8. Kapitel

Bei seinem zweiten Besuch in der Abteilung für ET-Psychologie sah Gurronsevas dieselben drei Wesen wie beim ersten hinter den Schreibtischen sitzen; allerdings hatte er in der Zwischenzeit herausgefunden, wer und was sie waren. Bei dem Terrestrier mit der Uniform im Grün des Monitorkorps handelte es sich um Lieutenant Braithwaite, O’Maras ersten Assistenten; die Sommaradvanerin, Cha Thrat, war eine fortgeschrittene Auszubildende; und Lioren, der Tarlaner, war ein Fachmann für den nur schwer zu bestimmenden Bereich, in dem sich die Religionen verschiedener Spezies und die Psychologie überschnitten. Entgegen seinen sonstigen Gepflogenheiten wandte sich Gurronsevas dieses Mal nicht an denjenigen, der den höchsten Rang bekleidete, weil ihm dieses Mal möglicherweise alle drei behilflich sein konnten.

„Ich bin Chefdiätist Gurronsevas“, stellte er sich leise vor. „Falls es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gern in einer streng vertraulich zu behandelnden Angelegenheit um Informationen und Hilfe bitten.“

„Wir erinnern uns an Sie, Gurronsevas“, meldete sich Lieutenant Braithwaite als erster zu Wort. „Aber Sie sind zum falschen Zeitpunkt gekommen. Major O’Mara befindet sich gerade auf der monatlichen Versammlung der Diagnostiker. Kann ich Ihnen helfen, oder wollen Sie einen Termin mit ihm abmachen?“

„Dann bin ich genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen“, stellte Gurronsevas klar. „Es ist nämlich der Chefpsychologe, weshalb ich Sie — Sie alle — vertraulich zu Rate ziehen möchte.“

Die drei Wesen stellten sofort ihre Arbeit ein, und gleichzeitig entfuhr ihren Mündern ein eigenartiger, ablehnender Laut. „Fahren Sie bitte fort“, forderte ihn Braithwaite auf.

„Danke.“ Gurronsevas trat näher und senkte die Stimme. „Seit ich hier am Hospital arbeite, habe ich den Chefpsychologen kein einziges Mal in der Kantine gesehen. Ißt er gewöhnlich alleine?“

„Stimmt“, bestätigte Braithwaite und lächelte. „Der Major nimmt seine Mahlzeiten nur selten in Gesellschaft oder in der Öffentlichkeit zu sich. Seiner Behauptung nach könnte beim Personal sonst der Eindruck entstehen, er wäre im Grunde nur ein Terrestrier mit all den üblichen terrestrischen Fehlern und Schwächen, was der allgemeinen Disziplin schaden könnte.“

„Das verstehe ich nicht“, sagte Gurronsevas nach kurzer Denkpause. „Hat der Chefpsychologe ein seelisches Problem? Steckt er vielleicht in einer Identitätskrise? Wenn er nicht für einen Terrestrier gehalten werden will, zu welcher Spezies glaubt er dann zu gehören? Die Auskunft, um die ich Sie bitte, würde mir bei der Zubereitung geeigneter Mahlzeiten sehr helfen — falls sie nicht streng vertraulich ist und Sie bereit sind, sie preiszugeben. Vermutlich will O’Mara mit seiner Gewohnheit, allein zu essen, verheimlichen, daß er keine terrestrische Nahrung zu sich nimmt.“

Cha Thrat und Lioren gaben leise Geräusche von sich, die nicht übersetzt wurden, und Braithwaites Lächeln war noch breiter geworden. „Der Chefpsychologe ist nicht psychisch gestört“, meinte er. „Ich fürchte, meine Bemerkung, daß er nicht terrestrisch erscheinen will, hat bei der Übersetzung gelitten und Sie irregeführt. Aber was wollen Sie denn wissen, und wie genau können wir Ihnen helfen? Sie erwecken ganz den Eindruck, daß die Sache etwas mit den Eßgewohnheiten des Majors zu tun hat, richtig?“

„Das stimmt“, bestätigte Gurronsevas. „Insbesondere würde ich gern alle Informationen erhalten, die Sie mir darüber geben können, welches Essen die Versuchsperson bevorzugt, wie oft sie ihre Lieblingsgerichte bestellt und welche kritischen Bemerkungen sie eventuell ihnen gegenüber fallengelassen hat oder zukünftig fallenlassen wird.

