4. KAPITEL


Mit großen Augen musterte Golo das Innere der kleinen Hütte. Schräg gegenüber der Tür gab es einen mächtigen, gemauerten Kamin, in dem eiserne Haken für Töpfe und einen Bratspieß hingen. Die Wände waren mit Regalen bedeckt, in denen Hunderte kleiner Tongefäße und Tiegelchen standen. Es roch wie in einem Kräutergarten. Von der rußgeschwärzten Decke hingen dichte Bündel von Kräutern.

Ein grauer Hund, der ein wenig wie ein Wolf aussah, beäugte den Knecht mißtrauisch und knurrte leise, als Golo an den Kamin treten wollte.

»Ruhig, Ragnar. Er ist mein Gast. Mach Platz für ihn!« Der Hund sprang auf und kam auf Golo zu.

»Würde es Euch etwas ausmachen, ihn zurückzurufen«, flüsterte der Knecht leise, während er steifbeinig einen Schritt zurück machte.

»Er wird dir nichts tun.« Sie lächelte. »Jedenfalls nicht, solange ich in der Nähe bin. Er hört recht gut.«

Ragnar strich schnuppernd um Golos Beine. Dann verkroch er sich hinter einem Stapel aus Fellen, der offenbar als Nachtlager diente. Auf einem grob gezimmerten Tisch in der Mitte des Raumes standen eine Holzschüssel mit Suppe und ein angeschlagener Tonkrug.

»Du solltest deine Kleider ablegen, sonst wird dir niemals warm werden.«

»Ja... Herrin.« Golo blickte sich ein wenig verlegen um. Er war es nicht gewohnt, sich in Gegenwart fremder Frauen auszuziehen. Seine Gastgeberin schien sein Unbehagen zu bemerken und musterte ihn eindringlich.

»Ich sehe nichts, wofür du dich schämen müßtest. Also zier dich nicht! Ich habe schon mehr als einen nackten Mann in meinem Leben gesehen.« Sie ging zu ihrem Lager und zog zwischen den Fellen ein altes, zerschlissenes Kleid hervor. »Das kannst du nehmen, um dich abzutrocknen. Draußen vor der Tür ist ein Wassertrog. Wasch dich dort. Du siehst aus wie ein Kobold! Danach kannst du dich hiermit trockenreiben.« Sie legte das Kleid neben die Schüssel auf den Tisch. »Ich werde sehen, daß ich für euch beide noch was Warmes zu essen zustande bringe. Du nimmst dir am besten eines der Felle und hockst dich auf den Schemel vor das Feuer.«

»Danke, Herrin. Ihr seid sehr freundlich.«

»Aber nicht mehr lange, wenn du mich noch länger Herrin nennst, so als sei ich eine hochnäsige Hofdame. Mein Name ist Niamh.«

»Ja, Her... Niamh!« Golo lachte. »Entschuldigt, ich... Übrigens, mein Name ist Golo.«

Die junge Frau nickte.

Der Knecht trat zur Tür und drehte sich noch einmal zu ihr um. »Verzeiht meinem Herrn, er ist erschöpft. Sonst ist er ganz anders. Er kann sehr großmütig und charmant sein... Vor allem bei so schönen Frauen, wie Ihr es seid.«

»So? Das sollte mich überraschen, bislang halte ich ihn vor allem für dickköpfig und dumm.«



Volker ärgerte es, daß ihre Gastgeberin seinen Knecht so viel freundlicher behandelte als ihn. Sie war eine hübsche Frau. Er war zwar schon schöneren Damen begegnet, doch ein solches Geschöpf hier inmitten des Sumpfes zu finden war so ungewöhnlich wie ein prächtiger Edelstein, den ein Schmied nur in einen Bronzering eingefaßt hatte.

Er griff nach der Laute, die er in die Nähe des Feuers gestellt hatte. Vielleicht vermochte er mit ein paar Liedern die Gunst ihrer Gastgeberin zurückzugewinnen. Bislang hatte er fast jede Frau zu erobern vermocht, die ihn singen gehört hatte. Doch er brauchte nur einmal über die Saiten zu streichen, um zu wissen, daß es noch Stunden dauern würde, bis er auf dem Instrument wieder spielen konnte. Obwohl er die Laute in gefettetes Leder eingeschlagen hatte, war sie in den Sümpfen feucht geworden.

So schnitt er eine mürrische Grimasse und stellte die Laute ein wenig vom Feuer entfernt wieder ab. Wenn sie zu schnell trocknete, würde das Holz vielleicht Risse bekommen.

