25. Kapitel

Fletchers mit Sensoren ausgerüstetes Aufklärungsflugzeug entdeckte aus geringer Höhe eine Gruppe von dreiundvierzig erwachsenen Wemarern, die sich in Richtung Mine bewegten, sich aber schätzungsweise noch in einer Entfernung von neun Tagesmärschen befanden, und übermittelte Bilder von ihnen zur Rhabwar. Die Wemarer sprangen nicht voran, sondern gingen nur, weil vier von ihnen einen fünften auf einer Trage mitschleppten, die man aus dünnen, geraden, von allen Zweigen befreiten Ästen angefertigt hatte. Jeweils zwei kleine Tiere von etwa einem Fünftel der Körpergröße eines Wemarers wurden zwischen zwei Jägern, die ein doppeltes Seil am Hals der Tiere befestigt hatten, sowohl vorangetrieben als auch hinterhergezogen. Bis auf den kranken oder verletzten DHCG auf der Bahre waren alle Jäger mit Tornistern ausgestattet, die schlaff vom Rücken herabhingen. Ganz offensichtlich war die Jagd nicht erfolgreich gewesen.

Ob oder wann Gurronsevas diese Bilder Remrath zeigen wollte, hatte man ihm selbst überlassen. Die Nachricht von der Ankunft der Jagdgruppe hätte einen störenden Einfluß auf das sich ständig verbessernde Verhältnis zu Remrath haben können. Seit ihrem gemeinsamen Ausflug durchs Tal hatte es dem Chefkoch nie an Worten gefehlt, insbesondere wenn es sich, wie jetzt, um kritische handelte.

„Das ist völlig albern und kindisch!“ protestierte Remrath voller Ungeduld. „Gurronsevas, wie oft muß ich Ihnen denn noch sagen, daß wir Gemüse nicht aus freien Stücken essen, sondern nur, weil wir durch den drohenden Hungertod dazu gezwungen sind? Kalt oder warm, roh oder gekocht, in welcher Form es auch immer zubereitet wird, es bleibt Gemüse. Gut, es sieht hübsch aus, wie Sie es auf dem Teller arrangieren, das gebe ich ja zu, aber Kinder finden es angenehmer, hübsche Muster zu legen, indem sie farbige Steine und Holzstücke auf ihren Schultischen herumschieben, als mit ungekochten Gemüsehappen auf dem Teller herumzumanschen. Was soll das? Sie erwarten doch wohl von niemandem, daß er tatsächlich dieses Zeug ißt, oder?“

„Es handelt sich um einen Salat“, erklärte Gurronsevas ruhig und nachsichtig, um zu versuchen, der Ungeduld des Chefkochs entgegenzuwirken. „Wenn Sie ihn genau betrachten, werden Sie feststellen, daß er sich aus geringen Mengen bekannter Pflanzenarten Ihres Planeten in ungewohnten Formen zusammensetzt, da ich sie in Würfel, Scheiben und Streifen geschnitten habe. Angemacht ist das Ganze mit ein wenig Dressing, das aus den Keimen Ihres Vries besteht, die ich zerdrückt und mit dem Saft unreifer Moosbeeren gemischt habe, damit es den nötigen Geschmack bekommt. Zu guter Letzt habe ich den Salat zu einem optisch interessanten Muster arrangiert. Die Crillknospen kann man, falls man will, ebenfalls essen, und wenn der Salat schließlich auf den Tisch kommt, werden sie sich bereits geöffnet haben, doch in erster Linie sind sie als Verzierung gedacht und sollen das Aroma steigern. Daß der Reiz einer Mahlzeit nicht nur im Geschmack, sondern auch im Aussehen und Duft liegt, habe ich Ihnen ja schon erklärt — und das gilt auch für die anderen beiden Gänge des Menüs, die dort auf dem Tablett stehen.

