Dóra wanderte auf dem Parkplatz umher und versuchte, Empfang zu bekommen. Matthias beobachtete sie verwundert. »Warum benutzt du nicht das Telefon im Zimmer?«, fragte er und schüttelte sich vor Kälte. Es war ziemlich diesig, und Dóra war sich nicht sicher, ob sie mitten in einer Nebelbank standen oder ob es schlichtweg stark bewölkt war. Am vorherigen Abend hatte sie vergeblich versucht, ihren Sohn Gylfi zu erreichen. Nun wollte sie den Tag damit beginnen, ihn und den Wohnwagen ausfindig zu machen. Der Junge hatte zwar schon Fahrstunden absolviert, aber noch keinen Führerschein. Dóra machte sich große Sorgen, dass etwas passiert sein könnte, andererseits hätte sie nicht gewusst, wo sie die Kinder mitten in der Nacht suchen sollte. Und mit der Polizei hatte sie ohnehin schon zu tun. Die Kurznachrichten in ihrem Handy hatten ein gutes Bild von der Vorgeschichte vermittelt. Die ersten drei waren von Gylfi. In der Ersten äußerte er seine Unzufriedenheit darüber, nicht wie geplant nach Hause fahren zu können, in der Zweiten, dass er bei seinem Vater durchdrehen würde, und in der Dritten stand nur: Eye of the Tiger — ich bin weg. Anschließend waren mehrere SMS von ihrem Ex-Mann eingegangen, in denen dieser schrieb, Gylfi sei unerzogen und unbelehrbar und es sei alles Dóras Schuld. Dóra löschte die Mitteilungen. Gylfi war in der Regel eher zurückhaltend, ein fleißiger Schüler und weit entfernt von dem Flegel, den sein Vater schilderte. Aber er war jung und stand sich manchmal selbst im Weg, beispielsweise, wenn man ihn zwang, den lächerlichen Gesang seines Vaters zu ertragen. Eye of the Tiger war offensichtlich der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Dóra konnte sich nicht entsinnen, dass ihr Sohn jemals mit Begeisterung zu seinem Vater gefahren wäre — ob Sóleys Spielecomputer samt Sing Star nun mitgenommen wurde oder nicht. Nach der Trennung hatte Hannes eine pferdebegeisterte Frau kennengelernt und daraufhin ebenfalls diesen Fimmel bekommen. Weder Gylfi noch Sóley teilten sein Hobby. Zu allem Überfluss hatte Gylfi von seiner Mutter die Angst vor Pferden geerbt. Er fühlte sich bei seinem Vater nie wohl, denn jederzeit drohte ein Ausritt. Hannes konnte das nicht verstehen, wie sehr Dóra auch versuchte, ihm die Situation zu erklären. Er sagte immer nur, der Junge würde sich »schon noch entwickeln«.
Dóra überlegte, ob sie die Eltern von Gylfis Freundin anrufen sollte, schob den Gedanken aber sofort wieder beiseite. Anscheinend hatte Gylfi Sigga im Wohnwagen mitgenommen. Dóra hatte ebenfalls eine SMS von der Mutter des Mädchens erhalten und wollte sich deren Kraftausdrücke nicht noch einmal ins Gedächtnis rufen. Obwohl sie verstehen konnte, dass die Frau aufgebracht war. Dóra wäre auch nicht begeistert, wenn Sóley mit sechzehn und hochschwanger mit einem nicht viel älteren Jungen in einem Jeep mit Wohnwagen abgehauen wäre. Sie war froh, dass Siggas Eltern nicht wussten, dass Gylfi noch gar keinen Führerschein besaß.
Endlich wurde abgenommen. Gylfis schläfrige Stimme drang durch die Leitung. »Hallo?«
»Wo bist du?«, blaffte Dóra, obwohl sie sich vorgenommen hatte, Ruhe zu bewahren.
»Was? Ich?«, fragte Gylfi wie ein Idiot.
