22 Was man ihm noch antun konnte

Semirhage saß allein in dem kleinen Zimmer. Sie hatten ihr den Stuhl weggenommen und ihr weder eine Kerze noch eine Laterne gegeben.

Dieses verfluchte Zeitalter und seine verfluchten Menschen! Was hätte sie für Glühkugeln in den Wänden gegeben. Während ihrer Zeit hatte man Gefangenen kein Licht verweigert. Natürlich hatte sie mehrere ihrer Experimente in totale Finsternis gesperrt, aber das war etwas anderes gewesen. Es war einfach wichtig gewesen, zu sehen, welchen Einfluss das mangelnde Licht auf sie haben würde. Diese sogenannten Aes Sedai, die sie gefangen hielten, hatten keinen vernünftigen Grund, sie im Dunkeln einzusperren. Damit wollten sie sie nur demütigen.

Sie zog die Arme fester um den Körper und drückte sich gegen die Holzwand. Sie würde nicht weinen. Sie gehörte zu den Auserwählten! Dann hatte man sie eben gezwungen, sich zu demütigen! Aber man hatte keineswegs ihren Willen gebrochen.

Dennoch ... diese albernen Aes Sedai betrachteten sie nun anders als zuvor. Semirhage hatte sich nicht verändert, aber die anderen schon. Irgendwie hatte diese verfluchte Frau mit dem Paralisnetz in ihrem Haar auf einen Schlag die ganze Autorität zunichtegemacht, die sie über den ganzen Haufen gehabt hatte.

Nur wie? Wie hatte sie so schnell die Kontrolle verlieren können? Die Erinnerung, von dieser Frau übers Knie gelegt und verdroschen zu werden, ließ sie erschaudern. Und mit welcher Lässigkeit das geschehen war. In der Stimme dieser Frau hatte lediglich leichter Unmut gelegen. Sie hatte sie - eine der Auserwählten! - behandelt, als wäre sie kaum größerer Beachtung wert. Das hatte noch mehr geschmerzt als die Schläge.

Und es würde nicht noch einmal passieren. Das nächste Mal war sie auf die Schläge gefasst, und sie würde ihnen keinen Wert beimessen. Ja, das würde funktionieren. Oder nicht?

Wieder erschauderte Semirhage. Im Namen der Vernunft und der Erkenntnis hatte sie Hunderte, wenn nicht sogar Tausende gefoltert. Folter war entlarvend. Man sah wirklich, aus was eine Person gemacht war - auf mehr als nur eine Weise -, wenn man anfing, sie aufzuschneiden. Diesen Satz hatte sie bei zahllosen Gelegenheiten benutzt. Für gewöhnlich ließ er sie lächeln.

Dieses Mal aber nicht.

Warum hatten sie ihr bloß keinen Schmerz zugefügt? Gebrochene Finger, Schnitte ins Fleisch, glühende Kohlen in die Ellenbeugen. Sie hatte sich gegen jede einzelne dieser Maßnahmen gestählt, sich darauf vorbereitet. Ein kleiner, begieriger Teil von ihr hatte sich sogar darauf gefreut.

Aber das? Gezwungen zu werden, vom Boden zu essen? Vor all jenen, die sie mit solcher Ehrfurcht betrachtet hatten, wie ein Kind behandelt zu werden?

Ich werde sie töten, dachte sie nicht zum ersten Mal. Ich werde ihre Sehnen entfernen, eine nach der anderen, und sie mit der Macht Heilen, damit sie überlebt, um die Schmerzen auch zu erleben. Nein. Nein, ich mache etwas anderes mit ihr. Ich werde ihr Qualen zeigen, wie sie in diesem Zeitalter noch niemand erlitten hat!

»Semirhage.« Ein Flüstern.

Sie erstarrte, spähte in die Finsternis. Die Stimme war leise gewesen, wie ein kühler Windhauch, zugleich aber scharf und schneidend. Hatte sie sie sich eingebildet? Er konnte doch wohl nicht da sein, oder doch?

»Du hast einen großen Fehler gemacht, Semirhage«, fuhr die Stimme fort. So leise. Ein schwacher Lichtschimmer drang unter der Tür hindurch, aber die Stimme kam von irgendwo innerhalb ihrer Zelle. Das Licht schien heller zu werden, und dann glühte es blutrot und beleuchtete den Saum einer Gestalt im schwarzen Umhang, die vor ihr stand. Semirhage schaute auf. Das rötliche Licht enthüllte ein weißes Gesicht von der Farbe toter Haut. Das Gesicht hatte keine Augen.

Sofort warf sich Semirhage auf die Knie und drückte das Gesicht zu Boden. Auch wenn die Gestalt vor ihr wie ein Myrddraal aussah, war sie doch viel größer und viel, viel wichtiger. Zitternd fiel ihr die Stimme des Großen Herrn ein, als er zu ihr gesprochen hatte.

Wenn du Schaidar Haran gehorchst, gehorchst du mir. Bist du ungehorsam ...

»Du solltest den Jungen gefangen nehmen und ihn nicht töten«, wisperte die Gestalt zischend; es klang wie Dampf, der zwischen Topf und Deckel entwich. »Du nahmst seine Hand und beinahe sein Leben. Du hast dich enthüllt und wertvolle Marionetten verloren. Du bist von unseren Feinden gefangen genommen worden, und jetzt haben sie dich gebrochen.« Sie konnte das Lächeln auf seinen Lippen hören. Schaidar Haran war der einzige Myrddraal, den sie je lächeln gesehen hatte. Allerdings glaubte sie nicht, dass dieses Ding wirklich ein Myrddraal war.

Sie erwiderte nichts auf seine Anklagen. Vor dieser Gestalt suchte man nicht nach Ausflüchten oder log gar.

Plötzlich verschwand die Abschirmung, die sie blockierte. Ihr stockte der Atem. Saidar war wieder da! Die süße Macht. Aber dann zögerte sie, als sie danach griff. Diese Möchtegern-Aes Sedai draußen auf dem Korridor würden mitbekommen, wenn sie die Macht lenkte.

Kalte Finger mit langen Krallen berührten ihr Kinn. Die Haut fühlte sich wie totes Leder an. Sie drückten ihren Kopf nach oben, damit sie den augenlosen Blick erwidern konnte. »Dir ist eine letzte Chance gewährt worden«, wisperten die madenhaften Lippen. »Versage nicht.«

Das Licht verblasste. Die Hand an ihrem Kinn zog sich zurück. Sie blieb knien und kämpfte das Entsetzen nieder. Eine letzte Chance. Der Große Herr belohnte Versagen stets auf ... einfallsreiche Weise. Solche Belohnungen hatte sie schon zuvor ausgeteilt und verspürte nicht den geringsten Wunsch, sie zu empfangen. Sie würden jede Strafe und Folter, die diese Aes Sedai sich einfallen lassen konnten, vergleichsweise kindisch erscheinen lassen.

Semirhage zwang sich auf die Füße und tastete sich an der Wand entlang. Sie kam zur Tür, hielt die Luft an und versuchte es.

Die Tür öffnete sich. Sie schlüpfte aus dem Zimmer, ohne die Angeln quietschen zu lassen. Vor ihr auf dem Boden lagen drei Leichen, die von ihren Stühlen gerutscht waren. Die Frauen, die ihre Abschirmung aufrechterhalten hatten. Da war noch jemand, der vor ihnen auf dem Boden kniete. Eine Aes Sedai. Eine Frau in einem grünen Kleid, deren braunes Haar zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden war. Sie hielt den Kopf gesenkt.

