10. Tag Zinj 22. Juni 1979

1. Rückkehr

Der Morgen des 22. Juni war neblig und trüb. Als Peter Elliot um sechs Uhr aufwachte, herrschte im Lager bereits geschäftiges Treiben. Munro schritt den Umkreis des Lagers ab. Seine von den nassen Blättern durchnäßte Kleidung klebte ihm am Leib. Er begrüßte Elliot mit einem triumphierenden Blick und zeigte auf den Boden.

Dort waren frische Fußabdrücke zu sehen, kurz, tief, fast dreiek-kig, und zwischen dem großen Zeh und den anderen vier Zehen war eine Lücke, etwa so groß wie der Abstand zwischen Daumen und Fingern der menschlichen Hand.

»Das waren mit Sicherheit keine Menschen«, sagte Elliot und beugte sich vor, um die Fährte genauer in Augenschein zu nehmen.

Munro sagte nichts. »Herrentiere, Primaten.« Munro schwieg weiter.

»Aber ein Gorilla kann es nicht sein«, schloß Elliot und richtete sich auf. Seine Unterhaltung über den Bildschirm am Vorabend hatte ihn in der Ansicht bestärkt, daß Gorillas mit dieser Sache nichts zu tun hatten. Gorillas töteten einander nicht, so wie Amys Mutter getötet worden war. »Es kann kein Gorilla sein«, wiederholte er.

»Aber es ist einer«, sagte Munro. »Sehen Sie sich das an.« Er deutete auf eine andere Stelle im weichen Boden. Dort befanden sich vier Eindrücke nebeneinander. »Das sind typische Knöchel ab drücke, hier ist er auf den Händen gelaufen.« »Aber«, sagte Elliot, »Gorillas sind scheu, sie schlafen nachts und gehen dem Menschen aus dem Wege.«

»Erzählen Sie das doch dem, der diesen Abdruck hinterlassen hat.«

»Für einen Gorilla ist er klein«, sagte Elliot. Er untersuchte den Zaun in der Nähe - da wo in der Nacht der Stromkreis kurzgeschlossen worden war. Es hingen einzelne graue Haare daran. »Und Gorillas haben keine grauen Haare.« »Doch, Silberrückenmänner«, sagte Munro. »Ja, aber bei ihnen spielt die Farbe mehr ins Weiße. Diese hier sind eindeutig grau.« Er zögerte. »Vielleicht ist es ein kakunda-kari.«

Munro sah in verächtlich an.

Das kakundakari war ein angeblich am KongoBecken heimischer Primat, dessen Existenz so umstritten war wie die des Yeti. Zwar war es angeblich schon oft gesichtet worden, aber niemand hatte je eines gefangen. Die Eingeborenen kannten zahllose Geschichten, in denen von einem ein Meter achtzig großen, behaarten Affen die Rede war, der aufrecht ging und auch sonst in seinem Verhalten sehr menschenähnlich war.

Viele angesehene Wissenschaftler glaubten an die Existenz des kakundakari; vielleicht dachten sie an die Autoritäten, die früher einmal den Gorilla ins Reich der Fabel verwiesen hatten. 1774 hatte Lord Monboddo über den Gorilla geschrieben: »Dieses wunderbare und zugleich erschreckende Geschöpf der Natur geht aufrecht wie ein Mensch, ist zwischen zwei Meter zehn und zwei Meter siebzig groß ... und von verblüffender Kraft. Es ist am ganzen Körper schwarz behaart, am Kopf sind die Haare länger, das Gesicht ähnelt dem des Menschen mehr als das des Schimpansen, nur daß es schwarz ist. Das Tier hat keinen Schwanz.« Vierzig Jahre darauf beschrieb Bowditch einen afrikanischen Affen, der »im allgemeinen ein Meter fünfzig groß ist, mit einer Schulterbreite von etwa ein Meter zwanzig. Es heißt, noch weniger als die Breite seiner Schultern entspreche seine Hand den übrigen Proportionen, und ein Schlag mit ihr soll tödlich sein.« Doch erst 1847 veröffentlichten John Savage, ein in Afrika tätiger Missionar, und Jeffries Wyman, ein Anatom aus Boston, einen Aufsatz, in dem sie »eine zweite von den Naturwissenschaftlern bisher nicht anerkannte Spezies in Afrika« beschrieben, die sie Troglodytes gorilla zu nennen vorschlugen. Ihre Mitteilung verursachte in der wissenschaftlichen Welt ungeheures Aufsehen und in London, Paris und Boston traf man alle Anstalten, um möglichst rasch Skelette dieses Tiers zu beschaffen. 1855 bestand kein Zweifel mehr - es gab in Afrika einen zweiten, sehr großen Menschenaffen.

Noch im 20. Jahrhundert wurden im Regenwald neue Tierarten entdeckt: 1944 das Blauschwein und 1961 das rotbrüstige Waldhuhn. Also konnten in den Tiefen des Dschungels durchaus noch andere seltene und sich scheu zurückhaltende Tiere leben. Doch einen wirklichen Nachweis für die Existenz des kakundakari gab es nicht.

»Dieser Abdruck stammt von einem Gorilla«, beharrte Munro hartnäckig. »Oder vielmehr von einem ganzen Trupp. Abdrücke finden sich überall um den Zaun herum. Sie haben unser Lager ausgespäht.«

»Unser Lager ausgespäht«, wiederholte Elliot und schüttelte ungläubig den Kopf.

»Genauso ist es«, sagte Munro. »Sehen Sie sich nur die verdammten Abdrücke an.«

Elliot merkte, wie seine Geduld zu Ende ging. Er sagte etwas über Lagerfeuererzählungen von Großwildjägern, was Munro mit wenig schmeichelhaften Äußerungen über Leute quittierte, die ihr gesamtes Wissen aus Büchern bezogen. Und dann begannen die Stummelaffen in den Bäumen plötzlich zu kreischen und die Äste zu schütteln.

Sie fanden Malawi unmittelbar außerhalb des Lagers. Der Träger war auf dem Weg zum Bach getötet worden, wo er Wasser holen wollte. Die zusammenfaltbaren Eimer lagen in der Nähe auf dem Waldboden. Seine Schädelknochen waren zerschmettert worden.

