12. Kapitel

Die Wüste ist wie die Pforte zu einer geheimnisvollen und unfaßbaren Welt. Staub und Gestein wirbeln unter den Hufen meines Pferdes. Der Sattel ist weich, als wäre er mit Daunen gefüllt. Es ist ein Sattel der Kosaken vom Terek. In diesem Sattel kann der Kosake schlafen, liegen und stehen. Die Satteltaschen bergen sein Hab und Gut. Ein Laib Brot, eine Flasche Wodka und geraubte Goldmünzen aus den Dörfern der Kabardiner. Meine Satteltaschen sind leer. Ich höre das Sausen des Wüstenwindes. Ich jage dahin, aufgelöst in der Unendlichkeit des grauen Sandes. Der kabardinische Filzmantel, die Burka, liegt weich und schützend um meine Schultern. Sie läßt weder Sonnenstrahlen noch Regentropfen durch, Räuber und Ritter haben dieses Kleidungsstück erfunden für Raub und Ritt. Ein paar Griffe, und aus dem schwarzen Filz wird ein Zelt. In den Falten der Burka verbirgt sich der Ertrag eines ganzen Beutezuges. Entführte Mädchen kauern im Schutze der Burka wie Papageien im Käfig.

Ich reite zur Pforte des grauen Wolfes. Titanen der Vorzeit haben sie errichtet, mitten in der Wüste bei Baku. Zwei verwitterte, graue Felsen im Ozean des Sandes. Sary Kurt, der graue Wolf, der Stammvater der Türken, soll einst die Sippe der Osmanen durch diese steinerne Enge zu den grünen Ebenen Anatoliens geführt haben.

Nachts bei Vollmond versammeln sich bei diesem Felsen Schakale und Wölfe der Wüste. Sie heulen den Mond an wie ein Hund die Leiche. Sie haben einen kosmischen Sinn für den Leichengeruch. Der Mond ist eine Leiche. Wenn in einem Haus ein Mensch im Sterben liegt, heulen die Hunde. Sie wittern den Leichengeruch schon im Sterbenden. Sie sind stammesverwandt mit den Wölfen der Wüste. Wie wir Untertanen der Russen mit den Wölfen, die Enver gen Kaukasien führt.

Ich reite durch das Nichts der großen Wüste. Neben mir mein Vater. Im Sattel gleicht er einem Zentaur, so verwachsen ist er mit dem Tier.

»Safar Khan«, meine Stimme klingt heiser, selten rufe ich den Vater bei seinem Vornamen, »Safar Khan, ich habe mit dir zu reden.«

»Sprich im Reiten, mein Sohn. Es spricht sich leichter, wenn Reiter und Pferd vereint sind.«

Lacht mein Vater? Ich streife mit der Peitsche die schmalen Hüften des Pferdes. Mein Vate hebt die Augenbrauen. Eine leichte Bewegung der Schenkel, und er holt mich ein.

»Nun, mein Sohn?« Es klingt beinahe spöttisch.

»Ich will heiraten, Safar Khan.«

Langes Schweigen. Der Wind saust. Steine wirbeln auf unter den Hufen der Pferde. Endlich ertönt eine Stimme:

»Ich werde dir an der Strandpromenade eine Villa erbauen. Ich kenne da einen hübschen Platz. Vielleicht mit einem Stall. Im Sommer kannst du in Mardakjany wohnen. Den ersten Sohn mußt du Ibrahim nennen. Zu Ehren des Ahnen. Wenn du willst, schenk ich dir ein Auto. Aber ein Auto ist sinnlos. Wir haben ja keine Straßen dafür. Lieber doch einen Stall.«

Erneutes Schweigen. Das Tor des grauen Wolfes bleibt hinter uns. Wir reiten zum Meer, in der Richtung der Vorstadt Bailow. Die Stimme des Vaters klingt, als käme sie von weither.

»Soll ich dir eine schöne Frau finden, oder hast du schon selbst jemanden gefunden? Heutzutage kommt es oft vor, daß junge Leute sich selbst ihre Frauen aussuchen.«

»Ich will Nino Kipiani heiraten.«

Nichts regt sich im Gesicht des Vaters. Seine Rechte streichelt zärtlich die Mähne des Pferdes.