Derartige Auskünfte zu bekommen, ohne die Aufmerksamkeit auf mich selbst zu lenken und Anlaß zu Gerede über ein Projekt zu geben, das bis zur Beendigung geheimgehalten werden sollte, ist überraschend schwierig“, fuhr er schnell fort. „Im Hospital speisen viele allein, entweder aus persönlicher Vorliebe oder weil für sie der Weg zur Kantine und wieder zurück wegen dringender beruflicher Pflichten einen zu großen Zeitaufwand bedeutet. Jede Aufzeichnung über das von diesen Mitarbeitern bestellte Gericht wird gelöscht, sobald es zubereitet und ausgeliefert worden ist, da keine Notwendigkeit besteht, derartige Daten zu speichern, und die einzige Möglichkeit herauszufinden, welche Speisen ausgewählt worden sind, wäre die, die eigentliche Bestellung abzuhören oder das Auslieferungsfahrzeug anzuhalten, und das ließe sich beides nicht heimlich durchführen. Viel einfacher wäre es also, wenn Sie mir die erforderlichen Daten zukommen lassen würden.“

„Solange die gewählten Gerichte keinen verdorbenen Geschmack erkennen lassen — was immer das auch in diesem medizinischen Tollhaus bedeuten mag—, können Informationen über Vorlieben beim Essen kaum als vertrauliche Mitteilungen eingestuft werden“, meinte Lioren, der sich zum ersten Mal zu Wort meldete. „Ich sehe zwar keinen Grund, solche Informationen zurückzuhalten, aber warum fragen Sie nicht direkt den Major danach? Weshalb ist diese Heimlichtuerei erforderlich?“

Das ist doch wohl ganz offensichtlich, dachte Gurronsevas, antwortete aber geduldig: „Wie Sie bereits wissen, hat man mir die Verantwortung dafür übertragen, die Speisen appetitlicher anzurichten und geschmacklich zu verbessern, da die Qualität und Zusammensetzung der bei der Zubereitung verwandten synthetischen Nährstoffe dem Standard entspricht und von der Nahrhaftigkeit her optimal ist. Doch das Aussehen und den Geschmack einer großen Zahl von Gerichten — oftmals nur ganz leicht — zu verändern hat einen schwerwiegenden Nachteil. Die Änderungen würden nämlich zu ausgedehnten Diskussionen und Debatten über persönliche Vorlieben führen und nicht zu der wohldurchdachten und eingehenden Kritik, die für mich so wertvoll wäre.

Natürlich ergeben sich aus Versuchen mit einzelnen Mitgliedern einer ausgewählten Spezies, wie ich sie mit dem AUGL-Patienten Eins-Dreizehn und mit Oberschwester Hredlichli angestellt habe, nützliche Werte“, fuhr er fort. „Doch die Erörterung kulinarischer Randprobleme kann — manchmal

auch eine angenehme — Zeitverschwendung sein. Darum bin ich zu dem Schluß gekommen, daß die Versuchsperson bis nach dem Ende des Tests ahnungslos bleiben sollte, weil ich auf diese Weise die besten Ergebnisse zu erzielen glaube.“

Einen Augenblick lang starrte ihn Lieutenant Braithwaite mit offenem Mund an, ohne jedoch zu lächeln oder etwas zu sagen. Cha Thrat hatte sich dem Schweigen angeschlossen. Es war Lioren, der als erster das Wort ergriff.