»Ja, natürlich du. Wo bist du?«
Gylfi gähnte. »Irgendwo bei Hveragerði, glaube ich. Da sind wir gestern dran vorbeigefahren.«
Dóra wusste aus Erfahrung, dass »bei Hveragerði« in Gylfis Augen die gesamte Südküste umfasste, genauso wie das gesamte Nordland »bei Akureyri« war. »Bist du im Wohnwagen?«, fragte Dóra und beeilte sich, hinzuzufügen: »Und wer ist wir?«
»Oh, wir sind Sigga und ich«, sagte Gylfi. »Äh, und Sóley.«
»Sóley!«, rief Dóra. »Wie konntest du sie nur mitnehmen? Du hast noch nicht mal deinen Führerschein, und selbst wenn, dürftest du damit bestimmt keinen Wohnwagen ziehen. Und dann auch noch mit deiner schwangeren Freundin und deiner sechsjährigen Schwester im Auto!«
»Das Fahren ist kein Problem«, antwortete Gylfi mit männlicher Überzeugung. »Und damit du es weißt: Sóley ist hier, weil sie mir nur verraten wollte, wo du die Schlüssel vom Jeep versteckt hast, wenn ich sie mitnehme. Sogar sie hatte von Papas Gejaule die Nase voll. Sie durfte ihr eigenes Computerspiel nicht mehr spielen.«
»Gylfi«, sagte Dóra so ruhig wie möglich, »beweg den Wohnwagen nicht von der Stelle. Ich komme euch heute Abend holen. Ihr seid doch bestimmt auf einem Campingplatz?«
»Äh, nee«, antwortete Gylfi. »Ich glaube nicht. Wir sind einfach da, wo ich angehalten hab.«
»Verstehe«, sagte Dóra. Sie schloss die Augen und schüttelte den Kopf, um das Verlangen, laut zu schreien, zu unterdrücken.
»Du findest jetzt raus, wo ihr genau seid, und sagst mir Bescheid. Schick mir eine SMS, hier ist so schlechter Empfang. Fahr nicht weiter. Kapiert?«
Nachdem Gylfi zugestimmt hatte, verabschiedeten sie sich. Dóra konnte nur hoffen, dass er sich an ihre Anweisungen hielt. Sie steckte das Handy in die Tasche, drehte sich zu Matthias und sagte leise. »Verdammt, hoffentlich geht das gut. Und übrigens: Schaff dir bloß keine Kinder an!«
Dóra trommelte mit dem Stift, den sie zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, unablässig gegen die Tischkante. »Hilft dir das beim Denken?«, fragte Matthias. »Ich hoffe es zumindest; ich kann nämlich bei diesem Hämmern keinen vernünftigen Gedanken fassen.«
Dóra legte den Stift weg, drehte sich zu Matthias und schnitt eine Grimasse. »Das ist wichtig. Ich versuche, mich zu konzentrieren, aber die Kinder im Wohnwagen gehen mir nicht aus dem Kopf.« Sie schloss die Augen und atmete tief ein. »Wie konnte ich nur auf die Idee kommen, dieses Ungetüm zu kaufen?«
»Weil du in finanziellen Dingen so weitsichtig bist wie ein Goldfisch«, antwortete Matthias und lächelte sie an. Sie saßen im Hotelzimmer, Dóra am Schreibtisch und Matthias auf dem Bett. Er hatte es sich am Kopfende gemütlich gemacht. Dóra saß auf einem neumodischen Stuhl, der offenbar wegen seines Designs und nicht wegen seiner Bequemlichkeit ausgewählt worden war. »Schreib einfach mal auf, was du sicher weißt«, sagte er und setzte sich auf dem Bett zurecht. »Alles andere kommt dann ganz von selbst.«
»Okay«, sagte sie und begann zu schreiben.
Als sie wieder aufschaute, hatte sie drei DIN-A4-Seiten vollgeschrieben. Zufrieden drehte sie sich zum Bett. »Wach auf«, sagte sie laut, als sie sah, dass Matthias eingenickt war.
Matthias fuhr abrupt hoch. »Ich bin hellwach«, sagte er sofort. »Bist du fertig?«
»Ja.« Dóra nahm die Seiten zur Hand. »Zumindest fällt mir im Moment nicht mehr ein.«
»Lies vor«, sagte Matthias und setzte sich auf. Beim Schlafen war er ein Stück am Kopfende hinuntergerutscht.
