegangen war, und dann ließ er Traber wenden und lenkte ihn zur Weinquellenschenke. Zwei oder drei Stimmen riefen nach ihm, aber er weigerte sich hinzuhören. Ob er nichts dagegen habe. Was war denn nur mit diesen Leuten los? Die Menschen der Zwei Flüsse verhielten sich doch nicht so. Und ganz bestimmt nicht die aus Emondsfeld. Sie wollten überall mitreden. Streitigkeiten vor dem Rat der Gemeinde, ja sogar unter den Ratsmitgliedern selbst, mochten durchaus zu Handgreiflichkeiten führen, ohne besonderes Aufsehen zu erregen. Und obwohl die Mitglieder der Versammlung der Frauen ihre Streitigkeiten unter Ausschluß der Öffentlichkeit austrugen, wußte doch jeder Mann Bescheid, wenn er die Frauen mit vorgestrecktem Kinn herumstolzieren sah und ihre Zöpfe aussahen, als wollten sie sich wie der Schweif einer wütenden Katze aufstellen.

Alles, was ich will? fragte er sich zornig. Was ich will, ist etwas zum Essen und das irgendwo, wo mir niemand ins Ohr sabbert. Er stieg vor der Schenke vom Pferd, taumelte und fügte in Gedanken der Liste noch ein Bett hinzu. Es war erst Mittag, und schließlich hatte Traber die Hauptarbeit geleistet, und doch war er bis auf die Knochen erschöpft. Vielleicht hatte Faile ja recht gehabt und es war kein guter Einfall, hinter Loial und Gaul herzureiten.

Als er in den Schankraum trat, sah ihn Frau al'Vere nur einmal kurz an und beförderte ihn mit mütterlichem Lächeln sofort auf einen Stuhl. »Du wirst einfach eine Weile lang darauf verzichten müssen, Befehle auszugeben«, sagte sie ihm mit entschlossener Stimme. »Emondsfeld wird sehr wohl eine Stunde lang aus eigener Kraft überleben, während du etwas zu dir nimmst.« Sie huschte weg, bevor er erwidern konnte daß Emondsfeld sehr wohl ganz ohne ihn überleben könne.

Der Raum war fast leer. Natti Cauthon saß an einem der Tische, rollte Binden auf und stapelte sie vor sich auf die Tischfläche. Gleichzeitig brachte sie es aber fertig, ihre Töchter auf der anderen Seite des Raums im Auge zu behalten, obwohl beide alt genug waren, um das Haar zum Zopf zu flechten. Ihr Grund war allerdings leicht zu entdecken. Bode und Eldrin saßen rechts und links von Aram und versuchten, den Kesselflicker zum Essen zu überreden. Sie fütterten ihn sogar und wischten ihm das Kinn ab. So, wie sie den Burschen anhimmelten, wunderte sich Perrin, daß Natti nicht am gleichen Tisch saß, Zopf oder auch nicht. Der Bursche sah wahrscheinlich vom Standpunkt einer Frau gesehen sehr gut aus, besser noch als Wil al'Seen. Bode und Eldrin schienen offensichtlich dieser Meinung zu sein. Aram erwiderte von Zeit zu Zeit das Lächeln. Sie waren ja auch auf ihre mollige Art sehr hübsche Mädchen, und er wäre blind gewesen, hätte er das nicht bemerkt. Perrin hielt Aram keineswegs für blind, was Mädchen betraf. Aber er brachte kaum einen Bissen herunter, da wanderte sein glasiger Blick schon wieder hinüber zu den Speeren und Hellebarden, die an die Wand gelehnt auf der anderen Seite des Raums standen. Für einen Tuatha'an mußte das ein schrecklicher Anblick sein.