»Ich lebe, um zu dienen, Große Herrin«, flüsterte die Frau. »Man hat mir befohlen, Euch zu sagen, dass ein Zwang auf meinem Bewusstsein liegt, den Ihr entfernen sollt.«

Semirhage hob eine Braue; sie war gar nicht auf die Idee gekommen, dass sich unter den hier versammelten Aes Sedai Schwarze befanden. Einen mit der Macht verursachten Zwang zu entfernen konnte sehr ... hässliche Auswirkungen auf die betroffene Person haben. Selbst wenn der Zwang nur schwach war, konnte man das Gehirn durch seine Entfernung ernsthaft schädigen. War der Zwang stark ... nun, das zu sehen würde interessant sein.

»Außerdem soll ich Euch das geben«, sagte die Frau und hob ein Bündel in die Höhe. Sie schlug das Tuch zur Seite und enthüllte einen matt schimmernden metallischen Kragen sowie zwei Armbänder. Der Dominanzkragen. Erschaffen während der Zerstörung der Welt und dem A'dam täuschend ähnlich, mit dem Semirhage so lange gearbeitet hatte.

Mit diesem Ter'angreal konnte man einen Machtlenker kontrollieren. Endlich durchbrach ein Lächeln Semirhages Furcht.

Rand hatte die Große Fäule nur ein einziges Mal besucht, obwohl er sich dunkel daran erinnern konnte, mehrmals in dieser Gegend gewesen zu sein, bevor die Fäulnis das Land krank gemacht hatte. Lews Therins Erinnerungen. Nicht seine.

Der Verrückte murmelte aufgebracht vor sich hin, als sie durch das saldaeanische Buschland ritten. Selbst Tai'daishar wurde unruhig, als sie sich weiter nach Norden wandten.

Saldaea war eine braune Landschaft voller Büsche und dunkler Erde, nicht annähernd so unfruchtbar wie die Aielwüste, aber kaum ein üppiges oder weiches Land. Gehöfte waren weit verbreitet, aber sie hatten fast das Aussehen von Festungen, und kleine Kinder gingen daher wie ausgebildete Krieger. Lan hatte ihm einmal erzählt, dass ein Junge bei den Grenzländern zum Mann wurde, wenn er sich das Recht verdient hatte, ein Schwert zu tragen.

»Ist Euch der Gedanke kommen«, sagte Ituralde, der links von ihm ritt, »dass man das, was wir hier tun, durchaus als Invasion bezeichnen könnte?«

Rand deutete auf Bashere, der rechts von ihm durch das Gestrüpp ritt. »Ich bringe Truppen von ihrem eigenen Blut mit«, sagte er. »Die Saldaeaner sind meine Verbündeten.«

Bashere lachte. »Ich habe da meine Zweifel, dass es die Königin auf diese Weise sehen wird, mein Freund! Es ist viele Monate her, seit ich das letzte Mal nach Befehlen gefragt habe. Ehrlich gesagt würde es mich nicht einmal überraschen, sollte sie mittlerweile nach meinem Kopf verlangen.«

Rand richtete den Blick nach vorn. »Ich bin der Wiedergeborene Drache. Es ist keine Invasion, wenn man gegen die Streitkräfte des Dunklen Königs reitet.« Voraus erhoben sich die Ausläufer der Berge des Verderbens. Sie schimmerten dunkel, als wären ihre Hügel mit einer Rußschicht überzogen.

Was würde er tun, wenn ein anderer Monarch mit einem Wegetor fast fünfzigtausend Soldaten hinter seine Grenzen brachte? Es war eine Kriegshandlung, aber die Streitkräfte der Grenzländer waren unterwegs, um wer weiß was zu tun, und er würde diese Ländereien nicht unverteidigt lassen. Keinen Stundenritt weiter südlich hatten Ituraldes Domani neben einem Fluss, der weit oben im Hochland vom Ende der Welt entsprang, ein befestigtes Lager aufgeschlagen. Rand hatte Lager und Truppen inspiziert. Danach hatte Bashere vorgeschlagen, dass er sich die Fäule ansah. Die Kundschafter waren überrascht gewesen, wie schnell die Fäulnis voranschritt, und Bashere hatte es für wichtig gehalten, dass sich Rand und Ituralde selbst davon überzeugten. Rand war einverstanden gewesen. Manchmal konnten Karten nicht die Wahrheit vermitteln, die Augen sehen konnten.

Die Sonne neigte sich dem Horizont zu wie ein müdes Auge, das sich nach Schlaf sehnte. Tai'daishar stampfte mit dem Huf auf und warf den Kopf zurück. Rand hob eine Hand und ließ die Gruppe anhalten - zwei Generäle, fünfzig Soldaten und die gleiche Anzahl Töchter, und Narishma hinter ihnen, um Wegetore zu weben.

Nördlich von ihnen bewegten sich auf einer niedrigen Anhöhe Flecken aus breiten Grashalmen und niedrigen Büschen wie Wellen im Wind. Es gab keine scharf umrissene Grenzlinie, an der die Fäule begann. Hier ein Flecken auf einem Grashalm, dort ein kränklicher Schimmer an einem Stängel. Jede einzelne Stelle war unverfänglich, aber es gab zu viele von ihnen, viel zu viele. Oben auf dem Hügel gab es nicht eine unversehrte Pflanze. Der Befall schien zu wuchern, noch während er zusah.

Die Fäule umgab ein schmieriges Gefühl von Tod, von Pflanzen, die so gerade eben überlebten, am Leben gehalten wie Gefangene, die man bis an die Grenze des Todes aushungerte. Hätte Rand etwas Vergleichbares in einem Feld in den Zwei Flüssen entdeckt, hätte er die ganze Ernte verbrannt und wäre überrascht gewesen, dass man es nicht schon längst getan hatte.

Bashere fuhr sich mit dem Finger über den langen schwarzen Schnurrbart. »Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, wo es erst ein paar Meilen weiter nördlich losging. Und das ist gar nicht so lange her.«

»Ich habe bereits Patrouillen eingerichtet, die die ganze Länge abreiten«, sagte Ituralde. Er starrte die kränkelnde Landschaft an. »Alle Berichte gleichen sich. Dort draußen ist es ruhig.«

»Das sollte als Warnung reichen, dass etwas nicht stimmt«, meinte Bashere. »Es gibt immer umherstreifende Trollocs, die man bekämpfen muss. Wenn es sie nicht gibt, dann verscheucht sie gerade etwas Schlimmeres. Wie die Würmer.«

Ituralde stützte sich mit dem Arm auf dem Sattel ab und schüttelte den Kopf, während er weiter auf die Fäule hinausstarrte. »Ich habe keine Erfahrung darin, gegen solche Dinge zu kämpfen. Ich weiß, wie Männer denken, aber Trollocs bauen keine Nachschublinien auf, und die Würmer und was sie anrichten können kenne ich bloß aus Geschichten

»Einige von Basheres Offizieren werde ich als Berater zurücklassen«, sagte Rand.

