2. Tag San Francisco 14. Juni 1979

1. Projekt Amy

Es wäre ungerecht zu sagen, wie einige Primatenforscher es später taten, Peter Elliot habe im Juni 1979 »aus der Stadt verschwinden« müssen. Seine Beweggründe und die Planung, die seiner Entscheidung, in den Kongo zu gehen, zugrunde lag, sind bekannt und nachweisbar. Dr. Elliot und die Projektgruppe Amy hatten mindestens zwei Tage vor Karen Ross' Anruf eine Reise nach Afrika beschlossen.

Aber angegriffen wurde Peter Elliot: von Außenstehenden, der Presse, Kollegen, die dasselbe Forschungsgebiet bearbeiteten, und sogar von Angehörigen seines Instituts in Berkeley. Es ging so weit, daß man Elliot schließlich als »Naziverbrecher« anprangerte, der sich mit der »Folterung stummer (sie) Kreaturen« beschäftigte. Es ist keine Übertreibung zu sagen, daß er zu Beginn des Jahres 1979 um seine wissenschaftliche Existenz kämpfte.

Dabei hatte seine Forschungsarbeit ruhig und beinahe zufällig begonnen. Als dreiundzwanzigjähriger Doktorand hatte Peter Elliot im Institut für Anthropologie in Berkeley erstmals von einem einjährigen Gorilla gelesen, der an Amöbenruhr litt und den man zur Behandlung vom Zoo der Stadt Minneapolis zum veterinärmedizinischen Institut nach San Francisco geflogen hatte. Das war 1973, in den erregenden ersten Jahren der Sprachuntersuchung an Primaten. Die Vorstellung, man könne Primaten eine Sprache beibringen, war alt. Bereits 1661 hatte Samuel Pepys in London einen Schimpansen gesehen und in seinem Tagebuch vermerkt: »Er war in so vielen Dingen wie ein Mensch, und ich glaube, daß er bereits gut Englisch versteht/Ich meine auch, man könnte ihn lehren, sich mittels der Sprache oder mit Zeichen zu verständigen.« Ein anderer Schriftsteller des 17. Jahrhunderts ging noch weiter: »Menschenaffen und Paviane«, sagte er, »können zwar sprechen, tun das aber nicht, weil sie fürchten, man ließe sie dann Arbeiten verrichten.«

Doch schlugen in den folgenden drei Jahrhunderten offenbar alle Versuche fehl, Menschenaffen eine Sprache zu lehren. Ihren Höhepunkt fanden sie in der ehrgeizigen Bemühung eines Ehepaares aus Florida, Keith und Kathy Hayes, die zu Beginn der fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts ein Schimpansenweibchen namens Vicki sechs Jahre lang aufzogen, als sei es ein Kind. In dieser Zeit lernte Vicki vier Wörter: »Mama«, »Papa«, »Cup« (Tasse) und »up« (hinauf, auf). Die Aussprache allerdings war mühselig, und sie machte nur schleppende Fortschritte. Ihre Schwierigkeiten schienen die sich unter Wissenschaftlern zunehmende Überzeugung zu stützen, der zufolge der Mensch als einziges Tier eine Sprache zu lernen verstand. Kennzeichnend dafür war die Aussage von George Gaylord Simpson: »Sprache ist der auffälligste Wesenszug der Menschen: alle normalen Menschen können sprechen, kein anderes lebendes Wesen vermag das.«

Das schien so selbstverständlich, daß in den darauffolgenden fünfzehn Jahren niemand den Versuch unternahm, einem Menschenaffen das Sprechen beizubringen. Dann sahen sich im Jahre 1966 Beatrice und Allen Gardner aus Reno, Nevada, Filme an, die zeigten, wie Vicki sprach. Sie hatten den Eindruck, daß Vicki weniger Schwierigkeiten mit dem Erlernen der Sprache als vielmehr mit dem Sprechen hatte. Es fiel ihnen auf, wie schwerfällig -im Gegensatz zu den geschmeidigen ausdrucksstarken Handbewegungen des Affen -seine Lippenbewegungen waren. Die naheliegende Schlußfolgerung lautete: Man muß es mit einer Zeichensprache versuchen.

Im Juni des Jahres 1966 begannen die Gardners damit, ein junges Schimpansenweibchen namens Washoe im Gebrauch der für Taubstumme entwickelten amerikanischen Zeichensprache Ameslan zu unterrichten. Washoe machte rasche Fortschritte und verfügte bereits 1971 über einen Sprachschatz von einhundertsechzig Zeichen, die sie in der Unterhaltung einsetzte. Sie kombinierte auch selbst neue Wörter für Dinge, die sie nie zuvor gesehen Hatte: beispielsweise machte sie, als sie zum erstenmal einen Schwan sah, das Zeichen für »Wasservogel«. Die Arbeit der Gardners war umstritten: es zeigte sich, daß viele Wissenschaftler von der Unfähigkeit der Affen, eine Sprache zu lernen, fest überzeugt waren. So sagte ein Forscher: »Wenn man daran denkt, wie viele berühmte Leute wie viele gelehrte Abhandlungen, darüber verfaßt haben, daß nur der Mensch über Sprache verfügt -wie schrecklich!«

Auf Grund von Washoes Fertigkeiten machte man sich an zahlreiche weitere Sprach-Lern-Experimente. Einem Schimpansenweibchen namens Lucy wurde beigebracht, über einen Computer mit der Außenwelt zu kommunizieren, ein weiteres, Sarah, lernte, Kunststoffmarken auf einer Tafel sinnvoll anzuordnen. Auch mit anderen Affenarten wurde experimentiert. So nahm man 1971 den Unterricht mit Alfred, einem Orang-Utan, auf, 1972 mit Koko, einem Flachland-Gorilla, und schließlich begann 1973 Peter Elliot mit Amy, einem Berggorilla-Weibchen, zu arbeiten. Bei seinem ersten Besuch im Krankenhaus fand er ein jämmerliches kleines Geschöpf vor, das unter dem Einfluß starker Beruhigungsmittel stand und an seinen dürren schwarzen Armen und Beinen mit Gurten festgebunden war. Er streichelte den Kopf der Äffin und sagte freundlich: »Hallo, Amy, ich bin Peter.« Amy biß ihn prompt in die Hand, so daß sie blutete. Aus diesen wenig verheißungsvollen Anfängen entwickelte sich ein einzigartig erfolgreiches Forschungsprogramm. 1973 war die Grund-Unterrichtsmethode, das »Nachbilden«, weithin bekannt. Dem Tier wurde ein Gegenstand gezeigt, und zugleich bildete der Forscher mit der Hand des Tieres das richtige Zeichen, bis eine feste Gedankenverbindung bestand. Anschließende Überprüfungen ergaben, daß das Tier die Bedeutung des Zeichens verstand.

Zwar gab es grundsätzliche Übereinstimmung über das Verfahren selbst, doch wetteiferten die Wissenschaftler bei seiner Anwendung, so zum Beispiel, was die Geschwindigkeit des Zeichenerwerbs oder den Erwerb von »Vokabular« anging. Man bedenke, daß beim Menschen der Wortschatz als eine der besten Möglichkeiten gilt, die Intelligenz einzuschätzen. Die Geschwindigkeit des Zeichenerwerbs konnte als Maßstab für die Fähigkeiten des Wissenschaftlers oder für die des Tieres dienen. Inzwischen erkannte man allgemein an, daß Affen individuell unterschiedliche Persönlichkeiten hatten. Ein Wissenschaftler drückte das so aus: »Die Erforschung von Orang-Utans ist möglicherweise das einzige Gebiet, auf dem die Lernenden und nicht die Lehrenden Gegenstand des akademischen Klatsches sind.« In der Welt der Primatenforschung, die zunehmend von Wettstreit und Eifersüchteleien beherrscht wurde, hieß es bald, Lucy sei Alkoholikerin, Koko eine verzogene Göre, Lana habe sich durch ihre Berühmtheit den Kopf verdrehen lassen (»sie arbeitet nur noch, wenn ein Interviewer in der Nähe ist«), und Nim sei von geradezu gespenstischer Dummheit. Es mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen, daß auch Peter Elliot angegriffen wurde. Der gutaussehende und eher zurückhaltende Mann, Sohn eines Bibliothekars im Marin Country, war in den Jahren, in denen er mit Amy arbeitete, allen Streitigkeiten aus dem Weg gegangen. Seine Veröffentlichungen waren bescheiden und gemäßigt, seine Fortschritte mit Amy gründlich belegt; er hatte kein Interesse an Publicity und gehörte auch nicht zu den Forschern, die ihre Affen in die Talkshow mitnahmen. Doch verbarg sich hinter Elliots zaghaftem Auftreten nicht nur eine wache Intelligenz, sondern auch brennender Ehrgeiz. Er mied Auseinandersetzungen lediglich, weil er keine Zeit dafür hatte - er arbeitete seit Jahren auch nachts und an den Wochenenden und nahm seine Mitarbeiter und auch Amy erbarmungslos heran. Er verstand etwas von der geschäftlichen Seite der Wissenschaft und bekam allerlei Zuwendungen. Auf Kongressen, bei denen es um Verhaltensforschung ging, wo andere in Bluejeans und karierten Jacken erschienen, trat Elliot stets in einem makellosen Anzug mit Weste auf. Er wollte an der Spitze der Primatenforschung stehen, und Amy sollte an der Spitze der Affen stehen. Elliot war so geschickt im Beschaffen von finanziellen Mitteln, daß die Projektgruppe Amy 1975 acht Mitarbeiter (darunter ein Kinderpsychologe und ein ComputerProgrammierer) umfaßte und über einen Jahresetat von hundertsechzigtausend Dollar verfügte. Später sagte ein ständiger Mitarbeiter des Bergren-Instituts, Elliot sei »eine gute Investition« gewesen, und das habe seinen Reiz ausgemacht. »Beispielsweise haben wir bei dem Projekt Amy fünfzig Prozent mehr Computerzeit für unser Geld bekommen, weil Elliot sich mit seinem parallel arbeitenden Datenplatz nachts und an Wochenenden in das Netz einschaltete, wenn die Computerzeit billiger ist. So war die Kosten-Nutzen-Relation bei ihm sehr günstig. Und er war ein besessener Forscher. Offenbar war ihm im Leben nichts wichtig außer seiner Arbeit mit Amy. Das machte ihn zwar zu einem langweiligen Gesellschafter, aber von unserem Standpunkt aus betrachtet war Geld, das wir in ihn investierten, gut angelegt. Es läßt sich schwer sagen, ob jemand wirklich brillant ist; eher läßt sich erkennen, ob einer eine starke Antriebskraft hat, und das ist auf die Dauer möglicherweise wichtiger. Wir erwarteten große Dinge von Elliot.«

Peter Elliots Schwierigkeiten begannen am 2. Februar 1979. Amy lebte in einem Wohnwagen auf dem Universitätsgelände in Berkeley; die Nächte verbrachte sie dort allein, und gewöhnlich begrüßte sie am folgenden Morgen ihre Betreuer überschwenglich. Doch an diesem Vormittag war sie mürrisch - was gar nicht zu ihr paßte. Sie reagierte gereizt und hatte einen verschleierten Blick. Sie verhielt sich, als hätte man ihr Unrecht getan. Elliot war der Ansicht, irgend etwas müsse sie während der Nacht aus dem Gleichgewicht gebracht haben. Als man sie fragte, machte sie immer wieder Zeichen, die »Schlaf-Kasten« bedeuteten, eine neue Wortverbindung, die ihm nichts sagte. An sich war das nicht ungewöhnlich - Amy erfand ständig neue Wortverbindungen, die oft schwer zu verstehen waren. Noch wenige Tage zuvor hatte sie alle damit verblüfft, daß sie von »Krokodil-Milch« gesprochen hatte. Schließlich kamen sie dahinter, daß Amys Milch sauer geworden war, und da ihr Krokodile, die sie allerdings nur aus Bilderbüchern kannte, widerwärtig waren, bezeichnete sie nun offenbar saure Milch als »Krokodil-Milch«. Jetzt sprach sie von »Schlaf-Kasten«. Zuerst nahm man an, sie meine damit ihr ausgepolstertes Schlafnest. Doch zeigte, sich, daß sie das Wort »Kasten« in dem ihr vertrauten Sinne gebrauchte, nämlich für Fernsehgerät.

