11. Tag Zinj 23. Juni 1979

1. Gorilla elliotensis

Die beiden toten Gorillas lagen ausgestreckt auf dem Boden. Die Leichenstarre hatte bereits eingesetzt. Elliot verbrachte an dem warmen Vormittag zwei Stunden damit, die Tiere zu untersuchen. Es waren zwei Männchen, beide in der Blüte ihrer Jugend. Als erstes fiel ihre einheitliche graue Färbung auf. Die beiden bisher bekannten Gorillaarten waren schwarz behaart, sowohl die Berggorillas im Virunga-Gebiet als auch die Westoder Flachlandgorillas, die nahe der Küste lebten. Jungtiere hatten oft ein braunes Fell mit einem weißen Haarbüschel in der Lendengegend - sie wurden im Laufe ihrer ersten fünf Lebensjahre immer dunkler. Mit zwölf Jahren hatten die Männchen als Zeichen ihrer Geschlechtsreife einen silbernen Sattel auf dem Rücken.

Mit zunehmendem Lebensalter ergrauten die Gorillas - wie Menschen und in durchaus ähnlicher Weise. Beim Mann bildete sich zuerst ein grauer Fleck über den Ohren, und im Laufe der Jahre wurden immer mehr seiner Körperhaare grau. Alte Tiere von etwa dreißig Jahren ergrauten bisweilen vollständig und behielten nur auf der Brust ihre schwarzen Haare.

Die Männchen, die Elliot jetzt untersuchte, schätzte er dem Zustand ihres Gebisses nach auf höchstens zehn Jahre. Sie schienen insgesamt heller zu sein - nicht nur die Behaarung, sondern auch die Augen und die Haut. Normalerweise ist die Haut von Gorillas schwarz, und ihre Augen sind dunkelbraun. Hier wirkte die Haut eindeutig grau, und die Augen waren gelblichbraun. Die Augen gaben ihm besonders zu denken. Als nächstes maß Elliot die Tiere. Vom Scheitel bis zur Sohle maßen sie 139,2 und 141,7 Zentimeter. Man hatte schon früher bei männlichen Berggorillas eine Größe zwischen hundertsieben-undvierzig und zweihundertfünf Zentimeter gemessen, was einen Mittelwert von einhundertfünfundsiebzig Zentimeter ergab. Diese Tiere waren also rund fünfunddreißig Zentimeter kleiner. Sie waren also für Gorillas nicht besonders groß. Er schätzte ihr Gewicht: sie wogen zwischen hundertzehn und hundertfünfzig Kilogramm, während die Berggorillas hundertdreißig bis zweihundert Kilogramm wogen.

Elliot nahm noch dreißig weitere Skelettmessungen vor, die für eine spätere Computer-Analyse in San Francisco nützlich sein würden. Inzwischen war er davon überzeugt, daß er es mit etwas völlig Neuem zu tun hatte. Mit einem Messer trennte er den Kopf des ersten Tiers ab und löste die graue Haut, um die darunter liegenden Muskeln und Knochen zu untersuchen. Seine Aufmerksamkeit galt dem Scheitel, dem Knochenkamm, der ausschließlich bei Männern von der Stirn zum Nacken über den Schädel verlief und die Ansatzfläche für die Schläfenmuskeln vergrößerte. Er war ein Unterscheidungsmerkmal des Gorillaschädels, das sich weder bei anderen Menschenaffen noch beim Menschen fand. Er ließ die Gorillas spitzschädlig erscheinen.

Elliot kam zu dem Ergebnis, daß bei diesen Tieren der Scheitelkamm nur schwach entwickelt war. Insgesamt ähnelte die Schädelmuskulatur weit mehr der eines Schimpansen als der eines Gorillas. Anschließend maß Elliot noch'die Höcker der Backenzähne, den Kiefer, die allen Affen gemeinsamen Überaugendächer und die Schädeldecke.

Gegen Mittag war er zu einer eindeutigen Schlußfolgerung gelangt: er hatte zumindest eine neue Unterart vor sich - neben dem Berg- und. Flachlandgorilla. Womöglich sogar eine völlig neue Art.