»Das wäre hilfreich«, pflichtete Ituralde ihm bei. »Aber ich frage mich, ob es nicht einfach besser wäre, ihn hier zu lassen. Seine Soldaten könnten diese Gegend patrouillieren, und Ihr könntet meine Truppen in Arad Doman einsetzen. Nichts für ungut, mein Lord, aber findet Ihr es nicht seltsam, uns jeweils in den Königreichen des anderen arbeiten zu lassen?«

»Nein.« Es war nicht seltsam, es machte auf bittere Weise Sinn. Er vertraute Bashere, und die Saldaeaner hatten ihm treu gedient, aber es würde gefährlich sein, sie in ihren Heimatländern zu lassen. Bashere war ein Cousin der Königin, und was war mit seinen Männern? Wie würden sie reagieren, wenn ihre eigenen Landsleute sie fragten, warum sie Drachenverschworene geworden waren? So seltsam es auch war, Rand wusste, dass er viel weniger Ärger heraufbeschwören würde, wenn er Fremde auf saldaeanischem Boden zurückließ.

Seine Begründung für Ituralde war gleichermaßen brutal. Der Mann hatte ihm einen Eid geleistet, aber Bündnisse konnten sich ändern. Hier draußen direkt an der Fäule würden Ituralde und seine Männer nur wenig Gelegenheit haben, sich gegen ihn zu wenden. Sie befanden sich auf feindlichem Gebiet, und Rands Asha'man würden ihre einzige schnelle Möglichkeit darstellen, nach Arad Doman zurückzukehren. In seiner Heimat hätte Ituralde Truppen aufstellen und vielleicht zu dem Schluss kommen können, dass er den Schutz des Wiedergeborenen Drachen doch nicht brauchte.

Es war viel sicherer, die Heere auf feindlichem Territorium zu halten. Rand hasste es, so denken zu müssen, aber das war einer der großen Unterschiede zwischen dem Mann, der er gewesen war, und dem Mann, zu dem er geworden war. Nur einer dieser Männer vermochte das zu tun, was getan werden musste, ganz egal, wie sehr er es auch hasste.

»Narishma«, rief er. »Wegetor.«

Er musste sich nicht umdrehen, um zu fühlen, wie Narishma die Eine Macht ergriff und zu weben anfing. Das Gefühl kribbelte in ihm und lockte ihn, aber er wehrte es ab. Es fiel ihm immer schwerer, die Macht zu ergreifen, ohne sich übergeben zu müssen, und er hatte nicht die Absicht, vor Ituralde seinen Mageninhalt auszuwürgen.

»Am Ende der Woche sollt Ihr hundert Asha'man haben«, sagte er zu Ituralde. »Ich nehme an, Ihr wisst sie gut zu gebrauchen.«

»Ja, das glaube ich auch.«

»Verfasst tägliche Berichte, selbst wenn nichts geschieht. Schickt die Boten durch ein Wegetor. In vier Tagen breche ich das Lager ab und gehe nach Bandar Eban.«

Bashere grunzte; das war ihm neu. Rand lenkte sein Pferd zu dem großen offenen Wegetor hinter ihnen. Einige der Töchter waren bereits hindurchgesprungen, gingen wie immer als Erste. Narishma stand an der Seite, das Haar zu zwei dunklen Zöpfen mit Glöckchen geflochten. Auch er war Grenzländer gewesen, bevor er zum Asha'man geworden war. Zu viele belastete Loyalitäten. Was würde für Narishma an erster Stelle stehen? Seine Heimat? Rand? Die Aes Sedai, deren Behüter er war? Rand war sich ziemlich sicher, dass der Mann loyal war; er hatte zu jenen gehört, die ihm bei den Quellen von Dumai zu Hilfe gekommen waren. Aber die gefährlichsten Feinde waren immer die, von denen man annahm, dass man ihnen vertrauen konnte.

Man kann keinem von ihnen vertrauen!, sagte Lews Therin. Wir hätten sie nie so nahe an uns heranlassen dürfen. Sie werden sich gegen uns wenden!

Der Wahnsinnige haderte stets mit anderen Männern, die die Macht lenken konnten. Rand drängte Tai'daishar vorwärts und ignorierte Lews Therins Gestammel, obwohl ihn die Stimme wieder an jene Nacht denken ließ. Die Nacht, in der er von Moridin geträumt hatte und kein Lews Therin in seinem Verstand gewesen war. Das Wissen, dass seine Träume nicht länger sicher waren, drehte ihm den Magen um. Sie waren sein Zufluchtsort geworden, auf den er sich verlassen hatte. Albträume konnten ihn heimsuchen, das schon, aber es waren wenigstens seine eigenen Albträume.

Warum war ihm Moridin in Shadar Logoth zu Hilfe gekommen, damals bei dem Kampf mit Sammael? Was für ein undurchsichtiges Netz webte er? Er hatte behauptet, dass Rand in seinen Traum eingedrungen war, aber war das nicht nur eine weitere Lüge gewesen?

Ich muss sie vernichten, dachte Rand. Alle Verlorenen, und dieses Mal muss ich es richtig machen. Ich muss hart sein.

Nur dass Min nicht wollte, dass er hart war. Gerade ihr wollte er keine Angst machen. Min konnte man nichts vormachen; sie mochte ihn ja einen Narren nennen, aber sie log nicht, und das entfachte in ihm den Wunsch, der Mann zu sein, den sie sich wünschte. Aber konnte er dieses Wagnis eingehen? Konnte ein Mann, der zu lachen verstand, auch der Mann sein, der sich dem stellen konnte, was am Shayol Ghul getan werden musste?

Um zu leben, musst du sterben, so lautete die Antwort auf eine seiner drei Fragen. Wenn er Erfolg hatte, würde die Erinnerung an ihn - sein Vermächtnis - nach seinem Tod weiterleben. Keine besonders tröstliche Vorstellung. Er wollte nicht sterben. Wer wollte das schon? Die Aiel behaupteten, den Tod nicht zu suchen, auch wenn sie ihn umarmten, wenn er kam.

Er betrat das Wegetor. Reiste zurück zu dem Herrenhaus in Arad Doman mit dem Ring aus Kiefern, die den zertrampelten braunen Boden und die langen Zeltreihen umgaben. Nur ein harter Mann konnte sich seinem eigenen Tod stellen, gegen den Dunklen König kämpfen, während sein Blut auf den Felsen vergossen wurde. Wer hätte angesichts dessen schon lachen können?

Er schüttelte den Kopf. Lews Therin in seinem Kopf zu haben war nicht hilfreich.

Sie hat recht, sagte Lews Therin unvermittelt.

Sie?, fragte Rand.

Die Hübsche. Die mit den kurzen Haaren. Sie sagt, wir müssen die Siegel zerbrechen. Sie hat recht.

Rand erstarrte, hielt Tai'daishar an, ignorierte den Stallburschen, der gelaufen kam, um das Pferd zu holen. Lews Therin ihm zustimmen zu hören ...

Was tun wir danach?, fragte Rand.

Wir sterben. Du hast versprochen, dass wir sterben!

Nur, wenn wir den Dunklen König besiegen, erwiderte Rand. Du weißt genau, wenn er gewinnt, dann wird nichts mehr für uns da sein. Nicht einmal mehr der Tod.

Ja ... nichts, sagte Lews Therin. Das wäre nett. Keine Schmerzen, kein Bedauern. Nichts.

