»Haben Sie eine Tante?« — »Nein, ich habe keine Tante, aber mein Diener hat sich das rechte Bein gebrochen?«
»Lieben Sie das Reisen?« — »Ja, ich liebe das Reisen, aber ich pflege abends nur Obst zu essen.«
Die Übungssätze der Grammatik waren von boshaftester Torheit. Nino klappte das Buch zu.
»Ich glaube, wir können genug Englisch, um den Kampf zu bestehen, aber hast du schon einmal Whisky versucht?«
»Nino«, rief ich entsetzt, »du sprichst wie der Verfasser der Grammatik.«
»Leichtverständliche Verblödung, Ali Khan, hervorgerufen durch mißverstandenen Dienst am Vaterlande. Wer kommt heute abend?«
Ihre Stimme klang gespielt gleichgültig.
Ich zählte die Namen der englischen Beamten und Offiziere auf, die unser Haus heute beehren sollten. Nino blickte mit stillem Stolz vor sich hin. Sie wußte wohl: kein Minister von Aserbaidschan und kein General besaß, was ihr Mann besaß — eine gepflegte Frau mit westlichen Manieren, englischen Sprachkenntnissen und fürstlichen Eltern. Sie zupfte an ihrem Abendkleid und blickte prüfend in den Spiegel.
»Ich habe den Whisky versucht«, sagte sie düster, »er schmeckt bitter und außerordentlich widerwärtig. Deshalb wohl mischt man ihn mit Sodawasser.«
Ich legte meine Hand um ihre Schulter, und ihre Augen blickten mich dankbar an.
»Wir führen ein seltsames Leben, Ali Khan. Einmal sperrst du mich in den Harem ein, und dann wieder diene ich als Zeuge des kulturellen Fortschritts unseres Landes.«
Wir gingen hinunter zum Empfangsraum. Diener mit vorher wohleinstudierten Mienen drückten sich an den Wänden herum und von den Wänden herab hingen Landschaften und Tierbilder. Weiche Klubsessel standen in den Ecken, und Blumen bedeckten die Tische. Nino vergrub ihr Gesicht in weiche Rosenblätter.
»Weißt du noch, Ali Khan? Einst diente ich dir, indem ich Wasser aus dem Tal zum Aul trug.«
»Welcher Dienst gefällt dir mehr?«
Ninos Augen wurden verträumt, und sie antwortete nicht. An der Tür klingelte es, und ihre Lippen zuckten aufgeregt. Es waren aber nur die fürstlichen Eltern. Und Iljas Beg in voller Gala. Er ging prüfend durch die Säle und nickte begeistert.
»Ich sollte auch heiraten, Ali Khan«, sagte er gewichtig, »hat Nino Kusinen?«
Wir standen an der Tür, Nino und ich, und drückten kräftige, englische Hände. Die Offiziere waren hochgewachsen und hatten rötliche Gesichter. Die Damen trugen Handschuhe, hatten blaue Augen und lächelten gnädig und neugierig. Vielleicht erwarteten sie, von Eunuchen bewirtet und von Bauchtänzerinnen unterhalten zu werden. Statt dessen erschienen wohlerzogene Diener, die Speisen wurden von links serviert, und an den Wänden hingen grüne Wiesen und Rennpferde. Ninos Atem stockte, als ein junger Leutnant sich ein volles Glas Whisky einschenken ließ und es leerte, ohne das dargebotene Sodawasser zu beachten. Fetzen von Gesprächen schwebten durch den Raum und waren von der gleichen boshaften Torheit wie die Sprüche der Grammatik.
»Sind Sie schon lange verheiratet, Frau Schirwanschir?« — »Beinahe zwei Jahre.«
»Ja, die Hochzeitsreise machten wir nach Persien.« — »Mein Mann reitet gern.« — »Nein, Polo spielt er nicht.«
»Gefällt Ihnen unsere Stadt?« — »Es freut mich sehr.« — »Aber um Gottes willen!! Wir sind doch keine Wilden! Es gibt schon lange keine Vielweiberei in Aserbaidschan. Von Eunuchen habe ich nur in Romanen gelesen.«
Nino blickte zu mir hinüber, und ihre rosigen Nasenflügel zitterten von unterdrücktem Lachen. Eine Majorsgattin hatte sich bei ihr sogar erkundigt, ob sie schon je in der Oper gewesen sei.
