13. Tag Muhavura 25. Juni 1979

1. Diamanten

Am Morgen bedeckte eine feine Schicht schwarzer Asche den Lagerplatz, und in der Ferne stieß der Muhavura riesige Mengen schwarzen Rauchs aus. Amy zupfte Elliot am Ärmel und machte ihm Zeichen. Jetzt gehen, insistierte sie.

»Nein, Amy«, sagte er.

Niemand wollte fortgehen, auch Elliot nicht. Beim Aufstehen ertappte er sich dabei, daß er an die zusätzlichen Daten dachte, die er noch brauchte, bevor er Zhij verließ. Er wollte sich nun nicht mehr mit einem Skelett eines dieser Geschöpfe begnügen, deren Einzigartigkeit sich, wie beim Menschen, nicht nur auf die Einzelheiten des Körperbaus erstreckte, sondern auch in ihrem Verhalten lag. Er wollte Videobänder von den grauen Affen aufzeichnen und noch weitere ihrer Lautäußerungen. Karen Ross war entschlossener denn je, die Diamanten zu finden, und Munro stand ihr darin nicht nach. Jetzt gehen.

»Warum jetzt gehen?« fragte er sie. Erde böse. Jetzt gehen.

Elliot hatte keine Erfahrungen mit Vulkantätigkeit, und was er hier sah, machte ihm keinen Eindruck. Zwar war der Vulkan aktiver als an den vorangegangenen Tagen, doch hatte er schon seit ihrer Ankunft im Virunga-Gebiet Rauch und Gas ausgestoßen.

Er fragte Munro: »Besteht irgendwelche Gefahr?« Munro zuckte mit den Schultern. »Kahega glaubt das, aber wahrscheinlich sucht er nach einer Ausrede, um nach Hause zurückkehren zu können.«

Amy lief zu Munro hinüber, hob die Arme und schlug die Hände vor ihm auf den Boden.

Munro erkannte, daß sie spielen wollte, er lachte und begann Amy zu kraulen. Sie machte ihm Zeichen. »Was sagt sie?« fragte Munro. »Was sagst du da, du kleiner Teufel?«

Amy knurrte vor Vergnügen und machte weiterhin Zeichen. »Sie sagt, daß wir jetzt gehen sollen«, übersetzte Elliot. Munro hörte auf, sie zu kraulen. »Tatsächlich?« fragte er unvermittelt. »Was sagt sie genau!«

Elliot war von Munros plötzlichem Ernst überrascht, während Amy sein Interesse an ihren Mitteilungen als absolut angemessen betrachtete.

Wieder machte sie Zeichen, diesmal langsamer, damit Munro sie verstehen konnte, und sah ihn dabei aufmerksam an. »Sie sagt, die Erde ist böse.«

»Hmmm«, sagte Munro. »Interessant.« Er warf Amy einen Blick zu und sah dann auf seine Uhr.

Amy machte weiter Nasen-Haar Mann Amy zuhören jetzt gehen.

»Sie sagt, Sie sollen auf sie hören und jetzt gehen«, sagte Elliot. Munro zuckte mit den Schultern. »Sagen Sie ihr, daß ich sie verstehe.«

Elliot übersetzte es ihr.

Amy machte ein unglückliches Gesicht und machte keine Zeichen mehr.

»Wo ist Karen?« fragte Munro. »Hier«, sagte Karen Ross.

»Wir wollen zusehen, daß wir es hinter uns bringen«, sagte Munro. Dann machten sie sich auf den Weg zur toten Stadt. Zu ihrer Überraschung bedeutete Amy ihnen, daß sie mit ihnen kommen wollte, und beeilte sich, um sie einzuholen.

Es war ihr letzter Tag in der Stadt, und alle Teilnehmer der Kongo-Expedition beschrieben eine ähnliche Reaktion: Nachdem sie ihnen zuvor so geheimnisvoll erschienen war, hatte sie jetzt alle Rätselhaftigkeit verloren. An diesem Vormittag sahen sie die Stadt als das, was sie war: ein Trümmerhaufen aus verfallenden Bauwerken in einem heißen, unangenehm riechenden und auch sonst unangenehmen Urwald.

Sie alle 'fanden die Sache ermüdend, außer Munro. Munro machte sich Sorgen.

Elliot war gelangweilt. Er erging sich über sprachliche Äußerungen von Gorillas und darüber, warum er Bandaufnahmen haben wollte und ob es möglich sein würde, das Gehirn eines der Tiere zu konservieren, um es mit nach Hause zu nehmen. Es gebe da, sagte er, einen Meinungsstreit unter den Wissenschaftlern über den Ursprung der Sprache. Zuerst hatte man angenommen, sie sei eine Weiterentwicklung tierischer Schreie. Inzwischen wußte man, daß das Bellen und Schreien der Tiere vom limbischen System des Gehirns gesteuert wurde und daß wirkliche Sprache von einem anderen Teil des Gehirns ausging, das als das Brocazentrum oder motorisches Sprachzentrum bezeichnet wird. Munro hörte ihm nicht zu. Er widmete alle seine Aufmerksamkeit dem fernen Grollen. Munro hatte unmittelbare Erfahrungen mit Vulkanen. Er war 1968 im Kongo gewesen, in der Zeit also, da der Nyamulagira, auch einer der Virunga-Vulkane, ausgebrochen war. Als er am Vortag die scharfen Detonationsgeräusche gehört hatte, war ihm gleich klargewesen, daß es sich dabei um Brontiden, die unerklärten Vorboten vulkanischer Erdbeben, handelte. Er rechnete mit einem nahe bevorstehenden Ausbruch des feuerspeienden Bergs, und als er in der Nacht den zitternden Laserstrahl sah, hatte er gewußt, daß der Vulkan in einer tätigen Phase war, die seine oberen Hänge erbeben ließ.

Munro wußte, daß Vulkane unberechenbar waren. Als Beweis dafür konnte die verfallene Stadt hier am Fuß eines tätigen Vulkans gelten, die noch nach über fünfhundert Jahren unberührt dalag. An den Berghängen über ihr gab es Lavafelder neueren Datums, und einige Kilometer weiter im Süden ebenfalls, die Stadt selbst aber war stets verschont geblieben. An sich war das nicht weiter bemerkenswert - der Vulkan war so angelegt, daß die meisten Ausbrüche über die sanfter geneigten Südhänge gingen. Doch es bedeutete nicht, daß sie jetzt weniger gefährdet gewesen wären. Gerade die Unberechenbarkeit von Vulkanausbrüchen brachte es mit sich, daß sie in wenigen Minuten lebensbedrohend werden konnten. Die Gefahr drohte nicht so sehr von der Lava, die selten rascher floß als ein Mensch gehen konnte -" es würde Stunden dauern, bis Lava vom Muhavura sie hier erreichte. Die wirkliche Gefahr bei Vulkanausbrüchen ging von Ascheregen und Gaswolken aus.

So wie bei Feuersbrünsten die meisten Opfer an Rauchvergiftung starben, waren bei Vulkanausbrüchen die meisten Todesfälle auf Ersticken durch Staub und Kohlenmonoxid zurückzuführen. Vulkangase sind schwerer als Luft, und über die tote Stadt Zinj, die in einem Tal lag, konnte sich in Minutenschnelle eine schwere Schicht aus giftigem Gas legen, falls der Muhavura eine größere Menge Gas ausstoßen sollte.

Die Frage lautete also, wie bald mit einer größeren Eruption zu rechnen war. Daher lag Munro so sehr an Amys Reaktion: es war wohlbekannt, daß Primaten geologische Ereignisse wie Erdbeben und Vulkanausbrüche vorausahnten. Munro war überrascht, daß Elliot, der sich jetzt darüber erging, wie man Gorillagehirne tiefgefrieren könnte, nichts davon zu wissen schien. Noch mehr überraschte ihn, daß Karen Ross mit ihrem gründlichen geologischen Wissen den Ascheregen des Vormittags nicht als Ankündigung eines größeren Vulkanausbruchs betrachtete.

Doch Karen Ross wußte, daß ein größerer Ausbruch bevorstand. Sie hatte am Vormittag aus reiner Gewohnheit versucht, mit Houston Kontakt herzustellen, und zu ihrer Überraschung war die Verbindung sofort gelungen. Nachdem die Werte für den Verschlüssler eingegeben waren, tippte sie eine Meldung, die den neuesten Stand der Dinge beschrieb, doch die Schrift verschwand vom Bildschirm,, und es erschienen darauf die Worte: 1GRIF HUSTN AUF MFANG GEN.