Rand verspürte ein Frösteln. Wenn Lews Therin anfing, so zu denken ... Nein, erwiderte er, das wäre nicht das Nichts. Er hätte unsere Seele. Die Qual würde schlimmer sein, viel schlimmer.

Lews Therin fing an zu weinen.

Lews Therin!, fuhr Rand ihn an. Was tun wir? Wie hast du den Stollen das letzte Mal versiegelt?

Es hat nicht funktioniert, flüsterte Lews Therin. Wir benutzten Saidin, aber wir haben den Dunklen König damit berührt. Es war die einzige Möglichkeit! Etwas muss ihn berühren, etwas muss die Lücke schließen, aber er konnte es verderben. Das Siegel war schwach!

Ja, aber was machen wir anders?, dachte Rand.

Schweigen. Einen Moment lang saß er da, dann rutschte er von Tai'daishar und ließ ihn von dem nervösen Stallburschen fortführen. Die restlichen Töchter kamen durch das Tor, und Bashere und Narishma bildeten den Abschluss. Rand wartete nicht auf sie, obwohl er Deira Bashere, Davram Basheres Frau, vor dem Reisegelände stehen sah. Die große, statueske Frau hatte dunkles Haar mit grauen Strähnen an den Schläfen. Sie warf ihm einen abschätzenden Blick zu. Was würde sie tun, wenn Bashere in seinen Diensten starb? Würde sie ihm weiterhin folgen, oder würde sie die Truppen zurück nach Saldaea führen? Sie war so willensstark wie ihr Ehemann. Vielleicht sogar willensstärker.

Rand passierte sie mit einem Nicken und einem Lächeln und ging durch das abendliche Lager auf das Haus zu. Also wusste Lews Therin nicht, wie man das Gefängnis des Dunklen Königs versiegelte. Was nutzte ihm die Stimme dann? Sollte er doch zu Asche verbrennen, aber er war eine von Rands wenigen Hoffnungen gewesen!

Die meisten Leute waren klug genug, um ihm aus dem Weg zu gehen, als sie ihn über den Rasen stapfen sahen. Er konnte sich noch an die Zeit erinnern, als ihn solche Stimmungen nicht überfallen hatten, als er noch ein einfacher Schafhirte gewesen war. Rand der Wiedergeborene Drache war ein völlig anderer Mann. Ein Mann mit einer großen Verantwortung und Pflichten. Das musste er sein.

Pflicht. Pflicht war wie ein Berg. Nun, er fühlte sich, als säße er zwischen einem guten Dutzend verschiedener Berge, die alle auf ihn zurückten, um ihn zu zermalmen. Bei all diesen Kräften schienen seine Gefühle durch den ganzen Druck zu brodeln. War es da ein Wunder, wenn sie hervorbrachen?

Er schüttelte den Kopf. Im Osten lagen die Verschleierten Berge. Die Sonne stand im Begriff unterzugehen, und die Berge lagen in rotes Licht getaucht. Jenseits davon im Süden lagen Emondsfelde und die Zwei Flüsse, seltsam nah. Eine Heimat, die er nie wiedersehen würde, denn ein Besuch würde nur seine Feinde darauf aufmerksam machen, wie viel ihm daran lag. Er hatte schwer daran gearbeitet, sie glauben zu lassen, dass er ein Mann ohne jede Bindungen war. Manchmal fürchtete er, dass seine List zur Realität geworden war.

Berge. Berge wie Pflicht. In diesem Fall die Pflicht der Einsamkeit, denn irgendwo südlich von diesen viel zu nahen Bergen war sein Vater Tam. Er hatte ihn schon solange nicht mehr gesehen. Tam war sein Vater. Das hatte er entschieden. Seinen Geburtsvater hatte er nie kennengelernt, den Aiel Clanhäuptling Janduin, und auch wenn er offensichtlich ein Mann von Ehre gewesen war, verspürte er keinen Wunsch, ihn Vater zu nennen.

Manchmal sehnte er sich nach Tams Stimme, seiner Weisheit. Das waren die Augenblicke, in denen er wusste, dass er am härtesten sein musste, denn nur ein Augenblick der Schwäche, ein Augenblick, in dem er hilfesuchend zu seinem Vater rannte, würde fast alles vernichten, wofür er gearbeitet hatte. Und es würde vermutlich auch das Ende von Tams Leben bedeuten.

Rand betrat das Herrenhaus durch das verbrannte Loch an der Vorderseite, schob die dicke Plane zur Seite, die als neuer Eingang diente, wandte den Verschleierten Bergen den Rücken zu. Er war allein. Er musste allein sein. Sich auf jemanden zu verlassen würde das Risiko bergen, am Shayol Ghul schwach zu sein. In der Letzten Schlacht würde er sich auf niemanden stützen können als auf sich selbst.

Pflicht. Wie viele Berge musste ein Mann tragen?

Im Inneren des Hauses roch es noch immer nach Rauch. Lord Tellaen hatte sich zögernd, wenn auch beharrlich über das Feuer beschwert, bis er eine Entschädigung für den Mann angeordnet hatte, auch wenn er nicht für die Blase des Bösen verantwortlich gewesen war. Oder doch? Ein Ta'veren zu sein hatte viele seltsame Auswirkungen, ob man Leute dazu brachte, Dinge zu sagen, die sie normalerweise nicht gesagt hätten, oder jene die Treue schwören ließ, die eben noch geschwankt hatten. Er war ein Brennpunkt für Ärger, Blasen des Bösen eingeschlossen. Er hatte sich nicht ausgesucht, dieser Brennpunkt zu sein, aber er hatte sich entschieden, in dem Herrenhaus zu bleiben.

So oder so, Tellaen war entschädigt worden. Ein Trinkgeld verglichen mit den Summen, die Rand ausgab, um seine Armeen zu finanzieren, und selbst das war wenig verglichen mit den Geldmitteln, die er dafür eingesetzt hatte, um Nahrungsmittel nach Arad Doman und andere Krisengebiete zu bringen. Seine Verwalter sorgten sich, dass er seine Güter in Illian, Tear und Cairhien bald in den Bankrott treiben würde, wenn er sein Geld weiter in diesem Tempo ausgab. Er hatte ihnen nicht gesagt, dass ihm das völlig egal war.

Er würde die Welt zur Letzten Schlacht führen.

Und das wird dein einziges Vermächtnis sein?, flüsterte eine Stimme in seinem Hinterkopf. Das war nicht Lews Therin, sondern sein eigener Gedanke, eine leise Stimme, der Teil von ihm, der ihn veranlasst hatte, in Andor und Cairhien Schulen zu gründen. Du willst leben, nachdem du gestorben bist? Wirst du all jene, die dir gefolgt sind, Krieg, Hunger und Chaos überlassen? Wirst du in der Zerstörung weiterleben?

Rand schüttelte den Kopf. Er konnte nicht alles richten! Er war nur ein Mann. Über die Letzte Schlacht hinauszudenken war albern. Er konnte sich keine Sorgen über die nachfolgende Welt machen. Das würde ihn nur ablenken.

Und was ist das Ziel?, schien die Stimme zu sagen. Zu überleben oder Erfolg haben? Schaffst du die Voraussetzungen für die nächste Zerstörung der Welt oder für das nächste Zeitalter der Legenden?

Darauf hatte er keine Antwort. Lews Therin rührte sich und plapperte unverständlich vor sich hin. Rand stieg die Treppe zum ersten Stock hinauf. Beim Licht, er war müde.