Bitte probieren Sie den Salat mal“, forderte er Remrath auf. „Ich habe selbst alle drei Gänge gegessen, ohne Schaden zu nehmen, und trotz der für mich ungewohnten Zutaten einiges vom Geschmack her als recht angenehm gefunden.“

Das ist allerdings nicht ganz wahr, dachte Gurronsevas insgeheim, denn während der ersten Experimente mit Wemarer Pflanzen war auf die anfängliche Freude schnell eine Magenverstimmung gefolgt. Doch wie er sich vor Augen hielt, hatten alle Leute, die glaubten, unbedingt zu viel von der Wahrheit ausplaudern zu müssen, in der Geschichte aller Planeten schon immer eine Unmenge Probleme verursacht.

„Jetzt probieren Sie doch mal, dann werden Sie schon sehen“, wiederholte er.

„Ich verstehe nicht, weshalb es drei verschiedene Gerichte geben muß“, wandte Remrath ein. „Wieso mischen wir nicht einfach alle drei miteinander?“

Allein bei der Vorstellung lief Gurronsevas schon ein kleiner, unmerklicher Ekelschauer über den breiten Rücken. Diese Frage hatte er bereits beantwortet, und er vermutete, daß Remrath lediglich eine Verzögerungstaktik verfolgte, mit der Erfolg zu haben der Wemarer in seiner Rolle als Kochgehilfe nicht hoffen konnte. Vielleicht sollte ich die Frage ein zweites Mal beantworten, sagte sich Gurronsevas, um dieses Mal bei meinem Kollegen auch den letzten Zweifel über meine Absichten auszuräumen.

„Bei allen intelligenten Spezies, die ich kenne, ist es üblich, Mahlzeiten zuzubereiten und zu servieren, die aus mehreren miteinander kontrastierenden oder sich ergänzenden einzelnen Gerichten oder Gängen bestehen“, erklärte er geduldig. „Dies liegt daran, daß man das Essen für eine Gaumenfreude hält, die zu bestimmten Zeiten subtil und recht lange anhaltend und zu anderen Zeiten eher herzhaft und intensiv sein kann. Die Zutaten der unterschiedlichen Gänge werden so ausgewählt, daß sie innerhalb eines einzelnen Gerichts dieselbe Funktion einer Gesamtmahlzeit in kleinerem Maßstab erfüllen.

Ein Menü kann aus vielen verschiedenen Gängen bestehen, aus fünf oder elf oder sogar noch mehr, so daß es beispielsweise möglich ist, vier Stunden zu speisen“, fuhr er begeistert fort. „Bei den größeren und vielschichtigeren Menüs, die oft die politische und psychologische Nebenfunktion erfüllen, die Gäste mit dem Reichtum des Gastgebers, der Organisation oder der Bevölkerungsgruppe zu beeindrucken, wird vom Speisenden nicht erwartet, alles zu essen, was ihm vorgesetzt wird. Versucht er es trotzdem, ergeben sich für ihn daraus starke Verdauungsbeschwerden. Ich persönlich bin nicht für solche überreichlichen und verschwenderischen Festgelage, da ich die Qualität der Quantität vorziehe. Wie dem auch sei, ich bereite jeden einzelnen Gang mit peinlicher Sorgfalt zu und serviere ihn mit den geeigneten.“

„Ihr Fremdweltler vergeudet in eurem Leben offenbar furchtbar viel Zeit mit Essen“, fiel ihm Remrath ins Wort. „Woher nehmt ihr da noch die Zeit, Raumschiffe und Fahrzeuge, die über dem Boden schweben, und eure anderen technischen Wunderwerke zu bauen?“

„Diese Sachen benutzen wir, ohne ihre Funktionsweise verstehen zu müssen“, antwortete Gurronsevas. „Sie sind nicht zur Zeitverschwendung, sondern zur Zeitersparnis gebaut worden, damit wir mehr Zeit haben, die anhaltenden Freuden des Lebens zu genießen, wie zum Beispiel das Essen.“

Remraths Entgegnung ließ sich nicht übersetzen.