Es war ein Notsignal, sie hatte es nie zuvor bei einer Expedition gesehen. Sie löschte die Speicher und drückte auf den Sendeknopf. Nach einer kurzen Pause erschien auf dem Bildschirm die Information:

COMPUTE SAGT GROESRN AUSBRCH MUHVURA VORHER AUFBRCH SOFRT GRÖSSTE GFAR FUER EXPEDN ICH WIDERHOL AUFBRCH SOFRT.

Karen Ross warf einen Blick über das Lager. Kahega war mit der Zubereitung des Frühstücks beschäftigt. Amy hockte am Feuer und verzehrte eine geschmorte Banane (sie hatte Kahega dazu gebracht, ihr besondere Leckereien zuzubereiten), Munro und Elliot tranken Kaffee. Wenn man von dem schwarzen Ascheregen absah, war es ein völlig normaler Lagervormittag. Sie wandte sich wieder dem Bildschirm zu.

SAGT GROESRN AUSBRCH MUHVURA VORHER AUFBRCH SORFT.

Karen Ross sah zu dem rauchenden Kegel des Muhavura hinauf. Zum Teufel dachte sie. Sie wollte die Diamanten finden, und sie war zu weit gegangen, um jetzt aufzugeben. Auf dem Bildschirm leuchtete die Aufforderung auf: BITE ANTWRTSIGNL. Kurz entschlossen schaltete sie das Gerät ab.

Im weiteren Verlauf des Vormittags spürten sie alle mehrere heftige Erdstöße, bei denen jeweils Staubwolken von den zerfallenden Gebäuden aufstiegen. Das Grammeln war immer häufiger zu hören. Karen Ross achtete nicht darauf. »Es heißt nichts anderes, als daß hier Elefantenland ist«, sagte sie. Die Geologen pflegten zu sagen: »Wer Elefanten sucht, muß ins Elefantenland gehen.« Mit Elefantenland war eine Stelle gemeint, an der man höchstwahrscheinlich die Mineralien finden würde, die man suchte. »Und wer Diamanten sucht«, sagte Karen Ross mit einem Achselzucken, »muß sich in vulkanisches Gebiet vorwagen.«

Der Zusammenhang zwischen Diamanten und Vulkanen war seit über einem Jahrhundert bekannt, aber noch nicht wirklich erforscht. Die meisten Theorien besagten, daß Diamanten, Kristalle aus reinem Kohlenstoff, unter der Einwirkung ungeheurer Hitzegrade und riesigen Drucks in der oberen Erdschicht entstanden, rund tausendsechshundert Kilometer unter der Erdoberfläche. In dieser Tiefe sind sie unzugänglich, in Vulkangebieten hingegen fördern Ströme flüssigen Magmas sie an die-Erdoberfläche.

Das bedeutete nicht, daß man einfach zu tätigen Vulkanen hingehen und ausgespiene Diamanten aufsammeln konnte. Die meisten Diamantenfelder fanden sich in der Nähe erloschener Vulkane, in fossilierten Stümpfen, Eruptionsschloten, die nach den geologischen Formationen bei Kimberley in Südafrika als Kim-berlit-Schlote bezeichnet wurden. Im Virunga-Gebiet, das in der Nähe des geologisch instabilen Zentralafrikanischen Grabens lag, gab es Hinweise auf mehr als fünfzig Millionen Jahre ständiger Vulkantätigkeit. Sie suchten jetzt nach eben den erloschenen Vulkanen, die den früheren Bewohnern von Zinj bekannt gewesen waren.

Kurz vor Mittag fanden sie sie, in halber Höhe auf den Hügeln östlich der Stadt - eine Reihe von Stollen, die sich in die Hänge des Muhavura hineinzogen.

Elliot war enttäuscht. »Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, erklärte er später, »aber es war einfach nur ein dunkelgelber Stollen, der in die Erde getrieben war und aus dem hier und da kleine, stumpfe Steinstückchen hervorstanden. Ich konnte überhaupt nicht verstehen, warum Karen Ross so aufgeregt war.« Die kleinen braunen Steinstückchen waren Diamanten. Wenn man sie säuberte, hatten sie die Durchsichtigkeit schmutzigen Glases. »Alle dachten, ich sei verrückt geworden«, sagte Karen Ross, »weil ich plötzlich einen Freudentanz vollführte. Aber sie wußten nicht, was sie da vor sich sahen.«

In einem gewöhnlichen Kimberlit-Schlot waren Diamanten nur spärlich im Ganggestein verteilt. Die Ausbeute eines durchschnittlichen Bergwerks betrug lediglich zweiunddreißig Karat -rund sechs Gramm -auf je hundert Tonnen Gestein, so daß man beim Blick in ein Diamantenbergwerk überhaupt keine Diamanten sah. Doch in den Minen von Zinj war die Wand förmlich mit Steinen gespickt. Mit seiner Machete holte Munro sechshundert Karat heraus. Karen Ross sah sechs oder sieben weitere Steine aus der Wand ragen, jeder von ihnen ebensogroß wie der, den Munro herausgeholt hatte. Später sagte sie: »Mit einem flüchtigen Blick konnte ich ohne weiteres vier- oder fünftausend Karat sehen. Und dazu wäre kein weiteres Graben, kein Trennen, nichts erforderlich gewesen. Sie waren einfach da. Die Mine war reicher als die Premier-Mine in Südafrika. Es war einfach unglaublich.«

Elliot stellte die Frage, die Karen Ross sich auch selbst schon gestellt hatte: »Wenn diese Mine so von Steinen strotzt«, fragte er, »warum hat man sie dann aufgegeben?« »Wahrscheinlich haben die Menschen hier die Herrschaft über die Gorillas verloren«, sagte Munro. »Und die Gorillas haben die Macht übernommen.« Er holte lachend weitere Diamanten aus dem Fels.

Karen Ross hatte die Möglichkeit erwogen, die Stadt könnte, wie Elliot schon früher vermutet hatte, von einer Epidemie entvölkert worden sein. Sie hielt eine weniger spektakuläre Erklärung für wahrscheinlicher. »Ich nehme an«, sagte sie, »daß in den Augen dieser Menschen die Diamantminen unergiebig geworden waren.« Denn als Schmucksteine waren die Kristalle tatsächlich nicht geeignet - sie waren kräftig blau gefärbt und voller Einschlüsse.

Die Bewohner der Stadt Zinj konnten sich unmöglich vorgestellt haben, daß fünfhundert Jahre später eben diese wertlosen Steine seltener und gesuchter sein würden als jedes andere Mineralvorkommen der Welt.

»Was macht diese blauen Diamanten denn so wertvoll?« »Sie werden die Welt verändern«, sagte Karen Ross leise. »Mit ihnen hört das Atomzeitalter auf.«

2. Krieg mit Lichtgeschwindigkeit

Im Januar 1979 sagte General Franklin F. Martin von der Abteilung für fortgeschrittene Forschungsprojekte des amerikanischen Verteidigungsministeriums vor dem SenatsUnterausschuß für Streitkräfte: »1939, bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, war für die amerikanischen Kriegsvorbereitungen Belgisch-Kongo das wichtigste Land der Erde.« Der General erklärte weiter, durch einen »geographischen Zufall« sei der Kongo, das heutige Zaire, vierzig Jahre lang für die amerikanischen Interessen von besonderer Bedeutung geblieben - und werde in Zukunft eine noch größere Bedeutung erlangen. Unverblümt sagte er: »Unser Land wird eher wegen Zai're in einen Krieg eintreten als wegen irgendeines arabischen Ölförderlandes.«

Im Zweiten Weltkrieg lieferte der Kongo den Vereinigten Staaten in drei streng geheimen Lieferungen das Uran, das sie zum Bau der über Japan gezündeten Atombomben benötigten. 1960 brauchten die Vereinigten Staaten zwar kein Uran mehr, dafür aber waren Kupfer und Kobalt von strategischer Bedeutung. In den siebziger Jahren verschob sich das Interesse auf die in Zaire lagernden Vorkommen von Tantal, Wolfram und Germanium -wesentliche Elemente für die Halbleitertechnik. Und in den achtziger Jahren »werden sogenannte blaue Diamanten vom Typ Ilb der für militärische Zwecke wichtigste Rohstoff auf der ganzen Welt sein« - und man ging von der Annahme aus, daß es in Zaire solche Diamanten gab. Nach General Martins Meinung waren blaue Diamanten deshalb so wichtig, weil »wir in ein Zeitalter eintreten, in dem die rohe, zerstörerische Gewalt einer Waffe weniger wichtig sein wird als ihre Geschwindigkeit und Intelligenz«.

