3. Tag Tanger 15. Juni 1979

1. Wahrheit des Bodens

Peter Elliot kannte Amy seit ihrer frühen Kindheit. Er war stolz darauf, daß er ihre Reaktionen vorhersagen konnte, obwohl er sie immer nur unter den kontrollierten Bedingungen einer Laborumgebung erlebt hatte. Jetzt, da sie sich neuen Situationen konfrontiert sah, überraschte ihn ihr Verhalten. Er hatte angenommen, der Start werde Amy erschrecken, und hatte daher eine Spritze mit dem Beruhigungsmittel Thoralen vorbereitet, die sich jedoch als überflüssig erwies. Als die Menschen die Sitzgurte anlegten, tat Amy es ihnen sogleich nach. Sie schien es als lustiges, wenn auch etwas einfältiges Spielchen zu betrachten. Obwohl ihre Augen sich weit öffneten, als sie das Dröhnen der Triebwerke unter Vollast hörte, ahmte sie die gelassene Gleichgültigkeit der Menschen um sie herum nach, die davon nicht beeindruckt schienen. Es ging so weit, daß sie die Brauen hochzog und gelangweilt stöhnte. Als die Maschine in der Luft war, blickte Amy aus dem Fenster und geriet sofort in panisches Entsetzen. Sie löste ihren Sitzgurt und lief von einem Fenster des Fluggastabteils zum anderen, schob die Menschen in jammervollem Schrecken beiseite und fragte immer wieder mit sich rasch bewegenden Händen: Wo Boden Boden wo Boden? Elliot gab ihr nun doch das Thoralen und trieb dann soziale Körperpflege, das heißt, er brachte sie dazu, sich zu setzen, und zupfte sie an den Haaren. In der Wildnis verwenden Primaten täglich mehrere Stunden auf die gegenseitige Körper- und Fellpflege. Sie »lausen sich«, wie man sagt, da sie sich dabei gegenseitig auch nach Zecken und Läusen absuchen. Die Art und die Häufigkeit, mit der die Tiere einander pflegten, war von Bedeutung für die Einstufung in der Hierarchie der Gruppe. Das »Lausen« scheint eine besänftigende Wirkung zu haben. Amy hatte sich in wenigen Minuten so weit entspannt, daß sie bemerkte, wie die anderen tranken. Prompt verlangte sie ein »Grün-TropfenTrinken« - so bezeichnete sie einen Martini mit einer Olive darin - und eine Zigarette. Bei besonderen Gelegenheiten, zum Beispiel bei Institutsfeiern, wurde ihr das gestattet, und auch jetzt gab Elliot ihr ein Glas und eine Zigarette.

Aber die Aufregung war doch zu groß für sie, und nach einer Stunde, in der sie still aus dem Fenster sah und für sich selbst die Zeichen für Bild hübsch machte, erbrach sie sich. Sie entschuldigte sich geradezu unterwürfig Amy traurig Amy schmutzig Amy Amy traurig.

»Schon gut, Amy«, beruhigte Elliot sie und streichelte ihren Handrücken. Kurz darauf verkündete sie Amy jetzt schlafen, richtete sich aus Decken ein Lager auf dem Boden her und schlief ein, laut durch ihre großen Nasenlöcher schnaufend. Elliot lag neben ihr und fragte sich, wie andere Gorillas bei einem solchen Heidenlärm wohl einschlafen konnten.

Elliot reagierte auf seine Art auf die Reise. Als er Karen Ross kennengelernt hatte, ging er davon aus, sie beschäftige sich, wie er auch, mit theoretischer Wissenschaft. Doch das riesige Flugzeug voller Ausrüstung und die unüberschaubare Kompliziertheit des gesamten Unternehmens ließen darauf schließen, daß hinter der Earth Resources Technology ungeheure Mittel standen, und möglicherweise gab es sogar Verbindungen zum Militär.

Karen Ross lachte: »Wir sind viel zu gut organisiert, um mit dem Militär etwas zu tun zu haben.« Dann erzählte sie ihm ausführlich, worum es der ERTS im Virunga-Gebiet ging. Wie die Projektgruppe Amy war auch Karen Ross eher zufällig auf die Legende von der toten Stadt Zinj gestoßen, nur hatte sie völlig andere Schlüsse aus den Berichten gezogen.

In den letzten dreihundert Jahren hatte es mehrere Versuche gegeben, die untergegangene Stadt zu erreichen. So führte im Jahre 1692 John Marley, ein englischer Abenteurer, eine zweihundertköpfige Expedition in den Kongo, von der nie wieder etwas gehört wurde. Eine holländische Expedition machte sich 1744 auf den Weg. Und 1804 stieß eine andere britische Gruppe unter Führung eines schottischen Aristokraten, Sir James Taggert, von Norden her nach Virunga vor und gelangte bis zur Rawana-Biegung des Flusses Ubangi. Von dort schickte Taggert einen Vortrupp weiter nach Süden, der jedoch nie zurückkehrte. 1872 kam Stanley in die Nähe des Virunga-Gebiets, betrat es jedoch nicht. Eine deutsche Expedition, die 1899 in das Gebiet eindrang, verlor über die Hälfte ihrer Mitglieder. Nachdem 1911 eine von privater Seite finanzierte italienische Expedition vollständig und spurlos verschwunden war, hatte man von keinen weiteren Versuchen mehr gehört, die tote Stadt Zinj zu erreichen.

»Also hat sie bisher niemand gefunden?« sagte Elliot. Ross schüttelte den Kopf. »Ich könnte mir denken, mehrere Expeditionen haben sie gefunden«, sagte sie. »Nur ist niemand je zurückgekehrt, um davon zu berichten.«

Daran war nun nichts besonders Geheimnisvolles. In ihren Anfängen war die Erforschung Afrikas voller Gefahren gewesen. Selbst gut ausgerüstete und gut geführte Expeditionen verloren oft die Hälfte ihrer Teilnehmer oder mehr. Wer nicht der Malaria, der Schlafkrankheit und dem Schwarzwasserfieber zum Opfer fiel, mußte Flüsse voller Krokodile und Flußpferde überwinden sowie Dschungel, in denen es Leoparden und den fremden Eindringlingen gegenüber äußerst mißtrauische Eingeborene gab, die oft genug noch dem Kannibalismus huldigten. Und bei all seiner schwellenden und üppigen Fruchtbarkeit lieferte der Regenwald doch nur wenig Eßbares, so daß einige Expeditionen schlicht verhungert waren.

»Ich ging von der Vorstellung aus«, sagte Karen Ross, »daß es die Stadt gab. Wo aber würde ich sie dann finden?«

Die tote Stadt Zinj wurde im Zusammenhang mit Diamantminen genannt, und Diamanten fanden sich in der Nähe von Vulkanen. Das hatte Karen Ross dazu veranlaßt, ihre Aufmerksamkeit der Zentralafrikanischen Schwelle zuzuwenden - einem riesigen geologischen Verwerfungsgebiet von fünfzig Kilometer Breite, das unter dem Namen »Zentralafrikanischer Graben« bekannt ist und über eine Entfernung von rund zweitausendvierhundert Kilometern von Norden nach Süden durch das östliche Drittel des Kontinents verläuft. Eben wegen seiner Größe erkannte man erst in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, daß es sich um eine Bruchstufe handelte, nämlich als ein Geologe namens Gregory feststellte, daß die fünfzig Kilometer voneinander entfernt liegenden Felswände aus demselben Gestein bestanden. Der Zentralafrikanische Graben ist nichts anderes als ein in neuerer Zeit fehlgeschlagener Ansatz zur Bildung eines Ozeans, denn vor zweihundert Millionen Jahren hatte das östliche Drittel des Kontinents begonnen, sich von der übrigen Landmasse Afrikas abzulösen. Aus irgendeinem Grund war diese Bewegung vor ihrem Abschluß zum Stillstand gekommen.

Auf einer Landkarte läßt sich erkennen, daß zwei Merkmale den Zentralafrikanischen Graben kennzeichnen: eine Reihe schmaler, von Norden nach Süden verlaufender Seen - der Mobutu-Sese-Soko-See, der Kivusee, der Tanganyikasee und der Nyassa-see - sowie eine Reihe von Vulkanen, unter ihnen die einzigen in Afrika noch tätigen. Sie liegen im Virunga-Gebiet, das im Altertum »Mondberge« hieß: der Muhavura, der Sabyinyo und der Nyamuragira. Sie erheben sich etwa viertausendsechshundert Meter über dem Zentralafrikanischen Graben im Osten und dem westlich von ihnen liegenden Kongo-Becken. Daher schien das Virunga-Gebiet für die Suche nach Diamanten durchaus geeignet. Karen Ross' nächster Schritt bestand darin, die »Wahrheit des Bodens« zu ermitteln.

