8. KAPITEL


Zufrieden blickte Golo zu den vier Pferden, die nur ein paar Schritt entfernt angebunden waren. Sie waren seine Zukunft, die Garanten für viele fette Jahre! Wenn nur dieser verdammte Regen nicht wäre.

Er war zu der Weggabelung vor dem Wald zurückgekehrt, wo er in der letzten Nacht noch gemeinsam mit den beiden Rittern gelagert hatte. So ohne Begleitung in der Wildnis zu sein war ihm unheimlich. Morgen würde er dem Pfad folgen, den Gwalchmai gekommen sein mußte. So würde er diesem verfluchten Sumpf entkommen.

Während er im Wald die Pferde suchte, hatte er Pläne gemacht. Zunächst würde er sich auf den Weg nach Niort begeben, jener berühmten Stadt der Troubadoure, in der er mit Volker Unterkunft genommen hatte, bevor sie die unglückselige Reise in die Sümpfe antraten. Dort würde er mit Leichtigkeit ein bequemes Quartier finden. Wenn das Wetter besser würde, könnte er dann nach Norden reiten. Die Landschaft bei Troyes hatte ihm recht gut gefallen. Vielleicht würde er sich dort Land kaufen. Ein ansehnlicher Teil der Reisekasse befand sich in einer verborgenen Tasche, die in den Packsattel des Lastpferdes eingearbeitet war. So brauchte er sich um Geld zunächst einmal keine Sorgen zu machen. Auch im Gepäck des toten Kaledoniers hatte er einen reichen Vorrat an Silbermünzen gefunden. Einen Teil davon würde er aufwenden, um für die beiden toten Ritter gleich in der Wallfahrtskirche von Niort Messen lesen zu lassen. Schließlich wollte er nicht, daß ihre rachsüchtigen Geister ihm in seinem weiteren Leben nachstellten.

Auch heute abend hatte er bereits für Volker und Gwalchmai gebetet. Golo starrte in das kleine Feuer, das er entfacht hatte, und versank in dumpfes Brüten. In wie kurzer Zeit sich sein Leben doch vollständig verändert hatte! Ob man ihm glauben würde, daß die Schlachtrösser ihm gehörten? In Niort hatte man ihn zusammen mit Volker gesehen. Was würde geschehen, wenn ihn ein eifersüchtiger Wirt bei den Stadtherren als Mörder und Dieb anzeigte? Vielleicht war es doch klüger, eine andere Route einzuschlagen als jenen Weg, den er gemeinsam mit seinem Herren genommen hatte. Und was war mit den Geistern der beiden Ritter? Würden sie ihm seinen neuen Wohlstand gönnen, oder erwarteten sie von ihm, daß er ihren Tod sühnte? Doch was konnte er schon tun? Er war ein Bauernsohn ohne Macht und Einfluß, und obendrein war er noch völlig allein in einem fremden Land.

Golo seufzte. Das Leben als ein freier und reicher Mann war anstrengender, als er gedacht hatte. Dann grinste er. Sobald er sich einen Hof gekauft hatte, würde er sich einen Knecht zulegen. Endlich könnte er dann einmal anderen sagen, was zu tun sei. Er würde morgens noch faul im Bett neben seinem hübschen Weib liegen, während der Knecht in den Stall ging, um die Tiere zu versorgen.

Er war nicht sonderlich ansehnlich, das wußte Golo genau, doch sein Geld würde ihn in den Augen der Bauernmädchen von Troyes so hübsch wie einen Prinzen erscheinen lassen. Er würde sich eins nehmen, das einen reichen Vater hatte. So konnten sie nach dessen Tod die beiden Güter vereinigen. Ja, so würde er es machen! Wenn eines Tages die Zeit gekommen wäre, seine letzte Reise anzutreten, dann würde er soviel Land wie ein Baron besitzen!

Golo rollte sich vor dem Feuer zusammen, zog sich Volkers warmen Reitmantel bis zum Kinn und gab sich seinen süßen Zukunftsträumen hin.