»Das Erste ist der Spuk. Ich habe mit ein paar Leuten gesprochen, und sie sind alle der Meinung, dass es hier spukt. Die meisten sind zwar sehr leichtgläubig, aber ich tendiere trotzdem dazu, dass etwas vorgefallen sein muss …«
Matthias fiel ihr ins Wort. »Soll das ein Witz sein? Glaubst du etwa, diese Spukgeschichte ist real?«
»Nein, natürlich nicht«, antwortete Dóra gereizt. »Du hast mich nicht aussprechen lassen. Ich wollte sagen, dass es vermutlich eine natürliche Erklärung dafür gibt. Die meisten Leute hier glauben an das Übernatürliche, und vielleicht deuten sie ungewöhnliche Vorkommnisse auf diese Weise — Vorkommnisse, für die es bestimmt andere, natürliche Erklärungen gibt. Wir sollten herausfinden, welche das sind. Gespenster draußen auf der Wiese, Heulen in der Nacht, Wiedergänger in den Zimmern.«
»Der Geist ist aber nur in Jónas’ Zimmer erschienen«, sagte Matthias, wie immer sehr präzise. »Obwohl das keine so große Rolle spielt. Wie willst du diese Vorkommnisse erklären? Stecken vielleicht Außerirdische dahinter?«
»Ha, ha«, entgegnete Dóra. »Ich dachte, es könnten vielleicht Birna und Bergur draußen beim Sex gewesen sein. Die Sexberaterin meinte, sie hätten sehr heftigen Sex gehabt. Wer weiß, vielleicht kam das Heulen von ihnen, und die umherirrenden Geister waren niemand anders als die beiden auf der Suche nach einem passenden Ort.«
»Ich habe dieses Heulen gehört. Das hatte nichts mit irgendeiner Art von Geschlechtsverkehr zu tun«, erwiderte Matthias und errötete leicht, da er wusste, dass Dóra sein nächtliches Erlebnis für Einbildung hielt. »Außerdem war Birna schon tot, als ich es gehört habe.«
Dóra schaute ihn mit undurchdringlichem Gesicht an. »Wahrscheinlich hast du das nur geträumt.« Als sie sah, dass Matthias protestieren wollte, beeilte sie sich, weiterzureden. »Wie dem auch sei, ich glaube, der Grund wird schon noch ans Licht kommen, und ich will ihn unbedingt wissen, denn er steht möglicherweise mit den Morden in Verbindung.«
»Würdest du Jónas damit nicht seinen Prozess wegen des verdeckten Mangels vermasseln?«, fragte Matthias und fügte hinzu: »Wenn du den Spuk erklären kannst, hat er keinen Grund mehr für eine Schadenersatzforderung.«
»Ja, damit würde ich ihm natürlich einen Strich durch die Rechnung machen«, antwortete Dóra. »Andererseits glaube ich Jónas, dass dieser Geist tatsächlich negativen Einfluss auf die Angestellten und somit aufs Geschäft hat. Wenn ich den Spuk erklären und beweisen kann, dass nichts Übernatürliches dahintersteckt, dann ist das Ziel erreicht. Das Personal ist wieder zufrieden, und Jónas muss sich keine Sorgen mehr über Kündigungen und höhere Gehaltsforderungen machen.«
»Falls sie dir glauben«, gab Matthias zu bedenken. »Selbst wenn dir die Leute zuhören, heißt das nicht, dass sie auch hören, was du sagst.«
Dóra legte das Blatt beiseite und nahm das nächste. »Wie dem auch sei. Ich glaube jedenfalls, dass sich das alles noch herausstellen wird.« Sie überflog den Text und schaute dann auf. »Dann haben wir den Mord an Birna. Da gibt es einiges, was wir näher beleuchten sollten. Gut möglich, dass Jónas mehr mit der Sache zu tun hat, als er behauptet. Beispielsweise hat er mir nicht die Wahrheit über seine Beziehung zu Birna gesagt. Es wäre gut, von einem Außenstehenden etwas über das Verhältnis und die Trennung zu erfahren.«
»Was ist mit der SMS, die von seinem Handy an Birna geschickt wurde?«, fragte Matthias. »Glaubst du, er wusste davon?«