„Ich kenne zwar niemanden, der den Major persönlich besonders ins Herz geschlossen hat, doch in seiner Eigenschaft als Chefpsychologe wird er von allen außerordentlich geachtet“, sagte er leise. „An einem Komplott, um ihn zu vergiften, wollen wir uns nicht beteiligen.“

„Könnte es sein“, fragte Braithwaite, der offenbar die Sprache wiedergefunden hatte, „daß der Druck der Verantwortung und das ungeheure Ausmaß der Aufgabe in unserem Chefdiätisten eine Art Todessehnsucht erweckt haben?“

„Das Problem liegt einzig und allein auf meinem Spezialgebiet und hat nichts mit Ihrem Fachbereich zu tun“, widersprach Gurronsevas in scharfem Ton.

„Entschuldigung, meine Frage war nicht ernst gemeint“, besänftigte ihn Braithwaite. „Dennoch laufen Sie Gefahr, einem sehr mächtigen und reizbaren Wesen zu nahe zu treten, das höchstwahrscheinlich nicht irgendwelche Fehler verschweigen wird, falls es zu solchen kommt. Vielleicht sollten Sie noch einmal darüber nachdenken, bevor Sie damit anfangen.“

„Ich habe schon darüber nachgedacht“, stellte Gurronsevas klar. „Wenn die Sache vertraulich bleibt, ist das Risiko annehmbar.“

„Dann werden wir Ihnen helfen, wo wir können“, willigte der Lieutenant ein. „Vielleicht nützt es Ihnen ja was.“

Die Lieferung von O’Maras Mahlzeiten wurde laut Braithwaite jeden Tag von einem oder mehreren Mitarbeitern aus dem Vorzimmer quittiert, und das Essen befand sich in einem geschlossenen und isolierten Lieferbehälter mit durchsichtigem Deckel. Daher waren die Mitarbeiter in der Lage, die angelieferten Gerichte zu erkennen und aus den Speiseresten ihre Schlüsse zu ziehen. Hin und wieder bemängelte O’Mara ein Gericht so laut, daß seine Stimme durch die Bürotür hindurch zu hören war. Normalerweise benannte der Major in seiner Kritik auch das Nahrungsmittel, das ihm offenbar besonders auf den Magen geschlagen war.

„…Sie sehen also, daß alle Auskünfte, die wir Ihnen erteilen können, unvollständig sein werden“, schloß Braithwaite entschuldigend.

„Für mich aber trotzdem nützlich“, antwortete Gurronsevas. „Insbesondere dann, wenn Sie damit einverstanden wären, mich über die Worte und Reaktionen des Chefpsychologen bei und nach dem Essen auf dem laufenden zu halten. Aus den Gründen, die ich Ihnen bereits genannt habe, wäre ich äußerst dankbar, wenn Sie Ihre Beobachtungen heimlich anstellen und mich unverzüglich über alle auch noch so geringfügigen Verhaltensänderungen informieren würden, die mit den Abwandlungen, die ich an den Gerichten vornehmen werde, zusammenhängen.“

„Wie lange wird das Projekt voraussichtlich dauern?“ wollte Braithwaite wissen. „Einen Monat? Eine unbegrenzte Zeit lang?“

„Du meine Güte, nein!“ widersprach Gurronsevas entschieden. „Im Hospital gibt es über sechzig verschiedene Lebensformen, die essen müssen und meine Aufmerksamkeit erfordern. Es dauert zehn oder höchstens fünfzehn Tage.“

„Also gut“, sagte der Lieutenant mit einem Kopfnicken. „Geringe Veränderungen der Persönlichkeit oder des Verhaltens zu beobachten, die manchmal ein erstes Anzeichen für die Entwicklung eines größeren psychologischen Problems sind, ist genau das, wofür wir in dieser Abteilung ausgebildet worden sind. Gibt es sonst noch etwas, das wir für Sie tun können?“

„Danke, nein“, antwortete Gurronsevas.

Als er sich zum Gehen wandte, sagte Lioren: „Wo wir gerade von Veränderungen der Persönlichkeit sprechen, wir haben Gerüchte über Oberschwester Hredlichli gehört. In den vergangenen Tagen soll sie sich äußerst merkwürdig benommen haben, indem sie dem ihr unterstellten Stationspersonal gegenüber Mitgefühl und Rücksicht an den Tag gelegt und erste Anzeichen gezeigt hat, ein fast liebenswerter Charakter zu werden. Haben die Veränderungen, die Sie an der PVSJ-Verpflegiung vorgenommen haben, irgend etwas damit zu tun, Chefdiätist?“

Alle drei gaben diese leisen, unübersetzbaren Geräusche von sich, was darauf hindeutete, daß die Frage nicht ernst gemeint war. Sanft erwiderte Gurronsevas das Lachen.

