6. KAPITEL


Jetzt hatte er also zwei Herren, dachte Golo verdrießlich und musterte die beiden Krieger, die hintereinander den schmalen Hohlweg in den Wald hineinritten. Volker ließ keine Gelegenheit aus, diesem Kaledonier mit dem unaussprechlichen Namen seine Dienste anzubieten. Gestern abend mußte er sogar das Pferd dieses Kerls striegeln. Ganz wie sein Herr war der graue Hengst ein unberechenbares Monstrum. Zweimal hatte er versucht, Golo zu beißen.

Fröstelnd rieb sich der Knecht mit den Händen über die Arme. Es war so kalt, als wolle der Winter zurückkehren. Noch vor Morgengrauen war er frierend unter seiner klammen Decke erwacht und hatte das Feuer wieder angefacht, doch richtig warm und trocken war er nicht mehr geworden. Gottverfluchte Sümpfe!

Die beiden Ritter vor ihm lachten. Ja, die Herren amüsierten sich köstlich! Sie trugen prächtige, mit Fell gefütterte Reitmäntel, und die Kälte vermochte ihnen nicht viel anzuhaben. Wenn er fror, hieß es, er solle mehr arbeiten, dann würde ihm auch warm werden. Arrogantes, adeliges Pack. Allein war Volker ja ganz verträglich, doch wenn er mit einem Fremden zusammen war, dann glaubte er, er müsse den Herren spielen.

Den ganzen Abend hatten die beiden darüber gesprochen, wie sie in die Feenburg einreiten würden. Für sie schien keinen Atemzug lang ein Zweifel daran zu bestehen, daß der Kaledonier den Zweikampf mit dem Krieger der Feenkönigin gewann. Sie hatten ausgemacht, daß Gwalchmai als erstes die gefangene Gunbrid von ihrem bitteren Schicksal erlösen sollte. Danach erst würde die Hochzeit mit der Feenkönigin stattfinden.

Mißmutig blickte sich Golo um. Er konnte nicht glauben, daß es so einfach sein würde, zum König der Feen zu werden. Der Wald, durch den sie ritten, erschien dem Knecht ungewöhnlich dunkel. Die kahlen Äste der Eichen waren über dem Weg ineinander verflochten und bildeten ein düsteres Gewölbe. Der Himmel war mit grauen Wolken verhangen, und die Sonne hatte nicht die Kraft, die geisterhaften Nebelschwaden aufzulösen, die über dem Sumpf trieben. Dies war ein Tag, wie geschaffen für finstere Magie und üblen Verrat! Golo dachte an seinen Traum. Er hatte versucht, Volker von seinem Vorhaben abzubringen und von der Feenkriegerin mit dem Schwert erzählt, doch der Spielmann hatte nur darüber gelacht.

Vor ihnen öffnete sich der Weg zu einer Lichtung. Das Gespräch der beiden Ritter verstummte abrupt. Jetzt sah es auch Golo. Auf der Lichtung erhob sich ein Wald von Pfählen, jeder von einem Kopf gekrönt. Er hatte es gewußt. Die Visionen der vorletzten Nacht, das war mehr als nur ein Traum gewesen! Ängstlich blickte sich der Knecht um... Jeden Moment konnte die Fee mit ihren Kobolden kommen.

Volker schwang sich aus dem Sattel und führte Lanzenbrecher am Zügel auf die Lichtung. Gwalchmai folgte seinem Beispiel. Golo fluchte. Er würde diesen Vorhof der Hölle nicht betreten. Hinter ihm knackte es im Gebüsch. Seine Hand glitt zum Schwert. Die beiden ließen ihn hier zurück! Jetzt saß auch er ab. Vielleicht wäre er an der Seite der beiden besser aufgehoben. Immerhin hatten sie seit Kindesbeinen den Schwertkampf geübt. Warum war er damals nicht in seinem Dorf geblieben, als der verfluchte Spielmann kam, um sich einen Knecht zu suchen? Er hatte von Abenteuern geträumt und davon, sich im Ruhm seines Herren zu sonnen. Pferdemist! Warum hatte ausgerechnet er einen Verrückten zum Herren bekommen? Als er in das Dorf geritten war, sah Volker aus wie jeder andere Ritter auch!