»Ihr seid ein Troubadour?«

Volker lächelte. »Ich verstehe mich ein wenig darauf, die Laute zu schlagen, und vermag ein paar Lieder zu singen. Nichts Nennenswertes.«

»Wie schade, daß Euer Instrument nicht mehr brauchbar ist. Habt Ihr noch einmal darüber nachgedacht, auf Euer Packpferd zu verzichten? Mir erscheint dies ein kleiner Preis für ein Menschenleben.«

»Das Packpferd zu töten würde bedeuten, daß wir einen großen Teil unserer Ausrüstung nicht mehr mitnehmen könnten.« Volker musterte sie aus den Augenwinkeln. Während er die Pferde trockenrieb, hatte er darüber nachgedacht, was Niamh damit bezwecken mochte, das Packpferd zu verlangen. Vielleicht spekulierte sie auf die Güter, die sie dann zurücklassen mußten.

»Was treibt einen Ritter eigentlich hier in die Sümpfe, edler Herr?«

Ihre Stimme klingt stets ein wenig spöttisch, wenn sie mit mir spricht, dachte Volker verärgert. Mit Golo redete sie ganz anders.

»Ich suche eine Dame, die angeblich von den Feen entführt wurde. Wißt Ihr etwas über das Nachtvolk?«

»Etwas wissen?« Sie machte eine weit ausholende Geste. »Es gibt Hunderte Geschichten über die Feen. Sie sind die Herren des Sumpfes und aller angrenzenden Gebiete. Sie waren schon immer hier. Die schwarze Morrigan, die Hohe Königin der Feen, und ihre drei Schwestern sind die Herrscherinnen am Feenhof. Man sagt, die Mauern ihres Schlosses, das jenseits der großen Nebelwand liegt, seien aus schneeweißem Marmor und die Dächer der Türme aus lauterem Gold. Doch niemals kam ein Sterblicher zurück, um von dort zu berichten, denn was einem Menschen wie ein Fest, das nur eine einzige Nacht währt, erscheint, mag ein ganzes Leben lang dauern. Morrigan verläßt niemals ihren Palast.

Ganz anders hingegen sind ihre Schwestern. Sie alle haben große Zaubermacht, und manchmal verwandeln sie sich in Raben, um durch den Nebel in die Welt der Menschen zu reisen. Sie fressen dann von dem fauligen Fleisch jener Köpfe von Frevlern, die ihre Feenkrieger der Morrigan zu Ehren auf hölzerne Pfähle gespießt haben. Doch ich vergehe mich an den Gesetzen der Alten. Man sollte nie über die Götter reden, ohne seinen Gästen ein wenig Bier oder Honigmet anzubieten.« Niamh erhob sich, holte einen Krug aus einem ihrer Regale und stellte ihn mit zwei Tonbechern auf den Tisch. Noch bevor sie einschenkte, goß sie ein paar Tropfen des goldenen Mets auf den Boden der Hütte.

Volker kannte diesen Brauch. Auch der düstere Hagen pflegte seinen nordischen Göttern heimlich Trankopfer zu bringen.

Ihre Gastgeberin hatte inzwischen die beiden Becher gefüllt und war zu ihrem Lager aus Fellen hinübergegangen, hinter dem ein leises Knurren erklang. Sie bückte sich und schien nach etwas zu suchen.

Volkers Zunge glitt über seine Lippen. Niamh war wirklich sehr hübsch. Ihr Rock hatte sich verschoben, so daß er ihre schlanken Fesseln sehen konnte. Warum nur lebte eine solche Frau allein mitten in den Sümpfen? »Seid Ihr nicht manchmal sehr einsam hier draußen?«

Niamh antwortete ihm darauf nicht. Als sie sich aufrichtete, hielt sie eine kleine Harfe in den Händen. »Die alten Geschichten muß man bei Musik erzählen.« Ihre Finger glitten über die Saiten. Sie spielte eine kurze, melancholische Melodie und stimmte das Instrument.

Golo, der neben dem Kamin fast eingeschlafen war, hob blinzelnd den Kopf und blickte wie verzaubert zu Niamh. Nicht zum ersten Mal an diesem Abend fragte sich Volker, ob die junge Frau vielleicht eine Hexe war. Das würde vieles erklären! Er würde auf alle Fälle wachsam bleiben.

