12. Tag Zinj 24. Juni 1979

1. Der Generalangriff

Kurz nach Morgengrauen fanden sie die Leichen von Mulewe und Akari in der Nähe ihres Zelts. Anscheinend war der Angriff am Vorabend ein Ablenkungsmanöver gewesen und hatte es einem Gorilla gestattet, in den Bereich des Lagers einzudringen, die beiden Träger zu töten und ungesehen wieder zu entkommen. Noch mehr beunruhigte es sie, daß sie keinen Hinweis darauf entdeckten, wie der Gorilla zweimal den Elektrozaun hatte überwinden können.

Eine gründliche Untersuchung ergab, daß ein Abschnitt des Zauns in Bodennähe eingerissen war. Ein langer Stock lag dicht daneben am Boden. Augenscheinlich hatten die Gorillas ihn dazu benutzt, den Zaun anzuheben, so daß einer von ihnen hatte hindurchkriechen können. Und bevor sie sich davonmachten, hatten sie den Zaun wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzt.

Es war schwer, an die Intelligenz, die hinter einem solchen Verhalten lag, zu glauben. »Gelegentlich«, sagte Elliot später, »standen wir uns mit unseren vorgefaßten Meinungen über Tiere selbst im Weg. Immer wieder erwarteten wir, daß die Gorillas sich stereotyp auf die uns bekannte Weise verhalten würden. Aber sie taten es nicht ein einziges Mal. Wir sahen sie zu keinem Zeitpunkt als anpassungsfähige und bewegliche Gegner an, obwohl sie immerhin unsere Zahl um ein Viertel vermindert hatten.«

Munro fiel es schwer, sich mit der gezielten Feindseligkeit der Gorillas abzufinden. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß Tiere in der freien Natur dem Menschen gleichgültig gegenübertraten. Schließlich kam er zu dem Ergebnis, »daß diese Tiere von Menschen abgerichtet waren, ich sie mir also als Menschen vorstellen mußte. Nun lautete die Frage, was würde ich tun, wenn es Menschen wären?«

Für Munro gab es nur eine Antwort: Selbst zum Angriff übergehen.

Amy ließ sich dazu herbei, sie dorthin zu führen, wo die von ihr als »Dinger« bezeichneten Gorillas im Dschungel lebten. Um zehn Uhr vormittags zogen sie mit Maschinenpistolen bewaffnet die Hänge nördlich der Stadt hinauf. Es dauerte nicht lange, bis sie die Fährte der Gorillas fanden -ziemliche Mengen Kot und zahlreiche Schlafnester auf dem Boden sowie in den Bäumen. Munro war beunruhigt von dem, was er sah: in manchen Bäumen gab es zwanzig bis dreißig Nester, was auf eine große Anzahl von Tieren schließen ließ.

Zehn Minuten später stießen sie auf eine Gruppe von zehn grauen Gorillas, die sich an saftigen Ranken gütlich taten: vier Männchen und drei Weibchen, ein Jungtier und zwei herumtollende Kleinkinder. Die erwachsenen Tiere ließen sich träge die Sonne auf den Pelz brennen und aßen hier und da, wo sie etwas fanden. Einige andere Tiere schliefen auf dem Rücken liegend und schnarchten laut. Sie schienen keine Wachen aufgestellt zu haben.

Munro machte ein Zeichen mit der Hand, und die Waffen wurden entsichert. Er wollte gerade in die Gruppe feuern, als Amy ihn am Hosenbein zog. Er sah zu ihr hin, und »ein Schreck wie noch nie«, fuhr ihm in die Glieder. »Oben am Hang war eine weitere Gruppe, vielleicht zehn oder zwölf Tiere - dann sah ich noch eine - und noch eine - und noch eine. Es müssen dreihundert oder noch mehr gewesen sein. Der Hang wimmelte von grauen Gorillas.«

Der größte je in freier Wildbahn gesichtete Gorillatrupp hatte aus einunddreißig Tieren bestanden. Die Beobachtung - 1971 in Kabara - war jedoch umstritten. Die meisten Forscher vertraten die Ansicht, es müsse sich um zwei Gruppen gehandelt haben, die zufällig beieinander gesehen worden waren, da die Trupps gewöhnlich aus zehn bis fünfzehn Tieren bestanden. Für Elliot waren dreihundert Tiere ein »äußerst eindrucksvoller Anblick«. Aber noch mehr beeindruckte ihn das Verhalten der Tiere. Zwar verhielten sie sich im großen und ganzen wie andere Gorillas in der Wildnis, wie sie da im Sonnenlicht umherzogen und Futter suchten, aber es gab einige bedeutsame Unterschiede. »Vom ersten Augenblick an zweifelte ich nicht daran, daß sie über eine Sprache verfügten. Ihre Seufzlaute waren auffällig und hatten eindeutig eine sprachliche Bedeutung. Darüber hinaus verwendeten sie Zeichensprache, wenn auch keine in der Art, wie wir sie kannten. Sie bewegten die Hände mit ausgestreckten Armen, was sehr anmutig wirkte, etwa wie bei balinesischen Tänzerinnen. Diese Gesten schienen die Seufzlaute zu unterstützen oder zu ergänzen. Offenbar verfügten diese Gorillas über ein weit ausgeklügelteres Sprachsystem als die reine Zeichensprache von Versuchsaffen im 20. Jahrhundert.«

Obwohl für ihn als Wissenschaftler diese Entdeckung auf eine abstrakte Art ungeheuer erregend war, teilte er zugleich die Furcht der anderen Expeditionsteilnehmer. Sie hockten hinter dem dichten Blattwerk und beobachteten mit angehaltenem Atem die Gorillas an dem gegenüberliegenden Hang. Obwohl die Tiere friedlich wirkten, empfanden die Beobachter eine nahezu panische Angst bei dem Gedanken, einer so großen Zahl von Tieren so nahe zu sein. Schließlich, auf ein Zeichen von Munro, schlichen sie den Pfad hinunter und kehrten ins Lager zurück. Dort waren die Träger damit beschäftigt, Gräber für Akari und Mulewe auszuheben. Es war eine düstere Erinnerung an die Gefahr, in der sie sich alle befanden, und sie sprachen über die Möglichkeiten, die ihnen offenstanden. Munro sagte zu Elliot: »Tagsüber scheinen sie eher friedlich zu sein.« »Ja«, sagte Elliot. »Ihr Verhalten wirkt durchaus typisch - wenn überhaupt, sind sie eher noch träger als gewöhnliche Gorillas am Tag. Wahrscheinlich schlafen die meisten Männer tagsüber.« »Wie viele von den Tieren am Hang waren Männchen?« wollte Munro wissen. Sie waren bereits zu dem Ergebnis gekommen, daß ausschließlich Männchen an den Angriffen beteiligt waren, und Munro wollte die Chance ausrechnen. »Die meisten Untersuchungen sind sich dahingehend einig«, sagte Elliot, »daß Gorillatrupps zu etwa fünfzehn Prozent aus Männchen bestehen. Außerdem haben sie gezeigt, daß man bei Einzelbeobachtungen die Größe der Horde um rund fünfundzwanzig Prozent unterschätzt. Es sind immer mehr Tiere da, als man jeweils sehen kann.«

Die daraufhin angestellten Berechnungen erwiesen sich als entmutigend. Sie hatten auf dem Hügel dreihundert Tiere gezählt, also waren es insgesamt vermutlich knapp vierhundert, von denen fünfzehn Prozent Männchen waren. Das bedeutete, daß es fünfzig bis sechzig angreifende Gorillamännchen gab - und nicht einmal zehn Verteidiger.