„Das will ich doch hoffen“, sagte er. „Aber bei Major O’Mara kann ich keinen ähnlichen Erfolg garantieren.“

Mit dem kleinen Teil des Verstands, der sich nicht darauf konzentrierte, Zusammenstöße auf den belebten Korridoren zu vermeiden, dachte Gurronsevas über Hredlichli nach. Mit der Arbeit an der Verbesserung der PVSJ-Verpflegung hatte er bereits viel mehr Zeit verbracht als beabsichtigt, doch das lag daran, daß die Chloratmerin andauernd mehr reden als essen wollte, und wie Gurronsevas wußte, war der Großteil der Zeit, so angenehm solche Gespräche auch hin und wieder sein mochten, vergeudet. Doch in wenigen Stunden würden Hredlichli und er den gegenseitigen beruflichen Kontakt wieder lösen, was er mittlerweile fast bedauerte.

Als er auf der Station eintraf, war er nicht überrascht, Murchison und Timmins bereits vorzufinden. Die Pathologin winkte ihm mit einer Hand zu und sagte, sie habe sich für den Rest des Tages aus ihrer Abteilung abgemeldet, weil hier der Ort sei, wo etwas passiere. Das klang zwar wie ein schmähliches Eingeständnis beruflicher Nachlässigkeit und Verantwortungslosigkeit, doch Gurronsevas hatte gelernt, nicht alles, was die Pathologin sagte, ernst zu nehmen.

Wegen Gurronsevas’ Sorge, daß alles schiefgehen könnte, war Lieutenant Timmins von ihm gebeten worden, die zur Unterstützung geschickten Wartungstechniker bei den endgültigen Änderungen des Programms zu beraten, das im Synthesizer laufen würde, der den kleinen Speisesaal für PVSJs mit Essen versorgte. Timmins war viel zu beschäftigt, um Gurronsevas’ Ankunft oder selbst Murchison zu bemerken, und die Lebensmitteltechniker Dremon und Kledath stellten durch das ungeduldige Kräuseln ihrer Felle klar, daß sie keinen Rat brauchten.

Murchison näherte sich dem Tralthaner und berichtete in lebhaftem Ton: „Wir haben unsere Analyse der Probe von dem Schutzfilm abgeschlossen, mit dem das Übungsgerät im Bewegungsraum neben dem Essensbereich der Chloratmer überzogen ist. Die Substanz ist bereits als unbedenklich freigegeben worden, und das ist sie auch immer noch, doch der Film auf diesem Übungsgerät hat auch eine geringe Menge eines unbekannten Stoffs enthalten, der wahrscheinlich versehentlich bei der Herstellung hineingeraten ist. Wird der Schutzfilm über einen langen Zeitraum hinweg einer Chloratmosphäre ausgesetzt, löst sich dieser Stoff heraus und setzt dabei winzige Mengen eines Gases frei, das für Chloratmer selbst in hohen Konzentrationen harmlos ist, obwohl es für ihre Umgebung und ihren Metabolismus etwas vollkommen Fremdes darstellt. Den Geruch des Gases hat der Illensaner in der Pathologie als „appetitanregend“ beschrieben. Das war eine gute Beobachtung und Schlußfolgerung von Ihnen.“

„Danke“, sagte Gurronsevas. „Doch den größten Teil der Anerkennung verdient Hredlichli. Es war nämlich die Oberschwester, die mich als erste darauf hingewiesen hat, daß ihr von einigen ihrer Kolleginnen, die dieses Übungsgerät vor den Mahlzeiten benutzt haben — offenbar holen sich die Illensaner eine Magenverstimmung, wenn sie sich nach dem Essen bewegen—, versichert worden ist, es habe ihnen dabei geholfen, Appetit zu bekommen. Wenn man in die richtige Richtung gewiesen wird, ist es viel leichter, an sein Ziel zu gelangen.“

„Ach, Sie sind viel zu bescheiden“, tadelte ihn Murchison. „Aber was planen Sie als nächstes, und wen haben Sie dafür vorgesehen?“

Soweit sich Gurronsevas erinnern konnte, war es das erste Mal, daß man ihm Bescheidenheit vorwarf.