»Was ist die >Wahrheit des Bodens

Wir haben Millionen von Bildern mit, die auf diese Weise zustande gekommen sind, aber es gibt keinen Ersatz für die >Wahrheit des Bodens<, die Erfahrung einer Gruppe von Leuten, die sich vor Ort mit den Gegebenheiten auseinandersetzen.

Angefangen habe ich mit einer Vorexpedition, die wir zur Goldsuche ausgeschickt hatten und die auch Diamanten fand.« Sie drückte Knöpfe auf der Konsole, und auf dem Bildschirm erschienen andere Bilder, eingerahmt von Dutzenden stecknadelkopfgroßer Lichtquellen.

»Hier sehen Sie die Ablagerungen in Flußbetten in der Nähe des Virunga-Gebiets. Man kann erkennen, daß sie konzentrische Halbkreise bilden, die auf die Vulkane zurückweisen. Damit liegt die Schlußfolgerung nahe, daß Erosion die Diamanten von den Hängen der Virunga-Vulkane weggewaschen hat und sie mit den Flüssen dorthin gelangten, wo sie jetzt sind.« »Also haben Sie eine Gruppe ausgeschickt, die nach der Ursprungsstelle suchen sollte?«

»Ja.« Sie wies auf den Bildschirm. »Aber lassen Sie sich nicht von dem täuschen, was Sie hier sehen. Auf diesem Satellitenbild sind hundertdreißigtausend Quadratkilometer Dschungel erfaßt, der zum größten Teil noch unerforscht ist. Es ist ein sehr schwieriges Gelände, die Sicht beträgt dort in jeder Richtung nur wenige Meter. Eine Expedition könnte in diesem Gebiet jahrelang suchen und in einer Entfernung von zweihundert Metern an der Stadt vorbeilaufen, ohne sie je zu sehen. Daher mußten wir den Sektor meiner Suche einengen. Ich wollte feststellen, ob die Stadt sich finden ließ.«

»Die Stadt finden? Mit Hilfe von Satellitenbildern?« »Ja«, sagte sie. »Und ich habe sie gefunden.«

Die Regenwälder auf unserem Erdball haben aller Fernerkundung stets erfolgreich getrotzt. Die hohen Dschungelbäume breiten ein undurchdringliches Vegetationsdach aus, das alles, was sich auf dem Boden darunter befindet, fremden Blicken entzieht. Auf Luft- oder Satellitenaufnahmen erschienen die Regenwälder des Kongo stets als riesiger, welliger Teppich aus Grün, eintönig und ohne markante Anhaltspunkte. Selbst große Landmarken, wie beispielsweise fünfzehn oder dreißig Meter breite Flüsse, verbargen sich unter diesem Blätterdach, so daß sie aus der Luft nicht zu sehen waren.

Die Aussichten waren also sehr gering, auf Luftaufnahmen Anzeichen einer toten Stadt zu finden. Doch Karen Ross packte die Sache anders an: gerade die Vegetation, die ihr den Blick auf den Boden versperrte, wollte sie sich nutzbar machen. , Die Untersuchung der Vegetation war in den gemäßigten Zonen, in denen die Belaubung jahreszeitlichen Unterschieden unterworfen ist, durchaus üblich. In den äquatorialen Regenwäldern gab es jedoch keine Veränderungen, die Belaubung war winters wie sommers gleich. Daher wandte Karen Ross ihre Aufmerksamkeit einem anderen Merkmal zu, und zwar den Unterschieden in der Vegetations-Albedo.

Die Albedo ist ein quantitativer Ausdruck der Reflexionsfähigkeit, und sie ist zahlenmäßig gleich dem Verhältnis zwischen der senkrecht einfallenden und der zum Beobachter hin abgestrahlten Lichtmenge. Bezogen auf das sichtbare Spektrum ist sie ein Maß dafür, wie »hell« eine Oberfläche ist. Daraus lassen sich bestimmte Hinweise auf das Material der reflektierenden Fläche gewinnen. Ein Fluß beispielsweise hat eine hohe Albedo, weil Wasser den größten Teil des auftreffenden Sonnenlichts reflektiert, Pflanzen hingegen absorbieren Licht und haben daher eine niedrige Albedo. 1977 begann die ERTS mit der Entwicklung von Computer-Programmen, die die Albedo genau zu messen und auch geringe Unterschiede zu berücksichtigen vermochten. Karen Ross stellte sich die Frage: Wenn es die tote Stadt wirklich gab - wie konnte sich das in der Vegetation äußern? Die Antwort dafür lag auf der Hand: in Form späten Sekundärwalds. Der unberührte Regenwald wird als Primärwald bezeichnet. Ihn meinen die meisten Menschen, wenn sie an Regenwälder denken: riesige Hartholzbäume, Mahagoni, Teak und Ebenholz, in den Stockwerken darunter Farne und Palmgewächse. Primärwälder sind dunkel und abweisend, lassen sich aber leicht durchqueren. Wenn aber der Mensch ursprünglichen tropischen Regenwald, also Primärwald, rodete und das Gelände später wieder sich selbst überließ, entstand ein gänzlich anderes, ein Sekundärwachstum. Die dabei vorherrschenden Pflanzen waren Weichhölzer und schnellwüchsige Bäume. Der Reichtum an Lianen, dornigen Sträuchern und Bambus machte diese Gebiete oft undurchdringlich: es war der typische Dschungel, das, was der Laie sich unter »Urwald« vorstellte.

Aber Karen Ross ging es nicht um diese Gesichtspunkte des Sekundärwalds, sondern lediglich um seine Albedo. Da es im Sekundärwald anders geartete Pflanzen gab, mußte seine Albedo von der des Primärwalds abweichen. Sie ließ sich nach dem Alter abstufen: Da im Unterschied zu den Hartholzbäumen des Primärwalds, die ein Alter von Jahrhunderten erreichten, die Weichhölzer des Sekundärwalds nur etwa zwanzig Jahre alt wurden, mußte an die Stelle der frühen Form des Sekundärwalds eine andere und später noch eine andere Ausprägung treten. Durch Überprüfung von Gebieten, in denen sich im allgemeinen später Sekundärwald fand - wie zum Beispiel an den Ufern großer Flüsse, wo der Boden für zahlreiche menschliche Ansiedlungen gerodet worden war, die man später wieder aufgegeben hatte -, stellte sie fest, daß die Computer der ERTS tatsächlich die auftretenden geringen Unterschiede in der Reflexion messen konnten.

Sie gab daraufhin den Auftrag, daß die ERTS-Abtastgeräte auf einer Fläche von fünfzigtausend Quadratkilometer Regenwald an den Westhängen der Virunga-Vulkane im Abstand von jeweils hundert Metern oder weniger nach Albedounterschieden von 0,03 oder darunter suchen sollten. Diese Aufgabe hätte eine aus fünfzig Luftfotografieauswertern bestehende Gruppe einunddreißig Jahre lang beschäftigt - der Computer tastete hundertneunundzwanzigtausend Satelliten-und Luftaufnahmen in knapp neun Stunden ab. Und er fand die Stadt.

Im Mai 1979 verfügte Karen Ross über ein Computer-Bild, das ein sehr altes SekundärwaldMuster von geometrischer Gitterform zeigte. Es lag zwei Grad nördlich des Äquators, auf dreißig Grad östlicher Länge an den Westhängen des noch tätigen Vulkans Muhavura. Der Computer schätzte das Alter des Sekundärwalds auf fünf- bis achthundert Jahre.

»Und dann haben Sie eine Expedition hingeschickt?« fragte Elliot. Karen Ross nickte. »Vor drei Wochen. Sie wurde von einem Südafrikaner, einem gewissen Krüger, geführt und bestätigte die Diamantenvorkommen. Als sie ihnen auf der Suche nach dem Ursprungsort nachging, fand sie die Ruinen der Stadt.« »Und was geschah dann?« fragte Elliot.