»Verdammt!« sagte Munro und schüttelte den Kopf. Amy wußte eine Lösung. Sie machte ihnen Zeichen: Jetzt gehen. Karen Ross fragte, was sie gesagt habe,- und Elliot teilte es ihr mit: »Sie sagt, wir sollten uns besser zurückziehen. Ich glaube, sie hat recht.«

»Seien Sie nicht albern«, sagte Karen Ross. »Wir haben die Diamanten noch nicht gefunden. Wir können noch gar nicht gehen.«

Jetzt gehen, bedeutete ihnen Amy noch einmal. Alle sahen auf Munro. Irgendwie war die Gruppe zu dem Ergebnis gekommen, daß Munro entscheiden würde, was als nächstes zu geschehen hatte. »Ich hätte die Diamanten so gern wie nur irgend jemand«, sagte er. »Aber was nützen sie uns, wenn wir tot sind? Wir haben keine Wahl, wir müssen weg, wenn wir können.« Karen Ross fluchte blumenreich.

Elliot fragte Munro: »Was meinen Sie mit >wenn wir können

2. Aufbrach

Auf Munros Anweisung hin nahmen sie nur geringe Mengen an Nahrung und Munition mit. Alles andere blieb zurück - die Zelte, der Zaun, die Ausrüstung zur Nachrichtenübermittlung, alles. Gegen Mittag verließen sie die sonnenbeschienene Lichtung. Munro warf einen Blick über die Schulter zurück. Er hoffte, daß er richtig' handelte. In den sechziger Jahren hatte es bei den Söldnern im Kongo eine spöttische Parole gegeben: »Bleib bloß zu Hause.« Sie hatte mehrere Bedeutungen, darunter die offensichtliche, daß sie von vornherein gar nicht in den Kongo hätten kommen sollen. Sie bedeutete aber auch, daß es, war man einmal in einem befestigten Lager oder in einer Kolonialstadt, sich nicht empfahl, den nahen Dschungel zu betreten, was immer der Anlaß sein mochte. Mehrere von Munros Bekannten hatten es mit dem Leben bezahlt, daß sie nicht »zu Hause« geblieben waren. Die Nachricht lautete gewöhnlich: »Soundso hat es vorige Woche außerhalb von Stanleyville erwischt.«

- »Außerhalb? Warum ist er auch nicht zu Hause geblieben!«

Munro führte jetzt die Expedition nach draußen, und »zu Hause« - das war das kleine, silbern leuchtende Lager mit seinem Zaun, das jetzt hinter ihnen lag. Dort hatten sie wie auf dem Präsentierteller für die angreifenden Gorillas gesessen. Aber auch dazu hatten die Söldner etwas zu sagen: »Besser auf dem Präsentierteller als tot.«

So zogen sie also durch den Regenwald, und Munro, der voranging, war sich qualvoll ihrer Verwundbarkeit bewußt: eine einzelne Reihe von Menschen war die Formation, die sich am schlechtesten verteidigen ließ. Er bemerkte, wie die Dschungelpflanzen näher an sie heranrückten und wie der Pfad immer schmaler wurde. Er konnte sich nicht erinnern, daß er auf dem Hinweg so schmal gewesen war. Jetzt waren sie von dichten Farnen und Büschen umstellt. Möglicherweise lauerten die Gorillas nur einen Meter von ihnen entfernt, im Blattwerk versteckt. Sie würden es erst merken, wenn es zu spät war. Sie zogen weiter.

Munro glaubte, daß sie das Schlimmste hinter sich hätten, wenn es gelang, die Osthänge des Muhavura zu erreichen. Die grauen Gorillas hausten in der Nähe der Stadt und würden ihnen nicht weit folgen. Ein, zwei Stunden Weg und sie wären außer Gefahr. Er sah auf seine Uhr: sie waren erst zehn Minuten unterwegs. Dann hörte er das Keuchen. Es schien aus allen Richtungen zu kommen. Er sah, wie sich vor ihm das Blattwerk bewegte, als wehte der Wind hindurch. Aber es wehte kein Wind. -Das Keuchen wurde lauter.

Sie machten Halt am Rand einer Schlucht, die einem Bachlauf mit dichten Dschungelwänden zu beiden Seiten folgte: eine Stelle, wie geschaffen für einen Hinterhalt. Er hörte, wie die Sicherungshebel der Maschinenpistolen zurückgeschoben wurden. Kahega kam zu ihm. »Captain, was machen wir?« Munro beobachtete die Bewegungen im Blattwerk und horchte auf das Keuchen. Er konnte nur schätzen, wie viele Tiere sich dort im Busch versteckt hielten. Zwanzig? Dreißig? Auf jeden Fall zu viele.

Kahega wies den Hügel hinauf, zu einem schmalen Pfad, der oberhalb der Schlucht verlief. »Da hinauf?« Munro antwortete lange nicht. Schließlich sagte er: »Nein, nicht da hinauf.«

»Wohin dann, Captain?« »Zurück«, sagte Munro. »Wir kehren um.« Als sie sich von der Schlucht ab wandten und sich auf den Rückweg machten, wurde das Keuchen leiser, und die Bewegungen im Blattwerk hörten auf. Als Munro ein letztes Mal über die Schulter zurücksah, wirkte die Schlucht wie ein gewöhnlicher Durchgang im Dschungel, der nichts Bedrohliches hatte. Aber Munro kannte die Wahrheit. Sie konnten nicht fort.

3. Rückkehr

Elliots Eingebung kam blitzartig. »Gegen Mittag hatte ich gesehen«, berichtete er später, »wie Amy Kahega Zeichen machte. Amy wollte von ihm etwas zu trinken haben, aber Kahega kannte die Zeichensprache nicht und zuckte hilflos mit den Schultern. Da kam mir der Gedanke, daß die Sprachkenntnis der grauen Gorillas zugleich ihr großer Vorteil und ihre Achillesferse war.« . Elliot schlug vor, einen einzelnen grauen Gorilla zu fangen, seine Sprache zu lernen und sie zu nutzen, um mit den anderen Tieren in Verbindung zu treten. Unter normalen Umständen würde es Monate dauern, eine neue Affensprache zu lernen, aber Elliot meinte, er könnte es in wenigen Stunden schaffen. Seamans saß bereits an der Arbeit und versuchte herauszufinden, wie die grauen Gorillas sich verständigten. Alles, was er brauchte, war weiteres Material. Außerdem war Elliot überzeugt, daß die grauen Gorillas eine Kombination aus gesprochenen Lauten und Zeichensprache verwendeten. Und die Zeichensprache würde rasch zu entziffern sein.

Seamans hatte in Berkeley ein als APE (Menschenaffe) bezeichnetes Programm entwickelt. Der Name stand für Animal Pattern Explanation, und man konnte damit Amy beobachten und ihre Zeichen deuten. Da das APE-Programm mit nicht mehr der Geheimhaltung unterliegenden Army-Material zur Entschlüsselung von Codes arbeitete, vermochte es neue Zeichen zu erkennen und auch zu übersetzen. Zwar war APE entwickelt worden, um mit Amy in amerikanischer Zeichensprache zu arbeiten, aber es war nicht einzusehen, warum es nicht auch mit einer vollständig neuen Sprache arbeiten können sollte. Wenn es ihnen gelang, eine Satellitenverbindung vom Kongo über Houston nach Berkeley herzustellen, konnten sie Videodaten von einem gefangenen Tier unmittelbar in das APE-Programm eingeben. APE ermöglichte eine Übersetzungsgeschwindigkeit, die der Fähigkeit jedes menschlichen Beobachters weit überlegen war. Das Army-Material war dazu bestimmt, feindliche Codes in Minutenschnelle zu entschlüsseln.