Timmins, der sich mit dem Kopf über das Bedienungspult gebeugt hatte, wandte sich urplötzlich um und sagte: „Die Antwort darauf kann ich auch kaum erwarten.“

Alle Augen waren nun auf Gurronsevas gerichtet. Selbst die Kelgianer schwiegen, und ihr Fell war vor Neugier zu starren, reglosen Büscheln aufgerichtet. Gurronsevas war klar, daß er mit äußerster Vorsicht antworten mußte, wenn er erzählen wollte, was er vorhatte, ohne zu verraten, wen er sich dafür ausgesucht hatte.

„Die Sache mit der PVSJ ist für mich zwar eine verlockende, aber fast theoretische Aufgabe gewesen, weil sie darin bestanden hat, Gerichte zuzubereiten und anzurichten, die ich selbst nicht probieren konnte und die für mich sofort tödlich gewesen wären, wenn ich es versucht hätte“, erklärte er. „Mein nächstes Projekt wird reizvoller und gleichzeitig für alle Beteiligten weniger gefährlich sein, da das Essen weder mich noch irgendeinen anderen warmblütigen Sauerstoffatmer vergiften kann, auch wenn es vom Geschmack und von der Art her, auf die es angerichtet ist, auf mich persönlich abstoßend wirken könnte.

Bei der Versuchsperson wird es sich diesmal um einen terrestrischen DBDG handeln, einem Mitglied der Spezies, der im Hospital mehr als ein Fünftel der Mitglieder des medizinischen und des Wartungspersonals angehören und deren Vorlieben beim Essen, wie ich aus meiner langen Erfahrung im Cromingan-Shesk weiß, nur schwer zu befriedigen sind“, fuhr er fort. „Danach hoffe ich mich mit den kelgianischen, melfanischen und nallajimischen Spezies befassen zu können, wenn auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.“

Die Felle der Kelgianer gerieten in Wirbelbewegungen, die zu schnell über die Körper liefen, als daß Gurronsevas imstande gewesen wäre, ihre Empfindungen richtig zu deuten. Murchison lächelte, und Timmins sagte schnell: „Ich würde mich mit Vergnügen als Freiwilliger melden, Sir.“

„Lieutenant“, bremste ihn die Pathologin in entschiedenem Ton. „Stellen Sie sich gefälligst hinten an, erst mal komme ich dran.“

Gurronsevas wollte gerade mitteilen, daß er keine terrestrischen Freiwilligen mehr benötigte, als auf dem Bildschirm des Kommunikators im Labor die Gestalt von Hredlichli auftauchte. Wie Gurronsevas auf den ersten Blick sah, meldete sich die Oberschwester aus ihrer Privatunterkunft, denn die Gesichtszüge wurden nicht durch eine Druckhülle verwischt, sondern waren deutlich sichtbar.

„Herr Chefdiätist“, sagte sie, „ich wäre Ihnen äußerst dankbar, wenn Sie mir einen neuen Bericht über die Fortschritte Ihres letzten Versuchs, Gree in Yursil-Gelee synthetisch zuzubereiten, zukommen lassen würden. Der Probe hatte ich voller Ungeduld entgegengesehen, sie hat mich jedoch nicht erreicht. Was ist mit ihr passiert?“