»In jemandem, der eine neue Tierart entdeckt«, schrieb Lady Elizabeth Forstmann 1879, »geht etwas vor. Er vergißt sogleich seine Angehörigen und Freunde sowie alle, die ihm vorher lieb und teuer waren. Er vergißt Kollegen, die ihn in seinen beruflichen Bemühungen unterstützten, vernachlässigt auf das grausamste Eltern und Kinder, kurz, er löst sich von allen, die ihn zuvor kannten, und widmet sich ausschließlich seinem Drang nach Ruhm, angetrieben von dem Dämon, den man Wissenschaft nennt.«

Sie wußte, wovon sie sprach, denn ihr Mann hatte sie soeben verlassen, nachdem er 1878 das norwegische Blaukopf-Birkhuhn entdeckt hatte. »Vergeblich fragt man sich«, schrieb sie, »was für einen Sinn es haben kann, daß der Vielzahl von Gottes Geschöpfen, die nach Linne bereits in die Millionen gehen, ein weiterer Vogel oder ein weiteres Säugetier hinzugefügt wird. Auf eine solche Frage gibt es keine Antwort, denn der Entdecker gehört jetzt, wie er meint zu den Unsterblichen und ist damit dem Einfluß von Alltagsmenschen entzogen, die versuchen könnten, ihn von seinem Weg abzubringen.«

Schließlich hätte Peter Elliot es weit von sich gewiesen, daß sein Verhalten dem des schottischen Edelmanns mit den lockeren Sitten glich. Doch ihm wurde bewußt, daß ihm die weitere Erforschung der toten Stadt nunmehr gleichgültig war. Ihn kümmerten weder die Diamanten noch Amys Träume. Er wollte nur noch eines: mit einem Skelett des neu entdeckten Menschenaffen zurückkehren. Es würde Kollegen auf der ganzen Welt in Erstaunen versetzen. Plötzlich fiel ihm ein, daß er keinen Smoking besaß, und er merkte, wie er sich mit der Namensgebung beschäftigte. Vor seinem geistigen Auge sah er die künftige Nomenklatur für afrikanische Menschenaffen vor sich: Pan troglodytes, der Schimpanse, Gorilla gorilla, der Gorilla.

Gorilla elliotensis, eine neue Unterart graubehaarter Gorillas.

Selbst wenn man das Tier später anders klassifizieren und ihm einen anderen Namen geben sollte, würde er doch weit mehr geleistet haben, als die meisten Primatenforscher sich erträumen konnten.

Elliot sah sich schon jetzt von künftigem Glanz geblendet.

Im Rückblick zeigte sich, daß niemand an jenem Vormittag klar dachte. Als Elliot sagte, er wolle die aufgezeichneten Atemgeräusche nach Houston senden, antwortete Karen Ross, das sei ein unbedeutendes Detail und könne warten. Elliot drang nicht weiter in sie. Beide sollten ihre Haltung später bereuen. Als sie dröhnende Detonationen wie von fernem Artilleriefeuer hörten, achteten sie nicht weiter darauf. Karen Ross vermutete, es handle sich um General Mugurus Leute, die gegen die Kigani kämpften. Munro sagte ihr, der Kriegsschauplatz liege mindestens achtzig Kilometer entfernt, und so weit könne der Schall nicht dringen. Doch wußte er auch keine andere Erklärung für den Lärm.

Und da Karen Ross auf die sonst übliche Vormittagssendung nach Houston verzichtete, erfuhr sie auch nichts von den neuen geologischen Veränderungen. Sie hätte den Detonationen sonst vermutlich eine andere Bedeutung beigemessen. Sie waren alle wie berauscht von der Technik, die sie in der vergangenen Nacht eingesetzt hatten, und wiegten sich in dem sicheren Gefühl unbezwinglicher Macht. Nur Munro blieb davon unberührt. Er hatte die Munitionsvorräte überprüft und war zu einem enttäuschenden Ergebnis gekommen. »Dieses Lasersystem ist phantastisch, aber es geht mit der Munition um, als gäbe es kein morgen«, sagte er. »Wir haben heute die Hälfte unseres Gesamtvorrats verbraucht.« »Was können wir tun?« fragte Elliot.

»Eigentlich hatte ich gehofft, Sie wüßten darauf eine Antwort«, sagte Munro. »Sie haben die Kadaver untersucht.« Elliot erläuterte seine Überzeugung, daß sie es hier mit einer neuen Primatenart zu tun hatten. Er faßte die Ergebnisse der anatomischen Untersuchung zusammen, die seine These stützten. »Alles gut und schön«, sagte Munro. »Aber ich will wissen, was sie machen, nicht wie sie aussehen. Sie haben es selbst gesagt -gewöhnlich sind Gorillas Tagtiere. Die hier aber sind Nachttiere. Gewöhnlich sind Gorillas scheu und weichen dem Menschen aus. Die hier aber sind aggressiv und greifen den Menschen furchtlos an?«

Elliot mußte gestehen, daß er es nicht wußte.