Alles in ihrem Wohnwagen, auch der Fernseher, wurde vierundzwanzig Stunden am Tag über Computer gesteuert. Man prüfte, ob das Gerät womöglich über Nacht eingeschaltet gewesen war und ihren Schlaf gestört hatte. Da Amy gern fernsah, war es durchaus denkbar, daß sie es fertiggebracht hatte, es selbst einzuschalten. Doch als sie darangingen, das Fernsehgerät im Wohnwagen näher zu untersuchen, bedachte Amy sie mit einem verächtlichen Blick. Offenkundig meinte sie etwas anderes. Schließlich kam man zu dem Ergebnis, sie meine »Schlaf-Film« oder »Schlaf-Bilder«. Als man sie befragte, machte sie Zeichen, aus denen hervorging, daß es sich um »schlechte Bilder« und »alte Bilder« handelte, bei denen »Amy weinen« mußte. Sie träumte also.

Die Tatsache, daß Amy der erste Primat war, von dessen Träumen man erfuhr, rief unter Elliots Mitarbeitern ungeheure Erregung hervor, die allerdings nur von kurzer Dauer war. Obwohl Amy in den darauffolgenden Nächten wieder träumte, weigerte sie sich, von ihren Träumen zu berichten. Sie schien sogar den Forschern Vorwürfe zu machen wegen dieses neuen und verwirrenden Eindringens in ihr Seelenleben. Schlimmer war, daß ihr Verhalten im Wachzustand sich auf alarmierende Art verschlechterte.

Die Quote ihres Spracherwerbs sank von 2,7 auf 0,8 Wörter pro Woche, die Anzahl ihrer spontanen Wortbildungen von 1,9 auf 0,3. Ihre aufgezeichnete Aufmerksamkeitsdauer ging auf die Hälfte zurück, Stimmungsumschwünge nahmen zu, unmotiviertes und unberechenbares Verhalten wurde zur Regel. Täglich hatte sie Wutanfälle und schlechte Laune. Amy war zu jener Zeit ein Meter siebenunddreißig groß, wog neunundfünfzig Kilogramm und war ungeheuer kräftig. Elliots Mitarbeiter fragten sich, ob sie notfalls in der Lage sein würden, Amy zu bändigen. Ihre Weigerung, über ihre Träume zu sprechen, ärgerte die Mitglieder der Gruppe. Sie probierten auf verschiedene Art, an Amy heranzukommen: sie zeigten ihr Bilder aus Büchern und Zeitschriften, sie ließen die an der Decke angebrachten Video-Überwachungsgeräte Tag und Nacht laufen, für den Fall, daß sie während ihres Alleinseins etwas Wichtiges bezeichnete, denn Amy sprach wie Kleinkinder »oft mit sich selbst«, und sie versuchten es schließlich mit einer ganzen Batterie neurologischer Testverfahren, einschließlich eines Elektroenzephalogramms.

Ganz zum Schluß verfielen sie auf Fingerfarben. Damit hatten sie sofort Erfolg. Amy war begeistert davon, und nachdem sie Cayenne-Pfeffer mit den Farbpigmenten vermischt hatten, hörte sie auch auf, sich die Finger abzulecken. Sie malte sehr schnell und immer wieder, und sie schien sich etwas zu beruhigen und sich langsam wieder zu fangen. David Bergman, der Kinderpsychologe, notierte: »Amy malt eine Vielzahl augenscheinlich zusammengehöriger Bildsymbole: liegende Mondsicheln oder Halbkreise, denen stets eine Fläche mit grünen Streifen zugeordnet ist. Sie erklärt, daß diese >Wald< bedeuten, und die Halbkreise nennt sie schlechte Häuser< oder >alte Häuser<. Außerdem malt sie oft schwarze Kreise, die sie als >Löcher< bezeichnet.«

Bergman warnte vor dem naheliegenden Schluß, sie male alte Gebäude im Dschungel. »Wenn ich sehe, wie sie unaufhörlich ein Bild nach dem anderen malt, bin ich davon überzeugt, daß es sich dabei um eine ganz persönliche Obsession handelt. Amy fühlt sich von ihr bedrückt und versucht sie loszuwerden, indem sie sie auf das Papier >bannt<.«

Tatsächlich blieb es den Mitarbeitern der Projektgruppe rätselhaft, welcher Art diese Bildwelt war. Bis Ende 1979 war man zu dem Ergebnis gekommen, daß es die vier folgenden, hier nach ihrer Bedrohlichkeit aufgeführten Erklärungen gab:

1. Die Träume stellen einen Versuch zur Bewältigung von Alltagserlebnissen dar. Das ist die übliche Erklärung für Träume (bei Menschen), doch wurde bezweifelt, daß sie auf Amy anwendbar war.

2. Die Träume sind eine vorübergehende Erscheinung der Pubertät. Mit sieben Jahren war Amy in einem Alter, in dem Gorillas pubertieren, und sie hatte auch schon seit nahezu einem Jahr viele dafür typische Verhaltensweisen gezeigt. Dazu gehörten Wutanfälle und Schmollphasen, viel Getue um ihr Aussehen und ein neues Interesse am anderen Geschlecht.

3. Die Träume sind ein artspezifisches Phänomen. Es war möglich, daß alle Gorillas aufwühlende Träume hatten und daß in der Wildnis das Gruppenverhalten die daraus resultierenden psychischen Belastungen in gewisser Weise regulierte. Allerdings gab es keinerlei Belege dafür, obwohl wildlebende Gorillas bereits seit zwanzig Jahren untersucht worden waren.

4. Die Träume sind das erste Anzeichen beginnenden Schwachsinns. Diese Möglichkeit wurde am meisten gefürchtet. Wer einen Menschenaffen mit Aussicht auf Erfolg ausbilden wollte, mußte sehr früh damit beginnen. Erst im Laufe der Jahre ließ sich feststellen, ob das Tier klug oder dumm, widerborstig oder umgänglich, gesund oder kränklich war. Die Gesundheit der Tiere war eine Quelle ständiger Besorgnis. Viele Forschungsprogramme brachen nach Jahren der Mühe und hoher Kosten zusammen, weil die Affen an physischen oder seelischen Krankheiten starben. Timothy, ein Schimpanse, dessen Verhalten in Atlanta erforscht wurde, entwickelte 1976 eine Psychose und beging Selbstmord durch Koprophagie: er erstickte an seinem eigenen Kot. Maurice, ein Orang-Utan in Chicago, wurde neurotisch und entwickelte Phobien, so daß die Arbeit mit ihm 1977 abgebrochen werden mußte. Ihre Intelligenz, um derentwillen die Affen so lohnende Forschungsobjekte waren, machte sie zugleich so anfällig und unzuverlässig wie Menschen. Aber die Projektgruppe Amy sah sich außerstande, in dieser Frage weiterzukommen. Im Mai 1979 entschloß man sich zu einem, wie sich zeigen sollte, folgenschweren Schritt: man beschloß, Amys Bilder zu veröffentlichen und schickte sie an eine Zeitschrift für Verhaltensforschung, das Journal of Behavioral Sciences.

2. Durchbruch

Der Aufsatz »Traumverhalten eines Berggorillas« wurde nie gedruckt. Er wurde wie üblich an drei Wissenschaftler geschickt, die als Herausgeber der Zeitschrift fungierten. Sie sollten die Arbeit begutachten. Aber auf nach wie vor ungeklärte Weise fiel ein Exemplar in die Hände der Vereinigung zum Schutz der Primaten, einer Gruppe, die sich 1975 in New York gebildet hatte, um »die unbegründete und ungesetzliche Ausbeutung intelligenter Primaten durch unnötige Laborforschung« [ Der folgende Bericht über Elliots Leidensweg stützt sich weitgehend auf: »Infringement of Academic Freedom by Press Innuendo and Hearsay: The Experience of Dr. Peter Elliot.« In: Journal of Academic Law and Psychiarry, 52, N° 12 (1979). pp. 19-38. ] zu verhindern.

Am 3. Juni demonstrierten Mitglieder der Vereinigung vor dem Gebäude des Zoologischen Instituts in Berkeley und forderten die »Freilassung« Amys. Die meisten Demonstranten waren Frauen, darunter viele mit ihren kleinen Kindern. Die Regionalnachrichten des Fernsehens zeigten Videobänder, auf denen ein achtjähriger Junge ein Transparent mit Amys Bild hochhielt und immer wieder rief: »Befreit Amy! Befreit Amy!« Es erwies sich als taktischer Fehler, daß die Projektgruppe beschloß, den Protest zu ignorieren, und lediglich eine kurze Presseerklärung abgab, in der es hieß, die Vereinigung sei »falsch informiert«. Diese Erklärung ging mit dem Briefkopf der Pressestelle von Berkeley an die Öffentlichkeit.

Am 5. Juni veröffentlichte die Vereinigung zum Schutz der Primaten Stellungnahmen anderer Forscher zu Elliots Arbeit. Viele dementierten später diese Stellungnahmen oder behaupteten, man habe sie falsch zitiert. So hieß es zum Beispiel, Dr. Wayne Turman von der University of Oklahoma in Norman habe Elliots Arbeit als »wunderlich und unethisch« bezeichnet. Dr. Felicity Hammond vom Yerkes-Primatenforschungszentrum in Atlanta sagte: »Weder Elliot noch seine Arbeit sind erstklassig.« Und Dr. Richard Aronson von der University of Chicago bezeichnete Elliots Forschungsarbeit als »ihrem Wesen nach eindeutig faschistisch«.

Keiner dieser Wissenschaftler hatte, bevor er sich zum Thema äußerte, Elliots Aufsatz gelesen. Der Schaden, den diese Äußerungen, insbesondere die von Aronson, verursachten, war nicht abzuschätzen. Am 8. Juni sprach Eleanor Vries, die Sprecherin der Vereinigung, von der »kriminellen Forschungsarbeit Dr. Elliots und seiner Nazi-Mitarbeiter«. Sie behauptete, Elliots Versuche hätten Amy Alpträume verursacht, sie werde gefoltert, mit Drogen und mit Elektroschocks behandelt. Ziemlich spät, am 10. Juni, formulierte die Projektgruppe Amy eine längere Presseerklärung, in der sie ihre Position erläuterte und auf den noch unveröffentlichten Aufsatz verwies. Doch ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt war die Pressestelle der Universität »überlastet« und konnte die Erklärung nicht gleich herausgeben.

Am 11. Juni berief die Fakultät eine Sitzung zu einem Gespräch über »Fragen ethischen Verhaltens« innerhalb der Universität ein. Eleanor Vries verkündete, die Vereinigung zum Schutz der Primaten habe den Staranwalt Melvin Belli aus San Francisco damit beauftragt, »Amy aus der Knechtschaft zu befreien«. Dieser Anwalt war unter anderem dadurch bekannt geworden, daß er die Witwen abgestürzter deutscher Starfighter-Piloten bei ihrer Klage gegen den Bund unterstützt hatte. Eine Stellungnahme zu »Amys Knechtschaft« war in Bellis Büro nicht zu erhalten. Am gleichen Tag gelang der Projektgruppe Amy ein unerwarteter Durchbruch, was das Verständnis von Amys Träumen betraf.

Trotz aller Publizität und Aufregung hatte die Gruppe ihre tägliche Arbeit mit Amy fortgesetzt. Amys anhaltender Kummer und ihre Temperamentsausbrüche erinnerten die Betreuer ständig daran, daß das eigentliche Problem noch immer nicht gelöst war, und so suchten sie weiter beharrlich nach Hinweisen. Der Durchbruch allerdings ergab sich beinahe zufällig. Sarah Johnson, eine wissenschaftliche Hilfskraft, überprüfte prähistorische archäologische Stätten im Kongo für den - unwahrscheinlichen - Fall, daß Amy in ihrer frühen Kindheit, bevor sie in den Zoo von Minneapolis gebracht worden war, eine solche Stätte gesehen haben könnte (»alte Gebäude im Dschungel«). Sie ermittelte, daß die Region bis vor hundert Jahren nicht von westlichen Forschern erkundet worden war, daß in jüngerer Zeit Stammesfehden und ein Bürgerkrieg eine wissenschaftliche Erforschung des Gebiets verhindert hatten und daß schließlich die feuchte Dschungelumgebung der Erhaltung von Zeugnissen menschlicher Kultur abträglich war.

Das bedeutete nichts anderes, als daß man bemerkenswert wenig über die Vorgeschichte des Kongo wußte - und Sarah Johnson konnte ihre Arbeit binnen weniger Stunden abschließen. Aber sie zögerte, den Auftrag so schnell als erledigt zu betrachten, und suchte weiter, sah sich andere Bücher in der anthropologischen Abteilung der Bibliothek an - Ethnographien, geschichtliche Darstellungen, frühe Berichte. Die frühesten Reisenden ins Innere des Kongo waren arabische Sklavenhändler und portugiesische Kaufleute gewesen, und einige hatten Berichte über ihre Reisen geschrieben. Da Sarah Johnson weder Arabisch noch Portugiesisch lesen konnte, betrachtete sie lediglich die Abbildungen.