Er sah sich das Videoband ein zweites Mal an. Auf dem Bildschirm waren die SchwarzweißAufnahmen des zerstörten Lagers zu erkennen, aus dessen schwelenden Resten Rauch aufstieg, sowie mehrere Leichen mit zermalmten Schädeln. Dann fiel ein Schatten über die Leichen, die Kamera ging zurück auf Totale und zeigte den Umriß des ungestalten Schattens. Elliot gab zu, daß er wie der Schatten eines Gorillas aussah, beharrte aber: »Das können keine Gorillas gewesen sein. Gorillas sind friedliche Pflanzenfresser.«

Sie sahen sich die Aufzeichnung zu Ende an und betrachteten anschließend das letzte vom Computer. aufbereitete Bild, das deutlich den Kopf eines Gorillamannes erkennen ließ. »Da, sehen Sie selbst«, sagte Karen Ross. Elliot war nicht überzeugt. Er ließ die letzten drei Sekunden des Bildmaterials noch einmal durchlaufen und betrachtete prüfend den Kopf des Tiers. Das Bild war unscharf, geisterhaft, aber trotz allem stimmte etwas daran nicht, ohne daß er genau hätte sagen können, was. Nicht nur das Verhalten, das Karen Ross ihm geschildert hatte, war artuntypisch, sondern da war auch ... Er drückte den Standbildknopf und starrte auf das Bild vor ihm. Behaarung und Gesicht waren grau, da gab es keinen Zweifel.

»Können wir den Kontrast noch etwas verstärken?« fragte er Ross. »Das Bild ist so verwaschen.«

»Mal sehen«, sagte Ross und betätigte mehrere Knöpfe. »Ich finde das Bild übrigens ziemlich kontrastreich.« Sie konnte es nicht dunkler bekommen.

»Das Exemplar hier ist ziemlich grau«, sagte er. »Gorillas sind sehr viel dunkler.«

»Also für Video ist dieser Kontrastbereich in Ordnung.«

Elliot war sicher: Das Tier war zu hell, es konnte kein Berggorilla sein. Wenn er keine neue Unterart vor sich sah, war es eine neue Art. Eine neue Spezies von Herrentieren, ein angriffslustiger grauer Menschenaffe, den man im östlichen Kongo entdeckt hatte... Er hatte sich der Expedition angeschlossen, um Amys Träume an Hand der Wirklichkeit zu überprüfen - und es war eine großartige psychologische Einsicht, die er sich da versprochen hatte - nun plötzlich war sein Ziel weit höher gesteckt. Karen Ross fragte: »Sie glauben also nicht, daß es ein Gorilla ist?«

»Es gibt Möglichkeiten, das zu prüfen«, sagte er und blickte mit gerunzelter Stirn auf den Bildschirm, während die Maschine durch die Nacht flog, immer weiter nach Osten.

2. B-8-Aufgaben

»Was soll ich tun?« fragte Tom Seamans, den Hörer zwischen Hals und Schulter geklemmt, und wälzte sich auf die Seite, um einen Blick auf seinen Wecker zu werfen. Es war drei Uhr früh. »In den Zoo gehen«, wiederholte Elliot. Seine Stimme klang verfremdet, als spreche er unter Wasser. »Peter, von wo rufst du eigentlich an?«

»Von irgendwo über dem Atlantik«, sagte Elliot. »Wir sind auf dem Weg nach Afrika.« »Ist wirklich alles in Ordnung?«

»Sogar in bester Ordnung«, sagte Elliot. »Aber geh bitte unbedingt gleich nach dem Aufstehen in den Zoo.« »Und was soll ich da?«

»Mit einer Videokamera die Gorillas aufnehmen. Sieh zu, daß sie sich bewegen, das ist für die Ausarbeitung der Merkmalsunterschiede sehr wichtig.«

»Das schreibe ich mir besser auf«, sagte Seamans. Als demjenigen, der den Computer für die Projektgruppe Amy programmierte, war es ihm nichts Neues, ungewöhnliche Aufträge zu erhalten -wenn auch nicht gerade mitten in der Nacht. »Eine Unterscheidungsfunktion für welche Merkmale?« »Wenn du schon dabei bist, sieh dir alle Filme an, die wir über Gorillas haben - beliebige Gorillas, wilde, im Zoo lebende, was auch immer. Je mehr Muster du dir ansiehst, desto, besser, vorausgesetzt, die Tiere bewegen sich. Als Vergleichsbasis nimm am besten Schimpansen. Alles, was wir über Schimpansen haben. Übertrag es auf Band und untersuch es mit der Funktion.«

»Was für eine Funktion denn bloß?« gähnte Seamans. »Die, die du noch schreiben sollst«, sagte Elliot. »Ich brauche eine mehrfach variable Unterscheidungsfunktion, beruhend auf vollständigem Bildmaterial -«

»- du meinst also eine VerhaltensmusterErkennungsfunktion?« Seamans hatte MusterErkennungsfunktionen für Amys Sprachgebrauch programmiert, mit deren Hilfe man ihre Zeichen vierundzwanzig Stunden am Tag überwachen und auswerten konnte. Auf dieses Programm war er sehr stolz, es stellte auf diesem Gebiet einen beachtlichen Durchbruch dar. »Strukturiere sie, wie du es für richtig hältst«, sagte Elliot. »Auf jeden Fall brauche ich eine Funktion, die Gorillas von anderen Primaten, zum Beispiel von Schimpansen, unterscheidet. Also eine artendifferenzierende Funktion.«

»Ist das dein Ernst?« fragte Seamans. »Das ist eine B-8-Auf-gabe.« Auf dem noch in den Kinderschuhen steckenden Gebiet der ComputerProgramme für Mustererkennung waren sogenannte B-8-Aufgaben die schwierigsten. Ganze Forschergruppen hatten Jahre mit dem vergeblichen Versuch zugebracht, Computern den Unterschied zwischen einem »B« und einer »8« beizubringen -eben weil er so ins Auge springt. Was aber das menschliche Auge sofort erkennt, ist für die Abtasteinrichtung des Computers keineswegs klar -ihr muß man das mitteilen. Es zeigte sich, daß die dafür erforderlichen Anweisungen weit schwieriger waren, als sich das jemand hätte träumen lassen, vor allem natürlich bei handschriftlichen Texten. Dann verlangte Elliot noch ein Programm, das in der Lage war, ähnliche Bilder von Gorillas und Schimpansen zu unterscheiden. Seamans konnte sich die Frage nicht verkneifen: »Wozu das denn? Das ist doch klar. Ein Gorilla ist ein Gorilla, und ein Schimpanse ist ein Schimpanse.« »Tu es einfach«, sagte Elliot.

»Kann ich die Größe einbeziehen?« Allein auf Grundlage der Körpergröße ließen Gorillas und Schimpansen sich deutlich voneinander unterscheiden. Aber optische Funktionen können Größenmerkmale nur dann bestimmen, wenn die Entfernung vom Aufzeichnungsgerät zum dargestellten Gegenstand sowie die Brennweite des Aufnahmeobjektivs bekannt sind. »Nein, die Körpergröße darf nicht einbezogen werden«, sagte Elliot. »Lediglich die Form der Bestandteile.« Seamans seufzte. »Vielen Dank. Und welche Auflösung?« »Ich brauche eine fünfundneunzigprozentige Aussagegenauigkeit für die Artenbestimmung, und sie muß mit weniger als drei Sekunden schwarzweißem Abtast-Bildmaterial auskommen.« Seamans dachte scharf nach. Offenbar hatte Elliot drei Sekunden Bildmaterial von irgendeinem Tier und wußte nicht genau, ob es ein Gorilla war oder nicht. Elliot hatte aber doch im Laufe der Jahre so viele Gorillas gesehen, daß er die deutlichen Unterschiede gegenüber Schimpansen im Traum kennen mußte: Körpergröße, äußeres Erscheinungsbild, Bewegungen und das gesamte Verhalten. Diese Tiere unterschieden sich so sehr voneinander wie verschiedene Arten intelligenter Meeressäuger, beispielsweise Tümmler und Wale.

Wenn es um solche Unterscheidungen ging, war das menschliche Auge jedem denkbaren ComputerProgramm haushoch überlegen. Trotzdem schien Elliot sich hier nicht auf seine Augen verlassen zu wollen. Was um alle Welt ging in seinem Kopf vor? »Ich will's gern versuchen«, sagte Seamans, »aber es kostet Zeit. Man kann so ein Programm nicht einfach huschhusch über Nacht schreiben.«

»Aber ich brauche es über Nacht, Tom«, sagte Elliot. »In vierundzwanzig Stunden rufe ich dich wieder an.«

3. Im Sarg

In einer Ecke der Wohneinheit an Bord der Boing 747 befand sich eine schalltote Glasfaserkabine, die sich mit einer Art Tür verschließen ließ und einen Kleincomputer mit einem Anzeigeschirm enthielt, der nach dem Prinzip der Kathodenstrahlröhre arbeitete. Die Kabine hieß wegen ihrer drangvollen Enge im Jargon »der Sarg«. Auf halbem Weg zu ihrem Ziel begab Karen Ross sich in den »Sarg«. Sie warf noch einen Blick auf Elliot und Amy - beide schliefen laut schnarchend - sowie Jensen und Irving, die auf der Computer-Konsole »Schiffeversenken« spielten, dann zog sie die Tür hinter sich zu.