»Ja«, hatte sie sanft geantwortet, »und lesen und schreiben kann ich auch.«
Die Majorsgattin war geschlagen, und Nino reichte ihr eine Sandwichplatte.
Junge Engländer, Beamte und Offiziere, verbeugten sich vor Nino, und ihre Hände berührten Ninos zarte Finger, und ihre Blicke streiften Ninos nackten Rücken.
Ich sah weg. In der Ecke stand Assadullah und rauchte seelenruhig ein Zigarre. Er selbst würde nie und nimmer seine Frau den Blicken so vieler fremder Menschen preisgeben. Aber Nino war eine Georgierin, eine Christin, und schien dazu bestimmt, ihre Hände, ihre Augen, ihren Rücken fremden Blicken auszuliefern.
Wut und Scham überfielen mich. Bruchstücke von Gesprächen streiften mein Ohr und klangen schamlos und gemein. Ich senkte die Augen, Nino stand am anderen Ende des Saales, von Fremden umringt.
»Danke«, sagte sie plötzlich heiser, »danke, Sie sind sehr liebenswürdig.«
Ich hob den Kopf und sah ihr tief errötetes und erschrockenes Gesicht. Sie ging durch den Saal und blieb vor mir stehen. Ihre Hand berührte meinen Ärmel, als suche sie Zuflucht.
»Ali Khan«, sagte sie leise, »es geht dir jetzt wie mir, als ich deine Tanten und Kusinen in Teheran besuchte. Was soll ich mit so vielen Männern? Ich will mich nicht so anschauen lassen.«
Dann wandte sie sich ab und ergriff die Hand der Frau Majorin. Ich hörte sie sprechen:
»Sie müssen wirklich einmal unser einheimisches Theater besuchen. Shakespeare wird gerade ins Aserbaidschanische übersetzt. Nächste Woche ist die Uraufführung von Hamlet.«
Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und dachte an die strengen Gesetze der Gastfreundschaft. Ein alter Spruch lautete:
»Wenn ein Gast in dein Zimmer tritt und den abgeschnittenen Kopf deines einzigen Sohnes in der Hand trägt, so mußt du ihn auch dann empfangen, bewirten und als Gast ehren.«
Ein weises Gesetz. Aber es war manchmal sehr schwer, ihm zu folgen.
Ich schenkte Whisky und Cognac in zahlreiche Gläser ein. Die Offiziere rauchten Zigarren, aber niemand legte die Füße auf den Tisch, obwohl ich es bestimmt erwartet hatte.
»Sie haben eine reizende Frau und ein reizendes Heim, Ali Khan«, setzte ein junger Offizier meine Qual fort.
Wahrscheinlich wäre er sehr verwundert, wenn er erfahren hätte, daß nur politische Rücksichten ihn vor einer Ohrfeige retteten. Ein ungläubiger Hund wagte es, öffentlich die Schönheit meiner Frau zu rühmen! Meine Hand zitterte, als ich ihm den Cognac einschenkte, und einige Tropfen flossen über.
Ein älterer Beamter mit weißem Schnurrbart und weißem Smokinghemd saß in der Ecke. Ich reichte ihm Gebäck. Er hatte längliche, gelbe Zähne und kurze Finger.
»Sie führen ein sehr europäisches Haus, Ali Khan«, sagte er in reinstem Persisch.
»Ich lebe so, wie es bei uns im Lande üblich ist.«
Er sah mich forschend an.
»Zwischen Persien und Aserbaidschan scheint ein gewaltiger kultureller Unterschied zu sein.«
»O ja. Wir sind um Jahrhunderte voraus. Sie müssen bedenken, daß wir eine gewaltige Industrie und ein Eisenbahnnetz besitzen. Leider hat die russische Regierung unsere kulturelle Entwicklung unterdrückt. Wir haben zu wenig Ärzte und Lehrer. Wie ich höre, beabsichtigt die Regierung, eine Reihe begabter, junger Leute nach Europa zu schicken, damit sie dort das nachholen, was sie unter dem Joche Rußlands versäumt haben.«
So sprach ich eine Weile und wollte ihm dann Whisky einschenken, aber er trank nicht.