»Nino Kipiani«, sagt er, »sie hat zu schmale Hüften. Aber ich glaube, das ist so bei allen Georgierinnen. Sie bekommen dennoch gesunde Kinder.«

»Aber Vater!«

Ich weiß nicht genau, worüber ich empört bin, aber ich bin empört.

Der Vater sieht mich von der Seite an und lächelt.

»Du bist noch sehr jung, Ali Khan. Die Hüften einer Frau sind viel wichtiger als ihre Sprachkenntnisse.«

Er spricht mit betonter Gleichgültigkeit.

»Wann willst du denn heiraten?«

»Im Herbst, wenn Nino die Schule beendet hat.«

»Sehr gut. Dann kommt das Kind im nächsten Mai. Mai ist ein Glücksmonat.«

»Aber Vater.«

Wieder überkommt mich ein unverständlicher Zorn. Ich habe das Gefühl, daß sich mein Vater über mich lustig macht. Ich heirate Nino nicht wegen ihrer Hüften oder ihrer Sprachkenntnisse. Ich heirate sie, weil ich sie liebe. Mein Vater lächelt. Dann hält er sein Pferd an und sagt:

»Die Wüste ist öde und leer. Es ist ganz gleich, an welchem Hügel wir frühstücken. Ich habe Hunger. Also halten wir hier Rast.«

Wir steigen vom Pferd. Aus der Satteltasche holt mein Vater ein flaches Brot und Schafkäse. Er reicht mir die Hälfte, aber ich habe keinen Hunger. Wir liegen im Sand, er ißt und blickt in die Ferne. Dann wird sein Gesicht ernst, er erhebt sich und sitzt kerzengerade mit gekreuzten Beinen. Er sagt:

»Es ist sehr gut, daß du heiratest. Ich war dreimal verheiratet. Aber die Frauen starben mir weg wie Fliegen im Herbst. Jetzt bin ich, wie du weißt, überhaupt nicht verheiratet. Aber wenn du heiratest, heirate ich vielleicht auch. Deine Nino ist eine Christin. Laß sie den fremden Glauben nicht ins Haus tragen. Sonntags schicke sie zur Kirche. Aber das Haus darf kein Pope betreten. Eine Frau ist ein gebrechliches Gefäß. Es ist wichtig, das zu wissen. Schlage sie nicht, wenn sie schwanger ist. Aber vergiß nie: du bist der Herr, und sie lebt in deinem Schatten. Du weißt: jeder Mohammedaner darf vier Frauen zugleich haben. Es ist aber besser, du begnügst dich mit einer. Es sei denn, Nino bekommt keine Kinder. Betrüge deine Frau nicht. Sie hat Anspruch auf jeden Tropfen deines Samens. Ewiges Verderben dem Ehebrecher. Sei geduldig mit ihr. Frauen sind wie Kinder, nur um vieles listiger und bösartiger; es ist wichtig, auch das zu wissen. Überhäufe sie, wenn du willst, mit Geschenken, gib ihr Seide und Edelsteine. Brauchst du aber einmal einen Rat, und sie gibt dir ihn, so handle genau entgegengesetzt. Das ist wohl das allerwichtigste.«

»Vater, aber ich liebe sie doch.«

Er schüttelte den Kopf.

»Man soll im allgemeinen eine Frau nicht lieben. Man liebt die Heimat, den Krieg. Manche Leute lieben schöne Teppiche oder seltene Waffen. Immerhin — es kommt vor, daß der Mann auch eine Frau liebt. Du kennst die vielbesungene Liebe von Leila und Madjnun oder die Liebesghaselen des Hafis. Sein ganzes Leben lang sang Hafis von Liebe. Aber manche Weise sagen: nie hat er mit einer Frau geschlafen. Madjnun aber war einfach ein Irrer. Glaub mir: der Mann muß die Frau behüten, lieben muß sie ihn. So hat es Gott gewollt.«

Ich schwieg. Auch mein Vater verstummte. Vielleicht hatte er recht. Liebe ist nicht das wichtigste im Leben des Mannes. Nur hatte ich den hohen Grad seiner Weisheit noch nicht erreicht. Plötzlich lachte mein Vater und rief heiter:

»Also gut, morgen gehe ich zum Fürsten Kipiani und bespreche die Sache. Oder pflegen die jungen Leute von heute, ihre Heiratsanträge selbst zu machen?«

»Ich werde selbst mit den Kipianis sprechen«, sagte ich rasch.