Dreißig Jahre lang hatten sich Strategen und militärische Planer von den interkontinentalen Lenkwaffen blenden lassen. Martin allerdings sagte: »Interkontinentale Lenkwaffen sind relativ wenig entwickelte Systeme. Sie erreichen nicht annähernd die theoretischen Grenzen der Naturgesetze. Einstein zufolge kann nichts schneller vor sich gehen als mit konstanter Lichtgeschwindigkeit - annähernd dreihunderttausend Kilometer in der Sekunde. Wir sind dabei, Hochenergie-Impuls-Laser und Waffensysteme zu entwickeln, die mit Teilchenstrahlung im Bereich der Lichtgeschwindigkeit arbeiten. Angesichts solcher Waffensysteme sind Fernlenkraketen mit ihrer Geschwindigkeit von nur fünfund-zwanzigtausend Kilometer in der Stunde schwerfällige Dinosaurier aus einem früheren Zeitalter, Anachronismen wie die Kavallerie im Ersten Weltkrieg und ebeno leicht zu vernichten.« Waffensysteme, die mit Lichtgeschwindigkeit arbeiteten, waren am besten im Weltraum einzusetzen und würden zuerst auf Satelliten installiert werden. Martin merkte an, daß die Russen bereits 1973 einen amerikanischen Erkundungssatelliten vom Typ VV/02 »abgeschossen« hatten. 1975 entwickelte Hughes Aircraft ein Schnellziel- und -feuersystem, das Mehrfachziele selbsttätig ansprechen konnte und in weniger als einer Sekunde acht Hochenergiestöße aussandte. 1978 hatte die Arbeitsgruppe bei Hughes die Reaktionszeit auf fünfzig Nanosekunden -fünfzig Milliardstel Sekunde - reduziert und die Genauigkeit des Strahls so verbessert, daß theoretisch in weniger als einer Minute fünfhundert Lenkwäffen-»Abschüsse« möglich waren. Solche Entwicklungen mußten irgendwann das Ende der Interkontinentalrakete als Waffe bedeuten.

»Ohne diese Raketengiganten werden miniaturisierte Schnellrechner für zukünftige Konflikte von weit größerer Bedeutung sein als Atombomben, und der für das Ergebnis eines dritten Weltkriegs wichtigste Faktor wird ihre Rechengeschwindigkeit sein. Gegenwärtig steht im Mittelpunkt der Rüstung die Geschwindigkeit, mit der ein Vergeltungsschlag geführt werden kann - so wie sich vor zwanzig Jahren die Diskussion um Megatonnen an Sprengkraft drehte.

Wir werden von Computern mit elektronischen Schaltkreisen auf solche mit Lichtschaltkreisen übergehen, und zwar einfach um der höheren Geschwindigkeit willen - das Fabry-Perot-Interferometer, auf dem Gebiet der Optik die Entsprechung eines Transistors, kann in einer Picosekunde (10~12 Sekunden) reagieren, das heißt, mindestens tausendmal schneller als die schnellsten Josephson-Elemente.« Die neue Generation mit Licht arbeitender Computer, sagte Martin, sei von der Verfügbarkeit der mit Bor dotierten Diamanten vom Typ Ilb abhängig.

Elliot sah sofort eine der entscheidenden Konsequenzen der mit Lichtgeschwindigkeit operierenden Waffensysteme - sie waren zu schnell, als daß der Mensch sie erfassen könnte. Zwar war die Menschheit an eine mechanisierte Kriegführung gewöhnt, doch würde ein zukünftiger Krieg in einem verwirrend neuen Sinne ein Krieg der Maschinen: in jedem Augenblick würden Maschinen den Verlauf einer bewaffneten Auseinandersetzung bestimmen, die vom Anfang bis zum Ende nur Minuten dauerte. 1956, zu der Zeit, als die Epoche der strategischen Fernbomber sich dem Ende zuneigte, gingen die militärischen Planer von der Vorstellung aus, ein von allen Großmächten geführter Atomkrieg werde zwölf Stunden dauern. Bis 1963 war diese Zeit durch die interkontinentalen Raketen auf drei Stunden zusammengeschrumpft.

1974 sprachen Militärtheoretiker von einem Krieg, der nur dreißig Minuten dauern würde. Allerdings war dieser »Halbstunden-krieg« weit komplexer als jeder frühere Krieg in der Geschichte der Menschheit.

In den fünfziger Jahren wären, wenn Amerikaner und Sowjets gleichzeitig alle ihre Bomber hätten aufsteigen und ihre Raketen abfeuern lassen, höchstens zehntausend Flugkörper - angreifende und abwehrende - in der Luft gewesen. Dabei wäre mit fünf zehntausend Berührungen in der zweiten Stunde ein Höhepunkt erreicht worden - immerhin vier pro Sekunde, und zwar auf der ganzen Welt: eine eindrucksvolle Zahl.

Durch den Einsatz diversifizierter Waffensysteme in einem taktisch geführten Krieg würde die Zahl der Waffen und »Systemelemente« astronomische Werte erreichen. Neuere Schätzungen gingen von insgesamt vierhundert Millionen im Feld eingesetzter Computer aus, was in der ersten halben Stunde des Krieges zu fünfzehn Milliarden Waffenbegegnungen führen würde. Das bedeutete, es würde acht Millionen Waffenbegegnungen in der Sekunde geben, in einem verwirrenden, ultraschnellen Konflikt, an dem Flugzeuge, Raketen, Panzer und Bodentruppen beteiligt waren.

Ein solcher Krieg war nur mit Hilfe von Maschinen denkbar, da der Mensch einfach zu langsam reagierte. Ein dritter Weltkrieg würde kein Knopfdruckkrieg sein, denn wie General Martin sagte: »Es dauerte viel zu lange, bis jemand den Knopf gedrückt hat - mindestens 1,8 Sekunden, und das ist in der modernen Kriegführung eine halbe Ewigkeit.«

Dieser Umstand schuf etwas, das Martin das »Felsproblem« nannte, denn verglichen mit einem Schnellrechner waren die Reaktionen des Menschen von geologischer Langsamkeit. »Ein moderner Computer führt in der Zeit, in der ein Mensch einmal blinzelt, zwei Millionen Rechenvorgänge durch. Daher werden, wenn man davon ausgeht, daß Computer den nächsten Krieg führen, Menschen im wesentlichen fixierte und unveränderliche Elemente sein, wie Felsen. Die Kriege, die der Mensch führte, haben nie so lange gedauert, daß man im Vergleich dazu die Geschwindigkeit geologischer Veränderungen in Rechnung stellen könnte. Computer-Kriege der Zukunft werden nicht einmal so lange dauern, daß man die Veränderungen des Menschen in Rechnung stellen kann.«

Da Menschen zu langsam reagierten, mußten sie die Entscheidungen, die im Krieg zu treffen waren, der rascher arbeitenden Intelligenz der Computer überlassen. »In einem künftigen Krieg müssen wir alle Hoffnung aufgeben, den Ablauf des Konflikts steuern zu können. Wenn wir uns entscheiden, ihn mit der Geschwindigkeit des Menschen zu führen, werden wir ihn nahezu mit Sicherheit verlieren. Unsere einzige Hoffnung liegt darin, daß wir unser Vertrauen auf die Maschinen setzen. Das macht die Urteilskraft des Menschen völlig überflüssig. Der dritte Weltkrieg wird ein Stellvertreterkrieg sein: ein reiner Maschinenkrieg, auf den wir keinen Einfluß auszuüben wagen, aus Furcht, damit den Entscheidungsmechanismus so sehr zu verlangsamen, daß es zu unserer Niederlage führen wird.« Der endgültige und entscheidende Übergang -der von Computern, die in Nanosekunden arbeiten, auf solche, die in Picosekunden arbeiten - hing von den Diamanten des Typs Hb ab.

Elliot war entsetzt von der Aussicht, den Erzeugnissen des Menschen das Schicksal der Menschheit anzuvertrauen. Karen Ross zuckte mit den Schultern. »Es ist unvermeidlich«, sagte sie. »In der Olduvai-Schlucht in Tansania gibt es Reste von Häusern, die vor zwei Millionen Jahren dort gestanden haben. Der Hominide war mit Höhlen und anderem natürlichen Obdach nicht mehr zufrieden und schuf sich eine eigene Unterkunft. Der Mensch hat stets die natürliche Umgebung seinen Bedürfnissen und Zielen entsprechend verändert.«

»Aber man kann doch die Steuerung nicht aus der Hand geben«, sagte Elliot.

