»Was heißt, du hast sie getötet?«, fragte Zebra. Wir standen immer noch alle fünf vor dem bizarren Stillleben mit der toten Dominika.
»Das sagte ich nicht«, gab ich zurück. »Ich sagte, Tanner Mirabel hätte sie getötet.«
»Und wer sind Sie?«, fragte Chanterelle.
»Ich bin nicht sicher, ob Sie mir glauben würden, wenn ich Ihnen das erzählte. Ehrlich gesagt, fällt es mir selbst nicht so ganz leicht.«
Pransky, der mitgehört hatte, hob jetzt die Stimme und sprach mit feierlichem Ernst. »Dominika ist noch warm. Und die Totenstarre hat noch nicht eingesetzt. Wenn Sie — wie ich vermute — nachweisen können, wo Sie sich in den letzten Stunden aufgehalten haben, dürften Sie kaum zu den Hauptverdächtigen gehören.«
Zebra zupfte mich am Ärmel. »Was ist mit den beiden Personen, die hinter dir her waren, Tanner? Laut Dominika benahmen sie sich wie Fremdweltler. Sie könnten sie doch getötet haben, weil sie von ihr verpfiffen wurden.«
»Ich weiß nicht einmal, wer sie sind«, sagte ich. »Zumindest bin ich nicht sicher, jedenfalls, was die Frau angeht. Bei dem Mann habe ich einen gewissen Verdacht.«
»Und wer könnte es sein?«, fragte Zebra.
Quirrenbach unterbrach. »Ich finde wirklich, wir sollten uns hier nicht allzu lange aufhalten; sonst fallen wir womöglich noch unserer so genannten Obrigkeit in die Hände. Und glauben Sie mir, das steht nicht unbedingt ganz oben auf meiner Wunschliste.«
»So ungern ich ihm zustimme«, sagte Chanterelle. »Aber in diesem Punkt hat er tatsächlich Recht, Tanner.«
»Ich glaube, Sie sollten mich nicht mehr so nennen«, sagte ich.
Zebra schüttelte zweifelnd den Kopf. »Und wie willst du dann angesprochen werden?«
»Jedenfalls nicht als Tanner Mirabel.« Ich deutete mit einem Nicken auf Dominikas Leichnam. »Es muss Mirabel gewesen sein, der sie ermordet hat. Der Mann, der mich verfolgt, ist Mirabel. Er hat das getan, nicht ich.«
»Das ist Wahnsinn«, sagte Chanterelle und alle nickten, doch keiner schien allzu glücklich über die Entwicklung. »Wenn Sie nicht Tanner Mirabel sind, wer sind Sie dann?«
»Ein Mann namens Cahuella«, sagte ich, aber auch das war nur die halbe Wahrheit.
Zebra stemmte die Hände in die Hüften. »Und dass du das einem von uns schon früher hättest erzählen können, ist dir gar nicht in den Sinn gekommen?«
»Bis vor kurzem war es mir selbst nicht klar.«
»Nein? Ist dir einfach entfallen, wie?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich glaube, Cahuella hat meine — seine — Erinnerungen verändert, um seine eigene Identität zu unterdrücken. Das war für eine gewisse Zeit notwendig, damit er Sky’s Edge verlassen konnte. Seine eigenen Erinnerungen und sein Gesicht hätten ihn sonst überführt. Und wenn ich ›er‹ sage, meine ich eigentlich ›ich‹.«
Zebra sah mich so skeptisch an, als würde sie den Verdacht nicht los, mich vollkommen falsch eingeschätzt zu haben. »Du glaubst das wirklich, oder?«
»Ich habe einige Zeit gebraucht, mich damit anzufreunden, das kann ich dir versichern.«
»Er ist eindeutig übergeschnappt«, sagte Quirrenbach. »Seltsam. Ich hätte nicht gedacht, dass der Anblick einer fetten toten Frau allein genügen würde, um ihn in den Wahnsinn zu treiben.«
Ich schlug ihn nieder. Es ging ganz schnell; ich gab ihm keinerlei Chance, und da Chanterelle ihn ständig mit ihrer Waffe in Schach hielt, konnte er sich ohnehin nicht wehren. Er rutschte in einer Pfütze aus Sterilisationsflüssigkeit aus und hielt sich schon im Fallen das Kinn.
Als er auf dem Boden aufschlug, rutschte er in den Schatten der Operationsliege und schrie auf, als er dort etwas berührte.
Zunächst dachte ich, eine Schlange wäre hinuntergefallen. Doch dann kroch eine Gestalt hervor. Dominikas Junge, Tom.