»Angesichts unserer Munitionsvorräte«, sagte Munro, »bin ich der Meinung, wir sollten es unbedingt herausfinden.«

2. Der Tempel

Es war nur folgerichtig, daß sie mit ihrer Suche im »Tempel« mit seinem riesigen, bedrohlichen Gorillastandbild begannen. Am selben Nachmittag noch gingen sie dorthin und fanden hinter dem Standbild eine Vielzahl kleiner Gelasse. Karen Ross vermutete, daß hier Priester des Gorillakults gelebt hatten. Sie hatte sich auch schon eine umständliche Erklärung dafür zurechtgelegt. »Die Gorillas im nahen Dschungel terrorisierten die Bewohner der Stadt, die ihrerseits den Tieren Opfer darbrachten, um sie zu besänftigen. Die Priester waren eine gesonderte, von der übrigen Gesellschaft getrennte Klasse. Der kleine Raum hier, durch den man zu den Gelassen gelangt, war sicher eine Wachstube. Hier hielten Wächter die Menschen von den Priestern fern. Es war sicherlich eine richtige Religion.« Diese Theorie überzeugten allerdings weder Elliot noch Munro. »Auch Religionen«, sagte Munro, »haben einen Zweck. Sie sollen den Menschen Vorteile bringen.«

»Die Menschen«, erwiderte Karen Ross, »verehren, was sie fürchten, da sie die gefürchteten Mächte auf diese Weise zu beeinflussen hoffen.«

»Und wie stellen Sie sich das bei den Gorillas hier vor?« fragte Munro. »Wie hätten sie die beeinflussen können?« Als sie schließlich die Antwort fanden, waren sie um so verblüffter, als sie sich ihnen sozusagen in umgekehrter Reihenfolge erschloß.

Sie gelangten von den Gelassen zu einer Vielzahl langer Gänge, die mit Bas-Reliefs geschmückt waren. Mit Hilfe ihres Infrarotabtast- und ComputerSystems konnten Sie die Reliefs »lesen«. Es waren sorgfältig wie in einem Bilderbuch aneinandergereihte Szenen.

Die erste Szene zeigte eine Reihe von Gorillas in Käfigen, in deren Nähe ein Schwarzer mit einem Stock in der Hand stand. Das zweite Bild zeigte einen Schwarzen, der zwei Gorillas an Halsstricken hielt.

Das dritte zeigte einen Schwarzen, der Gorillas auf einem Hof etwas lehrte. Sie waren an senkrechten Pfosten mit jeweils einem Ring an der Spitze angepflockt.

Das letzte Bild schließlich zeigte, wie die Gorillas aus Pflanzenfasern zusammengebundene Puppen von Menschengröße, die von einer steinernen Konstruktion über ihnen herabhingen, angriffen. Jetzt wußten sie, was es mit dem »Stadion« und mit dem »Gefängnis« auf sich hatte.

»Großer Gott«, sagte Elliot. »Sie haben die Gorillas abgerichtet.« Munro nickte. »Als Bewacher der Diamantminen. Eine Elitetruppe gut gedrillter Kampftiere, rücksichtslos und unbestechlich. Keine schlechte Idee.«

Jetzt, wo sie wußte, daß es sich nicht um einen Tempel, sondern um eine Ausbildungsstätte handelte, widmete sich Karen Ross erneut dem Gebäude. Ein Einwand fiel ihr ein: die Darstellungen waren Jahrhunderte alt, die Ausbilder der Tiere längst gestorben. Die Gorillas aber waren noch da. »Wer richtet sie denn jetzt ab?«

»Sie selbst«, sagte Elliot. »Sie bringen es sich gegenseitig bei.« »Ist das überhaupt möglich?«

»Aber sicher, Herrentiere geben durchaus innerhalb der Art bestimmte Fertigkeiten weiter.«

Eben dieser Punkt war unter Forschern lange umstritten gewesen. Washoe aber, der erste Menschenaffe, der Zeichensprache lernte, gab sie sogleich an ihre Nachkommenschaft weiter. Sprachfähige Primaten unterwiesen in der Gefangenschaft auch andere Tiere - übrigens auch Menschen: sie machten so lange und immer wieder Zeichen, bis der dumme, ungebildete Mensch endlich begriff, was man von ihm wollte.