»Frau al'Vere sagte, du seist endlich des Herumsitzens im Sattel müde geworden«, sagte Faile, die durch die Küchentür eintrat. Überraschenderweise trug sie eine lange, weiße Schütze wie Marin. Die Ärmel hatte sie bis an die Ellbogen hochgekrempelt, und an ihren Händen klebte Mehl. Als werde ihr das gerade erst bewußt, wischte sie sich die Hände schnell an der Schürze ab und legte die dann über eine Stuhllehne. »Ich habe noch nie etwas gebacken«, sagte sie im Herüberkommen und rollte die Ärmel herunter. »Es macht eigentlich Spaß, Teig zu kneten. Vielleicht mache ich das mal wieder.« »Wenn du nicht bäckst«, bemerkte er vorsichtig, »woher sollen wir dann Brot bekommen? Ich habe nicht vor, mein ganzes Leben auf Reisen zu verbringen und in der Schenke zu essen oder nur dann, wenn ich etwas mit der Falle oder mit Pfeil und Bogen oder der Schleuder erwische.« Sie lächelte, als habe er ihr ein Kompliment oder Ähnliches gemacht. Warum sie so lächelte, war ihm absolut nicht klar. »Natürlich wird die Köchin das Backen übernehmen. Oder wahrscheinlich eine Küchenhelferin, aber die Köchin wird schon aufpassen.« »Die Köchin«, murmelte er kopfschüttelnd. »Oder eine Küchenhelferin. Sicher. Warum habe ich nicht gleich daran gedacht?« »Was ist los, Perrin? Du schaust so besorgt drein. Ich glaube nicht, daß wir, von einer Festungsmauer abgesehen, bessere Verteidigungsanlagen finden werden.« »Das ist es nicht, Faile. Dieses Getue mit Perrin Goldauge wird langsam zuviel. Ich weiß nicht, wer sie glauben, daß ich bin, aber ständig fragen sie mich, was sie tun sollen und ob ich nichts dagegen hätte, obwohl sie genau wissen, was zu tun ist oder innerhalb von zwei Minuten Nachdenkens selbst darauf kommen können.« Ein Weilchen betrachtete sie sein Gesicht mit nachdenklichen, dunklen, schrägstehenden Augen, und dann sagte sie: »Wie viele Jahre ist es her, daß die Königin von Andor hier tatsächlich ihre Herrschaft ausübte?« »Die Königin von Andor? Ich weiß es nicht. Hundert Jahre vielleicht. Zweihundert. Was spielt das schon für eine Rolle?« »Diese Menschen erinnern sich nicht daran, wie man mit einer Königin umgeht — oder einem König. Sie versuchen, es herauszubekommen. Du mußt Geduld mit ihnen haben.« »Mit einem König?« fragte er mit weichen Knien. Er ließ den Kopf auf die auf dem Tisch liegenden Arme sinken. »Oh, Licht!« Faile lachte leise und fuhr ihm mit den Fingern durchs Haar. »Na ja, vielleicht nicht gerade das. Ich denke, Morgase hätte etwas dagegen. Aber wenigstens ein General oder so etwas. Ein Mann, der ihr Gebiete zurückbrächte, die sie hundert Jahre lang oder länger nicht mehr beherrscht hat, käme ihr bestimmt gelegen. Den würde sie wahrscheinlich in den Adelsstand erheben. Perrin aus dem Hause Aybara, Lord der Zwei Flüsse. Das klingt doch gut.« »Wir brauchen in den Zwei Flüssen keinen Lord«, grollte er in Richtung der eichenen Tischplatte. »Genausowenig wie Königinnen und Könige. Wir sind freie Menschen!« »Auch freie Menschen wollen einmal jemandem folgen«, sagte sie sanft. »Die meisten Menschen wollen an etwas glauben, das größer ist als sie selbst, das weiter reicht als bis zur Grenze ihrer eigenen Felder. Deshalb gibt es Staaten, Perrin, und Völker. Selbst Raen und Ila sehen sich als Teil von etwas Größerem als ihrem eigenen Wagenzug. Sie haben wohl nun ihre Wohnwagen und die meisten Mitglieder ihrer Familien oder der ihrer Freunde verloren, aber andere Tuatha'an suchen immer noch nach dem Lied und auch sie werden es wieder, denn sie gehören zu etwas, das weit über ihre wenigen Wohnwagen hinausreicht.« »Wem gehören die?« fragte Aram plötzlich.

Perrin hob den Kopf. Der junge Kesselflicker war aufgestanden und betrachtete nervös die Speere an der Wand. »Sie gehören jedem, der einen davon braucht, Aram. Keiner wird dir mit einem davon etwas antun, glaube mir.« Er war sich nicht sicher, ob ihm Aram das abnahm, so wie er jetzt langsam im Raum auf und ab tigerte, die Hände in die Taschen gesteckt, und aus den Augenwinkeln die Speere und Hellebarden betrachtete.

Perrin war mehr als dankbar, als ihm Marin einen Teller mit Gänsebrustscheiben, Zwiebeln, Erbsen und gutem Krustenbrot hinstellte. Er wollte richtig zulangen, doch da steckte ihm Faile eine mit Blumen bestickte Serviette unters Kinn und schnappte ihm Messer und Gabel aus der Hand. Sie schien es lustig zu finden, ihn auf die gleiche Art zu füttern, wie es Bode und Eldrin mit Aram getan hatten. Die Cauthon-Mädchen kicherten seinetwegen und auch Marin und Natti lächelten ein wenig. Perrin konnte daran allerdings nichts Erheiterndes finden. Doch er war gewillt, Failes Launen zu ertragen, obwohl er allein leichter gegessen hätte. Bei ihr mußte er immer den Hals so verdrehen, um alles hineinzubekommen, was sie ihm auf der Gabel reichte.

Aram drehte drei langsame Runden um den Raum, bevor er am Fuß der Treppe stehenblieb und das Faß mit der eigenartigen Auswahl an Schwertern anblickte. Dann streckte er die Hand aus und zog ein Schwert aus dem Bündel. Er hielt es ungeschickt. Der lederumwickelte Griff war lang genug, um es mit beiden Händen zu halten. »Kann ich das benützen?« fragte er.