Während Elliot und Karen Ross davon überzeugt waren, daß es funktionieren mußte, war Munro skeptisch und machte abfällige Bemerkungen, in denen es um Verhöre von Kriegsgefangenen ging. »Was haben Sie vor?« fragte er. »Wollen Sie das Tier foltern?«

»Wir wollen es einem Situationsstreß aussetzen«, sagte Elliot, »um es zum Sprachgebrauch zu veranlassen.« Er breitete Testmaterial auf dem Boden aus: eine Banane, eine Schüssel Wasser, ein Stück Zucker, einen Stock, eine saftige Ranke und ein paar der runden Steinplatten mit Griffen. »Wenn es sein muß, jagen wir ihr einen höllischen Schreck ein.« »Ihr?«

»Selbstverständlich«, sagte Elliot, während er das Narkosegewehr lud. »Ihr.«

4. Gefangennahme

Er wollte ein Weibchen ohne Jungtier. Ein Jungtier würde die Dinge nur komplizieren.

Er arbeitete sich durch hüfthohes Unterholz vor und kam an einen Steilabfall von etwa sechs Meter Höhe. Dort sah er einen Trupp von neun Tieren unter sich: zwei Männchen, fünf Weibchen und zwei Jungtiere. Sie zogen auf Nahrungssuche im Dschungel umher. Er beobachtete die Gruppe so lange, bis er sicher sein konnte, daß alle Weibchen die Sprache benutzten und daß keine Jungtiere im Gebüsch verborgen waren. Dann wartete er auf seine Gelegenheit.

Die Gorillas aßen gemütlich unter den Farnen, rissen zarte Schößlinge ab und kauten sie genüßlich. Nach einigen Minuten entfernte sich ein Weibchen von der Gruppe, um näher am Rand des Steilabfalls, dort, wo er hockte, Nahrung zu suchen. Zwischen ihr und dem Rest der Gruppe lagen rund zehn Meter. Elliot nahm das Narkosegewehr in beide Hände und visierte das Weibchen an. Es stand so günstig, wie es nur stehen konnte. Er beobachtete es, zog langsam den Abzug durch - und verlor selbst den Boden unter den Füßen. Mit Donnergetöse rollte er den Hang hinab, mitten zwischen die Gorillas.

Elliot lag bewußtlos auf dem Rücken, aber seine Brust bewegte sich und sein Arm zuckte. Munro war sicher, daß Elliot nicht ernstlich verletzt war. Nur die Gorillas machten ihm Sorgen. Die grauen Gorillas hatten Elliot fallen sehen und näherten.sich ihm jetzt. Acht oder neun Tiere drängten sich um ihn, sahen ihn unbeteiligt an, machten Zeichen. Munro entsicherte seine Waffe.

Elliot stöhnte, griff sich an den Kopf und schlug die Augen auf. Munro konnte erkennen, wie Elliot beim Anblick der Gorillas zusammenschrak, aber er bewegte sich nicht. Drei erwachsene Männchen hockten in seiner Nähe. Die Gefährlichkeit seiner Situation war ihm bestimmt klar. Er lag fast eine Minute bewegungslos auf dem Boden. Die Gorillas zischelten und machten sich gegenseitig Zeichen, kamen aber nicht näher. Schließlich stützte sich Elliot auf den Ellbogen, was zu einem heftigen Austausch von Zeichen führte, aber zu keinen Drohgebärden.

Am Hang weiter oben zupfte Amy Munro am Ärmel und machte wie wild Zeichen. Munro schüttelte den Kopf: er verstand sie nicht. Wieder hob er die Waffe - Amy biß ihn ins Knie. Der Schmerz war fast unerträglich, und es kostete Munro alle Kraft, nicht laut aufzuschreien.

Elliot lag auf dem Boden und versuchte, seinen Atem zu beherrschen. Die Gorillas waren sehr nahe -so nah, daß er sie berühren und den süßlichen, muffigen Geruch riechen konnte, der ihren Leibern entströmte. Sie waren erregt, die Männchen hatten angefangen zu knurren. Sie gaben ein rhythmisch skandiertes Huu-huu-huu von sich.

Er beschloß, langsam und bedacht auf die Füße zu kommen. Er vermutete, daß sie sich weniger bedroht fühlten, wenn er etwas Abstand zwischen sie und sich selbst bringen konnte. Doch kaum begann er sich zu bewegen, wurde ihr Knurren lauter und eines der Männchen bewegte sich im Krebsgang seitwärts, wobei es mit den flachen Händen auf den Boden schlug. Elliot legte sich sogleich wieder hin. Die Tiere beruhigten sich, und er kam zu dem Ergebnis, daß er richtig gehandelt hatte. Sie waren durch den Menschen verwirrt, der in ihre Mitte gestürzt war, offensichtlich erwarteten sie nicht, in ihrem Revier mit Menschen in Berührung zu kommen.

Er beschloß, so lange zu warten, bis sie abzogen, und notfalls einige Stunden auf dem Rücken liegen zu bleiben. Er atmete langsam und regelmäßig und merkte, daß er schwitzte. Wahrscheinlich konnte man riechen, daß er Angst hatte. Aber wie der Mensch hatten auch Gorillas einen schlecht entwickelten Geruchssinn - jedenfalls reagierten sie nicht auf seinen Angstschweiß. Er wartete. Die Gorillas keuchten jetzt schneller, und auch die Zeichen folgten schneller aufeinander. Offenbar wollten sie feststellen, was sie tun sollten. Dann ging ein Männchen unvermittelt wieder auf die seitliche Bewegung über, schlug auf den Boden und sah Elliot an. Elliot machte keine Bewegung. In Gedanken ging er die verschiedenen Stufen des Angriffsverhaltens noch einmal durch: Knurren, Seitwärtsbewegung, mit der flachen Hand auf den Boden schlagen, Gras ausreißen, auf die Brust trommeln... Angreifen.

Das Gorillamännchen fing an, Grasbüschel auszureißen. Elliot spürte, wie sein Herz schneller schlug. Das Tier war riesig, es mochte gut und gern so viel wie ein Berggorillamann wiegen - an die hundertvierzig Kilogramm. Es richtete sich auf die Hinterbeine auf und trommelte mit den Fäusten auf seine Brust. Elliot fragte sich, was Munro dort oben wohl tat. Und dann hörte er ein Krachen, blickte auf und sah, wie Amy den Hang heruntergestürzt kam und ihren Fall bremste, indem sie sich an Zweigen und Farnen festhielt. Sie landete zu Elliots Füßen. Die Überraschung der Gorillas hätte nicht größer sein können. Der große Gorillamann hörte auf, sich auf die Brust zu trommeln, ging auf alle viere.nieder und warf Amy böse Blicke zu. Amy knurrte.

Der große Gorilla schob sich drohend an Peter Elliot heran, ohne Amy aus den Augen zu lassen. Sie beobachtete ihn regungslos. Es war eindeutig eine Kraftprobe. Er kam ohne Zögern immer näher...

Plötzlich brüllte Amy so laut, daß Elliot überrascht hochfuhr. Er hatte sie das erst ein- oder zweimal in Augenblicken äußerster Wut tun hören. Weibchen brüllen gewöhnlich nicht, und so waren auch die' anderen Gorillas höchst erstaunt. Amys Unterarme verkrampften sich, sie machte den Rücken steif und spannte ihre Gesichtsmuskeln an.

Sie sah dem Männchen angriffslustig in die Augen und brüllte wieder.

Das Männchen unterbrach sein Ritual und neigte den Kopf zur Seite. Es schien die Angelegenheit zu überdenken. Schließlich zog es sich zurück und schloß sich wieder dem Halbkreis grauer Affen um Elliots Kopf herum an.

Amy legte ihre Hand herausfordernd auf Elliots Bein - sie meldete Besitzansprüche an. Ein männliches Jungtier von etwa vier oder fünf Jahren stürzte impulsiv vor und entblößte seine Zähne. Amy versetzte ihm einen Schlag ins Gesicht, so daß es jammernd in die Sicherheit der Gruppe zurückkehrte.

