2.



Pelekanon, Kleinasien


Mitte Juni 1097

Conn war müde.

Ausgezehrt vom langen Marsch, erschöpft von den Entbehrungen.

Als der burgundische Nachschubtross, dem er sich angeschlossen hatte, die ersten Ausläufer des Lagers erreichte, das die Kreuzfahrer bei Pelekanon errichtet hatten, am Ufer einer Meeresbucht, die weit in das felsige Hügelland ragte, verspürte Conn bei Weitem nicht die Erleichterung, die er sich während der langen Reise ausgemalt hatte. Er sah die Zelte, die die Anhöhe übersäten, die flackernden Feuer und die unzähligen Banner, die im kühlen Abendwind wehten, viele mit dem Zeichen des Erlösers versehen. Aber weder erfüllte ihn der Anblick mit Zufriedenheit, noch empfand er Stolz darüber, das Ziel seiner langen Irrfahrt endlich erreicht zu haben. Zu groß war die Müdigkeit, zu brennend der Durst, zu heiß der Schmerz an seinen Fußsohlen.

Von dem Umhang, den Baldric ihm gekauft hatte, war kaum noch etwas übrig. Das wenige, das von dem wollenen Stoff geblieben war, flatterte um seine Schultern, zerfetzt und verschmutzt, das Kreuz darauf war kaum noch zu erkennen. Seiner restlichen Kleidung war es kaum besser ergangen, sodass er einen ziemlich trostlosen Anblick bot, als er das Lager betrat. Die Posten waren lothringische Kämpfer aus dem Kontingent des Herzogs von Bouillon, die schon im vergangenen Jahr am Bosporus eingetroffen waren. Sie ließen den Tross passieren und wiesen ihm den Weg zu den Versorgungszelten, die der wohlhabende Graf von Toulouse für seine Vasallen unterhielt.

Da Conn den Zug über zehn Tage begleitet hatte, wurde auch ihm eine Ration Essen zugeteilt, das aus einem dickflüssigen Getreidebrei bestand sowie aus getrockneten Früchten, die er noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Sie waren von länglicher Form und brauner Farbe, und obwohl Conn nicht wusste, wie sie schmeckten, griff er zur Sicherheit noch einmal in die Schüssel und lud sich eine weitere Handvoll davon auf den hölzernen Teller.

»He, du!«, fuhr der Koch ihn daraufhin an, ein feister Kerl, der selbst sein liebster Gast zu sein schien. »Lass den anderen gefälligst auch noch etwas übrig, hörst du?«

Conn zog den Kopf zwischen die Schultern und verdrückte sich. In sicherem Abstand von den Küchenwagen, von denen ein ranzig-bitterer Geruch durch das Lager schlich, ließ er sich an einem Feuer nieder und begann zu essen. Gierig schlang er den Brei in sich hinein, um den bohrenden Hunger zu stillen. Sofort merkte er, wie zumindest ein kleiner Teil seiner Kräfte zurückkehrte.

Erst jetzt fiel ihm auf, wie ruhig es im Lager war, und dies nicht nur der späten Stunde wegen. Nur wenige Kämpfer saßen an den Feuern, es gab nicht annähernd die Betriebsamkeit, die im Winterlager im fernen Kalabrien geherrscht hatte. An vielen Stellen, wo zuvor Zelte oder Wagen gestanden hatten, klafften Lücken, und das plattgetretene Gras und die Furchen, die sich im Boden abzeichneten, ließen vermuten, dass dies noch nicht lange so war.

Conn wusste nicht, was er davon zu halten hatte, im Grunde war es ihm auch gleichgültig. Unzählige Male hatte er sich in den vergangenen Wochen gefragt, ob er noch weitergehen sollte, ob es überhaupt noch einen Sinn hatte, das ferne Ziel der Reise erreichen zu wollen. Hunger und brennender Durst hatten das Verlangen nach Rache in den Hintergrund treten lassen, Guil­laume de Rein war ob des täglichen Überlebenskampfes zu einem fernen Schatten verblasst. Wenn Conn weitermarschiert war, dann nur, weil er nicht irgendwo im Niemandsland ein elendes Ende hatte finden wollen … Und weil ihm in besonders dunklen und verzweifelten Stunden so gewesen war, als ob eine innere Stimme ihn antrieb. Die Stimme hieß ihn, stetig einen Fuß vor den anderen zu setzen und immer weiter zu gehen, weiter und weiter … so als ob er noch eine Bestimmung zu erfüllen hätte, ein höheres Ziel …

Nachdem er den Brei ausgelöffelt hatte, beschloss er, sein Glück mit einer der Trockenfrüchte zu versuchen. Zaghaft schnupperte er daran, dann schob er sie sich in den Mund. Der Biss war fest, das Fruchtfleisch mehlig und, zu Conns Überraschung, von angenehmer Süße. Im nächsten Moment jedoch biss er auf etwas Hartes, das ihn noch dazu in die Zunge piekte. Mit einem Aufschrei spuckte er die Frucht wieder aus – zur Erheiterung der beiden anderen Kämpfer, die am Feuer saßen.