Ihre Gastgeberin hatte sich inzwischen wieder an den Tisch gesetzt. »Du willst also in das Land der Feen reisen, Ritter. Heute hast du lernen müssen, daß der Weg durch den Sumpf dir nur den Tod bringen wird. Versuchst du es ein zweites Mal, so werdet ihr beide gewiß sterben.« Niamh begleitete ihre Worte mit einer Melodie, die wie das Wispern des Windes in den Weiden klang. »Wenn du zur Morrigan gelangen willst, so mußt du den Weg des Königs beschreiten. Einen halben Tagesritt von hier gibt es eine Stelle, wo ein Wald aus dichten Eichen steht. Ganz am Ende des schmalen Pfades, der durch den Wald führt, findest du einen Kreis aus Pfählen. Dort stecken die Köpfe jener, die es nicht wert waren, zum König der Feen zu werden. Es sind viele Ritter! Solange man hier in den Sümpfen zurückdenken kann, ist noch jeder gescheitert, der diesen Weg eingeschlagen hat.

Von einer Eiche dicht am Wasserhängen die Waffen der Toten herab. Dort findest du ein Horn, in das du dreimal stoßen mußt. Dies ist das Zeichen dafür, daß einer gekommen ist, den Kämpfer der Morrigan zu fordern. Wann immer das Horn geblasen wird, beginnt es zu stürmen! Schlagartig verfinstert sich der Himmel, und dichter Nebel wird aus dem Sumpf steigen. Wenn das Ungewitter vorüberzieht, erheben sich die Feen aus den Sümpfen. Du mußt den Streiter der Hohen Königin bezwingen. Gelingt dir dies, so wirst du ihr Gemahl und damit zum Herrscher in den Sümpfen. Doch solange die Menschen zurückdenken können, hat niemand den auserwählten Krieger bezwingen können.

Man sagt, die Kraft der alten Götter fließe durch seine Adern. So ist dieser Weg letztlich genauso tödlich wie ein Ritt in den Sumpf hinein. Wenn du klug bist, Ritter, dann opfere morgen dein Packpferd und kehre zu den Deinen zurück. Du hast bereits bewiesen, daß es dir nicht an Mut fehlt. Verschenke dein Leben nicht bei einer so sinnlosen Suche.«

Volker hatte Niamhs Worten gebannt gelauscht. »Deine Sorge um mich berührt mein Herz, Niamh. Doch werden mich all deine Worte nicht daran hindern, meinen Weg zu gehen. Ich habe geschworen, die Nichte meines Königs zu retten, und ich habe noch niemals meinen Eid gebrochen. Gibt es vielleicht nicht noch eine andere Möglichkeit, in das Reich der Feen zu gelangen?«

Niamh lächelte traurig. »Du hast also beschlossen zu sterben, Ritter. Und dein Diener, wirst du ihn mit dir in den Tod nehmen?«

Volker blickte zu Golo. Der Knecht war wieder eingeschlafen. Es stimmte, er hatte kein Recht, von ihm zu verlangen, daß er mit ihm ging. Golo war fast noch ein Knabe. Er würde ihn fortschicken, bevor sie den Eichenhain erreichten. »Du hast meine Frage nicht beantwortet, schöne Bardin. Gibt es noch einen dritten Weg in das Feenreich?«

»Die Wege in die Andere Welt sind so zahlreich und verschlungen wie die Flüsse und Bäche, die dem Meer entgegenstreben. Man sagt, es gibt Orte, von denen man mit nur einem einzigen Schritt in die Paläste der Feen gelangen kann. Doch ich kenne keines dieser verwunschenen Tore, und selbst wenn ich eines wüßte, würde dir das nicht weiterhelfen, denn man sagt, daß ein Sterblicher diese Pforten nur dann passieren kann, wenn die Unsterblichen es wünschen.«

Volker füllte seinen Becher noch einmal mit Met. Der Kopf wurde ihm schwer von dem Honigwein, und die beschwerliche Reise durch den Sumpf hatte an seinen Kräften gezehrt, doch noch kämpfte er gegen die Müdigkeit an. »Wer ist diese Macha, von der die Bauern und Fischer erzählen?«

Niamhs Finger strichen wieder über die Harfensaiten. Diesmal klang die Melodie wild und kriegerisch. »Morrigan hat drei Schwestern, von denen eine jede große Zauberkraft besitzt. Macha ist die älteste der drei. Sie gilt als die Herrin der Schlachtfelder und liebt den Krieg. Ihr zu Ehren errichten die Feenkrieger jene Pfahlkreise, die du schon gesehen hast, Ritter. Man nennt sie auch die Masten der Macha. Zur Nacht verwandelt sie sich in einen Raben und kommt, um von dem Fleisch der Toten zu fressen. Bei Tage hat sie die Gestalt einer hochgewachsenen, schönen Frau mit langem schwarzen Haar. Sie trägt einen Umhang, der aus Hunderten von Rabenfedern gefertigt ist. Manchmal schreitet sie durch die Reihen ihrer Krieger, wenn die Feen für sie kämpfen, und sie gibt den Wankelmütigen neues Vertrauen.«