„Sicherlich gibt es auch noch andere Genüsse“, räumte Gurronsevas ein, „insbesondere diejenigen, die mit der Fortpflanzung zusammenhängen. Aber denen kann man sich nicht ständig oder oft hingeben, ohne eine schwere Entkräftung oder einen anderen gesundheitlichen Nachteil zu riskieren. Dasselbe gilt für aufregende oder gefährliche Betätigungen wie beispielsweise Bergsteigen, Tiefseetauchen oder Segelfliegen. Das hauptsächlich Aufregende an derartigen Beschäftigungen ist, daß der Betreffende in einer Situation, die durchaus lebensbedrohlich werden kann, all seinen Wagemut und sein ganzes Geschick aufbieten muß. Zwar läßt das für diese Aktivitäten erforderliche Zusammenspiel von Geist und Körper mit zunehmendem Alter nach, doch dafür nimmt das Vergnügen an gutem Essen und Trinken im Alter mit der Gewohnheit zu. Und dabei handelt es sich um Freuden, die man immer wieder bis zum Überdruß genießen kann und die das Leben womöglich erheblich verlängern, wenn man die geeigneten Speisen regelmäßig und in der richtigen Menge zu sich nimmt.“

„Dieses Grünzeug zu essen, ungekochte Pflanzen zu verzehren, erhält das meinen Körper etwa jung und frisch?“ fragte Remrath leise.

„Wenn man sie von Kindsbeinen an und das ganze Erwachsenenalter hindurch ißt, bleibt man viel länger wesentlich jünger und frischer“, antwortete Gurronsevas. „Insbesondere, wenn man lernt, sich ausschließlich pflanzlich zu ernähren, so wie ich es vorziehe. Unsere Ärzte sind ebenfalls dieser Meinung, und ich verfüge über Erfahrungen als Koch für alte Leute, bei denen sich das bewahrheitet hat. Aber ich darf Sie nicht anlügen. Ihre Eßgewohnheiten zu ändern bedeutet für Sie und Ihr Volk keineswegs das ewige Leben.“

Remrath wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Tablett mit den einzelnen Gerichten zu, die Gurronsevas mit solcher Sorgfalt zubereitet hatte, und sagte dann griesgrämig: „Wenn man dafür dieses Zeug essen müßte, wäre auch niemand scharf darauf.“

Gurronsevas dachte daran, daß er sich in seiner Eigenschaft als Koch in seinem ganzen Leben noch nicht so viele Beleidigungen hatte anhören müssen wie seit seiner Ankunft auf Wemar. Er deutete aufs Tablett und kehrte zum eigentlichen Thema zurück.

„Wie ich schon sagte, besteht ein Menü normalerweise aus drei Gängen“, erklärte er. „Beim ersten, den ich Ihnen bereits beschrieben habe, handelt es sich um eine kleine, frisch schmeckende Vorspeise, die den Appetit nicht stillen, sondern lediglich anregen soll.

Auf diesen Gang folgt der zweite, der gehaltvoller, von den Zutaten her abwechslungsreicher und, wie Sie sehen können, wesentlich umfangreicher ist. Auch hier spielt das Aussehen eine wichtige Rolle, und Sie werden die meisten der verwendeten Gemüsesorten erkennen, wenn Sie es auch sicherlich nicht gewohnt sind, sie in dieser nicht ganz gar gekochten Form zu sehen. Das habe ich deshalb gemacht, um jedes Gemüse für sich allein auf den Teller legen zu können, wodurch nicht nur die optische Wirkung gesteigert wird, sondern auch alle Sorten den eigenen Geschmack behalten, der schwächer oder sogar ganz verlorengehen würde, wenn man sie zu einem Eintopf vermischt. Was Ihren Eintopf betrifft, verwenden Sie in erster Linie Orrogne. Das ist, wenn Sie mir die Bemerkung verzeihen, ein besonders fades und unschmackhaftes Gemüse, das ich in Scheiben geschnitten und ohne Flüssigkeit gekocht habe — diesen Vorgang nennen wir „schmoren“—, nachdem es von mir, um ein Anbrennen zu vermeiden, mit ein wenig Öl aus zerdrückten Glänzbeeren eingepinselt worden ist, die Sie offenbar überhaupt nicht als Nahrungsmittel betrachten. Der Geschmack der Orrogne bleibt zwar derselbe, doch ich glaube, mit der knusprigen Oberfläche, die von einem dünnen Fettfilm überzogen ist, werden Sie das Gemüse interessanter zu essen finden.“