Perrin erstickte beinahe an seinem Essen.

Alanna erschien am oberen Ende der Treppe, zusammen mit Ila. Die Tuatha'an-Frau schien erschöpft, doch die Schwellung war aus ihrem Gesicht verschwunden. »... am besten wäre, jetzt zu schlafen«, sagte die Aes Sedai gerade. »Es ist vor allem der Schock, unter dem er leidet, und den kann ich auch mit Hilfe der Macht nicht heilen.« Ilas Blick fiel auf ihren Enkel und auf das, was er in Händen hielt, und sie schrie, als sei die Klinge in ihr eigenes Fleisch gefahren. »Nein, Aram! Neeeein!« Sie stürzte beinahe die Treppe hinunter in ihrer Hast und warf sich auf Aram bei dem Versuch, seine Hände vom Schwertgriff zu reißen. »Nein, Aram«, schnaufte sie atemlos, »das darfst du nicht! Leg es weg! Der Weg des Blatts. Das darfst du nicht! Der Weg des Blatts! Bitte, Aram! Bitte!« Aram tanzte mit ihr, wehrte sie ungeschickt ab und versuchte, das Schwert auf der anderen Seite zu halten, damit sie nicht herankam. »Warum nicht?« schrie er zornig. »Sie haben Mutter getötet! Ich habe zugesehen! Ich hätte sie retten können mit einem Schwert! Ich hätte sie retten können!« Diese Worte schnitten tief in Perrins Brust. Ein Kesselflicker mit einem Schwert erschien ihm unnatürlich. Ihm standen dabei fast die Haare zu Berge, doch diese Worte... Seine Mutter. »Laßt ihn in Ruhe«, sagte er grober, als er vorgehabt hatte. »Jeder Mann hat ein Recht, sich zu verteidigen, seine Fam... Er hat ein Recht darauf.« Aram hielt Perrin sein Schwert hin. »Bringt Ihr mir bei, wie man es benutzt?« »Ich kann das auch nicht«, sagte Perrin. »Aber Ihr findet schon jemanden.« Über Ilas schmerzverzerrtes Gesicht rannen die Tränen. »Die Trollocs haben mir die Tochter genommen«, schluchzte sie, wobei sie am ganzen Körper bebte, »und alle meine Enkel bis auf einen, und den nehmt Ihr mir nun. Er ist verloren, und Ihr seid schuld daran, Perrin Aybara. Ihr seid im Herzen ein Wolf geworden, und jetzt macht Ihr auch aus ihm einen.« Sie wandte sich um und stolperte die Treppe wieder hinauf. Sie wurde dabei immer noch vom Schluchzen durchgeschüttelt.

»Ich hätte sie retten können!« schrie ihr Aram hinterher. »Großmutter! Ich hätte sie retten können!« Sie blickte nicht um, und als sie um die Ecke verschwand, sackte er weinend gegen das Geländer. »Ich hätte sie retten können, Großmutter. Ich hätte... « Perrin wurde bewußt, daß auch Bode weinte, das Gesicht in den Händen verborgen, und die anderen Frauen blickten ihn finster an, als habe er etwas falsch gemacht. Nein, nicht alle. Alanna musterte ihn vom oberen Ende der Treppe aus mit der undurchschaubaren Ruhe einer Aes Sedai, und Failes Miene war beinahe genauso ausdruckslos.

Er wischte sich den Mund ab, warf die Serviette auf den Tisch und stand auf. Er hatte immer noch genug Zeit, um Aram zu befehlen, das Schwert zurückzustecken und sich bei Ila zu entschuldigen. Zeit, um ihm zu sagen... was eigentlich? Daß er beim nächstenmal vielleicht nicht dabei sein würde, wenn seine Lieben starben? Daß er dann vielleicht erst zurückkommen würde, um an ihren Gräbern zu stehen?

Er legte Aram eine Hand auf die Schulter und der Mann fuhr zusammen. Er duckte sich über das Schwert, als erwarte er, von ihm durchbohrt zu werden. In der Witterung des Kesselflickers lag eine Vielzahl von Gefühlen: Furcht und Haß und tiefe, tiefe Trauer. Als verloren hatte ihn Ila bezeichnet. Sein Blick wirkte verloren.

