16. KAPITEL


Staunend und ein wenig verwundert betrachtete Golo die Stadt des Nachtvolks. Die Späher des Bischofs hatten sie auf einer Insel inmitten der Sümpfe entdeckt, und drei Tage nach der Schlacht am Trophäenbaum landete das christliche Heer auf dem Eiland. Der junge Ritter hatte himmelhohe, marmorne Türme erwartet, goldene Dächer und seidene Banner, die von den Zinnen flatterten. Doch es gab nichts von alledem. Drei mächtige Mauern aus Bruchstein umgürteten die Stadt auf dem Hügel. Die Dächer der Hütten waren aus Schilf oder Holzschindeln. Rings um die Stadt breiteten sich Äcker aus, durchzogen von einem komplizierten System von Kanälen und Deichen. Nichts erschien ihm hier zauberhaft. Es gab keine Feen! Diese Stadt war zweifellos von ganz normalen Sterblichen erbaut. So dachte jeder Soldat im Heer des Bischofs, und gierig starrten die Männer nach den Mauern. Jehan de Thenac hatte ihnen Gold und Silber versprochen, das sich angeblich in den Tempeln der Heiden zuhauf türmte. Auch waren die Männer entschlossen, Rache für den Überfall auf das Lager zu nehmen. Mehr als zweihundert Mann hatten in jener Nacht den Tod gefunden, und es gab noch einmal so viele Verwundete.

Mit der Niederlage schien der Wille zum Widerstand unter den Sumpfleuten gebrochen zu sein. Fast unbehelligt hatte das Heer des Bischofs den Sumpf durchquert, und auch während das Lager vor den Mauern der Stadt errichtet wurde, gab es keinen Widerstand. Die hohen Wälle schienen verlassen, und abgesehen von den weißen Rauchsäulen der Torffeuer, die über den Dächern fast senkrecht in den Himmel stiegen, gab es nicht das geringste Lebenszeichen.

Die Byzantiner, die der Bischof in seinen Sold genommen hatte, waren den ganzen Nachmittag über damit beschäftigt gewesen, zwei große Katapulte aus vorgefertigten Holzteilen zusammenzusetzen. Wie die Löffel eines Riesen sahen die langen Arme der Geschütze aus. Die Kellen am Ende der hölzernen Arme waren mit dicken Eisenblechen verkleidet und schimmerten matt in der Sonne. Golo, der mit einigen anderen Rittern zum Schutz der Katapulte abkommandiert war, beobachtete neugierig die Fortschritte, die die Arbeit der Griechen machte. Statt Felsbrocken schafften sie nun etliche kleine Kisten heran.

Erst als die Geschütze fertig zusammengebaut waren und die Byzantiner Gelehrten sie jeweils dreimal abfeuern ließen, ohne jedoch ein Geschoß auf ihre hölzernen Löffel zu legen, wurde die erste der Kisten geöffnet. Sie enthielt einen bauchigen, fast runden Tonkrug, der mit einer Manschette aus geflochtenem Stroh umgeben war. Auch die Kiste selbst hatte man mit goldgelbem Stroh ausgepolstert, so als seien die Tongefäße von ungeheurem Wert und dürften auf gar keinem Fall zerbrechen.

Zwischen den beiden Katapulten war eine eiserne Schüssel auf einem Dreibein aufgestellt worden, in der glühende Kohlen glommen. Zwei kleine Fässer wurden herangerollt, und man hebelte ihre Deckel auf. Sie waren bis zum Rand mit einem schwarzen, übel stinkenden, zähflüssigen Schlamm gefüllt. Einer der Byzantiner, ein älterer Mann mit grauen Bartstoppeln auf den Wangen, gab ein Kommando, und zwei seiner Waffenknechte plazierten auf den Wurflöffeln der Katapulte je einen dieser merkwürdigen Tonkrüge.

»Die wollen die Heiden hinter ihren Wällen wohl mit griechischem Wein vergiften«, spottete einer der normannischen Ritter. Golo schmunzelte. Indessen traten zwei der Männer, die den Aufbau der Geschütze beaufsichtigt hatten, an die beiden Fässer mit der stinkenden Flüssigkeit. Sie tauchten grobe Pinsel in den schwarzen Schlamm und bestrichen dann die Strohmanschetten um die Krüge damit. Anschließend traten sie hastig zurück und warfen dem Mann mit den Bartstoppeln einen erwartungsvollen Blick zu. Dieser nickte, trat an die Feuerschale und entzündete dort eine Fackel. Dann hielt er die Flammen an einen der Krüge, und augenblicklich griff die Glut auf den Schlamm über. Dicker, öliger Rauch stieg auf. Der Grieche brüllte einen Befehl, und einer der Waffenknechte riß einen Hebel an der Seite des Geschützes herum. Der Katapultarm schnellte hoch und schleuderte den Krug in die Luft. Das Geschoß war jetzt von einem dichten Flammenmantel umhüllt und zog einen langen Schweif aus dunklem Rauch hinter sich her. Nach kurzem Flug senkte es sich auf die Stadt herab und verschwand zwischen den Häusern. Fast im nächsten Augenblick reckte sich eine Flammenzunge zwischen den schilfgedeckten Häuserdächern empor. Das Feuer griff auf die Dachgiebel über.