Amy warf den anderen Gorillas böse Blicke zu. Dann machte sie Zeichen. Fortgehen. Amy lassen. Fortgehen.

Die Gorillas reagierten nicht. Peter lieber Mensch. Aber sie schien zu merken, daß die Gorillas sie nicht verstanden, denn sie tat dann etwas Bemerkenswertes: sie seufzte und gab den gleichen keuchenden Laut von sich wie die anderen Gorillas.

Die Tiere waren verblüfft und starrten einander an.

Daß Amy sich ihrer Sprache zu bedienen schien, blieb ohne Wirkung: sie rührten sich nicht vom Fleck. Und je mehr sie seufzte, um so mehr verflog der ursprüngliche Eindruck, bis sie Amy schließlich nur noch verständnislos anstarrten.

Sie konnte sich ihnen nicht verständlich machen.

Amy trat jetzt neben Peters Kopf und begann mit Gesten der geselligen Körperpflege, zupfte an seinem Bart und an seinem Kopfhaar. Die grauen Gorillas machten rasche Zeichen. Dann begann das Männchen wieder mit seinem skandierenden Huu-huu-huu. Als Amy das hörte, wandte sie sich Peter zu und bedeutete ihm Amy zu umarmen. Er war überrascht: sie hatte das von sich aus noch nie getan. Gewöhnlich wollte sie, daß Peter sie in die Arme nahm und kraulte.

Elliot setzte sich, und sogleich zog sie ihn an ihre Brust und drückte sein Gesicht in ihr Fell. Das Gorillamännchen hörte auf zu knurren. Die grauen Gorillas traten den Rückzug an, als hätten sie einen Fehler begangen. Jetzt ging Elliot auf, was sie tat -sie behandelte ihn, als wäre er ihr Kind.

Das war klassisches Primatenverhalten in Konfliktsituationen. Bei Primaten gab es ausgeprägte Angriffshemmungen gegen Jungtiere, und diese Hemmungen wurden häufig auch von erwachsenen Tieren genutzt. Pavianmännchen beendeten oft ihren Kampf, wenn eines ein Jungtier ergriff und sich an die Brust drückte - der Anblick des Jungtiers verhinderte weitere Angriffe. Schimpansen kannten verfeinerte Variationen dieses Verhaltens. Wenn die Spiele Heranwachsender zu wild wurden, ergriff ein Männchen einen von ihnen und drückte ihn auf mütterliche Art an sich - eine Situation, in der sowohl »Mutter« als auch »Kind« symbolisch gemeint war. Dennoch genügte die Geste, um einen Fortgang des wilden Spiels zu unterbinden. Amy brachte nicht nur den Angriff des Männchens zum Stillstand, sie schützte Elliot auch, indem sie ihn wie ein Jungtier behandelte - falls die Gorillas ein bärtiges Jungtier von einsacht-zig gelten ließen. Sie taten es.

Sie entschwanden im Gebüsch. Amy lockerte ihre wilde Umklammerung, sah Elliot an und bedeutete ihm: Dumme Dinger. »Danke, Amy«, sagte er und gab ihr einen Kuß. Peter Amy kraulen. Amy lieber Gorilla.

»Da hast du recht«, sagte er und kraulte sie mehrere Minuten lang, wobei sie sich fröhlich knurrend auf dem Boden hin und her wälzte.

Um zwei Uhr nachmittags kehrten sie ins Lager zurück. Karen Ross fragte: »Haben Sie einen Gorilla?«

»Nein«, sagte Elliot.

»Na, macht nichts«, sagte Ross, »ich komme nämlich auch gar nicht nach Houston durch.«

Elliot war verblüfft: »Wieder elektronische Störungen?« »Viel schlimmer«, sagte Karen Ross. Sie hatte über eine Stunde lang versucht, eine Satellitenverbindung nach Houston herzustellen. Es war ihr nicht gelungen. Jedesmal war die Verbindung innerhalb'von Sekunden unterbrochen worden. Schließlich hatte sie, nachdem sie festgestellt hatte, daß es nicht an ihrer Anlage liegen konnte, das Datum geprüft. »Heute ist der 24. Juni«, sagte sie. »Mit der vorigen Kongo-Expedition hatten wir am 28. Mai Schwierigkeiten bei der Nachrichtenübermittlung, vor siebenund-zwanzig Tagen«, sagte sie.

Als Elliot es immer noch nicht verstand, sagte Munro: »Sie meint, es liegt an Sonnenflecken.«

»Richtig«, sagte Karen Ross. »Es handelt sich um eine Störung in der Ionosphäre, die von der Sonne ausgeht.« Die meisten Störungen in der Ionosphäre der Erde - das ist die dünne Schicht ionisierter Moleküle in einer Höhe von achtzig bis vierhundert Kilometer - werden durch Erscheinungen wie beispielsweise die Sonnenflecke verursacht. Da eine Sonnenumdrehung siebenund-zwanzig Tage dauert, treten solche Störungen oft etwa einen Monat später erneut auf.

»Na schön«, sagte Elliot, »es sind also Sonnenflecken. Und wie lange dauert so etwas?«

Karen Ross schüttelte den Kopf. »Normalerweise würde ich sagen, ein paar Stunden, höchstens einen Tag. Hier scheint es sich aber um eine ernstere Störung zu handeln, die sehr plötzlich aufgetreten ist. Vor fünf Stunden hatten wir eine hervorragende Verbindung - und jetzt haben wir überhaupt keine mehr. Irgend etwas Ungewöhnliches geht vor. Es kann glatt eine Woche dauern.«

»Keine Verständigung, eine ganze Woche lang? Keine Computer-Durchläufe, gar nichts?«

»Richtig«, sagte Karen Ross gelassen. »Von jetzt an sind wir vollständig von der Außenwelt abgeschnitten.«

5. Abgeschnitten

Die stärkste Sonneneruption des Jahres 1979 wurde am 24. Juni vom Kitt Peak-Observatorium in der Nähe von Tucson, Arizona, aufgezeichnet und ordnungsgemäß dem Space Environment Services Center in Boulder, Colorado, gemeldet, einer Stelle für die Auswertung von Daten aus dem Weltraum. Zuerst schenkte man beim SESC, den einlaufenden Daten keinen Glauben: selbst nach den ungeheuren Maßstäben der Sonnenastronomie war dieser Ausbruch mit der Bezeichnung 79/06/414aa geradezu monströs. Die Ursache solcher, auch Flares genannter Ausbrüche, die mit dem Auftreten von Sonnenwind einhergehen, war unbekannt, doch wurden sie im allgemeinen mit der Sonnenfleckentätigkeit in Verbindung gebracht. In diesem Fall erschien der Ausbruch als riesiger, heller Fleck mit einem Durchmesser von sechzehntau-send Kilometern, der nicht nur die Alpha-Spektrallinien des Wasserstoffs und ionisierten Kalziums beeinflußte, sondern auch das Spektrum des weißen Sonnenlichts. Ein solcher Ausbruch mit einem »kontinuierlichen Spektrum« war überaus selten. Auch konnte man beim SESC die Vorausberechnung der Folgeerscheinungen nicht glauben. Bei Sonnenausbrüchen werden ungeheure Energiemassen freigesetzt. Schon ein nicht besonders starker Ausbruch kann das Maß der Ultraviolettstrahlung, das von der Sonnenoberfläche ausgestrahlt wird, verdoppeln. Aber beim Ausbruch 79/06/414aa betrug sie nahezu das Dreifache des gewöhnlichen Wertes. Innerhalb von gut acht Minuten nach dem ersten Auftreten am Sonnenrand - das ist die Zeit, die das Licht von der Sonne bis zur Erde braucht - begann diese plötzliche Zunahme an Ultraviolettstrahlung, die Ionosphäre der Erde zu stören.