„Zumindest riecht es interessant“, räumte Remrath ein, wobei er sich übers Tablett beugte und geräuschvoll durch die Nase einatmete.

„…insbesondere in Verbindung mit der dickflüssigen dunkelroten Gewürztunke, die ich ebenfalls aus hier wachsenden. Nein, essen Sie die nicht so mit dem Löffel ohne etwas dazu! Nehmen Sie Ihren Eßspieß, stechen Sie ihn in einen Happen Gemüse und tupfen Sie damit leicht gegen die Tunke. Sie hat Ähnlichkeit mit dem kelgianischen Sarkun oder dem scharfen Senf von der Erde und brennt wirklich sehr stark auf der Zunge.“

„Mann, ist die scharf!“ rief Remrath, wobei er nach einem der beiden Becher auf dem Tablett griff und den Inhalt in Windeseile hinunterstürzte, bevor er hinzufügte: „Großer Corel! Mein ganzer Mund brennt davon! Aber. aber was haben Sie denn mit dem Wasser angestellt?“

„Entweder habe ich die Empfindlichkeit des Wemarer Gaumens falsch eingeschätzt, oder ich muß weniger gemahlene Cresselwurzeln nehmen“, sagte Gurronsevas in entschuldigendem Ton. „Vielleicht müssen Sie aber auch erst mal Geschmack an der Tunke finden, wie es bei allen neuen Gewürzen ist. Dem Wasser in den Bechern habe ich mit dem Saft von zwei verschiedenen Beerenarten etwas Geschmack gegeben, wobei der eine Saft eine bittere und der andere eine etwas süßere und würzigere Note hat. Wie die Beeren bei Ihnen heißen, weiß ich nicht, weil Sie sie nicht in der Küche verwenden, aber die Ärzte auf dem Schiff haben mir versichert, daß sie für die Wemarer unschädlich sind.“

Remrath entgegnete nichts. Mit dem Eßspieß hatte er ein zweites Stück geschmorte Orrogne aufgepickt und tupfte es vorsichtig in die Tunke. Mit der anderen Hand hielt er sich den Becher dicht vor den Mund, als wolle er bereit sein, sofort einen weiteren Brand zu löschen.

„Ihr Gebirgsquellwasser ist zwar kühl und frisch und stellt ein angenehmes flüssiges Beiwerk zu einer Mahlzeit dar“, fuhr Gurronsevas fort, „aber wenn es dann endlich getrunken wird, ist es längst lauwarm und geschmacklich uninteressant geworden. Die Zugabe der Beerensäfte ist ein Versuch, dem Wasser einen Reiz zu verleihen, der nicht allein auf der niedrigen Temperatur beruht, sondern den Geschmackssinn hoffentlich zu einer größeren kritischen Würdigung des gleichzeitig gereichten Essens anregt. Auf vielen Planeten wird als Getränk zu Mahlzeiten Wein bevorzugt. Dabei handelt es sich um eine Flüssigkeit, die in wechselndem Verhältnis einen chemischen Stoff namens Alkohol enthält, der bei der Gärung bestimmter Pflanzenarten entsteht. Es gibt viele verschiedene Weine, die man zur Ergänzung und Betonung des Geschmacks eines Gerichts oder einzelnen Gangs servieren kann, doch hier auf Wemar bin ich, was die Erzeugung von Alkohol betrifft, auf Schwierigkeiten gestoßen, durch die ich gezwungen war, den Versuch aufzugeben.“