Sie war müde, aber sie vermutete, daß sie in den beiden kommenden Wochen nur wenig schlafen würde - auf diesen Zeitraum veranschlagte sie die Dauer der Expedition. Nach Ablauf der nächsten vierzehn Tage - dreihundertsechsunddreißig Stunden -würde die Gruppe um Karen Ross entweder das Konsortium der Europäer und Japaner geschlagen haben oder es würde klar sein, daß auch sie ihre Aufgabe nicht erfüllt hatten. Dann waren die Abbaurechte an den Mineralien der Zaire-Virunga-Region auf immer verloren.

Das Rennen lief bereits, und Karen Ross hatte nicht die Absicht, es zu verlieren.

Sie gab die Koordinaten für Houston ein, einschließlich ihrer eigenen Senderkennung, und wartete, bis der Verwürfler fest eingeschaltet war. Von jetzt an gingen Sendeimpulse von beiden Seiten mit einer Signalverzögerung von fünf Sekunden ab, weil sowohl sie als auch Houston verschlüsselt senden würden, um Mithörern das Leben zu erschweren. Auf dem Anzeigeschirm glomm das Wort TRAVIS auf. Sie tastete ein: Ross. Dann nahm sie den Telefonhörer ab.

»Es ist zum Mäusemelken«, sagte Travis. Allerdings war es nicht seine Stimme, sondern ein vom Computer erzeugtes ausdrucksloses Sprachsignal.

»Worum geht es denn?« erkundigte sich Karen Ross. »Das Konsortium ist am Ball«, sagte die Kunststimme. »Einzelheiten«, sagte Karen Ross und wartete die fünf Sekunden Zeitverzug ab. Sie konnte sich Travis im Steuerzentrum in Houston vorstellen, wie er ihre Computer-Stimme hörte. Durch diese Stimmwiedergabe war man gezwungen, sein Sprechverhalten zu ändern; Alles, was normalerweise durch Betonung und Satzmelodie vermittelt wird, mußte mit Hilfe der Wortwahl und Syntax ausgedrückt werden, der Computer gab nichts weiter als die genaue Wortbedeutung.

»Die wissen, daß Sie unterwegs sind«, sagte die Stimme, »und sind dabei, ihren eigenen Zeitplan zu beschleunigen. Dahinter stecken die Deutschen - Ihr Freund Richter. Nur noch ein paar Minuten, und ich gebe dem Affen Zucker, das ist die erfreuliche Nachricht.«

»Und die weniger erfreuliche?«

»In den letzten zehn Stunden war im Kongo die Hölle los«, sagte Travis. »Wir haben eine scheußliche GPN.« »Ausdrucken«, sagte sie.

Auf dem Bildschirm sah sie die Wörter GEOPOLITISCHE NEUENTWICKLUNG, und ihnen folgte ein dichtgedrängter Absatz. Darin hieß es:

QUELLE BOTSCHAFT ZAIRE IN

WASHINGTON: OST-GRENZE NACH RUANDA GESCHLOSSEN / KEINE ERKLAERUNG / ANGEBLICH FLIEHEN SOLDATEN IDI AMINS VOR DER INVASION UGANDAS DURCH TANSANIA NACH OST-ZAIRE UND

VERURSACHEN STOERUN-GEN /

TATSACHEN SEHEN ANDERS AUS / OERTLICHE STAEMME {KIGANI} AUF

KRIEGSPFAD / ANGEBLICH

AUSSCHREITUNGEN MIT KANNIBALISMUS USW. / WALDPYGMAEEN UNZUVERLAESSIG / TOBTEN ALLE FREMDEN IM KONGOREGENWALD / REGIERUNG ZAIRE

HAT GENERAL MUGURU {"SCHLAECHTER VON STANLEY-VILLE"} BEAUFTRAGT, KIGANI-AUF STAND "UM JEDEN PREIS" ZU UNTERDRUECKEN / LAGE AEU88ER8T UNSICHER / EINZIGER OFFIZIELLER ZUGANG NACH ZAIRE GEGENWAERTIG VON WESTEN HER DURCH KINSHASA / SIE MUES SEN SELBST ENTSCHEIDEN /

ANHEUERN WEIS-SEN FUEHRER MUNRO JETZT UNABDINGBAR / KOSTEN UNERHEBLICH / WICHTIG IHN VOM KONSORTIUM FERN- -HALTEN / ZAHLEN ALLES / IHRE SITUATION AEUSSER8T GEFAEHRLICH / BRAUCHEN MUNRO ZUM UEBERLEBEN /

Sie sah unverwandt auf den Bildschirm. Es war die schlechteste Nachricht, die sich denken ließ. Dann fragte sie: »Haben Sie einen Zeitplan?«

EURO-JAPANISCHES KONSORTIUM

UMFASST INZWISCHEN MORIKAWA {JAPAN}, GERLICH {DEUTSCHLAND}, VOORSTER {HOLLAND} / HABEN LEIDER MEINUNGSVERSCHIEDENHEITEN BEGRABEN / EIN HERZ UND EINE SEELE / UEBERWACHEN UNS / KOENNEN AB SOFORT KEIN SICHERES SENDEN MEHR GEWAEHRLEI-STEN / PLANEN

ELEKTRONISCHE GEGENMASSNAHMEN UND KRIEGSTAKTIK IN VERFOLGUNG ZIEL ZWO-B / WERDEN {ZUVERLAESSIGE QUELLE} INNERHALB ACHTUNDVIERZIG STUNDEN IM KONGO SEIN / SUCHEN GEGENWAERTIG MUNRO /

»Wann kommen sie in Tanger an?« fragte sie. »In sechs Stunden, und Sie selbst?« »In sieben. Was ist mit Munro?«

»Keine Ahnung«, sagte Travis. »Können Sie dafür sorgen, daß Sie sich ihn angeln?«

»Aber sicher«, sagte Karen Ross. »Ich treffe jetzt die Vorbereitungen. Wenn Munro sich nicht zu unserer Sehweise bequemen kann, verspreche .ich, daß man ihn zweiundsiebzig Stunden lang nicht aus dem Land läßt.«

»Was haben Sie?« wollte Travis wissen.

»Tschechische Maschinenpistolen. Wurden an Ort und Stelle gefunden, mit seinen Fingerabdrücken darauf, sorgfältige Arbeit. Das müßte genügen.«

»Das müßte in der Tat genügen«, stimmte Travis zu. »Und Ihre Passagiere?« Damit meine er Elliot und Amy.

»Denen geht es gut«, sagte Ross. »Die wissen von nichts.«

»Sehen Sie zu, daß es so bleibt«, sagte Travis und legte auf.

4. Fütterungszeit

»Es ist Fütterungszeit«, rief Travis munter. »Wer ist im Moment am Trog?«

»Wir haben fünf Leute, die uns auf der BetaDaten-Leitung angezapft haben«, sagte Rogers. Rogers war der elektronische Überwachungsexperte, der Wanzenfänger. »Kennen wir jemand davon?«

»Alle«, sagte Rogers leicht verärgert. »Die BetaLeitung ist unsere Hauptkreuz-Verbindungsleitung innerhalb des Hauses. Jeder, der unser System anzapfen will, versucht natürlich, sich da aufzuschalten. Weil so mehr für ihn rausspringt. Natürlich benutzen wir Beta überhaupt nicht mehr, außer für unverschlüsselten Alltagskram wie Steuer, Löhne und so weiter.« »Wir müssen den Affen Zucker geben«, sagte Travis. Damit war gemeint, daß man in eine angezapfte Leitung absichtlich falsche Daten eingab. Das erforderte sorgfältige Arbeit. »Hängt das Konsortium mal wieder mit drin?« »Klar. Was sollen sie haben?« »Koordinaten der toten Stadt«, sagte Travis. Rogers nickte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er war ein rundlicher Mann und schwitzte viel. »Wie gut sollen sie sein?«

»Erstklassig«, sagte Travis. »Man kann die Japaner nicht mit atmosphärischen Störungen täuschen.«

»Sie wollen ihnen doch wohl nicht die richtigen Koordinaten zum Fraß vorwerfen?«

»Gott bewahre. Aber sie sollen ziemlich nah dran sein, sagen wir um die zweihundert Kilometer.« »Das geht«, sagte Rogers. »Verschlüsselt?« fragte Travis. »Versteht sich.«