Lebensmitteltechniker Liresschi ist ihr passiert, dachte Gurronsevas und antwortete laut: „Seit unserem gestrigen Gespräch habe ich sehr gute Fortschritte erzielt. Genau gesagt: ich habe fünf Ergänzungen zur PVSJ-Verpflegung für die Zubereitung durch den Synthesizer fertiggestellt. Bei zweien handelt es sich um Hauptgerichte, und die anderen drei sind ergänzende oder kontrastierende Soßen, die wir für bereits existierende Speisen entwickelt haben. Morgen zur Hauptessenszeit werden Ihre illensanischen Freundinnen und Freunde die Ergebnisse probieren können. Aber vergessen Sie nicht, sie alle daran zu erinnern, daß die Gerichte synthetisch sind und der charakteristische, langweilige Geschmack synthetischer Nahrung, über den Sie sich beklagt haben, nicht beseitigt, sondern nur durch die neuen Bestandteile übertüncht worden ist.

Eine der Zutaten in der Fryellisoße kommt auf Ihrem Heimatplaneten zwar nicht in der Natur vor, aber die pathologische Abteilung hat mir versichert, daß sie Ihrem Metabolismus nicht schadet“, setzte er seinen Bericht fort. „Ihr Reiz liegt in den appetitanregenden Wirkungen des Dufts und des Aussehens. Die Soße selbst ist geschmacksneutral, doch Sie werden Schwierigkeiten haben zu glauben, daß irgend etwas, das für Sie derart lekker aussieht und riecht, nicht auch’gut schmecken sollte.

Was das Gree angeht, habe ich nur geringfügige Änderungen vorgenommen, die zum großen Teil den optischen Eindruck betreffen“, erklärte Gurronsevas weiter. „Die Oberfläche des durchsichtigen Yursil-Gelees weist kleine, unregelmäßige Spiralen auf, die beim Speisenden, wenn er sich vorbeugt, um zu essen oder sich zu unterhalten, den Eindruck erwecken, die eingebetteten synthetischen Gree-Käfer befänden sich in Bewegung und seien folglich noch am Leben. Dieser Eindruck ist optisch so überzeugend, daß die Geschmacksrezeptoren des Betreffenden sozusagen ausgeschaltet werden und das.“

„Zweifellos sieht das Gericht herrlich aus und schmeckt auch so“, fiel im Hredlichli ins Wort. „Aber was ist mit der Probe passiert?“

In sorgfältig gewählten Worten antwortete Gurronsevas: „Da das Gericht demnächst in die automatische Zubereitung gehen sollte, wollte ich es Ihnen durch Lebensmitteltechniker Liresschi zukommen lassen, der beabsichtigt hat, es für die Zubereitung durch den Synthesizer zu scannen und eine zusätzliche Geschmacksbeurteilung vorzunehmen. Liresschi hat das Gericht voll und ganz gebilligt, behauptete aber, es weise geschmackliche Finessen auf, die die Entnahme weiterer Proben erforderten, bis er rundum zufriedengestellt sei. Bedauerlicherweise war danach nicht mehr soviel übrig, daß es sich gelohnt hätte, den Rest an Sie weiterzugeben. Doch es wird mir ein Vergnügen sein, Ihnen eine andere.“

„Aber. aber Sie haben doch gesagt, die Probe würde für vier Portionen reichen!“

„Ja“, bestätigte Gurronsevas.

„Der Lebensmitteltechniker ist ein Verächter der Kochkunst und ein gefräßiger Rüpel!“ schimpfte Hredlichli verärgert.

„Ja“, bestätigte Gurronsevas abermals.

Die Oberschwester stieß einen Laut aus, der nicht übersetzt wurde, doch bevor sie fortfahren konnte, sagte Gurronsevas schnell: „Ich möchte Ihnen für die Hilfe danken, die Sie mir während unserer gemeinsamen Gespräche geleistet haben. Aufgrund dieser Gespräche sind an der gegenwärtigen PVSJ-Verpflegung merkliche Verbesserungen vorgenommen worden, denen mit der Zeit weitere folgen werden. Von daher hat dieses Projekt das anfangs gesteckte Ziel erreicht, und ich muß jetzt mit einem neuen beginnen, das sich mit den Ernährungsbedürfnissen einer anderen Lebensform beschäftigt. Nochmals meinen allerherzlichsten Dank, Hredlichli.“