Was hatte der Verrückte noch einmal gesagt? Bei der Versiegelung des Stollens in das Gefängnis des Dunklen Königs hatte er Saidin benutzt. Denn so viele der Aes Sedai jener Zeit hatten sich gegen ihn gewendet, und ihm waren nur die Hundert Gefährten geblieben - die mächtigsten männlichen Aes Sedai seiner Tage. Keine Frauen. Die weiblichen Aes Sedai hatten seinen Plan für zu riskant gehalten.

Unbehaglicherweise hatte Rand das Gefühl, sich beinahe an diese Geschehnisse erinnern zu können - nicht an die tatsächlichen Vorkommnisse, sondern an die Wut, die Verzweiflung und die Entscheidung. Hatte der Fehler also darin bestanden, nicht auch die weibliche Hälfte der Macht zusätzlich zur männlichen zu benutzen? Hatte das den Gegenschlag des Dunklen Königs ermöglicht, Saidin zu verderben und Lews Therin und die übrig gebliebenen Männer der Hundert Gefährten in den Wahnsinn zu treiben?

Konnte es so einfach sein? Wie viele Aes Sedai würde er brauchen? Würde er überhaupt welche von ihnen brauchen? Genug Weise Frauen konnten die Macht lenken. Sicherlich musste mehr dahinterstecken.

Da gab es dieses Kinderspiel, Schlangen und Füchse. Es hieß, dass man es nur gewinnen konnte, wenn man die Regeln brach. Also was war mit seinem anderen Plan? Konnte er die Regeln brechen, indem er den Dunklen König tötete? Konnte selbst er, der Wiedergeborene Drache, es überhaupt wagen, so etwas in Betracht zu ziehen?

Er überquerte den ächzenden Holzfußboden des Korridors und stieß die Tür zu seinem Zimmer auf. Min lag auf dem Bett, einige Kissen im Rücken, und trug ihre bestickten grünen Hosen und ein Leinenhemd. Im Licht der Lampe blätterte sie in einem Buch. Eine ältere Dienerin huschte geschäftig umher und sammelte das Geschirr von Mins Abendmahlzeit ein. Rand schälte sich aus dem Mantel und seufzte.

Er setzte sich auf die Bettkante, und Min legte das Buch weg, ein Band mit dem Titel Eine ausführliche Diskussion von Relikten aus der Zeit vor der Zerstörung der Welt. Sie setzte sich auf und rieb mit einer Hand seinen Nacken. Schüsseln klirrten, als die Dienerin sie zusammenstellte, und sie verneigte sich entschuldigend und lud sie nur noch schneller in ihren Tragekorb.

»Du treibst dich wieder zu hart an, Schafhirte«, sagte Min.

»Das muss ich.«

Sie kniff ihn hart in den Nacken, und er zuckte grunzend zusammen. »Nein, das musst du nicht«, sagte sie ihm leise ins Ohr. »Hast du mir nicht zugehört? Wozu wirst du noch zu gebrauchen sein, wenn du dich vor der Letzten Schlacht erschöpfst? Beim Licht, Rand, ich habe dich seit Monaten nicht mehr lachen gehört.«

»Ist das wirklich eine Zeit zum Lachen?«, wollte er wissen. »Willst du wirklich, dass ich glücklich bin, während Kinder verhungern und Männer einander umbringen? Soll ich lachen, wenn ich höre, dass Trollocs noch immer durch die kurzen Wege kommen? Soll ich darüber glücklich sein, dass der größte Teil der Verlorenen noch immer irgendwo dort draußen lauert und darüber nachdenkt, wie sie mich am besten töten können?«

»Nun, nein«, sagte Min. »Natürlich nicht. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass die Probleme der Welt uns vernichten. Cadsuane sagt ...«

»Warte«, fauchte er und drehte den Oberkörper, damit er sie ansehen konnte. Sie kniete auf dem Bett, das kurz geschnittene dunkle Haar kräuselte sich unter ihrem Kinn. Sein Tonfall schien sie zu entsetzen.

»Was hat Cadsuane damit zu tun?«, fragte er.

Min runzelte die Stirn. »Nichts.«

»Sie hat dir gesagt, was du sagen sollst. Sie benutzt dich, um an mich heranzukommen!«

»Sei kein Narr.«

»Was hat sie über mich gesagt?«

Min zuckte mit den Schultern. »Sie sorgt sich darüber, wie abweisend du geworden bist. Rand, worum geht es hier?«

»Sie will mich manipulieren. Sie benutzt dich. Was hast du ihr erzählt?«

Min kniff ihn erneut fest. »Mir gefällt dein Ton nicht, Dummkopf. Ich dachte, Cadsuane wäre deine Beraterin. Warum sollte ich in ihrer Gegenwart aufpassen, was ich sage?«

Die Dienerin klirrte noch immer mit dem Geschirr. Warum konnte sie nicht einfach verschwinden! Diese Art Diskussion wollte er nun wirklich nicht vor Fremden führen.

Min konnte nicht mit Cadsuane zusammenarbeiten, oder doch? Er vertraute Cadsuane keinen Fingerbreit. Wenn sie zu Min durchgedrungen war ...

Etwas verkrampfte sich in seinem Herzen. Misstraute er jetzt tatsächlich schon Min, war das möglich? Sie war immer diejenige gewesen, die ihm ehrlich gegenübergetreten war, die mit ihm keine Spielchen getrieben hatte. Was würde er machen, wenn er sie verlor? Soll man mich doch zu Asche verbrennen!, dachte er. Sie hat recht. Ich bin zu abweisend geworden. Was wird aus mir, wenn ich jetzt anfange, denen zu misstrauen, von denen ich weiß, dass sie mich lieben? Dann bin ich nicht besser als der verrückte Lews Therin.

»Min«, sagte er und mäßigte seinen Tonfall. »Vielleicht hast du recht. Vielleicht bin ich zu weit gegangen.«

Sie schaute ihn an, entspannte sich. Dann versteifte sie sich, riss entsetzt die Augen auf.

Etwas Kaltes schloss sich klickend um Rands Hals.

Er griff danach, fuhr herum. Die Dienerin stand vor ihm, aber ihre Gestalt verschwamm. Sie verschwand und wurde von einer Frau mit schwarzer Haut und schwarzen Augen ersetzt, deren scharf geschnittenes Gesicht triumphierte. Semirhage.

Rand berührte Metall. Zu kaltes Metall, das sich wie Eis anfühlte und gegen seine Haut drückte. Außer sich vor Zorn versuchte er, das Schwert aus seiner schwarzen, mit dem Drachen bemalten Scheide zu ziehen, musste aber entdecken, dass er das nicht konnte. Seine Beine spannten sich an, als müssten sie gegen ein unvorstellbares Gewicht ankämpfen. Er riss an dem Kragen herum - die Finger konnte er noch bewegen -, aber das Metall schien aus einem einzigen, glatten, fugenlosen Reif zu bestehen.