Auf diese Weise konnten Primaten also ohne weiteres dafür sorgen, daß eine sprachliche und auf das Verhalten bezogene Überlieferung generationenlang nicht unterging. »Sie meinen also«, sagte Karen Ross, »daß seit Jahrhunderten keine Menschen mehr in dieser Stadt leben, die von ihnen abgerichteten Gorillas 'aber nach wie vor hier sind?« »So sieht es aus«, sagte Elliot.

»Und sie verwenden steinerne Werkzeuge?« fragte sie. »Steinplatten mit Griffen?«

»Ja, sagte Elliot. Die Vorstellung des Werkzeuggebrauchs war nicht so weit hergeholt, wie es zuerst den Anschein haben mochte. Schimpansen konnten mit ziemlich ausgeklügelten Werkzeugen umgehen. Das deutlichste Beispiel dafür war das »Termitenfischen«. Sie richteten sich einen Zweig her, bogen ihn geduldig so lange, bis er für ihre Zwecke geeignet erschien und verbrachten dann über einem Termitenhügel viele Stunden damit, sich mit Hilfe des Stocks saftige Larven zu »angeln«. Menschliche Beobachter hatten diese Übung so lange als »primitiven Werkzeuggebrauch« eingestuft, bis sie es selbst versuchten. Es zeigte sich, daß die Herrichtung eines geeigneten Zweigs und der Fang von Termitenlarven alles andere als primitiv war, jedenfalls konnten die Menschen es nicht richtig nachahmen. Sie gaben auf, mit neuem Respekt für die Leistung der Schimpansen und um eine interessante Beobachtung reicher - sie hatten gesehen, daß Jungtiere den erwachsenen Schimpansen tagelang zusahen, wie sie Stöcke herrichteten und in dem Termitenhaufen herumstocherten. Junge Schimpansen lernten buchstäblich, wie man es machte, und dieser Lernprozeß erstreckte sich über Jahre. Das sah verdächtig nach einer Kultur aus. Die Lehrzeit des jungen Benjamin Franklin als Drucker unterschied sich nicht so sehr von der Lehrzeit junger Schimpansen als Termitenfischer. Beide lernten ihre Fertigkeiten, indem sie mehrere Jahre lang Älteren zusahen, und beide machten auf dem Weg zum schließlichen Erfolg Fehler.

Dennoch bedeutete die Verwendung eigens angefertigter Steinwerkzeuge einen Quantensprung über die Verwendung von Zweigen zum Angeln von Termitenlarven hinaus. Die herausragende Bedeutung von Steinwerkzeug als einer Domäne des Menschengeschlechts wäre möglicherweise unangetastet geblieben, hätte sich nicht ein einzelgängerischer Forscher auf diesem Gebiet als Bilderstürmer betätigt. 1971 beschloß der britische Naturwissenschaftler R. V. S. Wright, einem Affen die Anfertigung von Steinwerkzeugen beizubringen. Sein Schüler war ein fünfjähriger Orang-Utan namens Abang im Zoo von Bristol. Wright stellte Abang eine Kiste mit Eßwaren hin, die mit einem Seil verschnürt war. Er zeigte ihm, wie er das Seil mit einem Stück Feuerstein durchschneiden konnte, um an die Eßwaren zu gelangen. Abang verstand binnen einer Stunde, worum es ging. Dann zeigte Wright Abang, wie er einen Steinsplitter herstellen konnte, indem er einen Kiesel gegen ein hartes Stück Feuerstein schlug. Das war schon schwieriger, und im Laufe mehrerer Wochen brauchte Abang insgesamt drei Stunden, um zu lernen, wie er den Feuerstein zwischen den Zehen halten mußte, um einen scharfen Splitter abzuschlagen, mit dem er das Seil durchschneiden konnte, um an die Eßwaren zu gelangen. Mit diesem Experiment sollte nicht der Nachweis erbracht werden, daß Affen Steinwerkzeug verwendeten, sondern der Beweis, daß sie die Fähigkeit besaßen, es herzustellen.

Wrights Experiment lieferte einen weiteren Grund für die Annahme, daß der Mensch nicht so einzigartig war, wie er stets von sich geglaubt hatte.

»Warum aber hat Amy gesagt, daß es keine Gorillas seien?« »Weil es keine sind«, sagte Elliot. »Diese Tiere sehen nicht wie Gorillas aus und handeln auch nicht wie Gorillas. Sie weichen in ihren körperlichen Merkmalen und in ihrem Verhalten von Gorillas ab.« Er erklärte weiter, er habe den Verdacht, daß diese Tiere nicht nur abgerichtet, sondern sogar gezüchtet, daß sie vielleicht mit Schimpansen oder, noch abenteuerlicher, mit Menschen gekreuzt worden seien.