Golo nahm die beiden Pferde am Zügel und folgte dem Spielmann und Gwalchmai. Die zwei waren nur noch als dunkle Schemen im Nebel zu erkennen. Die Köpfe auf den Pfählen mußten sehr alt sein! Längst war alles Fleisch von den Knochen verschwunden.

Etwas knackte. Erschrocken zog er seinen Fuß zurück. Er war auf einen Unterkiefer getreten, und der Knochen war zerbrochen. Hastig schlug Golo ein Kreuz und betete ein Vaterunser. »Vergib mir, wenn ich dich mißachtet habe, toter Krieger. Bitte verfolge mich dafür nicht in meinen Träumen. Es war keine Absicht.« Ängstlich blickte er in die leeren Augenhöhlen der Toten. Halb rechnete er damit, daß einer der Schädel ihn mit dumpfer Grabesstimme verfluchen würde. Doch nichts regte sich.

Vorsichtig ging er weiter und achtete jetzt genau darauf, wohin er trat. Manche der Schädel waren mit Helmen geschmückt. Sie sahen seltsam aus. Grün angelaufen und aus Bronze waren sie. Von einem hing ein halb verrotteter Roßschweif herab. Ein anderer Helm hatte eine Gesichtsmaske. Sie zeigte einen Knaben mit gelocktem Haar. Was für Krieger mochten solche Helme getragen haben? Golo hatte so etwas noch niemals gesehen! Sahen so die Rüstungen von Feen aus?

Ein leises Klirren wie von Metall ließ ihn aufschrecken. Der Baum! Mit weit ausladenden Ästen erhob er sich am Ende der Lichtung. Die beiden Ritter standen davor und betrachteten die schaurige Trophäensammlung. Es war alles genau wie in seinem Traum. Es gab fast keinen Ast, von dem keine Waffen hingen. Vor dem Baum jedoch stand ein kleiner, aus Stein gemauerter Schrein. Darin lag auf einem hölzernen Gerüst ein mit goldenen Bändern eingefaßtes Horn. Volker und Gwalchmai starrten ehrfürchtig auf das kostbare Instrument.

Ein paar Herzschläge lang hoffte Golo darauf, daß die beiden es sich doch noch anders überlegen würden. Noch gab es einen Weg zurück! Wenn sie jetzt einfach umkehrten, würde das Nachtvolk sie vielleicht verschonen. Volker konnte doch nicht wirklich so dumm sein, allein ein ganzes Feenvolk herauszufordern. Bestimmt konnte jeder einzelne der Feenritter nicht nur hervorragend fechten, sondern auch noch zaubern.

Seine Hoffnungen sollten nicht enttäuscht werden. Es war nicht Volker, sondern Gwalchmai, der seine Hand nach dem Horn ausstreckte. Fast im gleichen Moment, in dem er es von dem Holzgerüst nahm, erklang in der Ferne ein Donnern. Golo begann zu beten. Warum nur hatte er nicht die Kraft, diese beiden Verrückten hier alleinzulassen? Sollten sie doch ohne ihn in ihr Verderben rennen!

Der Himmel wurde immer dunkler. Von Westen, dort, wo irgendwo das Meer liegen mußte, zogen dunkle Gewitterwolken auf. Wieder zerriß ein Donnerschlag die Stille. Eisiger Wind fegte über das Moor. Das Klirren der Schwerter und der anderen Waffen, die im Geäst gegeneinanderschlugen, klang fast wie der Lärm einer fernen Schlacht.

Gwalchmai setzte das Horn an die Lippen. Der Krieger beugte sich leicht zurück, seine Backen blähten sich, als sei er ein Frosch. Dann erklang ein Ton, wie ihn Golo noch nie zuvor gehört hatte, und er wünschte sich, dieses Geräusch nie wieder in seinem Leben zu hören. Der Knecht hatte schon viele Hörner gehört, doch dieses hier Heß sich mit keinem von ihnen vergleichen. Fast wie ein Schrei klang es über die Lichtung. Golo mußte unwillkürlich an Raben denken. Die Pferde stiegen und wieherten schrill. Dann rissen sie sich los und flohen von der Lichtung. Ganz nahe schlug ein Blitz ein und tauchte die Szene in fahles, geisterhaftes Licht.

Ein Windstoß rüttelte an den Ästen des Trophäenbaumes. Eines der Seile, mit denen die Waffen aufgehängt waren, zerriß, und ein Schwert stürzte in die Tiefe.