In diesem Augenblick verspürte er Entsetzen. Trotzdem erwiderte er Semirhages Blick, und sie lächelte genüsslich. »Schon eine lange Zeit habe ich darauf gewartet, dir einen Dominanzkragen anlegen zu können, Lews Therin. Seltsam, wie sich die Umstände ergeben, nicht ...«

Etwas blitzte durch die Luft, und Semirhage blieb kaum genug Zeit für einen Aufschrei, bevor etwas nur um Haaresbreite die Klinge abwehrte - ein Gewebe aus Luft, wie Rand nur vermuten konnte, denn er konnte die aus Saidar gemachten Gewebe nicht sehen. Immerhin hatte Mins Messer einen Schnitt auf Semirhages Wange hinterlassen, bevor es weitergeflogen war und sich in die Tür gebohrt hatte.

»Wachen!«, schrie Min. »Töchter, zu den Waffen! Der Car'a'carn ist in Gefahr!«

Semirhage fluchte, schwenkte die Hand, und Min verstummte. Rand bäumte sich auf, versuchte Saidin zu ergreifen und scheiterte. Etwas blockierte ihn. Ströme aus Luft stießen Min vom Bett, verschlossen ihren Mund. Rand wollte zu ihr laufen und musste erneut feststellen, dass er das nicht konnte. Seine Beine gehorchten einfach nicht.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür. Eine andere Frau schob sich eilig hinein. Sie schaute nach hinten, als hielte sie nach etwas Ausschau, dann schloss sie sie. Elza. Rand verspürte eine Woge der Hoffnung, aber dann gesellte sich die kleine Frau zu Semirhage und nahm das andere Armband, das das A'dam um seinen Hals kontrollierte. Sie schaute zu ihm hoch. Ihre Augen waren gerötet und wirkten benommen - als hätte sie einen ordentlichen Schlag auf den Kopf davongetragen. Aber als sie ihn dort sitzen sah, lächelte sie. »Und so erfüllst du endlich dein Schicksal, Rand al'Thor. Du wirst dem Großen Herrn gegenübertreten. Und du wirst verlieren.«

Elza. Elza war eine Schwarze Schwester, sollte sie zu Asche verbrennen! Rands Haut kribbelte, als er fühlte, wie sie neben ihrer Herrin stehend Saidar umarmte. Beide traten ihm entgegen, jede von ihnen trug einen Armreif, und Semirhage sah überragend souverän aus.

Rand knurrte, wandte den Kopf Semirhage zu. Er würde sich nicht auf diese Weise unterjochen lassen!

Die Verlorene berührte den blutenden Schnitt auf ihrer Wange, dann schnalzte sie ärgerlich mit der Zunge. Sie trug ein einfaches braunes Kleid. Wie war sie ihrer Gefangenschaft entkommen? Und wo hatte sie diesen verfluchten Kragen her? Rand hatte ihn Cadsuane zur Aufbewahrung gegeben. Sie hatte geschworen, er würde sicher sein!

»Es werden keine Wächter kommen, Lews Therin«, sagte Semirhage gedankenverloren und hielt die Hand mit dem Armreif hoch; der Armreif passte zu dem Kragen um Rands Hals. »Diesen Raum habe ich gegen Lauscher abgeschirmt. Du wirst bemerken, dass du dich nicht bewegen kannst, ohne dass ich es erlaube. Du hast es bereits versucht, und du musst erkennen, wie sinnlos das ist.«

Verzweifelt griff Rand erneut nach Saidin, fand aber nichts. In seinem Kopf fing Lews Therin an zu knurren und zu schluchzen, und um ein Haar hätte sich Rand dem Mann angeschlossen. Min! Er musste sie erreichen. Er musste stark genug sein!

Er zwang sich Semirhage und Elza entgegen, aber es war, als würde er versuchen, die Beine eines anderen zu bewegen. Er war in seinem eigenen Kopf gefangen, wie Lews Therin. Er öffnete den Mund, um einen Fluch auszustoßen, aber es kam nur ein Krächzen heraus.

»Ja«, sagte Semirhage, »du kannst auch nicht ohne Erlaubnis sprechen. Und ich würde dir vorschlagen, nicht noch einmal nach Saidin zu greifen. Du wirst die Erfahrung unerfreulich finden. Bei früheren Tests mit dem Dominanzkragen habe ich herausgefunden, dass er ein viel eleganteres Werkzeug als diese seanchanischen A'dam ist. Ihr A'dam, erlaubt einen gewissen Spielraum an Freiheit, verlässt sich auf Übelkeit, um für Gefügigkeit zu sorgen. Der Dominanzkragen verlangt viel mehr Gehorsam. Du wirst genau das tun, was ich will. Zum Beispiel ...«

Rand stand vom Bett auf, seine Beine bewegten sich gegen seinen Willen. Dann schoss seine Hand in die Höhe und fing an, seinen Hals ein Stück über dem Kragen zu würgen. Taumelnd keuchte er. Fieberhaft griff er nach Saidin.

Und fand nur Schmerzen. Es war, als hätte er in ein brennendes Ölfass gegriffen und die flammende Flüssigkeit dann in seine Adern gesogen. Gequält schrie er auf und brach zusammen. Die Pein ließ ihn sich winden, um ihn herum wurde alles dunkel.

»Siehst du.« Semirhages Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. »Ah, ich hatte ganz vergessen, wie befriedigend das doch ist.«

Der Schmerz war wie eine Million Ameisen, die sich durch seine Haut bis auf seinen Knochen fraßen. Seine Muskeln verkrampften sich, er bäumte sich auf.

Wir sind wieder in der Kiste!, schrie Lews Therin.

Und plötzlich war Rand das tatsächlich. Er konnte sie sehen, den schwarzen engen Raum, der ihn zermalmte. Sein Körper war wund von den wiederholten Schlägen, sein Verstand bemühte sich verzweifelt, nicht im Wahnsinn zu versinken. Lews Therin war sein einziger Gefährte gewesen. Es war eines der ersten Male gewesen, dass sich Rand daran erinnern konnte, mit dem Wahnsinnigen zu kommunizieren; erst kurz vor diesem Tag hatte Lews Therin angefangen, auf ihn zu reagieren.

Er hatte sich gesträubt, Lews Therin als Teil von sich zu akzeptieren. Als den verrückten Teil, der Teil, der die Folter ertrug, und das auch nur, weil er bereits so gequält war. Weiteres Leid und Schmerz waren bedeutungslos. Man konnte keinen Becher mehr füllen, der bereits überlief.

Rand hörte auf zu schreien. Der Schmerz war noch immer da, er ließ seine Augen tränen, aber die Schreie wollten nicht kommen. Stille trat ein.

Semirhage schaute stirnrunzelnd auf ihn herunter, von ihrem Kinn tropfte Blut. Eine weitere Schmerzwelle überflutete ihn. Wer auch immer er war.

»Was tust du?«, fragte sie und zwang ihn zur Antwort. »Sprich.«

»Mir kann man nichts mehr antun«, flüsterte er.

Die nächste Schmerzwelle. Sie schüttelte ihn, und tief in seinem Inneren wimmerte etwas, aber nach außen hin zeigte er keine Reaktion. Nicht, weil er die Schreie zurückhielt, sondern weil er nichts fühlte. Die Kiste, die beiden Wunden in seiner Seite, die sein Blut vergifteten, Prügel, Demütigungen, Leid und sein Selbstmord. Wie er sich selbst tötete. Plötzlich erinnerte er sich wieder genau. Nach all diesen Dingen, was konnte ihm Semirhage da noch antun?