Das Gesicht war purpurfarben, aufgequollen und verzerrt, der Mund stand offen.

Die Mitglieder der Expedition waren entsetzt. Karen Ross wandte sich ab, es war zuviel für sie. Die Träger hockten mit Kahega zusammen, der sie zu beruhigen versuchte, während Munro sich über den Leichnam beugte, um die Verletzungen zu untersuchen. »Sehen Sie diese Stellen, als wäre der Schädel zwischen etwas zerquetscht... «

Munro fragte nach den Steinplatten, die Elliot am Vortag in der Stadt gefunden hatte. Er warf einen Blick auf Kahega, der hoch aufgerichtet vor ihm stand und sagte: »Wir müssen nach Hause zurück, bwana.« »Das geht nicht«, sagte Munro.

»Wir kehren um. Wir müssen. Einer unserer Brüder ist tot, wir müssen eine Feier für seine Frau und seine Kinder machen, bwana.« »Kahega...«

»Bwana, wir müssen jetzt zurück.«

»Kahega, darüber wollen wir reden.« Munro richtete sich auf, legte den Arm um Kahegas Schulter und führte ihn beiseite, auf die gegenüberliegende Seite der Lichtung: Dort sprachen sie mehrere Minuten lang leise miteinander. »Es ist grauenhaft«, sagte Karen Ross. Sie schien ehrlich betroffen und von Mitgefühl überwältigt. Elliot wollte sie schon trösten, als sie fortfuhr: »Nun bricht die Expedition zusammen. Es ist grauenhaft. Wir müssen irgendwie weitermachen, sonst finden wir die Diamanten nie\« »Sonst haben Sie keine Sorgen?« »Nun, immerhin sind sie ja versichert...« »Wenn das alles ist«, sagte Elliot.

»Sie sind doch bloß wütend, weil Ihr verdammter Affe abgehauen ist«, sagte Karen Ross. »Reißen Sie sich zusammen, sie beobachten uns.«

Tatsächlich sahen die Kikuyu aufmerksam zu Karen Ross und Elliot herüber. Offenbar versuchten sie herauszubekommen, wie die Dinge standen. Allerdings wußten sie alle, daß die entscheidenden Verhandlungen zwischen Munro und Kahega geführt wurden. Einige Minuten später kehrte Kahega zurück und wischte sich die Augen. Er sagte rasch etwas zu seinen Brüdern. Sie nickten. Dann wandte er sich wieder Munro zu. »Wir bleiben, bwana.«

»Gut, sagte Munro und nahm sogleich seinen gewohnten, gebieterischen Ton wieder auf: »Holt die Steinplatten.« Nachdem sie gebracht worden waren, legte Munro sie zu beiden Seiten an Malawis Schädel. Sie paßten genau in die halbkreisförmigen Vertiefungen am Kopf.

Dann sprach Munro rasch auf Swahili mit Kahega, der seinerseits etwas zu seinen Brüdern sagte. Sie nickten. Nun erst vollzog Munro den nächsten schrecklichen Schritt. Er hob die Arme weit auseinander und ließ die Platten mit aller Kraft gegen den bereits zusammengedrückten Schädel sausen. Das dumpfe Geräusch war ekelerregend, Blutspritzer bedeckten sein Hemd. Aber es war ihm nicht gelungen, den Schädel weiter zu beschädigen. »Ein Mensch hat nicht die Kraft dazu«, sagte Munro tonlos. Er sah zu Peter Elliot hin. »Wollen Sie's versuchen?« Elliot schüttelte den Kopf.

Munro erhob sich. »So wie Malawi hingefallen ist, muß er gestanden haben, als es geschah.« Munro sah Elliot eindringlich an und sagte: »Ein großes Tier, so groß wie ein Mensch. Ein großes, kräftiges Tier. Ein Gorilla.« Elliot wußte keine Antwort darauf.

Kein Zweifel, daß Peter Elliot sich durch die Entwicklung der Dinge bedroht fühlte, wenn auch nicht in seiner persönlichen Sicherheit. »Ich konnte das einfach nicht akzeptieren«, sagte er später. »Ich kenne mein Forschungsgebiet, und ich konnte die Vorstellung nicht akzeptieren, daß Gorillas in der Wildnis ein unbekanntes, radikal gewalttätiges Verhalten entfalteten. Und es ergab ja auch keinen Sinn. Gorillas sollten Steinplatten verfertigen, mit deren Hilfe sie Menschen den Schädel zerschmetterten? Das war ausgeschlossen!«

Nach der Untersuchung des Leichnams ging Elliot zum Fluß, um sich das Blut von den Händen zu waschen. Als er dort mit sich allein war, ertappte er sich dabei, wie er in das klare, fließende Wasser blickte und die Möglichkeit erwog, daß er unrecht haben könne. Die Geschichte der Primatenforschung kennt eine lange Reihe von Fehleinschätzungen.

Elliot selbst hatte dazu beigetragen, eine der bekanntesten falschen Vorstellungen richtigzustellen

- die vom Gorilla als einem dummen Tier. In ihrer ersten Beschreibung hatten Savage und Wyman geäußert: »Die Intelligenz dieses Tiers liegt unter der des Schimpansen. Das erklärt sich vermutlich daraus, daß es dem Menschen stammesgeschichtlich weniger nahesteht als dieser.« Spätere Beobachter beschrieben den Gorilla als »wild, tückisch und brutal«. Doch es gab inwischen aus Praxis- und Laborbeobachtungen zahlreiche Belege dafür, daß der Gorilla in mancherlei Hinsicht klüger war als der Schimpanse.

Dann gab es da auch noch die berühmten Geschichten von Schimpansen, die Kinder entführten und aßen. Jahrzehntelang hatten Primatenforscher solche Berichte Eingeborener als »Ausgeburten abergläubischer Phantasie« abgetan. Aber man durfte nicht mehr daran zweifeln, daß Schimpansen in der Tat gelegentlich Kinder entführten und aßen. Als Jane Goodall die Gombe-Schimpansen beobachtete, hielt sie ihr eigenes Kind in sicherer Verwahrung, damit die Schimpansen es ihr nicht wegnehmen und töten konnten.