»Vorsicht, Herr!«

Volker blickte nach oben. Das Schwert stürzte genau auf ihn zu. Gwalchmai verpaßte dem Spielmann einen Stoß mit der Schulter. Nur eine Handbreit neben den Rittern bohrte sich die rostige Klinge in den weichen Waldboden.

»Das ist der Fluch der Feen!« kreischte Golo. »Laßt uns hier verschwinden, oder wir sind alle des Todes. Das war die letzte Warnung. Das nächste Mal geht es uns allen ans Leben!«

Volker packte ihn beim Wams. »Sieh her!« Der Ritter zog das Schwert aus dem Boden. »Siehst du dieses morsche, alte Seil? Der Wind hat es zerreißen lassen. Das ist alles! Wir sind hier in einer alten, heidnischen Schädelstätte. Es gibt keine Feen! Sie sind nur eine Erfindung der Dichter!«

»Und was ist das dort drüben?« Golo deutete mit zitternder Hand auf einen Holzpflock, der keine fünf Schritt vom Baum entfernt stand. Er war mit einem Kopf geschmückt, von dem verrottendes Fleisch hing. Unten an dem Pfahl lehnte ein Helm, ganz ähnlich den Topfhelmen, welche die beiden Ritter besaßen. »Das ist nicht alt! Erzählt mir nichts, Herr! Und habt Ihr die verbrannte Burg vergessen und die aufgespießten Köpfe der Normannen?«

»Das waren Räuber, die sich den Aberglauben der Bauern zunutze machen, um ihrer gerechten Strafe zu entgehen!«

Golo schüttelte verständnislos den Kopf. »Seid Ihr denn blind für das Offensichtliche?«

»Nein! Ich lasse nur nicht zu, daß die Angst meinen Verstand regiert. Wir müssen jetzt die Pferde einfangen!«

»Ich werde hierbleiben«, sagte Gwalchmai grimmig. »Nur für den Fall, daß die Morrigan und ihre Kämpfer kommen. Sie sollen nicht denken, wir hätten uns davongeschlichen.«

Volker nickte zustimmend. Wieder blitzte es, und fast augenblicklich war der Donnerschlag zu hören. Der Wind hatte nachgelassen. Es begann zu regnen.



Mit rudernden Armen kämpfte sich Volker durchs Dickicht. In Strömen lief ihm der Regen übers Gesicht, und die Dornenranken zerrten an seinem Waffenrock, als seien es winzige Hände. Golo hatte behauptet, in seinem Traum von Kobolden verfolgt worden zu sein. Bisher war fast alles Wirklichkeit geworden, was er in seiner Vision gesehen hatte. Nur Gwalchmai war ihm seltsamerweise nicht im Traum erschienen.

Ein Ast peitschte Volker ins Gesicht. Der Spielmann fluchte. Gwalchmais Streitroß hatte er schon gefunden. Der große Hengst war nicht weit gelaufen. Er hatte seine Zügel um einen jungen Baum geschlungen und sich dann weiter auf die Suche begeben. Dieses Horn! Nie zuvor in seinem Leben hatte er einen solchen Ton gehört. Ob es vielleicht verzaubert war?

Vom Sumpf her ertönte ein klagendes Heulen. Das Geräusch schien ihm vertraut, doch konnte er sich nicht mehr erinnern, wo es gewesen war. Es war ein langgezogener Laut, der weder von Menschen noch von Tieren stammte. Die Feen kamen also! Sie hatten das Signal gehört! Er mußte zurück zu Gwalchmai.

Der Spielmann versuchte, sich zu orientieren. Die Suche nach den Pferden hatte ihn kreuz und quer durch das dichte Gestrüpp des Waldes geführt. Er wußte nicht mehr genau, in welcher Richtung er die Schädelstätte finden würde. In dem Nebel konnte er keine zehn Schritt weit sehen. Wahrscheinlich war es das klügste zu versuchen, seiner eigenen Spur zu folgen. Der Weg, den er sich gebahnt hatte, war fast nicht zu verfehlen.