Heulend pfiff der Wind über das Moor und rüttelte mit seinen eisigen Fingern an der Tür der kleinen Hütte. Volker zog den Pelz, den ihm Niamh geliehen hatte, ein wenig enger um seine Schultern und rückte etwas näher an das Feuer.

»Die zweite der Schwestern wird Babd genannt. Sie hat die Gestalt einer Riesin und trägt ein weißes Gewand. Ihr Haar ist rotgolden, so wie ein Sonnenaufgang. Es heißt, daß jene, die sterben werden, sie am Morgen vor ihrer letzten Schlacht als Wäscherin sehen, die blutige Gewänder in die Fluten eines kristallklaren Flusses taucht. Sie ist die Künderin des Unheils. Von Neman, der dritten der Schwestern, berichten die Alten, sie sei unbeständig wie der Wind. Sie wurde aus den Schreien der Sterbenden und der Klage von Witwen und Waisen geboren. Mutter der Trauer wird sie genannt, und sie ist eine Dichterin. Ihr Klagegesang weist die Geister der Toten zu ihrer endgültigen Heimstatt, und wenn die Raben über den Schlachtfeldern krächzen, dann ist auch Nemans Stimme zu hören.«

Volker war gegen die Wand gesunken. Niamhs Stimme und das leise Flüstern ihrer Harfe woben ihm ein Schlaflied, und bald träumte er von einem raucherfüllten Himmel über einem brennenden Hügel. Weit im Westen stand eine blaßrote Sonne nur eine Handbreit über dem Horizont, und von dort kamen drei große Raben auf ihn zugeflogen.



Golo spürte, daß ihm irgend jemand folgte. Er war in einem Wald, und dichte Nebelschwaden trieben zwischen den mächtigen, schwarzen Baumstämmen. In der Ferne ertönte leise Harfenmusik. Er wußte nicht genau, wie er an diesen Ort gekommen war. Das letzte, woran er sich deutlich erinnern konnte, war, wie Niamh sie aus dem Sumpf gerettet hatte.

Ganz in der Nähe knackte ein dürrer Ast. Gehetzt blickte der Knecht sich um. Nichts! Doch in dem Nebel würde er nicht einmal auf fünf Schritt einen ausgewachsenen Drachen erkennen.

Es war gewiß klüger, nicht allzu lange an einem Ort zu verweilen. Was immer ihn auch verfolgte, es durfte ihn auf gar keinen Fall einholen! Dem Sumpf war er entronnen, doch er ahnte, daß im Nebel noch eine ungleich tödlichere Bedrohung lauerte. Warum war Volker nicht bei ihm? Für einen Augenblick war er versucht, den Namen des Ritters zu rufen, doch damit würde er nur seine Verfolger auf sich aufmerksam machen. Er mußte auf sich allein gestellt entkommen!

Etwas raschelte im Unterholz. Golo begann zu laufen. Mit einem Sprung setzte er über einen gestürzten Baumstamm hinweg. Dahinter schien ein Wildpfad zu beginnen. Oder wichen die Büsche vor ihm zurück...

Er rannte, bis jeder Atemzug wie Messer in seine Kehle stach. Sein Weg war von hohen Dornenranken gesäumt. Einmal glaubte er, zwischen den Büschen ein Kind gesehen zu haben. Doch als er kurz verharrte, um genauer hinzuschauen, waren dort nur noch tanzende Nebelschwaden. Golo hatte jetzt das Gefühl, daß sein Herz so laut wie eine Trommel schlug.

Hinter dem Dornengestrüpp ertönte leises Kichern. Waren das die Feen? Trieben sie ihren Schabernack mit ihm? Oder verfolgten ihn irgendwelche anderen Waldgeister?

Vor ihm lichtete sich der Nebel. In einer weiten Spirale waren Pfähle aufgestellt, auf denen Hunderte von Schädeln steckten. Erschrocken wich er zurück.