Schimpansen jagten eine Vielzahl von Tieren und folgten dabei einem komplizierten Ritual. In freier Wildbahn vorgenommene Untersuchungen von Dian Fossey ließen vermuten, daß auch Gorillas von Zeit zu Zeit auf Jagd gingen, kleine Tiere und sogar kleinere Affen töteten, und zwar immer dann, wenn... Er hörte ein Rascheln in den Büschen auf der anderen Seite des Bachs, und ein riesiger

Gorillamann mit silbernem Rückensattel erhob sich im brusthohen Blattwerk. Zuerst erschrak Peter Elliot, doch dann wurde ihm klar, daß er sicher war. Gorillas überquerten so gut wie nie offene Gewässer, nicht einmal einen kleinen Bach. Oder war auch das eine Fehleinschätzung? Das Männchen beobachtete ihn aufmerksam über das Wasser hinweg. In seinem Blick schien keine Drohung zu liegen, nur aufmerksame Neugier. Elliot roch den typischen muffigen Gorillageruch und hörte, wie das Männchen durch seine flache Nase ausatmete. Er überlegte gerade, was er tun sollte, als plötzlich der Gorilla geräuschvoll durch das Unterholz brach und verschwand. Diese Begegnung verblüffte ihn. Während er noch dastand und sich den Schweiß von der Stirn wischte, merkte er, daß sich im Laubwerk am anderen Ufer des Gewässers immer noch etwas bewegte. Einen Augenblick später erhob sich ein anderer Gorilla, ein kleineres Exemplar: offenbar ein Weibchen, dachte er, obwohl er sich nicht sicher war. Das Tier starrte ihn ebenso an wie der erste Gorilla. Dann bewegte sich seine Hand. Peter kommen kraulen.

»Amy!« schrie er, und einen Augenblick später war er durch den Bach gewatet, und Amy sprang ihm in die Arme, umschlang ihn, verteilte nasse Küsse über sein Gesicht und grunzte glücklich.

Amy wäre bei ihrer unerwarteten Rückkehr ins Lager um ein Haar von den nervösen Kikuyu-Trägern erschossen worden. Elliot konnte es nur verhindern, indem er sich schützend vor sie stellte. Zwanzig Minuten später hatten sich jedoch alle wieder an ihre Anwesenheit gewöhnt - und sogleich stellte Amy Forderungen.

Sie war untröstlich, als sie erfuhr, daß die Menschen während ihrer Abwesenheit weder Milch noch Kekse beschafft hatten, doch als Munro die Flasche lauwarmen Dom PeYignon hervorholte, trank sie statt dessen bereitwillig Champagner. Alle saßen um sie herum und tranken Champagner aus Blechbechern. Elliot war froh über den mäßigenden Einfluß, den die Gegenwart der anderen auf ihn ausübte, denn nun, da Amy sicher zurückgekehrt war, lässig ihren Champagner schlürfte und mitteilte, Amy Kitzelwasser mögen, empfand er einen maßlosen Zorn auf sie.

Munro reichte Elliot grinsend seinen Champagner. »Ganz ruhig, Professor, ganz ruhig. Immerhin ist sie noch ein Kind.« »Ach was«, sagte Elliot. Er führte die folgende Unterhaltung mit Amy ausschließlich in Zeichensprache und sagte kein Wort zu ihr.

Amy, wollte er wissen, warum Amy fort?

Sie steckte die Nase in den Becher und antwortete: Kitzelwasser gut.

Amy, wiederholte er. Amy Peter sagen, warum Amy fort. Peter Amy nicht mögen. Peter Amy mögen.

Peter Amy weh tun, Peter Aua-Nadel werfen Amy Peter nicht mögen Peter Amy nicht mögen Amy traurig traurig. Er nahm sich vor, sich zu merken, daß sie den Begriff »Aua-Nadel« nun auf den Narkosepfeil ausgedehnt hatte. Diese Transferleistung gefiel ihm. Aber er gab ihr streng zu verstehen: Peter Amy mögen. Amy wissen Peter Amy mögen. Amy Peter sagen warum – Peter Amy nicht kitzeln Peter nicht nett Amy nicht nett Peter Frau mögen Amy nicht mögen Peter Amy nicht mögen Amy traurig Amy traurig.

Die immer schnellere Zeichenfolge war allein schon ein Hinweis darauf, daß etwas in ihr vorging, sie erregte. Wohin Amy? Amy bei Gorillas liebe Gorillas. Amy Gorillas mögen. Die Neugier besiegte seinen Zorn. War sie mehrere Tage lang mit einer Gruppe wilder Gorillas umhergezogen? Falls das zutraf, war es von größter Bedeutung, ein entscheidender Augenblick in der Geschichte der neuzeitlichen Primatenforschung: ein sprachfähiger Menschenaffe hatte sich einer Gruppe wildlebender Tiere angeschlossen und war zurückgekehrt. Er wollte mehr darüber wissen.

Gorillas nett zu Amy? Mit einem koketten Blick: Ja. Amy Peter erzählen.

Sie blickte gelangweilt in die Ferne und gab keine Antwort. Um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, schnalzte Elliot mit den Fingern. Sie wandte sich ihm langsam, mit gelangweilter Miene zu.

Amy Peter erzählen Amy bleiben Gorillas? Ja. Ihre gleichgültige Haltung ließ erkennen, daß sie begriffen hatte, wie dringend Elliot wissen wollte, was sie wußte. Amy merkte es immer sehr schnell, wenn sie die Oberhand hatte - und jetzt hatte sie die Oberhand.

Amy Peter sagen, forderte er sie auf, so ruhig er konnte. Liebe Gorillas Amy mögen Amy lieber Gorilla. Damit konnte er überhaupt nichts anfangen. Sie bildete Routinesätze - eine andere Möglichkeit, ihn zu ignorieren. Amy.

Sie sah ihn an.

Amy Peter sagen. Amy sehen Gorillas? Ja.