Als Volker erwachte, schien ein blasses Gesicht über ihm in der Finsternis zu schweben. Rotgoldene Locken rahmten das feingeschnittene Antlitz. Das mußte eine Fee oder ein Engel sein. Der Spielmann schluckte. Sein Hals war wie ausgedörrt. Die Kälte war aus seinen Gliedern gewichen. Er fieberte, und pochender Schmerz pulsierte in der Wunde an seiner Brust. Er wollte sich aufstützen, doch die Fremde legte ihm sanft eine Hand auf den Arm. »Bleib liegen, fremder Krieger, der du zwischen den Gebeinen der toten Helden erstanden bist. Ich möchte nicht auch dein Klagelied singen.«

Volker verstand den Sinn ihrer Worte nicht, doch versuchte er zu nicken. Die Fremde war gewiß eine Fee. Wäre er im Himmel, dann würde es nicht so finster wie in einem Grab sein. Nur ein kleines Öllämpchen, das in einer Nische in der Wand stand, erhellte die Dunkelheit. Jetzt konnte sich der Spielmann wieder erinnern, wo er war. Eine Höhle, tief im Herzen der Erde, die Insel... Wie Ausschnitte eines Gobelins tauchten Bilder der vergangenen Tage in seiner Erinnerung auf, doch gab es auch viele Lücken, so als seien Stücke aus dem Wandteppich herausgeschnitten.

»Ich habe hier einen Sud aus Löwenzahn, Klette und Holunderbeeren bereitet. Dieser Trunk wird dein Blut säubern.« Sie half ihm, seinen Kopf ein wenig aufzurichten, und setzte ihm die Schale an die Lippen. »Es ist auch ein wenig Milch aus Mohnkapseln beigemischt. Du wirst gut davon schlafen und die Schmerzen vergessen.«

Volker trank gierig den Kräutersud. Er war bitter wie Galle, doch vertrieb er die Kälte. »Danke. Wer... Wer bist du?«

»Man nennt mich die wiedergeborene Göttin.« Die Fremde hatte die Schale zur Seite gestellt und musterte ihn eindringlich.

Ihr Blick war Volker unheimlich. Sie hatte kalte, grüne Augen, und er hatte das Gefühl, als würde sie durch ihn hindurchsehen. Angeblich mochten die Feen Troubadoure und Spielleute. Er sollte versuchen, ihr Interesse zu gewinnen, sonst würde diese Göttin ihm womöglich, sobald er gesund war, den Kopf abschneiden, um ihn auf einen Pfahl zu stecken. Gwalchmai hatte Volker am Lagerfeuer mit seiner rauhen Kriegerstimme ein Lied vorgesungen, das von den Küsten des fernen Inber Colptha stammte. Vielleicht würde es der Fremden gefallen.

»Ich bin der Wind auf dem Meer... Ich bin eine Welle des Ozeans... Ich bin ein Tosen auf der See... Ich bin...« Seine Stimme erstarb zu einem Flüstern.

Die Fee strich ihm sanft über die Stirn. »Bist du ein Barde?« Sie blickte ihn mitleidig an. »Schone deine Kräfte, schöner Fremder. Ich fürchte, ich werde dir Schmerzen bereiten... Du mußt dieses Kettenhemd ablegen, damit ich deine Wunde behandeln kann.« Sie löste das Wehrgehänge von seinen Hüften und schob den Kettenpanzer vorsichtig höher.

»Nimm jetzt deine Arme hoch, sonst kann ich das Kettenhemd nicht über deinen Kopf ziehen.«

Volker fügte sich ihren Worten, doch sobald er versuchte, den linken Arm anzuheben, wurde der Schmerz in der Brust unerträglich. Die Fremde schien plötzlich ungeduldig. »Ich kann nicht mehr lange bleiben!« Sie packte seinen Arm und zog ihn mit sanfter Gewalt zurück. Der Spielmann schrie vor Schmerz. Unbarmherzig zog sie nun das Kettenhemd hoch. Die eisernen Ringe rutschten über den abgebrochenen Pfeilschaft. Grelle Lichter tanzten Volker vor den Augen. Er hatte das Gefühl zu stürzen...

Als er erwachte, war er allein. In der Felsnische stand noch immer die kleine Öllampe. Die Fee hatte ihm einen Umhang aus grauer Wolle zurückgelassen. Ihm war so heiß, als läge er auf einem Lager aus glühenden Steinen.

Dicht neben ihm standen eine Schale mit einem Stück Brot und ein Becher. Er war zu schwach, um zu essen. Wie ein zweites Herz pochte seine Wunde in der Brust. Es roch nach Verwesung in der Höhle. Direkt ihm gegenüber konnte er eine längliche Höhlung erkennen, in der ein Skelett lag. Volker keuchte, als er begriff... Er war nicht in irgendeiner Höhle. Er lag in einem Grab!