Er war schon eine Weile gegangen, als wieder das heulende Geräusch aus dem Sumpf erklang. Diesmal war es schon viel näher. Wenn er nur besser sehen könnte! Er war dicht an den Waldrand gekommen und ging nun dort entlang. Der Baum mit den Trophäen hatte unmittelbar an der Grenze zum Sumpf gestanden. Also brauchte er nur dem Ufer zu folgen. Der Boden war hier morastig. Zweimal schon war er ausgerutscht und gestürzt. Sein prächtiger weißer Waffenrock war über und über mit Schlamm besudelt. Wenn man ihn jetzt so sehen könnte, mochte man denken, er sei aus den Tiefen des Moors emporgestiegen. Der Spielmann lächelte. Er hatte sich eindeutig zu viele Spukgeschichten von Golo erzählen lassen! Jetzt dachte er selbst schon so wie dieser abergläubische Bauer.

Wieder ertönte das merkwürdig vertraute Heulen, und jetzt, wo es schon ganz nahe war, erkannte er das Geräusch wieder. Er hatte es schon einmal in einer Schlacht gegen die Sachsen gehört. Die Feen bliesen auf Luren! Großen, seltsamen Trompeten. Sie ragten senkrecht empor, und ihre Trichter waren wie Wolfs- oder Drachenköpfe geformt.

Volker begann zu laufen. Er hatte das Gefühl, daß er Gwalchmai nicht mehr rechtzeitig erreichen würde. Links neben ihm erschien eine Gestalt. Durch die Regenschleier und den Dunst konnte der Spielmann nur einen Schemen erkennen, der dicht über dem Sumpf zu schweben schien. Also stimmten die Feengeschichten. Erschrocken duckte er sich ins Unterholz am Waldesrand. Wer auch immer dort kam, schien nicht von dieser Welt zu sein.

Volker spürte, wie sein Herz immer heftiger schlug. Sein Mund war trocken, seine Hände dafür aber schweißnaß. So hatte er sich gefühlt, als er in der großen Sachsenschlacht mit nur fünf Rittern den Feldherrnhügel des Königs gegen eine Übermacht von Feinden verteidigen mußte.

In Gedanken ermahnte sich der Spielmann, ruhig zu sein. Es war nur ein einzelner Gegner, der dort aus dem Sumpf kam. Ob der Streiter der Morrigan die Richtung verfehlt hatte? Der Trophäenbaum stand doch an ganz anderer Stelle!

Jetzt konnte er den Mann deutlicher erkennen. Erleichtert atmete der Ritter auf. Sein Feind schwebte nicht! Er stand in einem flachen Nachen und stakte mit einer langen Stange durch das brackige Wasser. Der Mann hatte langes, rotes Haar und trug eine seltsame, bunte Hose. Über seine Schulter hing ein Köcher mit Pfeilen.

Als er fast den Waldrand erreicht hatte, sprang er aus dem kleinen Boot und zog es das Ufer hinauf. Dann nahm er einen Bogen aus dem Rumpf und blickte sich mißtrauisch um. Volker fragte sich, ob der Krieger im Nebel seinen Weg verloren hatte. Es war ein blutjunger Kerl, der höchstens zwanzig Sommer gesehen haben mochte. Irgendwo nördlich ertönte das Heulen der Luren. Sie klangen jetzt ganz nah! Auch wenn Nebel und Regen die Geräusche dämpften und veränderten, schätzte Volker, daß die anderen Krieger des Nachtvolks höchstens dreihundert Schritt entfernt sein mochten.

Der junge Bogenschütze ging ein Stück das Ufer hinauf. Für einen maurischen Sklavenjäger sah er recht eigenartig aus. Wahrscheinlich war er nur ein Räuber aus der Region. Aber ein reicher Räuber! Ein dicker, goldener Reif war um seinen Hals geschlungen. Volker traute seinen Augen kaum. Wenn dieses Schmuckstück massiv war, dann mußte es soviel wie ein Schlachtroß wert sein. Der Sklavenhandel schien ein einträgliches Geschäft zu sein!

Der Bogenschütze kniete jetzt nieder und betrachtete irgend etwas im weichen Uferschlamm. Volker schluckte. Dort war er eben erst entlanggelaufen! Ob der Kerl etwa seine Fußspuren im Schlamm gefunden hatte?

Unheimlich ertönte das Heulen der Luren. Diesmal klang es anders, auf schwer zu beschreibende Weise majestätischer... Ein eisiger Schauer lief Volker über den Rücken. Der junge Mann am Ufer sprang auf und lief in die Richtung, in die der Trophäenbaum stehen mußte. Erleichtert atmete Volker auf. Er war davongekommen. Der Spielmann ließ einige Augenblicke verstreichen, dann erhob er sich aus seinem Versteck und trat ans Ufer. Der junge Krieger schien sich in Dunst und Regen aufgelöst zu haben. Volker warf kurz einen Blick ins Boot. Im Rumpf lag ein kurzer Jagdspeer, sonst gab es nichts Besonderes zu sehen.