»Nanu, mein Freund?«, fragte der eine der beiden lachend, ein blonder Lockenkopf, der den ledernen Rock eines Bogenschützen trug. »Schmeckt dir die Dattel nicht?«

»Dattel?« Conn, der sich die schmerzende Mundpartie rieb, hob erstaunt die Brauen.

»Die Frucht, die du gerade gegessen hast«, erklärte der Gelockte, auf die wenig appetitlichen Reste deutend, die vor Conn auf dem Boden lagen. »Oder die du vielmehr essen wolltest.« Er entblößte sein gelbes Gebiss zu einem Grinsen. »Schmecken eigentlich nicht schlecht. Nur auf den Kern sollte man nicht beißen.«

Conn kam sich vor wie ein Trottel. Schnaubend schob er sich die nächste Dattel in den Mund und kaute sie vorsichtig. Das Fruchtfleisch schluckte er, den Kern spuckte er aus.

»Du lernst schnell«, sagte der Lockenschopf.

»Geht so«, meinte Conn. »Wollt ihr auch?«, fragte er dann und hielt den beiden seinen Teller hin.

»Nein danke«, wehrte der andere Soldat ab, ein hagerer Kerl in einem schäbigen Schuppenpanzer. »Wir haben in den letzten Wochen so viele Datteln gegessen, dass sie uns zu den Ohren rauswachsen.«

»Wie lange seid ihr schon hier?«

»Seit dem vergangenen Winter.«

»Demnach müsst ihr Lothringer sein«, folgerte Conn.

»Das will ich meinen«, bekräftigte der Bogenschütze und schlug sich mit der Faust auf die Brust, »und zwar die Besten, Vasallen von Bouillon. Mein Name ist Hernaut, dies ist mein wackerer Kamerad Bovo.«

Der Hagere, der sein schwarzes Haar kurz gestuft trug – wohl als Folge von Lausbefall –, nickte zustimmend. »Und wie ist dein Name?«, wollte er wissen.

»Conwulf«, entgegnete Conn. Als er sah, dass die Nennung seines Namens für keinerlei Reaktion sorgte, fügte er spontan hinzu: »Des Baldrics Sohn.«

»Ein Normanne also«, sagte Hernaut, und es kostete Conn einige Überwindung, zustimmend zu nicken. Aber warum nicht? Er hatte in den zurückliegenden Wochen so viele Kröten geschluckt, um am Leben zu bleiben (und das mitunter im wörtlichen Sinn), dass es auf diese eine nicht mehr ankam. Letzten Endes war es ein Diebstahl wie jeder andere, den er begangen hatte. Nur dass er sich diesmal nicht einer fremden Geldbörse, sondern eines Namens bediente.

»Kennt ihr Herrn Baldric?«, fügte er hoffnungsvoll hinzu. »Habt ihr zufällig von ihm gehört?«

»Nein.« Der Bogenschütze schüttelte den Kopf. »In diesem Lager gibt es keine Normannen mehr, soweit ich weiß. Sie sind bereits nach Süden weitergezogen.«

»Ich verstehe.« Conn versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Wie sehr hatte er darauf gehofft, am Ziel seiner langen Reise Baldric und die anderen wiederzutreffen. Aber nicht nur diese Hoffnung zerschlug sich, er wusste noch nicht einmal, ob seine Gefährten überhaupt noch am Leben waren! Seinem inneren Aufruhr zum Trotz blieb Conn äußerlich gelassen. Das Leben auf der Straße hatte ihn gelehrt, dass es gefährlich sein konnte, sich Fremden gegenüber zu weit zu offenbaren.