Dann sah sie ein Bild, bei dessen Anblick ihr »ein Schauder über den Rücken fuhr«, wie sie erklärte.

Es handelte sich um einen portugiesischen Stich ursprünglich aus dem Jahre 1642, den man in einem 1842 veröffentlichten Buch reproduziert hatte. Die Druckfarbe auf dem zerfaserten, brüchigen Papier war verblaßt, doch ließ sich deutlich eine von Riesenfarnen und Schlingpflanzen überwucherte Ruinenstadt im Dschungel erkennen. An den Türen und Fenstern fanden sich halbkreisförmige Bogen, genau wie Amy sie gemalt hatte.

Später sagte Elliot: »Es war eine Gelegenheit, wie sie sich einem Forscher nur einmal im Leben bietet -wenn er Glück hat. Natürlich wußten wir nichts über das Bild. Die Unterschrift war kursiv gedruckt und enthielt ein Wort, das wie >Zinj< aussah, sowie die Jahreszahl 1642. Wir ließen sofort Übersetzer kommen, die Altarabisch und das Portugiesisch des 17. Jahrhunderts beherrschten. Aber darum ging es eigentlich gar nicht. Es ging darum, daß wir eine Gelegenheit hatten, eine wichtige theoretische Frage zu überprüfen, denn Amys Bilder schienen ein klares Beispiel für ein artspezifisches genetisches Gedächtnis zu liefern.« Den Begriff des genetischen Gedächtnisses hatte erstmals Marais im Jahre 1911 eingeführt, und seitdem war er immer wieder heftig diskutiert worden. In ihrer einfachsten Form besagte die Theorie, der Mechanismus genetischer Vererbung, der für die Weitergabe aller körperlichen Merkmale verantwortlich war, sei nicht auf diese allein beschränkt. So sei auch das Verhalten niederer Tiere ganz eindeutig genetisch determiniert, denn sie würden mit einem komplexen Verhaltensmuster geboren, das sie nicht zu erlernen brauchten.

Allerdings sei das Verhalten höherer Tiefe flexibler und damit abhängiger vom Lernen und vom Gedächtnis. Die Frage war nun, ob bei höheren Tieren, insbesondere beim Menschenaffen und beim Menschen, ein Teil des psychischen Verhaltens von Geburt an durch ihre Gene vorbestimmt war.

Jetzt, so meinte Elliot, hatten sie mit Amy einen Beweis für ein solches Gedächtnis. Sie war im Alter von lediglich sieben Monaten aus Afrika fortgebracht worden, und wenn sie diese Ruinenstadt nicht in ihrer Kindheit gesehen hatte, belegten ihre Träume ein artspezifisches genetisches Gedächtnis, das man durch eine Reise nach Afrika verifizieren konnte. Am Abend des 11. Juni waren die Mitglieder der Projektgruppe sich einig. Falls sich die Reise organisieren und finanzieren ließ, würden sie Amy nach Afrika bringen.

Am 12. Juni warteten sie darauf, daß die Übersetzer ihre Arbeit am Quellenmaterial beendeten. Die geprüften Übersetzungen sollten innerhalb von zwei Tagen vorliegen. Allerdings würde eine Reise nach Afrika für Amy und zwei Mitglieder der Gruppe mindestens dreißigtausend Dollar kosten - ein erheblicher Teil des gesamten Jahresetats, ganz abgesehen davon, daß für den Transport eines Gorillas um den halben Erdball eine verwirrende Vielzahl von Verwaltungs- und Zollvorschriften zu beachten war.

Sie brauchten die Hilfe von Experten. Aber an wen sollten sie sich wenden? Und dann, am 13. Juni, rief eine der Einrichtungen an, von denen ihr Projekt finanziert wurde, der Earth Resources Wildlife Fund in Houston, und eine gewisse Karen Ross erklärte, sie breche in zwei Tagen mit einer Expedition in den Kongo auf. Zwar zeigte sie keinerlei Interesse daran, Peter Elliot oder Amy mitzunehmen, doch vermittelte sie ihm - zumindest über das Telefon -das Gefühl einer beruhigenden Vertrautheit mit der praktischen Planung und der Führung von Expeditionen in abgelegene Gegenden der Erde.

Als sie Dr. Elliot fragte, ob sie ihn in San Francisco treffen könne, erwiderte er, es werde ihm ein Vergnügen sein, er stehe ihr jederzeit zur Verfügung.

3. Juristische Probleme

Peter Elliot blieb der 14. Juni des Jahres 1979 als ein Tag plötzlicher Wendungen im Gedächtnis. Es begann um acht Uhr morgens in der Anwaltssozietät Sutherland, Morton & O'Connell in San Francisco, wo er sich wegen der angedrohten Klage seitens der Vereinigung zum Schutz der Primaten auf Entzug des Sorgerechts über Amy eingefunden hatte - eine Angelegenheit, die nun um so wichtiger wurde, als er vorhatte, Amy mit außer Landes zu nehmen. Er traf mit John Morton in der holzgetäfelten Bibliothek der Kanzlei zusammen, von der aus man auf die Grant Street blickte.

Morton machte sich Notizen in einem gelben Heft mit perforierten Blättern. »Ich glaube nicht, daß Ihre Lage besonders problematisch ist«, meinte der Anwalt, »aber ich sollte ein paar Einzelheiten wissen. Amy ist also ein Gorilla?« »Ja, ein Berggorilla-Weibchen.« »Wie alt?« »Sieben.«

»Also noch ein Kind?«

Elliot erklärte ihm, daß Gorillas zwischen dem sechsten und dem achten Lebensjahr zur Geschlechtsreife gelangten, so daß Amy in der Spätpubertät und einem sechzehnjährigen Mädchen vergleichbar war.

Morton machte sich wieder Notizen. »Wir könnten also sagen, daß sie noch minderjährig ist?« »Ist das in unserem Interesse?« »Ich glaube schon.«

»Ja, sie ist noch minderjährig«, sagte Elliot. »Woher kommt sie? Ich meine ursprünglich.« »Eine Touristin namens Swenson fand sie in Bagimindi, einem Dorf in Afrika. Amys Mutter war von hungrigen Eingeborenen getötet worden. Mrs. Swenson kaufte Amy, die noch ein ganz junges Tier war.«

»Sie ist also nicht in Gefangenschaft geboren worden«, sagte Morton und blickte von seinen Notizen auf. »Nein. Mrs. Swenson nahm sie mit in die Vereinigten Staaten und schenkte sie dem Zoo von Minneapolis.« »Sie verzichtete also auf ihre Ansprüche an Amy?« »Das vermute ich«, sagte Elliot. »Wir haben versucht, mit ihr Verbindung aufzunehmen, um Einzelheiten über Amys früheres Leben zu erfahren, aber sie ist zur Zeit nicht erreichbar. Anscheinend reist sie viel - gegenwärtig ist sie in Borneo. Auf jeden Fall habe ich damals, als Amy nach San Francisco geschickt wurde, den Zoo von Minneapolis angerufen, um zu fragen, ob ich sie für Studienzwecke behalten könne. Der Zoo stimmte dem zu und überließ sie mir für drei Jahre.« »Haben Sie etwas dafür bezahlen müssen?«

»Nein.«

»Gibt es einen schriftlichen Vertrag darüber?« »Nein, ich habe einfach den Zoodirektor angerufen.« Morton nickte. »Mündlich getroffene Vereinbarung...« sagte er und schrieb wieder. »Und nach Ablauf der drei Jahre?« »Das war im Frühjahr 1976. Ich bat den Zoo um eine Verlängerung um sechs Jahre, die mir auch gewährt wurde.« »Wieder mündlich?« »Ja, am Telefon.« »Gibt es keine Korrespondenz?«

»Nein. Sie schienen bei meinem Anruf nicht besonders interessiert. Um die Wahrheit zu sagen, ich glaube, sie hatten Amy schon ganz vergessen. Der Zoo hat im übrigen vier Gorillas.« Morton runzelte die Brauen. »Ist ein Gorilla nicht ein ziemlich teures Tier? Ich meine, wenn man sich einen als Hausgenossen oder für einen Zirkus kaufen möchte?«

»Gorillas gehören zu den von der Ausrottung bedrohten Arten. Man kann sie nicht als Haustiere kaufen. Wenn das ginge, wären sie natürlich ziemlich teuer.« »Wie teuer?«

»Nun, es gibt keinen festgelegten Marktwert, aber so um zwanzig- oder dreißigtausend Dollar.«

»Und in all diesen Jahren haben Sie Amy eine Sprache beigebracht?«

»Ja«, sagte Peter Elliot. »Ameslan, die Zeichensprache, mit der sich hier in Amerika die Taubstummen verständigen. Sie beherrscht gegenwärtig sechshundertzwanzig Wörter.« »Ist das viel?«

»Mehr als jeder bekannte Primat.«

Morton nickte und machte sich wieder Notizen. »Und Sie arbeiten täglich mit ihr an Ihrem Forschungsprojekt?« »Ja.«

»Gut«, sagte Morton. »Das war bisher bei allen Fällen von Sorgerecht für Tiere sehr wichtig.«

Seit über hundert Jahren gab es in den westlichen Ländern organisierte Bewegungen zur Abschaffung von Tierversuchen.

An ihrer Spitze standen die Gegner der Vivisektion und die Tierschutzvereine. Ursprünglich hatten sich diese Organisationen aus tierliebenden Fanatikern zusammengesetzt, die jede Art von Tierversuchen unterbinden wollten.

Im Laufe der Jahre hatten die Naturwissenschaftler eine den Gerichten annehmbar erscheinende Standardrechtfertigung entwickelt. Als Ziel ihrer Experimente gaben die Forscher verbesserte Bedingungen für das gesundheitliche und allgemeine Wohlergehen der Menschen an, das über dem Wohlergehen der Tiere rangierte. Im übrigen wiesen sie darauf hin, daß niemand je gegen den Gebrauch von Tieren als Last- und Arbeitstiere protestiert habe - ein mühsames und schweres Los, das den Tieren seit Jahrtausenden beschieden war. Die Nutzung von Tieren für wissenschaftliche Experimente sei lediglich eine konsequente Weiterentwicklung der Idee, daß Tiere die Diener menschlicher Unternehmungen seien.

Außerdem waren Tiere unwissend. Sie waren sich ihrer selbst nicht bewußt und wußten nichts von ihrer Existenz in der Natur. Das bedeutete, um es mit den Worten des Philosophen George H. Mead zu sagen, daß »Tiere keine Rechte haben. Es steht uns frei, ihrem Leben ein Ende zu setzen.. In einem solchen Fall geschieht kein Unrecht. Das Tier büßt dabei nichts ein...« Viele Menschen zeigten sich von diesen Anschauungen beunruhigt, doch bei dem Versuch, Richtlinien zu erarbeiten, stieß man rasch auf Schwierigkeiten. Am eindeutigsten war das der Fall, wenn es um die Sinneswahrnehmungen von Tieren ging, die sich weiter unten auf der stammesgeschichtlichen Leiter befanden. Nur wenige Forscher arbeiteten mit Katzen, Hunden und anderen Säugern, ohne sie zu anästhesieren. Wie aber war es mit Ringelwürmern, Krebsen, Igeln und Tintenfischen? Machte sich nicht, wer diese Tiere überging, einer Art »Gattungsdiskriminierung« schuldig? Wenn aber diese Tiere es wert waren, daß man über sie nachdachte, mußte es dann nicht auch verboten sein, lebende Hummer in einen Topf mit siedendem Wasser zu werfen? Auch die Tierschutzvereinigungen trugen dazu bei, daß über die Frage, was »Tierquälerei« bedeutete, Unklarheit herrschte. In einigen' Ländern kämpften sie sogar gegen die Ausrottung der Ratten. Und 1968 wurde ein seltsamer Fall aus Australien berichtet. Man hatte in Westaustralien eine neue Arzneimittelfabrik errichtet, in der alle Dragees auf ein Förderband kamen. Eine Arbeitskraft mußte das Band beobachten und Knöpfe drücken, um die Dragees nach Farbe und Größe in verschiedene Behälter zu sortieren. Ein Forscher der Skinner-Schule wies darauf hin, daß es einfach sei, Tauben so abzurichten, daß sie die Dragees beobachteten und mit dem Schnabel farbig gekennzeichnete Knöpfe betätigten, um so das Sortieren zu besorgen. Die Unternehmensleitung stimmte skeptisch einem Test zu. Es zeigte sich, daß die Tauben die Arbeit tatsächlich zuverlässig verrichteten. Und so wurden sie an dem Förderband eingesetzt. Bald darauf schaltete sich der australische Tierschutzbund ein und erwirkte eine einstweilige Verfügung mit der Begründung, es handle sich um Tierquälerei. Die Aufgabe wurde wieder einer menschlichen Arbeitskraft übertragen, für die sie offenbar keine Quälerei bedeutete. Angesichts solcher Widersprüche zögerten die Gerichte, etwas gegen Tierexperimente zu unternehmen. Praktisch konnten die Forscher tun, was sie für richtig hielten. Die Tierversuche erreichten ein ungeheures Ausmaß. In den siebziger Jahren unseres Jahrhunderts wurden allein in den Vereinigten Staaten jährlich vierundsechzig Millionen Tiere für Forschungsvorhaben getötet.