Zwar wuchsen auf Wemar mehrere Pflanzen, bei deren Gärung Alkohol entstanden wäre, doch die Probleme waren eher philosophischer als physikalischer Natur gewesen. Soweit das medizinische Team wußte, war die Verwendung von Alkohol in Getränken auf Wemar nicht bekannt, und man wollte nicht dafür verantwortlich sein, ihn auf diesem Planeten eingeführt zu haben. Besonders vehemente Einwände hatte die Pathologin Murchison erhoben, wobei sie sich auf das Beispiel einer frühen terrestrischen Kultur, nämlich der der amerikanischen Indianer, berief, die durch übermäßigen Alkoholgenuß praktisch zerstört worden war, weil die Indianer keinerlei Erfahrung mit der den Kopf benebelnden und zu Stimmungsänderungen führenden Wirkung gehabt hatten. Prilicla hatte ihr, wenn auch nur unter Vorbehalten, zugestimmt, da die Wemarer in ihrer momentanen Lage schon vor genügend Problemen standen.

„Den dritten Gang bezeichnen wir als „Nachtisch“ oder „Süßspeise““, führte Gurronsevas seine Erklärungen fort. „Dabei handelt es sich wiederum um eine kleine Portion, um einen angenehmen Abschiedsgruß an den Magen, der zu diesem Zeitpunkt schon fast bis zum Rand gefüllt ist. Dieser Nachtisch hier ist aus gehackten Crettohalmen zubereitet, die ich gekocht habe, bis das Wasser verdampft gewesen und eine dickliche, geschmeidige und geschmacksneutrale Paste zurückgeblieben ist, in der sich jetzt einige entkernte Denbeeren, gewürfelte Mattos und ein paar andere Zutaten verbergen, die ich Ihnen noch nicht verraten möchte. Bitte probieren Sie mal. Sie werden sich zwar nicht die Zunge verbrennen, aber ich glaube, Sie werden überrascht sein.“

„Moment mal!“ widersprach Remrath. Er hatte den Becher abgestellt und fuhr gerade behutsam mit dem bereits fünften Stück Orrogne durch die schmackhafte Tunke. „Ich bin mir nämlich noch nicht einmal darüber im klaren, wie groß meine Abneigung gegen dieses Zeug hier ist.“

„Lassen Sie sich ruhig Zeit“, entgegnete Gurronsevas und fuhr dann fort: „Statt eines kalten Salats kann die Vorspeise auch aus einer heißen Suppe bestehen. Von der Konsistenz und vom Geschmack her liegt so etwas zwischen einem gewürzten Getränk und einem sehr dünnen Eintopf. Neben einem geringen Gemüseanteil sind in einer Suppe zur Abwandlung des Geschmacks auch ganz winzige Mengen von Krautern und Gewürzen enthalten. Zur Zeit experimentiere ich noch mit verschiedenen Mischungen aus Ihren Krautern und Gewürzen herum, doch ich möchte keinesfalls, daß Sie das Ergebnis eines erfolglosen Versuchs probieren.

Offenbar sind Sie sich der vielen genießbaren Krauter und Gewürze, die im Tal wachsen, gar nicht bewußt“, klärte er den Chefkoch auf. „Den Großteil davon haben unsere Ärzte als ungefährlich und sogar als wohltuend für die Wemarer und auch für mich eingestuft. Leider bestehen zwischen den Wemarern und den Tralthanern feine Unterschiede, was die Geschmacksrichtung und — Sensibilität angeht, und diese Unterschiede zu beseitigen ist wichtig, damit ich weitere Vorschläge machen kann.“

Remrath legte den Eßspieß beiseite und tauchte nun den Löffel vorsichtig in die Süßspeise. Der Teller mit dem Hauptgericht, das aus ziemlich kleinen Portionen bestand, war bereits halb leer.

