26. Kapitel

T unterstützt durch sämtliche Möglichkeiten der medizinischen Ausrüstung der Rhabwar und die Fachkenntnis des medizinischen Teams schritt die Erziehung der Wemarer zu Feinschmeckern rasch voran. Doch der Informationsfluß strömte jetzt in beide Richtungen und war nicht mehr allein aufs Kochen beschränkt, denn dem Team wurde endlich nach und nach das volle Ausmaß des Problems von Wemar bewußt, während es die Wemarer selbst allmählich aus dem Blickwinkel der Fremdweltler betrachteten, die eine Lösung zu finden versuchten. Auf beiden Seiten schritt der Lernprozeß in zufriedenstellendem Tempo voran.

Einst war Wemar ein grüner, dicht bewaldeter Planet gewesen, dessen dominante Lebensform schnell von der Stufe vor der Entwicklung von Intelligenz zu einer technisch fortschrittlichen Zivilisation aufgestiegen war, und zwar durch die herkömmliche Methode, Bündnisse zu schließen und sich regelmäßig mit der gegenseitigen Vernichtung durch zunehmend mechanische Formen der Kriegführung zu drohen. Zum Glück hatten die Wemarer nie die Kernspaltung oder — Verschmelzung entdeckt, so daß die Zivilisation unversehrt fortbestand, bis man allmählich lernte, in Frieden miteinander zu leben, und sich die Bevölkerung unkontrolliert vermehrte. Bedauerlicherweise war die Zivilisation der Wemarer in sich gekehrt und betrachtete die Naturschätze des Planeten, dessen Fauna und Flora und die nachwachsenden und fossilen Brennstoffreserven als unerschöpflich.

Man besaß nicht den Scharfblick zu sehen, was man dem Planeten eigentlich antat, bis es schließlich zu spät war.

Mit jeder neuen Generation verdreifachte sich die Bevölkerung auf Wemar, und mit diesem Wachstum hielt auch der Grad der Luftverschmutzung durch die energieverschlingenden und nicht mit Kernenergie betriebenen Herstellungsverfahren Schritt, bis die Ozonschicht in der Atmosphäre, die den Planeten gegen die schädlichen Anteile des Strahlenspektrums der Sonne schützte, zu guter Letzt immer stärker in Mitleidenschaft gezogen wurde. Wie beim Großteil der Planeten ohne Achsehheigüng und jahreszeitliche Temperaturwechsel wurden die Witterungsveränderungen auf Wemar allein durch die Planetenrotation hervorgerufen, weshalb das Wettergeschehen gewöhnlich unspektakulär und voraussagbar war. Als Folge davon stiegen die Schadstoffe ungehindert in die oberen Schichten der Atmosphäre auf und sammelten sich über dem Nord- und Südpol. Dort erhöhten sich die Schadstoffmengen nun und breiteten sich aus, wobei sie die Polargebiete der schützenden Ozonschicht beraubten und unerbittlich in die höheren Schichten der Stratosphäre über den stark bevölkerten gemäßigten Zonen und noch darüber hinaus vordrangen.

Zwar handelte es sich dabei um einen schleichenden Vorgang, doch nach und nach erkrankte die Vegetation auf der Planetenoberfläche von den Polen bis zu den subtropischen Breitengraden und ging zum Großteil ein, genau wie die großen Tierherden, die den Wemarern als Nahrung dienten und von den sterbenden Pflanzen abhängig waren, die Fische und die Unterwasserpflanzen an den flachen Stellen vor der Küste und schließlich in zunehmendem Maße auch die Wemarer selbst, die ohne ihr begehrtes Fleisch hungern mußten. Und es kam noch schlimmer: Dieselbe Sonne, durch deren Strahlen die von den Beutetieren verzehrten Pflanzen und Gräser einst gewachsen und gediehen waren, ließ sie jetzt verdorren und absterben, und auch die Wemarer hatten wegen eigenartiger, auszehrender Haut- und Augenkrankheiten, die durch den Aufenthalt im immer lebensgefährlicheren Sonnenlicht entstanden, viele Todesfälle zu beklagen.

Nach und nach brach ihre technische Zivilisation zusammen. Die stete Abnahme der Bevölkerung wurde durch immer grausamere Kriege beschleunigt, die die in den Äquatorgebieten lebenden und vergleichsweise gut genährten Reichen, die nach wie vor von einer ausreichend dicken Ozonschicht geschützt wurden, gegen die hungernden Armen in den gemäßigten Zonen führten.