Gorillas tun was? Gorillas Amy schnüffeln. Alle Gorillas?

Große Gorillas weiße Gorillas Amy schnüffeln kleine Gorillas Amy schnüffeln alle Gorillas Amy schnüffeln Gorillas Amy mögen. Also hatten die Silberrückenmänner sie zuerst beschnüffelt, dann die Jungtiere und schließlich alle Mitglieder des Trupps. Soviel war klar - bemerkenswert klar, dachte er und war erstaunt über ihr Ausdrucksvermögen. Dann wollte er wissen, ob die Gruppe sie akzeptiert hatte. Er fragte: Was geschehen Amy dann? Gorillas geben Essen. Was für Essen?

Kein Name Amy Essen geben Essen.

Offenbar hatten sie ihr gezeigt, was sie essen konnte. Oder hatten sie sie sogar gefüttert? Dergleichen war noch in keinem Bericht erwähnt worden. Allerdings hatte auch noch niemand erlebt, daß ein Außenseiter in eine Horde aufgenommen worden war. Amy war ein Weibchen und am Beginn der Geschlechtsreife... Was für Gorillas geben Essen? Alle Essen geben Amy Essen nehmen Amy mögen. Offenbar hatten nicht Männchen oder jedenfalls nicht ausschließlich Männchen ihr beigestanden. Was war der Grund dafür, daß sie sie so bereitwillig aufgenommen hatten? Wenn man einmal davon ausging, daß Gorillatrupps keine so geschlossenen Verbände waren wie Herden von meerkatzenartigen Affen - was genau war vorgefallen?

Amy bleiben Gorillas? Gorillas Amy mögen. Ja. Amy tun was?

Amy schlafen Amy essen Amy Gorillas leben Gorillas lieb Gorillas Amy mögen.

Sie hatte also tatsächlich am Leben der Gruppe teilgenommen, ihren Tagesablauf miterlebt. War sie völlig akzeptiert worden? Amy mögen Gorillas? Gorillas dumm. Warum dumm? Gorillas nicht sprechen. Nicht sprechen Zeichensprache? Gorillas nicht sprechen.

Offensichtlich war sie von den Gorillas enttäuscht, weil sie ihre Zeichensprache nicht kannten. (Das waren sprachfähige Primaten häufig, wenn sie mit Tieren zusammenkamen, die die Zeichen nicht verstanden: sie empfanden dann Unlust, Enttäuschung und Wut.) Gorillas nett zu Amy?

Gorillas Amy mögen Amy Gorillas mögen Amy mögen Gorillas mögen.

Warum Amy zurückkommen? Milch Kekse wollen.

»Amy«, sagte er jetzt, »du weißt, daß wir keine Milch und keine Süßigkeiten haben.« Es verblüffte die anderen, daß er plötzlich sprach. Sie sahen fragend zu Amy hinüber. Lange antwortete sie nicht. Amy Peter mögen. Amy traurig Peter mögen.

Er war den Tränen nahe. Peter lieber Mensch.

Er mußte die Augen mehrfach öffnen und schließen und bedeutete ihr dann: Peter Amy kraulen. Sie sprang ihm in die Arme.

Später fragte er sie nach Einzelheiten. Doch es dauerte lange und war ein mühsames Geschäft, vor allem, da Amy recht verworrene Zeitbegriffe hatte.

Amy konnte zwar Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unterscheiden - sie erinnerte sich an früher Vorgefallenes und nahm Dinge vorweg, die ihr für die Zukunft versprochen worden waren -, doch war es der Arbeitsgruppe nie gelungen, ihr genauere Unterscheidungen beizubringen. Zum Beispiel konnte sie nicht gestern von vorgestern unterscheiden. Es war nicht klar, ob das an Mängeln der Unterrichtsmethode lag oder an Amys spezifischer Begriffswelt. (Allerdings gab es Anzeichen für begriffliche Unterscheidungen. Insbesondere zeigte Amy sich bei räumlichen Begriffen für Zeitangaben verwirrt, so zum Beispiel bei »das haben wir hinter uns« oder »das liegt noch vor uns«. Ihre Ausbilder begriffen die Vergangenheit als etwas Zurückliegendes und die Zukunft als etwas vor ihnen Liegendes, während Amys Verhalten darauf hinzudeuten schien, daß sie die Vergangenheit als etwas vor ihr Liegendes begriff - weil sie es sehen konnte - und die Zukunft als etwas hinter ihr Liegendes, weil es ihr unsichtbar war. Wenn sie ungeduldig auf die versprochene Ankunft eines Bekannten wartete, sah sie immer wieder über ihre Schulter, auch wenn sie mit dem Gesicht zur Tür stand.)

Wie auch immer, jetzt stellte sich die Frage der Zeitangaben als besonders schwierig heraus, und Elliot mußte seine Fragen sehr sorgfältig formulieren. Er begann: »Amy, was geschehen nachts? Bei Gorillas?«

Sie sah ihn mit dem Blick an, mit dem sie ihn immer dann bedachte, wenn sie eine Frage für überflüssig hielt. Amy nachts schlafen.

»Und die anderen Gorillas?« Gorillas nachts schlafen. »Alle Gorillas?«

Sie unterließ es, darauf zu antworten.

»Amy«, sagte er. »Nachts Gorillas in unser Lager kommen.« Hier?

»Ja, hier. Gorillas waren nachts hier.« Sie dachte darüber nach. Nein. Munro fragte: »Was hat sie gesagt?« Elliot sagte: »Sie sagt: >Nein.< Doch, Amy, sie waren hier.«

Amy antwortete nicht sogleich. Dann teilte sie ihm mit: Dinger waren hier.

Wieder wollte Munro wissen, was sie gesagt hatte. »Sie hat gesagt, daß Dinger hier waren«, sagte Elliot und übersetzte von nun an Amys Antworten für die anderen. Karen Ross fragte: »Was für Dinger, Amy?« Schlimme Dinger.

Munro fragte: »Waren es Gorillas, Amy?« Nicht Gorillas. Schlimme Dinger. Viele schlimme Dinger kommen Wald kommen. Atem sagen. Nachts kommen. Munro fragte: »Wo sind sie jetzt, Amy?«

Amy sah sich um und zeigte auf den Dschungel.-Hier. Alter Platz schlimmer Platz Dinger kommen.