Dóra zuckte die Achseln. »Ich weiß es wirklich nicht. Allerdings kommt es mir sehr unwahrscheinlich vor, dass Jónas Birnas Mörder ist, ob er die SMS nun geschrieben hat oder nicht. Er will auf keinen Fall davon gewusst haben. Und er muss Birna ja nicht getroffen haben, selbst wenn er die SMS geschrieben hat. Vielleicht ist etwas dazwischengekommen.« Sie schwieg einen Moment. »Vielleicht hat Jónas dem Mörder zufällig von dem geplanten Treffen erzählt. Und der hat die Situation dann ausgenutzt.«
»Wer denn zum Beispiel?«
»Ich weiß es nicht, aber vielleicht kann uns Jónas da weiterhelfen.« Dóra schüttelte den Kopf. »Na ja, er wird es uns nicht erzählen, denn dann müsste er ja zugeben, dass er die SMS geschrieben hat. Es wäre nicht leicht, ihn dazu zu bringen.«
»Die andere Möglichkeit«, wandte Matthias ein, »ist natürlich, dass der Mörder das Handy entwendet und die SMS in Jónas’ Namen geschrieben hat. Jónas meinte, er würde das Handy überall rumliegen lassen. Es gibt einige Personen, die die Gelegenheit dazu gehabt hätten. Hotelgäste, Angestellte und die Besucher der Séance. Das Problem bei dieser These ist, dass die Leute vom Hotel, zumindest die, die bei der Séance waren, es nie geschafft hätten, runter zum Strand zu laufen und Birna zu töten. Nicht, wenn der Mord gegen neun Uhr geschehen ist, was die SMS vermuten lässt.«
»Sehe ich auch so«, sagte Dóra und schaute wieder auf ihr Blatt. »Dann haben wir diesen Bauern, Bergur. Er ist durch den Toten in seinem Pferdestall noch tiefer in die Sache verstrickt.« Sie warf Matthias einen Blick zu. »Ein sehr merkwürdiger Zufall. Zwei Leichen in drei Tagen, erst seine Geliebte, und dann eine zweite Leiche auf seinem Hof. Ich würde wirklich verdammt nochmal gerne wissen, wer der Tote ist.«
Matthias sah sie scharf an. »Hast du schon mal an die Frau von diesem Bergur gedacht? Sie hatte einen triftigen Grund, Birna loswerden zu wollen, vorausgesetzt ihre Ehe hat nicht nur auf dem Papier existiert.«
Dóra nickte langsam. »Das ist natürlich absolut richtig. Vielleicht sollten wir ihr mal einen Besuch abstatten. Aber unter welchem Vorwand?«
»Wir können ihr Hilfe beim Stallausmisten anbieten«, schlug Matthias grinsend vor. »Die kann sie bestimmt gut gebrauchen.«
Dóra grinste zurück. »Könnte funktionieren, wenn sie blind und dumm ist. Niemand würde dir abnehmen, dass du ausmisten willst. Da könntest du ebenso gut Isländischunterricht anbieten.« Sie ließ ihren Blick über seine sorgfältig gebügelte Hose und sein helles Hemd wandern. »Du könntest dich vielleicht als mormonischer Missionar ausgeben, dann müsstest du nicht mal die Klamotten wechseln.«
Matthias ignorierte sie. »Und wie wär’s einfach mit der Wahrheit?«, schlug er vor. »Wenn wir die beiden getrennt voneinander ohne Vorwand aufsuchen?«
»Und was ist die Wahrheit?«, unterbrach Dóra. »Dass wir sie des Mordes verdächtigen?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Das geht nicht.«
»Die Wahrheit hat viele Seiten«, entgegnete Matthias. »Du sagst einfach, du würdest den Spuk untersuchen. Das ist keine Lüge.«
Dóra überlegte. »Hmm, stimmt. Vielleicht kennen sie sich sogar mit der Geschichte des Hofs und der Gegend aus. Das ist nicht so abwegig.«
»Was hast du noch aufgeschrieben? Es kommen bestimmt nicht nur drei Verdächtige in Frage, oder?«
Dóra überflog rasch das Blatt. »Nein, ich finde auch diesen Kajakfahrer, þröstur Laufeyjarson, sehr mysteriös.« Sie schaute Matthias an. »Wir müssen mit ihm reden.«
Matthias zuckte die Achseln. »Meinst du, weil er weggepaddelt ist, als er uns am Strand gesehen hat?«