»Das tun wir seit Jahrhunderten«, sagte Karen Ross. »Was ist ein gezähmtes Tier - oder ein Taschenrechner - anderes als ein Schritt auf dem Weg, die Herrschaft über die Dinge aufzugeben? Niemand will mehr pflügen oder Quadratwurzeln ziehen, also übertragen wir die Aufgabe einer anderen Intelligenz, die wir ausgebildet, gezüchtet oder geschaffen haben.« »Man kann aber doch diese Schöpfung nicht die Macht übernehmen lassen.«

»Das tun wir seit Jahrhunderten«, sagte Karen Ross. »Sehen Sie: selbst wenn wir uns der Entwicklung schnellerer Computer entgegenstellten, die Sowjets würden es nicht tun. Sie würden jetzt, in diesem Augenblick, hier in Za'ire nach Diamanten suchen, wenn die Chinesen sie nicht daran gehindert hätten. Man kann den technischen Fortschritt nicht aufhalten. Sobald wir wissen, daß etwas möglich ist, müssen wir es auch tun.« »Nein«, sagte Elliot. »Wir können uns entscheiden. Ich will nichts damit zu tun haben.«

»Dann gehen Sie«, sagte sie. »Der Kongo ist sowieso nichts für Theoretiker.«

Sie machte sich daran, ihren Rucksack auszupacken, nahm eine Reihe weißer Keramikkegel und eine Anzahl kleiner Kästchen mit Antennen heraus. Sie schloß an jedem Keramikkegel eines der Kästchen an. Dann ging sie in den Stollen hinein, placierte die Kegel flach an den Wänden und bewegte sich immer tiefer in die Dunkelheit.

Peter nicht froh Peter.

»Nein«, sagte Elliot.

Warum nicht glücklich?

»Das ist schwer zu erklären, Amy«, sagte er.

Peter Arny sagen lieber Gorilla.

»Natürlich bist du das, Amy.«

Karen Rbss kam aus einem Stollen heraus und verschwand in einem anderen. Elliot sah sie im Schein ihrer Taschenlampe die Kegel anbringen. Dann war sie seinem Blick wieder entzogen. Munro kam in den Sonnenschein heraus, die Taschen so voller Diamanten, daß sie sich ausbeulten. »Wo ist Karen?« wollte er wissen.

»In den Stollen.«

»Was tut sie da?«

»Wahrscheinlich eine Art Sprengprobe.« Elliot zeigte auf die drei letzten Keramikkegel am Boden neben ihrem Gepäck.

Munro nahm einen in die Hand und sah ihn aufmerksam an.

»Wissen Sie, was das hier ist?« fragte er.

Elliot schüttelte den Kopf.

»Das sind Sprengladungen mit Resonanzzündung«, sagte Munro.

»Sie ist total verrückt, daß sie die hier anbringt. Damit kann sie den ganzen Laden hier in die Luft jagen.«

Sprengsätze mit Resonanzzündung werden mit zeitlicher Verzögerung gezündet. Es sind mächtige Kinder aus einer Ehe zwischen Mikroelektronik und Sprengstofftechnik. Munro erläuterte: »Wir haben vor zwei Jahren in Angola mit den Dingern Brücken gesprengt. Wenn man sie richtig einstellt, kann man mit hundertachtzig Gramm Sprengstoff eine Stahlkonstruktion von fünfzig Tonnen Gewicht runterholen. Dazu braucht man einen von diesen Sensoren.« Er zeigte auf eines der Steuerkästchen neben Karen Ross' Gepäck. »Er fängt die Druckwellen von der ersten Ladung auf und zündet die nächsten Ladungen in der vorgesehenen Abfolge, so daß Resonanzwellen entstehen, die das Ganze buchstäblich in Stücke schütteln. Sieht sehr eindrucksvoll aus.« Munro sah zu dem rauchenden Muhavura hinauf. In diesem Augenblick kam Karen Ross zufrieden lächelnd aus dem Stollen heraus.

»Bald werden wir unsere Ergebnisse haben«, sagte sie. »Ergebnisse?«

»Über das Ausmaß der Kimberlit-Vorkommen. Ich habe zwölf seismische Ladungen angebracht, das genügt: sie werden uns endgültige Ergebnisse liefern.«

»Sie haben zwölf Resonanzladungzn angebracht«, sagte Munro. »Ja, mehr hatte ich nicht. Wir müssen sehen, wie wir damit auskommen.«

»Sie werden bestimmt damit auskommen«, sagte Munro. »Vielleicht besser, als Ihnen lieb ist. Der Vulkan da hinten -« er wies nach oben - »ist in einer eruptiven Phase.« »Es sind achthundert Gramm Sprengstoff«, sagte Karen Ross, »nicht einmal ein Kilo. Das kann doch nichts ausmachen.« »Wir sollten es nicht darauf ankommen lassen.« Elliot hörte ihnen mit gemischten Gefühlen zu. Auf den ersten Blick schienen Munros Einwände weit hergeholt - ein paar kleine Sprengladungen, einerlei, wie sie abgestimmt waren, konnten unmöglich einen Vulkanausbruch auslösen, das war geradezu lachhaft. Elliot fragte sich, warum Munro so beharrlich auf die möglichen Gefahren hinwies. Fast schien es, als wüßte er etwas, das Elliot und Karen Ross nicht wußten - und das sie sich nicht einmal vorstellen konnten.

3. DOD/ARPD/VULKAN 7021

Munro hatte 1978 eine Expedition nach Sambia geführt, an der auch Robert Perry teilgenommen hatte, ein junger Geologe von der Hawaii University. Perry hatte an dem PROJEKT VULKAN mitgearbeitet, dem ehrgeizigsten Programm, das die Abteilung für fortgeschrittene Projektforschung des amerikanischen Verteidigungsministeriums je finanziert hatte.

Das Projekt DOD/ARPD/VULKAN 7021 war so umstritten, daß es bei den Anhörungen durch den Senats-Unterausschuß für Streitkräfte 1975 gewissenhaft unter »Verschiedene langfristige Aufwendungen für Projekte zur Landesverteidigung« eingestuft wurde. Doch im folgenden Jahr griff der Abgeordnete David Inaga von der Demokratischen Partei, einer der Vertreter Hawaiis- im amerikanischen Kongreß, das Projekt an und wollte »seinen genauen militärischen Zweck« erfahren, »und warum es ausschließlich innerhalb des Staates Hawaii finanziert werden muß«. Sprecher des Verteidigungsministeriums behaupteten mit Unschuldsmiene, bei dem Projekt VULKAN handle es sich um ein »TsunamiWarnsystem«, das den Bewohnern der hawaiischen Inseln zugute komme, wie auch den dortigen militärischen Einrichtungen. Fachleute des Pentagon erinnerten Inaga daran, daß 1948 ein solcher Tsunami, also eine seismische Woge, sich über den Pazifik herangewälzt, Kanai zerstört und dann seinen Weg über die Inselkette Hawaiis so rasch fortgesetzt hatte, daß für eine wirksame Warnung keine Zeit geblieben war, ehe sie zwanzig Minuten später Pearl Harbor und Oahu überraschte. »Diesen Tsunami hat ein Unterwasser-Vulkanausbruch vor der japanischen Küste ausgelöst«, hatte es geheißen. »Hawaii aber hat eigene tätige Vulkane. Honolulu ist immerhin eine Halbmillionenstadt, und die dortigen Marineeinrichtungen repräsentieren einen Wert von mehr als fünfunddreißig Milliarden Dollar. Daher wird es langfristig gesehen zunehmend wichtiger, das Auftreten von Tsunamis infolge von Ausbrüchen hawaiischer Vulkane vorhersagen zu können.«

In Wirklichkeit war das Projekt VULKAN keineswegs langfristig angelegt. Es sollte beim nächsten Ausbruch des Mauna Loa durchgeführt werden, des größten tätigen Vulkans der Welt, der auf Hawaii, der Hauptinsel des Archipels liegt. Der erklärte Zweck des Projekts bestand darin, den Ablauf von Vulkanausbrüchen zu steuern. Den Mauna Loa hatte man gewählt, weil seine Eruptionen vergleichsweise milde und harmlos waren.