In der Ferne ertönte das Klirren von Schwertern. Der Zweikampf hatte begonnen! Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, machte sich Volker auf den Weg in Richtung des Trophäenbaums. Beunruhigende Gedanken gingen ihm durch den Kopf, während er dem schmalen, schlammigen Uferstreifen folgte. Ob Golo mit seinem Aberglauben doch recht hatte? Der Spielmann blickte auf das dunkle Wasser. Er bewegte sich hier am Rand zweier Welten. Er ging genau auf der Grenze! Dort, wo sich das Wasser und die schwere, braune Erde vereinten. Es war ein trügerischer und unsicherer Pfad. Ein falscher Schritt, und er würde ausgleiten... Lag dort drüben im Nebel wirklich ein Feenreich? Und hatte er sich nun bis an die äußerste Grenze seiner eigenen Welt bewegt?

Der junge Ritter schüttelte ärgerlich den Kopf. Das war jetzt nicht die Zeit für solche verrückten Gedanken. Wenn er zurück in Worms war und Gunbrid gerettet hatte, dann könnte er über diesen Unsinn weiter nachdenken! Es wäre gewiß eine schöne Metapher für ein Heldenlied. Der Spielmann grinste. Es war schon von Vorzug, wenn man in der Lage war, seine Heldenlieder selbst zu dichten. So konnte man seine eigenen Taten stets ins rechte Licht rücken und... Ein Geräusch in den Büschen hinter ihm ließ ihn herumfahren. Seine Hand schnellte zum Schwertgriff. Der junge Krieger aus dem Boot hatte sich hinter einem Busch erhoben. Er zielte mit gespanntem Bogen auf ihn. Volker hob die Hand vom Schwertgriff. Es war zu spät, um noch die Waffe zu ziehen. »Wir können über alles reden. Du mußt wissen...« Der Pfeil schnellte von der Sehne. Der Spielmann versuchte, sich in Deckung zu werfen, doch er war zu langsam. Ein wuchtiger Schlag traf ihn an der Brust. Er stürzte. Er konnte spüren, wie die Pfeilspitze das Kettenhemd durchdrang und sich in seinen Brustmuskel bohrte, doch fühlte er keinen Schmerz. Noch im Fallen griff er nach dem Messer an seinem Waffengurt. Dann schlug er seitlich mit dem Gesicht in den kalten Schlamm. Er rührte sich nicht mehr. Vielleicht könnte er den jungen Krieger täuschen. Immerhin hatte der Pfeil ihn auf Höhe des Herzens getroffen.

Aus den Augenwinkeln konnte Volker beobachten, wie der Rothaarige sich näherte. Er hielt seinen Bogen jetzt in der Linken und hatte mit der Rechten ein langes Messer aus seinem Gürtel gezogen. Vorsichtig näherte sich der Krieger und stieß Volker mit dem Fuß an. Der Spielmann blieb reglos liegen. Mit einem triumphierenden Lächeln beugte sich der Rothaarige herab. Seine Klinge näherte sich Volkers Hals. Im letzten Augenblick erst rollte sich der Ritter zur Seite. Seine Rechte schnellte vor, und der Dolch, auf dem er gelegen hatte, bohrte sich dem jungen Mann in den Bauch.

Der Kerl taumelte zurück. Die Waffen glitten ihm aus den Händen. Er öffnete den Mund, als wolle er schreien, doch drang nur ein leises Röcheln über seine Lippen. Blut tropfte ihm aus dem Mundwinkel. Er griff mit der Rechten nach dem Griff des Messers, das aus seiner Brust ragte.

Volker richtete sich auf und zog sein Schwert. Sein Gegner war inzwischen in die Knie gegangen. »Wolltest meinen Kopf, nicht wahr?« Volker schnitt eine Grimasse. Bei jeder Bewegung schmerzte die Pfeilwunde in seiner Brust. »Ist heute nicht dein Tag, Feenritter.« Er berührte den Hals des Rothaarigen mit seiner Schwertspitze.