Im Laufe der letzten beiden Jahrhunderte hatte sich die Lage stabilisiert, da die Weltbevölkerung stark dezimiert und die von ihr verursachte Verschmutzung abgebaut worden war, so daß der schwerkranke Planet jetzt gerade mit dem Selbstheilungsprozeß begann. Die Sonne ionisierte allmählich wieder die obere Atmosphäre und erneuerte die beschädigte Ozonschicht.

Mit der Zeit, vielleicht schon in vier oder fünf Generationen, wie die Besatzung der Tremaar beteuerte, würde der Heilvorgang abgeschlossen sein. Doch nur, wenn die geradezu tragisch wenigen verbliebenen Wemarer weiterhin überleben konnten und ihre Bevölkerung nicht wieder unkontrolliert wachsen ließen oder zu ihrer Unterstützung erneut die alte, umweltverschmutzende Technik einführten.

„Ich sage es Ihnen noch einmal“, warnte Gurronsevas den Chefkoch in sehr ernstem Ton, „beim nächsten Selbstmordversuch könnten die Wemarer Erfolg haben.“

Remrath blickte von den Desserts, die er gerade für die Lehrer und die in der Küche helfenden Schüler zubereitete, nicht auf und grummelte verärgert: „Wir Wemarer werden nicht gerne ständig daran erinnert, daß wir auf fast kriminelle Weise dumm sind. Selbstverständlich werden wir so etwas nicht noch einmal versuchen.“

„Tut mir leid. Was ich eben gesagt habe, ist übereilt und unbesonnen gewesen, weil mir diese Sache so sehr am Herzen liegt“, entschuldigte sich Gurronsevas schnell. „Sie sind weder dumm noch kriminell, und das gilt auch für alle anderen Wemarer, die ich kenne. Das Verbrechen ist von Ihren Vorfahren begangen worden. Die haben Ihnen das Problem hinterlassen, doch diejenigen, die es jetzt lösen müssen, sind Sie und Ihr Volk.“

„Ich weiß, ich weiß“, seufzte Remrath, der immer noch nicht von seiner Beschäftigung aufsah. „Indem wir Gemüse essen?“

„Bald wird es für Sie nichts anderes mehr zu essen geben“, stellte Gurronsevas zum wiederholten Male klar.

Im Laufe der vergangenen Tage waren er und Remrath sich nahegekommen wie zwei gute Bekannte, wenn nicht sogar Freunde, und diese Vertrautheit war so groß, daß Gurronsevas sich beim Aussprechen der Wahrheit nicht mehr durch das Hinzufügen von unnötigen Höflichkeitsfloskeln ablenken ließ. Diese schonungslose Aufrichtigkeit hatte anfangs Beunruhigung bei den Zuhörern auf der Rhabwar ausgelöst, die den Tralthaner nicht nur mit den neuesten Nachrichten versorgten, die sie fortwährend über die Wemarer Zivilisation herausfanden oder sich zusammenreimen konnten, sondern ihn auch ständig daran erinnerten, daß er ihre einzige wirksame Verbindung zu den DHCGs darstellte. Doch man erwartete von ihm, Remrath und den anderen Lehrern eine Situation zu erklären, die er selbst nicht voll und ganz begriff, weil er weder Arzt noch Anthropologe und nicht einmal Biologe war.

Bat er um eine ausführlichere Erklärung, war es gewöhnlich die Pathologin Murchison, die ihm die fast ausschließlich medizinischen Antworten auf möglichst einfache Weise erteilte. Von entwicklungsgeschichtlichen Sprüngen oder den verschiedenen Beispielen auf anderen Planeten für den offenbaren Übergang der Wemarer von den Ernährungsgewohnheiten der Allesfresser zu denen der Fleischfresser in der Pubertät oder dem Umstand, daß auf der Erde Kaulquappen und Frösche dieselbe Umstellung durchmachten, hatte Gurronsevas überhaupt keine Ahnung, und es war ihm auch vollkommen egal. Für ihn waren Froschschenkel nichts weiter als eine kulinarische Delikatesse, die sowohl den einen oder anderen Terrestrier als auch einige Vertreter anderer Spezies mit einem kultivierten Gaumen erfreuten.