»Du wirst deinem Schicksal nicht entkommen, Fremder!« ertönte eine Frauenstimme hinter ihm. Der Hohlweg zwischen den Dornenranken war verschwunden. Statt dessen stand dort eine riesige Eiche, hinter der sich eine nebelverhangene Sumpflandschaft erstreckte. Aus der Rinde des Baums heraus löste sich eine Gestalt! Eine Frau in braunem Kapuzenmantel mit einem prächtigen Schwert in der Hand. Sie breitete die Arme aus und blickte zum Geäst der Eiche hinauf. »Sieh die Trophäen meiner Siege. Schon morgen wird ein neues Schwert von diesen Ästen hängen.«

Jetzt erst bemerkte Golo den eigentümlichen Schmuck des Baumes. An Seilen hingen Schwerter, Morgensterne und Streitkolben. Selbst die Waffenkammer in der Burg König Gunthers war nicht so gut bestückt wie die Sammlung dieses dämonischen Weibes. Eine ganze Armee könnte man damit ausrüsten.

Vom Sumpf her kam Wind auf, und die Klingen der Schwerter schlugen leise klirrend aneinander. »Hast du... all diese Krieger erschlagen?«

Die Frau lächelte und strich sich eine Strähne weißen Haars zurück, das unter ihrer Kapuze hervorgequollen war. Der Wind bauschte ihren Mantel auf, und ein Wicht mit einer Haut wie Eschenrinde kroch unter dem Saum hervor. »Niemals wird ein Sterblicher in den Landen der Feen regieren!« krächzte er mit heiserer Stimme und lachte. Es war dasselbe Lachen, das Golo hinter den Dornenhecken gehört hatte.

»Du bist gekommen, um unseren Frieden zu stören, nicht wahr?« Das Lächeln war aus dem Gesicht der Frau verschwunden. »Du bist gefährlicher als die Ritter, denn du willst nicht kämpfen...«

»Ihr irrt Euch...« stammelte Golo und wich zurück. »Ich will nur fort aus den Sümpfen. Niemals hatte ich vor, König an Eurer Seite zu werden, und mir genügt es...«

»Holt ihn!« Die Frau wies mit ausgestrecktem Arm auf den Knecht, und hinter ihr erhoben sich Dutzende der Wurzelmännchen aus dem Sumpf.

Golo rannte auf das Labyrinth der Schädelstangen zu. Selbst die Toten lachten ihn aus und klapperten mit ihren bleichen Kiefern. Manche der Schädel schnappten nach ihm. Er hob schützend die Arme vors Gesicht. »Laßt mich in Frieden! Ich will doch nichts von Euch...«

Wurzeln wuchsen aus der Erde und griffen nach seinen Beinen. Golo strauchelte und schlug wild mit den Armen um sich. Dann griff er nach seinem Dolch. Er würde sein Leben so teuer wie möglich verkaufen!

Etwas packte ihn bei den Armen. Er wurde geschüttelt.

»Ganz ruhig. Das war nur ein Traum. Es ist alles gut.«

Blinzelnd öffnete er die Augen. Das Gesicht einer alten Frau, gerahmt von strähnigem grauem Haar, beugte sich über ihn. »Niemand wird dir hier etwas tun«, flüsterte sie beruhigend. »Du hast nur zuviel vom Met meiner Enkeltochter getrunken. Das gibt einen schweren Kopf und üble Träume. Setz dich an den Tisch und iß. Ich hab’ etwas Suppe warm gemacht und werde dir einen Kräutersud kochen, der deine Kopfschmerzen vertreibt.«

Noch halb in seinen Träumen gefangen, starrte Golo die Alte an. Woher kam sie? Warum war sie in der letzten Nacht nicht in der Hütte gewesen? Mißtrauisch blickte er sich um. Niamh war nicht zu sehen. Auch ihr Hund war verschwunden.

Unter der Tür schimmerte ein Streifen grauen Morgenlichts. Müde reckte der Knecht seine Glieder. Volker lag dicht neben dem Feuer. Er hatte sich in ein Fell eingerollt. Das Gesicht des Kriegers war entspannt. Er wurde offensichtlich nicht von Alpträumen geplagt. Golo reckte sich, wickelte sich eine Decke um die Hüften und trat an den Tisch, auf den die Alte inzwischen eine Suppenschüssel gestellt hatte. Beim Anblick des Essens wurde ihm übel. Fischsuppe! Das war das letzte, was er jetzt brauchen konnte.

»Geht es dir nicht gut?« Das alte Weib hielt ihm einen Becher mit einer duftenden Flüssigkeit hin.

Golo biß die Zähne zusammen. »Entschuldige, aber ich glaube, ich muß...« Er stürzte zur Tür.


Загрузка...