Der Geschützmeister drehte sich zu den normannischen Rittern um und grinste überheblich. »Wie Ihr seht, meine Herren, brennt griechischer Wein nicht nur in der Kehle.«

Seine Waffenknechte machten sich bereits an den Winden zu schaffen, mit denen das Geschütz erneut gespannt wurde. Einige Herzschläge lang genoß der Byzantiner ihr Staunen, dann wandte er sich zu seinen Geschützen um und steckte das nächste Geschoß in Brand. Eine zweite glühende Feuerkugel stieg in den Himmel und flog der Stadt entgegen.



In der Hölle konnte es nicht schlimmer sein, dachte Volker, während er dafür sorgte, daß seine Krieger die Stadt unterhalb der Burg räumten. Mehr als zwei Dutzend Brände gab es bereits. Das Feuer, das die Normannen in die Stadt schleuderten, ließ sich mit Wasser nicht löschen. Der Spielmann hatte so etwas noch nie zuvor gesehen. Die Flammen brannten sogar auf nacktem Stein und Pfützen. Woher sonst als aus der Hölle konnte solches Feuer kommen!

»Treibt das Vieh aus den Ställen«, rief er einer Gruppe junger Krieger zu, die voller Entsetzen in die Flammen starrten. Sie waren noch Knaben, und wahrscheinlich hatte noch keiner von ihnen mehr als fünfzehn Sommer gesehen. Volker fluchte. Die Lage der Stadt war verzweifelt! Er hatte nicht genug Kämpfer, um den ersten der drei Wallringe lückenlos zu besetzen. Wenn die Normannen von mehreren Seiten gleichzeitig angriffen, würden sie mit Sicherheit schon bei ihrem ersten Sturm die Verteidigungslinie durchbrechen.

Seit der Niederlage am Trophäenbaum hatten die Krieger des Nachtvolks ihn als Anführer akzeptiert, doch wann immer Macha erschien, galten seine Befehle nichts mehr. Willig folgten sie den Worten der Rabengöttin, auch wenn offensichtlich war, daß sie die Lage der Stadt nicht richtig einzuschätzen vermochte. Hätte dieses törichte Weib nur auf ihn gehört und den Angriff auf die Normannen nach dem Anfangserfolg sofort abgebrochen! Dann stünden sie jetzt nicht so schlecht da!

Sie war es auch, die befohlen hatte, den vordersten Wall zu verteidigen, obwohl es offensichtlich war, daß sie dazu nicht genug Männer hatten. Volker hatte zwanzig der besten Kämpfer zu einer Gruppe zusammengefaßt und sie ein Stück hinter den Wällen plaziert. Wann immer die Normannen an einem Mauerabschnitt durchbrachen, sollte diese Elitetruppe in die Bresche stürmen, um die Angreifer wieder zurückzudrängen. Doch auch das wäre nur ein Tropfen auf einen heißen Stein. Draußen vor den Mauern hatten über tausend Feinde ihr Lager aufgeschlagen, und Volker hatte nicht einmal mehr hundert brauchbare Kämpfer. Selbst nachdem die Knaben und alten Männer bewaffnet worden waren, stieg die Zahl der Verteidiger kaum über zweihundert. Auch wenn die Männer des Nachtvolks wie die Löwen kämpften und jeder von ihnen zwei oder drei Normannen erschlagen würde, war ihre Stadt verloren. Es gab keine Hoffnung mehr. Das einzige, was sie jetzt noch retten konnte, war ein Wunder. Doch durften Heiden in der Welt Gottes mit solcher Gnade rechnen?

Volker war allein auf einer der Straßen der brennenden Unterstadt. Alle Zivilisten mußten hier unten verschwinden. Manche wollten nicht einsehen, daß der Kampf gegen das Feuer aussichtslos war. Andere versuchten verzweifelt, ihre Habe zu retten. Zu allem Unglück war der Wind auch noch aufgefrischt und ließ die Flammen von Dach zu Dach springen.

Volker schlug sich den Umhang vors Gesicht. Dichter Qualm trieb durch die engen Straßen. Seit der Niederlage in den Sümpfen trug er wieder normale Kleidung und scherte sich einen Teufel um den Brauch des Nachtvolks, nackt in die Schlacht zu ziehen.