»Wie kommt es, dass du allein unterwegs bist?«, erkundigte sich Bovo. »Hast du den Anschluss an deine Marschkolonne verloren?«

»Gewissermaßen. Ich bin mit einem Trupp Burgunder hier angekommen, Leute im Dienst von Toulouse. Und ihr?«, fragte er, um rasch das Thema zu wechseln. »Was ist hier los? Warum ist das Lager fast leer?«

Hernaut grinste wieder. »Noch vor einem Mond hat es hier anders ausgesehen, das kannst du mir glauben. Überall Gedränge und Streiter des Herrn, die nur darauf warteten, endlich den Kampf gegen die Heiden aufzunehmen. Allerdings hat uns Kaiser Alexios nicht gerade besonders freundlich empfangen.«

»Was heißt das?« Conn hatte unterwegs Gerüchte von Spannungen zwischen Herzog Godefroy de Bouillon und dem Kaiser von Konstantinopel gehört, sie jedoch als blanken Unsinn abgetan. Wieso, hatte er gesagt, sollten Christen gegen Christen kämpfen, wenn es doch gegen die Ungläubigen ging?

»Das heißt, dass Alexios unseren Herrn dazu bringen wollte, ihm den Treueid zu leisten«, erklärte Bovo rundheraus, »was dieser natürlich abgelehnt hat.«

»Und dann?«

»Die Weihnachtstage verbrachten wir innerhalb der Stadtmauern, auf Einladung des Kaisers. Aber während wir darauf warteten, dass sich das Wetter besserte und wir den Feldzug endlich beginnen konnten, wurde uns auf Alexios’ Geheiß der Proviant gekürzt.«

»Der Kaiser hoffte, sich unseren Herrn damit gefügig zu machen«, fügte Hernaut erklärend hinzu, »aber da hatte er seine Rechnung ohne den Wirt gemacht. Wir griffen uns die byzantinischen Wachen, zogen ihnen das Fell über die Ohren und verließen dann die Stadt, um auf das Eintreffen der anderen Kreuzfahrer zu warten. Als unsere Vorräte knapp wurden, beschloss unser Herzog, sie sich mit Gewalt vom Kaiser zu holen. Am Gründonnerstag attackierten wir die Stadt, aber die Truppen des Kaisers waren uns an Zahl weit überlegen. Wir wurden zurückgedrängt und in die Enge getrieben, sodass unserem Herrn nichts anderes blieb, als am Osterfest den Eid zu schwören.«

»Als des Kaisers Vasall?«, fragte Conn.

»Als sein Verbündeter«, verbesserte Hernaut barsch. »Immerhin sind die Verhältnisse seit diesem Tag geklärt, und die Christenheit steht vereint im Kampf gegen die Heiden. Deshalb ist ein Großteil des Heeres vor wenigen Tagen aufgebrochen, um die Stadt Nicaea zu belagern, die sich die Türken unter den Nagel gerissen haben.«

»Und die anderen? Was ist mit den Rittern der Provence? Den Franken? Den Normannen?«

»Was soll mit ihnen sein?« Der Bogenschütze zuckte mit den breiten Schultern. »Sie haben es unserem Herren gleichgetan und den Eid geleistet, einer wie der andere. Raymond de Toulouse, Stephen de Blois, der Graf von Flandern – und auch Robert von der Normandie.«

»Demnach ist er noch am Leben«, folgerte Conn laut – um sich sogleich einen Narren zu schelten, als er sah, welches Befremden seine Worte in den Gesichtern der beiden anderen hervorrief.

»Weshalb sollte der Herzog nicht mehr am Leben sein?«, erkundigte sich Bovo mit hochgezogenen Brauen.

»Für einen Fremden stellst du ziemlich viele Fragen, Conwulf«, stellte Hernaut fest und richtete sich auf dem Stein, auf dem er saß, ein wenig auf, sodass man den Dolch an seinem Gürtel sehen konnte. »Wie man hört, unterhält der Kaiser Spitzel …«

»Keineswegs«, beeilte sich Conn zu versichern. »Ich bin kein Spion, glaubt mir. Es ist nur so, dass ich …«

»Wollt ihr uns nicht vorstellen?«

Conn verstummte, als jemand zu ihnen ans Feuer trat. Überrascht blickte er an dem Fremden hoch, dessen Gestalt und Gesicht vom Feuerschein beleuchtet wurden – und stellte zu seiner Verblüffung fest, dass er den Mann kannte!

Dieselben hageren Züge.

Dasselbe rotblonde Haar.

Dieselbe schwarze Kutte.

Nur das Lodern der Begeisterung war aus den Augen gewichen. Ansonsten war Conn sicher, genau jenen Mönch vor sich zu haben, dessen flammende Predigt ihn damals in Rouen so berührt hatte.