Aber die Einstellung der Menschen hatte sich im Laufe der Zeit gewandelt. Sprachlernprojekte mit Delphinen und Menschenaffen zeigten eindeutig, daß diese Tiere nicht nur intelligent, sondern sich auch ihrer Existenz bewußt waren; sie erkannten sich zum Beispiel im Spiegel und auf Fotografien wieder. 1974 gründeten die Naturwissenschaftler selbst die Internationale Liga zum Schutz von Primaten. Sie sollte Forschungsvorhaben überwachen, bei denen mit Meerkatzenartigen und Menschenaffen experimentiert wurde. Im März des Jahres 1978 verbot die Regierung Indiens den Export von Rhesusaffen an Forschungsstätten auf der ganzen Welt, und bei einigen Prozessen kamen die Gerichte zu dem Ergebnis, daß in bestimmten Fällen Tiere durchaus Rechte haben konnten.

Die frühere Anschauung war eine Entsprechung zur Sklaverei: Das Tier war das Eigentum seines Besitzers, der mit ihm tun konnte, was er wollte. Jetzt wurde die Frage des Besitzes zweitrangig. Im Februar 1977 gab es einen Prozeß um einen Delphin namens Mary, den ein in einer Forschungseinrichtung beschäftigter Techniker ins offene Meer hatte schwimmen lassen. Die University of Hawaii verklagte ihn wegen Verlustes eines für die Forschung wertvollen Tiers. Zweimal kam das Geschworenengericht zu keiner Entscheidung - das Verfahren wurde eingestellt. Im November 1978 ging es in einem Prozeß um den Schimpansen Arthur, der die Zeichensprache fließend beherrschte. Seine Besitzerin, die Johns Hopkins University, beschloß, ihn zu verkaufen und das Programm einzustellen. Sein Ausbilder, William Levine, ging vor Gericht und erhielt das Sorgerecht mit der Begründung zugesprochen, daß man Arthur, da er jetzt sprachfähig sei, nicht länger als Schimpansen ansehen dürfe. »Einer der entscheidenden Punkte«, sagte Morton, »war dabei, daß Arthur andere Schimpansen, mit denen man ihn in Berührung brachte, als >schwarze Dinger< bezeichnete. Als man ihn bei zwei Versuchen aufforderte, Fotografien von Menschen und von Schimpansen zu sortieren, löste er die Aufgabe richtig - mit einer Ausnahme: beide Male legte er sein eigenes Bild auf den Stapel der Menschenfotos. Offensichtlich betrachtete er sich selbst nicht als Schimpansen, und das Gericht entschied, daß er bei seinem Ausbilder bleiben solle, da eine Trennung zu schweren psychischen Schädigungen Arthurs führen könne."

»Das heißt, es ist klar, daß Amy mir gehört?« wollte Elliot wissen.

»Wenn Sie die Bedingungen erfüllen, ja. Sie sagen, daß Sie täglich mit dem Tier zusammenkommen?« »Ja.«

»Und Sie sind für Amys körperliches und psychisches Wohlergehen wichtig?«

»Amy weint, wenn ich fortgehe«, sagte Elliot. »Holen Sie ihre .Erlaubnis ein, wenn Sie Experimente mit ihr machen?«

»Jedesmal.« Elliot lächelte. Offensichtlich hatte Morton keine Vorstellung vom täglichen Zusammenleben mit Amy. Es war äußerst wichtig, ihre Erlaubnis für alles einzuholen, was geschehen sollte, sogar für eine Ausfahrt mit dem Wagen. Sie hatte eine ausgeprägte Persönlichkeit und konnte dickköpfig und eigensinnig sein.

»Haben Sie Unterlagen über ihre Zustimmung?« »Ja, Videobänder.«

»Versteht sie, was für Experimente Sie ihr vorschlagen?« Er zuckte mit den Schultern. »Sie sagt ja.« »Arbeiten Sie mit Belohnung und Strafe?« »Das ist das bei Wissenschaftlern, die tierisches Verhalten erforschen, übliche Verfahren. Es heißt >Apprentissage<.« Morton runzelte die Brauen. »Und wie sehen die Strafen aus?« »Wenn sie böse ist, muß sie sich mit dem Gesicht zur Wand in die Ecke stellen oder ich schicke sie früh schlafen, ohne daß sie ihre Erdnußbutter und ihre Götterspeise bekommt.« »Und wie ist es mit Folterung und Schockbehandlung?« »Eine absurde Vorstellung!« »Und mit körperlichen Züchtigungen?«

»Sie ist ziemlich groß. Oft habe ich Angst, daß sie wütend wird und wir etwas tut.«

Morton erhob sich lächelnd. »Der Fall dürfte klar sein«, sagte er. »Jedes Gericht wird zu dem Ergebnis kommen, daß Amy Ihrer Gewalt untersteht und daß Sie zu entscheiden haben, was jeweils zu geschehen hat.« Er zögerte. »Ich weiß, es klingt seltsam: aber meinen Sie, daß Sie es fertigbrächten, Amy zu einer Zeugenaussage zu veranlassen?«

»Ich glaube schon«, sagte Elliot. »Meinen Sie, daß es soweit kommen wird?«

»Nicht in diesem Fall«, sagte Morton. »Früher oder später aber wohl. Glauben Sie mir, innerhalb der nächsten zehn Jahre gibt es bestimmt einen Prozeß, bei dem es um das Sorgerecht für einen sprachfähigen Primaten geht - und man wird ihn in den Zeugenstand holen.« Elliot schüttelte ihm die Hand und fragte im Hinausgehen. »Übrigens - hätte ich Schwierigkeiten, wenn ich sie außer Landes brächte?«

»Falls es zu einem Verfahren wegen des Sorgerechts kommt, könnten Sie schon Schwierigkeiten haben, wenn Sie Amy von einem Bundesstaat in einen anderen bringen«, sagte Morton.

»Haben Sie vor, sie außer Landes zu bringen?«

»Ja.«

»Dann rate ich Ihnen, tun Sie es bald, und reden Sie mit niemandem darüber«, sagte Morton.

Elliot betrat kurz nach neun das Vorzimmer seines Arbeitszimmers im dritten Stock des Zoologischen Instituts. Seine Sekretärin Carolyn sagte: »Eine Frau Dr. Ross vom Wildlife Fund in Houston hat angerufen, sie ist auf dem Weg nach San Francisco. Dann hat ein Mr. Morik'awa dreimal angerufen, er sagt, es sei sehr wichtig. Das Treffen der Projektgruppe ist auf zehn Uhr festgelegt. Ach ja, und in Ihrem Arbeitszimmer wartet Windy auf Sie.«

»Tatsächlich?«

James Weldon war einer der Ordinarien am Institut, ein schwächlicher Mann, der jedoch zu heftigen Zornesausbrüchen neigte. »Windy« Weldon wurde in Karikaturen, die im Institut umliefen, stets mit einem in die Luft gehaltenen nassen Finger dargestellt: er war Meister darin festzustellen, aus welcher Richtung der Wind wehte. In den vergangenen Tagen war er Peter Elliot und der Projektgruppe Amy geflissentlich aus dem Weg gegangen.

Elliot ging in sein Arbeitszimmer.

»Na, Peter, mein Junge«, sagte Weldon herzlich und streckte Elliot die Hand entgegen. »Sie sind ja früh dran heute.« Elliot war sofort auf der Hut. »Ich wollte vor den Völkerscharen hier sein«, sagte er. Die Demonstranten kamen nie vor zehn, und manchmal später, je nachdem, für wann die Fernsehleute sie bestellt hatten. So wurde heutzutage nun einmal protestiert: auf Bestellung. »Sie kommen nicht mehr«, sagte Weldon lächelnd.

Er gab Elliot die letzte Lokalausgabe des Chronicle, auf dessen Titelseite ein Text mit schwarzem Filzstift umrahmt war. Eleanor Vries war als Bezirksleiterin der Vereinigung zum Schutz der Primaten zurückgetreten. Als Grund gab sie Überlastung und wichtige private Angelegenheiten an. In einer Erklärung der .Vereinigung, die von der Zentrale in New York abgegeben worden war, hieß es, man habe »Art und Gegenstand von Dr. Elliots Forschung bedauerlicherweise falsch eingeschätzt«.

»Was hat das zu bedeuten?«

»Bellis Kanzlei hat Ihren Aufsatz und die öffentlichen Erklärungen von Eleanor Vries über Folterung untersucht und ist zu dem Schluß gekommen, daß die Vereinigung sich damit eine dicke Verleumdungsklage hätte zuziehen können«, sagte Weldon. »Den Liga-Leuten in New York geht der Arsch auf Grundeis. Sie werden im Laufe des Tages mit Friedensangeboten auf Sie zukommen.

Ich persönlich hoffe, daß Sie sich verständnisvoll zeigen werden.«

Elliot ließ sich in seinen Sessel fallen. »Und was ist mit der Fakultätssitzung in der kommenden Woche?« »Oh, die ist allerdings wichtig«, sagte Weldon. »Ohne Frage wird die Fakultät unethisches Verhalten seitens der Medien anprangern und eine eindeutige Ehrenerklärung für Sie abgeben. Ich bin gerade dabei, eine Erklärung meines Büros auszuarbeiten.« Welche Ironie, dachte Elliot. »Sind Sie sicher, daß Sie sich dieser Gefahr aussetzen wollen?« fragte er.

»Ich stehe voll und ganz hinter Ihnen, das wissen Sie doch hoffentlich«, sagte Weldon. Er schritt unruhig in dem Raum auf und ab, wobei er sich Amys Malereien an den Wänden ansah. Windy hatte noch etwas auf der Seele. »Malt sie immer noch solche Bilder?« fragte er schließlich. »Ja«, sagte Elliot.

»Und Sie wissen immer noch nicht, was sie bedeuten?« Elliot überlegte kurz. Günstigstenfalls war es voreilig, Weldon wissen zu lassen, was die Bilder nach Ansicht der Gruppe bedeuteten. »Keine Ahnung«, sagte er.

»Sind Sie sicher?« fragte Weldon mit gefurchter Stirn. »Ich glaube nämlich, jemand anders weiß es.« »Wieso?«

»Es ist etwas sehr Seltsames geschehen«, sagte Weldon. »Jemand wollte Amy kaufen.« »Kaufen! Was soll das heißen?«

»Ein Anwalt aus Los Angeles hat mich gestern angerufen und hundertfünfzigtausend Dollar für sie geboten.« »Das muß ein reicher Wohltäter sein«, sagte Elliot, »der Amy vor der Folter retten will.«

»Das glaube ich nicht«, sagte Weldon. »Das eigentliche Angebot kommt aus Japan, von einem gewissen Morikawa, einem Mann aus der Elektronikbranche in Tokio. Ich habe das herausbekommen, als der Rechtsanwalt heute morgen wieder anrief, um sein Angebot auf zweihundertfünfzigtausend Dollar zu erhöhen.« »Zweihundertfünfzigtausend?« sagte Elliot. »Für Amy?« Ein Verkauf kam selbstverständlich überhaupt nicht in Frage, aber warum sollte jemand so viel Geld bieten?