Zwischen dem treibenden Rauch sah er ein kleines Mädchen. Sie hielt etwas eng gegen die Brust gepreßt und schien die Orientierung verloren zu haben. Ein pfeifendes Geräusch übertönte das Fauchen der Flammen. Am Himmel war ein glühender Punkt zu sehen.

»Lauf in ein Haus! Schnell!« Volker duckte sich in einen Türeingang. Das Mädchen schien ihn nicht gehört zu haben. Benommen taumelte es durch den Rauch. Keine drei Schritt hinter ihr schlug eines der teuflischen Geschosse auf den Boden und zerschellte. Flüssiges Feuer sprühte über den Weg aus festgetretenem Lehm. Flammen leckten an den Hauswänden empor. Ein gellender Schrei erklang. Volker sprang aus seiner Deckung. Das Mädchen kam ihm entgegengerannt, das Gesicht von Schmerz und Schrecken verzerrt. Etwas von dem flüssigen Feuer war auf ihren Rücken gespritzt. Jetzt erkannte Volker, was sie so fest gegen ihre Brust drückte. Es war eine kleine Puppe aus Stroh.

Der Spielmann riß sich den Umhang von den Schultern. »Du mußt dich auf den Boden werfen!« Das Mädchen hörte ihn nicht. Es lief auf ihn zu und umklammerte schreiend seine Beine. Verzweifelt versuchte Volker, mit seinem Umhang die Flammen auf ihrem Rücken zu ersticken. Bald war das Feuer verloschen; und er riß ihr die schwelenden Reste ihres Kleidchens vom Leib und nahm sie in die Arme. Die Kleine hatte aufgehört zu schreien. Sanft strich Volker ihr über das versengte Haar. »Es wird alles wieder gut, meine Prinzessin. Ich bringe dich zu den Priesterinnen. Die werden deine Schmerzen wegzaubern und nach deinen Eltern suchen.«

Er blickte dem Mädchen ins Gesicht. Ihre Wangen waren rußverschmiert. Ihre großen, braunen Augen waren starr vor Entsetzen. Der Spielmann wischte ihr die Tränen von den Wangen. Er konnte spüren, wie das Blut aus den Wunden auf ihrem Rücken seinen Umhang durchtränkte. »Ich werde dich ganz vorsichtig halten. Wenn ich dir weh tue, dann sagst du es mir, ja...«

Eine Hand griff von hinten nach Volkers Schulter. »Sie kann dich nicht mehr hören, Sänger.« Erschrocken drehte sich der Spielmann um. Neman stand hinter ihm. »Was weißt du schon?« grollte er. »Du kannst zaubern! Hilf ihr, so wie du mir in der Höhle geholfen hast.«

Sie blickte ihn mitleidig an. Dann nickte sie. »Leg das Kind auf den Boden.«

Volker gehorchte. Die Arme des Mädchens hingen schlaff herab. Er griff nach ihren zierlichen Händen und rieb sie mit seinen groben Fingern. »Die wiedergeborene Göttin ist gekommen, um dir zu helfen«, flüsterte er. Sein Umhang war verrutscht, so daß er ihren zarten Körper sehen konnte. Ihre Haut war makellos weiß. Nirgends war auch nur die kleinste Brandblase zu sehen.

Neman kniete neben der Kleinen nieder. Vorsichtig strich sie ihr über das versengte Haar. Dann drehte sie das Kind behutsam auf die Seite. Der ganze Rücken des Mädchens war eine einzige Wunde. Hautfetzen klebten an dem blutdurchtränkten Umhang. »Glaubst du mir jetzt, daß sie tot ist? Keine Macht dieser Welt kann sie mehr zum Leben erwecken.«

Volker schluckte. Es war, als säße ihm ein faustgroßer Kloß in der Kehle.

Neman streckte ihm ihre Hand entgegen. »Komm mit mir! Du hast alles getan, was in deiner Macht stand. Ich weiß, daß du in den letzten drei Tagen fast nicht mehr geschlafen hast. Du mußt jetzt ruhen. Die Normannen werden heute nicht mehr angreifen. Wenn sie die Stadt erobern wollen, werden sie warten, bis die Flammen verloschen sind.«

»Es ist alles verloren.«

Die junge Frau schüttelte energisch den Kopf. »Nein, Macha weiß, wie wir siegen werden. Sie hat mir verraten, daß sie einen Plan hat. Sie sagt, daß man die, die das Feuer bringen, nur durch das Wasser besiegen kann.«

Volker nickte müde. Er hatte nicht mehr die Kraft zu widersprechen. Was nutzte es auch? Er hatte in den Sümpfen gesehen, was von Machas Plänen zu halten war. Die Rabengöttin wußte nicht, wann eine Schlacht verloren war. Sie würde die ganze Stadt opfern...