»Haben Sie einen Code, den sie in zwölf bis fünfzehn. Stunden knacken können?«

Rogers nickte. »Wir haben da einen, der ist Klasse. Sieht unheimlich schwierig aus, aber wer sich ernsthaft reinhängt, hat ihn in Null Komma nichts raus. Er hat eine eingebaute Schwachstelle mit einer versteckten Buchstabenfrequenz. Am anderen Ende sieht das so aus, als hätten wir was versiebt, läßt sich aber leicht lösen.«

»Macht ihn bloß nicht zu einfach«, mahnte Travis. »Nein, nein, ihre Yen müssen sie sich schon verdienen. Die kommen nie dahinter, daß wir sie am Trog gemästet haben. Wir haben das schon mit der Army ausprobiert, und die Jungs sind mit breitem Grinsen zurückgekommen und haben uns gezeigt, wo unser Fehler war. Die sind voll drauf eingestiegen und haben gar nicht gemerkt, daß wir sie geleimt hatten.« »In Ordnung«, sagte Travis, »geben Sie die Daten aus und stopfen Sie den Jungs den Rachen. Es muß etwas sein, das sie für die nächsten achtundvierzig Stunden in Sicherheit wiegt, oder länger - bis sie merken, daß wir sie aufs Kreuz gelegt haben.« »Wird mir ein Vergnügen sein«, sagte Rogers und machte sich auf den Weg zum Datenplatz der Beta-Leitung. Travis seufzte. Für die Fütterung war gesorgt, und er hoffte nur, es würde seine Leute draußen so lange decken, daß sie als erste an die Diamanten gelangten.

5. Gefährliche Dauertätigkeit

Ein leises Stimmengewirr weckte ihn. »Wie eindeutig sind die Anzeichen?«

»Ziemlich eindeutig. Schon vor neun Tagen hat es eine FWSB gegeben, es ist aber immer noch nichts herausgekommen.« »Ist das, was wir da sehen, die Wolkendecke?« »Nein, nicht die Wolkendecke, dafür ist es zu schwarz. Das sind vulkanische Auswürfe, ein Zeichen für seine Dauertätigkeit.« »Den Teufel auch.«

Elliot schlug die Augen auf und sah durch die Fenster des Fluggastabteils das Morgengrauen als schmalen roten Strich auf blauschwarzem Hintergrund. Seine Uhr zeigte 5 Uhr 11 - nach San-Francisco-Zeit fünf Uhr morgens, er hatte also erst zwei Stunden geschlafen, nachdem er Seamans angerufen hatte. Er gähnte und sah dann zu Amy hinüber, die sich auf dem Fußboden in ihre Decken gewickelt hatte. Sie schnarchte laut. Die Kojen der anderen waren leer.

Wieder hörte er leise Stimmen und sah zur Computer-Konsole hin. Dort starrten Jensen und Irving auf einen Bildschirm und redeten leise miteinander. »Das ist ein gefährliches Zeichen. Haben wir eine Computer-Projektion dafür?« »Ist in der Mache, dauert noch eine Weile. Ich habe eine Fünf-Jahres-Retrospektive angefordert und gleichzeitig die anderen FWSB.«

Elliot stieg aus seiner Koje und sah auf den Bildschirm. »Was heißt FWSB?« wollte er wissen.

»Frühere Wichtige Satelliten-Beobachtungen«, erklärte Jensen. »Die ziehen wir immer zu Rate, wenn wir schon bis zum Hals in der Tinte sitzen. Wir haben uns gerade das Vulkan-Bild hier angesehen«, sagte Jensen und wies auf den Bildschirm. »Verlockend sieht es gerade nicht aus.« »Was für ein Vulkan-Bild?« fragte Elliot.

Sie zeigten ihm die aufsteigenden Rauchwolken -in den künstlichen, vom Computer erzeugten Farben dunkelgrün - die aus dem Schlot des Muhavura, eines der tätigen Virunga-Vulkane, drangen. »Am Muhavura gibt es durchschnittlich alle drei Jahre eine Eruption«, sagte Irving. »Der letzte Ausbruch war im März 1977, aber es sieht ganz so aus, als würde es in den nächsten ein, zwei Wochen wieder soweit sein. Wir warten jetzt auf die Wahrscheinlichkeitsberechnung.« »Weiß die Ross das auch?«

Sie zuckten die Schultern. »Klar, aber es scheint ihr nichts auszumachen. Sie hat vor etwa zwei Stunden eine Eil-GPN - eine Geopolitische Neuentwicklung - aus Houston bekommen und sich gleich damit in den Frachtraum verzogen. Seitdem haben wir nichts von ihr gesehen.«

Elliot ging in den nur spärlich erleuchteten Frachtraum des Düsenriesen. Er war nicht isoliert, und es war kalt darin. Auf der Metallhaut des Flugzeugs lag Reif, und sein Atem kam in Form kleiner Dampfwölkchen aus dem Mund.

Er fand Karen Ross an einem Tischchen, wo sie trotz der bitteren Kälte im Schein einer Lampe arbeitete. Sie saß mit dem Rücken zu ihm, ließ aber ihre Arbeit liegen, als er sich näherte, und wandte sich ihm zu. »Ich dachte, Sie schliefen«, sagte sie. »Es wurde mir zu unruhig. Was ist los?«-

»Ich prüfe nur die Ausrüstung. Das hier ist unsere fortschrittliche technische Einheit«, sagte sie und hob einen kleinen Rucksack hoch. »Wir haben eine miniaturisierte Ausrüstung für Gruppen im Außeneinsatz entwickelt. Sie wiegt ungefähr neun Kilogramm und enthält alles, was ein Mensch für zwei Wochen braucht: Lebensmittel, Wasser, Kleidung, alles.« »Wasser?« fragte Elliot.

Wasser ist schwer: sieben Zehntel des menschlichen Körpergewichts entfallen auf Wasser, Nahrungsmittel bestehen größtenteils aus Wasser, deshalb ist Trockennahrung so leicht. Wasser ist aber zugleich für das Leben des Menschen weit wichtiger als Nahrung. Ein Mensch kann wochenlang leben, ohne zu essen, aber nach wenigen Tagen ohne Wasser muß er sterben. Karen Ross lächelte. »Die meisten Menschen verbrauchen vier bis sechs Liter Wasser am Tag, das entspricht einem Gewicht von dreieinhalb bis knapp sechs Kilogramm. Bei einer zweiwöchigen Wüstenexpedition müßten wir also für jedes Mitglied gut neunzig Kilogramm Wasser mitschleppen. Das aber brauchen wir nicht, denn wir haben eine Wasseraufbereitungsanlage von der NASA, die alle flüssigen Ausscheidungen, einschließlich des Urins, reinigt und nicht einmal zweihundert Gramm wiegt. Das ist unser Trick.«

Als sie seinen Gesichtsausdruck sah, fügte sie hinzu: »So schlecht ist es gar nicht. Unser aufbereitetes Wasser ist sauberer, als wenn es aus der Leitung käme.«

»Ich glaube es Ihnen auch so.« Elliot nahm eine seltsam aussehende Sonnenbrille in die Hand. Die Gläser waren sehr dick und dunkel, und in der Mitte, über dem Nasenbügel, saß ein eigentümliches Objektiv.

»Holographisch, also wellenoptisch wirkende Nachtsichtbrille«, sagte Ross. »Sie arbeitet mit einer Dünnschicht-Brechungsoptik.« Sie zeigte dann auf vibrationsfreie Kameraobjektive mit optischen Systemen, die Bewegungen ausgleichen konnten, auf Infrarot-Stroboskope und winzige ErkundungsLasergeräte, die nicht größer waren als ein Radiergummi. Außerdem lag da eine Reihe kleiner Stative mit schnellaufenden Motoren und Halterungen, an denen man offenbar etwas befestigen konnte. Sie erklärte aber lediglich, es handle sich dabei um »Verteidigungseinrichtungen«.

Elliot schlenderte zum gegenüberliegenden Tisch und fand dort unter der Lampe sechs Maschinenpistolen. Er nahm eine auf, sie war eingefettet und wog schwer in seiner Hand. In der Nähe lagen Magazine mit Munition. Die Kennzeichnung auf dem Schaft sah er nicht - es waren russische AK-47, eine tschechoslowakische Lizenzfertigung.

»Reine Vorsichtsmaßnahme«, sagte Ross. »Die haben wir bei allen Expeditionen dabei. Hat nichts weiter zu bedeuten.« Elliot schüttelte den Kopf. »Was ist mit der GPN aus Houston?« fragte er.

»Darüber zerbreche ich mir nicht den Kopf«, sagte sie. »Ich schon«, sagte Elliot.