Wir bestiegen die Pferde und ritten nach Bailow. Bald zeigten sich die Öltürme von Bibi-Eibat. Die schwarzen Gerüste glichen einem bösen, dunklen Wald. Es roch nach Petroleum. Arbeiter mit öltriefenden Händen standen an den Bohrlöchern. Das Erdöl ergoß sich im breiten Strom über die fette Erde. Wir ritten am Gefängnis von Bailow vorbei und hörten plötzlich Schüsse.

»Wird jemand erschossen?« fragte ich.

Nein. Diesmal fand keine Hinrichtung statt. Die Schüsse kamen aus der Kaserne der Bakuer Garnison. Dort wurde fleißig die Kunst des Krieges geübt.

»Willst du deine Freunde besuchen?« fragte mein Vater. Ich nickte. Wir ritten in den breiten Exerzierhof der Kaserne ein. Iljas Beg und Mehmed Haidar übten mit ihren Abteilungen. Schweiß rann von ihren Stirnen.

»Rechts — links! Rechts — links!«

Das Gesicht Mehmed Haidars war tiefernst. Iljas Beg glich einer zarten Marionette, die von einem andern Willen gelenkt wird. Die beiden kamen auf uns zu und grüßten.

»Wie gefällt euch der Dienst?« fragte ich.

Iljas Beg schwieg. Mehmed Haidar blickte finster vor sich hin.

»Immer noch besser als die Schule«, brummte er.

»Wir bekommen einen neuen Regimentskommandeur. Einen Fürsten Melikow aus Schuscha«, sagte Iljas Beg.

»Melikow? Ich kenne ihn. Ist es der mit dem rotgoldenen Pferd?«

»Ja, der ist es. Die ganze Garnison erzählt sich bereits Legenden von dem Pferd.«

Wir schwiegen. Dicker Staub lag über dem Kasernenhof. Iljas Beg blickte traumverloren zum Portal. In seinen Augen waren Neid und Sehnsucht. Mein Vater schlug ihm mit der Hand auf die Schulter.

»Du beneidest Ali Khan um seine Freiheit. Sei nicht neidisch. Er ist gerade im Begriffe, sie zu verschenken.«

Iljas Beg lachte verlegen.

»Ja, aber an Nino.«

Mehmed Haidar hob neugierig den Kopf.

»Huhu«, sagte er, »endlich, höchste Zeit.«

Er war ein alter Ehemann, seine Frau trug den Schleier. Weder ich noch Iljas kannten auch nur ihren Namen. Jetzt sah er mich sehr überlegen an, runzelte seine niedrige Stirn und sagte:

»Nun wirst du erfahren, wie das Leben in Wirklichkeit ist.« Im Munde Mehmed Haidars klang das sehr einfältig. Ich drückte den beiden die Hand und verließ die Kaserne. Was konnten Mehmed Haidar und seine verschleierte Frau vom Leben wissen?

Ich kam nach Hause und legte mich auf den Diwan. Das asiatische Zimmer ist immer kühl. Es füllt sich nachts mit Kälte wie eine Quelle mit Wasser. Am Tage taucht man in das Zimmer wie in ein kühles Bad.

Plötzlich läutete das Telephon. Ninos Stimme klagte:

»Ali Khan, ich vergehe von Sonnenglut und Mathematik. Komm und hilf.«

Zehn Minuten später streckt mir Nino ihre schmalen Arme entgegen. Ihre zarten Finger sind mit Tinte bekleckst. Ich küsse die Tintenflecke.

»Nino, ich hab mit meinem Vater gesprochen. Er ist einverstanden.«

Nino zittert und lacht zugleich. Scheu blickt sie sich im Zimmer um. Ihr Gesicht wird rot. Sie kommt ganz nah zu mir heran, und ich sehe ihre geweiteten Pupillen. Sie flüstert:

»Ali Khan, ich fürchte mich, ich fürchte mich so.«

»Vor der Prüfung, Nino?«

»Nein«, sie wendet sich ab. Ihre Augen blicken zum Meer. Sie fährt mit der Hand durch ihre Haare und sagt: »Ali Khan, ein Zug fährt von der Stadt X zur Stadt Y mit der Geschwindigkeit von fünfzig Kilometern die Stunde…«

Gerührt beuge ich mich über ihr Schulheft.

Загрузка...