Ich streckte ihm die Hand entgegen. »Komm her. Bei uns wird dir nichts geschehen.«
Sie war von demselben Mann getötet worden, der sie schon einmal aufgesucht hatte, um sich nach mir zu erkundigen. Ein Fremdweltler, ja — fast wie du. Tom sagte es anfangs wie nebenbei, dann wiederholte er die Bemerkung in zunehmend misstrauischem Ton immer wieder. Nicht nur fast wie Tanner — sondern genauso wie er.
»Schon gut«, sagte ich und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Der Mann, der Dominika getötet hat, sieht nur so aus wie ich. Das heißt nicht, dass ich es bin.«
Tom nickte. »Du reden anders wie er.«
»Er hat anders gesprochen?«
»Du reden ziemlich geschwollen, Mister. Der andere Mann — der aussehen wie du — machen nicht so viel Wörter.«
»Der große Schweiger«, sagte Zebra, zog den Jungen von mir weg und schloss ihn schützend in ihre langen, schlanken Arme. Ich war gerührt. Zum ersten Mal zeigte jemand aus dem Baldachin so etwas wie Mitgefühl für einen Mulch-Geborenen; zum ersten Mal erlebte ich, dass eine der beiden Parteien die andere als menschlich gelten ließ. Natürlich kannte ich Zebras Einstellung — ich wusste, dass sie das Große Spiel für Unrecht hielt —, aber dass sich diese Einstellung in einer so schlichten Geste des Trostes äußerte, war doch ungewohnt. »Dominikas Tod macht uns traurig«, sagte sie. »Du musst uns glauben, dass nicht wir es waren.«
Tom schniefte. Er war verstört, aber der Schock über Dominikas Tod hatte noch nicht eingesetzt, und so war er noch halbwegs ansprechbar und gern bereit, uns zu helfen. Wenigstens hoffte ich, dass der Schock noch nicht eingesetzt hatte. An die zweite Möglichkeit — dass er nämlich längst immun war gegen diese Art von Schmerz — wollte ich lieber nicht denken. Bei einem Soldaten hätte ich das verkraften können, nicht aber bei einem Kind.
»War er allein?«, fragte ich. »Man sagte mir, zwei Leute hätten nach mir gesucht; ein Mann und eine Frau. Weißt du, ob das derselbe Mann war?«
»Derselbe Kerl«, sagte der Junge und drehte den Kopf weg, um Dominikas schwebende Leiche nicht sehen zu müssen. »Auch diesmal nicht allein. Frau wieder bei ihm, aber sehen diesmal nicht so glücklich aus.«
»Beim ersten Mal hat sie glücklich ausgesehen?«, fragte ich.
»Nicht glücklich, aber…« Der Junge stockte. Ich sah, dass wir allzu hohe Anforderungen an seinen Wortschatz stellten. »Kann sehen, dass Kerl ihr nicht unheimlich; wie guter Freund. War damals netter — mehr wie du.«
Das passte. Der erste Besuch bei Dominika war ein Fischzug gewesen; um Informationen über die Stadt zu sammeln und — hoffentlich — zu erfahren, wo er den Mann finden konnte, den er erledigen wollte, ob das nun ich war oder Reivich oder wir alle beide. Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, Dominika schon damals zu töten, aber er hatte wohl angenommen, sie noch einmal gebrauchen zu können. Also hatte er sie vorerst am Leben gelassen. Später hatte er dann im Basar die Schlangen gekauft und war zurückgekommen.
Um sie auf eine Art und Weise zu töten, von der er wusste, sie würde mich aufhorchen lassen: ein Geheimcode in Form eines Ritualmords, der einen Zugang in die Tiefen meiner Seele eröffnen sollte.
»Die Frau«, sagte ich. »War sie auch Fremdweltlerin«?
Aber darüber wusste Tom nicht mehr als ich.
Ich ließ mir Zebras Telefon geben und rief Lorant an, das Schwein, in dessen Küche ich vor einer Ewigkeit bei meinem Sturz vom Baldachin gekracht war. Ich sagte ihm, ich müsste ihn und seine Frau noch einmal um einen riesigen Gefallen bitten, und ob sie sich um Tom kümmern könnten, bis sich die Lage wieder beruhigt hätte. Einen Tag, sagte ich, aber das war mir nur eben so eingefallen, es war in keiner Weise verbindlich.