Weldon wußte eine Antwort darauf. »So viel Geld, immerhin eine Viertelmillion, kann nur aus Kreisen der Privatindustrie kommen. Vermutlich hat Morikawa über Ihre Arbeit gelesen und weiß eine Einsatzmöglichkeit für sprachfähige Primaten bei einer industriellen Aufgabe.« Windy blickte an die Zimmerdecke, ein sicheres Zeichen dafür, daß ein rhetorischer Ausbruch bevorstand. »Ich könnte mir denken, daß sich uns hier ein neues Gebiet auftut, die Ausbildung von Primaten für den Einsatz in der Industrie, in der wirklichen Welt.«

Peter Elliot fluchte. Er hatte Amy nicht deshalb eine Sprache beigebracht, damit sie sich einen Schutzhelm aufsetzte und einen Henkelmann in die Hand nahm. Und das sagte er auch. »Sie müssen das mal zu Ende denken«, sagte Weldon. »Und wenn wir nun am Anfang eines neuen Gebiets angewandten Verhaltens stünden? Überlegen Sie, was das bedeuten könnte: nicht nur Finanzmittel für das Institut und eine Möglichkeit für angewandte Forschung. Weit wichtiger, es würde einen Grund geben, die Tiere am Leben zu erhalten, und Sie wissen, daß die großen Menschenaffen vom Aussterben bedroht sind. Die Schimpansen in Afrika werden immer weniger, die Orang-Utans auf Borneo verlieren durch den Raubbau am Wald ihren natürlichen Lebensraum und werden in zehn Jahren ausgestorben sein. In den zentralafrikanischen Waldgebieten leben nur noch dreitausend Gorillas. Sie alle werden noch zu unseren Lebzeiten von der Erde verschwinden - falls nicht ein Grund erkennbar wird, sie als Art am Leben zu erhalten. Vielleicht liefern Sie uns den Grund, Peter, mein Junge. Denken Sie einmal darüber nach.«

Elliot dachte in der Tat darüber nach, und er brachte die Sache bei der Projektgruppensitzung um zehn Uhr vormittags zur Sprache. Sie überlegten, was für Einsatzmöglichkeiten ein Industrieller für Menschenaffen sehen konnte und welche Vorteile Unternehmern erwachsen konnten, so zum Beispiel daraus, daß es keine Gewerkschaften und keine freiwilligen Sozialleistungen geben würde. Das alles waren gegen Ende des 20. Jahrhunderts wichtige Erwägungen, denn immerhin lagen für jedes Auto, das 1978 von den Taktstraßen in Detroit rollte, die anteiligen Kosten für die Sozialversicherung der Automobilarbeiter höher als die für den gesamten bei der Herstellung verwendeten Stahl. Doch kamen sie zum Ergebnis, daß die Vorstellung von »industrialisierten Menschenaffen« wohl eher in den Bereich der Phantasie gehörte. Ein Tier wie Amy war keine billige und dumme Ausführung des menschlichen Arbeiters. Ganz im Gegenteil, es war ein hochintelligentes und sensibles Geschöpf, das in der modernen Welt der Industrie nicht in seinem Element war. Es verlangt ein hohes Maß an Aufsicht, ist launisch und unzuverlässig, und seine Gesundheit ist stets bedroht. Es war einfach nicht vernünftig, ein solches Tier in der Industrie einzusetzen. Falls Morikawa vor seinem geistigen Auge Menschenaffen an Fließbändern, auf denen Fernsehgeräte und Hifi-Anlagen montiert wurden, den Lötkolben schwingen sah, war er leider schlicht falsch informiert.

Die einzige Warnung kam von Bergman, dem Kinderpsychologen. »Eine Viertelmillion ist viel Geld«, sagte er, »und höchstwahrscheinlich ist Mr. Morikawa kein Dummkopf. Er muß von Amys Zeichnungen erfahren haben, aus denen hervorgeht, daß sie neurotisch und schwer zu lenken ist. Wenn er trotzdem an ihr interessiert ist, dann wegen ihrer Zeichnungen, darauf möchte ich wetten. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, wieso diese Zeichnungen eine Viertelmillion Dollar wert sein sollen.«

Das konnte auch keiner der anderen Anwesenden, und die Diskussion wandte sich den Zeichnungen selbst und den inzwischen übersetzten Texten zu. Sarah Johnson, die mit den Nachforschungen betraut war, begann mit der schlichten Erklärung: »Ich habe schlechte Nachrichten über den Kongo.« [ Sie bezog sich hauptsächlich auf das Standardwerk von A. J. Parkinson: The Congo Delta in Myth and History, Peters: London 1904. ] Sie erklärte, daß aus geschichtlicher Zeit fast nichts über den Kongo bekannt war. Die am Oberlauf des Nil wohnenden Ägypter der Frühzeit wußten lediglich, daß ihr Fluß weit im Süden entsprang, in einem Gebiet, das sie Baumland nannten. Das war ein geheimnisvolles Land, mit Bäumen, die so dicht standen, daß es unter ihrem Dach am hellichten Tag so dunkel war wie in der Nacht. Seltsame 'Geschöpfe lebten in diesem ewigen Dämmerlicht, unter ihnen auch kleinwüchsige Menschen mit Schwänzen und halb schwarze und halb weiße Tiere. . Nahezu viertausend Jahre lang erfuhr man aus dem Innern Afrikas nichts Wesentliches. Die Araber kamen im 7. Jahrhundert nach Christi Geburt auf der Suche nach Gold, Elfenbein, Gewürzen und Sklaven nach Ostafrika. Kauffahrer, die sie waren, wagten sie sich nicht ins Landesinnere vor. Sie nannten es Zinj - das Land der Schwarzen -, und es blieb ein Reich der Fabel und der Phantasie. Man berichtete von riesigen Wäldern und kleinen Menschen mit Schwänzen, von feuerspeienden Bergen, die den Himmel verdunkelten, von Affen, die Eingeborenendörfer überfielen und sich an den Frauen vergingen, von Riesen mit behaarten Leibern und flachen Nasen, von Geschöpfen, halb Mensch, halb Leopard, von Eingeborenenmärkten, auf denen die Leichname gemästeter Menschen zerlegt und als Köstlichkeit feilgeboten wurden.

Die abschreckende Wirkung solcher Berichte reichte aus, die Araber an der Küste zu halten, trotz anderer durchaus verheißungsvoller Erzählungen, in denen zum Beispiel von Bergen aus glänzendem Gold die Rede war, von Flußbetten, die vor Diamanten glitzerten, von Tieren, die die Sprache der Menschen sprachen, und von großen Dschungelkulturen von unglaublicher Pracht. Besonders eine Geschichte tauchte in diesen frühen Berichten immer wieder auf: die Geschichte von der toten Stadt Zinj [ Die sagenumwobene Stadt Zinj bildete die Grundlage für den (auch in Deutschland bekannten und mehrfach ins Deutsche übersetzten) Roman von H. Rider Haggard Die Schätze des König Salomo. der zuerst 1885 erschien. Haggard, Kenner zahlreicher Sprachen, hatte 1875 dem Gouverneur von Natal gedient und erfuhr zu jener Zeit vermutlich von den benachbarten Zulus etwas über Zinj. ].

Der Legende nach war eine den Juden aus der Zeit König Salomons bekannte Stadt eine Quelle unermeßlichen Reichtums an Diamanten gewesen. Die Karawanenstraße zu dieser Stadt wurde stets eifersüchtig bewacht und die Kenntnis davon als heiliges Geheimnis durch Generationen hin vom Vater an den Sohn weitergegeben. Aber die Diamantenvorkommen waren erschöpft, und die Stadt lag nunmehr in Schutt und Trümmern, irgendwo im dunklen Herzen Afrikas. Die beschwerlichen Karawanenwege waren längst vom Urwald überwuchert, und der letzte Händler, dem der Weg bekannt gewesen war, hatte sein Geheimnis schon vor Jahrhunderten mit ins Grab genommen. Diesen rätselhaften Ort nannten die Araber die tote Stadt Zinj. Doch trotz ihres fortdauernden Nachruhms hatte Sarah Johnson nur wenig über sie in Erfahrung bringen können. 1187 berichtete Ibn Baratu, ein Araber aus Mombasa: »Die hiesigen Eingeborenen sprechen von einer toten Stadt weit im Landesinnern, die sie Zinj nennen. Ihre schwarzen Bewohner lebten dereinst in Reichtum und Luxus, und selbst die Sklaven schmückten sich mit Juwelen, vor allem mit blauen Diamanten, von denen es dort eine Unzahl gibt.«

1292 erwähnte ein Perser namens Mohammed Said, daß »ein Diamant von der Größe einer geballten Männerfaust in den Straßen von Sansibar zur Schau gestellt wurde. Es heißt, er komme aus dem Landesinnern, wo man die Ruinen einer Stadt namens Zinj finden kann. Dort gebe es überall im Boden und ebenso in Flüssen eine Fülle solcher Diamanten...« 1334 berichtete ein Araber, Ibn Mohammed: »Unsere Gruppe traf Anstalten, die Stadt Zinj zu suchen, aber wir gaben unsere Suche auf, als wir erfuhren, daß sie seit langem verlassen ist und in Trümmern liegt. Es heißt, das Aussehen der Stadt sei wunderlich und fremd, denn Türen und Fenster hätten die Rundung eines Halbmonds, und die Gebäude würden inzwischen von gewalttätigen haarigen Menschen bewohnt, die keine der bekannten Sprachen sprechen... «

Dann kamen die Portugiesen, diese unermüdlichen und unerschrockenen Forscher. Um 1544 wagten sie sich von der Westküste, dem mächtigen Kongo folgend, ins Landesinnere vor, doch stießen sie bald auf all die Hindernisse, die noch jahrhundertelang jeglicher Erforschung Zentralafrikas im Wege stehen sollten. Der Kongo war lediglich bis zu den ersten Stromschnellen befahrbar, gut dreihundert Kilometer ins Landesinnere, bis dahin, wo die heutige Stadt Kinshasa liegt, das ehemalige Leopoldville. Die Eingeborenen waren Kannibalen und den Weißen feindlich gesonnen. Dazu kam, daß der vor Hitze dampfende Dschungel Ursprung zahlreicher Krankheiten war - Malaria, Schlafkrankheit, Bilharziose und Schwarzwasserfieber -, welche die fremden Eindringlinge dezimierten.

Die Portugiesen gelangten nie ins Innere des Kongo-Gebiets, und auch die Engländer hatten 1644 unter Captain Brenner kein Glück - die gesamte Expedition ging verloren. Der Kongo widersetzte sich zweihundert Jahre lang der Erforschung und blieb ein weißer Fleck auf den immer genaueren Weltkarten. Doch berichteten auch die frühen Eroberer die Legenden über das Landesinnere, darunter die Geschichte von Zinj. Ein spanischer Maler portugiesischer Herkunft, Juan de Valdes Leal, zeichnete 1642 ein später weithin bekannt gewordenes Bild von der toten Stadt Zinj. »Allerdings«, fügte Sarah Johnson hinzu, »zeichnete er auch Bilder von geschwänzten Menschen und von Affen, die sich mit Eingeborenenfrauen vergnügen.« Jemand stöhnte auf.

»Valdes war offenbar verkrüppelt«, fuhr sie fort. »Er verbrachte sein ganzes Leben in Setubal, wo er mit den Matrosen trank und das, was er von ihnen hörte, malte.«

Afrika wurde erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts gründlich erforscht: von Burton und Speke, Baker und Livingstone, und vor allem von Stanley. Keiner von ihnen fand je eine Spur von der toten Stadt Zinj, und auch in den hundert Jahren seit ihren Forschungsreisen hatte niemand etwas von der geheimnisvollen Stadt gesehen.

Die Stimmung der Projektgruppe Amy war jetzt sehr gedämpft. »Ich habe Ihnen ja gleich gesagt, daß es keine gute Nachricht sein würde«, sagte Sarah Johnson.

»Soll das heißen«, fragte Peter Elliot, »daß dieses Bild ausschließlich auf einer Beschreibung basiert und daß wir gar nicht wissen, ob es die Stadt wirklich gegeben hat?«

»So ist es, fürchte ich«, antwortete Sarah Johnson. »Es gibt keinen Beweis dafür, daß die Stadt auf dem Bild je existiert hat. Es ist wohl einfach nur eine Geschichte.«

4. Entschluß

Da Peter Elliot sich stets auf klare Tatsachen verließ - Zahlen, Daten, Kurven -, traf ihn die Eröffnung, das Bild in dem Buch könne mit all seinen Einzelheiten Ausfluß der Phantasie eines hemmungslosen Zeichners sein, völlig unvorbereitet. Es war ein harter Schlag.

