19. KAPITEL


Kurz vor Morgengrauen hatten die Plünderer die letzte Bastion der Heiden wieder verlassen. Man hatte eine der Breschen im Damm verbreitert und die Drachenschiffe bis vor die Stadt gebracht. Golo starrte den Männern nach, die all die Silberteller, goldenen Masken und seltsamen Kultgerätschaften davontrugen, die man im Heiligtum gefunden hatte. Trotz der reichen Beute schäumte der Bischof vor Zorn, weil die Priesterinnen auf unerklärliche Weise entkommen waren. Schließlich ließ Jehan von zwei Vertrauten die Leiche einer Frau heranschaffen, die bei den Kämpfen in der Stadt gefallen war, schnitt ihr den Kopf ab und ließ ihn auf eine Stange stecken. Dann behauptete er, dies sei das Haupt der Hohenpriesterin, die König Eurich verhöhnt und herausgefordert habe.

Als die Plünderer außer Sicht waren, trat Jehan an Golos Seite und legte dem jungen Ritter seinen Arm um die Schultern. »Was denkst du, mein Freund? Du schaust so finster drein.«

»Ich freue mich, daß die Kämpfe zu Ende sind und wir gesiegt haben. Doch stimmt mich traurig, wie viele tapfere Männer aus unserem Heer heute den Tod gefunden haben.«

»Du bist zu sentimental. Die meisten meiner Männer, die heute gestorben sind, waren Söldner. Der Tod ist ihr Geschäft... Jeder von ihnen, der heute verreckt ist, erspart mir eine beträchtliche Summe Geld. In drei Tagen wäre die nächste Soldzahlung fällig gewesen. Ich werde ihnen ihren Mut entlohnen, indem ich sie bis zum Christfest in meine Gebete mit einbeziehe. So wird trotz all der Untaten, die sie begangen haben, ihr Seelenheil gerettet werden. Ich finde, daß dies eine sehr großzügige Entlohnung durch mich ist.«

»Gewiß, Herr.« Golo konnte dem Bischof nicht in die Augen blicken. Er verabscheute den zynischen Kirchenfürsten, doch hatte er zugleich auch Angst vor ihm.

»Kommen wir nun zu deiner Belohnung!« Jehan gab den beiden Männern, die sich bislang im Hintergrund gehalten hatten, einen Wink. Es waren die zwei Halsabschneider, die ihm schon den ganzen Tag über gefolgt waren.

Der junge Ritter wich ein Stück zurück. »Ihr seid zu großmütig, Herr. Ich erwarte keine Belohnung für meine Dienste.« Golos Hand zuckte zum Schwert, doch schon hatten die beiden ihn gepackt.

»Ich weiß um meinen Edelmut, mein Freund. Sträube dich nicht dagegen. Es ist meine Natur... Ich habe dir versprochen, dich zum Vogt zu machen.« Jehan wies zum Kultplatz in der Mitte des Heiligtums. »Bindet ihn an eine der Felssäulen.«

»Bitte, laßt mich laufen, Herr! Ich werde ein Pferd nehmen und davonreiten. Ihr werdet mich niemals wiedersehen. Niemand wird erfahren, was hier wirklich geschehen ist und daß ihr dem König nicht die ganze Wahrheit gesagt habt.« Die beiden Söldner fesselten ihn mit einem zähen Lederseil, so daß er mit gespreizten Armen und Beinen vor dem Felsen stand. »Wenn Ihr es wollt, kann ich auch in Euren Diensten bleiben, Herr.«

»Nein, mein Freund. Ich möchte nicht mit der Ungewißheit leben, daß du dich vielleicht schon morgen nicht mehr an deine Versprechen erinnerst. Du weißt einfach zuviel. Aber hab keine Angst. Ich werde dir nichts zuleide tun. Du hast sogar mein Wort, daß ich meine beiden Leibwächter davon abhalte, dich umzubringen. Möglicherweise wirst aber auch du ein Opfer der Morrigan oder ihrer Kreaturen. Ich fürchte, sobald wir hier fort sind, werden die Raben kommen, um ihren Leichenschmaus zu halten, und es könnte wohl sein, daß diese dummen Vögel in zwei oder drei Tagen nicht mehr so genau unterscheiden können, ob du nun schon verdurstet bist oder ob noch ein Rest Leben in dir steckt.«

Der Bischof stand jetzt dicht vor Golo. »Hiermit ernenne ich dich zum Vogt dieser Stadt. Es soll mir niemand nachsagen, daß ich mein Wort nicht halten würde. Leider sind diese Ruinen und die überfluteten Felder rings herum nicht mehr zu brauchen. Ich fürchte, du wirst mein einziger Untertan hier sein. Genieße die Ruhe hier...«