»Ich war zwanzig Jahre lang Konsul in Persien«, sagte er, »es ist schmerzlich zu sehen, wie die alten gediegenen Formen der orientalischen Kultur verfallen, wie die heutigen Orientalen unserer Zivilisation nachrennen und die Sitten ihrer Ahnen verachten. Aber vielleicht haben sie recht. Der Stil ihres Lebens ist ja schließlich ihre Privatsache. Auf alle Fälle gebe ich zu, daß Ihr Land ebenso reif ist, selbständig zu sein wie etwa die Republiken Zentralamerikas. Ich glaube, daß unsere Regierung die staatliche Unabhängigkeit Aserbaidschans bald anerkennen wird.«
Ich war ein Ochse, aber der Zweck des Abends war erreicht. Am andern Ende des Saales stand, von Ninos fürstlichen Eltern und Iljas verdeckt, der Außenminister Assadullah. Ich durchquerte den Saal.
»Was sagte der Alte?« fragte Assadullah hastig.
»Er sagte, daß ich ein Ochse sei, aber daß die Anerkennung unserer Selbständigkeit durch England bevorsteht.«
Mirza Assadullah seufzte erleichtert.
»Sie sind gar kein Ochse, Ali Khan.«
»Danke, Herr Minister, aber ich glaube, ich bin es doch.«
Er schüttelte mir die Hand und verabschiedete sich von den Gästen. Als er am Ausgange Nino die Hand küßte, hörte ich, wie sie ihm mit geheimnisvollem Lächeln etwas zuflüsterte. Er nickte verständnisvoll.
Die Gäste gingen um Mitternacht, und im Saal roch es nach Tabak und Alkohol. Erschöpft und erleichtert stiegen wir die Treppen hinauf in unser Schlafzimmer und wurden plötzlich von einer seltsamen Ausgelassenheit ergriffen. Nino schmiß ihre Abendschuhe in die Ecke, sprang auf das Bett und ließ sich stehend von den Federn emporschnellen. Sie rümpfte die Nase, schob die Unterlippe nach vorne und glich einem kleinen, verspielten Affen. Sie blies die Wangen auf, stieß die beiden Zeigefinger gegen die gespannte Haut, die Luft riß ihre Lippen auf, und es klang wie ein Schuß.
»Wie gefall ich dir als Vaterlandsretterin?« rief sie. Dann sprang sie vom Bett herab, lief zum Spiegel und sah sich bewundernd an:
»Nino Hanum Schirwanschir, die aserbaidschanische Jeanne d’Arc. Fasziniert Majorsgattinnen und gibt vor, nie einen Eunuchen gesehen zu haben.«
Sie lachte und klatschte in ihre kleinen Hände. Sie trug ein helles Abendkleid mit tief ausgeschnittenem Rücken. Längliche Ohrringe hingen von ihren zarten Ohrläppchen herab. Die Perlenreihe um ihren Hals schimmerte blaß im Lampenlicht. Ihre Arme waren schlank und mädchenhaft, und die dunklen Haare fielen tief in den Nacken. Sie stand vor dem Spiegel und war hinreißend in ihrer neuartigen Schönheit.
Ich trat auf sie zu und sah eine europäische Prinzessin mit frohen und hochgemuten Augen. Ich umarmte sie und hatte das Gefühl, es zum erstenmal im Leben zu tun. Sie hatte eine weiche und duftende Haut, und die Zähne blitzten hinter ihren Lippen wie weiße Steinchen. Wir setzten uns zum erstenmal auf den Rand eines Bettes. Ich hielt eine europäische Frau in den Armen. Ihre langen, feinen und gebogenen Wimpern berührten meine Wange, sie zwinkerte zärtlich, und es war schön wie nie zuvor. Ich faßte sie beim Kinn und hob ihren Kopf. Ich sah das weiche Oval, feuchte, dürstende Lippen und sehnsüchtige Augen hinter halbgeschlossenen georgischen Wimpern. Ich streichelte ihren Nacken, und ihr kleines Haupt fiel kraftlos in meine Hände. Ihr Gesicht war voll Sehnsucht und Hingabe. Ich vergaß ihr Abendkleid und das europäische Bett mit aufgeschlagenen Decken und kühlen Laken. Ich sah sie im Aul, in Daghestan, halbbekleidet, auf der schmalen Matte des Lehmfußbodens. Meine Hände umklammerten ihre Schultern, und plötzlich lagen wir in unsern Kleidern auf dem blassen Teppich aus Kerman, zu Füßen des stolzen europäischen Prunkbettes. Ich sah Ninos Gesicht über dem zarten Teppich und wie sich ihre Augenbrauen in schmerzlicher Lust zusammenzogen. Ich hörte ihren Atem, fühlte die harten Rundungen ihrer schmalen Schenkel und vergaß den alten Engländer, die jungen Offiziere und die Zukunft unserer Republik.