Im Gegensatz zur Terrestrierin Murchison hatte Gurronsevas in seiner Kindheit nie Frösche oder Kaulquappen gefangen und in ein Einmachglas gesperrt, weil es für diese Lebensformen auf Traltha keine Entsprechungen gab. Doch zu guter Letzt war es der Pathologin gelungen, ihm den Unterschied zwischen den Verdauungssystemen von Pflanzen-, Fleisch- und Allesfressern verständlich zu machen.

Bei den großen, gutes Fleisch liefernden Pflanzenfressern handelte es sich normalerweise um Wiederkäuer, die, solange sie wach waren, ständig fressen mußten, damit ihr komplizierter Magen die Nahrung umwandeln konnte; denn die Verdauung und Verwertung der Nährstoffe nahm wegen des hohen Anteils an Pflanzenfasern und wegen der wenig gehaltvollen Bestandteile sehr lange Zeit in Anspruch. Wurden diese Lebensformen von Raubtieren bedroht, konnten sie sich sehr schnell bewegen und sich manchmal durch Hörner oder Hufe schützen, doch ihnen fehlte die Geschwindigkeit und Ausdauer der Fleischfresser, die ihre Nahrung leichter umsetzen konnten und schneller als Energie zur Verfügung hatten.

Nur in selten auftretenden Umweltbedingungen entwickelte sich eine Spezies von Wiederkäuern zur dominanten Lebensform eines Planeten oder erreichte einen Intelligenzgrad, der zur Bildung einer Zivilisation führte. Falls sie nicht durch Jagden ausgerottet wurden, wurden sie von den Spezies, die den jeweiligen Planeten beherrschten, zu Haustieren gemacht und als dauerhafte Nahrungsquelle gefüttert und geschützt. Eine fleischfressende Lebensform erreichte so gut wie nie die Stufe der Zusammenarbeit über den Familienkreis hinaus, die die Entwicklung einer fortschrittlichen Zivilisation ermöglichte, und auch das gelang ihr nur dann, wenn sie ihr Raubtierverhalten und die Ernährungsgewohnheiten grundlegend änderte.

Allesfressende Lebensformen waren in Ernährungsfragen wesentlich anpassungsfähiger, da sie die Möglichkeit hatten, ihre Nahrung zu jagen und zu ernten oder — wenn sich ihre Anpassungsfähigkeit zur ersten Regung wirklicher Intelligenz entwickelt hatte — in Herden zu halten und anzubauen. Und wenn diesen intelligenten Allesfressern der Hungertod drohte, weil eine Ernte mißraten war oder ihre Herdentiere krank geworden und gestorben waren, fanden sie immer einen Weg zu überleben, selbst wenn sie eine Naturkatastrophe von dem Ausmaß erlitten hatten, wie sie über Wemar hereingebrochen war.

Zu dem Vorgehen, das die Jäger auf Wemar zur Zeit verfolgten, gab es eine wesentlich einfachere Alternative.

„Aus Instinkt oder Erfahrung haben die wenigen Tiere, die noch für die Jagd übriggeblieben sind, gelernt, sich aus dem Sonnenlicht zu halten“, fuhr Gurronsevas fort. „Ob klein oder groß, sie sind dämmerungs- oder nachtaktiv geworden, das heißt, sie verbergen sich tagsüber im Schutz tiefer Höhlen und Erdlöcher. Und da sie nur noch auf sich selbst Jagd machen können, sind sie wirklich äußerst gefährlich geworden. Wie Sie mir erzählt haben, sind Ihre Jäger häufig gezwungen, viele gefahrvolle Stunden im Sonnenschein zu verbringen, während sie durch die Schutzumhänge behindert die Tiere ausgraben oder ihnen in tiefe Höhlen folgen, weil die Tiere nachts im Vorteil sind. Was die Jäger leisten, ist harte und gefährliche Arbeit, und oftmals werden sie selbst zu Gejagten.

Ein bloßer Gemüsebauer würde zwar nicht die Bewunderung und das Ansehen eines mutigen Jägers gewinnen, doch er hat eine leichtere Arbeit und eine höhere Lebenserwartung, da sich das Gemüse nicht wehrt.

Solange man es nicht mit zu viel gemahlenen Cresselwurzeln serviert“, fügte er lächelnd hinzu.