Die anderen glaubten, er mache einen Scherz. Doch die Tatsachen waren beunruhigend. 1960 war durch erste Bluteiweißuntersuchungen die Verwandtschaft zwischen Mensch und Menschenaffe quantifizert worden. Biochemisch gesprochen war der nächste Verwandte des Menschen der Schimpanse, er stand ihm weit näher als der Gorilla. 1964 waren Schimpansennieren, ohne daß eine Immunabstoßung erfolgte, auf Menschen verpflanzt worden, und Bluttransfusionen lagen durchaus im Bereich des Möglichen.

Doch wurde der Grad der verwandtschaftlichen Nähe erst voll erkannt, als Biochemiker die DNS von Schimpansen und Menschen miteinander verglichen. Es zeigte sich, daß die DNS-Ketten nur um ein Prozent differierten. Und fast niemand war bereit, eine bestimmte Schlußfolgerung einzugestehen: Mit Hilfe der modernen DNS-Kreuzungs-Techniken und der Embryonenimplantation war eine Kreuzung zwischen Menschenaffe und Menschenaffe mit Sicherheit und eine solche zwischen Menschenaffe und Mensch wahrscheinlich möglich.

Selbstverständlich hatten die Bewohner von Zinj im 14. Jahrhundert keine Möglichkeit der genetischen Manipulation gehabt. Doch Elliot wies darauf hin, daß sie die Fähigkeiten der Bewohner der Stadt immer wieder unterschätzt hatten. Immerhin hatten sie schon vor mindestens fünfhundert Jahren eine komplizierte Tierdressur entwickelt, wie sie von westlichen Wissenschaftlern erst im letzten Jahrzehnt angewandt worden war. Und so wie Elliot die Dinge sah, stellten die von den Bewohnern der Stadt Zinj abgerichteten Tiere für sie eine große Schwierigkeit dar.

»Wir dürfen die Augen nicht vor der Wirklichkeit verschließen«, sagte er. »Amy hat bei einem für Menschen ausgearbeiteten Test einen Intelligenzquotienten von 92 erreicht. Das bedeutet, daß sie im großen und ganzen ebenso intelligent ist wie ein durchschnittlicher Mensch, und in mancher Hinsicht intelligenter - ihre Wahrnehmungsfähigkeit und ihre Empfindungsstärke sind besser ausgeprägt. Sie kann uns mindestens ebensogut für ihre Zwecke einspannen, wie wir sie für unsere.

Die grauen Gorillas, mit denen wir es hier zu tun haben, besitzen die gleiche Intelligenz, doch sind sie außerdem konsequent auf etwas abgerichtet worden. Sie sind - ähnlich wie der Dobermann - Wächter und Kämpfer, speziell dressiert auf scharfes und der Situation angepaßtes Verhalten. Nur sind sie sehr viel klüger und einfallsreicher als Hunde. Sie werden ihre Angriffe fortsetzen, bis sie uns alle getötet haben - so wie sie alle bisherigen Eindringlinge umgebracht haben.«

3. Blick durch die Gitterstäbe

1975 sichtete der Mathematiker S. L. Berensky die gesamte Literatur über sprachfähige Primaten und kam zu einer verblüffenden Schlußfolgerung. »Es besteht kein Zweifel daran«, verkündete er, »daß Primaten dem Menschen an Intelligenz weit überlegen sind.«

Berenskys Ansicht nach lautete »die entscheidende Frage - die sich jeder Zoobesucher instinktiv selber stellt -: Wer befindet sich hinter Gittern? Wer steckt im Käfig, und wer ist frei? ... Zwar läßt sich beobachten, daß auf beiden Seiten der Stäbe Primaten einander Gesichter schneiden, doch würde man es sich zu einfach machen, wenn man sagte, daß der Mensch deswegen überlegen ist, weil er den Zoo eingerichtet hat. Wir unterwerfen andere Primaten einer besonders schrecklichen Form von Gefangenschaft hinter Gittern - die wir auch innerhalb unserer eigenen Art anwenden - und gehen davon aus, daß sie ebenso empfinden wie wir.«