»Unter anderem, ja«, antwortete Dóra. »Außerdem fand ich Vater und Sohn aus Japan ziemlich seltsam, aber das ist wahrscheinlich nur so ein Gefühl.« Sie blickte auf den Zettel. »Der Kellner, dieser Jökull, war auch sehr schlecht auf Birna zu sprechen.« Sie überflog den weiteren Text. »Dann der alte Politiker, Magnús. Er hatte eindeutig etwas zu verbergen. Warum wollte er zum Beispiel nicht zugeben, dass er beim Einchecken nach Birna gefragt hat?«
»Du machst Witze«, entgegnete Matthias. »Der Mann ist so uralt, dass er noch nicht mal einer Topfpflanze was zuleide tun könnte. Vielleicht hat er wirklich was zu verbergen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er die SMS geschrieben hat und mit dem Vorsatz, die Frau umzubringen, runter zum Strand gerannt ist. Warum konzentrierst du dich eigentlich nur auf die Männer? Der Mörder könnte ebenso gut eine Frau sein.«
»Wer denn?«, fragte Dóra. »Vigdís von der Rezeption? Oder die betrunkene Sexberaterin, Stefanía?«
»Ja, warum nicht«, antwortete Matthias. »Oder, wie gesagt, Bergurs Frau. Ich will dich nur darauf hinweisen, dass du noch viel zu wenig weißt, um irgendjemanden ausschließen zu können.«
Dóra seufzte. »Ich weiß. Leider.« Sie nahm das letzte Blatt zur Hand. »Dann gibt es ein paar Dinge, die vielleicht nichts mit dem Mord an Birna zu tun haben, die ich mir aber trotzdem genauer anschauen möchte.«
»Lass hören«, sagte Matthias. »Es fängt langsam an, Spaß zu machen.«
»Ich möchte wissen, wer Kristín war«, erklärte Dóra. »Ihr Name steht in Birnas Notizbuch, also könnte sie vielleicht etwas mit dem Mord zu tun haben.«
Matthias lachte, hörte aber sofort wieder auf, als Dóra ihn scharf ansah. »Sprich weiter.«
»Außerdem möchte ich Birnas Büro sehen. Ich war in ihrem Hotelzimmer, und auch wenn ich keine Architektin bin, war mir klar, dass sie da nur sporadisch gearbeitet hat. Es gab zum Beispiel keinen Computer.«
»Hast du Jónas danach gefragt?«
»Nein, noch nicht. Ist mir erst eben beim Aufschreiben eingefallen. Aber ich werde ihn auf jeden Fall danach fragen. Wenn schon jemand ihr Zimmer durchsucht, dann muss da auch irgendwas zu holen sein.«
»Sehe ich genauso«, meinte Matthias. »Aber wenn ihr Büro in Reykjavík ist, hat die Polizei es bestimmt versiegelt.«
»Ich bin mir eigentlich sicher, dass sie auch irgendwo hier in Snæfellsnes ein Büro hatte. Jónas hat das zumindest durchblicken lassen«, sagte Dóra und nahm das nächste Blatt. »Und hier ist noch was.« Sie las die letzten Notizen vor. »Ich würde gerne rausfinden, wo Grímur beerdigt ist.« Sie blickte von dem Blatt zu Matthias. »Außerdem möchte ich unbedingt wissen, was dem Mann im Rollstuhl zugestoßen ist.«
»Großer Gott«, sagte Matthias. »Fang bloß nicht wieder damit an.«
»Doch, ich muss es wissen«, sagte Dóra bestimmt. »Und wenn es nur deshalb ist, weil der Kellner so abweisend reagiert hat, als ich den Jungen erwähnt habe. Das kam mir sehr merkwürdig vor.« Sie schaute wieder auf das Blatt. »Natürlich müssen wir auch noch rauskriegen, warum die Polizei Jónas nach Füchsen und Stecknadeln und natürlich nach R-E-R gefragt hat. Und ich will mehr über den Toten in Erfahrung bringen.«
»Es ist stets von Vorteil, zu wissen, was man möchte«, bemerkte Matthias süffisant. »Damit können sich manche stundenlang beschäftigen.«
Dóra hörte ihm nicht zu. »Und ich müsste wahrscheinlich ein bisschen über Nazis in Island recherchieren«, sagte sie und faltete die Blätter zusammen.
Matthias stöhnte so laut auf, dass es nach einem akuten Blinddarmdurchbruch klang. »Nazis«, sagte er bitter. »Klar, dass die auch noch auftauchen mussten.«