»Wascht Euer Gesicht, Aram. Dann geht und sucht Tam al'Thor. Sagt, ich schicke Euch und er solle Euch beibringen, wie man mit dem Schwert umgeht.« Langsam hob der andere seinen Kopf. »Ich danke Euch«, stammelte er und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen ab. »Ich danke Euch. Ich werde Euch das nie vergessen. Nie. Das schwöre ich.« Plötzlich hob er das Schwert und küßte die gerade Klinge. Der Knauf bestand aus einem Messing-Wolfskopf. »Ich schwöre es. Macht man das nicht so?« »Ich glaube schon«, sagte Perrin traurig. Er fragte sich, warum er eigentlich so traurig sei. Der Weg des Blatts war ein schöner Glaube, wie ein Traum vom Frieden, aber wie dieser Traum konnte er einer Welt voller Gewalt nicht standhalten. Er kannte keinen Ort, an den man davor fliehen konnte. Es war ein Traum, der für einen anderen Mann in einer anderen Zeit bestimmt sein mochte. Vielleicht sogar in einem anderen Zeitalter. »Geht nur, Aram. Ihr müßt eine Menge lernen, und vielleicht habt Ihr nicht viel Zeit dafür.« Der Kesselflicker stammelte immer noch seinen Dank und wartete nicht darauf, seine Tränen abwaschen zu können. Er rannte geradewegs aus der Schenke und trug das Schwert senkrecht vor sich in beiden Händen.

Er war sich der Reaktionen der anderen bewußt. Eldrin machte eine finstere Miene, Marin hatte die Fäuste in die Hüften gestützt und Natti die Stirn gerunzelt, ganz zu schweigen davon, daß Bode offen weinte. Perrin ging zu seinem Stuhl zurück. Alanna war von ihrem Platz oben an der Treppe verschwunden. Faile sah zu, wie er Messer und Gabel wieder in die Hände nahm. »Paßt es dir nicht?« fragte er ruhig. »Ein Mann hat ein Recht darauf, sich zu verteidigen, Faile. Selbst Aram. Niemand kann ihn zwingen, dem Weg des Blatts zu folgen, wenn er das nicht will.« »Ich habe es nicht gern, wenn ich erleben muß, wie dir etwas weh tut«, sagte sie ganz leise.

Das Messer hielt über dem Stück Gänsebraten inne.

Wehtun? Dieser Traum war nicht für ihn bestimmt. »Ich bin eben müde«, sagte er zu ihr und lächelte. Er merkte, daß sie ihm nicht glaubte.

Bevor er Zeit hatte, eine zweite Portion in den Mund zu schieben, steckte Bran den Kopf durch die Eingangstür. Er hatte wieder seine runde Stahlkappe auf. »Reiter nähern sich vom Norden her, Perrin. Eine Menge Reiter. Ich glaube, es sind Weißmäntel.« Faile schoß hinaus, während sich Perrin noch erhob, und als er schließlich draußen auf Traber saß und der Dorfvorsteher leise murmelnd probte, was er den Weißmänteln sagen wollte, kam sie auf ihrer schwarzen Stute bereits um die Ecke der Schenke geritten. Einige der Menschen arbeiteten weiter, doch die meisten liefen in Richtung Norden los. Perrin hatte es nicht besonders eilig. Es konnte durchaus sein, daß die Kinder des Lichts gekommen waren, um ihn festzunehmen. Wahrscheinlich war das der Fall. Er wollte nicht gerade in Ketten gelegt mitgenommen werden, hatte aber auch nicht vor, die Menschen hier zu bitten, seinetwegen gegen die Weißmäntel zu kämpfen. Er folgte Bran und schloß sich dem Strom von Männern und Frauen und Kindern an, die auf der Wagenbrücke über den Weinquellenbach eilten. Trabers und Schwalbes Hufe dröhnten über die dicken Holzplanken. Hier wuchsen am Bachufer einige hohe Weiden. Die Brücke befand sich am Anfang der Nordstraße, die nach Wachhügel und weiter führte. Einige der fernen Rauchwolken waren zu dünnen Rauchfahnen geschrumpft, wo die Feuer langsam verglühten.

Wo die Nordstraße das Dorf verließ, fand er zwei Wagen vor, die sie blockierten, und dahinter hatten sich mit Speeren und Pfeil und Bogen bewaffnete Männer versammelt. Sie deuteten über den Wald der geneigten Pfähle hinweg und rochen nach Erregung. Jeder unterhielt sich mit jedem, und alle drängten sich dicht zusammen, um besser sehen zu können, was die Straße herunter auf sie zukam: eine lange Doppelreihe von Reitern in weißen Umhängen, die eine Staubfahne hinter sich herzogen. Sie hatten kegelförmige Helme auf, und ihre auf Hochglanz polierten Rüstungen glänzten in der Nachmittagssonne. Die Lanzen mit ihren Stahlspitzen hielten sie alle im gleichen Winkel gesenkt. An der Spitze ritt ein jüngerer Mann mit steifem Kreuz und ernstem Gesicht, der Perrin irgendwie bekannt vorkam. Mit der Ankunft des Dorfvorstehers wurden die Stimmen leiser, und erwartungsvolle Schweigen breitete sich aus. Oder vielleicht war es auch Perrins Ankunft, die sie zur Ruhe brachte.

Etwa zweihundert Schritt von den Pfählen entfernt hob der Mann mit dem ernsten Gesicht eine Hand und die Kolonne hielt an. Scharfe Befehle wurden die Reihen hinauf durchgegeben. Er ritt sodann mit einem halben Dutzend Weißmänteln als Eskorte weiter und ließ den Blick über die Wagen, die zugespitzten Pfähle und die Männer dahinter schweifen. Seine Haltung allein zeichnete ihn als wichtige Persönlichkeit aus; die Rangknoten unter den Sonnenstrahlen auf dem Umhang wären gar nicht notwendig gewesen.