Die Folge war, daß Funkverbindungen auf einem Planeten, der rund hundertfünfzig Millionen Kilometer von der Sonne entfernt war, deutlich beeinträchtigt wurden. Das galt insbesondere für Sender, die mit geringen Signalstärken auskommen mußten. Rundfunksender, im Kilowattbereich waren kaum betroffen. Aber die Kongo-Expedition, die weit schwächere Signale abstrahlte, vermochte keine Satellitenverbindung mehr herzustellen. Da bei diesem Ausbruch außerdem Röntgenstrahlen und atomare Partikel freigesetzt wurden, die die Erde erst einen ganzen Tag später erreichten, war vorauszusehen, daß die Störung des Funkverkehrs mindestens einen Tag, wahrscheinlich aber länger dauern würde. Bei der ERTS in Houston berichteten Techniker Travis, das SESC sage eine Störung der Ionosphäre von vier "bis acht Tagen Dauer voraus.

»Soll das heißen«, wir werden vier bis acht Tage keine Verbindung mit ihnen haben?« fragte Travis.

»So sieht es aus. Karen Ross wird es sich schon denken«, sagten die Techniker, »wenn sie heute keine Verbindung mehr kriegt.« »Die brauchen aber die Computer-Leitung«, sagte Travis. Die Belegschaft der ERTS hatte fünf ComputerPlanspiele durchlaufen lassen, und jedes war zu dem gleichen Ergebnis gekommen: Wenn man nicht eine kleine Armee einflog, war die Expedition in ernsthaften Schwierigkeiten. Die Hochrechnungen für das Überleben lagen bei »null Komma zwoviervier, mit geringen Abweichungen« - das heißt, es stand eins zu drei, daß die Mitglieder der Expedition wieder lebend aus dem Kongo kamen. Und dazu brauchten sie die Hilfe der ComputerVerbindung, die jetzt unterbrochen war.

Travis fragte sich, ob Karen Ross und den anderen der Ernst der Lage klar war.

»Etwas Neues auf Bandbreite fünf über Muhavura?« fragte er. Auf Bandbreite fünf zeichnete der Erdvermessungs-Satellit Land-sat Infrarotwerte auf. Beim letzten Überfliegen des Kongo-Gebiets hatte er wichtige neue Erkenntnisse über den Muhavura gewonnen. Die Temperatur im Vulkan war seit der letzten Auswertung durch Landsat deutlich angestiegen, und zwar um acht Grad. »Nichts Neues«, sagte der Techniker. »Der Computer sagt auch keinen Ausbruch voraus. Vier Grad Abweichung liegen bei diesem System innerhalb der Fehlertoleranz der Aufnahmeeinrichtung, und aus den übrigen vier'Grad kann man auf nichts schließen.« »Na, immerhin etwas«, sagte Travis. »Bloß, was machen die mit den Affen, wenn sie jetzt vom Computer abgeschnitten sind?«

Genau über diese Frage dachten die Mitglieder der Expedition bereits seit einer Stunde nach. Seit die Nachrichtenübermittlung abgerissen war, waren die einzigen ihnen zugänglichen Rechner die, die sie im Kopf hatten - und die genügten nicht.

Elliot fand die Vorstellung seltsam, daß sein eigenes Gehirn unzulänglich sein sollte. »Wir hatten uns alle so daran'gewöhnt, daß stets Rechnerkapazität zur Verfügung stand«, sagte er später. »In jedem anständigen Labor hat man soviel Speicher- und Rechnerkapazität zur Verfügung, wie man braucht, Tag und Nacht. Wir hatten uns daran so gewöhnt, daß wir es bereits als selbstverständlich ansahen.«

Natürlich hätten sie die Sprache der Affen schließlich entschlüsseln können, aber es war ein Wettrennen gegen die Zeit: ihnen standen dafür nicht Monate zur Verfügung, sondern nur Stunden. Ohne das APE-Programm war ihre Lage höchst bedrohlich. Munro sagte, sie könnten keinen weiteren direkten nächtlichen Angriff überleben, und sie hatten guten Grund, für die Nacht einen Angriff zu erwarten.

Die Art, wie Amy Elliot gerettet hatte, verhalf ihnen zu einem Plan. Amy hatte eine gewisse Fähigkeit gezeigt, sich mit den Affen zu verständigen. Vielleicht konnte sie als Dolmetscherin dienen. »Es ist einen Versuch wert«, beharrte Elliot. Unglücklicherweise bestritt Amy diese Möglichkeit. Als Antwort auf die Frage: Amy reden Ding reden? bedeutete sie ihm: Nicht reden.

Überhaupt nicht? fragte Elliot, weil er sich daran erinnerte, wie sie geseufzt hatte. Peter Amy sehen reden Ding reden. Nicht reden, Geräusch machen.

Er schloß daraus, daß sie zwar die Ausdrucksweise der Gorillas nachahmen konnte, deren Bedeutung aber nicht kannte. Es war inzwischen zwei Uhr nachmittags - bis zum Einbruch der Dunkelheit blieben ihnen nur noch vier, fünf Stunden. Munro sagte: »Geben Sie's auf, es ist klar, daß sie uns nicht helfen kann.« Ihm schien es aussichtsreicher, solange es hell war, das Lager abzubrechen und sich durchzukämpfen. Er war davon überzeugt, daß sie keine weitere Nacht unter den Gorillas überleben könnten.

Aber etwas ging Elliot nicht aus dem Kopf. Nach Jahren der Arbeit mit Amy wußte er, daß sie wie ein Kind alles wörtlich nahm. Amy gegenüber, vor allem, wenn sie nicht recht wollte, mußte man genau sein, wollte man die richtige Antwort haben. Er sah jetzt Amy an und bedeutete ihr: Amy reden Ding reden? Nicht reden.

Amy verstehen Ding reden?

Amy antwortete nicht. Sie kaute nachdenklich an einer Ranke. Amy Peter zuhören. Sie sah zu ihm hin. Amy verstehen Ding reden?

Amy Ding verstehen, antwortete sie so beiläufig, daß er sich zunächst fragte, ob sie sich über die Tragweite dessen, was er sie gefragt hatte, im klaren war. Amy Ding sehen reden, Amy reden verstehen? Amy verstehen. Amy sicher? Amy sicher.

»Der Teufel soll mich holen«, sagte Elliot. Aber Munro schüttelte den Kopf. »Uns bleiben nur noch ein paar Stunden Tageslicht«, sagte er. »Und selbst, wenn Sie jetzt die Sprache der Gorillas lernen - wie wollen Sie mit ihnen reden?«

6. Amy reden Ding reden

Um drei Uhr nachmittags waren Elliot und Amy vollständig im Blattwerk am Hang verborgen. Das,einzige Zeichen ihrer Anwesenheit war der Kegel des Mikrofons, der über die Blätter hinausragte. Es war mit dem Videorecorder zu Elliots Füßen verbunden, mit dem er die Laute der Gorillas auf den ferneren Hügeln aufnahm.

Die einzige Schwierigkeit bestand darin zu entscheiden, auf welchen Gorilla das Richtmikrofon eingestellt war und welchen Amy im Auge hatte -und ob es jeweils derselbe war. Elliot durfte nie ganz sicher sein, daß Amy die Äußerungen des Tiers wiedergab, die er gerade aufzeichnete. Zu der in unmittelbarer Nachbarschaft befindlichen Gruppe gehörten acht Tiere, und Amy ließ sich immer wieder ablenken. Ein Weibchen hatte ein Jungtier von wenigen Monaten dabei, und als es zufällig von einem Insekt gestochen wurde, machte Amy: Baby böse. Dabei nahm Elliot in dem Augenblick ein Männchen auf. Amy. bedeutete er ihr, aufpassen. Amy aufpassen, Amy lieber Gorilla.

Ja, gab er zurück, Amy lieber Gorilla, Amy aufpassen Mann-Ding.