Karen Ross fragte: »Was für Dinger, Amy? Sind es Tiere?« Elliot erklärte den anderen, daß Amy die Kategorie »Tiere« nicht abstrahieren konnte. »Sie hält uns für Tiere«, erklärte er. »Sind die schlimmen Dinger Menschen, Amy?« Nein.

Munro fragte: »Andere Affen?« Nein. Schlimme Dinger nachts nicht schlafen. Munro fragte: »Kann man sich auf das verlassen, was sie sagt?« Was bedeuten?

»Ja«, sagte Elliot. »Absolut.« »Sie weiß, was Gorillas sind?« Amy lieber Gorilla, ließ sie wissen.

»Ja, das bist du«, sägte Elliot. »Sie sagt, daß sie ein lieber Gorilla ist.«

Munro runzelte die Stirn. »Sie weiß also, was Gorillas sind, sagt aber zugleich, diese Dinger seien keine?« »Ja, das sagt sie.«

2. Fehlende Elemente

Elliot brachte Karen Ross dazu, die Videokamera so am Rand der Stadt aufzustellen, daß sie zum Lager wies. Als das Band lief, führte er Amy zum Rand des Lagers, damit sie die zerstörten Gebäude sah. Er wollte ihr die tote Stadt zeigen, die Wirklichkeit hinter ihren Träumen - und er wollte aufzeichnen, wie sie auf den Anblick"reagierte. Was geschah, war völlig unerwartet. Amy zeigte überhaupt keine Reaktion.

Ihr Gesicht blieb unbeteiligt, ihr Körper entspannt. Sie machte keine Zeichen. Wenn überhaupt, konnte man sagen, daß sie gelangweilt war, wieder einmal eine der Launen Elliots ertrug, um ihm einen Gefallen zu tun. Elliot beobachtete sie aufmerksam. Sie verdrängte nichts und unterdrückte nichts - sie reagierte überhaupt nicht. Sie sah gleichmütig auf die Stadt. »Amy kennen diesen Ort?« Ja.

»Amy Peter sagen, was für ein Ort.« Schlimmer Ort alter Ort. »Schlafbilder?« Dies schlimmer Ort. »Warum ist er schlimm, Amy?« Schlimmer Ort alter Ort. »Ja, aber warum, Amy?«

Amy Angst. Keine körperliche Regung deutete darauf hin, daß sie wirklich Angst hatte. Sie hockte neben ihm auf dem Boden und blickte ganz ruhig vor sich hin. »Warum Amy Angst?« Amy essen wollen. »Warum Amy Angst?«

Sie ließ sich zu keiner Antwort herbei und verhielt sich wie immer, wenn sie sehr gelangweilt war. Er konnte sie nicht dazu bringen, sich weiter über ihre Träume zu äußern. Sie war ebenso verschlossen, wie sie in San Francisco auf dieses Thema reagiert hatte. Als er sie aufforderte, mit ihnen in die Ruinen zu gehen, weigerte sie sich in aller Ruhe. Andererseits schien es sie nicht zu bekümmern, daß Peter Elliot in die Stadt ging. Sie winkte ihm sogar fröhlich nach und machte sich dann auf, um Kahega um etwas Eßbares anzubetteln.

Erst nach Abschluß der Expedition, als er wieder in Berkeley war, fand Elliot die Erklärung für dieses verwirrende Verhalten -in Freuds »Traumdeutung«, die erstmals 1900 veröffentlicht worden war.

Dort hieß es, in seltenen Fällen könne es vorkommen,- daß ein Patient sich plötzlich der Wirklichkeit hinter seinen Träumen gegenübersehe, ob es sich nun um ein Gebäude, einen Menschen oder eine Situation handle, irgend etwas, das ihm tief vertraut sei. Stets sei die subjektive Reaktion des Träumenden gleich. Der Emotionsgehalt des Traums

- ob angsterregend, lustbetont oder geheimnisvoll -schwinde beim Anblick der Wirklichkeit. Man dürfe sicher sein, daß die scheinbare Langeweile des Betreffenden nicht die Unrichtigkeit des Traumgehalts beweise. Die Langeweile könne dann besonders stark sein, wenn der Traumgehalt wirklich sei. Der Träumende erkenne auf irgendeiner tieferen Ebene seine Unfähigkeit, das, was er empfinde, zu ändern, und so fühle er sich von Ermattung, Langeweile und Gleichgültigkeit erfaßt, was dazu diene, seine fundamentale Hilflosigkeit angesichts seiner wirklichen Schwierigkeit, die abgestellt werden müsse, vor ihm zu verbergen.

Monate später also sollte Elliot zu dem Ergebnis kommen, daß Amys ausbleibende Reaktion nur ein Hinweis auf die Tiefe ihrer Empfindung war und daß Freuds Analyse stimmte - die NichtReaktion schützte sie vor einer Situation, die geändert werden mußte, die zu ändern Amy sich jedoch außerstande sah, insbesondere angesichts der Kindheitserinnerungen, die ihr von dem traumatischen Erlebnis des Todes ihrer Mutter geblieben sein mochten.

Doch vorerst war Elliot tief enttäuscht von Amys gleichgültiger Haltung. Von all den möglichen Reaktionen, die er sich zu Beginn der Expedition in den Kongo ausgemalt hatte, war Langeweile das, woran er am wenigsten gedacht hatte, und so entging ihm deren Bedeutung: Die tote Stadt Zinj war so voller Gefahren, daß Amys Unbewußtes sich veranlaßt sah, sie beiseite zu schieben und zu ignorieren.

Elliot, Munro und Karen Ross verbrachten einen heißen, schwierigen Vormittag damit, sich einen Weg durch den dichten Bambus und die zähen, festen Schlingpflanzen des Sekundärdschungels zu schlagen, 'um zu weiteren Gebäuden im Innern der Stadt. zu gelangen. Gegen Mittag wurden ihre Bemühungen belohnt. Sie betraten Bauten von einer eindrucksvollen Architektur, anders als alles, was sie bisher gesehen hatten. Sie umschlossen riesige unterirdische Höhlen, die drei oder vier Stockwerke tief hinabführten.