Luc war mit einemmal ebenfalls da. Er erstrahlte in feiner, roter, goldbestickter Wollkleidung auf seinem glänzend schwarzen Hengst. Möglicherweise lag es an diesem Äußeren, daß der Offizier der Weißmäntel ihn als Ansprechpartner wählte, obwohl er den Blick weiter suchend schweifen ließ. »Ich bin Dain Bornhald«, sagte er und ließ sein Pferd anhalten. »Hauptmann der Kinder des Lichts. Habt Ihr das unseretwegen aufgebaut? Ich habe gehört, daß Emondsfeld für die Kinder des Lichts verbotenes Gebiet sei, oder? Dann muß es wahrhaftig dem Schatten angehören, wenn die Kinder des Lichts es nicht betreten dürfen.« Dain Bornhald, nicht Geofram. Vielleicht ein Sohn. Nicht, daß dies eine Rolle spielte. Perrin glaubte, daß ihn der eine wie der andere hätte gefangennehmen wollen. Und richtig: Bornhalds Blick schweifte über ihn hinweg und zuckte sofort zurück. Den Mann schien ein Krampf gepackt zu haben. Eine Hand im Kampfhandschuh fuhr hinunter zu seinem Schwert, er fletschte die Zähne zu einem lautlosen Knurren, und einen Augenblick lang war Perrin sicher, der Mann würde angreifen und sein Pferd in den Dornenwald von Pfählen hineinjagen, um ihn zu erreichen. Es schien, als hasse ihn dieser Mann aus irgendeinem persönlichen Grund. Aus der Nähe schien das Gesicht etwas Schlaffes auszustrahlen. Ein Glänzen in diesen Augen erinnerte Perrin etwas an Bili Congar. Er glaubte, ganz schwach Schnaps an ihm zu riechen.

Der hohlwangige Mann neben Bornhald kam ihm nicht nur bekannt vor. Perrin würde diese tief eingesunkenen Augen, die wie dunkle Kohlen glühten, niemals vergessen. Hochgewachsen, hager und hart wie ein Amboß, so blickte ihn Jaret Byar mit haßerfüllten Augen an. Ob nun Bornhald ein Fanatiker war oder nicht, Byar war jedenfalls ganz gewiß einer.

Luc war offenbar schlau genug, Bran nicht zuvorzukommen, und schien statt dessen eingehend die Kolonne in Weiß gehüllter Männer zu studieren, als sich der Staub langsam zu Boden senkte und noch mehr Kinder des Lichts zum Vorschein brachte. Die Reihe erstreckte sich die Straße entlang, soweit man sehen konnte. Und dann blickte Bran auch noch zu Perrin hinüber und wartete das Kopfnicken eines Schmiedelehrlings ab, bevor er antwortete. Er war doch schließlich der Dorfvorsteher! Bornhald und Byar nahmen sichtlich Notiz von dem schweigenden Fragen.

»Emondsfeld ist nicht ausdrücklich für Euch geschlossen«, sagte Bran, der hochaufgerichtet und mit seinem Speer an der Seite dastand. »Wir haben uns entschlossen, uns selbst zu verteidigen, und das haben wir heute morgen auch getan. Wenn Ihr sehen wollt, wie, dann schaut dort hinüber.« Er deutete auf die Rauchwolken, die von den Scheiterhaufen der Trollocs aufstiegen. Der süßliche Geruch verbrennenden Fleisches lag in der Luft, aber niemand außer Perrin schien das zu bemerken.

»Ihr habt ein paar Trollocs umgebracht?« stellte Bornhald verächtlich fest. »Euer Glück und Euer Können verblüffen mich absolut.« »Mehr als nur ein paar!« schrie jemand aus der Menschenmenge. »Hunderte!« »Wir hatten eine Schlacht!« schrie eine andere Stimme und Dutzende anderer überschrien sich mit einemmal.

»Wir haben gegen sie gekämpft und gewonnen!« »Wo wart Ihr?« »Wir können uns ohne Hilfe von Weißmänteln verteidigen!« »Hoch die Zwei Flüsse!« »Die Zwei Flüsse und Perrin Goldauge leben hoch!« »Goldauge!« »Goldauge!« Leof, der ja eigentlich die Waldarbeiter beschützen sollte, begann, diese rote Flagge mit dem Wolfskopf zu schwenken.