»Ich verfluche dich, Jehan de Thenac. Möge der König deine Lügen aufdecken und dich in seine Kerker zerren lassen. Möge dein Geschlecht mit dir verlöschen, du gieriger Bastard, und...«

Der Bischof schüttelte den Kopf. »Wie ärgerlich, daß solche Burschen wie du zum Schluß immer ihr Empfinden für guten Stil verlieren. Weißt du, es ist nichts Persönliches, was zwischen uns steht. Ich möchte mir nur nicht in Zukunft jeden Morgen, wenn ich erwache, die Frage stellen müssen, ob dies vielleicht der Tag ist, an dem du mich verraten wirst. Du kannst sicher sein, daß ich in Zukunft auch dich in meine Gebete mit einbeziehen werde. Ich möchte schließlich nicht, daß all die Verwünschungen, die du in den nächsten beiden Tagen noch ausstoßen wirst, dein Seelenheil gefährden. So lebe nun wohl, Golo von Zeilichtheim, Bauernsohn, der du in nur einem halben Jahr zum Herrn einer Stadt aufgestiegen bist.« Der Bischof wandte sich ab und schritt, gefolgt von den beiden Söldnern, durch den Hohlweg zur tiefer gelegenen Burg hinab.



Als Volker erwachte, zogen dünne Nebelschwaden über ihn hinweg. Es war hell. Er hatte die Schlacht überlebt. Doch in seinem Schädel schien ein Specht gefangen zu sein, der unablässig von innen gegen seine Stirn hämmerte. Jeder Knochen in seinem Leib schmerzte, und er hatte das Gefühl, eine Reiterkavalkade müsse über ihn hinweggaloppiert sein.

Der Spielmann blieb lange liegen und lauschte auf die Geräusche rings um ihn herum. Aus den Augenwinkeln sah er die dunklen Schatten von Raben, die gekommen waren, um den Toten das Fleisch von den Knochen zu picken.

Erst als Volker sicher war, daß keine Normannen in der Nähe waren, richtete er sich auf. Ihm war schwindelig und übel. Neben ihm lagen die Leichen von Ambiorix und den beiden Kriegern, die bis zuletzt mit ihm gekämpft hatten.

Vorsichtig tastete der Ritter über sein Gesicht. Die rechte Seite war geschwollen und blutig. Schon die leichteste Berührung ließ ihn vor Schmerz aufstöhnen.

»Geh in dein Grab zurück, böser Geist, dann werde ich dir nichts tun«, erklang eine vertraute Stimme. Volker tastete nach seinem Schwert.

»Tu mir nichts zuleide, Geist. Ich bin gefesselt! Ich würde von hier fortlaufen, wenn ich könnte. Ich möchte dich nicht in deinem letzten Schlaf stören.«

Humpelnd ging der Spielmann auf den Kreis der stehenden Steine zu. Er traute seinen Augen kaum. An einen der Felsen war Golo, sein Knappe, gefesselt. Er trug ein Kettenhemd und einen Waffenrock wie ein Ritter. Sein Füße steckten in prächtigen Reitstiefeln.

»Was machst du hier?« Der Knappe blickte ihn verständnislos an. »Erkennst du deinen Herrn nicht mehr? Hat man mich wirklich so übel zugerichtet? Werde ich vielleicht in Zukunft kein angenehmer Anblick für die Damen mehr sein? Sei ganz ehrlich zu mir, Golo!«

»Bist du es wirklich, Volker?«

»Was fällt dir ein, mich so anzureden? Ich bin dein Herr! Und wenn ich dich so ansehe, erinnere ich mich, daß du mir noch ein Paar guter Stiefel schuldest.«

»Die Jungfrau sei gepriesen, er ist es! Ich bin so froh, dich zu sehen und...«

»Und deine Manieren haben sich in den letzten Monaten nicht sonderlich gebessert, du Flegel.« Volker durchtrennte mit einem Schwerthieb die Fesseln. Im Grunde war er froh, seinen Knappen wiederzusehen, auch wenn ihn die Art, wie Golo ihn anredete - so, als seien sie vom selben Stand -, ein wenig verwirrte. Der Knappe sah ihn noch immer an, als sei er ein Gespenst.

»Warst du einer der schrecklichen Krieger, die an der Seite dieser Furie mit den zwei Schwertern gekämpft haben? Wie kommt es, daß du noch lebst?«

Volker hockte sich erschöpft auf den Boden. »Das ist eine lange Geschichte.« Er blickte nach Westen. Irgendwo dort lag die Insel, zu der die Priesterinnen geflohen waren. Ob sie Gwen gerettet hatten?


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