Karen Ross war hocherfreut über die Entdeckung der unterirdischen Bauten. Sie bewiesen ihr, daß die Bewohner der Stadt die zum Abbau von Diamanten erforderliche Technik beherrscht hatten. Munro drückte etwas Ähnliches aus, als er sagte: »Die Leute, die hier gelebt haben, haben etwas von Erdarbeiten verstanden.«

Trotz ihrer Begeisterung fanden sie in den Tiefen der Stadt nichts von Interesse. Später am Tag stiegen sie hinauf in höhere Ebenen und stießen auf ein Gebäude mit so vielen Reliefs, daß sie es »die Galerie« nannten. Auch hier untersuchten sie mit Hilfe des über Satelliten arbeitenden Videosystems die Bilder. Sie zeigten Szenen aus dem Alltag der Stadt: Frauen, die am Feuer Mahlzeiten zubereiteten, Kinder mit Stöcken bei einem Ballspiel, Schreiber, die auf dem Boden hockten und irgend etwas auf Tontafeln verzeichneten. Eine ganze Wand war mit Jagdszenen geschmückt: die Männer trugen kurze Lendenschurze und waren mit Speeren bewaffnet. Und schließlich gab es Darstellungen des Bergbaus, auf denen man sehen konnte, wie Männer Körbe voller Gestein aus Stollen an die Erdoberfläche trugen. In diesem reichen Panorama, so fiel ihnen auf, fehlten bestimmte Elemente. Die Bewohner von Zinj hatten sich Hunde, die sie für die Jagd brauchten, und eine Abart der Zibetkatze als Haustiere gehalten - und doch schien es ihnen nie in den Sinn gekommen zu sein, sie als Lasttiere zu verwenden. Alle körperliche Arbeit wurde von Menschen getan, von Sklaven. Und offenbar kannten sie auch das Rad nicht, denn es waren keinerlei Fahrzeuge abgebildet, alle Lasten wurden von Menschenhand in Körben befördert.

Munro sah lange auf die Bilder und sagte schließlich: »Da fehlt noch irgend etwas anderes.«

Sie betrachteten gerade eine Szene aus dem Diamantbergwerk -die dunklen Gruben, aus denen Männer mit Körben voller Edelsteine hervorkamen.

»Natürlich!« sagte Munro und schnalzte mit den Fingern. »Keine Polizei!«

Elliot unterdrückte ein Lächeln. Klar, daß jemand wie Munro an die Polizei dachte - auch wenn es um eine längst untergegangene Gesellschaft ging.

Doch Munro blieb dabei, daß seine Beobachtung von Bedeutung sei. »Überlegen Sie doch«, sagte er. »Diese Stadt existierte wegen ihrer Diamantminen. Es gab keinen anderen Daseinsgrund für sie, hier draußen im Dschungel. Zinj war eine Bergbaustadt, und alles beruhte auf dem Bergbau: ihr Reichtum, ihr Handel, ihr Alltag, alles. Es war eine klassische Monokultur - und da soll niemand .etwas bewacht, geregelt, beherrscht haben?« Elliot sagte: »Wir haben auch andere Dinge nicht gesehen - zum Beispiel keine Darstellungen essender Menschen. Vielleicht war es ein Tabu, die Wachen zu zeigen.«

»Möglich«, sagte Munro, schien jedoch nicht überzeugt. »Aber in allen anderen Bergwerken der Welt werden die Wachen geradezu herausgestellt, zum Beweis dafür, daß eine Überwachung erfolgt. Gehen Sie doch einmal in die südafrikanischen Diamantminen oder in die bolivianischen Smaragdminen - immer weist man Sie als erstes auf die Sicherheitsmaßnahmen hin. Aber hier«, sagte er und zeigte auf die Reliefs, »hier sind keine Wachen.« Karen Ross meinte, vielleicht habe man keine gebraucht, möglicherweise sei die Bevölkerung von Zinj gesittet und friedliebend gewesen. »Immerhin ist es schon lange her«, sagte sie. »Die Natur des Menschen ändert sich nicht«, gab Munro zurück.

Als sie die Galerie verließen, kamen sie zu einem offenen Innenhof, der mit wildwuchernden Ranken bewachsen war. Er wirkte sehr streng, ein Eindruck, der durch die Pfeiler eines tempelähnlichen Gebäudes neben dem Hof verstärkt wurde. Sogleich zog der Boden des Hofs ihre Aufmerksamkeit auf sich. Dort lagen verstreut Dutzende von den scheibenförmigen Steinplatten, wie Elliot schon vorher welche gefunden hatte. »Verdammt...« sagte Elliot. Dann drangen sie weiter durch .den Hof vor und betraten das Gebäude, das sie später »den Tempel« nannten.

Er bestand aus einem einzigen, großen, rechteckigen Raum. Die Decke war an verschiedenen Stellen rissig, so daß gedämpfte Sonnenstrahlen hinabdrangen. Unmittelbar vor sich sahen sie einen etwa drei Meter hohen Rankenhügel - eine Pyramide der Vegetation.

Dann merkten sie, daß es sich um eine Statue handelte. Elliot erstieg sie und machte sich daran, das an ihr haftende Ranken- und Blattwerk abzureißen. Das war Schwerarbeit, denn die Schlingpflanzen hielten sich zäh an dem weichen Stein fest. Er warf einen Blick zu Munro zurück. »Besser so?« »Kommen Sie runter und sehen Sie es sich selbst an«, sagte Munro mit einem seltsamen Gesichtsausdruck. Elliot stieg hinab und tat einige Schritte zurück. Obwohl das Standbild vernarbt und verfärbt war, erkannte er deutlich einen riesigen, stehenden Gorilla mit wildem Gesicht und weit ausgebreiteten Armen. In den Händen hielt er zwei runde, steinerne Platten wie ein Orchestermusiker, der im nächsten Augenblick die beiden Messingscheiben des Beckens gegeneinanderschlagen wird.