Berensky verglich Primaten mit Gesandten fremder Völker. »Affen haben es jahrhundertelang fertiggebracht, als Botschafter ihrer Art mit den Menschen auszukommen. In der jüngeren Vergangenheit haben sie sogar gelernt, sich dem Menschen mittels der Zeichensprache mitzuteilen. Diese Verständigung ist jedoch eine sehr einseitige Diplomatie, denn noch nie hat ein Mensch versucht, in der Gesellschaft von Affen zu leben, sich ihre Sprache und ihre Gewohnheiten zu eigen zu machen, ihre Speisen zu essen, zu leben, wie sie leben. Die Affen haben gelernt, sich uns verständlich zu machen, doch wir haben nie gelernt, uns ihnen verständlich zu machen. Wem muß dann die größere Intelligenz zugesprochen werden?«

Dem fügte Berensky eine Voraussage hinzu: »Die Zeit wird kommen«, sagte er, »da die Umstände den Menschen zwingen werden, mit einer Primatengesellschaft nach deren Bedingungen zu kommunizieren. Erst dann werden die Menschen sich ihrer anmaßenden Überheblichkeit gegenüber anderen Tieren bewußt werden.«

Die Expedition der ERTS, tief im Regenwald des Kongo abgeschnitten, sah sich eben dieser Schwierigkeit gegenüber. Man war einer neuen Art gorillaähnlicher Tiere begegnet und mußte sich jetzt irgendwie nach ihren Bedingungen mit ihnen verständigen. Im Laufe des Abends überspielte Elliot die aufgenommenen Seufz- und Keuchlaute nach Houston, von wo sie nach San Francisco weitergeleitet wurden. Als Antwort kam eine karge Mitteilung von Seamans: SENDG EMFANGN SR

NUEZLICH WICHTIG: MUS UEBRSEZNG

BALD HAM. erwiderte Elliot. WAN FRTIG?

COMPUTR ANALYS PROBLMAT SCHWIRIGR ALS UEBR-SEZNG CZS/JZS.

»Was heißt das?« wollte Karen Ross wissen. »Er sagt, daß die Übersetzungsschwierigkeiten größer sind als bei der Übersetzung chinesischer oder japanischer Zeichensprache.« Es war ihr nicht bekannt gewesen, daß es so etwas gab, doch Elliot erklärte ihr, daß es für alle größeren Sprachen der Welt Zeichensprachen gab, die jeweils ihren eigenen Regeln folgten. Zum Beispiel wich die britische Zeichensprache, obwohl sie sich auf eine im Grunde in der geschriebenen und gesprochenen Form identische Ausgangssprache stützte, grundlegend von der amerikanischen Zeichensprache ab.

Die verschiedenen Zeichensprachen verfügten über eine unterschiedliche grammatische Struktur und Syntax und hatten sogar unterschiedliche Zeichenkonventionen. Während der nach außen weisende Mittelfinger in der chinesischen Zeichensprache verschiedenes bedeutete, so unter anderem IN ZWEI WOCHEN und BRUDER, war dies Zeichen in der amerikanischen Zeichensprache geradezu beleidigend und nicht akzeptabel. »Aber hier handelt es sich doch um eine gesprochene Sprache«, sagte Karen Ross.

»Das ist richtig«, sagte Elliot. »Trotzdem ist es ein verzwicktes Problem. Wir werden sie nicht schnell übersetzt bekommen.« Bis zum Anbruch der Nacht verfügten sie über zwei weitere Informationen. Karen Ross ließ über Houston eine Wahrscheinlichkeitsermittlung durch den Computer laufen. Danach würde es drei Tage mit einer Abweichung von plus zwei Tagen dauern, bis sie die Diamantminen fanden. Das hieß, sie mußten sich darauf einrichten, noch fünf Tage an Ort und Stelle zu verbringen. Die Lebensmittelversorgung war kein Problem. Aber die Munition würde knapp werden. Munro schlug die Verwendung von Tränengas vor.

Sie nahmen an; daß die grauen Gorillas ihre Taktik ändern würden. Und sie taten es - sie griffen gleich nach Einbruch der Dunkelheit an. Die Schlacht in der Nacht vom 23. zum 24. Juni war gekennzeichnet von den Detonationen der dumpf aufschlagenden Kanister und dem zischend austretenden Gas. Die Strategie erwies sich als wirksam; die Gorillas wurden vertrieben und erneuerten ihren Angriff in dieser Nacht nicht. Munro war sehr zufrieden. Er verkündete, daß sie genug Tränengas hätten, um sich die Gorillas eine ganze Woche, vielleicht sogar länger, vom Leibe zu halten. Fürs erste, so schien es, waren ihre Probleme gelöst.

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