Zufrieden blickte Golo auf die Reste des Mahls. Noch nie zuvor in seinem Leben hatte er einen ganzen Salm für sich allein gehabt. Es war ein harter Kampf gewesen, den großen Fisch ohne fremde Hilfe zu verschlingen. Zwischendurch hatte er den Schwertgurt lösen müssen und die Waffe neben sich an den Tisch gelehnt. Jetzt war ihm sogar die Verschnürung seines Lederwamses zu eng.

Erschöpft brach er ein Stück von dem frischen Brot ab, das zu seinem Festmahl serviert worden war, und tunkte es in die helle Soße, die noch immer in kleinen Pfützen auf dem großen hölzernen Tablett stand, auf dem der Wirt den Salm serviert hatte. Es wäre eine Schande, etwas verkommen zu lassen. Der Sud war mit weißem Wein vermengt worden, und die Küchenmagd hatte noch Möhren und Zwiebeln hineingegeben. Es waren jedoch die Kräuter, die diese Soße zu einer Königin unter ihresgleichen machten. Sie war fein abgeschmeckt mit Thymian, Kerbel und Dill.

Ganz langsam kaute Golo auf der Kruste des dunklen Brotes, um das Aroma der Soße bis zur Neige genießen zu können. Dann füllte er seinen Becher mit frischem Landwein nach, der in einem großen Krug auf dem Tisch stand. In Volkers Diensten war ihm nie ein solches Festmahl aufgetragen worden. Es war die erste in einer langen Reihe von königlichen Schlemmerorgien, die er sich auf seiner Reise nach Troyes gönnen würde.

»Darf ich Euch noch etwas nachreichen, edler Herr? Vielleicht ein wenig Käse oder frisches Zimtgebäck. Auch süße Eierkuchen könnten wir für Euch bereiten.«

Golo rülpste zufrieden und gab der Magd einen Klaps auf den Hintern. »Etwas Fleisch käme mir ganz gelegen, falls ich zur Nacht verweilen sollte.« Er war ein wenig enttäuscht, sie nicht einmal erröten zu sehen. Statt dessen beugte sie sich vor, so daß er tief in ihr großzügig geschnittenes Mieder blinken konnte. »Nehmt oben das Zimmer am Ende des Ganges! Dort steht das beste Bett des Hauses. Laßt eine Kerze brennen, wenn Ihr mich zur Nacht noch erwartet, Herr! Ich werde kommen, wenn der Wirt die Schenke verriegelt und sich zur Ruhe begeben hat.«

»Ich werde dir beweisen, wie gut sich ein Ritter aufs Lanzenstechen versteht. Das wird was anderes werden als die Hurerei mit einem Bauerntölpel auf dem Heuboden.« Golo grinste anzüglich. Jetzt endlich zeigte sich ein leichtes Erröten auf den Wangen der Magd. Er würde seine Reisepläne ändern und hierbleiben. Er sah ihr nach, wie sie zur Feuerstelle am anderen Ende der Schenke zurückging, um den Bratspieß zu drehen und in dem Kessel mit dem Eintopf zu rühren, von dem den ärmeren Reisenden serviert wurde. Die Kleine hatte üppige Hüften und ein prallgefülltes Mieder. Als Nachtmahl wäre sie sicher nicht zu verachten.

Mit einem Seufzer lehnte sich der Knecht auf dem bequemen Stuhl zurück und strich sich über den Bauch. Er hatte ein wenig von Volkers Garderobe aus den Kisten auf den Packpferden geholt. Die Kleider seines Herren paßten ihm recht gut. Man fühlte sich gleich ganz anders in einem solchen Gewande. Der Wirt hatte ihn als Ritter angesprochen, als er in die Schenke getreten war. Was ein besticktes Wams und ein pelzgefütterter Reitmantel doch ausmachten! Natürlich hatte Golo dem Mann nicht widersprochen und es genossen, sich hofieren zu lassen, als sei er der Sohn eines Grafen. Er nahm noch einen Schluck vom Wein und blickte wieder zur Magd. Er sollte sich ein paar Stunden zur Ruhe legen, damit die Zeit bis zur Nacht schneller verstrich. Noch war es heller Nachmittag. Zuerst müßte er jedoch klären, daß seine Pferde versorgt wurden. Er hatte darauf verzichtet, sie in den Stall zu bringen, und sie draußen vor der Schenke angebunden. Ursprünglich wollte er nur für ein kurzes Mittagsmahl hier einkehren, um dann sogleich seine Reise nach Norden weiter fortzusetzen. Aber jetzt auf ein Pferd zu steigen hieße, dem köstlichen Mahl Gewalt anzutun. Was machte es schon, wenn er zur Nacht hierblieb. Er hatte schließlich keine Eile.