Er griff nach der Hand der Totenklägerin. Neman führte ihn durch die rauchverhangenen Straßen zur Königsburg hinauf. Hunderte Menschen drängten sich auf dem Innenhof der Festung, dennoch war es unheimlich still. Schweigend machten sie der Göttin Platz. Volker konnte die Angst in den Augen der Männer und Frauen sehen. Sie wußten, daß es keine Hoffnung mehr gab.

Neman brachte ihn in sein Gemach. Es war ein kleiner Raum ohne Fenster. Zwei kleine Öllämpchen, die in Wandnischen standen, vertrieben die Finsternis. Hier war es angenehm kühl. Volker hatte das Gefühl, seine Glieder seien so schwer wie Blei. Müde ließ er sich auf seinem Lager aus Pelzen und bestickten Tüchern nieder. Das Zimmer war nur kärglich eingerichtet. Es gab einen großen Tisch, auf dem ein Krug und eine flache Wasserschüssel standen. Unter den Tisch waren zwei mit Schnitzereien geschmückte Stühle geschoben. Die schmale Nordwand wurde von einem breitem Kamin eingenommen, in dem kein Feuer glomm.

Erschöpft ließ sich der Spielmann auf die Felle zurücksinken. Was für Possen trieb das Schicksal mit ihm? Vor ein paar Wochen erst war er zum König eines wunderlichen Barbarenvolkes geworden, und morgen würde er inmitten seiner brennenden Königsburg sterben. Was für ein Heldenlied hätte man aus dieser Geschichte machen können! Er schmunzelte und blickte zu Neman. Die Göttin hatte ihren Umhang über den Tisch geworfen. Sie öffnete die beiden Fibeln, die ihr Kleid an den Schultern zusammenhielten. Der dünne Stoff glitt zu Boden. Volker war wie gebannt von ihrem Anblick. Seit Wochen waren sie verheiratet, doch sie hatte nie an seiner Seite gelegen. Ihr Körper war vollkommen. Schlank, aber nicht hager, die Brüste wohl gerundet, doch nicht zu üppig, ihre Haut so weiß wie Milch. Wie rotes Gold schimmerte ihr Haar, das ihr weit auf die Schultern hinabfiel. Nur die blaubraune Schwellung an ihrer Schläfe, dort, wo sie während der Schlacht in den Sümpfen sein Schwert getroffen hatte, erinnerte daran, daß sie auch Macha, die grausame Kriegerin, sein konnte. Sie lächelte scheu und trat an sein Lager. »Reicht deine Kraft noch, um dich zu entkleiden, oder soll ich dir helfen?«

Der Spielmann starrte sie mit großen Augen an. Dann nickte er. Neman lachte leise. »Was soll das heißen? Brauchst du nun Hilfe oder nicht?«

Volker räusperte sich. Sein Mund war staubtrocken, und zum ersten Mal in seinem Leben wußte er nicht recht, was er sagen sollte. Er hatte nicht mehr daran geglaubt, daß sie jemals in seinen Armen liegen würde, und je unerreichbarer sie für ihn schien, desto mehr hatte er sich in Neman verliebt. Sie beugte sich jetzt über ihn und begann mit geschickten Fingern die Lederbänder an seinem Wams zu lösen.

Zärtlich strich er ihr durch das Haar. Es war so weich wie Seide. Er zog Neman zu sich hinab und küßte sie lange und leidenschaftlich. Warme Wellen schienen seinen Leib zu umspülen. Er fühlte sich so leicht, als würde er wie eine Feder auf einem Wasserlauf treiben.

Die Hohepriesterin löste sich aus seiner Umklammerung. Ihre Hände glitten zu seiner Bruech, öffneten die Bänder der Beinlinge und streiften das leinene Kleidungsstück zurück. Jede ihrer Berührungen ließ ihn auf wohlige Art erschauern. Volker hatte schon viele erfahrene Liebhaberinnen gehabt, doch bei keiner hatte er so gefühlt. Es war fast, als sei er zum ersten Mal mit einer Frau beisammen.

Mit kundiger Hand fuhr sie seine Schenkel hinauf. Er richtete sich auf und streichelte sanft über ihre Brüste. Neman stöhnte leise. Sie hockte sich auf seine Schenkel. Er spürte ihre Wärme. »Liebe mich«, hauchte sie leise. »Vielleicht wird dies unsere einzige Nacht sein, mein Sänger.« Ihr Blick war plötzlich traurig.

Volker strich ihr über die Lippen. »Sprich nicht davon! Es gibt Nächte, die mehr als ein Leben wert sind.« Sanft zog er ihren Kopf hinab und küßte sie. Als er in sie eindrang, schien sein ganzer Leib in Flammen zu stehen. Neman bäumte sich auf und ließ sich wieder auf seine Schenkel hinabsinken...

Zweimal liebten sie sich in dieser Nacht, bis Volker erschöpft in den Armen der Priesterin einschlief.


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