»Vielleicht sollte ich dich mitnehmen und deinem Anführer einen Gefangenentausch vorschlagen? Was glaubst du, wie ihm das gefallen wird?«

Der Verwundete blickte ihn einige Herzschläge lang an. Er hatte große, graue Augen. Plötzlich preßte er die Lippen zusammen und stürzte sich nach vorne in Volkers Schwert. Der Spielmann riß die Waffe zurück, doch die scharfe Klinge hatte dem Rothaarigen den Hals aufgeschlitzt. Pulsierend sprudelte das Blut aus der tödlichen Wunde. Der junge Mann lächelte matt. Dann sank er zur Seite.

Der Ritter fluchte. Was für ein Wahnsinn! Warum hatte der Kerl das getan? Hatte er solche Angst vor dem Zorn seiner Gefährten gehabt? Volker kniete nieder und wischte sein Schwert an der Hose des Toten sauber. Dann löste er seinen Dolch aus der Wunde und reinigte auch ihn.

Noch immer hallte das Klingen von Schwertern durch den Nebel. Der Kämpfer der Morrigan mußte gut sein, daß er sich so lange gegen Gwalchmai hatte halten können. Der Spielmann richtete sich auf. Helle Lichtpunkte tanzten ihm vor den Augen. Ihm wurde schwindelig, und er mußte sich auf sein Schwert abstützen. Mit zitternden Fingern griff er nach dem Pfeil, der in seiner Brust steckte. Vorsichtig bewegte er das gefiederte Ende, und ein brennender Schmerz schoß durch seine Brust bis in den linken Arm hinauf. Das Geschoß steckte tiefer, als er zunächst gedacht hatte. Es wäre töricht zu versuchen, sich den Pfeil herauszuziehen. Die Wunde würde dann nur noch stärker bluten.

Mit der Linken umklammerte er den Schaft des Geschosses. Er ballte die Hand zur Faust und preßte sie auf seine Brust. Der Schmerz raubte ihm fast die Sinne. Mit der anderen Hand griff er nach dem gefiederten Ende.

»Heilige Maria, Mutter Gottes, gib mir Kraft«, flüsterte er. Dann brach er mit einem Ruck den Pfeil durch. Stöhnend ging er in die Knie. Es war, als hätten ihm Teufel ein glühendes Eisen in die Brust getrieben. Für einige Augenblicke konnte er nicht mehr klar sehen. Die Bäume schienen in wildem Reigen um ihn herum zu tanzen. Endlich ließ der Schmerz ein wenig nach. Er blickte an sich herab. Nur ein kleines Stück des Pfeilschaftes, nicht länger als sein kleiner Finger, ragte jetzt noch aus der Wunde. Sein weißer Waffenrock war über und über mit Blut bespritzt. Es mußte auch von dem jungen Krieger stammen!

Sein Schwert als Krücke benutzend, kämpfte der Spielmann sich auf die Beine. Er wollte dem Sieg Gwalchmais beiwohnen. Schweren Schrittes ging er den Wald entlang. Bald sah er etliche Boote auf dem schmalen Uferstreifen liegen. Die Räuber waren zahlreicher, als er gedacht hätte. Vielleicht wäre es klüger, sich vor ihnen zu verstecken. Schemenhaft konnte er durch den Nebel zwei Krieger mit Bogen erkennen. Mit zwei Schritten hatte er den Rand des Waldes erreicht und kauerte sich hinter einen Busch. Die beiden Schützen waren wieder im Nebel verschwunden. Vorsichtig arbeitete sich der Spielmann durch das Dickicht. Dornenranken zerrten an seinem Waffenrock, und es schien, als wollten die Wurzeln der Bäume nach seinen Füßen greifen. Zweimal strauchelte er, und die Wunde in seiner Brust begann wieder zu bluten.

Endlich konnte er im Dunst den riesigen Trophäenbaum erkennen. Auf der Lichtung umkreisten zwei Kämpfer einander. Die Nebelschleier ließen die Szene seltsam unwirklich erscheinen, so als sei sie ein Spuk oder ein Traumbild. Der Streiter der Morrigan war ein hünenhafter Kerl, der Gwalchmai um mehr als Haupteslänge überragte. Der Krieger war völlig nackt. Sein Körper war über und über mit verschlungenen blauen Mustern bemalt. Nur um den Hals trug er einen breiten, goldenen Schmuckreif. Die Haare des Kämpfers waren kurz und standen wie Stacheln von seinem Kopf ab. So wie Gwalchmai kämpfte der Streiter der Morrigan mit Schwert und Schild. Die Mitte seines Rundschildes war mit einem großen, eisernen Buckel verstärkt, und das Holz war mit gelben Spiralen auf rotem Grund bemalt.