»Gott im Himmel«, sagte Peter Elliot. »Ein Gorilla«, sagte Munro voller Genugtuung. Karen Ross sagte: »Jetzt ist alles klar. Es war ihre Religion. Diese Leute haben Gorillas angebetet.« »Aber warum sagt Amy, es sind keine Gorillas?« »Fragen Sie sie«, sagte Munro und sah auf seine Uhr. »Ich muß alles fertig machen für die Nacht.«

3. Angriff

Mit Klappspaten aus einer Leichtmetallegierung hoben sie um den Außenzaun herum einen tiefen Graben aus. Die Arbeit dauerte noch lange nach Sonnenuntergang an, so daß sie die rote Nachtbeleuchtung einschalten mußten, als sie den Graben voll Wasser laufen ließen, indem sie den nahen Bach umleiteten. Karen Ross sah in dem Graben nur ein lächerliches Hindernis, das man mühelos überqueren konnte. Als Antwort darauf stellte sich Munro auf die andere Seite des Grabens und rief: »Amy, komm, ich kraule dich.«

Mit einem Laut des Entzückens stürzte Amy auf ihn zu, blieb aber wie angewurzelt am Rand des Grabens stehen. »Komm, komm, ich kraule dich«, lockte Munro wieder und streckte beide Arme aus. »Komm, Mädchen, komm.«

Doch Amy wollte nicht hinübergehen. Sie machte ihm verzweifelt Zeichen, Munro ging zu ihr und hob sie hinüber. »Gorillas sind sehr wasserscheu«, sagte er zu Karen Ross. »Ich habe schon erlebt, daß sie schmale Rinnsale nicht überqueren wollten...« Amy hob die Arme, kratzte ihn unter den Armen und zeigte dann auf sich selbst. Was sie wollte, war völlig, klar. »Weiber«, sagte Munro seufzend, beugte sich vor und kitzelte Amy kräftig. Amy wälzte sich mit zufriedenem Grunzen und einem breiten Lächeln auf dem Boden. Als er aufhörte, lag sie voller Erwartung da und wartete auf mehr.

»Schluß, aus, Feierabend. Mehr gibt's nicht«, sagte Munro. Sie machte ihm Zeichen.

»Tut mir leid, das verstehe ich nicht ... Nein«, sagte er lachend, »es nützt nichts, wenn du deine Zeichen langsamer machst.« Doch dann begriff er, was sie wollte, und trug sie wieder über den Graben ins Lager. Sie gab ihm einen nassen Kuß auf die Wange.

»Sie sollten gut auf Ihren Affen aufpassen«, sagte Munro zu Elliot, als er sich zum Abendessen setzte. Er plauderte die ganze Mahlzeit hindurch. Offenbar spürte er, daß es nötig war, die anderen aufzulockern, denn sie hockten alle nervös um das Feuer herum. Am Ende der Mahlzeit aber, als Kahega die Munition hervorholte und die Gewehre nachsah, nahm Munro Elliot beiseite und sagte: »Wenn heute nacht eine Schießerei losgeht, würde ich Amy nicht gern hier im Dunkeln herumrennen haben. Manche von den Jungens machen wahrscheinlich keinen großen Unterschied zwischen einem Gorilla und einem anderen. Ketten Sie sie in Ihrem Zelt an und erklären Sie ihr, daß sie keine Angst zu haben braucht.«

Elliot nahm Amy mit in sein Zelt und legte ihr die feste Kettenleine an, die sie in Kalifornien oft trug. Das andere Ende befestigte er an seinem Feldbett. Es war nicht mehr als eine Geste, denn Amy konnte es leicht lösen, wenn sie wollte. Er ließ sich von ihr versprechen, daß sie im Zelt bleiben würde. Sie versprach es. Er trat in den Zelteingang, und sie machte ihm Zeichen: Amy Peter mögen. »Peter Amy mögen«, sagte er und lächelte. »Es wird alles gut.«

Er befand sich plötzlich in einer anderen Welt. Die roten Nachtlampen waren gelöscht, aber er konnte im flak-kernden Schein des Lagerfeuers die Wachen sehen, die mit ihren Nachtsichtbrillen rund um das Lager herum Posten bezogen hatten. Bei dem Anblick wurde ihm unheimlich zumute. Mit einem Schlag kam ihm zu Bewußtsein, wie unsicher und gefährlich ihre Lage war. Da saßen sie, eine Handvoll eingeschüchterter Menschen, tief im Regenwald des Kongos, über dreihundert Kilometer von der nächsten menschlichen Siedlung entfernt. Sie warteten.

Er stolperte über eine auf dem Boden liegende dunkle Leitung. Dann sah er ein ganzes Gewirr solcher Leitungen. Sie zogen sich über das Lager hin und führten zu den Gewehren der Wachen. Dabei fiel ihm das ungewöhnliche Aussehen der Waffen auf. Irgendwie waren sie zu leicht - sie wirkten so wenig bedrohlich. Dann sah er, daß die Leitungen von den Maschinengewehren zu kräftigen, stumpfen Geräten führten, die in Abständen auf niedrigen Stativen über das Lager verteilt waren. Er sah Karen Ross, die in der Nähe des Feuers saß und das Tonbandgerät betriebsbereit machte. »Was soll das da?« fragte er flüsternd und wies auf die Leitungen.

»Das sind lasergeführte Schußwaffen«, flüsterte sie zurück. »Das System besteht aus einer Vielzahl von lasergeführten Sichtgeräten, die mit Schnellfeuersensoren auf Stativen verbunden sind.« Was die Wachen in den Händen hielten, waren also nicht die eigentlichen Maschinengewehre, sondern Sichtgeräte, die, wie Karen Ross erklärte, dem Ziel folgten. »Wenn das Ziel angesprochen ist, wird automatisch geschossen. Das System wurde eigens für den Dschungelkrieg entwickelt. Die Schnellfeuergeräte haben Schalldämpfer, so daß der Feind nicht weiß, woher er beschossen wird. Passen Sie gut auf, daß Sie sich nicht vor eine der Schießanlagen stellen, sie reagieren auf Körperwärme.« Karen Ross gab ihm das Tonbandgerät und ging, um die Brennstoffzellen zu überprüfen, die den Zaun mit Elektrizität versorgten. Elliot sah zu den Wachen in der Finsternis hinüber, und Munro winkte ihm fröhlich zu. Elliot machte sich klar, daß die Wachen mit ihren Heuschreckenaugen und ihren unheimlichen Waffen ihn weit besser zu sehen vermochten als er sie. Sie sahen aus wie Wesen aus einer anderen Welt, die in den zeitlosen Dschungel eingedrungen waren. Sie warteten.