„Gurronsevas!“ ermahnte ihn Remrath. „Das hier ist eine ernste Angelegenheit. Die Wemarer sind immer Fleischesser gewesen.“

Plötzlich wünschte sich Gurronsevas, wieder im Orbit Hospital zu sein und Chefpsychologe O’Mara oder noch besser Padre Lioren um Rat zu diesem Problem bitten zu können. Er führte Logik gegen eine bloße Überzeugung ins Feld, unbestreitbare wissenschaftliche Fakten gegen einen Zustand, der zur Religion geworden war, und wieder einmal ging die Wissenschaft aus dieser Auseinandersetzung als Verliererin hervor, wie es bei aufstrebenden Zivilisationen so oft der Fall war.

„Da haben Sie natürlich recht“, pflichtete er dem Wemarer bei. „Die Angelegenheit ist sehr ernst, und die Wemarer sind schon immer, so weit ihre Erinnerungen und Aufzeichnungen zurückreichen, Fleischesser gewesen. Vor einigen Jahrhunderten, als auf ihren Ebenen und in den Wäldern noch viele Tiere gelebt haben, die sie ohne Angst im Licht der Sonne jagen konnten, haben vermutlich nicht nur die Erwachsenen Fleisch gegessen. Ich glaube, und meine Ansicht wird von den Untersuchungen der Ärzte auf dem Schiff untermauert, die frisch entwöhnten Kleinkinder sind deshalb mit einem dünnen, mit Fleisch geschmacklich angereicherten Gemüseeintopf gefüttert worden, weil ihre jungen Mägen keine ausschließlich aus Fleisch bestehende Nahrung vertragen konnten. Dennoch werden sie schon in sehr jungem Alter — unter Berücksichtigung der geringeren Körpergröße — denselben Anteil Fleisch bekommen haben wie die Erwachsenen.

Doch weder die Kleinkinder noch Sie selbst sind reine Fleischesser.

Vom Körper her eignen sich die Wemarer nicht zu Bauern“, fuhr Gurronsevas fort. „Die langen Beine und Schwänze, die raschen Bewegungen und die Fähigkeit zum abrupten Richtungswechsel haben sich bei Ihrer Spezies lange vor dem Erwerb von Intelligenz wahrscheinlich deshalb entwickelt, um großen Raubtieren entwischen zu können. Bevor sich die Umweltkatastrophe auf Ihrem Planeten ereignet hat, ist Fleisch immer im Überfluß vorhanden gewesen, und Tiere zu jagen und in Herden zu halten war viel einfacher, als Gemüse anzubauen, und deshalb ist aus dem ausschließlichen Verzehr von Fleisch eine Tugend geworden. Aber als der Fleischbestand zurückgegangen ist — und jetzt werden Sie vielleicht Schwierigkeiten haben, sich mit dem, was ich sage, abzufinden—, hat sich diese Gewohnheit zur Untugend entwickelt.

Natürlich sage ich das nicht aus einer sicheren Erkenntnis heraus“, sprach Gurronsevas schnell weiter, bevor ihn Remrath unterbrechen konnte, „denn über Ereignisse, die sich vor zwei oder drei Jahrhunderten zugetragen haben, kann ich nur spekulieren. Doch ich würde mal vermuten, daß man, als die Fleischknappheit allmählich ernster wurde, die kurze Zeit, in der man die Kleinkinder mit Gemüseeintopf gefüttert hat, bis zum Eintritt in die Pubertät verlängert und die Beschränkung, kein Fleisch mehr zu essen, auf die alten Erwachsenen ausgeweitet hat, die körperlich bereits die besten Jahre hinter sich hatten, vermutlich sogar auf deren eigenen Wunsch. Kurz danach konnten sich wahrscheinlich nur noch die jungen Jäger und Jägerinnen sicher sein, genügend Fleisch zum Essen zu haben, und zwar wegen der zunehmenden Gefahren, denen sie sich ausgesetzt gesehen haben, und aufgrund ihrer Bedeutung für das Überleben ihres Stamms. Und in Zeiten großer Knappheit mag man von den Jägern sogar erwartet haben, das erbeutete Fleisch für sich selbst zu behalten.

Das werden sie jedoch wohl kaum aus Selbstsucht getan haben, die eigenem großen Hunger zuzuschreiben gewesen wäre“, fügte Gurronsevas hinzu. „Vielmehr wird das an der festen Überzeugung gelegen haben, daß das weitere Überleben der Spezies davon abhing, diejenigen mit Fleisch zu versorgen, die die Nahrung herangeschafft haben. Stimmt’s?“

Da die auf dem Rückweg befindlichen Jäger langsamer vorankamen als erwartet, hatte Gurronsevas Zeit gehabt, sich ein wenig mit Remraths Körpersprache und Minenspiel vertraut zu machen. Der alte Koch sah gequält und beschämt aus — Gefühle, die schnell in Zorn umschlagen konnten — und entgegnete nichts. In seinem starken Verlangen, Remrath zu helfen, bedrängte ihn Gurronsevas zu sehr. Er mußte schleunigst etwas sagen, um das Gespräch aufzuheitern, dachte er, sonst könnte die Verbindung hier und jetzt für immer abreißen.