Obwohl der Schildvulkan sich lediglich bis zu einer Höhe von viertausendvierhundert Meter erhebt, ist er, von seinem Fuß aus gemessen, der höchste Berg der Welt, denn dieser liegt in den Tiefen des Ozeanbodens. Der Mauna Loa übertrifft an Rauminhalt den Mount Everest um mehr als das Doppelte, er ist eine einzigartige und außergewöhnliche geologische Formation. Er war schon seit langem der am gründlichsten untersuchte Vulkan der Geschichte, denn bereits 1928 hat man eine wissenschaftliche Beobachtungsstation an seinem Krater eingerichtet. Außerdem hatten die Menschen keinem Vulkan so ins Handwerk gepfuscht wie ihm. Man hat seine im übrigen recht dünnflüssige Lava, die in Abständen von jeweils drei Jahren seine Hänge hinunterfloß, schon durch die verschiedensten Eingriffe umgeleitet, angefangen bei einheimischen Arbeitstrupps mit Schaufeln und Sandsäcken bis hin zu Bombenabwürfen von Flugzeugen aus. Das Projekt VULKAN sollte den Ablauf einer Eruption des Mauna Loa dadurch ändern, daß man dem Riesenvulkan ein »Ventil« verschaffte: die ungeheuren Mengen flüssigen Magmas sollten durch eine Reihe in ihrer zeitlichen Abfolge genau aufeinander abgestimmter nichtatomarer Explosionen freigesetzt werden, die man an den Bruchlinien des Vulkanschilds auslösen wollte. Im Oktober 1978 wurde das Projekt VULKAN in aller Heimlichkeit durchgeführt. Man zog dazu Hubschrauber-Teams der Marine heran, die Erfahrung im Zünden hochbrisanter Resonanzladungen in Kegelform hatten. Das Projekt VULKAN dauerte zwei Tage. Am dritten Tag gab das zivile Vulkanlabor des Mauna Loa öffentlich bekannt: »Der Oktoberausbruch des Mauna Loa ist schwächer ausgefallen als erwartet. Mit Nachfolgeeruptionen wird nicht gerechnet.«

Obwohl das PROJEKT VULKAN geheim war, hatte Munro doch eines Abends beim Trunk am Lagerfeuer in der Nähe von Ban-gezi alles darüber erfahren. Und als jetzt Karen Ross die Zündung von Resonanzladungen in der Nähe eines Vulkans plante, der sich in seiner Ausbruchsphase befand, fiel es ihm wieder ein. Der Grundgedanke beim Projekt VULKAN war es gewesen, daß unvorstellbare aufgestaute geologische Kräfte - ob die eines Erdbebens, eines Vulkans oder eines Wirbelsturms über dem Pazifik - mit Hilfe eines vergleichsweise geringen Energieaufwands auf verheerende Weise entfesselt werden konnten. Karen Ross machte sich daran, ihre Kegelladungen zu zünden. »Meinen Sie nicht«, fragte Munro, »daß Sie noch einmal versuchen sollten, mit Houston Verbindung aufzunehmen?« »Das geht nicht«, sagte Ross selbstsicher. »Ich muß auf eigene Faust entscheiden - und ich bin entschlossen, jetzt die Mächtigkeit der Diamantenvorkommen an den Hängen abzuschätzen.« Im Verlauf ihres weiteren Streitgesprächs zog Amy davon. Sie nahm den Zünder, der neben Karen Ross' Rucksack lag. Es war ein winziges Handgerät mit sechs Leuchtdioden, die Amy überaus faszinierten. Sie machte Anstalten, mit ihren Fingern auf die Knöpfe zu drücken.

Karen Ross sah zu ihr hinüber. »Oh, mein Gott.« Munro wandte sich um. »Amy«, sagte er sanft. »Amy, nein. Nein. Amy nicht lieb.« Amy lieber Gorilla Amy lieb.

Amy hielt den Zünder in der Hand. Die blinkenden Leuchtdioden hatten es ihr angetan. Sie sah zu den Menschen hinüber. »Nein, Amy«, sagte Munro. Er wandte sich Elliot zu. »Können Sie sie nicht davon abbringen?«

»Ach, zum Teufel, was soll's?« sagte Karen Ross. »Mach nur, Amy.«

Eine Reihe dumpfer Detonationen trieb Diamantenstaub aus den Stollen des Bergwerks, dann trat Stille ein. »Na, bitte«, sagte Karen Ross schließlich, »ich hoffe, Sie sind zufrieden. Es ist doch völlig klar, daß eine so winzige Sprengladung unmöglich den Vulkan beeinflussen kann. Überlassen Sie es also in Zukunft bitte mir, über die wissenschaftlichen Aspekte zu entscheiden, und -« Und dann rumpelte es in den Eingeweiden des Bergs, und die Erde bebte so stark, daß alle zu Boden geworfen wurden.

4. ERTS Houston

Es war ein Uhr nachts in Houston. R. B. Travis saß in seinem Büro und blickte mit gefurchter Stirn auf den Kontrollbildschirm des Computers. Er hatte gerade vom Kitt Peak-Observatorium das letzte Bildmaterial über die telemetrische Auswertung der Sonnenfleckentätigkeit erhalten. Man hatte ihn den ganzen Tag auf die Werte warten lassen - einer von mehreren Gründen für Travis' schlechte Laune.

Das Bildmaterial, das die Kugelgestalt der Sonne erkennen ließ, lag in Negativform vor ihm, so daß die Sonne schwarz erschien. Von ihr hob sich eine leuchtend weiße Kette von Sonnenflecken ab. Es waren mindestens fünfzehn größere Sonnenflecken über die Kugel verteilt. Einer von ihnen hatte die ungeheure Sonneneruption ausgelöst, die gegenwärtig sein Leben zur Hölle machte. Schon seit zwei Tagen übernachtete Travis in der ERTS. Alle Unternehmungen schienen plötzlich auf Schwierigkeiten zu stoßen. Ein ERTS-Team befand sich im Norden Pakistans, nicht weit von der Grenze zu Afghanistan, wo Unruhen herrschten; ein weiteres befand sich in Zentral-Malaysia, in einem Gebiet, aus dem kommunistische Aufstände gemeldet wurden. Und die Expedition im Kongo, die zuerst auf aufrührerische Eingeborene und nun anscheinend auf bisher unbekannte gorillaähnliche Geschöpfe gestoßen war.

Durch die Sonnenfleckentätigkeit war die Verbindung zu allen Gruppen der ERTS auf der ganzen Welt seit über vierundzwanzig Stunden unterbrochen. Travis hatte den Computer Hochrechnungen für jedes Team durchführen und die Ergebnisse alle sechs Stunden auf den neuesten Stand bringen lassen. Die Ergebnisse gefielen ihm nicht. Die Gruppe in Pakistan war vermutlich wohlauf, würde aber sechs Tage länger brauchen und zusätzliche zweihunderttausend Dollar kosten. Das Team in Malaysia war in ernster Gefahr. Und das Schicksal der Kongo-Expedition wurde als »AUA« eingestuft, was im Programmierjargon der ERTS für »absolut unabschätzbar« stand. Travis hatte in der Vergangenheit zweimal eine AUA-Gruppe gehabt, 1976 im Amazonas-Becken und 1978 in Sri Lanka, und in beiden Fällen waren Menschen ums Leben gekommen.

Die Dinge standen schlecht. Doch sah die neueste Darstellung der Sonnenfleckentätigkeit weit besser aus als die vorige. Und es war ihnen allem Anschein nach vor mehreren Stunden gelungen, einen kurzen Kontakt mit dem Kongo herzustellen, wenn auch von Karen Ross keine bestätigende Antwort gekommen war. Ob das Team die Warnung empfangen hatte oder nicht? Er starrte verärgert auf die schwarze Kugel.

Richards, einer der Programmierer für die Hauptprogramme, steckte den Kopf zur Tür herein.

»Hier ist etwas, das mit der Kongo-Expedition zu tun hat.«

»Her damit«, sagte Travis. Die kleinste Neuigkeit über diesen Forschungstrupp war willkommen.

»Die Erdbebenwarte an der Universität Johannesburg berichtet von leichten Erschütterungen, die um 12 Uhr 04 Ortszeit eingesetzt haben. Die Koordinaten des vermuteten Epizentrums dek-ken sich mit der Lage des Muhavura, eines der Virunga-Vulkane. Die fortgesetzte Bebentätigkeit liegt zwischen fünf und acht auf der Richterskala.«

»Gibt es Bestätigungen?« wollte Travis wissen. »Die nächst gelegene Bebenwarte ist in Nairobi. Dort hat man eine Bebenstärke von sechs bis neun auf der Richterskala bzw. neun auf der Mercalliskala gemessen. Sie berichten auch, daß Kraterauswurf niedergeht. Sie sagen, daß die gegenwärtigen atmosphärischen Bedingungen zu schweren elektrischen Entladungen führen können.«

Travis sah auf seine Uhr. »12 Uhr 04 Ortszeit -das war vor fast einer Stunde«, sagte er. »Warum hat man mich nicht informiert?« Richards sagte: »Es ist erst jetzt von den afrikanischen Stationen hereingekommen. Ich nehme an, daß sie es nicht für besonders wichtig halten - einfach mal wieder ein Vulkanausbruch.« Travis seufzte. Das genau war das Problem - Vulkantätigkeit wurde als nichts Besonderes angesehen. Seit 1965, seit dem Beginn der weltweiten Aufzeichnungen, hatte es jedes Jahr zwei-undzwanzig größere Ausbrüche gegeben, also etwa alle zwei Wochen einen. An weitab liegenden Beobachtungsstellen ließ man sich Zeit, über solche »gewöhnlichen« Vorkommnisse zu berichten - nur keine Hektik, war die Devise.