So wie Karen Ross ihm die Dinge darstellte, handelte es sich bei der GPN lediglich um einen technischen Bericht. Die Regierung von Zaire hatte in den letzten vierundzwanzig Stunden ihre Ostgrenze geschlossen, so daß niemand von Ruanda oder Uganda her in das Land gelangen konnte. Wer nach Zaire wollte, mußte jetzt von Westen kommen, also über Kinshasa einreisen. Für die Schließung der Ostgrenze wurde offiziell kein Grund genannt, doch spekulierte man in Washington, daß die Truppen Idi Amins auf der Flucht vor der Invasion Ugandas von Tansania aus beim Überschreiten der Grenze von Zaire »lokale Schwierigkeiten« auslösen könnten. Dieser Begriff umschrieb, auf Zentralafrika bezogen, gewöhnlich Kannibalismus und ähnliche Scheußlichkeiten.

»Glauben Sie das?« erkundigte sich Elliot. »Kannibalismus und andere Scheußlichkeiten?«

»Nein«, sagte Karen Ross. »Erstunken und erlogen. Sicher haben da die Holländer, die Deutschen und die Japaner ihre Hand im Spiel -wahrscheinlich Ihr Freund Morikawa. Das europäisch-japanische Elektronik-Konsortium weiß, daß die ERTS dicht vor der Entdeckung wichtiger Diamantenvorkommen im Virunga-Gebiet steht. Sie wollen uns so viele Knüppel wie möglich zwischen die Beine werfen. Daher haben sie irgendwo, wahrscheinlich in Kinshasa, ihre Beziehungen spielen lassen und dafür gesorgt, daß die Ostgrenze geschlossen wurde. Mehr steckt vermutlich nicht dahinter.«

»Aber warum dann die Maschinenpistolen, wenn keine Gefahr besteht?«

»Eine reine Vorsichtsmaßnahme«, sagte Karen Ross. »Wir werden auf dieser Reise mit ziemlicher Sicherheit keine Maschinenpistolen verwenden, glauben Sie mir. Warum legen Sie sich nicht noch ein bißchen hin? Wir landen bald in Tanger.« »In Tanger?« »Ja. Dort ist Captain Munro.«

6. Munro

Der Name »Captain« Charles Munro stand in keiner der Listen von Expeditionsführern, die gewöhnlich angeheuert wurden. Das hatte verschiedene Gründe. Der wichtigste war sein mehr als schlechter Ruf.

Munro war als unehelicher Sohn eines schottischen Farmers und seiner hübschen indischen Hausbesorgerin in der wilden nördlichen Grenzprovinz Kenias aufgewachsen. Der Vater war 1956 von Mau-Mau-Guerillas getötet worden [ Obwohl bei dem Mau-Mau-Aufstand über neunzehntausend Menschen ums Leben kamen, fanden in sieben Jahren des Terrors nur siebenunddreißig Weiße den Tod. Daher wurden diese Fälle mit Recht eher als Folge widriger Umstände und nicht als Opfer des erwachenden schwarzen Nationalbewußtseins angesehen.]. Bald darauf starb Munros Mutter an Tuberkulose, und Munro machte sich nach Nairobi auf, wo er gegen Ende der fünfziger Jahre Touristengruppen als Jagdführer im Busch diente. In diesen Jahren legte er sich den Titel »Captain« zu, obwohl er nie Soldat gewesen war. Offenkundig aber tat Captain Munro nicht gern immer das, was die Touristen wollten, und so hörte man um 1960, daß er Waffen aus Uganda in den seit neuestem unabhängigen Kongo verschob. Als Moi'se Tschombe 1963 ins Exil ging, wurden Munros Geschäfte zu einer so starken politischen Hypothek, daß er sich schließlich gezwungen sah, gegen Ende des Jahres Ostafrika zu verlassen.

Er tauchte allerdings bereits 1964 wieder auf, diesmal im Kongo, als einer der weißen Söldner General Mobutus, unter dem Kommando des »verrückten« Colonel Mike Hoare. Dieser nannte Munro einen »zähen und gefährlichen Mann, der den Dschungel kennt und eine Menge leistet, wenn man ihn von den Weibern fernhält«. Nach der Einnahme von Stanleyville bei der Operation Roter Drache nannte man Munros Namen in Verbindung mit den Ausschreitungen der Söldner in einem Dorf namens Avakabi. Erneut tauchte er einige Jahre lang unter. 1978 hörte man wieder von ihm. Er lebte in Tanger in Saus und Braus und war wegen seiner »Eigenarten« weit und breit bekannt.

Unklar war, woher seine offensichtlich nicht unbedeutenden Reichtümer stammten, doch hieß es, er habe 1971 sudanesischen Rebellen leichte Waffen aus der DDR verschafft, 1974/75 kaisertreue Äthiopier in ihrer Rebellion unterstützt und den französischen Fallschirmjägern geholfen, die 1978 über der damaligen Provinz Katanga von Zaire absprangen, die jetzt Shaba hieß.

Wegen seiner unterschiedlichen Aktivitäten war Munro im Afrika der siebziger Jahre ein Sonderfall. Obwohl er in einem halben Dutzend afrikanischer Länder offiziell unerwünscht war, reiste er dennoch ungehindert kreuz und quer durch den ganzen Kontinent. Daß er sich dabei verschiedener Pässe bediente, war nur ein dünnes Deckmäntelchen. Jeder Grenzbeamte wußte, wer er war. Doch war ihre Furcht, ihn abzuweisen, ebenso groß wie die, ihn einzulassen.

Ausländische Unternehmen, die sich mit der Suche nach Bodenschätzen und deren Abbau beschäftigten, setzten Munro mit Rücksicht auf die Gefühle der jeweiligen Landesregierungen äußerst ungern als Führer ihrer Expeditionen ein. Hinzu kam, daß er bei weitem der teuerste aller Führer war. Trotzdem stand er in dem Ruf, schwierige, ja unlösbar scheinende Aufgaben bewältigen zu können. So hatte er zum Beispiel 1974 unter falschem Namen zwei deutsche Gruppen, die nach Zinn suchten, nach Kamerun geführt. Er hatte auch schon eine ERTS-Expedition nach Angola geführt, und zwar 1977 auf dem Höhepunkt des bewaffneten Konflikts. Als ein Jahr darauf Houston den von ihm geforderten Preis nicht zahlen wollte, ließ er brüsk eine andere ERTS-Gruppe aufsitzen, die auf dem Weg nach Sambia war, was Houston dazu veranlaßte, die Expedition abzublasen. Kurz, Munro galt als der beste Mann für gefährliche Unternehmungen, und deshalb landete der Jumbo der ERTS in Tanger.

Auf dem Flughafen von Tanger wurde die Frachtmaschine und ihr Inhalt unter Zollverschluß genommen. Aber alle Mitreisenden, mit Ausnahme von Amy, gingen mit ihrem persönlichen Gepäck durch den Zoll. Jensen und Irving wurden beiseite genommen und durchsucht. In ihrem Handgepäck fanden sich winzige Spuren von Heroin.

Dahinter steckte eine Reihe bemerkenswerter Zufälle. 1977 begannen die Zollbehörden der Vereinigten Staaten damit, neben chemischen Geruchs-Aufspürgeräten, »Schnüffler« genannt, auch Geräte einzusetzen, die mit NeutronenRückstreuung arbeiten. Es handelte sich um elektronische Handgeräte, die im Auftrag der Regierung von der Firma Morikawa Electronics in Tokio hergestellt wurden. Als 1978 Zweifel an der Genauigkeit dieser Geräte angemeldet wurden, schlug Morikawa vor, sie an den Kontrollstellen anderer Flughäfen auf der ganzen Welt zu testen. Zu ihnen gehörten Singapur, Bangkok, Neu Delhi, München und eben auch Tanger.