Der Kampf wogte lange unentschieden hin und her. Die zwei Krieger waren einander fast ebenbürtig. Beide bluteten aus mehreren leichten Wunden. Ihre Bewegungen wurden langsamer, die Attacken waren nicht mehr so ungestüm. Laut hallte ihr Keuchen über die Lichtung.

Etliche Bewaffnete standen am Rand der Bäume und beobachteten das Duell. Volker schätzte, daß es mindestens vierzig Krieger sein mußten, die sich dort versammelt hatten. Für eine Räuberbande verdammt viele! Vermutlich waren auch Bauern und Fischer aus der Gegend dabei. Der Spielmann überlegte, ob er seine Deckung verlassen sollte, doch eine innere Stimme warnte ihn. Wer wußte, wie dieses Pack reagieren würde. Es war klüger, sich zunächst im Hintergrund zu halten!

Gwalchmai stieß einen wilden Kampfschrei aus und holte zu einem mächtigen Hieb aus, der auf den Kopf seines Gegners zielte. Der Kämpe der Morrigan riß seinen Schild hoch, um den Schwertstreich abzufangen. Im gleichen Moment wechselte der Kaledonier die Schlagrichtung. Volker nickte anerkennend. Gwalchmai lernte schnell! Das war derselbe Schlag, mit dem er den Kaledonier am Vortag bezwungen hatte. Der blonde Hüne, der sich mit seinem eigenen Schild die Sicht genommen hatte, konnte das überraschende Manöver nicht sehen. Das Schwert des Ritters traf ihn dicht über der Hüfte und schnitt ihm tief ins Fleisch. Stöhnend taumelte der Krieger zurück. Der Schild entglitt seiner Hand. Er preßte die Linke auf die stark blutende Wunde. Immer noch hielt er sein Schwert zur Abwehr bereit.

»Gib auf! Du warst ein ehrenhafter Gegner. Ich möchte dich nicht töten.« Gwalchmai senkte sein Schwert. »Du kannst nicht mehr gegen mich gewinnen.«

Eine Frau mit langem, rotblondem Haar trat aus dem Nebel. Sie trug einen Umhang aus Rabenfedern, der bis auf den Boden hinabreichte, und dazu ein enganliegendes, schwarzes Kleid. Ihre Stimme klang klar und befehlsgewohnt, als sie sprach. »Schafft Arbotorix fort und versorgt seine Wunden.«

Die Krieger am Rand der Lichtung gehorchten ihr schweigend. Volker traute seinen Augen kaum. Das also war die Morrigan. Die Frau wirkte unnatürlich blaß und sprach mit einem merkwürdigen Akzent, wie ihn der Spielmann bei den Bauern der Region nicht bemerkt hatte. Sollten die Geschichten über die Fee am Ende doch wahr sein? Volker duckte sich ein wenig tiefer in die Büsche.

»Ich beglückwünsche dich, Falkenritter! Du hast meinen besten Krieger besiegt. Du bist der erste, der Arbotorix überwinden konnte. Ich nehme an, du kennst den Preis deines Triumphs.«

Gwalchmai beugte das Knie. »Es heißt, der Sieger des Duells solle an deiner Seite König im Feenreich sein, edle Morrigan.«

Sie streckte ihm die Hand entgegen. »Du knietest nieder als Ritter, nun erhebe dich als der König, der hinter den Nebeln herrscht, mein Falke. Warte hier, und ich werde dir die Insignien deiner neuen Macht bringen.«

Gwalchmai erhob sich und nahm den Topfhelm ab. In breiten Strähnen hing ihm sein schweißnasses Haar in die Stirn. Lächelnd schob er sein Schwert in die Scheide zurück und blickte zu den Kriegern am Rand der Lichtung. Diese hoben langsam ihre Bogen. Augenblicklich verschwand das Lächeln aus dem Gesicht des Ritters. Bestürzt wandte er sich an Morrigan, die inzwischen den Rand der Lichtung erreicht hatte.