„Wenn ich Ihre Jäger höflich darum bitten würde, würden die mir dann ein bißchen von ihrem Fleisch abgeben?“ fragte er. „Schon ein kleines Stück wäre ausreichend. Was Fleischgerichte angeht, kann ich ganz schön einfallsreich sein.“

Für einen Moment hatte Remrath Atembeschwerden, doch dann gingen die Würgelaute in das dunkle Bellen über, das Gurronsevas inzwischen als das Lachen der Wemarer kannte.

„Das werden die nie und nimmer tun!“ rief er laut. „Fleisch ist viel zu kostbar, als daß man es riskieren würde, es von einem gemüsekochenden Fremdweltler verderben zu lassen.“

Gurronsevas schwieg ganz bewußt. Wie er gehofft hatte, glaubte jetzt wiederum Remrath, ihn gekränkt zu haben, denn seine Stimme nahm einen entschuldigenden Unterton an.

„Klar, Sie würden ein Gericht niemals absichtlich verderben“, versicherte ihm der Chefkoch schnell. „Aber Sie würden den Geschmack mit Ihren Soßen und Gewürzen vielleicht so verändern, daß man es nicht mehr als Fleisch erkennen könnte.“ Er zögerte kurz und fuhr dann fort: „Und Sie haben recht. Sofern es keine besonders erfolgreiche Jagd gewesen ist -

und das ist nicht mehr der Fall gewesen, seit ich der Jagd den Rücken gekehrt habe, um als Lehrer zu arbeiten—, werden weder die Kinder noch die Alten etwas von dem Fleisch bekommen. Manchmal spart ein zurückkehrender Jäger heimlich einen Bissen für einen Lehrer oder ein Kind auf, doch ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann das zum letzten Mal passiert ist.

Nun ist Fleisch dermaßen knapp, daß selbst die Jäger gezwungen sind, Gemüse zu essen, um auf diese Weise Portionen größer zu machen, die sonst eine äußerst karge Mahlzeit darstellen würden“, fuhr er mit einer vor Scham derart leisen Stimme fort, daß Gurronsevas sie kaum hören konnte. „Doch sie bestehen auf Fleisch, um Kraft zu bekommen, und sie kommen sich privilegiert vor, wenn der Geschmack von Fleisch vorhanden ist. Ich glaube, der Stolz treibt die Jäger häufig eher an den Rande des Hungertods und der Entkräftung, als daß er ihnen mehr Kraft gibt.“

Genau das war es, was Gurronsevas ihm schon die ganze Zeit klarzumachen versucht hatte, doch jetzt war nicht der Moment, um Punkte für die überzeugendste Argumentation zu sammeln. Folglich lachte er nur und sagte: „Dann müssen wir eben weiterhin Gemüse kochen und die Jäger ganz einfach neidisch auf den leckeren Geschmack machen.“

Remrath lachte nicht und meinte mit ernster Stimme: „Vor ein paar Tagen, bevor Sie alle dazu bringen wollten, Ihre merkwürdigen „drei Gerichte in einem“ zu essen, wäre das noch ein alberner Vorschlag gewesen, aber jetzt. Gurronsevas, neue Gemüsegerichte für die Kinder und die Alten reichen bei weitem nicht aus. Was wir brauchen, damit die Wemarer als Spezies überleben, ist Fleisch — und unsere Jäger sind schon lange überfällig.“

In bedauerndem Ton fügte er hinzu: „Muß ich Sie an das Versprechen Ihres obersten Arztes erinnern, daß uns die Fremdweltler verlassen werden, bevor die Jäger zurückkehren?“

Prilicla hatte Gurronsevas die Entscheidung überlassen, wann der beste Zeitpunkt gekommen war, um den Wemarern in der Mine zu sagen, daß sie bald mit der Ankunft der Jäger rechnen konnten, und jetzt schien der geeignete Moment dafür zu sein. Doch mit der guten Nachricht sollte er zugleich auch eindringlich darauf hinweisen, daß Veränderungen für die Wemarer unvermeidbar waren. Gurronsevas öffnete den Ranzen, den er an der Seite hängen hatte, blickte mit einem Auge hinein und suchte nach den Fotos, die das Aufklärungsflugzeug der Rhabwar geschossen hatte.