Der Knecht leerte den Weinbecher und orderte einen frischen Krug von dem köstlichen Weißen. Ein Fisch mußte schließlich schwimmen!

Krachend flog die Tür der Schenke auf, und ein hochgewachsener Mann mit kurzgeschorenem, eisgrauem Haar trat ein. Zwei Waffenknechte folgten ihm auf dem Fuß. Der Fremde trug den purpurnen Ornat eines Bischofs, doch unter dem Saum des geistlichen Gewandes lugte ein knöchellanges Kettenhemd hervor. Auch war der eigenartige Geistliche mit einem Schwert gegürtet. Wie ein Falke blickte er sich in der Schenke um. Die leisen Gespräche der Bauern waren verstummt, und buckelnd kam der Wirt zur Tür geeilt.

»Womit kann ich Euch zu Diensten sein, Eure Erhabenheit?«

»Wo steckt der Ritter, dem das weiße Schlachtroß vor deiner Tür gehört?«

Golo schluckte und setzte sich gerade auf seinen Stuhl. Jetzt erkannte er den Kerl. Volker hatte von ihm erzählt. Als Golo in Martinopolis nach einer geeigneten Schenke gesucht hatte, war ein Bischof an seinen Herrn herangetreten und hatte versucht, dem Spielmann sein Schlachtroß abzukaufen. Volker hatte ihm hinterher lachend erzählt, wie er den Bischof erst ein wenig geneckt hatte und dann einen Preis forderte, der so hoch war, daß selbst ein Kirchenfürst ihn nicht zu zahlen vermochte.

Der Wirt deutete in seine Richtung. Golo wünschte sich, er hätte Wasser statt Wein getrunken. Dieser Bischof roch nach Ärger! Er müßte sich als Ritter oder vielleicht besser als Knappe von edler Abstammung ausgeben. Wenn der Bischof durchschaute, daß er nur ein Knecht war, aber die Kleider eines Edelmannes trug, dann ließ er ihm wahrscheinlich gleich draußen bei der Dorfeiche einen Hanfkragen anlegen. Was er jetzt brauchte, war eine tolldreiste Lügengeschichte, um seinen Kopf zu retten!

»Woher hat Er dieses Pferd?« Der Bischof hatte sich inzwischen vor ihm aufgebaut, so als stünde er in der Kanzel einer Kathedrale, um eine ganze Stadt wegen ihrer Verderbtheit zu geißeln. »Der Burgunde, dem es gehört, hat mir erst vor zwei Wochen erklärt, er würde lieber seine linke Hand als diesen Hengst hergeben.«

Golo räusperte sich. »Die Reise zur schönen Gunbrid, der Nichte unseres Königs, hat ihn in der Tat mehr als seine linke Hand gekostet.«

Auf der Stirn des Bischofs zeigte sich direkt über der Nase eine steile Zornesfalte. »Wie meint Er das? Spreche Er nicht in Rätseln zu mir!«

»Mein Fechtmeister, der Herr von Alzey, ist vom Feenvolk in den Sümpfen bei Marans ermordet worden, als er versuchte, die schöne Gunbrid aus den Händen dieser Unholde zu befreien. Ich bin auf der Reise zum Hof des Königs Eurich, um dort Klage wegen des Todes meines Herrn zu erheben!«

»Seines Herrn? Wer ist Er? Reist mit vier Pferden, als sei Er ein Baron, und hat doch zugleich keinerlei Diener oder Knechte um sich. Auch sieht Er nicht aus, als sei Er von hoher Geburt. Man mag Ihn vielmehr für einen Pferdedieb und Halsabschneider halten.«

Golo erhob sich leicht schwankend von seinem Stuhl. »Ihr seid gewiß von hohem Stand, Herr Bischof, doch gibt Euch das kein Recht, einen Mann von edler Geburt zu schmähen! Mein Vater, der Herr von Zeilichtheim, hat mich als Edelknappen in die Obhut des Herren von Alzey gegeben, damit dieser mich die Tugenden des Rittertums lehren konnte. Indem Ihr mich beleidigt, schmäht Ihr auch ihn, dessen blutbefleckten Waffenrock ich als Zeugnis des feigen Mordes zu Eurem König tragen werde.« Golo blickte den Bischof offen an und hoffte, den richtigen Ton getroffen zu haben. Er hatte zwar oft zugehört, wenn Volker sich mit anderen Adeligen in der gestelzten Hofsprache unterhielt, doch ihm selbst fehlte darin jede Übung.