Amy Mann-Ding nicht mögen.

Er fluchte leise und löschte die letzte halbe Stunde von Amys Übersetzungen. Offensichtlich hatte sie ihre Aufmerksamkeit dem falschen Gorilla zugewandt. Als er das Band wieder laufen ließ, beschloß er, 'diesmal aufzunehmen, was Amy beobachtete. Er bedeutete ihr: Amy beobachten welches Ding? Amy Baby beobachten.

Das würde zu nichts führen, weil das Jungtier nicht sprach. Er bedeutete ihr: Amy Frau-Ding beobachten. Amy Baby beobachten mögen.

Die Abhängigkeit von Amy war wie ein schlimmer Traum. Er war auf ein Tier angewiesen, dessen Denken und Verhalten er kaum verstand, selber abgeschnitten von den Menschen und ihren Maschinen, was seine Abhängigkeit von dem Tier noch verstärkte. Dennoch mußte er Amy vertrauen. Nach einer weiteren Stunde, als das Sonnenlicht schon abnahm, ging er mit Amy den Hang hinunter zum Lager zurück.

Munro hatte geplant, so gut er konnte.

Als erstes ließ er eine Reihe Fallen rund um das Lager graben -tiefe Gruben wie Elefantenfallen, in denen spitze Pfähle staken, bedeckt mit Ästen und Gezweig.

Er sorgte dafür, daß an mehreren Stellen der Graben erweitert und tote Bäume und Büsche beseitigt wurden, die den Tieren als Brücke dienen konnten.

Er ließ die niedrigen Äste kappen, die über das Lager hingen, so daß die Gorillas, wenn sie auf die Bäume stiegen, zumindest neun Meter über dem Boden blieben - zu hoch, als daß sie hinunterspringen konnten.

Er gab dreien der verbliebenen Träger, Muzezi, Amburi und Harawi, Gewehre und einige Tränengaskanister. Zusammen mit Karen Ross hatte er die Stärke des Stroms zum Schutzzaun auf ein Mehrfaches des ursprünglichen Werts gesteigert -das dünne Geflecht wurde jetzt bis fast an die Schmelzgrenze belastet. Dazu hatten sie die Frequenz von vier auf zwei pro Sekunde verringern müssen. Aber durch den stärkeren Strom wurde der Zaun von einer bloß abschreckenden zu einer tödlichen Schranke. Die ersten Tiere, die den Zaun berührten, würden sogleich getötet werden, allerdings war nun auch die Gefahr eines Kurzschlusses, der den ganzen Zaun unwirksam machte, größer als zuvor.

Bei Sonnenuntergang traf Munro seine schwierigste Entscheidung. Er lud die auf den Stativen stehenden Schußapparate mit der Hälfte der ihnen verbleibenden Munition. Wenn sie verbraucht war, würden die Maschinen einfach nicht mehr feuern. Von diesem Augenblick an zählte Munro auf Elliot, Amy und ihre Übersetzung. Doch Elliot sah nicht besonders glücklich aus, als er und Amy den Hügel herabkamen.

7. Das letzte Aufgebot

»Wie lange werden Sie dafür brauchen?« fragte ihn Munro> »Ein paar Stunden, möglicherweise länger.« Elliot bat Karen Ross, ihm zu helfen, und Amy ließ sich von Kahega etwas zu essen geben. Sie schien sehr stolz zu sein und bewegte sich in der Gruppe wie eine wichtige Person.

Karen Ross fragte: »Hat es geklappt?«

»Das werden wir gleich sehen«, sagte Elliot. Sein Plan bestand darin, zuerst mit Amys Hilfe die einzige Binnenüberprüfung vorzunehmen, die ihm möglich war, indem er Lautwiederholungen kontrollierte. Wenn sie bestimmte Laute immer wieder gleich übersetzte, würden sie einen Anlaß haben, zuversichtlich weiterzumachen.

Doch ging alles quälend langsam vor sich. Sie hatten lediglich den kleinen Videosender mit seinem Halbzollband und den kleinen Kassettenrekorder, aber keine Überspielleitung. Sie baten die anderen im Lager um Stillschweigen und machten sich an die Überprüfung, nahmen auf, nahmen wieder auf, lauschten auf die zischelnden Laute.

Sie merkten, daß ihre Ohren gar nicht in der Lage waren, die Laute voneinander zu unterscheiden -alles klang gleich. Dann hatte Karen Ross einen Einfall.

»Diese Laute sind doch«, sagte sie, »als elektrische Signale auf dem Band.« »Ja...«

»Und unser Sender hat einen Speicher von 256 K.« »Aber wir können doch nicht in den -Computer in Houston gehen.«

»Das meine ich auch nicht«, sagte Karen Ross. Sie erklärte ihm, daß die Satellitenverbindung dadurch hergestellt wurde, daß der Computer mit dem 256-K-Speicher ein intern erzeugtes Signal -ähnlich wie ein Testbild auf einem Videoschirm -einem von Houston gesendeten Signal anglich. Auf diese Weise kam die Verbindung zustande. Aber sie konnten das Angleichungspro-gramm auch für andere Zwecke verwenden. »Sie meinen, wir können damit die Laute vergleichen?« fragte Elliot.

Es war tatsächlich möglich, aber ungeheuer zeitraubend. Sie mußten die aufgenommenen Laute in den Computer-Speicher geben und auf einer anderen Spur des Bands im Videosender neu aufnehmen. Dann mußten sie das Signal in den Computer-Speicher eingeben und ein zweites Vergleichsband auf dem Videosender durchlaufen lassen - Elliot merkte, daß er lediglich herumstand und Karen Ross zusah, wie sie mit Bandkassetten und Minidisketten hantierte. Alle halbe Stunde kam Munro unruhig herüber und fragte, wie es stehe. Karen Ross wurde immer ungnädiger: »Wir arbeiten so schnell wir können«, sagte sie.

Es war jetzt acht Uhr abends.

Die ersten Ergebnisse waren jedoch ermutigend: Amy hatte tatsächlich gleichmäßig übersetzt. Um neun Uhr hatten sie fast ein Dutzend Wörter angeglichen:


Karen Ross trat beiseite. »Na, was sagen Sie jetzt?« fragte sie Elliot.

Munro marschierte unruhig auf und ab. Dies war die schlimmste Zeit. Alle warteten, alle waren auf das höchste angespannt, unruhig und nervös. Er hätte gern mit Kahega und den anderen Trägern gescherzt, aber Karen Ross und Elliot brauchten Ruhe für ihre Arbeit. Er warf Kahega einen Blick zu.

Kahega wies zum Himmel und rieb die Finger gegeneinander.

Munro nickte.

Auch er hatte es gespürt, die feuchte Schwüle, die fast greifbare elektrische Spannung. Regen lag in der Luft. Das hat uns gerade noch gefehlt, dachte er. Den ganzen Nachmittag hindurch hatte es in der Ferne gedonnert - wie von Detonationen. Er hatte es für fernes Gewittergrollen gehalten. Aber das Geräusch stimmte nicht. Es waren scharfe, einzelne Donnerschläge, am ehesten dem Knall beim Durchbrechen der Schallmauer vergleichbar. Munro hatte sie schon früher einmal gehört und hatte eine Vorstellung davon, was sie bedeuten konnten. Er sah auf, zum dunklen Kegel des Muhavura und dem blassen Schimmer des Teufelsauges hinüber. Er sah auf die sich kreuzenden grünen Laserstrahlen über ihnen und merkte, daß einer von ihnen leicht schwankte.

Zuerst hielt er es für eine Sinnestäuschung, glaubte, das Blatt bewege sich und nicht der Strahl. Aber nach einem weiteren Augenblick der Beobachtung war er sicher: der Strahl schwankte, wanderte einige Zentimeter am Himmel über ihm hin und her.