Die Stunden verrannen. Der Dschungel um sie herum war still, nur das Wasser im Graben plätscherte leise. Gelegentlich riefen die Träger einander leise an und scherzten auf Swahili, doch keiner von ihnen rauchte, wegen dep auf Wärme reagierenden Waffen. Es wurde elf, es wurde Mitternacht, und dann war es ein Uhr nachts.

Er hörte Amy in seinem Zelt schnarchen. Ihr geräuschvoller Atem war in der allgemeinen Stille ringsumher deutlich zu hören. Er sah zu Karen Ross hinüber, die auf dem Boden lag und schlief, den Finger an dem Schalter für die Nachtbeleuchtung. Er sah auf die Uhr und gähnte. Heute nacht würde nichts passieren, Munro hatte sich geirrt. Dann hörte er das Keuchen. Auch die Wachen hatten es gehört. Sie richteten ihre Waffen in die Dunkelheit. Elliot hielt das Mikrofon des Kassettenrekorders in die Richtung, aus der das Keuchen kam, doch es war schwer, es genau zu orten. Es schien von überallher gleichzeitig zu kommen. Es hing im nächtlichen Nebel, sanft und alles durchdringend. Er sah, wie die Nadeln der Aufnahme-Pegelregler hin und her schwangen. Dann schlugen sie plötzlich in den roten Bereich aus. Elliot hörte einen dumpfen Aufschlag, dann das Gurgeln von Wasser. "Alle hörten es, die Wachen entsicherten die Waffen. Elliot schlich mit seinem Tonbandgerät auf den Zaun zu und blickte auf den Graben hinaus. Hinter dem Zaun bewegte sich das Blattwerk. Das Keuchen wurde lauter. Er hörte Geplätscher und sah einen toten Baumstamm über dem Graben liegen. Das also war es gewesen: sie hatten eine Brücke-über den Graben geschlagen. In diesem Augenblick wurde Elliot klar, daß sie ihren Gegner weit unterschätzt hatten, einerlei wer er war. Er machte Munro ein Zeichen, er möge kommen und sehen, doch Munro winkte ihn vom Zaun fort und deutete auf das niedrige Stativ am Boden, nahe seinen Füßen. Bevor Elliot eine Bewegung machen konnte, begannen die Stummelaffen in den Bäumen über ihnen zu kreischen - und der erste Gorilla griff stumm an. Er sah ganz kürz ein riesiges Tier mit deutlich erkennbarem grauem Fell auf sich zustürmen und duckte sich. Einen Moment später berührte das Tier den Elektrozaun, und fast sogleich roch man verbranntes Haar.

Es war der Anfang einer gespenstischen, lautlosen Schlacht. Smaragdgrüne Laserstrahlen blitzten durch die Luft, die Schußapparate auf den Stativen machten leise pom-pom-pom, wenn die Kugeln aus den Läufen fuhren. Die Zielmechanismen quietschten, wenn die Läufe sich drehten, feuerten, drehten sich und feuerten wieder. Jedes zehnte Geschoß war eine weiß leuchtende Phosphorräkete, so daß die Luft über dem Lager erhellt war von grünem und weißem Licht.

Die Gorillas griffen aus allen Richtungen an, sechs kamen gleichzeitig an den Zaun und wurden durch den Stromstoß zurückgetrieben. Weitere stürmten heran und warfen sich gegen das dünne Geflecht. Doch das lauteste Geräusch war das Kreischen der Stummelaffen hoch über ihren Köpfen. Und dann sah er Gorillas in den Bäumen, deren Äste über das Lager hingen. Munro und Kahega feuerten nach oben, so daß lautlose Laserstrahlen ins Blattwerk stiegen. Wieder hörte er das Seufzen. Elliot wandte sich um und sah weitere Gorillas: sie zerrten und rissen an dem Zaun, der offensichtlich durch einen Kurzschluß ausgefallen war und keine Wirkung mehr hatte.

Ihm wurde klar, daß auch ihre hochentwickelte Schnellfeuerausrüstung die Gorillas nicht würde zurückhalten können - was sie brauchten, war Lärm. Munro hatte offenbar den gleichen Gedanken: er gebot seinen Männern auf Swahili, das Feuer einzustellen, und rief dann Elliot zu: »Die Schalldämpfer runter! Die Schalldämpfer!«

Elliot riß den dunklen Dämpfer vom Lauf des ersten der auf Stativen ruhenden Mechanismen herunter und zog die Hand fluchend zurück - das Metall war glühend heiß. Kaum war er zur Seite getreten, erfüllte ein Knattern die Luft, und zwei Gorillas stürzten krachend aus den Bäumen; einer lebte noch. Er griff Elliot an, als dieser gerade den Schalldämpfer von der zweiten Vorrichtung abnahm. Der kurze Lauf drehte sich und zerfetzte den Gorilla förmlich aus kürzester Entfernung. Eine warme Flüssigkeit spritzte Elliot ins Gesicht. Er riß den Schalldämpfer von dem dritten Stativ herunter und warf sich zu Boden. Der ohrenbetäubende Lärm der Schußapparate und der beißende Pulvergeruch verfehlten ihre Wirkung nicht - die Gorillas zogen sich ungeordnet zurück. Eine Weile herrschte Stille, dann schickten die Wachposten vereinzelte Laserstrahlen aus, die Waffen suchten mit rasender Geschwindigkeit den umliegenden Dschungel ab, um alles zu erfassen, was ihnen ein Ziel bieten konnte. Dann war alles vorbei. Der Urwald lag wieder still und verlassen da. Die Gorillas waren fort.

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