„Sie haben gesagt, in der Mine würde es nachts sehr kalt und feucht werden, wenn starker Regen in die Belüftungsschächte dringt“, kam Gurronsevas auf ein neues Thema zu sprechen. „Die jungen Wemarer stört das nicht, aber die Lehrer schon. Einer meiner Vorschläge lautet, daß die Lehrer das zum Abendbrot servierte Wasser erhitzen — falls Ihre Brennstoffvorräte das zulassen—, damit sie sich wärmer fühlen, wenn sie sich schlafen legen. Noch besser wäre es, wenn sie vor dem Schlafen eine dicke, stark gewürzte Suppe zu sich nähmen, eine die sowohl scharf als auch heiß ist. Das würde sie mehr erquicken, als unter der Decke zu bibbern, bis ihnen durch die eigene Körpertemperatur allmählich warm wird.

Für Sie selbst würde das nur eine kleine Veränderung des gewohnten Arbeitsablaufs bedeuten“, fügte er hinzu, „doch bei vielen Spezies von anderen Planeten ist das abendliche Heißgetränk beziehungsweise die Suppe ein beliebter Brauch, dem man sowohl körperlich und geistig beruhigende als auch schlaffördernde Wirkung zuschreibt.“

Remrath hielt mit dem zweiten Löffel voll Süßspeise auf halbem Weg zum Mund inne und sagte: „Ja, es wäre nur eine kleine Veränderung, eine von vielen kleinen Veränderungen und Vorschlägen, die mich dazu verleitet haben, diese fremdartigen Pflanzenmischungen hier zu essen, und die mich schließlich zu wer weiß was sonst noch treiben werden. Sie haben die Absicht, uns zu helfen, und das ist der Grund, weshalb ich mich — wie auch in geringerem Maße die übrigen Lehrer — Ihren seltsamen und oftmals Übelkeit erregenden Experimenten mit den Pflanzen von Wemar aussetze. Doch vergessen Sie dabei nicht, daß wir, weil wir nicht nur alt, sondern auch hungrig sind, unsere Scham unterdrückt haben, um Ihnen entgegenzukommen, und daß die jungen Erwachsenen Ihre Hilfe am meisten benötigen und vor allem Fleisch brauchen?

Gurronsevas“, schloß er, „Sie sind mit solcher Begeisterung, Energie und Zielstrebigkeit bei der Sache und tun alle Einwände mit einer derartigen Selbstverständlichkeit ab, daß Sie sich wie jemand aufführen, der seinem Lieblingshobby nachgeht.“

Der Große Gurronsevas ein Hobbykoch! empörte sich der Tralthaner zornig. Einen Moment lang war er zu wütend, um zu sprechen, und in diesem Augenblick schoß ihm ein äußerst beunruhigender Gedanke durch den Kopf. Worin bestand der Unterschied zwischen jemandem, der ein Hobby betrieb, das all seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, und jemandem, der sein Leben der Vollendung einer einzigen, alles verzehrenden Tätigkeit verschrieben hatte?

„Und noch eines vergessen Sie: Zwar haben sich die Lehrer — wenn auch nur widerwillig — bereit gefunden, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, aber bei den Schülern brauchen Sie nicht damit zu rechnen“, klärte ihn Remrath auf. „Mag sein, daß bei uns das Alter den Verstand in Mitleidenschaft gezogen oder weniger widerstandsfähig gegen Argumente gemacht hat. Doch wenn Sie versuchen, die Kinder und Jugendlichen dazu zu bewegen, dieses Zeug zu essen, werden die mit Ihren sorgfältig zubereiteten experimentellen Gerichten höchstwahrscheinlich die nächste Wand oder Sie selbst bewerfen. Was wollen Sie dagegen tun?“

„Nichts“, antwortete Gurronsevas trocken.