Auf einmal erschienen ihm alle Pläne, Amy in den Kongo zu bringen, kindlich und naiv. Die Ähnlichkeiten zwischen ihren flüchtigen, schematischen Bildern und der Zeichnung von Valdes aus dem Jahre 1642 waren also ein bloßer Zufall. Wie waren sie je darauf verfallen, daß eine tote Stadt Zinj etwas anderes sein könne als der Gegenstand einer alten Legende? Dem 17. Jahrhundert mit seiner Welt der sich weitenden Horizonte und der neuen Wunder mußte die Vorstellung einer solchen Stadt absolut vernünftig und sogar zwingend erschienen sein. Doch in unserem computerisierten 20. Jahrhundert war die tote Stadt Zinj etwas so Unwahrscheinliches wie König Artus' Camelot oder das zauberische Kloster Shangri La im fernen Tibet. Wie albern, daß sie je ernsthaft darüber nachgedacht hatten. »Es ist also nichts mit der toten Stadt«, sagte er.

»Auf jeden Fall gibt es sie«, bekam er zur Antwort. »Daran besteht kein Zweifel.«

Elliot blickte rasch auf, und dann sah er, daß die Antwort nicht von Sarah Johnson gekommen war.

Am anderen Ende des Raums stand eine ihm unbekannte Frau, schlank, hochgewachsen, Anfang Zwanzig. Man hätte sie als schön bezeichnen können, hätte sie nicht so viel Kühle und Distanz ausgestrahlt. Sie trug ein strenges Kostüm und hielt einen Aktenkoffer in der Hand, den sie jetzt auf den Tisch stellte und öffnete. »Ich bin Dr. Ross«, erklärte sie, »vom Wildlife Fund, und ich hätte gern Ihre Ansicht zu diesen Bildern gehört.« Sie reichte eine Serie von Fotos herum, die von den Angehörigen der Projektgruppe mit Pfeifen und Seufzen zur Kenntnis genommen wurden. Elliot wartete am Kopfende des Tischs ungeduldig, bis die Bilder zu ihm kamen.

Es waren grobkörnige Schwarzweißbilder, über die waagerechte Streifen liefen. Man hatte sie von einem Bildschirm fotografiert, aber was sie darstellten, war unverkennbar: eine Ruinenstadt im Dschungel. Über den Türen und Fenstern der Häuser wölbten sich seltsame halbmondförmige Bogen.

5. Amy

»Über Satellit?« fragte Elliot noch einmal und hörte die Spannung in seiner eigenen Stimme.

»Richtig. Die Bilder sind uns vor zwei Tagen aus Afrika über Satellit übermittelt worden.« »Sie kennen also die Lage dieser Ruinen?« »Selbstverständlich.«

»Und Ihre Expedition bricht in wenigen Stunden auf?« »In genau sechs Stunden und dreiundzwanzig Minuten«, sagte Karen Ross mit einem raschen Blick auf ihre Digitaluhr. Elliot vertagte die Arbeitssitzung und sprach über eine Stunde unter vier Augen mit Karen Ross. Später behauptete Elliot, Karen Ross habe ihn über das Ziel der Expedition und die den Teilnehmern drohenden Gefahren »getäuscht«. Aber er wollte unbedingt mit, und die wahren Hintergründe der Expedition und die möglichen Gefahren interessierten ihn zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich nicht besonders. Auf Grund seiner großen Erfahrung in der Kunst, Gelder für seine Arbeit lockerzumachen, waren ihm seit langem Situationen vertraut, wo sich das Geld anderer und seine eigenen Motive nicht genau zur Deckung bringen ließen. Das war die zynische Seite der Wissenschaft. Wieviel reine Grundlagenforschung war in den vergangenen dreißig Jahren finanziert worden, weil sie vielleicht ein Heilmittel gegen Krebs erbringen würde? Ein Forscher versprach das Blaue vom Himmel herunter, um Geld für seine Arbeit zu bekommen.

Allem Anschein nach kam es Elliot nie in den Sinn, daß Karen Ross ihn ebenso kaltblütig benutzte wie er sie. Von Anfang an war Karen Ross ihm gegenüber nie ganz offen. Travis hatte sie angewiesen, bei der Darstellung der Kongo-Mission der ERTS und ihre Ziele »ein paar Angaben unter den Tisch fallenzulassen«. Das war ihr ohnehin zur zweiten Natur geworden - jeder bei der ERTS hatte gelernt, nur das Allernötigste zu sagen. Elliot behandelte Karen Ross wie eine der üblichen Finanzierungsquellen - ein großer Fehler.

Letzten Endes war es so, daß Karen Ross und Peter Elliot einander falsch einschätzten, weil bei beiden der äußere Schein auf die gleiche Art und Weise trog. Elliot wirkte so schüchtern und farblos, daß jemand von der Fakultät in Berkeley einmal bemerkt hatte: »Kein Wunder, daß er sich mit Affen abgibt. Er hat nicht den Nerv, mit Menschen zu reden.« Andererseits war Elliot auf dem College beim Football ein harter Mittelfeldspieler gewesen, und hinter seiner harmlosen Wissenschaftlermaske verbarg sich unbeugsamer Ehrgeiz.

Ähnlich war es bei Karen Ross: trotz ihrer jugendlichen Schönheit und ihrer sanften, verführerischen Stimme mit dem texanischen Tonfall war sie von hoher Intelligenz und einer tiefen, inneren Härte. Sie hatte sehr jung die Schule abgeschlossen, und einer ihrer Lehrer hatte sie einmal als »die Blüte maskuliner texanischer Weiblichkeit« gepriesen. Sie fühlte sich für die gescheiterte ERTS-Expedition verantwortlich und war entschlossen, frühere Fehler wiedergutzumachen. Es war zumindest möglich, daß Elliot und Amy ihr an Ort und Stelle helfen konnten - Grund genug, beide mitzunehmen. Darüber hinaus machte Karen Ross sich Sorgen wegen des Konsortiums, das augenscheinlich hinter Elliot her war, sonst hätte Morikawa nicht bei ihm angerufen. Wenn sie nun Elliot und Amy mitnahm, verlor das Konsortium einen möglichen Vorteil - ein weiterer ausreichender Grund, sie mitzunehmen. Außerdem brauchte sie eine Tarnung, falls ihre Expedition an einer der Grenzen angehalten wurde, und ein Primatenforscher und sein Menschenaffe gaben eine hervorragende Tarnung ab.

Aber letzten Endes ging es Karen Ross nur um die Diamanten aus dem Kongo. Um an sie heranzukommen, war sie bereit, alles zu tun, alles zu sagen und notfalls alles zu opfern. Auf Fotos, die auf dem Flughafen von San Francisco gemacht wurden, wirken die beiden wie lächelnde junge Wissenschaftler, die zu einer fröhlichen gemeinsamen Expedition nach Afrika aufbrechen. Aber in Wirklichkeit hatten sie unterschiedliche Motive, die sie wild entschlossen voreinander geheimhielten. Elliot mochte ihr nicht eingestehen, was für theoretische und akademische Ziele er verfolgte - und Ross mochte nicht eingestehen, wie handfest die ihren waren.

Wie auch immer, am Mittag des 14. Juni fuhr Karen Ross mit Peter Elliot in dessen klapprigem Fiat durch die Hallowell Road am Sportplatz der Universität vorbei. Ihr war etwas unbehaglich zumute: sie waren auf dem Weg zu Amy.

Elliot schloß die Tür auf, an der ein rotes Schild hing: NICHT STÖREN - TIERVERSUCH. Amy grunzte und kratzte ungeduldig an der Tür. Elliot hielt kurz inne und erklärte: »Wenn Sie ihr gleich gegenüberstehen«, sagte er, »denken Sie bitte daran, daß sie ein Gorilla und kein Mensch ist. Bei Gorillas gibt es Verhaltensweisen, die unbedingt beachtet werden müssen. Sprechen Sie nicht laut, und machen Sie keine plötzlichen Bewegungen, bis sie sich an Sie gewöhnt hat. Entblößen Sie beim Lächeln die Zähne nicht, das faßt sie als Drohgebärde auf. Und halten Sie die Augen niedergeschlagen, denn diese Tiere betrachten es als feindseligen Akt, wenn Fremde ihnen in die Augen blicken. Stellen Sie sich nicht zu nahe neben mich und berühren Sie mich auch nicht, denn Amy ist sehr eifersüchtig. Und lügen Sie nicht, wenn Sie mit ihr sprechen. Auch wenn sie selbst nur die Zeichensprache beherrscht, versteht sie, was wir sagen, und wir sprechen meist nur zu ihr. Sie merkt es, wenn man die Unwahrheit sagt, und sie mag es nicht.« »Sie mag es nicht?«

»Sie läßt Sie stehen, spricht nicht mit Ihnen und wird tückisch.« »Sonst noch etwas?«

»Nein, das wäre wohl alles.« Er lächelte ihr aufmunternd zu. »Es gibt zwischen uns ein traditionelles Begrüßungsmittel, für das sie eigentlich schon etwas zu groß ist.« Er öffnete die Tür, stemmte die Beine fest gegen den Boden und sagte: »Guten Morgen, Amy.«

Eine riesige schwarze Gestalt kam aus der Tür gestürmt und warf sich Elliot in die Arme, so daß er zurücktaumelte. Karen Ross war über die Größe des Tiers erstaunt. Sie hatte sich Amy kleiner und niedlicher vorgestellt. Immerhin war sie so groß wie eine erwachsene Frau.

Amy gab Elliot mit ihren großen Lippen einen Kuß auf die Wange. Neben seinem Kopf wirkte ihr schwarzer Schädel gewaltig. Durch ihren Atem beschlugen seine Brillengläser. Karen Ross nahm einen süßlichen Geruch war und sah zu, wie Elliot freundlich Amys lange Arme von seinen Schultern löste. »Amy zufrieden heute?« fragte er.

Amys Finger bewegten sich rasch dicht an ihrer Wange, als wischte sie Fliegen fort. »Ja, ich komme heute spät«, sagte Elliot. Wieder bewegte sie die Finger, und jetzt merkte Karen Ross, daß Amy sich in Zeichensprache ausdrückte. Die Geschwindigkeit war verblüffend - sie hatte es sich langsamer und schwerfälliger vorgestellt. Sie bemerkte, daß Amy nie den Blick von Elliots Gesicht wandte. Sie war ungeheuer aufmerksam und behielt ihn mit tierhafter Konzentration stets im Auge. Sie schien alles in sich aufzunehmen, seine Haltung, seinen Gesichtsausdruck, den Klang seiner Stimme und den Sinn dessen, was er sagte. »Ich muß arbeiten«, sagte Elliot. Wieder seufzte sie und machte verächtliche Handbewegungen. »Ja, ganz recht, Menschenarbeit.« Er führte Amy in den Wohnwagen zurück und bedeutete Karen Ross, ihm zu folgen. Als die Tür hinter ihnen geschlossen war, sagte er: »Amy, das ist Dr. Ross. Sag ihr guten Tag.« Amy warf Karen Ross einen mißtrauischen Blick zu. »Hallo, Amy«, sagte Karen Ross und lächelte den Fußboden an. Sie kam sich ein bißchen albern vor, aber Amy war so groß, daß sie ihr Furcht einjagte.

Amy sah sie einen Augenblick an, wandte sich dann ab und ging quer durch den Wohnwagen zu ihrer Staffelei. Sie hatte mit Fingerfarben gemalt und nahm ihre Tätigkeit wieder auf, ohne die beiden weiter zu beachten.

»Was bedeutet das?« fragte Karen Ross. Sie hatte das deutliche Gefühl, Amy habe sie geschnitten. »Das wird sich zeigen«, sagte Elliot.

Nach einigen Augenblicken kam Amy auf ihren Knöcheln gehend zurückgeschlendert. Sie ging direkt auf Karen Ross zu, beschnüffelte ihre Hose am Schritt und nahm sie gründlich in Augenschein. Besonders interessiert schien sie an der ledernen Handtasche der Besucherin, vor allem an der glänzenden Messingschließe daran. Karen Ross berichtete später: »Es war wie bei einer Cocktailparty in Houston. Ich wurde von einer anderen Frau begutachtet und hatte das Gefühl, sie würde mich jeden Augenblick fragen, wo ich meine Kleider kaufe.« Ganz so war es jedoch nicht. Amy streckte die Hand aus und strich bedächtig Kleckse von grüner Fingerfarbe auf das Kostüm der Besucherin.

»Ich habe nicht den Eindruck, daß das gutgehen wird«, sagte Karen Ross.