»Große Herrin«, sagte Elza, deren Augen noch immer etwas benommen blickten. »Vielleicht sollten wir ...«

»Still, Wurm«, fauchte Semirhage sie an und wischte sich Blut vom Kinn. Sie betrachtete es. »Das war jetzt schon das zweite Mal, dass diese Messer mein Blut geschmeckt haben.« Sie schüttelte den Kopf und lächelte Rand an. »Du behauptest, man könnte dir nichts mehr antun? Du vergisst, mit wem du sprichst. Schmerzen sind meine Spezialität, und du bist noch immer kaum mehr als ein Junge. Ich habe Männer gebrochen, die zehnmal so stark wie du waren. Steh auf.«

Er gehorchte. Die Schmerzen waren nicht verschwunden. Offensichtlich wollte sie ihn weiter damit traktieren, bis sie eine Reaktion bekam.

Er drehte sich um, gehorchte ihren wortlosen Befehlen, und sah Min in der Luft hängen, mit unsichtbaren Stricken aus Luft gefesselt. In ihren Augen stand blanke Furcht, ein Knebel aus Luft verschloss ihren Mund, und ihre Arme waren auf den Rücken gebunden.

Semirhage kicherte. »Du sagst also, ich könnte dir nichts mehr antun?«

Rand ergriff Saidin - nicht weil er es wollte, sondern weil sie es befahl. Brausend strömte die Macht in ihn hinein und brachte die seltsame Übelkeit mit sich, die sich bis jetzt seinen Erklärungen entzog. Er fiel auf Hände und Knie und übergab sich heftig und stöhnend, während sich der Raum um ihn drehte.

»Wie seltsam«, hörte er Semirhage wie aus weiter Ferne sagen. Er schüttelte den Kopf und hielt die Eine Macht fest - rang mit ihr, wie er schon immer mit Saidin hatte ringen müssen, unterwarf den mächtigen, sich windenden Energiefluss seinem Willen. Als würde er einen Sturmwind in Ketten legen, und es war ihm schon schwergefallen, als er stark und gesund gewesen war. Jetzt war es beinahe unmöglich.

Benutze sie, flüsterte Lews Therin. Töte sie, solange wir es können!

Ich töte keine Frauen, dachte Rand stur, das Hirngespinst einer Erinnerung aus den Tiefen seines Bewusstseins. Das ist die Grenze, die ich nicht überschreiten werde ...

Lews Therin brüllte auf und versuchte, ihm Saidin abzunehmen, blieb aber erfolglos. Tatsächlich musste Rand feststellen, dass er die Macht genauso wenig zielgerichtet lenken konnte, wie ohne Semirhages Erlaubnis einen Schritt zu tun.

Von ihr geleitet erhob er sich, das Zimmer wurde stabiler, die Übelkeit zog sich zurück. Und dann begann er Gewebe zu formen, komplizierte Gewebe aus Feuer und Geist.

»Ja ...«, sagte Semirhage beinahe im Selbstgespräch. »Wenn ich mich nur daran erinnern kann ... Manchmal ist die männliche Weise, das zu tun, so seltsam.«

Rand vollendete die Gewebe und schob sie dann Min entgegen. »Nein!«, brüllte er, während er es tat. »Nicht das!«

»Ah, siehst du«, sagte Semirhage. »Also warst du doch nicht so schwer zu brechen.«

Die Gewebe berührten Min, und sie wand sich vor Schmerzen. Rand lenkte weiter die Macht, und Tränen schossen aus seinen Augen, als er gezwungen wurde, die komplizierten Gewebe durch ihren Körper zu schicken. Sie riefen nur Qualen hervor, aber das machten sie sehr effektiv. Semirhage musste Mins Knebel aufgelöst haben, denn sie fing an zu schreien und zu weinen.

»Bitte, Rand!«, bettelte sie. »Bitte!«

Rand brüllte vor Wut auf, versuchte aufzuhören und konnte es nicht. Durch den Bund fühlte er Mins Qualen, fühlte, wie er sie verursachte.

»Hör damit auf!«, brüllte er.

»Bettle darum«, sagte Semirhage.

»Bitte«, sagte er weinend. »Bitte, ich flehe Euch an.«

Plötzlich hörte er auf; die Foltergewebe lösten sich auf. Min hing wimmernd in der Luft, die Augen ganz glasig von den erlittenen Schmerzen. Rand drehte sich um und wandte sich Semirhage und Elza neben ihr zu. Die Schwarze erschien entsetzt, als hätte sie sich in etwas verstrickt, auf das sie nicht vorbereitet gewesen war.

»Nun siehst du ein, dass du schon immer dafür bestimmt warst, dem Großen Herrn zu dienen«, sagte die Verlorene. »Wir werden dieses Zimmer verlassen und uns um die sogenannten Aes Sedai kümmern, die mich eingesperrt hatten. Wir werden zum Shayol Ghul Reisen und dich dem Großen Herrn übergeben, und dann kann das alles hier endlich sein Ende finden.«

Rand senkte den Kopf. Es musste einen Ausweg geben! Er stellte sich vor, wie sie ihn dazu benutzte, sich den Weg durch die Ränge seiner eigenen Männer zu bahnen. Er stellte sich vor, wie sie nicht angreifen wollten, weil sie fürchteten, ihn zu verletzen. Er sah das Blut, den Tod und die Zerstörung, die er anrichten würde. Und das alles verwandelte sein Inneres zu Eis.

Sie haben gewonnen.

Semirhage schaute zur Tür, dann wandte sie sich ihm wieder zu und lächelte. »Aber ich fürchte, zuerst müssen wir uns um sie kümmern. Bringen wir es also hinter uns.«

Rand drehte sich um und fing an, auf Min zuzugehen. »Nein!«, sagte er. »Ihr habt versprochen, wenn ich bitte ...«

Semirhage lachte. »Ich habe gar nichts versprochen. Du hast ja lieb und nett gebettelt, Lews Therin, aber ich habe mich entschieden, deine Bitten zu ignorieren. Allerdings kannst du Saidin jetzt loslassen. Das erfordert doch irgendwie eine persönliche Note.«

Saidin verlosch, und Rand fühlte bedauernd den Entzug der Macht. Die Welt um ihn herum erschien stumpfer. Er trat vor Min, ihr flehender Blick und der seine trafen sich. Dann legte er ihr die Hand um den Hals und drückte zu.

»Nein ...«, flüsterte er entsetzt, als ihr seine Hand gegen seinen Willen die Luft abschnürte. Min stolperte, und er zwang sie zu Boden, ignorierte mühelos ihre Gegenwehr. Er überragte sie und hielt ihre Kehle, umklammerte sie und würgte sie. Sie starrte ihn an, und ihre Augen fingen an hervorzuquellen.

Das kann unmöglich geschehen.

Semirhage lachte.

Ilyena!, heulte Lews Therin. Oh, beim Licht! Ich habe sie getötet!

Rand drückte stärker zu, beugte sich vor, um noch besser Druck ausüben zu können; seine Finger umfassten Mins Haut und schnürten ihre Kehle zu. Es war, als umklammerte er sein eigenes Herz, und die Welt um ihn herum wurde dunkel, alles wurde dunkel außer Min. Er konnte ihren Puls unter seinen Fingern hämmern fühlen.

Ihre wunderschönen dunklen Augen ließen ihn nicht los, liebten ihn, selbst als er sie umbrachte.

Das kann unmöglich geschehen!

Ich habe sie getötet!

Ich bin wahnsinnig!

Ilyena!