„Nichts?“

„Nichts, was die Kinder und Jugendlichen betrifft“, erläuterte Gurronsevas. „Die werden die neuen Gerichte zwar sehen, aber nicht probieren dürfen, da diese ausschließlich den Erwachsenen vorbehalten sind. An diesem Punkt werde ich erneut Ihre Mitarbeit und die der übrigen Lehrer benötigen. Wie Sie gesagt haben, speist Tawsar allein, weil sie sich schämt, gezwungenermaßen Gemüse essen zu müssen. Doch wenn man erklären würde, daß sie das nicht tut, weil sie sich dafür entschieden hat, sondern um bei wichtigen Versuchen mit Lebensrnitteln zu helfen, die die Fremdweltler durchführen, wäre das vielleicht der Vorwand, den sie braucht, um öffentlich essen zu können. Wenn die jungen Wemarer dann sehen, wie Sie alle gemeinsam die neuen Gerichte verzehren und genießen — und von letzterem bin ich immer mehr überzeugt—, wird die natürliche Neugier der Kinder die Oberhand gewinnen und zu dem Wunsch führen, die Gerichte ebenfalls zu probieren. Doch Sie werden es Ihnen trotzdem nicht erlauben. Das wird die Kinder nun immer stärker betrüben, da sie es für selbstsüchtig von Ihnen halten werden, diesen Genuß nicht mit anderen zu teilen. Sie werden schließlich darum bitten, und Sie werden sich nach und nach erweichen lassen und diesen Bitten nachgeben.

Ein vorenthaltener Genuß ist nämlich ein doppelter Genuß.

Ihr gegenwärtiges Küchenpersonal reicht vielleicht für das Kochen von Eintöpfen und einem seltenen Fleischgericht aus“, fuhr er fort. „Für die Zubereitung und insbesondere für das Anrichten und Dekorieren des neuen Drei-Gänge-Menüs brauchen wir allerdings viel mehr und wesentlich ffinkere Hilfskräfte. Sie wählen die entsprechende Menge aus, und das Anlernen übernehmen wir dann gemeinsam. Als besondere Vergünstigung und Belohnung für die Hilfe in der Küche dürfen diese wenigen Auserwählten während der Ausbildungszeit die neuen Gerichte essen. Wie es so die Art von Kindern und Jugendlichen ist, werden die frischgebackenen Küchengehilfen bestimmt von ihrer neuen Arbeit erzählen und vielleicht sogar gegenüber ihren weniger beliebten Freunden damit prahlen. Als Lehrer wissen Sie ganz genau, was in den Köpfen von Kindern vorgeht und wie man sie beeinflußt, Remrath. Es dürfte nicht lange dauern, bis hier alle so speisen wollen wie die Fremdweltler.“

Remrath schwieg mehrere Minuten lang, und in dieser Zeit aß er den Nachtisch auf und machte sich wieder an seine zaghaften Kostproben des allmählich abkühlenden Hauptgerichts. Bei dem bloßen Gedanken, die einzelnen Gänge eines Menü in der falschen Reihenfolge zu sich zu nehmen, zog sich Gurronsevas alles zusammen, doch er hielt sich vor Augen, daß der Chefkoch in kulinarischer Hinsicht immer noch unkultiviert war. Schließlich brach Remrath das Schweigen.

„Gurronsevas“, sagte er, „Sie sind ein ganz schlauer und gerissener Grudlich.“

Zweifellos existierte letzterer Begriff ausschließlich in der Sprache der Wemarer, denn Gurronsevas’ Translator gab den Wortlaut ohne eine tralthanische Entsprechung wieder. Er vermied es absichtlich, Remrath nach einer genauen Übersetzung zu fragen; für heute hatte er genügend Beleidigungen einstecken müssen.

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