Später lagen wir still nebeneinander und blickten in den großen Saal über unserem Kopf.
»Das Kleid ist hin«, stellte Nino fest, und es klang wie das Geständnis eines großen Glücks. Dann saßen wir auf dem Teppich, Nino wiegte ihren Kopf in meinem Schoß und überlegte: »Was würde die Frau Majorin dazu sagen?! Sie würde sagen: Weiß denn Ali Khan nicht, wozu die Betten da sind?« Sie erhob sich endgültig und stieß mit ihrem kleinen Fuß an mein Knie: »Würde sich der Herr Attache entschließen, sich zu entkleiden und, den allgemeinen Gepflogenheiten der diplomatischen Welt folgend, seinen Platz im Ehebett einnehmen? Wo gibt es Attaches, die sich auf dem Teppich herumwälzen?«
Ich erhob mich, brummend und schlaftrunken, warf die Kleider ab und lag zwischen zwei Laken neben Nino. So schliefen wir ein.
Tage und Wochen vergingen, Gäste kamen, tranken Whisky und lobten unser Heim. Ninos georgische Gastfreundschaft entfaltete sich in ihrer ganzen heitern Geselligkeit. Sie tanzte mit jungen Leutnants und sprach mit älteren Hauptleuten über Gicht. Sie erzählte den englischen Damen Geschichten aus der Zeit der Königin Tamar und ließ sie in dem Glauben, daß die große Königin auch über Aserbaidschan geherrscht habe. Ich saß im Ministerium, allein in einem großen Zimmer, schrieb Entwürfe für diplomatische Noten, las die Berichte unserer Auslandsvertreter und blickte aufs Meer hinaus. Nino holte mich ab und war fraulich und heiter, voll gedankenloser Anmut. Sie schloß eine überraschende Freundschaft mit dem Außenminister Assadullah. Sie bewirtete ihn, wenn er zu uns kam, erteilte ihm weise Ratschläge gesellschaftlicher Art, und manchmal traf ich die beiden, geheimnisvoll flüsternd, in entfernten Ecken unseres Hauses.
»Was willst du von Mirza?« fragte ich, und sie lächelte und erklärte, es sei ihr Ehrgeiz, der erste weibliche Chef des Protokolls zu werden.
Auf meinem Schreibtisch stapelten sich Briefe, Berichte und Memoranden. Der Bau des neuen Staates war in vollem Gange, und es war schön, die Briefbogen und Aktenstücke zu entfalten, die unser neues Wappen am Kopfe führten.
Es war kurz vor Mittag, als mir der Kurier die Zeitungen brachte. Ich entfaltete unser Regierungsblatt und sah auf der dritten Seite fett gedruckt meinen Namen prangen. Darunter stand geschrieben:
»Ali Khan Schirwanschir, Attaché im Außenministerium, wird in gleicher Eigenschaft unserer Gesandtschaft in Paris zugeteilt.«
Es folgte ein längerer Aufsatz, der meine hervorragenden Eigenschaften rühmte und der unverkennbar die Feder Arslan Agas verriet.
Ich sprang auf und rannte durch die Zimmerflucht zum Kabinett des Ministers. Ich riß die Türe auf.
»Mirza Assadullah«, rief ich, »was soll das?«
»Ah«, lächelte er, »eine Überraschung für Sie, mein Freund. Ich habe es Ihrer Frau versprochen. Nino und Sie werden in Paris am richtigen Platz sein.«
Ich warf die Zeitung in die Ecke, und wilde Wut packte mich.
»Mirza«, rief ich, »es besteht kein Gesetz, das mich zwingen könnte, für Jahre meine Heimat zu verlassen.«
Er sah mich verwundert an.