Für eine scheinbar lange Zeit kam von Hredlichli kein einziges Wort, und Gurronsevas fragte sich, ob es seinen Ausführungen an Feingefühl gefehlt hatte. Im Laufe der Jahre hatten sich die Illensaner bei ihren medizinischen Kollegen zwar höchstes berufliches Ansehen, nicht aber gerade Zuneigung erworben. Das lag größtenteils an der Schwierigkeit, persönlich mit ihnen in Kontakt zu kommen oder die Gelegenheit zu erhalten, Gespräche über ihre nichtmedizinischen Gedanken, Ansichten und Beschwerden mit ihnen zu führen, die die sauerstoffatmenden Spezies als selbstverständlich betrachteten. Ob nun zu Recht oder nicht, die PVSJs empfanden sich als kleine, benachteiligte, chloratmende Minderheit, der niemand zuhörte, so daß sowohl die allgemeine Stimmung des einzelnen als auch die der Gruppe darunter gelitten hatte. Bei der Arbeit an der Verbesserung der illensanischen Verpflegung hatte sich Hredlichlis Verhalten gegenüber Gurronsevas deutlich verändert, doch ob das darauf zurückzuführen war, daß der Tralthaner das Herz der Oberschwester auf dem Umweg über ihren Magen gewonnen hatte oder Hredlichli zu guter Letzt auf jemanden gestoßen war, der das, was sie zu sagen hatte, für wertvoll hielt, oder sie einfach einen Freund von einer artfremden Spezies gewonnen hatte, wußte Gurronsevas nicht.

Auf einmal wünschte er sich, einer von den Mitarbeitern der psychologischen Abteilung wäre dagewesen — am liebsten Padre Lioren—, um sich erklären zu lassen, was er Falsches gesagt hatte und wie er es am besten zurücknehmen könnte. Da meldete sich plötzlich Hredlichli zu Wort.

„Ich habe Ihnen etwas mitzuteilen, das für Sie möglicherweise sowohl ein Kompliment als auch eine Strafe darstellt“, sagte sie zögernd. „Allerdings bin ich mir nicht ganz sicher, weil wir Illensaner bis vor kurzem nicht die leiseste Ahnung von den Eßgewohnheiten und Bräuchen warmblütiger Sauerstoffarmer gehabt haben.“

Gurronsevas bewahrte höfliches Schweigen, und Hredlichli fuhr fort: „Ich habe mit meinen illensanischen Freundinnen über die Zusammenarbeit mit Ihnen gesprochen, und sie freuen sich über die Änderungen, die Sie an unserer Verpflegung vorgenommen haben, genauso wie ich. Wir haben den nichtmedizinischen Bibliothekscomputer befragt und herausgefunden, daß es auf der Erde, die zu den vielen Planeten gehört, auf denen sich das Zubereiten und Anrichten von Speisen zu einer bedeutenden Kunstform entwickelt hat, einen Brauch gibt, der bei einem Volksstamm entstanden ist, dessen Mitglieder sich „Franzosen“ nennen, und der uns gefällt. Am Ende eines besonders angenehmen Mahls bitten die Teilnehmer den Küchenchef, den sie als „Chef de cuisine“ bezeichnen, an ihren Tisch, damit sie ihm persönlich ihre Anerkennung aussprechen können.

Wir hatten gehofft, daß Sie uns morgen zur Hauptmahlzeit im illensanischen Speisesaal aufsuchen, damit wir diesem Beispiel folgen können“, schloß die Oberschwester.

Einen Augenblick lang war Gurronsevas außerstande zu sprechen. Schließlich antwortete er: „Ich kenne diesen terrestrischen Brauch und fühle mich tatsächlich sehr geschmeichelt, aber.“

„Es wird für Sie nicht gefährlich, Gurronsevas“, beruhigte ihn Hredlichli. „Ziehen Sie zum Schutz gegen die Atmosphäre an, was Sie wollen. Nötig ist ja nur Ihre Anwesenheit. Daß Sie etwas essen, erwarten wir ja gar nicht von Ihnen.“

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