»Außerdem haben sie Schwierigkeiten«, sagte Richards. »Da die Satelliten durch die Sonnenflecken gestört werden, müssen alle über Kabel senden. Und ich nehme an, ihrer Ansicht nach sind die Nordostgebiete am Kongo sowieso unbewohnt.«

Travis wollte wissen: »Wie schlimm ist Stärke neun auf der Mercalliskala?«

Richards antwortete erst nach einer längeren Pause: »Ziemlich schlimm, Mr. Travis.«

5. »Alles bewegte sich plötzlich«

Im Kongo kam es zu einem Erdbeben, dessen Stärke auf der nach oben offenen Richterskala acht und auf der Mercalliskala neun betrug. Bei einem so schweren Beben kann ein Mensch sich nur noch mit Mühe auf den Beinen halten. Es finden seitliche Erdbewegungen statt, Risse im Boden tun sich auf, Bäume stürzen um, und sogar. Stahlkonstruktionen sind gefährdet. Für Elliot, Karen Ross und Munro waren die fünf Minuten, die auf den Beginn des Ausbruchs folgten, ein bizarrer Alptraum. Elliot erinnerte sich: »Alles bewegte sich plötzlich. Wir wurden buchstäblich von den Füßen gerissen, mußten uns auf allen vieren bewegen - wie Kleinkinder. Und auch als wir von den Bergwerksstollen fort waren, schwankte die Stadt noch wie Wackelpudding. Erst nach einer ganzen Weile - nach etwa dreißig Sekunden -begannen die Gebäude einzustürzen. Dann ging es Schlag auf Schlag: Wände sanken in sich zusammen, Decken brachen ein, riesige Steinbrocken prasselten in den Dschungel hinab. Auch die Bäume schwankten, viele stürzten um.«

Der Lärm war unvorstellbar, und hinzu kam noch das Geräusch des Muhavura. Der Vulkan hatte aufgehört zu grollen, jetzt hörten sie rasch aufeinanderfolgende Explosionen von Lava, die aus dem Krater geschleudert wurde. Sie erzeugten solche Druckwellen, daß die Teilnehmer der Expedition zu einer Zeit, als die Erde sich nicht mehr unter ihren Füßen bewegte, plötzlich und ohne Vorwarnung durch den Druck heißer Luft umgeweht wurden. Wie Elliot später sagte: »Es war wie im Krieg.« Amy hatte panische Angst. Grunzend vor Angst sprang sie in Elliots Arme - und urinierte prompt auf seine Kleidung -, als sie sich anschickten, zurück zum Lager zu laufen. Ein heftiges Beben warf Karen Ross zu Boden. Sie stand auf und stolperte weiter. Sie spürte deutlich die überall herrschende Feuchtigkeit, spürte die Asche und den Staub, die der Vulkan ausspie. Innerhalb weniger Minuten war der Himmel über ihnen so dunkel, als wäre es Nacht, und die ersten Blitze brachen durch die heißen Wolken. Der Dschungel um sie herum war noch naß vom nächtlichen Regen, und die Luft war mit Feuchtigkeit übersättigt. Es waren also alle Voraussetzungen für ein Gewitter mit elektrischen Entladungen gegeben. Karen Ross fühlte sich hin-und hergerissen zwischen dem abwegigen Wunsch, dieses einzigartige Naturschauspiel zu beobachten, und dem Bestreben, um ihr Leben zu laufen.

Mit einem grellen Ausbruch blauweißen Lichts begann das Gewitter. Blitze schlugen rund um sie ein, so dicht, als regne es. Später meinte Karen Ross, in den ersten Minuten seien wohl an die zweihundert Blitze niedergegangen - nahezu drei pro Sekunde. Das vertraute Knistern kam nicht in Abständen, sondern war ein fortgesetztes Geräusch, ein Dröhnen wie von einem Wasserfall. Der hallende Donner ließ die Ohren schmerzen, und von den mit ihm einhergehenden Druckwellen wurden sie alle förmlich zurückgeschoben.

Alles kam so rasch, daß sie kaum Gelegenheit hatten, es bewußt wahrzunehmen. Aber ihre normalen Erwartungen wurden auf den Kopf gestellt. Amburi, einer der Träger, war in die Stadt gekommen, um sie zu suchen. Sie sahen ihn in einer Lichtung stehen und ihnen zuwinken, als durch einen nahe stehenden Baum ein Blitz aufwärts in den Himmel fuhr. Karen Ross hatte zwar gewußt, daß der sichtbare Blitz zeitlich auf das unsichtbare Abwärtsfließen der Elektronen folgt und tatsächlich vom Boden zu den Wolken überspringt. Aber welch ein Unterschied, das zu sehen! Die Macht der Entladung riß Amburi von den Füßen und schleuderte ihn durch die Luft zu ihnen hin. Verzweifelnd um sich schlagend und auf Swahili schreiend, rappelte er sich auf die Beine.

Um sie herum barsten Baumstämme, aus denen zischend Dampfwolken entwichen, während die Blitze aufwärts durch sie fuhren. Karen Ross berichtete später: »Die Blitze waren überall, ununterbrochen kamen die grellen Entladungen, zusammen mit diesem schrecklichen Zischen. Der Mann (Amburi) stand schreiend da, und im nächsten Augenblick fuhr der Blitz durch ihn in die Erde. Ich stand so dicht neben ihm, daß ich ihn hätte berühren können. Es war nur wenig Hitze zu spüren, man sah nur weißes Licht. Er wurde starr, und dann war da dieser schreckliche Gestank, als sein ganzer Körper plötzlich in Flammen stand und er zu Boden fiel. Munro warf sich auf ihn, um das Feuer zu ersticken, aber der Mann war tot, und wir rannten weiter. Wir hatten keine Zeit zu reagieren, immer wieder warf uns das Beben zu Boden. Bald waren wir alle halb blind von den Blitzen. Ich hörte jemanden schreien, aber ich wußte nicht, wer es war. Ich war sicher, daß wir alle umkommen würden.«

In der Nähe des Lagers stürzte ein Baumriese vor ihnen zu Boden und schuf so ein Hindernis, das so hoch und so breit wie ein dreistöckiges Gebäude war. Während sie sich vorwärts arbeiteten, fuhr ein Blitz durch die nassen Äste, riß Rinde ab und hinterließ eine rauchende schwarze Brandspur. Amy jaulte auf, als sie nach einem nassen Ast griff und ein weißer, kalter Schlag durch ihre Hand fuhr. Sie warf sich zu Boden, verbarg ihren Kopf im tiefhängenden Blattwerk und weigerte sich weiterzugehen. Elliot mußte sie den Rest des Wegs zum Lager hinter sich herzerren.

Munro kam als erster am Lager an. Kahega war dabei, ihren Aufbruch vorzubereiten. Er versuchte die Zelte zusammenzupacken, aber es war unmöglich bei dem ständigen Beben und den zahllosen, durch den aschgrauen Himmel niederfahrenden Blitzen. Eines der aufblasbaren Zelte fing Feuer. Sie rochen den strengen Geruch brennenden Kunststoffs. Die noch auf dem Boden stehende Parabolantenne wurde ebenfalls von einem Blitzschlag getroffen und in Stücke gerissen, so daß Metallstücke durch die Luft flogen. »Weg!« rief Munro. »Nur weg hier!«

»Ndio mzee!« rief Kahega und griff hastig nach seiner Traglast. Er warf einen Blick zurück auf die anderen, und in diesem Augenblick kam Elliot mit Amy, die ihm an der Brust hing, aus der Dunkelheit gestolpert. Er hatte sich den Fußknöchel verrenkt und humpelte leicht. Amy ließ sich zu Boden fallen. »Weg!« rief Munro.

Während Elliot seinen Weg fortsetzte, tauchte Karen Ross aus der Finsternis der von Asche erfüllten Luft auf. Sie hustete und ging gebeugt. Die linke Seite ihres Körpers war versengt und schwarz, die Haut der linken Hand verbrannt. Ein Blitz hatte sie getroffen, doch konnte sie sich später nicht mehr daran erinnern. Sie zeigte auf ihre Nase und ihre Kehle und hustete: »Brennt... tut weh...«

»Das ist das Gas«, schrie Munro. Er legte den Arm um sie und führte sie fort, trug sie halb. »Wir müssen nach oben! Hangaufwärts!«

Eine Stunde später blickten sie vom Hang aus ein letztes Mal auf die von Rauch und Asche verschlungene Stadt zurück. Weiter oben an den Hängen des Vulkans sahen sie eine ganze Baumreihe in Flammen aufgehen, als eine für sie nicht sichtbare dunkle Lavawelle sich den Berg herabwälzte. Sie hörten die Schmerzensschreie von grauen Gorillas am Hang, auf die es heiße Lava herabregnete. Vor ihren Augen sackte das Blätterdach des Dschungels in sich zusammen, immer weiter, bis schließlich auch die Stadt unter einer sich herab senkenden dunklen Wolke verschwand.