»Ich um mich selbst kümmern«, sagte Tom. »Will nicht bei Schweinen bleiben.«
»Es sind gute Leute, glaub mir. Dort bist du in Sicherheit. Wenn sich erst herumspricht, dass jemand Zeuge war, als Dominika getötet wurde, kommt der Mann bestimmt zurück. Und wenn er dich findet, tötet er dich«, sagte ich.
»Ich muss jetzt immer verstecken?«
»Nein«, sagte ich. »Nur so lange, bis ich den Mann getötet habe, der das getan hat. Und ich habe nicht vor, den Rest meines Lebens damit zu verbringen, das kannst du mir glauben.«
In der Bahnhofshalle war es noch ruhig, als wir das Zelt verließen. Das Schwein und seine Frau warteten gleich hinter dem Wasserfall aus schmutzigem Regen, der wie ein vergilbter Baumwollvorhang vom Dach des Bahnhofsgebäudes stürzte. Der Junge ging bereitwillig mit ihnen. Anfangs war er nervös, doch dann hob ihn Lorant kurzerhand in den Wagen, und das Vehikel mit den Ballonreifen verschwand wie eine Geistererscheinung im Dunst.
»Ich denke, jetzt ist er versorgt«, sagte ich.
»Halten Sie die Gefahr wirklich für so groß?«, fragte Quirrenbach.
»Sie ist größer, als Sie sich vorstellen können. Dominikas Mörder hat nicht gerade ein überempfindliches Gewissen.«
»Das klingt, als würden sie ihn kennen.«
»So ist es«, sagte ich.
Wir kehrten zu Chanterelles Gondel zurück.
»Ich verstehe gar nichts mehr«, sagte Quirrenbach, als er in die helle, trockene Fahrgastzelle stieg. »Ich weiß nicht mehr, mit wem ich es eigentlich zu tun habe. Ich komme mir vor, als hätten Sie mir eben den Teppich unter den Füßen weggezogen.«
Er sah mich an.
»Nur, weil ich die tote Frau gefunden habe?«, fragte Pransky. »Oder weil Mirabel verrückt spielt?«
»Quirrenbach«, sagte ich, »ich muss wissen, bei wem man Schlangen kaufen kann; wahrscheinlich nicht weit von hier.«
»Haben Sie nicht gehört, was wir eben sagten?«
»Schon«, sagte ich. »Ich will nur im Moment nicht darüber sprechen.«
»Tanner«, sagte Zebra und stockte. »Oder wie du auch heißen magst. Hat die Sache mit deinem Namen etwas mit dem zu tun, was dir der Meistermischer sagte?«
»Das ist nicht zufällig derselbe, den Sie mit mir aufgesucht haben?« Das war Chanterelle, und ich konnte nur nicken, als wollte ich mit dieser Geste endgültig meinen Frieden mit der Wahrheit machen.
»Ich kenne einige Schlangenverkäufer in der Stadt«, sagte Quirrenbach, fast als wollte er die Spannung lösen. Er beugte sich über Zebras Schulter und gab der Gondel einige Anweisungen ein. Sie hob sanft ab, wir ließen den regennassen Mulch mit seinem Gestank und seinem chaotischen Treiben rasch hinter uns zurück.
»Ich musste wissen, was mit meinen Augen los war«, erklärte ich Chanterelle. »Warum irgendjemand sie genetisch manipuliert hatte. Als ich mit Zebra wiederkam, sagte mir der Meistermischer, die Behandlung sei wahrscheinlich von Ultras durchgeführt und dann — recht stümperhaft — von anderer Seite wieder rückgängig gemacht worden; von jemandem wie den Schwarzen Genetikern.«
»Weiter.«
»Es war nicht ganz das, was ich hören wollte. Was ich eigentlich erwartet hatte, weiß ich nicht, jedenfalls nicht, dass ich in irgendeiner Weise an der Sache beteiligt gewesen sein sollte.«
»Sie glauben, Sie hätten Ihre Augen freiwillig behandeln lassen?«
Ich nickte. »Es hätte durchaus seine Vorzüge. Ein begeisterter Jäger könnte es zum Beispiel in Erwägung ziehen. Ich kann jetzt im Dunkeln sehr gut sehen.«
»Wer?«, fragte Chanterelle.