»Zeige Er mir doch einmal diesen Waffenrock und erkläre Er mir, warum Er noch lebt, während Sein Waffenmeister tot ist.«

»Nun, Volker hat gefochten, als sei er der Erzengel Gabriel selbst und...«

Der Bischof packte ihn am Wams und fauchte erbost: »Hüte Er sich, den Namen eines Engels so leichtfertig und lästerlich auszusprechen! Hinaus mit Ihm, und zeige Er mir nun diesen Waffenrock!« Der Kirchenmann versetzte Golo einen groben Stoß, so daß er quer durch die Schenke zur Türe taumelte.

Flankiert von den Söldlingen des Geistlichen wurde der Knecht zu den Pferden geführt. Mit zitternden Fingern hantierte er an dem schweren Packsattel herum und zog schließlich aus einer der Taschen den Waffenrock seines Herren. Triumphierend hielt er ihn dem Bischof hin. »Hier, genügt Euch das als Beweis für die Wahrheit meiner Worte?«

Der Kirchenmann betrachtete das Kleidungsstück kurz und zeigte dann auf den Schild, der auf dem Packsattel befestigt war. »Er sagte doch, Sein Herr sei in einem Zweikampf ermordet worden, nicht wahr?«

Golo nickte eifrig.

»Wie kommt es dann, daß auf Seinem Schild nicht eine Schramme zu sehen ist? War der Herr von Alzey etwa ein so schlechter Fechter, daß die Feen sofort seine Deckung zu durchbrechen vermochten? Schildere Er mir doch einmal diesen Kampf.«

Golo spürte, wie ihm kalter Angstschweiß den Rücken hinabrann. Dieser Bischof wollte seinen Kopf und sich dann die Pferde nehmen! Wenn ihm jetzt auch nur der kleinste Fehler unterlief, dann würde er binnen einer Stunde an einem der ausladenden Zweige der Dorfeiche baumeln!

»Nun... Meinem Herrn war für den Zweikampf die Wahl der Waffen überlassen worden, und er entschied sich für sein Bastardschwert, so daß er keine Hand mehr frei hatte, um noch einen Schild zu führen. Wie ein Erz... ich meine wie ein... aufrechter Ritter es tun sollte, focht er mit allem Mut und großer Tollkühnheit. Er brachte den Feenritter in arge Bedrängnis. Als dieser schon zu unterliegen drohte, kamen zwei weitere Ritter auf den Kampfplatz und stachen den Herrn Volker hinterrücks nieder. Er war sofort tot. Dann drangen die Feen auf mich ein, doch zum Glück saß ich noch im Sattel und konnte den Mördern mit unseren Pferden entkommen.«

Der Bischof rümpfte die Nase. »Seine Geschichte stinkt zum Himmel! Wie kommt es, daß das Bastardschwert Seines Herrn dort drüben am Packsattel festgeschnallt ist, wenn der Herr von Alzey mit dieser Waffe in der Hand gestorben sein soll und Er hier vorgibt, vor den Feen geflohen zu sein? Und wie ist Er in den Besitz des blutigen Waffenrocks gekommen?«

Golo räusperte sich. »Das kann ich alles erklären. Ich...«

»Genug! Schnall Er den Schild vom Sattel, und dann folge Er mir in die Scheune dort drüben!«

Ohne zu widersprechen, folgte der Knecht dem Befehl des Bischofs. Was wollte dieses Rauhbein von ihm? Hätte er nur nie bei diesem Wirtshaus angehalten! Das Schicksal meinte es schlecht mit ihm! Er hätte seinen Herrn nicht allein lassen dürfen.