Munro wußte sofort, daß sich hier etwas Unheilvolles ankündigte, aber das würde bis später warten müssen. Im Augenblick hatten sie drängendere Sorgen. Er sah zur anderen Seite des Lagers hinüber, wo Elliöt und Karen Ross über ihre Geräte gebeugt standen, leise miteinander sprachen und sich benahmen, als hätten sie alle Zeit der Welt vor sich.

In Wirklichkeit arbeitete Elliöt so rasch, wie er konnte. Er hatte jetzt elf gesicherte Wörter der gesprochenen Sprache auf Band aufgenommen. Seine Schwierigkeit bestand darin, eine unmißverständliche Botschaft zusammenzustellen. Das war nicht so leicht, wie es zuerst den Anschein hatte.

Erstens arbeitete die Sprache der Gorillas nicht nur mit Wörtern. Die Tiere benutzten zur Weitergabe von Mitteilungen Kombinationen aus Zeichen und Lauten. Damit'war ein klassisches Problem der Sprachstruktur angesprochen - wie wird Information weitergegeben?

Bei L. S. Verinski hieß es, wer Italienern beim Sprechen zusehe, müsse zu dem Schluß kommen, das Italienische sei im wesentlichen eine Gestensprache, bei der die gesprochenen Laute nur einer zusätzlichen Verstärkung dienten.

Elliot brauchte eine einfache Botschaft, die ohne zusätzliche Gesten verständlich war.

Er hatte keine Vorstellung von der Syntax der Gorillasprache, und sie konnte in der Mehrzahl der Fälle die Bedeutung der Wörter entscheidend beeinflussen - wie zum Beispiel den Unterschied zwischen »Amy schlagen« und »schlagen Amy«. Selbst eine kurze Mitteilung konnte in einer anderen Sprache mehrdeutig sein. So bedeutete im Deutschen die Aussage »er hat einen Vogel« durchaus zweierlei.

Angesichts solcher Unsicherheitsfaktoren, überlegte Elliot, war es am besten, nur eine aus einem Wort bestehende Botschaft zu übermitteln. Doch erwies sich keines der Wörter auf seiner Liste als dafür geeignet. Dann entschied er sich, mehrere kurze Botschaften auszusenden - für den Fall, daß eine davon zufällig mehrdeutig war. Schließlich beschloß er, drei Mitteilungen zu senden: WEGGEHEN, NICHT KOMMEN und SCHLIMM HIER. Sie hatten den Vorzug, von der Wortstellung mehr oder weniger unabhängig zu sein.

Um 21 Uhr 30 hatten sie bereits die spezifischen Lautkomponenten isoliert. Aber es lag noch eine schwierige Aufgabe vor ihnen. Was Elliot brauchte, war ein Endlosband, das diese Laute unaufhörlich wiederholte. Dafür eignet sich am ehesten das Videoaufzeichnungsgerät, das einen automatischen Rücklauf hatte und die Mitteilungen erneut abspielen konnte. Die sechs Laute ließen sich im 256-K-Speicher unterbringen und abspielen, aber die zeitlichen Abstände waren dabei auch von Bedeutung. Während der nächsten halben Stunde arbeiteten sie verbissen am Computer und versuchten die Wortkombinationen so dicht aneinanderzufügen, daß sie - ihren Ohren - richtig erschienen. Inzwischen war es zehn Uhr durch.

Munro kam mit seinem Lasergewehr zu ihnen herüber. »Glauben Sie, daß es klappt?«

Elliot schüttelte den Kopf. »Das kann man im voraus nicht wissen.« Er konnte sich Dutzende von Schwierigkeiten vorstellen. Sie hatten die Stimme eines Weibchens aufgezeichnet - würden die Gorillamänner darauf überhaupt reagieren? Würden sie Laute ohne begleitende Gesten ernst nehmen? Würde die Mitteilung klar verständlich sein? Würde der Abstand der Laute ihnen annehmbar erscheinen? Würden sie überhaupt zuhören? Es gab keine Möglichkeit, diese Fragen im voraus zu beantworten, sie würden es einfach probieren müssen. Ebenso unsicher war die Frage der Ausstrahlung. Karen Ross hatte den winzigen Lautsprecher aus dem Kassettenrekorder ausgebaut und an einen behelfsmäßig angefertigten Reflektor auf einem Stativ mit Teleskopbeinen befestigt. Diese mit Bordmitteln hergestellte Notlösung erzeugte zwar eine ziemlich hohe Lautstärke, gab aber die Aufnahme nur gedämpft und wenig überzeugend wieder. Bald darauf hörten sie die ersten seufzenden Laute.

Munro lenkte das Lasergerät durch die Dunkelheit. Vor seinen Augen glomm die rote Anzeige der Feuerbereitschaft auf dem Elektronikteil am Ende des Laufs. Durch seine Nachtbrille blickte er über das Blattwerk. Auch heute kam das Keuchen aus allen Richtungen; und obwohl er Bewegungen im Laub hörte, konnte er in der Nähe des Lagers nichts erkennen. Die Stummelaffen über ihnen waren still, man hörte nur das unheilkündende leise Seufzen. Als er jetzt darauf achtete, war Munro überzeugt, daß es sich bei den Lauten um eine Art Sprache handeln mußte, und...

Ein einzelner Gorilla erschien. Kahega schoß auf ihn, der Laserstrahl fuhr pfeilgerade durch die Nacht. Der automatische Schußapparat knatterte los, und Kugeln prasselten durch das Gebüsch. Der Gorilla duckte sich lautlos hinter eine Gruppe dichter Farne. Munro bezog mit den anderen rasch Posten an der Grenzlinie des Lagers. Sie hockten angespannt da, und die infrarote Nachtbeleuchtung warf ihre Schatten auf den Maschenzaun und den dahinter liegenden Dschungel.

Das Keuchen dauerte noch mehrere Minuten und hörte dann langsam auf, bis wieder Stille herrschte. »Was war das?« fragte Ross. Munro runzelte die Stirn. »Sie warten.«

»Worauf?«

Munro schüttelte den Kopf. Er schritt den Umkreis des Lagers ab, sah nach den anderen Wachen und versuchte, hinter des Rätsels Lösung zu kommen. Er hatte schon oft das Verhalten von Tieren vorausgeahnt - bei einem angeschossenen Leoparden im Busch, einem in die Enge getriebenen Büffel -, aber hier war alles anders. Er mußte sich eingestehen, daß er nicht wußte, was sie nun zu efwarten hatten. War der einzelne Gorilla ausgeschickt worden, um ihre Verteidigungsmaßnahmen auszukundschaften? Hatte ein Angriff bereits begonnen und war aus einem bestimmten, ihnen unbekannten Grund aufgeschoben worden? Oder war es nur ein Manöver, darauf angelegt, sie zu ängstigen und zu zermürben? Munro hatte beobachtet, wie Herden jagender Schimpansen kurze, bedrohliche Vorstöße auf Paviane unternahmen, um sie zu verängstigen, bevor der eigentliche Angriff erfolgte, bei dem ein Jungtier abgesondert und getötet wurde. Dann hörte er Donnergrollen. Kahega wies kopfschüttelnd zum Himmel. Das war die Lösung. »Verdammt«, sagte Munro.