»Gute Frage«, stimmte Zebra ein. »Aber bevor du sie beantwortest, warum wolltest du diesen Ganzkörperscan, als wir den Meistermischer besuchten? Was hatte es damit auf sich?«
»Ich suchte nach Spuren alter Verletzungen«, sagte ich. »Die beiden Wunden waren etwa gleich alt. Ich hatte gehofft, die eine zu finden und die andere nicht.«
»Besondere Gründe?«
»Reivichs Killer hatten Tanner Mirabel einen Fuß abgeschossen. Ein Fuß lässt sich durch eine organische Prothese ersetzen, oder man kann sich aus eigenem Zellmaterial eine Kopie klonen lassen. In beiden Fällen hätte der neue Fuß jedoch chirurgisch am Stumpf befestigt werden müssen. Nun mag es auf Yellowstone vielleicht Ärzte geben, die eine solche Operation so hinbekommen, dass hinterher nichts mehr davon zu sehen ist. Aber nicht auf Sky’s Edge. Da gäbe es jede Menge mikroskopisch kleiner Narben — Spuren, die einem Meistermischer-Scan bestimmt nicht entgangen wären.«
Zebra nickte. Das leuchtete ihr ein. »So weit mag alles seine Richtigkeit haben. Aber wenn du tatsächlich nicht Tanner bist, woher weißt du dann, dass ihm das überhaupt passiert ist?«
»Weil ich ihm offenbar seine Erinnerungen gestohlen habe.«
Gitta und Cahuella stürzten fast im gleichen Moment zu Boden.
Zu hören war von beiden nicht viel. Gitta war — so weit es darauf ankam — in dem Moment gestorben, als der Strahl aus meiner Waffe in ihren Schädel eindrang und ihr Hirngewebe zu Asche verbrannte. Ihr Mund hatte sich noch ein wenig weiter geöffnet, aber sie hatte vermutlich nicht mehr registriert, was ich getan hatte, bevor ihr Verstand die Arbeit einstellte. Ich hoffte — inständig — Gittas buchstäblich letzter Gedanke möge gewesen sein, ich würde jetzt gleich etwas unternehmen, um sie zu retten. Als sie stürzte, wurde das Messer des Killers noch tiefer in ihren Hals gedrückt, aber in diesem Moment empfand sie schon keinen Schmerz mehr.
Cahuella — durchbohrt von dem Strahl, der Gitta hätte retten und den Killer töten sollen — stieß langsam den Atem aus. Es klang wie der letzte Seufzer eines Menschen, der erleichtert in Schlaf sank. Er hatte — eine kleine Gnade — durch den Schock das Bewusstsein verloren.
Der Killer sah zu mir auf. Er konnte natürlich nicht begreifen, was ich getan hatte, für ihn ergab es keinen Sinn. Ich fragte mich, wie lange es wohl dauern würde, bis ihm klar wurde, dass der Schuss, der Gitta mit mathematischer Präzision mitten in die Stirn getroffen hatte, eigentlich für ihn bestimmt gewesen war. Wie lange, bis ihm die einfache Erkenntnis kam, dass ich nicht ganz der Meisterschütze war, für den ich mich gehalten hatte, dass ich ausgerechnet den Menschen getötet hatte, den ich hatte retten wollen.
Für einen Moment herrschte gespannte Ruhe, während er vielleicht den halben Weg zu dieser Erkenntnis zurücklegte.
Doch ich ließ ihm keine Zeit, die Reise zu beenden.
Diesmal schoss ich nicht daneben, und ich hörte auch nicht auf zu schießen, als der Zweck erfüllt war. Ich pumpte die ganze Energiezelle in den Mann hinein und feuerte so lange weiter, bis der Lauf der Waffe im matten Licht des Zeltinneren kirschrot glühte.
Dann stand ich einen Moment lang untätig vor den drei reglosen Körpern, bis mein Soldateninstinkt wieder einsetzte. Ich kam zu mir und bemühte mich, mir ein möglichst klares Bild der Lage zu verschaffen.
Cahuella atmete noch, war aber tief bewusstlos. Den Reivich-Killer hatte ich zu einem Demonstrationsobjekt für Schädelanatomie gemacht. Mein Gewissen meldete sich, ich schämte mich, die Hinrichtung über jedes vernünftige Maß hinaus getrieben zu haben. Vermutlich waren das die letzten Zuckungen des sterbenden Berufssoldaten gewesen. Indem ich diese Energiezelle leer schoss, hatte ich die Schwelle in ein weniger steriles Reich überschritten, wo es noch weniger Regeln gab und wo es nicht so sehr darum ging, möglichst effektiv zu töten, als möglichst viel Hass abzureagieren.
Ich legte die Waffe auf den Boden und kniete neben Gitta nieder.