Bornhalds haßerfüllter Blick umfaßte sie alle, doch Byar ließ knurrend vor Wut seinen braunen Wallach vorwärtstänzeln. »Glaubt Ihr Bauern vielleicht, daß Ihr wißt, was eine Schlacht ist?« brüllte er. »Letzte Nacht wurde eines von Euren Dörfern von den Trollocs beinahe völlig ausgelöscht! Wartet nur ab, bis sie in Mengen über Euch herfallen, und dann wünscht Ihr euch, daß Eure Mütter niemals Eure Väter geküßt hätten!« Er schwieg nach einem müden Wink Bornhalds wie ein scharfer Wachhund, der seinem Herrn gehorcht, aber seine Worte hatten die Rufer in der Menge zum Schweigen gebracht.

»Welches Dorf?« Brans Stimme klang würdevoll und gleichzeitig besorgt. »Wir haben alle Bekannte in Wachhügel und Devenritt.« »Wachhügel wurde nicht berührt«, antwortete Bornhald, »und ich weiß nichts von Devenritt. Heute morgen brachte mir ein Kurier die Nachricht, daß Taren-Fähre praktisch nicht mehr existiert. Falls Ihr dort Freunde habt — es sind viele Leute über den Fluß entkommen. Über den Fluß.« Sein Gesicht straffte sich einen Augenblick lang. »Ich habe beinahe fünfzig gute Soldaten dabei verloren.« Die Neuigkeit rief ein bedrücktes Gemurmel hervor. Niemand hörte so etwas gern, aber andererseits hatte auch keiner Bekannte in Taren-Fähre gehabt. Wahrscheinlich war keiner von ihnen jemals so weit weg gewesen.

Luc ließ sein Pferd vortreten. Der Hengst schnappte im Vorbeischreiten nach Traber. Perrin zügelte sein Tier mühsam, bevor die beiden eine Beißerei beginnen konnten. Luc schien es entweder nicht zu bemerken, oder es war ihm gleichgültig. »Taren-Fähre?« fragte er mit ausdrucksloser Stimme. »Die Trollocs haben letzte Nacht Taren-Fähre angegriffen?« Bornhald zuckte die Achseln. »Das habe ich doch gesagt, oder nicht? Es scheint, die Trollocs haben sich schließlich doch entschlossen, die Dörfer zu überfallen. Wie vorsorglich, daß man Euch zeitig genug warnte, um diese schönen Verteidigungsanlagen zu errichten.« Sein Blick wanderte über den Pfahlwald und die Männer dahinter, bevor er an Perrin hängenblieb.

»War der Mann, der sich Ordeith nennt, letzte Nacht in Taren-Fähre?« fragte Luc.

Perrin sah ihn mit großen Augen an. Er hatte nicht gewußt, daß Luc Padan Fain auch nur vom Namen her kannte, oder jedenfalls den Namen, den er jetzt benützte. Aber die Menschen klatschten eben viel, wenn jemand zurückkehrte, den sie als fahrenden Händler kannten und der plötzlich ein großes Tier bei den Weißmänteln war.

Bornhalds Reaktion war ebenso eigenartig wie die Frage. In seinen Augen glitzerte ein Haß, mindestens genauso stark wie der auf Perrin, doch sein Gesicht wurde blaß, und er fuhr sich mit dem Handrücken über die Lippen, als habe er vergessen, daß er stahlverstärkte Kampfhandschuhe trug. »Ihr kennt Ordeith?« fragte er und beugte sich vor, um Luc besser ansehen zu können.

Nun war es an Luc, gleichgültig die Achseln zu zucken. »Ich habe ihn hier und da getroffen, seit ich an die Zwei Flüsse gekommen bin. Ein anrüchig wirkender Mann, und die ihm folgen, sehen nicht anders aus. Die Art von Leuten, die vielleicht zu leichtsinnig vorgegangen sind und so den Trollocs gestatteten, das Dorf erfolgreich zu überfallen. War er dort? Falls ja, kann man nur hoffen, daß er seine Dummheit mit dem Leben bezahlte. Falls nicht, hoffen wir einmal, daß Ihr ihn hier bei Euch habt, wo Ihr ihn genau im Auge behalten könnt.« »Ich weiß nicht, wo er ist«, fauchte Bornhald. »Es ist mir auch gleich! Ich bin nicht hergekommen, um über Ordeith zu sprechen!« Sein Pferd tänzelte nervös, als Bornhald die Hand ausstreckte und auf Perrin deutete. »Ich nehme Euch als Schattenfreund fest. Man wird Euch nach Amador bringen, und dort werdet Ihr unter der Kuppel der Wahrheit gerichtet.« Byar starrte seinen Hauptmann ungläubig an. Hinter der Barriere, die die Weißmäntel von den Menschen der Zwei Flüsse trennte, erhob sich zorniges Gemurmel. Speere und Hellebarden wurden geschwungen, Bögen erhoben. Den weiter entfernten Weißmänteln rief ein Kerl Befehle zu, der mit seiner Rüstung bestimmt genauso groß war wie Meister Luhhan. Sie begannen, auszuschwärmen und steckten die Lanzenenden in lederne Stützfutterale an den Sätteln. Sie holten auch kurze Bögen heraus, wie man sie vom Pferd aus benützte. Bei dieser Entfernung konnten sie damit aber nicht viel anrichten, höchstens den Rückzug Bornhalds und seiner Männer decken, falls ihnen ein Entkommen überhaupt möglich war. Bornhald schien keine Gefahr zu sehen — höchstens aber von Perrin ausgehend.