Als Golo die Scheune betrat, verschloß der Normanne das hohe Tor hinter ihm. »Höre Er mir gut zu! Ich bin Jehan de Thenac, der Bischof von Saintes. Mein Großvater war noch ein gefürchteter normannischer Pirat, der die Küsten von Ulaid bis hin zum Land der Lotophagen unsicher machte. Mein Vater hat mit seinen Kriegern die Franken aus diesem Landstrich vertrieben, und ich habe zehn Jahre Krieg geführt, um das Poitou von maurischen Banditen zu säubern. Ich stamme aus einem Geschlecht von Kriegern, und selbst wenn ich das Gewand eines Bischofs trage, heißt das nicht, daß ich nicht genauso dreinschlagen könnte wie meine Vorfahren!« Jehans Hand glitt zum Schwert, und er zog blank. »Na los, hebe Er Seinen Schild!«

Krachend sauste die Klinge auf die Kante von Volkers Wappenschild und grub sich tief ins Holz. Golo wollte nach seinem Schwert greifen, doch der Bischof verpaßte ihm einen Stoß, der ihn zurücktaumeln ließ. »Er wird doch nicht etwa gegen einen Mann der Kirche Sein Schwert ziehen wollen, oder ist Er ein verdammter Heidensohn, der keinen Respekt vor den Dienern des Herrn hat?«

»Bitte, Herr, haltet ein! Ich möchte keinen Streit mit Euch.« Wieder traf ein Schlag den Schild.

»Er möchte keinen Streit! Dann soll Er sich nicht so aufführen, als sei ich ein Trottel. Oder glaubt Er, nur weil ich das Gewand eines Kirchenmannes trage, könne ich eine Lüge nicht mehr von der Wahrheit unterscheiden? Heraus mit der Sprache! Was ist mit Seinem Herrn geschehen?«

»Bitte, glaubt mir doch...« Das Schwert des Bischofs sauste nieder und trennte die linke Kante von dem dreieckigen Reiterschild. Dieser Kerl mußte verrückt sein! Und er schlug drein wie ein Berserker! »Mein Herr, Volker von Alzey, wurde von den Feen ermordet! Sie haben die Burg bei Marans zerstört, und er folgte ihnen in die Sümpfe.«

»Und warum lebt Er noch, wenn Sein Herr in einen Hinterhalt geraten ist? Überhaupt, wer ist Er? So wie Er diesen Schild hält, könnte Er sich auch mit einem Küchenbrett verteidigen.« Der Bischof machte einen Ausfall und trieb Golo vor sich her, bis der Knecht mit dem Rücken zum Tor stand.

»Ich gestehe, daß ich nur ein Diener bin und kein Adliger. Doch der Rest meiner Geschichte ist wahr! Ich schwöre bei Gott!«

»Er sollte den Namen des Herrn nicht leichtfertig in den Mund nehmen!« Jehan hatte das Schwert mit beiden Händen gefaßt und zu einem vernichtenden Streich über den Kopf erhoben.

»Bitte Herr, glaubt mir doch, ich...«

Der Bischof stieß einen wütenden Schrei aus und ließ die Waffe niedersausen. Golo duckte sich zur Seite weg, und die Klinge bohrte sich in das massive Holztor.

Jehan lachte. »Nun schön, soll Er Sein Leben behalten. Er kann mir nützlich sein. Wir werden zum Hof des Königs Eurich reiten, und ich werde Ihm auf dem Weg erklären, was ich für Pläne mit Ihm habe. Sollte sich alles zu meiner Zufriedenheit entwickeln, so wird Sein Herr gerächt sein, ich werde meine Ländereien um ein beträchtliches Stück erweitern, und am Ende mag Er mit Seinen Pferden unbescholten das Weite suchen. Wird Er sich dem fügen?«

»Sicher, Herr. Es ist mir eine Freude, Euch zu dienen und...«

»Genug! Ich schätze Schmeicheleien nicht! Knie Er nieder und küsse Er zum Zeichen Seiner Unterwerfung meinen Ring.«

Golo tat, wie ihm geheißen. Er streifte den schweren Schild von seinem Arm und küßte den goldgefaßten Bischofsring.

Jehan warf einen Blick auf Volkers Wappenschild und nickte zufrieden. »Nun sieht er aus, als habe sein Ritter ihn wirklich in seinem letzten Kampf getragen. So wollte ich es haben! König Eurich hat seine Hauptstadt Tolosa verlassen und reist nach Martinopolis. Wir werden dort seinen Hof besuchen, und wir werden große Dinge in Bewegung bringen!«

Golo verstand nicht, was Jehan mit dieser Bemerkung meinte, doch wer begriff schon die Adligen.


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