Elliot hatte diese erste Begegnung mit mehr Mißbehagen beobachtet, als er zugeben mochte. Amy Menschen vorzustellen war oft schwierig, besonders wenn es Frauen waren. Im Laufe der Jahre hatte Elliot zahlreiche ausgesprochen »weibliche« Züge bei Amy erkannt. Sie konnte spröde sein, reagierte auf Schmeicheleien, war auf ihr Äußeres bedacht, machte sich gern zurecht und war sehr wählerisch, wenn es um die Farbe der Pullover ging, die sie im Winter trug. Sie hatte lieber mit Männern als mit Frauen zu tun und war eindeutig eifersüchtig auf Elliots weibliche Bekanntschaften. Er brachte sie auch selten mit, doch manchmal schnüffelte sie ihn morgens nach dem Duft von Parfüm an und kommentierte es stets, wenn er sich nicht umgezogen hatte.

Das hätte ganz amüsant sein können, hätte Amy nicht von Zeit zu Zeit ohne jeden Anlaß ihr fremde Frauen angegriffen. Und ein Angriff von Amy war nie amüsant.

Amy ging wieder zur Staffelei zurück und gab durch Zeichen zu verstehen: Nicht mögen Frau Amy nicht mögen nicht mögen weg weg.

»Komm, Amy, sei ein lieber Gorilla«, sagte Peter. »Was hat sie gesagt?« wollte Karen Ross wissen und ging zum Waschbecken, um die Farbe von ihrem Kostüm abzuwaschen. Peter fiel auf, daß sie nicht kreischte und schrie, wie viele andere Besucher das taten, wenn Amy sie unfreundlich empfing.

»Sie hat gesagt, daß sie Ihr Kostüm schön findet«, sagte er. Amy warf ihm einen Blick zu, wie sie es immer tat, wenn Elliot ihre Aussagen falsch wiedergab. Amy nicht lügen. Peter nicht lügen.

»Sei lieb, Amy«, sagte er. »Karen ist ein lieber Mensch.« Amy grunzte und machte sich wieder an die Arbeit, malte mit raschen Bewegungen.

»Wie geht es jetzt weiter?« erkundigte Karen Ross sich. »Lassen Sie ihr Zeit.« Er lächelte beruhigend. »Sie braucht Zeit, um sich daran zu gewöhnen.«

Er verzichtete darauf, ihr zu erklären, daß es bei Schimpansen noch weit schlimmer war. Sie bewarfen Fremde und sogar Mitarbeiter, die sie gut kannten, oft mit Kot. Manchmal griffen sie an, um die Herrschaftsverhältnisse zu klären. Schimpansen hatten ein ausgeprägtes Bedürfnis, die Rangordnung festzulegen. Glücklicherweise waren Gorillas weit weniger auf eine Hackordnung bedacht und weniger gewalttätig.

In diesem Augenblick riß Amy das Blatt von der Staffelei, zerfetzte es geräuschvoll und warf die Fetzen durch den Raum. »Gehört das zum Gewöhnungsprozeß?« erkundigte sich Karen Ross. Sie schien eher belustigt als beängstigt. »Amy, laß das«, sagte Peter und ließ in seiner Stimme Ärger mitschwingen. »Amy... «

Amy saß in der Mitte des Wagens auf dem Fußboden, umgeben von Papier. Sie zerriß es wütend und bedeutete ihm durch Zeichen: Diese Frau. Diese Frau. Dieses Verhalten war ein klassischer Fall von Verdrängung. Wenn Gorillas einen direkten Angriff scheuen, ersetzen sie ihn durch eine symbolische Handlung. Amy riß Karen Ross in Fetzen.

Und sie steigerte sich in ihr Tun hinein. Die Projektgruppe hatte dieses »Steigerungsverhalten« genau beobachtet. So wie Menschen zuerst im Gesicht rot anlaufen, dann ihren Körper anspannen und schließlich brüllen und mit Gegenständen werfen, bevor sie zum körperlichen Angriff übergehen, so durchlaufen auch Gorillas ein stereotypes Steigerungsverhalten bis hin zum tätlichen Angriff. Auf das Zerreißen von Papier oder Gras folgten bei Amy gewöhnlich Bewegungen zur Seite hin, sozusagen im Krebsgang, und Grunzlaute, dann pflegte sie mit flachen Händen auf den Boden zu schlagen und dabei möglichst viel Lärm zu machen. Und dann griff sie an, wenn Peter Elliot die Steigerung nicht unterbrach.

»Amy«, sagte er streng. »Karen Knopffrau.« Amy unterbrach ihr Tun! In ihrer Welt war das Wort "Knopf«, auf Menschen angewandt, der Inbegriff für einen hohen Rang. Amy war überaus empfindsam für die Stimmungen und das Verhalten von Menschen, und es fiel ihr nicht schwer, die Angehörigen der Projektgruppe zu beobachten und zu entscheiden, wer über wem stand. Doch bei Fremden war Amy als Gorilla menschlichen Statussymbolen gegenüber äußerst unempfänglich, und die hauptsächlichen Statushinweise, Qualität und Schnitt der Kleidung, Auftreten und Sprechweise, bedeuteten ihr nichts. Als Jungtier hatte sie unerklärlicherweise häufig Polizisten angegriffen und gebissen. Nach mehreren Klageandrohungen kam die Gruppe dahinter, daß Amy die Polizeiuniformen mit ihren glänzenden Knöpfen einfach lächerlich fand, offenbar wie ein Clownskostüm. Sie schien davon auszugehen, daß jemand, der sich so albern anzog, auf einer niederen Rangstufe stehen mußte und man ihn angreifen durfte. Nachdem man sie gelehrt hatte, was »Knopf« bedeutete, behandelte sie jeden Uniformträger mit Zuvorkommenheit.

Sie sah jetzt Karen Ross mit neuem Respekt an. Es schien ihr plötzlich peinlich, inmitten des vielen zerrissenen Papiers zu sitzen, so als habe sie einen Fauxpas begangen. Unaufgefordert ging sie in die Ecke und stellte sich mit dem Gesicht zur Wand.

»Was ist jetzt?« wollte Ross wissen. »Sie weiß, daß sie böse gewesen ist.«

»Und da muß sie sich wie ein Kind in die Ecke stellen? Sie hat es doch nicht böse gemeint.« Bevor Elliot sie warnen konnte, ging sie zu Amy hinüber. Amy blickte fest in die Ecke. Karen Ross nahm ihre Handtasche von der Schulter und stellte sie in Amys Reichweite auf den Boden. Zuerst geschah nichts. Dann nahm Amy die Tasche und sah nacheinander Karen und Peter an.

Peter sagte: »Sie wird alles kaputtmachen, was in der Tasche ist.« »Das macht nichts.«

Amy öffnete sogleich die Messingschließe und schüttete den Inhalt der Tasche auf den Boden. Sie durchstöberte alles und machte Zeichen: Lippenstift Lippenstift, Amy mögen Amy wollen wollen Lippenstift. »Sie will einen Lippenstift.«

Ross bückte sich und fischte ihn heraus. Amy nahm die Kappe ab und malte einen roten Kreis auf Karens Gesicht. Dann lächelte sie und grunzte vergnügt, ging quer durch den Raum zu ihrem Spiegel, der auf dem Fußboden angebracht war, und malte sich an.

»Ich glaube, jetzt geht es schon besser«, sagte Karen Ross. Auf der anderen Seite des Raums hockte Amy vor dem Spiegel und bemalte selig ihr Gesicht von oben bis unten. Sie sah sich freudestrahlend im Spiegel an und strich dann Lippenstift auf ihre Zähne. Es schien ein günstiger Zeitpunkt, ihr die Frage zu stellen. »Will Amy verreisen?« fragte Peter sie.

Amy reiste gern, solche Gelegenheiten waren für sie große Feste. Nach einem besonders guten Tag fuhr Elliot oft mit ihr zu einem nahe gelegenen Autobahnrestaurant, bei dem die Speisen an den Wagen gebracht wurden. Dort trank sie dann jedesmal Orangensaft, saugte ihn durch den Trinkhalm und freute sich über die Aufregung, die sie unter den Menschen in den anderen Autos hervorrief. Lippenstift und das Angebot einer Reise -das war beinahe zu viel Freude für einen Vormittag. Sie erkundigte sich: Auto-Reise?

»Nein, nicht im Auto. Eine lange Reise. Viele Tage.« Verlassen Haus?

»Ja, verlassen Haus. Viele Tage.«

Das machte sie mißtrauisch. Die einzigen Male, bei denen sie das Haus für mehrere Tage verlassen hatte, war sie wegen einer Lungenentzündung und wegen Infektionen der Harnwege im Krankenhaus gewesen. Diese Reisen waren ihr nicht in angenehmer Erinnerung. Sie wollte wissen: Wohin Reise? »In den Dschungel, Amy.«

Es entstand eine lange Pause. Zuerst glaubte er, sie habe ihn nicht verstanden, aber das Wort für Dschungel kannte sie, und sie mußte eigentlich in der Lage sein, alles richtig zu deuten. Amy machte wie im Selbstgespräch Zeichen und wiederholte alles, wie immer, wenn sie über etwas nachgrübelte: Dschungel Reise Reise Dschungel fort Reise Dschungel fort. Sie legte den Lippenstift beiseite, betrachtete versonnen die Papierfetzen auf dem Boden und begann sie aufzusammeln und in den Papierkorb zu tun. »Was bedeutet das?« fragte Karen Ross. »Es bedeutet, daß Amy reisen möchte«, sagte Peter Elliot.

6. Aufbruch

Die seitlich wegklappbare Nase des FrachtJumbos war wie ein Rachen geöffnet und ließ den hellerleuchteten Laderaum erkennen. Die Maschine war am Nachmittag von Houston nach San Francisco herübergeflogen worden, jetzt war es neun Uhr abends, und verblüfft luden die Arbeiter den großen Reisekäfig aus Aluminium, Schachteln voller Vitamintabletten, ein Reiseklo und Kisten voller Spielzeug ein. Einer von ihnen zog einen Trinkbecher mit der Abbildung einer Mickymaus daraus hervor und besah ihn kopfschüttelnd.

Draußen auf dem Beton des Vorfelds stand Elliot mit Amy, die zum Schutz gegen das Jaulen der Düsentriebwerke die Hände an die Ohren legte. Sie ließ Peter wissen: Vögel laut. »Wir fliegen mit dem Vogel, Amy«, sagte er. Nein, Auto fahren, verkündete sie nach einem erneuten Blick auf das Flugzeug.

»Wir können nicht mit dem Auto fahren. Wir fliegen.« Fliegen wohin fliegen? wollte sie wissen. »Fliegen Dschungel.«

Das schien sie zu verblüffen, aber er wollte keine weiteren Erklärungen abgeben. Wie alle Gorillas hatte Amy eine Abneigung gegen Wasser. Sie weigerte sich sogar, kleine Bäche zu überqueren. Er wußte, daß es sie äußerst unglücklich machen würde, wenn sie hörte, daß sie über große Wasserflächen fliegen müßten. Daher wechselte er das Thema und schlug vor, an Bord zu gehen und sich ein wenig umzusehen. Als sie die schräge Fläche der Laderampe hinaufgingen, wollte Amy wissen: Wo Knopf-Frau?

Er hatte in den fünf Stunden, die inzwischen vergangen waren, Karen Ross nicht gesehen, daher war er überrascht festzustellen, daß sie bereits an Bord war und von einem an einer Seitenwand des Frachtraums angebrachten Telefon aus sprach, wobei sie mit der Hand ihr freies Ohr bedeckte, um besser hören zu können. Elliot hörte, wie sie sagte: »Nun, Irving scheint der Ansicht zu sein, daß es genügt... Ja, wir haben vier 907er, und wir sind bereit anzugleichen und zu übernehmen. Zwei Mikro-Überkopfanzeigegeräte, das war's dann... Ja, warum eigentlich nicht?« Sie legte den Hörer auf und wandte sich Elliot und Amy zu. »Alles in Ordnung?« erkundigte er sich.