Es musste einen Ausweg geben! Das musste es! Rand wollte die Augen schließen, aber er konnte es nicht. Sie ließ es nicht zu - nicht Semirhage, sondern Min. Sie hielt seinen Blick fest, Tränen liefen ihr die Wangen hinunter, die dunklen Locken waren zerzaust. So wunderschön.

Verzweifelt griff Rand nach Saidin, konnte es aber nicht erreichen. Mit jeder ihm zur Verfügung stehenden Unze Willenskraft versuchte er, seine Finger zu entspannen, aber sie drückten bloß weiter zu. Er fühlte Entsetzen, er fühlte ihren Schmerz. Mins Gesicht lief rot an, ihre Lider flatterten.

Rand wimmerte. DAS KANN UNMÖGLICH GESCHEHEN! ICH WERDE DAS NICHT NOCH EINMAL TUN!

Etwas zerbrach in ihm. Ihm wurde kalt; dann verschwand diese Kälte, und er fühlte nichts mehr. Keine Gefühle. Keine Wut.

Und in diesem Augenblick wurde er sich einer seltsamen Macht bewusst. Sie war wie ein Wasserreservoir, das direkt außerhalb seines Sichtfeldes brodelte und schäumte. Mit seinen Gedanken griff er danach.

Ein nebelverhülltes Gesicht blitzte vor ihm auf, mit Zügen, die er nicht genau erkennen konnte. Es war sofort wieder verschwunden.

Aber Rand fühlte sich mit einer fremden Macht gefüllt. Es war nicht Saidin, auch nicht Saidar, sondern etwas anderes. Etwas, das er noch nie zuvor gefühlt hatte.

Oh, beim Licht!, brüllte da plötzlich Lews Therin. Das ist unmöglich! Das können wir nicht benutzen! Wirf es von dir! Das ist der Tod, den wir da halten, Tod und Verrat!

Das ist Er!

Rand schloss die Augen, während er über Min kniete, dann lenkte er die seltsame unbekannte Macht. Energie und Leben durchfuhren ihn, ein reißender Strom aus Macht wie Saidin, nur zehnmal so süß und hundertmal so wild. Sie machte ihn lebendig, brachte ihm die Erkenntnis, dass er noch nie zuvor wirklich lebendig gewesen war. Sie verlieh ihm eine Kraft, wie er sie sich niemals hätte vorstellen können. Sie wetteiferte sogar mit der Macht, die er aus dem Chodean Kal gezogen und gehalten hatte.

Rand schrie auf, vor Entzücken und vor Wut, und webte gewaltige Speere aus Feuer und Luft. Rammte die Gewebe gegen den Kragen um seinen Hals. Und im Zimmer explodierten Flammen und geschmolzenes Metall, von dem er jedes einzelne Stück wahrnahm. Er spürte jeden einzelnen Splitter, der von seinem Hals fortschoss, die Luft mit seiner Hitze verformte und Rauch hinter sich her zog, bis er eine Wand oder den Boden traf. Er öffnete die Augen und ließ Min los. Sie keuchte und schluchzte.

Rand richtete sich auf und drehte sich um. Glühend heißes Magma floss durch seine Adern - genauso hatte es sich angefühlt, als Semirhage ihn gefoltert hatte, und doch war es das genaue Gegenteil davon. So schmerzvoll dies auch war, so war es auch die pure Ekstase.

Semirhage sah völlig fassungslos aus. »Aber ... das ist unmöglich«, stammelte sie. »Ich habe nichts gefühlt. Du kannst unmöglich ...« Sie schaute auf, starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Die Wahre Macht. Großer Herr, warum hast du mich verraten? Warum?«

Rand hob die Hand und webte von einer Macht erfüllt, die er nicht verstand, ein einziges Gewebe. Ein Streifen aus reinem weißen Licht, ein reinigendes Feuer, brach aus seiner Hand hervor und traf Semirhage an der Brust. Sie blitzte auf und verschwand, hinterließ einen blassen Abdruck in Rands Sicht. Ihr Armreif landete polternd auf dem Boden.

Elza rannte zur Tür. Sie verschwand durch einen weiteren Lichtstreifen, einen Augenblick lang verwandelte sich ihre ganze Gestalt in Licht. Auch ihr Armreif fiel zu Boden, und die Frau, die ihn gehalten hatte, war völlig aus dem Muster gebrannt worden.

Was hast du nur getan?, fragte Lews Therin. Oh, beim Licht. Es wäre besser gewesen, wir hätten wieder gemordet ... Oh, beim Licht. Wir sind zum Untergang verurteilt.

Rand genoss die Macht noch einen Augenblick länger, dann ließ er sie bedauernd los. Er hätte sie gern noch weiter gehalten, aber er war einfach zu erschöpft dazu. Ihr Verschwinden hinterließ Taubheit in ihm.

Oder ... Nein. Diese Taubheit hatte nichts mit der Macht zu tun, die er gehalten hatte. Er drehte sich um und sah auf Min hinunter, die leise hustete und sich den Hals rieb. Sie schaute zu ihm auf und schien Angst zu haben. Er bezweifelte, dass sie ihn jemals wieder so wie zuvor sehen würde.

Er hatte sich geirrt; tatsächlich hatte es doch noch etwas gegeben, das Semirhage ihm antun konnte. Er hatte gefühlt, wie er jemanden tötete, den er von ganzem Herzen liebte. Als er es einst als Lews Therin getan hatte, war er wahnsinnig und nicht dazu fähig gewesen, sich zu beherrschen. Er konnte sich kaum daran erinnern, wie er Ilyena ermordet hatte, das war wie in einem nebelhaften Traum gewesen. Erst nachdem Ishamael ihn erweckt hatte, hatte er überhaupt begriffen, was er da eigentlich getan hatte.

Endlich wusste er genau, wie es war, dabei zuzusehen, wie er die tötete, die er liebte.

»Es ist vollbracht«, flüsterte er.

»Was?«, fragte Min und hustete wieder.

»Das Letzte, was man mir antun konnte«, erwiderte er, überrascht, wie ruhig er doch war. »Jetzt haben sie mir alles genommen.«

»Rand, wovon sprichst du?«, fragte Min. Sie rieb sich wieder den Hals. Die ersten Schwellungen traten zum Vorschein.

Rand schüttelte nur den Kopf, als draußen im Korridor endlich Stimmen ertönten. Vielleicht hatten die Asha'man sein Machtlenken gespürt, als er Min gefoltert hatte.

»Ich habe meine Wahl getroffen, Min«, sagte er. »Du hast mich gebeten, zu lachen und nachgiebiger zu sein, aber damit ist es nun vorbei. Es tut mir leid.«

Vor Wochen hatte er entschieden, stärker werden zu müssen - wo er zuvor Eisen gewesen war, hatte er entschieden, zu Stahl zu werden. Anscheinend war Stahl aber zu schwach.

Er würde jetzt härter sein. Jetzt hatte er es begriffen. Wo er zuvor Stahl gewesen war, wurde er etwas anderes. Von jetzt an war er Cuendillar. Er hatte einen Ort betreten, der dem Nichts ähnelte, in das zu versinken ihm Tam vor so langer Zeit beigebracht hatte. Aber in diesem Nichts hatte er keine Gefühle. Überhaupt keine.

Sie konnten ihn nicht brechen oder verbiegen.

Es war vollbracht.

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