Ich brauchte die Reiseapotheke nicht — dass sie unwiderruflich tot war, sah ich auch so. Aber ich konnte es nicht lassen, den kleinen Neuralscanner über ihren Kopf zu halten. Eine Schar von roten Meldungen füllte den Bildschirm: irreparable Gewebeschäden; schweres Hirnstammsyndrom; ausgedehntes Schädel-Hirn-Trauma. Selbst wenn wir einen Trawl im Zelt gehabt hätten, er hätte ihre Erinnerungen nicht mehr abschöpfen können, um wenigstens einen Schatten ihrer Persönlichkeit zu bewahren. Ich hatte sichergestellt, dass ihre Verletzungen selbst dafür zu schwer waren. Sogar die biochemischen Muster waren zerstört. Trotzdem erhielt ich sie am Leben: ich schnallte ihr ein Aggregat um den Oberkörper und wartete, bis es den Kreislauf wieder in Gang brachte und damit ihren Tod scheinbar widerlegte. Endlich bekamen ihre Wangen wieder Farbe. Das Aggregat würde sie vor Verwesung bewahren, bis wir das Reptilienhaus erreichten. Cahuella hätte mich umgebracht, wenn ich das unterlassen hätte.
Endlich wandte ich mich Cahuella zu. Seine Verletzungen waren fast banal; der Strahl war mitten durch ihn hindurch gegangen, aber er war nur sehr kurz gewesen, und ich hatte ihn so schmal wie möglich eingestellt. Die meisten Schäden im Innern seines Körpers waren nicht durch den Schuss an sich entstanden, sondern durch die explosive Verdampfung von Wasser in seinen Zellen. Die Schussbahn war von einer Reihe winziger Verbrühungen gesäumt. Die Ein- und Austrittswunden waren so klein, dass ich sie nur mit Mühe fand. Zu inneren Blutungen dürfte es nicht gekommen sein; jedenfalls nicht, wenn der Strahl wie geplant alle entstandenen Verletzungen sofort kauterisiert hatte. Natürlich hatte mein Arbeitgeber einiges abbekommen, aber ich hatte keinen Anlass zu befürchten, dass er nicht überleben würde. Im Moment konnte ich allerdings nicht mehr für ihn tun, als ihm ein zweites Aggregat anzulegen, das ihn im künstlichen Koma hielt.
Ich schnallte ihm das Gerät um und ließ ihn friedlich neben seiner Frau liegen. Dann packte ich das Gewehr, drückte eine frische Energiezelle hinein und drehte eine zweite Runde um das Lager. Als provisorische Krücke benutzte ich ein zweites Gewehr. Ich bemühte mich, möglichst nicht an meinen Fuß zu denken, schließlich war mir — mit einer gleichgültigen Sachlichkeit, die mich keinesfalls beruhigen konnte — klar, dass es nur eine Frage der Zeit wäre, den Verlust zu ersetzen.
Fünf Minuten später hatte ich mich vergewissert, dass Reivichs restliche Männer tot waren; desgleichen die meisten unserer Leute bis auf Cahuella und mich. Dieterling hatte als einziger Glück gehabt; er hatte nur eine kleinere Wunde, einen Streifschuss am Kopf, der schlimmer aussah, als er tatsächlich war. Doch er hatte das Bewusstsein verloren, und deshalb hatte ihn der Feind für tot gehalten.
Eine Stunde später hatte ich, selbst dem Zusammenbruch nahe — mir wurde immer wieder schwarz vor den Augen, Wolken so dunkel wie die Vorboten des nächtlichen Unwetters trübten mein Blickfeld —, Cahuella und seine Frau in den Bodeneffekt-Wagen gepackt. Dann rüttelte ich Dieterling wach, doch er war vom Blutverlust geschwächt und etwas wirr im Kopf. Ein paar Mal hatte ich meine Schmerzen laut hinausgeschrien.
Ich ließ mich auf den Fahrersitz fallen und startete den Wagen. Mein Körper wollte mich mit aller Kraft in Tiefschlaf versetzen, aber ich wusste, dass ich hier nicht bleiben konnte. Ich musste nach Süden, bevor Reivich ein weiteres Killerkommando schickte; und das würde er sicher tun, wenn der erste Trupp nicht rechtzeitig zurückkehrte.
Die Nacht schien kein Ende zu nehmen, und als die erste Morgenröte endlich über den jetzt wolkenlosen Meereshorizont kroch, hatte ich sie in meinen Phantasien schon ein Dutzend Mal gesehen. Irgendwie brachte ich uns zum Reptilienhaus zurück.
Aber es wäre für alle Beteiligten besser gewesen, wenn ich es nicht geschafft hätte.