»Es wird keine Festnahme geben«, sagte Bran in scharfem Ton. »Das haben wir eindeutig beschlossen. Keine weiteren Festnahmen ohne Schuldbeweis, und zwar einen solchen, dem wir glauben können. Ihr könnt mir niemals etwas zeigen, das mich davon überzeugt, daß Perrin ein Schattenfreund ist, also könnt Ihr genausogut die Hand herunternehmen.« »Er hat meinen Vater in Falme verraten, so daß er ums Leben kam«, schrie Bornhald. Die Wut hatte ihn gepackt. »Hat ihn an Schattenfreunde verraten und an Hexen aus Tar Valon, die tausend Kinder des Lichts mit Hilfe der Einen Macht töteten!« Byar nickte lebhaft.

Einige der Einwohner traten unsicher von einem Fuß auf den anderen. Die Nachricht von dem, was Verin und Alanna an diesem Morgen vollbracht hatten, hatte sich verbreitet, und dabei war alles aufgebauscht worden. Was sie auch von Perrin hielten, aber hundert Geschichten über die Aes Sedai, die meisten davon falsch, hatten ihr Bild geprägt und ließen manchen jetzt daran glauben, daß Aes Sedai tausend Weißmäntel getötet haben mochten. Und wenn sie das glaubten, konnten sie auch den Rest glauben.

»Ich habe niemanden verraten«, sagte Perrin mit lauter Stimme, damit es jeder hören konnte. »Falls Euer Vater in Falme gestorben ist, so haben ihn diejenigen getötet, die man Seanchan nennt. Ich weiß nicht, ob sie Schattenfreunde sind, aber ich weiß, daß sie die Eine Macht im Kampf einsetzen.« »Lügner!« Speichel spritzte von Bornhalds Lippen. »Die Seanchan sind ein Märchen, das in der Weißen Burg erfunden wurde, um ihre gemeinen Lügen zu verbergen! Ihr seid ein Schattenfreund!« Bran schüttelte verwundert den Kopf und schob seine Stahlkappe auf eine Seite, damit er sich in dem Kranz weißer Haare kratzen konnte. »Ich weiß überhaupt nichts von diesen — Seanchan? — also, von diesen Seanchan. Was ich aber weiß, ist, daß Perrin kein Schattenfreund ist, und Ihr werdet niemanden festnehmen.« Die Lage spitzte sich mit jeder Minute zu, wie Perrin deutlich erkannte. Auch Byar war das wohl klargeworden, und so zupfte er Bornhald am Arm und flüsterte mit ihm, doch der Hauptmann der Weißmäntel konnte oder wollte nicht zurückstecken, nun, da er Perrin persönlich vor sich hatte. Bran und die Leute von den Zwei Flüssen hatten sich ebenfalls festgelegt und hätten ihn wohl auch dann nicht den Weißmänteln überlassen, wenn er alles gestanden hätte, was ihm Bornhald zuschrieb. Wenn nicht jemand bald Wasser auf dieses Feuer goß, würde alles explodieren wie eine Handvoll Stroh, das man auf eine glühende Esse wirft.

Er haßte es, sich schnell entscheiden zu müssen. Loial hatte durchaus recht. Überhastetes Denken führte dazu, daß Menschen verletzt wurden. Aber er glaubte zumindest, einen Weg entdeckt zu haben. »Seid Ihr gewillt, meine Festnahme noch hinauszuschieben, Bornhald? Bis die Trollocs erledigt sind? Ich werde vorher bestimmt hier nicht weggehen.« »Warum sollte ich es hinauszögern?« Der Mann war blind vor Haß. Wenn er so weitermachte, würde viele Männer sterben, er selbst wahrscheinlich eingeschlossen, und er erkannte das nicht. Es hatte jedoch keinen Zweck, ihm das zu sagen.