»Bestens. Ich führe Sie hier mal rum.« Sie ging mit ihm tiefer in den Frachtraum hinein. Amy wich nicht von seiner Seite. Elliot warf einen Blick über die Schulter und sah, wie der Fahrer die Rampe mit einer Reihe von numerierten Metallkästen heraufkam, die mit INTEC, INC. gekennzeichnet waren. »Das hier«, sagte Karen Ross, »ist der HauptFrachtraum.« Er war mit vierradgetriebenen Lastwagen, Geländefahrzeugen, Amphibienfahrzeugen, Schlauchbooten und Stapeln von Kisten mit Kleidung, Ausrüstungsteilen und Lebensmittelvorräten gefüllt - alle mit Computer-Codes gekennzeichnet, alle in nach Größe und Aussehen identische Behälter verpackt, lauter Bausteine eines Baukastensystems. Karen Ross erklärte, daß die ERTS innerhalb von Stunden Expeditionen in Gegenden mit beliebigen geographischen und klimatischen Bedingungen ausrüsten konnte. Dabei hob sie die durch Computer ermöglichte Schnelligkeit der Zusammenstellung hervor. »Und warum diese Hast?« fragte Elliot.

»Davon leben wir«, sagte Karen Ross. »Vor vier Jahren gab es noch keine zweite Gesellschaft wie die ERTS, jetzt sind auf der ganzen Welt schon neun tätig. Sie verkaufen vor allem den Wettbewerbsvorteil, und das bedeutet Schnelligkeit. In den sechziger Jahren konnte ein Unternehmen -beispielsweise eine Ölgesellschaft - Monate oder Jahre damit verbringen, eine bestimmte Stelle auf abbauwürdige Vorkommen zu untersuchen. Eine solche Vorgehensweise ist aus Wettbewerbsgründen nicht mehr möglich, geschäftliche Entscheidungen werden heute innerhalb von Wochen oder Tagen getroffen. Alles ist schneller geworden. Wir stellen uns schon auf die achtziger Jahre ein, in denen wir Lösungen innerhalb von Stunden liefern werden. Zur Zeit dauert ein durchschnittlicher ERTS-Auftrag etwas weniger als drei Wochen oder fünfhundert Stunden. Aber bis 1990 haben wir bestimmt >Geschäftsschluß<-Daten - das heißt, jemand kann uns morgens von einer beliebigen Stelle auf der Welt anrufen und -, bevor er am Abend das Geschäft verläßt, über Computer einen vollständigen Bericht auf den Schreibtisch bekommen, also in etwa zehn bis zwölf Stunden.«

Während sie weiter das Innere des Flugzeugs besichtigten, meinte Elliot, daß zwar zunächst die Lastwagen und anderen Fahrzeuge ins Auge fielen, daß aber ein erstaunlich großer Teil des Frachtraums von Aluminium-Behältern mit der Kennzeichnung »K3E« eingenommen wurde.

»Das stimmt«, sagte Ross. »K3E steht für Kommando, Kontrolle, Kommunikation und Erkundigung. Es handelt sich um mikroelektronische Bauteile für die Steuerung des Einsatzes, für Kontaktaufnahme und Erkundungen. Sie sind das Teuerste an unserer Ausrüstung. Als wir anfingen, Expeditionen auszurüsten, entfielen zwölf Prozent des Aufwands auf die Elektronik, jetzt sind es einunddreißig, und der Anteil wird jährlich größer. Es geht dabei um Nachrichtenübermittlung vom Einsatzort der Expedition, Fernaufklärung, Sicherheitseinrichtungen und so weiter.«

Sie führte Elliot und Amy zum Heck des Flugzeugs, wo sich - ebenfalls ein Bauelement - ein freundlich eingerichteter Wohnbereich mit einer großen Computer-Konsole und Schlafkojen befand.

Amy bekundete durch Zeichen ihr Einverständnis: Haus hübsch. »Ja, es ist ganz nett.«

Sie wurden Jensen, einem jungen, bärtigen Geologen, und Irving vorgestellt, der sich als »E hoch drei« bezeichnete, Die beiden Männer ließen gerade eine Art Wahrscheinlichkeitsberechnung durch den Computer laufen, unterbrachen aber ihre Arbeit, um Amy die Hand zu schütteln, die sie ernsthaft ansah und dann ihre Aufmerksamkeit dem Bildschirm zuwandte. Amy war von seinen kräftigen Farben und den hellen Leuchtdioden gefesselt und versuchte immer wieder, selber die Tasten zu drücken. Sie ließ Elliot wissen: Amy Kasten spielen. »Jetzt nicht, Amy«, sagte Elliot und gab ihr einen kleinen Klaps auf die Hände.

Jensen erkundigte sich: »Ist sie immer so?« »Leider ja«, sagte Elliot. »Sie hat etwas für Computer übrig und hat seit frühester Kindheit in ihrer Nähe gespielt, daher sieht sie sie wohl als ihr Privateigentum an.« Dann fügte er hinzu: »Was bedeutet >E hoch drei

»Expeditions-Elektronik-Experte«, sagte Irving Levine fröhlich, mit einem schalkhaften Lachen. »Ich tue, was ich kann. Wir haben ein paar Sachen von INTEC mitgenommen. Das ist ungefähr alles. .Gott im Himmel weiß, womit die Japaner und die Deutschen aufkreuzen.«

»Hol's der Henker, da ist sie ja schon wieder«, sagte Jensen lachend, während Amy auf die Tasten drückte. Elliot sagte: »Amy, nein.«

»Sie spielt nur. Wahrscheinlich interessiert sie das gar nicht wirklich«, sagte Jensen. Dann fügte er hinzu. »Sie kann keinen Schaden anrichten.«

Amy gab zu verstehen Amy braver Gorilla und drückte wieder die Tasten am Computer. Sie schien entspannt, und Elliot war dankbar für die Ablenkung, die der Computer ihr bot. Er fand den Anblick der massigen Äffin vor einer ComputerKonsole immer wieder erheiternd. Bevor sie die Tasten betätigte, legte sie den Finger stets gedankenvoll an die Unterlippe - es war wie eine Parodie menschlichen Verhaltens.

Karen Ross brachte sie mit dem ihr eigenen Alltagsverstand allesamt wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. »Schläft Amy in einer der Kojen?«

Elliot schüttelte den Kopf. »Nein. Gorillas machen gern jede Nacht ihr Lager aufs neue. Sie braucht nur ein paar Decken, die wird sie dann zu einem Nest auf dem Fußboden zusammendrehen und darauf schlafen.«

Karen Ross nickte. »Was ist mit ihren Vitaminen und Medikamenten? Bekommt sie Tabletten?«

»Gewöhnlich muß man sie bestechen oder die Tabletten in einem Stück Banane verstecken. Bananen schluckt sie meist ohne zu kauen hinunter.«

»Ohne zu kauen«, wiederholte Karen Ross und nickte, als sei das von Bedeutung. »Wir haben da ein Standardmittel«, sagte sie. »Ich werde zusehen, daß sie es bekommt.« »Sie bekommt dieselben Vitamine wie Menschen, nur daß sie viel Ascorbinsäure, also Vitamin C, braucht.«

»Wir teilen pro Tag dreitausend Einheiten aus, genügt das? Schön. Und verträgt sie Mittel zur Vorbeugung gegen Malaria? Wir sollten damit gleich jetzt anfangen.«

»Im allgemeinen«, sagte Elliot, »reagiert sie auf Medikamente ebenso wie Menschen.«

Karen Ross nickte. »Wird ihr der Druckausgleich in der Kabine Schwierigkeiten machen? Er ist auf eine Höhe von rund tausendfünfhundert Metern eingestellt.«

Elliot schüttelte den Kopf. »Sie ist ein Berggorilla, und Berggorillas leben in Höhen zwischen fünfzehnhundert und zweitausendachthundert Metern. Aber sie ist jetzt an ein feuchtes Klima gewöhnt und verliert rasch

Flüssigkeit, so daß wir ihr viel zu trinken geben müssen.« »Kann sie die Toilette benutzen?«

»Selbstverständlich. Aber ich habe auch ihren Topf mitgebracht«, sagte Elliot. »Und benutzt sie ihn?« »Natürlich.« »Ich habe hier ein neues Halsband für sie - ob sie das trägt?«

»Wenn Sie es ihr als Geschenk anbieten, gewiß.« Während sie Amys Bedürfnisse in allen Einzelheiten durchgingen, wurde Elliot klar, daß in den letzten wenigen Stunden etwas geschehen war - und er hatte es fast gar nicht bemerkt. Amys unberechenbares, von Träumen ausgelöstes neurotisches Verhalten war wie weggeblasen, als spiele es keine Rolle mehr. Jetzt, da sie auf eine Reise ging, war sie nicht mehr launisch und nach innen gekehrt, ihr Interesse wandte sich der Außenwelt zu, sie war wieder das junge Gorillaweibchen. Er überlegte, ob ihre Träume und ihre gesamte Niedergeschlagenheit - das Malen mit Fingerfarben und alles andere - auf ihre beengte Umgebung in der Forschungseinrichtung zurückzuführen waren, in der sie so viele Jahre gelebt hatte. Zuerst war ihr diese Umgebung angenehm gewesen, wie ein Kinderbett einem Kleinkind zunächst behaglich erscheint, ihm aber mit den Jahren zu klein wird. Vielleicht, dachte er, brauchte Amy einfach ein bißchen Aufregung.

Aufregung lag in der Luft: während er mit Karen Ross sprach, hatte Elliot das Gefühl, daß etwas Bedeutsames geschehen würde. Diese Expedition mit Amy war das erste Beispiel für etwas, das Primatenforscher seit Jahren vorausgesagt hatten -die Pearl-Theorie.

Frederick Pearl war ein Theoretiker auf dem Gebiet der Verhaltensforschung. Bei einem Kongreß der Amerikanischen Ethologischen Gesellschaft in New York hatte er 1972 gesagt: »Nunmehr, nachdem Primaten Zeichensprache gelernt haben, ist es lediglich eine Frage der Zeit, bis jemand ein Tier mit hinausnimmt, damit es ihm bei der Untersuchung wildlebender Tiere derselben Art behilflich ist. Es ist vorstellbar, daß sprachfähige Primaten dem Menschen beim Umgang mit wildlebenden Tieren als Dolmetscher oder gar als Botschafter dienen.«

Diese These erregte beträchtliches Aufsehen, und sie führte zur Bewilligung von Mitteln durch die U.S.-Air Force, die seit den sechziger Jahren linguistische Forschungsprogramme finanziert hatte. Es hieß, die Air Force arbeite an einem Geheimprojekt mit dem Codenamen CONTOUR, das mögliche Kontakte mit fremden Lebensformen einschloß. Zwar waren der offiziellen militärischen Lesart nach UFOs natürlichen Ursprungs - aber die Militärs hielten trotzdem ihr Pulver trocken. Für den Fall einer Berührung mit fremden Intelligenzformen waren linguistische Grundlagen offenbar von besonderer Wichtigkeit. Da es als Beispiel einer Berührung mit »Arten fremder Intelligenz« angesehen wurde, daß jemand Primaten mit in die freie Natur nahm, unterstützte die amerikanische Luftwaffe dieses Projekt. Pearl hatte vorausgesagt, der erste dieser praktischen Versuche werde vor dem Jahre 1976 stattfinden, tatsächlich jedoch war es noch nicht dazu gekommen. Der Grund dafür war, daß bei näherer Untersuchung niemand genau sagen konnte, worin die Vorzüge eines solchen Verfahrens bestehen sollten - die meisten mit einer Sprache vertrauten Primaten reagierten auf wildlebende Artgenossen ebenso verwirrt wie Menschen. Einige, wie der Schimpanse Arthur, wollten mit ihrer eigenen Art nichts zu tun haben und bezeichneten deren Angehörige als »schwarze Dinger«. Amy. die bei einem Zoobesuch andere Gorillas gesehen hatte, erkannte sie zwar, benahm sich aber sehr hochmütig und nannte sie »dumme Gorillas«, als sie erst einmal gemerkt hatte, daß sie nicht antworteten, wenn sie ihnen Zeichen machte. Solche Beobachtungen veranlaßten 1977 einen anderen Forscher, John Bates, zu der Aussage: »Wir ziehen uns eine Elite von ausgebildeten Tieren heran, die die gleiche arrogante Erhabenheit an den Tag legt, die ein Doktor der Philosophie einem Lkw-Fahrer gegenüber bekundet... Es ist höchst unwahrscheinlich, daß diese sprachfähigen Primaten geeignete Botschafter in der freien Natur sein werden. Dazu sind sie einfach zu eingebildet.« In Wahrheit aber wußte niemand wirklich, was geschehen würde, wenn man einen Primaten mit hinausnahm in die freie Natur. Das war bisher noch nicht vorgekommen. Amy würde die erste sein. Um dreiundzwanzig Uhr rollte die Frachtmaschine der ERTS über die Startbahn des internationalen Flughafens von San Francisco, erhob sich schwerfällig in die Luft und strebte durch die Dunkelheit ostwärts, nach Afrika.

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