Morikawa also kannte die Leistungsfähigkeit der Überwachungsgeräte am Flughafen Tanger - sowie eine Reihe von Substanzen, die bei den Meßfühlern dieser Geräte fälschlich Alarm auslösten. Zu ihnen gehörten unter anderem gemahlener Mohn und zerkleinerte Steckrüben. Die genaue Untersuchung, ob es sich um falschen Alarm handelte, dauerte achtundvierzig Stunden. Später stellte sich heraus, daß auf ungeklärte Weise Spuren von Steckrüben in Jorisens und Irvings Aktentaschen gelangt waren. Beide bestritten beharrlich, etwas von verbotenen Substanzen zu wissen, und verlangten, das Konsulat der Vereinigten Staaten in Tanger solle hinzugezogen werden. Es würde mit Sicherheit mehrere Tage dauern, bis der Fall gelöst war, daher telefonierte Karen Ross mit Travis in Houston, der die Sache als eine »deutsche Stinkmorchel« einschätzte. Es gab nur die Möglichkeit, die Expedition vorerst ohne die beiden weiterzuführen, so gut es ging. »Wenn die meinen, daß sie uns damit aufhalten können«, sagte Travis, »haben sie sich verrechnet.«

»Wer soll denn die Geologenarbeit machen?« fragte Karen Ross. »Sie«, sagte Travis. »Und die Elektronik?«

»Auf dem Gebiet haben Sie Ihre Begabung hinlänglich bewiesen«, sagte Travis. »Sehen Sie nur zu, daß Sie Munro bekommen, dann läuft alles, wie es laufen soll.«

Bei Einbruch der Abenddämmerung ertönte der Ruf des Muezzin über dem pastellfarbenen Häusergewirr der Kasbah von Tanger und rief die Gläubigen zum Gebet. Früher war der Muezzin selbst auf dem Minarett der Moschee erschienen, heutzutage besorgte das eine Schallplatte, die über Lautsprecher abgespielt wurde: ein mechanisierter Ruf zur Befolgung des islamischen Gehorsamsrituals.

Karen Ross saß auf der Terrasse von Captain Munros Haus, von der aus man die Kasbah übersehen konnte, und wartete auf ihre Audienz bei dem Gewaltigen. Neben ihr saß Peter Elliot: erschöpft von den Strapazen des langen Flugs, schnarchte er aus vollem Hals.

Sie warteten nun schon seit beinahe drei Stunden, und das beunruhigte sie. Munros Haus war im maurischen Stil gebaut und nach außen hin offen. Aus dem Innern trug der Abendwind den Klang von Stimmen zu ihr herüber. Sie hörte, daß sie eine fernöstliche Sprache sprachen.

Eine der anmutigen marokkanischen Dienerinnen, von denen Munro über eine unbegrenzte Anzahl zu verfügen schien, brachte ein Telefon auf die Terrasse und verbeugte sich tief. Karen Ross sah, daß das Mädchen violette Augen hatte und von hinreißender Schönheit war, höchstens sechzehn Jahre alt. In einem Englisch, bei dem sie vorsichtig Wort an Wort fügte, sagte das Mädchen: »Das ist Ihre Telefonverbindung nach Houston. Jetzt beginnt das Bieten.«

Karen stieß Peter an, der erwachte und schlaftrunken um sich sah. »Das Feilschen geht los«, sagte sie.

Peter Elliot war, seit er Captain Munros Haus betreten hatte, von allem, was er sah, überrascht. Er hatte sich einen kargen militärischen Rahmen vorgestellt und war erstaunt über geschwungene marokkanische Bogen und leise plätschernde Brunnen, auf deren tanzenden Wasserstrahlen das Sonnenlicht flirrte. Dann sah er die Deutschen und die Japaner, die Karen Ross und ihn vom Nebenraum her mit aufmerksamen und erkennbar unfreundlichen Blicken musterten. Plötzlich erhob sich Karen Ross mit einem Wort der Entschuldigung, ging nach nebenan und umarmte voller Herzlichkeit einen jungen blonden Deutschen. Sie tauschten Begrüßungsküsse, plauderten fröhlich miteinander und schienen ein Herz und eine Seele.

Peter Elliot behagte das nicht, und es beruhigte ihn zu sehen, daß die Japaner - alle in gleich aussehenden schwarzen Anzügen - ebensowenig davon zu halten schienen wie er. Als er das bemerkte," lächelte Elliot ihnen freundlich zu, als wollte er auf diese Art seine Billigung der Begegnung zum Ausdruck bringen. Als Karen Ross zurückkam, fragte er sie: »Wer war das?« »Richter«, sagte sie. »Der glänzendste Topologe in Westeuropa. Er beschäftigt sich mit der Extrapolation in Räumen n-ter Ordnung. Seine Arbeit ist ungewöhnlich elegant.« Sie lächelte. »Fast so elegant wie meine.« »Aber er arbeitet für das Konsortium?« »Natürlich, als Deutscher.« »Trotzdem reden Sie mit ihm?«

»Ich bin glücklich über die Gelegenheit«, sagte sie. »Schade, Karls Fähigkeiten sind in einer bestimmten Weise begrenzt. Er kann nur mit bereits existierenden Daten arbeiten. Mit ihnen schlägt er dann im n-ten Raum Purzelbäume. Aber er kann sich nichts Neues ausdenken. Ich hatte einen Professor am M. I. T, der genauso war. Ein Sklave der Tatsachen, ein Knecht der Wirklichkeit.« Sie schüttelte bedauernd den Kopf. »Hat er nach Amy gefragt?« »Natürlich.«

»Und was haben Sie ihm gesagt?«

»Daß sie todkrank ist und es wohl nicht mehr lange macht.« »Hat er es geglaubt?« »Das wird sich zeigen. Da kommt Munro.« Captain Munro erschien im Nebenraum, groß, kräftig und robust. Er trug ein Khakihemd, Khaki shorts und rauchte eine Zigarre. Außer seinem gewaltigen Schnurrbart fielen in seinem Gesicht die dunklen, sanften, aber aufmerksamen Augen auf, denen nichts entging. Er sprach mit den Japanern und den Deutschen, denen offensichtlich nicht gefiel, was er ihnen zu sagen hatte. Augenblicke später kam er zu ihnen herein und lächelte breit.

»Sie wollen also in den Kongo, Dr. Ross?« »So ist es, Captain Munro«, sagte sie.

Munro lächelte. »Man könnte glauben, alle Welt will dorthin.« Dann folgte eine rasche Unterhaltung, von der Elliot nichts verstand. Karen Ross sagte: »Fünfzigtausend US-Dollar in Schweizer Franken und Nullkommazwo vom bereinigten Ertrag des ersten Jahres.«

Munro schüttelte den Kopf. »Hunderttausend US-Dollar in Schweizer Franken und Nullsechs vom Ertrag des ersten Jahres auf alles, was gefunden wird, im Rohzustand und ohne Abzüge.« »Hundert in US-Dollar und Nulleins vom Ertrag im ersten Jahr auf alles, was gefunden wird, nach vollständigem Abzug aller Kosten ab Abbaustelle.«

»Ich höre immer Abbaustelle. Mitten im Kongo? Wenn's vom Fundort aus geht, brauche ich drei Jahre. Und was ist, wenn Sie mal dichtmachen?«

»Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Mobutu ist schlau.« »Mobutu hat die ganze Sache kaum unter Kontrolle, und ich bin nur noch am Leben, weil ich möglichst wenig riskiere«, sagte Munro. »Hundert und Nullvier des ersten Jahres auf den Rohertrag oder Nullzwo von dem, was Ihnen bleibt.« »Wenn Sie nichts riskieren wollen, gebe ich Ihnen zweihundert, damit ist dann alles abgegolten.«

Munro schüttelte den Kopf. »Da haben Sie ja schon für Ihre Mutungsrechte in Kinshasa mehr bezahlt.« »In Kinshasa sind alle Preise maßlos aufgebläht, auch die für Mutungsrechte. Der gegenwärtige vom Computer bewertete Grenzwert dafür liegt deutlich unter tausend.« »Wenn Sie das sagen.« Munro lächelte und ging wieder in den anderen Raum, wo die Japaner und die Deutschen auf seine Rückkehr warteten.

Karen Ross sagte rasch: »Das brauchen die nicht zu wissen.« »Ich bin sicher, sie wissen es bereits«, sagte Munro und ging in den Raum hinein.

»Mistkerl«, flüsterte sie hinter ihm her. Sie sprach leise ins Telefon. »Damit gibt er sich nie zufrieden ... nein, nein, das macht er nicht ... sie wollen ihn unbe...« Elliot sagte: »Sie bieten aber ziemlich hoch für seine Dienste.« »Er ist Spitze«, sagte Karen Ross und flüsterte dann weiter ins Telefon. Im Nebenraum schüttelte Munro bedauernd den Kopf und lehnte offenbar gerade ein Angebot ab. Elliot bemerkte, daß Richter ein sehr rotes Gesicht hatte.