»Natürlich, Pater«, erklärte Hernaut sich ohne Zögern bereit. »Dies ist Conwulf, des Normannen Baldrics Sohn. Conwulf – Pater Berengar vom Orden der Benediktiner.«

»Der Segen des Allmächtigen sei mit dir, Conwulf«, sagte der Mönch und zeichnete mit der rechten Hand ein Kreuz in die Luft.

»I-ich kenne Euch«, stammelte Conn.

»Tatsächlich?« Ein Lächeln huschte über Berengars Züge, die seit ihrer letzten Begegnung noch ein wenig schmaler geworden waren, jedoch nicht mehr blass wie damals, sondern von der Sonne gebräunt. »Das sollte mich wundern. Denn ich, junger Freund, kenne dich nicht.«

»Das könnt Ihr auch nicht«, räumte Conn ein. »Es waren damals viele Menschen auf dem Platz. Und alle haben sie Euch zugehört.«

»Wann? Und wo?«, wollte der Mönch wissen.

»In Rouen«, erwiderte Conn ohne Zögern. »Vor einem Winter.«

»Meiner Treu, das stimmt«, stellte Berengar fest. In einer Geste, die ein übelwollender Beobachter als Stolz hätte deuten können, schob er die Daumen in den Strick, den er um seinen Leib geschlungen hatte, und nickte. »In Rouen bin ich gewesen – und wenn ich mich recht entsinne, habe ich dort feurige Worte für den Feldzug Christi gefunden. Jedenfalls«, fügte er einschränkend hinzu und zog die Hände aus dem Gürtel und faltete sie, so als würde er sich jäh des Demutsgebots entsinnen, »waren sie sehr viel feuriger, als sie es heute sind.«

»Tatsächlich? Wieso?«

»Weil, mein junger Freund, ich heute manches weiß, das ich damals noch nicht wusste«, beschied ihm der Mönch mit einem Lächeln, das milde war und zugleich voller Bitterkeit. »Soll ich dir davon berichten? Auch wenn deine Überzeugung dadurch womöglich auf eine harte Probe gestellt wird?«

»Durchaus«, versicherte Conn, obschon das Gegenteil der Fall war. Nach allem, was hinter ihm lag, war sein Glaube ohnehin schwer geprüft worden, auch ohne dass der Mönch noch zusätzliche Zweifel säte. Dennoch wollte Conn wissen, was Berengar zu sagen hatte. Er brannte geradezu darauf – sei es, weil der Benediktinermönch etwas wie eine letzte Verbindung zur alten Heimat darstellte oder weil Conn sich insgeheim erhoffte, etwas von jener Zuversicht wiederzufinden, die er damals in Rouen empfunden hatte. Als der Ordensmann sich jedoch neben ihm am Feuer niederließ, ahnte Conn bereits, dass ihm dies verwehrt bleiben würde.

»Von Rouen bin ich weiter nach Caen gereist«, berichtete Berengar. »Von dort nach Blois und nach Poitiers und weiter nach Süden, und wohin ich auch kam, habe ich die Kunde vom Willen Gottes und vom Feldzug gegen die Heiden verbreitet. In Le Puy schließlich schloss ich mich dem Heereszug des Grafen von Toulouse an, der mit den Seinen gen Osten zog und dem sich auch Adhémar, der Bischof von Le Puy, zugesellte, den der Papst zum Legaten und zum geistlichen Führer der Unternehmung bestellt hat. Wie die meisten glaubte auch ich, dass uns der Schutz des Höchsten dadurch sicher wäre, aber ich sollte mich irren.«

»Was ist geschehen?«

»Teils zu Land und teils zu Wasser erreichten wir Slavonia, ein gefährliches und unwegsames Land, von dem der Allmächtige schon vor langer Zeit sein Angesicht abgewandt haben muss. Räuber bedrängten uns bei Nacht und bei Tage, und es kostete uns vierzig Tage, bis Scutari zu gelangen. Von dort ging es weiter durch fremdes Land, das von Wilden bevölkert wird, deren heidnische Namen du noch niemals gehört haben magst. Guzzen, Kumanen, Bulgaren – sie alle bedrängten unseren Heereszug selbst dann noch, als wir längst byzantinischen Boden erreicht hatten und uns unter dem Schutz des christlichen Kaisers wähnten, dessen Hilferuf Seine Heiligkeit den Papst ja erst zu diesem Feldzug bewogen hat. Doch wie wir feststellen mussten, gehorchten die Glieder des Leibes dem Haupt nicht mehr, und so hatten wir es allenthalben mit weiteren Übergriffen zu tun, wobei Bischof Adhémar, zu dessen Vertrauten ich mich zählen darf, so schwer verletzt wurde, dass er in Thessalonicum zurückbleiben und sich in die Obhut des dortigen Klosters begeben musste. Auf diese Weise gelangten wir erst vor wenigen Tagen nach Byzanz – nur um zu erfahren, dass ebenjener Kaiser, der nicht in der Lage gewesen war, uns sicheres Geleit durch sein eigenes Reich zu gewähren, Graf Raymond inzwischen den Treueid abverlangt hatte. Ich frage dich, Conwulf: Verfahren Brüder so mit Brüdern?«