»Habt Ihr nicht die vielen brennenden Bauernhäuser heute morgen bemerkt?« fragte Perrin statt dessen. Er machte eine weitausholende Geste, um all diese langsam schrumpfenden Rauchwolken einzubeziehen. »Seht Euch um. Ihr habt es ja selbst gesagt. Die Trollocs geben sich nicht mehr damit zufrieden, jede Nacht einen oder zwei Bauernhöfe zu überfallen. Jetzt überfallen sie die Dörfer. Wenn Ihr versucht, nach Wachhügel zurückzureiten, wird Euch das vielleicht schon nicht mehr gelingen. Ihr habt Glück gehabt, überhaupt bis hierher zu kommen. Aber wenn Ihr hier in Emondsfeld bleibt...« Bran fuhr zu ihm herum, und andere Männer schrien laut »nein«. Faile ritt heran und packte ihn am Arm, doch er beachtete nichts davon. »... dann wißt Ihr immer, wo ich bin, und Eure Soldaten sind uns als zusätzliche Verteidiger willkommen.« »Bist du dir da auch sicher, Perrin?« fragte Bran, der Trabers Steigbügel ergriffen hatte, während auf der anderen Seite Faile eindringlich sagte: »Nein, Perrin! Das Risiko ist zu groß. Du darfst nicht — ich meine — ach, entschuldige... aber bitte, tu es nicht... oh, Licht, verbrenn mich zu verdammter Asche! Du darfst das nicht tun!« »Ich lasse nicht zu, daß Menschen gegen Menschen kämpfen, wenn ich das verhindern kann«, sagte er entschlossen zu ihnen. »Wir werden den Trollocs doch nicht die Arbeit abnehmen.« Faile stieß wild seinen Arm weg. Sie warf Bornhald einen finsteren Blick zu, holte dann einen Wetzstein aus ihrer Gürteltasche, hatte mit einemmal ein Messer in der Hand und wetzte die Klinge mit flinken, geübten Bewegungen.

»Jetzt weiß dann Hari Coplin bestimmt nicht mehr ein noch aus«, kommentierte Bran trocken. Er korrigierte wieder den Sitz seines runden Helms, wandte sich erneut den Weißmänteln zu und pflanzte seinen Speerschaft wuchtig auf den Boden. »Ihr habt seine Bedingungen gehört. Jetzt hört die meinen. Wenn Ihr nach Emondsfeld kommt, nehmt Ihr niemanden fest ohne die Zustimmung des Rates der Gemeinde, die Ihr nicht erhalten werdet. Also wird niemand festgenommen. Ihr geht nicht ungebeten in irgendein Haus. Ihr macht uns keine Schwierigkeiten und nehmt an der Verteidigung teil, wenn und wo man Euch dazu auffordert. Und ich will noch nicht einmal einen Drachenzahn riechen! Stimmt Ihr zu? Falls nicht, könnt Ihr zurückreiten, woher Ihr gekommen seid.« Byar starrte den rundlichen Mann an, als habe sich ein Schaf aufgerichtet und ihm angeboten, mit ihm zu ringen.

Bornhald wandte den Blick nicht von Perrin. »Einverstanden«, sagte er schließlich. »Bis die Trollocs erledigt sind, bin ich einverstanden!« Er riß sein Pferd herum und galoppierte zurück zu den Reihen seiner Männer. Der schneeweiße Umhang bauschte sich im Wind auf.

Als der Dorfvorsteher befahl, die Wagen wegzurollen, bemerkte Perrin, daß Luc ihn anblickte. Der Kerl saß ganz entspannt im Sattel. Eine Hand ruhte lässig auf dem Griff seines Schwerts, und die blauen Augen blickten amüsiert drein.

»Ich glaubte, Ihr würdet Einspruch erheben«, sagte Perrin, »so wie Ihr die Leute anscheinend gegen die Weißmäntel aufgehetzt habt.« Luc spreizte mit lässiger Geste die Hände. »Wenn diese Leute die Weißmäntel bei sich haben wollen, dann sollen sie ihre Weißmäntel haben. Aber Ihr solltet Euch in acht nehmen, junger Goldauge. Ich weiß recht gut, wie es ist, wenn man den eigenen Feind an die Brust nimmt. Seine Klinge dringt schneller ein, je näher er sich befindet.« Mit einem Lachen ließ er seinen Hengst durch die Menge drängeln und ritt zurück ins Dorf.

»Er hat recht«, sagte Faile, die immer noch ihr Messer an dem Stein wetzte. »Vielleicht wird ja dieser Bornhald sein Wort halten und dich nicht festnehmen lassen, aber was kann einen seiner Männer davon abhalten, dir ein Messer in den Rücken zu stoßen? Du hättest das nicht tun sollen!« »Ich mußte«, sagte er zu ihr. »Besser, als den Trollocs die Arbeit abzunehmen.« Die Weißmäntel begannen mit ihrem Einritt. Bornhald und Byar ritten an ihrer Spitze. Die beiden funkelten ihn mit unverhülltem Haß an, und die anderen, die paarweise einritten... Kalte, harte Augen in kalten, harten Gesichtern, die sich ihm beim Vorbeireiten zuwandten. Sie haßten ihn nicht, sahen aber in ihm einen Schattenfreund, wenn sie ihn erblickten. Und zumindest Byar war zu allem fähig.

Er hatte nichts anderes tun können, aber er hielt es doch für keine schlechte Idee, wenn Dannil und Ban und die anderen ihm überallhin folgen durften, wie sie es ja wollten. Er würde nicht unbeschwert schlafen können, ohne jemanden vor seiner Tür Wache stehen zu lassen. Wachen. Wie bei einem idiotischen Lord! Aber wenigstens Faile würde sich darüber freuen. Wenn er die Burschen nur dazu bringen könnte, diese Flagge irgendwo zu verlieren.

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