Munro kam wieder zu Karen Ross zurück. »Wie war noch einmal Ihre vorläufige ComputerBewertung?« »Unter tausend.«

»Das sagen Sie! Dabei wissen Sie genau, daß es jede Menge abbauwürdige Mineralien gibt.« »Davon ist mir nichts bekannt.«

»Dann wäre es aber ziemlich töricht, soviel Geld auszugeben, nur um zum Kongo zu gelangen«, sagte Munro. »Stimmt doch, oder?«

Karen Ross gab darauf keine Antwort. Sie hielt den Blick auf die kunstvoll verzierte Decke des Raums gerichtet. »Der Weg nach Virunga ist zur Zeit nicht gerade ein Sonntagsspaziergang«, fuhr Munro fort. »Die Kigani sind auf dem Kriegspfad, und immerhin sind sie Kannibalen. Auch die Pygmäen sind dem weißen Mann nicht mehr sehr freundlich gesonnen; Sie können also leicht einen Giftpfeil in den Rücken bekommen. Vulkane können jederzeit ausbrechen. Dann gibt es noch die Tsetsefliege, verseuchtes Wasser, korrupte Beamte -wer all das auf sich nimmt, hat doch sicher seine Gründe, hm? Vielleicht sollten Sie Ihre Reise aufschieben, bis sich alles wieder etwas beruhigt hat.« Genau das dachte auch Peter Elliot, und er sagte es. »Kluger Mann«, sagte Munro mit einem breiten Lächeln, das Karen Ross ärgerte.

»Es scheint«, sagte Karen Ross, »daß wir uns nicht einigen können.«

»So ist es«, sagte Munro und nickte bestätigend. Elliot hielt die Verhandlungen für beendet, erhob sich und wollte Munro die Hand schütteln und sich verabschieden. Doch bevor er seine Absicht verwirklichen konnte, war Munro in den Nebenraum gegangen und verhandelte dort mit den Japanern und Deutschen weiter.

»Es sieht jetzt besser für uns aus«, sagte Karen Ross. »Wieso?« fragte Elliot. »Weil er meint, er hat Sie kleingekriegt?« »Nein, weil er denkt, wir wissen mehr als die anderen über die genaue Lage des voraussichtlichen Fundorts. Damit ist es für ihn wahrscheinlicher, daß wir ein abbauwürdiges Vorkommen finden und ihn bezahlen können.«

Unvermittelt erhoben sich nebenan die Deutschen und die Japaner und gingen auf die Tür zu, wo Munro sich tief vor den Japanern verbeugte und den Deutschen die Hand schüttelte. »Ich glaube, Sie haben recht«, sagte Elliot zu Karen Ross. »Er schickt sie weg.«

Aber Karen Ross runzelte mit finsterem Gesicht die Brauen. »Das können sie nicht tun«, sagte sie. »Das geht doch nicht. Die können doch nicht einfach so mir nichts, dir nichts hier verschwinden.«

Wieder war Elliot verwirrt. »Ich dachte, das wollten Sie so haben?«

»Hol's der Henker«, sagte Ross. »Man hat .uns reingelegt.« Sie flüsterte ins Telefon, das sie mit Houston verband. Elliot verstand gar nichts mehr. Seine Verwirrung wurde auch dadurch nicht geringer, daß Munro, nachdem die Tür hinter dem letzten seiner Besucher geschlossen war, wieder zu seinen amerikanischen Gästen zurückkehrte und ihnen mitteilte, es sei zum Abendessen gedeckt.

Sie aßen marokkanisch, saßen dabei auf dem Boden und bedienten sich ihrer Finger. Der erste Gang war Taubenpastete. Es folgte eine Art Eintopf.

»Sie haben die Japaner abschlägig beschieden?« wollte Karen Ross wissen.

»Nein, nein«, sagte Munro. »Das wäre unhöflich. Ich habe ihnen gesagt, ich würde mir die Sache durch den Kopf gehen lassen, und das tue ich.«

»Warum sind sie dann gegangen?«

Munro zuckte die Schultern. »Damit habe ich nichts zu tun, das dürfen Sie mir glauben. Wahrscheinlich haben sie am Telefon etwas gehört, was ihren ganzen Plan umgestoßen hat.« Karen Ross warf einen Blick auf die Uhr und merkte sich die Zeit. »Sehr guter Eintopf«, lobte sie. Sie bemühte sich, so freundlich wie möglich zu sein.

»Ich freue mich, daß es Ihnen schmeckt. Es ist Tajin, Kamelfleisch.«

Karen Ross hustete. Peter Elliot merkte, daß sein Appetit durch diese Bemerkung empfindlich gelitten hatte. Munro wandte sich ihm zu. »Sie sind also der Mann mit dem Gorilla, Professor Elliot?«

»Woher wissen Sie das?«

»Von den Japanern. Die sind von Ihrem Gorilla geradezu hingerissen. Sie können sich nicht vorstellen, was dahintersteckt, und das macht sie verrückt. Ein junger Mann mit einem Gorilla und eine junge Frau auf der Suche nach ...« »Industriediamanten«, sagte Karen Ross.

»Aha, Industriediamanten.« Er wandte sich an Elliot. »Ich schätze es, wenn man frei und offen über die Dinge spricht. Diamanten, faszinierend.« Die Art, wie er sich gab, erweckte den Eindruck, als habe man ihm nichts Besonderes mitgeteilt. Karen Ross sagte: »Sie müssen uns hinbringen, Munro.« »Auf der Welt gibt's haufenweise Industriediamanten«, sagte Munro. »Beinahe überall: in Afrika, Indien, der Sowjetunion, in Brasilien, Kanada und sogar bei Ihnen in Amerika -Arkansas, im Staat New York, in Kentucky. Wo man sie sucht, da findet man welche - und Sie müssen unbedingt in den Kongo.« Die unausgesprochene Frage hing spürbar im Raum. »Wir suchen bordotierte blaue Diamanten vom Typ IIb«, sagte Karen Ross, »die haben nämlich für mikroelektronische Zwecke wichtige Halbleitereigenschaften.«

Munro strich sich den Schnurrbart. »Blaue Diamanten«, sagte er und nickte. »Das ist natürlich etwas ganz anderes.« Karen Ross sagte, selbstverständlich sei das etwas ganz anderes.

»Und man kann diese Verunreinigung nicht künstlich hervorrufen?« wollte Munro wissen.

»Nein, es ist versucht worden. Man hat ein industrielles Verfahren dazu entwickelt, aber es lieferte keine zuverlässigen Ergebnisse. Es gab ein solches Verfahren in Amerika, auch in Japan. Alle Beteiligten haben den Versuch als aussichtslos aufgegeben.« »Und deswegen müssen Sie natürliche Vorkommen finden.« »So ist es. Ich möchte so schnell wie möglich dahin«, sagte Karen Ross mit möglichst ausdrucksloser Stimme und sah ihn fest an. »Das glaube ich Ihnen gern«, sagte Munro. »Unserer Frau Doktor geht nichts über das Geschäft, wie?« Er durchquerte den Raum, lehnte sich an einen der Bogen des Mauerwerks und sah hinaus auf die Stadt Tanger unter dem dunklen Nachthimmel. »Das überrascht mich nicht«, sagte er. »Eigentlich -« Beim ersten Feuerstoß, der offensichtlich aus einer Maschinenpistole kam, ging Munro sofort in Deckung. Die Gläser auf dem Tisch zerbarsten, eines der Mädchen schrie, und Elliot und Karen Ross warfen sich auf den Marmorfußboden, während die Kugeln um sie herum pfiffen, Löcher in den Putz der Wände rissen und Staub auf sie herabrieseln ließen. Das Feuer dauerte etwa eine halbe Minute. Dann folgte absolute Stille, Als es vorbei war, standen sie zögernd auf und sahen einander an. »Das Konsortium spielt hoch«, grinste Munro. »Solche Leute liebe ich.«

Ross wischte sich den Staub von den Kleidern. Sie wandte sich Munro zu. »Fünfkommazwo auf die ersten zweihundert, ohne Abzüge, in Schweizer Franken, bereinigt.« »Fünfkommasieben, und ich bin Ihr Mann.« »Nun schön, Fünfkommasieben.«

Munro schüttelte ihnen zur Bekräftigung des Handels die Hand und erklärte dann, daß er ein paar Minuten brauchen werde, um zu packen, bevor er nach Nairobi aufbrechen könne. »Einfach so?« fragte Karen Ross. Sie schien plötzlich beunruhigt und sah wieder auf ihre Uhr. »Was haben Sie auf der Seele?« fragte Munro. »Tschechische AK-47«, sagte sie, »in Ihrem Lagerhaus.«

Munro zeigte sich von dieser Mitteilung nicht überrascht. »Die holen wir besser raus«, sagte er, »zweifellos hat das Konsortium etwas Ähnliches auf der Pfanne, und wir müssen in den nächsten Stunden eine Menge Arbeit hinter uns bringen.« Noch während er sprach, hörten sie die Polizeisirene in der Ferne. Munro ordnete an: »Wir nehmen die Hintertreppe.« Eine Stunde später waren sie in der Luft, auf dem Weg nach Nairobi.

Загрузка...