»Was wollen Sie, Ali Khan? Diese Auslandsposten sind die begehrtesten in unserm Dienst. Sie eignen sich dazu ganz ausgezeichnet.«
»Ich will aber nicht nach Paris, und ich verlasse den Dienst, falls Sie mich dazu zwingen wollen. Ich hasse die fremde Welt, die fremden Straßen, Menschen und Sitten. Aber Sie werden das nie verstehen, Mirza!«
»Nein«, sagte er höflich, »aber wenn Sie darauf bestehen, können Sie auch hierbleiben.«
Ich eilte nach Hause. Ich lief die Treppe hinauf und war ganz außer Atem.
»Nino«, sagte ich, »ich kann nicht, ich kann es einfach nicht.«
Sie wurde sehr blaß, und ihre Hände zitterten.
»Warum nicht, Ali Khan?«
»Nino, versteh mich recht. Ich liebe das flache Dach über meinem Kopf, die Wüste und das Meer. Ich liebe diese Stadt, die alte Mauer und die Moscheen in den engen Gassen, und ich werde ersticken außerhalb des Orients wie ein Fisch außerhalb des Wassers.«
Sie schloß für einen Augenblick die Augen.
»Schade«, sagte sie tonlos, und mein Herz schmerzte beim Klang dieses Wortes. Ich setzte mich hin und nahm ihre Hand.
»Ich würde in Paris genau so unglücklich sein, wie du in Persien warst. Ich würde mich dort einer fremden Willkür ausgeliefert fühlen. Denke an den Harem in Schimran. Ich würde Europa so wenig ertragen können, wie du Asien ertrugst. Bleiben wir in Baku, wo Asien und Europa unmerklich ineinander übergehen. Ich kann nicht nach Paris gehen, es gibt dort keine Moscheen, keine alte Mauer und keinen Seyd Mustafa. Ich muß mich von Zeit zu Zeit an der Seele Asiens laben, um die vielen Fremden zu ertragen, die zu uns kommen. In Paris würde ich dich hassen, wie du mich nach dem Fest des Moharrems gehaßt hast. Nicht sofort, aber irgendwann, nach einem Karneval oder nach einem Ball würde ich dich plötzlich zu hassen beginnen wegen der fremden Welt, in die du mich zwingen willst. Deshalb bleibe ich hier, was immer auch geschehe. Ich bin in diesem Lande geboren und will hier sterben.«
Sie schwieg die ganze Zeit, und als ich endete, beugte sie sich zu mir, und ihre Hand streichelte meine Haare.
»Verzeih deiner Nino, Ali Khan. Ich war sehr dumm. Ich weiß nicht, warum ich dachte, du könntest dich eher wandeln als ich. Wir bleiben hier und sprechen nicht mehr von Paris. Du behältst die asiatische Stadt und ich das europäische Haus.«
Sie küßte mich zärtlich, und ihre Augen leuchteten.
»Nino, ist es sehr schwer, meine Frau zu sein?«
»Nein, Ali Khan, wenn man klug ist, gar nicht. Aber man muß klug sein.«
Ihre Finger glitten über mein Gesicht. Sie war eine starke Frau, meine Nino. Ich wußte, daß ich den schönsten Traum ihres Lebens zerstört hatte.
Ich nahm sie auf die Knie.
»Nino, wenn das Kind da ist, fahren wir nach Paris, nach London, Berlin oder Rom. Wir haben noch eine Hochzeitsreise nachzuholen. Wir bleiben, wo es dir gefällt, einen ganzen langen Sommer. Und wir fahren in jedem Jahr wieder nach Europa, denn ich bin kein Tyrann. Aber leben will ich in dem Lande, zu dem ich gehöre, denn ich bin ein Kind unserer Wüste, unseres Sandes, unserer Sonne.«
»Ja«, sagte sie, »sogar ein sehr gutes Kind, und wir wollen Europa vergessen. Aber das Kind, das ich von dir trage, soll weder ein Kind der Wüste noch ein Kind des Sandes werden, sondern einfach das Kind von Ali und Nino. Abgemacht?«
»Abgemacht«, sagte ich und wußte, daß ich damit einwilligte, der Vater eines Europäers zu werden.