Um 22 Uhr 30 stürzte ein tropischer Regenguß auf sie nieder. Ihr empfindlicher Behelfslautsprecher war sofort durchweicht und tropf naß. Der Regen führte zu Kurzschlüssen in den elektrischen Leitungen, der Abwehrzaun stand nicht mehr unter Spannung, die Nachtbeleuchtung flackerte, zwei Glühlampen platzten. Der Boden verwandelte sich in Morast, die Sicht betrug nur noch fünf Meter. Am schlimmsten aber war, daß der Regen so laut auf das Laub prasselte, daß sie sich nur schreiend miteinander verständigen konnten. Die Bänder waren noch nicht fertig, der Lautsprecher würde wahrscheinlich nicht mehr brauchbar sein und ganz bestimmt den Regen nicht übertönen. Der Regen würde die Lasergeräte stören und die Ausbreitung von Tränengas verhindern. Im Lager herrschte gedrückte Stimmung. Fünf Minuten später griffen die Gorillas an. Der Regen deckte ihren Angriff, sie schienen aus dem Nirgendwo hervorzubrechen und gingen aus drei verschiedenen Richtungen gleichzeitig gegen den Zaun vor. Vom ersten Augenblick an war es Elliot klar, daß dieser Angriff sich von den anderen unterscheiden würde. Die Gorillas hatten aus den früheren Angriffen gelernt und kamen jetzt mit der Absicht, der Sache ein Ende zu machen.

Abgerichtete Primaten, als Kampftiere dressiert, rücksichtslos und unbestechlich. Obwohl dies Elliots eigene Einschätzung war, staunte er, als er jetzt den lebenden Beweis vor sich sah. Die Gorillas kamen in aufeinanderfolgenden Angriffswellen - wie disziplinierte Stoßtrupps. Aber er fand es fast noch erschreckender als einen Angriff von menschlichen Truppen. Für sie sind wir nur Tiere, dachte er. Eine fremde Art, für die sie kein Empfinden haben, auszurottende Schädlinge.

Für diese Gorillas war es unerheblich, warum Menschen sich hier aufhielten oder aus welchen Gründen sie in den Kongo gekommen waren. Sie töteten nicht, um sich Nahrung zu beschaffen, sich zu verteidigen oder ihre Jungen zu beschützen - sie töteten, weil man sie darauf abgerichtet hatte.

Der Angriff erfolgte mit verblüffender Schnelligkeit. Binnen Sekunden hatten die Gorillas den Zaun durchbrochen und in den Schlamm gestampft. Ungehindert stürmten sie knurrend und brüllend ins Lager. In dem strömenden Regen klebte ihre Behaarung am Leib, so daß sie im Schein der roten Nachtbeleuchtung wie glatte, glänzende Ungeheuer wirkten. Elliot sah zehn oder fünfzehn Tiere innerhalb des Lagers. Sie trampelten die Zelte nieder und griffen an. Azizi wurde getötet, sein Schädel zwischen zwei Steinplatten zerquetscht.

Munro, Kahega und Karen Ross feuerten mit ihren Laserwaffen, deren Wirkung jedoch in der allgemeinen Verwirrung und bei der schlechten Sicht sehr begrenzt war. Die Laserstrahlen wurden in dem peitschenden Regen buchstäblich aufgefasert, die Leuchtspurraketen zischten und verglommen mit unregelmäßigem Sprühen. Plötzlich spielte einer der Schußapparate verrückt: Der Lauf schwang in großem Bogen immer wieder herum. Kugeln flogen in alle Richtungen. Alle suchten im Schlamm Deckung. Die Salven töteten mehrere. Gorillas. Im Sterben griffen sie sich verzweifelt an die Brust; es sah aus, als ahmten sie sterbende Menschen nach.

Elliot wandte sich wieder den Aufnahmegeräten zu, und Amy stürzte sich ihm in die Arme, zu Tode erschrocken und vor Angst knurrend. Er schob sie beiseite und schaltete das Gerät auf Wiedergabe.

Inzwischen hatten die Gorillas jeden Widerstand im Lager besiegt. Munro lag auf dem Rücken, ein Gorilla saß auf ihm, von Karen Ross war keine Spur zu sehen. Kahega wälzte sich mit einem Gorilla kämpfend im Schlamm. Elliot hörte kaum die scheußlichen, kratzenden Geräusche, die jetzt aus dem Lautsprecher drangen, und die Gorillas beachteten sie nicht. Ein weiterer Träger, Muzezi, schrie auf, als er versehentlich vor eine feuernde Schießanlage geriet. Er schwankte unter dem Aufprall der Kugeln, stürzte rücklings zu Boden -von seinem Körper stieg der Rauch der Leuchtspurgeschosse auf. Überall lagen Gorillas tot im Schlamm oder wälzten sich verwundet am Boden. Der außer Kontrolle geratene Schußapparat hatte seine Munition verbraucht, aber der Lauf schwang immer noch hin und her, und der Auslösemechanismus klickte in der leeren Kammer. Ein Gorilla fegte das Gerät mit einem Fußtritt beiseite, und da der Lauf sich immer noch bewegte, sah es aus wie ein Lebewesen, das sich im Schlamm wand.

Elliot sah einen Gorilla, der über ein Zelt gebeugt stand und es systematisch in kleine silberne Streifen zerfetzte. Auf der anderen Seite des Lagers schlug ein Tier Aluminiumkochtöpfe gegeneinander, als seien es Nachbildungen der Steinplatten. Weitere Gorillas strömten in das Lager, ohne von den kratzenden Geräuschen des abgespielten Bands Kenntnis zu nehmen. Elliot sah, wie ein Gorilla ganz dicht unter dem Lautsprecher vorbeiging, ohne auch nur aufzumerken. Damit stand für ihn fest, daß der Plan gescheitert war. Ihm war elend zumute. Sie waren am Ende, es war nur noch eine Frage der Zeit. Ein Gorilla kam mit wütendem Gebrüll und zwei Steinplatten auf Elliot zugerannt. Entsetzt bedeckte Amy Elliots Augen mit ihren Händen. »Amy!« rief er und zog ihre Finger weg, darauf gefaßt, jeden Augenblick den Aufprall der Platten zu spüren, den rasenden Schmerz.

Er sah den Gorilla näher kommen und spannte in Erwartung des Angriffs alle seine Muskeln an. Zwei Meter vor ihm blieb der Gorilla so unvermittelt stehen, daß er buchstäblich über den Schlamm rutschte und dann rückwärts zu Boden fiel. Er saß da, neigte überrascht den Kopf und lauschte.

In diesem Augenblick wurde Elliot bewußt, daß der Regen fast aufgehört hatte. Es tröpfelte nur noch leicht. Und als er den Blick über das Lager gleiten ließ, sah er, wie ein anderer Gorilla stehenblieb und horchte. Und dann noch einer. Und noch einer. Das Lager war jetzt wie ein gestelltes lebendes Bild. Die Gorillas standen horchend im weißen Dunst. Sie horchten auf die abgespielten Laute.

Er hielt den Atem an, wagte nicht zu hoffen. Die Gorillas schienen unsicher, verwirrt von den Lauten, die sie hörten. Doch Elliot vermutete, daß sie jeden Augenblick zu einer Gruppenentscheidung gelangen und ihren Angriff mit der gleichen Wildheit wie zuvor wiederaufnehmen konnten.

Nichts dergleichen geschah. Die Gorillas zogen sich lauschend von den Menschen zurück. Munro rappelte sich auf und hob seine Waffe aus dem Schlamm auf. Aber er schoß nicht. Der über ihm stehende Gorilla schien in Trance versunken und den Angriff ganz vergessen zu haben.

In dem feinen Nieselregen, im flackernden Licht der Nachtbeleuchtung zogen die Gorillas einer nach dem anderen ab. Sie schienen verblüfft, fassungslos. Die krächzenden Laute tönten nach wie vor aus dem Lautsprecher.

Die Gorillas zogen sich zurück, überquerten den von ihnen niedergestampften Zaun und entschwanden im Dschungel. Und dann waren die Teilnehmer der Expedition wieder allein und sahen einander fröstelnd und sprachlos an. Die Gorillas waren abgezogen.

Zwanzig Minuten später, als sie noch dabei waren, ihr zerstörtes Lager einigermaßen wieder herzustellen, setzte der Regen wieder ein und stürzte so heftig herab wie nie zuvor.

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