Die tote Stadt Zinj war auf immer begraben. Erst in diesem Augenblick wurde es Karen Ross klar, daß damit auch ihre Diamanten auf immer begraben waren.

6. Alptraum

Sie hatten nichts zu essen, kein Wasser und nur noch sehr wenig Munition. Sie schleppten sich mit versengten und zerfetzten Kleidern und verstörten Gesichtern erschöpft durch den Dschungel. Niemand sprach. Elliot sagte später: »Es war ein Wirklichkeit gewordener Alptraum.«

Die Welt, durch die sie zogen, war finster und farblos. Einst leuchtend weiße Wasserfälle und Bäche waren jetzt voller Ruß und ergossen sich in schmutzige Teiche, die von grauem Schaum bedeckt waren. Den grauen Himmel erhellte gelegentlich roter Feuerschein vom Vulkan her. Die Luft war klebrig, sie husteten und taumelten halb blind durch diese Welt aus Asche und schwarzem Ruß.

Sie alle waren mit Asche bedeckt. Asche lag auf ihren Rucksäcken, ihre Gesichter waren schmierig, wenn sie darüberwischten, und ihr Haar war um vieles dunkler als zuvor. Nase, Kehle und Augen brannten. Aber sie konnten nur eines tun -weitergehen. Während sie sich durch die Finsternis schleppte, wurde Karen Ross sich der Ironie bewußt, die in diesem Ende ihres ehrgeizigen Strebens lag. Seit langem verfügte sie" über die Fähigkeit, sich jeden beliebigen Datenspeicher der ERTS zu erschließen, den sie anzapfen wollte, auch den, der die Beurteilung ihrer Person enthielt. Die ihr zugesprochenen Eigenschaften und Fähigkeiten kannte sie auswendig: JUGENDLICH-ANMASSEND (wahrscheinlich) / SCHWACH ENTWICKELTE MENSCHLICHE

BEZIEHUNGEN (diese Einschätzung ging ihr am meisten gegen den Strich) / DOMINIEREND (möglich) / UEBERTRIEBEN SELBSTBEWUSST (dazu hatte sie allen Grund) / KEIN FIN-GEBSPITZENGEFUEHL (was immer die darunter verstanden) / SUCHT ERFOLG UM JEDEN PREIS (war das so schlimm?) Und sie kannte auch die abschließende Gesamtbeurteilung, all den Unfug über Vaterfiguren und dergleichen, und das Ergebnis der Umkipp-Analyse. Dazu gehörte auch der letzte Satz ihrer Beurteilung: DAHER IST ANGEFRAGT! PERSON IN ENDPHASEN ZIEL-ORIENTIERTER VERFAHREN ZU UEBERWACHEN.

Aber nichts davon traf zu. Sie hatte sich auf die Suche nach Diamanten gemacht und war vom schlimmsten Vulkanausbruch geschlagen worden, den es in den letzten zehn Jahren in Afrika gegeben hatte. Wer konnte sie dafür tadeln? Es war nicht ihre Schuld. Sie würde es bei ihrer nächsten Expedition unter Beweis stellen...

Munros Enttäuschung ging tiefer. Er hatte sich auf ein größeres Mineralvorkommen und seinen Anteil daran gefreut - jetzt lag es unerreichbar unter einer massiven Lavadecke. Er kam sich vor wie ein Spieler, der jedesmal richtig gesetzt hat und trotzdem verliert. Es war richtig gewesen, nicht für das Konsortium zu arbeiten, sondern für die ERTS, und trotzdem kam er mit leeren Händen zurück.

Nun, dachte er, und er faßte nach den Diamanten in seinen Taschen, nicht mit ganz leeren Händen... Elliot kehrte ohne Fotografien, ohne Videobänder, ohne Tonaufnahmen und ohne das Skelett eines grauen Gorillas zurück. Sogar die Unterlagen mit seinen Messungen waren verlorengegangen. Ohne solche Beweise konnte er es nicht wagen, die Existenz einer neuen Art zu behaupten - es war unklug, auch nur über die Möglichkeit zu diskutieren. Eine große Gelegenheit war ihm entgangen, und während er jetzt durch die dunkle Landschaft wanderte, hatte er nur das Gefühl, daß die Natur verrückt geworden war - Vögel stürzten vom Himmel herab und schlugen zu ihren Füßen matt mit den Flügeln, erstickt von den Gasen in den oberen Luftschichten. Fledermäuse huschten am Mittag durch die Bäume, und in der Ferne schrien und heulten Tiere. Ein Leopard, dessen Fell an den Hinterläufen brannte, kreuzte, unmittelbar vor ihnen, ihren Weg. Sie hörten Elefanten aufgeregt trompeten. Sie kämpften sich wie verlorene Seelen durch eine düstere, rußige Welt, die an die Beschreibungen der Hölle erinnerte: ewiges Feuer, ewige Dunkelheit, gepeinigte Seelen, die vor Schmerz aufschrien. Hinter ihnen fielen nach wie vor Schlacke und Glutregen vom Himmel nieder: An einer Stelle gerieten sie in einen Schauer rotglühender Asche, die aufzischte, wenn sie auf das feuchte Blätterdach über ihnen traf und dann den Boden unter ihnen in eine rauchende Fläche verwandelte, ihnen Löcher in die Kleidung brannte, ihre Haut versengte, das Haar verglühte, während sie vor Schmerz von einem Bein aufs andere traten, bis sie schließlich Obdach unter hohen Bäumen fanden, wo sie dicht aneinandergedrängt das Ende des vom Himmel herabregnenden Feuers abwarteten.

Munro hatte vom ersten Augenblick des Ausbruch an geplant, daß sie sich zu dem abgestürzten Transportflugzeug des Konsortiums durchschlugen, das ihnen Schutz bieten und Vorräte liefern konnte. Seiner Schätzung nach konnten sie es innerhalb von zwei Stunden erreichen. Doch erst nach sechs Stunden tauchte der riesige, mit Asche bedeckte Rumpf der Maschine in der schmutzigen Finsternis des Nachmittags vor ihnen auf. Ein Grund für die Verzögerung war, daß sie die - auch nach Munros Ansicht eher unwahrscheinliche -Begegnung mit General Muguru und seinen Soldaten zu vermeiden suchten. Jedesmal, wenn sie Reifenspuren von Geländefahrzeugen sahen, führte Munro sie weiter nach Westen in die Tiefe des Dschungels. »Man geht ihm besser aus dem Weg«, sagte er. »Und seinen Leuten auch. Sie würden sich nichts daraus machen, Ihnen die Leber herauszuschneiden und sie roh zu verspeisen.«

Rumpf und Tragflächen mit dunkler Asche bedeckt, sah das größte Transportflugzeug der Welt aus, als sei es in schwarzen Schnee gestürzt. Von der verbogenen Tragfläche lief eine Art Wasserfall heißer Asche zischend über das Metall zu Boden. In der Ferne glaubten sie dumpfes Trommeln zu hören - die Kigani? -, gelegentlich unterbrochen durch einzelne Detonationen - Mörserfeuer von Mugurus Truppen? Sonst herrschte tödliche Stille.

Munro beobachtete das Wrack aus sicherer Entfernung vom Dschungel aus. Karen Ross nutzte die Gelegenheit zu einem Versuch, Funkkontakt aufzunehmen. Immer wieder mußte sie Asche von dem Anzeigeschirm wischen. Aber sie kam nicht nach Houston durch. Schließlich machte Munro ein Zeichen, und alle gingen auf das Flugzeug zu. Amy zupfte Munro voller Schrecken am Ärmel. Nicht, gehen, teilte sie ihm mit. Dort Menschen. Munro warf ihr einen erstaunten Blick zu und sah dann Elliot an. Elliot zeigte auf das Flugzeug. Sekunden später hörte man ein Krachen, und zwei weißbemalte Kigani-Krieger traten aus dem Rumpf auf die Tragfläche. Sie trugen Kisten mit Whisky und stritten darüber, wie sie ihn auf den Dschungelboden hinunterschaffen sollten. Einen Augenblick später tauchten unter der Tragfläche fünf weitere Kigani auf, denen die Kisten hinabgereicht wurden. Die beiden Männer sprangen hinab, und die Gruppe verschwand. Munro lächelte Amy zu. Amy lieber Gorilla, teilte sie ihm mit.