„Unter Berücksichtigung der Größen- und Altersunterschiede hält die pflanzliche Ernährung sowohl die jungen als auch die alten Wemarer gesund und munter“, sagte er. „Die Ärzte auf dem Schiff, die sich mit solchen Dingen von vielen anderen Planeten her auskennen, sagen, Ihre jungen Erwachsenen würden durch dieselbe Ernährung ebenfalls leben und gedeihen und sich weiter vermehren. Fleisch zu essen ist gut für sie, da stimmen die Ärzte voll und ganz zu, aber es ist für sie nicht die einzige Quelle, aus der ihnen Gesundheit und Kraft zukommt. Nach unserer Ansicht ist das Fleischessen schon vor vielen Generationen zu einer Glaubenssache und zu einer Gewohnheit geworden, und zwar zu einer Gewohnheit, die Sie durchaus aufgeben können.

Aber fangen wir nicht einen erneuten Streit an“, fügte er rasch hinzu, „denn ich habe eine gute Nachricht für Sie. Bei der momentanen Marschgeschwindigkeit, die wegen der schweren Lasten sehr langsam ist, werden Ihre Jäger übermorgen am frühen Vormittag hier eintreffen. Wenn es Fleisch ist, was Sie wollen, dann sollen Sie es bald bekommen.“

Ohne zu verraten, vor wie langer Zeit die Bilder bereits aufgenommen worden waren, erklärte er Remrath in einfachen Worten die Funktionsweise des Aufklärungsflugzeugs der Rhabwar und fing an, die Fotos vor dem Chefkoch auszubreiten. Sie waren vergrößert und von der Schärfe und dem Kontrast her verbessert worden und zeigten sämtliche Einzelheiten der fünf erjagten Tiere, die an ihren Stricken zerrten, und jede Falte in den zusammengenähten Häuten, mit denen die Trage bedeckt war, die von sechs Wemarern geschleppt wurde. Da es den ganzen Tag über stark bewölkt gewesen war, hatten die Jäger die Kapuzen und Umhänge zum Schutz gegen die Sonne zurückgebunden, so daß man jedes einzelne Gesicht deutlich erkennen konnte. Selbst für Gurronsevas war die Schärfe der Fotos beeindruckend.

„Vielleicht treffen sie später als erwartet ein, weil sie fünf Tiere gefangen und eine schwere Trage zu schleppen haben“, führ er begeistert fort. „All das können Sie selbst so deutlich sehen, daß Sie bestimmt auch Ihre Freunde erkennen werden. Ich habe zwar keine Ahnung, mit wieviel Beute die Jäger normalerweise zurückkehren, aber ich glaube, ich weiß, was ein großer Fang ist.“

„Sie wissen überhaupt nichts, Gurronsevas“, widersprach Remrath mit sehr leiser Stimme. „Das ist kein großer Fang. Die Jäger sollten nicht gemächlich gehen, sondern laufen und springen, damit die toten kleinen Tiere in den Tornistern nicht vor dem Eintreffen bei der Mine verdorben sind, und statt fünf mageren Twasachjungen mehr als zwanzig große Crellan und fette, ausgewachsene Twasachs hinter sich herziehen. Aber viele der Tornister sind leer, und einen aus ihrer Gruppe schleppen sie auf der Trage mit sich, was bedeutet, daß einer der Jäger verletzt worden oder gar tot ist oder im Sterben liegt.“

„Das tut mir leid“, sagte Gurronsevas. „Wissen Sie, um wen es sich dabei.? Ist es ein Freund von Ihnen?“

Kaum hatte Gurronsevas die Frage ausgesprochen, wußte er, daß sie überflüssig gewesen war. Alle Gesichter auf den Fotos waren nämlich derart scharf und deutlich, daß Remrath den verletzten Wemarer einfach durch negative Auslese identifizieren konnte.

„Es ist Creethar, ihr Anführer“, antwortete Remrath mit noch leiserer Stimme. „Ein äußerst mutiger, einfallsreicher und beliebter Jäger. Creethar ist mein jüngster Sohn.“

Загрузка...