»Was soll das? Senkt eure Waffen! Ich bin jetzt euer Herr!«

»Du bist nun zwar König, Falkenritter, doch Befehlsgewalt über meine Krieger hast du erst, wenn du auch die Insignien des Herrschers trägst. Tötet ihn!«

Gwalchmai riß seinen Schild hoch, doch die Pfeile prasselten von allen Seiten auf ihn nieder. Sie trafen ihn in die Beine, den Rücken und die Arme. Volker konnte sehen, wie eines der Geschosse den Hals des Recken durchschlug und etliche Zoll weit aus seinem Nacken austrat. Lautlos sank der Kaledonier zu Boden. Einige Herzschläge lang herrschte Stille. Dann trat die Morrigan neben den Leichnam. Sie hielt ein prächtiges, silbern glänzendes Schwert in der Hand.

»Du hast tapfer gekämpft, fremder Ritter, und ich werde mein Wort halten. Heute nacht wirst du neben mir auf dem Thron meines Palastes sitzen. Die Barden meines Volkes werden dich als den Falkenkönig besingen und dein Kampfgeschick loben. Du wirst für immer in der Erinnerung der meinen leben, doch für das Volk diesseits des Nebels mußtest du sterben. Für sie muß der Recke der Morrigan als unbesiegbar gelten, damit wir weiterhin in Frieden leben können.« In silbernem Bogen sauste die Klinge hinab, und die Morrigan hob Gwalchmais abgetrenntes Haupt auf.

Zwei Krieger hatten bereits einen neuen Pfahl in die Erde gerammt, und die schwarze Königin spießte das Haupt des Kaledoniers darauf. Dann wandte sie sich zu ihren Männern um. »Hebt ihn auf den Schild des Königs und legt ihm dieses Schwert in seine kalte Hand. Die Morrigan hat ihm versprochen, daß er die Insignien des Herrschers tragen würde, und Morrigan bricht niemals ihr Wort!«

Volker war wie gelähmt vor Entsetzen. Unfähig, sich zu rühren, beobachtete er aus seinem Versteck, wie sich die blutdürstige Königin und ihre Krieger zu den Booten zurückzogen. Erst als das leise Platschen der Ruder verklungen war, trat er auf die Lichtung. Der Ausdruck ungläubigen Entsetzens spiegelte sich noch immer im Gesicht Gwalchmais. Volker strich dem Toten über die Augenlider. »Ich werde dich rächen«, murmelte er leise. »Die Morrigan wird für dich büßen.« Er strich dem Ritter das strähnige Haar aus der Stirn und ging dann zum Ufer. Dort schleifte er den Leichnam des Bogenschützen zu dem flachen Nachen. Es wäre besser, wenn er den Mann verschwinden lassen würde. Gewiß dauerte es nicht lange, bis seine Kameraden ihn vermißten.

Keuchend hievte er den Toten in das Boot. »Auf dem Grund des Moores wird dich auch deine verfluchte Königin nicht mehr finden«, flüsterte der Spielmann verbittert. Die Wunde in seiner Brust schmerzte, und dunkles Blut sickerte durch die Panzerringe seines Kettenhemdes. Ihm war schwindelig. Er mußte ruhen, doch hier am Ufer konnte er nicht bleiben.

Volker blickte an seinem schmutzigweißen Waffenrock hinab. Wenn sich der Nebel hob, würde man ihn damit schon von weitem erkennen können. Er mußte das Kleidungsstück loswerden. Doch er konnte den linken Arm nicht mehr höher als bis zur Brust heben. Er zog das Messer aus seinem Waffengurt und trennte die Nähte über den Schultern auf. Dann zog er das Kleidungsstück zum Gürtel hinunter und streifte es wie einen Rock ab. Er schnitt zwei breite Streifen vom Saum, die er später brauchen würde, um seine Wunde zu verbinden. Den Rest warf er ans Ufer, damit Golo wußte, an welcher Stelle er in den Sumpf gestakt war. Vielleicht würde sein Knecht ihm ja folgen? Volker lächelte. Nein, mit dem abergläubischen Kerl sollte er lieber nicht rechnen.

Schwankend erhob sich der Ritter und griff nach der Stange, die neben ihm im Boot lag. Noch einmal blickte er zu dem kleinen Wald, der Gwalchmai zum Verhängnis geworden war. Dann stieß er sich vom Ufer ab und steuerte auf jene Stelle zu, wo das Boot der Morrigan im Nebel verschwunden war.


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