»Vermutlich nicht«, kam Conn nicht umhin zuzugeben. »Wobei ich nicht sehr viel von solchen Dingen verstehe.«

»Da gibt es auch nicht viel zu verstehen«, entgegnete der Mönch mit unverhohlener Bitterkeit. »Außer der Einsicht, dass manche der an dieser Unternehmung Beteiligten den Namen des Herrn für ihre eigenen Zwecke missbrauchen.«

»Berengar«, ermahnte ihn Bovo, »Ihr solltet auf Eure Worte achten. Byzanz hat seine Ohren überall, wie Ihr wisst.«

»Und? Wird die Wahrheit dadurch weniger wahr?«

»Das nicht, aber sie wird dadurch gefährlich«, entgegnete der Lothringer halblaut, wobei er argwöhnisch in das Dunkel blickte, das jenseits des Feuerscheins herrschte.

»Sind die Gründe für diesen Feldzug letztlich nicht gleichgültig?«, fragte Conn in Erinerung an das, was Herr Baldric ihm gesagt hatte. »Geht es nicht darum, die Stätten der Christenheit zu befreien? Ist dies nicht das heilige Ziel dieser Unternehmung?«

»So habe ich einst auch gedacht, Conwulf«, stimmte Be­rengar zu. »Die Erfahrungen des langen Marsches haben mich jedoch gelehrt, dass nichts Heiliges darin liegt, einen Menschen im Sand der Steppe verbluten zu sehen, gleich welchen Glaubens er auch sei. Und wer die Schreie jener, die auf dem Schlachtfeld verwundet liegen, einmal gehört hat, der vergisst sie so schnell nicht. Kann Gott so etwas wollen, Conwulf? Kann er ein Unterfangen wie dieses gutheißen?«

Conn schaute den Mönch von der Seite an, sah den ausdruckslosen Blick seiner Augen, die leer in die Flammen starrten. Nicht nur, dass Berengar die Begeisterung verloren hatte, die einst aus ihm gesprochen hatte, der Benediktiner zweifelte ernstlich am Sinn der Unternehmung! Aber wenn schon die Nachfolger Christi auf Erden zweifelten, wenn sogar die Frommen ob der Anstrengungen und Widrigkeiten verzagten, welche Aussicht auf Erfolg gab es dann noch? Hatte sich das Schicksal, hatte sich Gott womöglich bereits von den Kreuzfahrern abgewandt?

Wenn es so war, dachte Conn beklommen, warum hatte er dann die Fährnisse der letzten Wochen auf sich genommen? Warum war er den Weg allen Widerständen zum Trotz bis zum Ende gegangen?

Stets hatte er sich eingeredet, es für ein höheres Ziel zu tun, zu einem besseren Ende. Für Herrn Baldric, für seine Kameraden Bertrand und Remy, von denen er noch nicht einmal wusste, ob sie noch am Leben waren – und für Nia!

»Nein!«, widersprach Conn entrüstet. »Hört auf, so zu reden, ich bitte Euch! Ich will nicht, dass alles vergeblich gewesen ist! All die Mühen, die wir auf uns genommen haben …«

»Keine Sorge, das waren sie nicht«, versicherte Bovo, der ebenfalls nicht gewillt schien, den Bedenken des Mönchs zu folgen. »Gib nichts auf das Gerede eines Predigers, der den Anblick des Krieges nicht ertragen kann. Jeder von uns sollte das tun, was er am besten kann. Überlasst uns getrost das Schlachtfeld, Pater. Ihr hingegen kämpft weiter mit Worten.«

»Meint ihr.« Berengar lächelte nur, wissend und verzeihend zugleich. »Und du, junger Conwulf?«, wandte er sich dann unvermittelt an Conn. »Wie bist du vom fernen Rouen hierhergelangt? Wie hat es dich hierher verschlagen?«

Einen Augenblick lang zögerte Conn.

Dann begann er zu berichten.

Загрузка...