Sie warteten noch eine Weile, und als nach zwanzig Minuten keine weiteren Kigani auftauchten, führte Munro die Gruppe zu dem Flugzeug. Sie hatten gerade die Frachtraumtür erreicht, als weiße Pfeile auf sie niederhagelten.

»Rein!« rief Munro und drängte sie alle über das eingeknickte Fahrwerk auf die Oberseite der Tragfläche und von dort in das Innere des Flugzeugs. Er schlug die Tür des Notausstiegs zu: Pfeile prasselten auf das Metall.

In der Maschine war es dunkel, der Boden hob sich vor ihnen in einem wahnwitzigen Winkel. Kisten waren durch die Gänge gerutscht, hatten sich überschlagen und waren aufgesprungen, der Inhalt hatte sich über den Boden verstreut. Unter ihren Füßen knirschten Glasscherben, so daß Elliot als erstes Amy in Sicherheit brachte.

Draußen hörten sie Trommeln und den unablässigen Hagel von Pfeilen, der auf das Metall und die Fenster traf. Als sie durch die dunkle Asche hinausspähten, sahen sie Dutzende weißbemalter Männer durch die Bäume laufen und sich unter der Tragfläche versammeln.

»Was machen wir jetzt?« fragte Ross.

»Wir schießen«, sagte Munro ohne Zögern und machte sich daran, Magazine für ihre Maschinenpistolen aus dem Gepäck hervorzuholen. »Munition haben wir reichlich.«

»Aber da draußen sind bestimmt hundert Männer.«

»Ja, aber nur einer ist wichtig. Wir müssen den mit den roten Strichen unter den Augen töten. Dann ist der Angriff zu Ende.«

»Wieso das?« fragte Elliot.

»Weil er der Angawa ist«, sagte Munro, »der Zauberer.« Und er machte sich auf den Weg zum Cockpit. »Wenn wir ihn haben, sind wir aus dem Schneider.«

Giftpfeile prallten gegen die Plexiglasscheiben und schlugen dröhnend auf das Metall des Flugzeugs. Außerdem warfen die Kigani mit Kot, der mit einem platschenden Geräusch auf dem Rumpf auf traf. Unaufhörlich dröhnten die Trommeln. Amy war sehr ängstlich. Sie legte den Sitzgurt an und gab zu verstehen Amy jetzt fort Vogel fliegen.

Elliot fand in der hinten befindlichen Passagierkabine zwei Kigani, die sich dort verborgen hielten. Zu seiner eigenen Überraschung feuerte er ohne Zögern. Die Waffe schlug wild in seinen Händen, die Kugeln zerschmetterten Fenster und schleuderten die Kigani in die Sitze zurück, wo sie gekrümmt liegen blieben. »Sehr gut, Doktor«, sagte Kahega grinsend, obwohl Elliot inzwischen am ganzen Leib zitterte, ohne etwas dagegen unternehmen zu können. Er ließ sich auf den Sitz neben Amy fallen. Leute Vogel angreifen Vogel jetzt fliegen Vogel fliegen Amy weg wollen.

»Bald, Amy«, sagte er tröstend und wußte, daß es nicht stimmte. Inzwischen hatten die Kigani ihre Taktik geändert. Statt frontal anzugreifen, kamen sie von hinten, wo es keine Fenster gab. Die Menschen im Flugzeug konnten hören, wie bloße Füße über das Heck liefen und auf den Rumpf über ihren Köpfen kletterten. Zwei Krieger kamen durch die offene Frachttür am Heck. Munro, der sich im Cockpit befand, brüllte: »Wenn sie dich kriegen, werden sie dich fressen!«

Karen Ross feuerte, und Blut spritzte auf ihre Kleidung, während die eingedrungenen Kigani rückwärts hinaustaumelten. Amy nicht mögen, gab Amy zu verstehen. Amy nach Hause wollen. Sie umklammerte den Sitzgurt.

»Da ist der Kerl!« rief Munro und gab einen Feuerstoß ab. Ein Mann von etwa zwanzig Jahren, mit roten Streifen unterhalb der Augen, fiel von mehreren Kugeln getroffen, rücklings zu Boden. »Den hätten wir«, sagte Munro. »Das ist ihr Angawa.« Er setzte sich hin und gestattete den Kigani-Kriegern, den Leichnam wegzutragen.

Der Angriff der Kigani hörte auf, die Krieger zogen sich in den schweigenden Wald zurück. Es war fast dunkel. Munro beugte sich über den leblosen Piloten und spähte in den Dschungel hinaus. »Und wie geht es jetzt weiter?« fragte Elliot. »Haben wir das Spiel gewonnen?«

Munro schüttelte den Kopf. »Sie warten den Einbruch der Nacht ab. Dann kommen sie wieder, um uns alle umzubringen.« Elliot fragte: »Was machen wir dann?«

Munro hatte sich darüber bereits Gedanken gemacht. Er sah keine Möglichkeit, vor Ablauf von mindestens vierundzwanzig Stunden das Flugzeug zu verlassen. Sie mußten sich nachts verteidigen, und sie brauchten tagsüber eine größere freie Fläche um das Flugzeug herum. Die Lösung, die sich anbot, bestand darin, das hüfthohe Gebüsch in der unmittelbaren Umgebung des Flugzeugs abzubrennen - falls sie das könnten, ohne daß der restliche Brennstoff in den Tanks explodierte.

»Sucht nach Flammenwerfern«, sagte er zu Kahega, »oder nach Gasflaschen.« Und dann machte er sich selbst auf die Suche. Karen Ross ging zu ihm hin. »Wir sitzen in der Patsche, wie?« »Ja«, sagte Munro. Von dem Vulkan sagte er nichts. »Ich habe vermutlich einen Fehler gemacht.« »Sie können ihn wiedergutmachen«, sagte Munro, »indem Sie sich einen Ruchtweg ausdenken.«

»Ich werde sehen, was ich tun kann«, sagte sie ernst und ging nach hinten.

Eine Viertelstunde später schrie sie laut auf. Munro sauste mit der Maschinenpistole im Anschlag in die Passagierkabine zurück. Karen Ross war in einem Sitz zusammengesunken und lachte hysterisch. Die anderen sahen sie an und wußten nicht, was sie tun sollten. Er packte sie bei der Schulter und schüttelte sie. »Reiß dich zusammen«, rief er, aber sie lachte weiter.

Kahega stand neben einem Gaszylinder mit der Aufschrift PRO-PAN. »Sie das gesehen und gefragt, wie viel noch. Ich sage ihr, noch sechs, und sie fängt an zu lachen.«

Munro runzelte die Stirn. Es war ein großer Zylinder, mit einem Inhalt von gut einem halben Kubikmeter. »Kahega, wozu--brau-chen die so viel Propangas?«

Kahega zuckte mit den Schultern. »Zu groß zum Kochen. Dafür brauchen sie nicht so viel.«

Munro fragte: »Und davon sind noch sechs hier?« »Ja, bwana, sechs.«

»Das ist verdammt viel Gas«, sagte Munro. Dann dachte er daran, daß Karen Ross mit ihrem Sinn fürs Planen sicherlich sogleich die Bedeutung dieser großen Mengen von Propangas begriffen hatte. Auch Munro hatte sie begriffen und grinste breit. Verärgert fragte Elliot: »Kann uns vielleicht jemand sagen, was hier eigentlich gespielt wird?«

»Also«, sagte Munro lachend, »von jetzt an geht es aufwärts.« Von gut zweiundzwanzigtausend Kilogramm Heißluft, die von dem Propangasbrenner aufstieg, getragen, hob sich die schimmernde Kunststoffkugel des Ballons, den das Konsortium mitgebracht hatte, vom Boden des Dschungels und stieg rasch in den dunkler werdenden Abendhimmel.

Die Kigani-Krieger kamen, Speere und Bogen schwingend, aus dem Wald gestürmt. Weiße Pfeile wurden ihnen im schwindenden Licht nachgeschickt, aber sie fielen kraftlos wieder zu Boden. Der Ballon stieg gleichmäßig höher.

In sechshundert Meter Höhe geriet er unter den Einfluß eines östlichen Windes, der ihn westwärts trug, fort von der dunklen Weite des Regenwalds, über das rauchende, rote vulkanische Herz des Muhavura und den scharfen Einbruch des Zentralafrikanischen Grabens hinweg, dessen steil abfallende Wände im Mondlicht schimmerten.

Von dort glitt der Ballon über die Grenze von Zai're, nach Südosten auf Kenia zu - zurück in die Zivilisation.

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