11. KAPITEL


Gierig sog Golo die kühle Abendluft ein. Den ganzen Nachmittag hatte er in der stickigen Hitze der Küche verbracht. Für einen Ritter ziemte es sich zwar eigentlich nicht, sich unter das Gesinde zu begeben, dennoch war dies der Ort, den er wann immer möglich zuerst aufsuchte, wenn er mit Volker in eine Burg oder Residenz einkehrte. Eine kurzer Besuch in der Küche vermochte mehr über einen Burgherren zu verraten, als man an einem ganzen Abend herausfand, den man mit ihm an seiner Tafel saß. Gerade weil sich adelige Gäste in der Regel nie an die Herdfeuer einer Burg verirrten, waren sie so aufschlußreich. Hier mußte ein Gastgeber nicht mehr repräsentieren. Die Küche offenbarte sein wahres Gesicht.

Waren die Mägde und Köche zum Beispiel spindeldürr, so konnte man gewiß sein, daß, egal wie freigiebig der Burgherr an seiner Tafel tat, er doch heimlich jeden Becher Wein mitzählte, den seine Gäste tranken. Man konnte auch davon ausgehen, daß ein solcher Geizhals ein üppiges Mahl niemals ohne Hintergedanken gab.

Ein Tyrann hingegen hatte in der Regel ein ganzes Rudel kleiner Tyrannen unter seinen Gefolgsleuten, die von verängstigten Duckmäusern umgeben waren. In einem solchen Fall waren das Verhältnis zwischen dem Mundschenk und den Köchen und den Mägden häufig ein getreuer Spiegel der Machtverhältnisse am Tisch des Fürsten.

Die Küche hier in Treveris war sympathisch. Die Dinge liefen ohne Eile, und doch war alles zur rechten Zeit bereit. Die Sauce fand zum Braten, ein Teller mit Butter und weißem Käse zum frisch gebackenen Brot. Selbst die niedrigsten Mägde wagten es, über den Koch des Prinzen zu scherzen, und ständig war in irgendeiner Ecke des Raums ein Kichern zu hören. Unbehaglich war allein die Küche selbst, denn sie war einfach zu groß, um so gemütlich wie die Herdstelle in einer Burg zu sein, wo alle dicht beieinander hockten. Es gab drei verschiedene Öfen und mehrere offene Feuer unter gemauerten Kaminen, wo Braten zubereitet wurden. Einst mußten hier die Mahlzeiten für einen riesigen Hofstaat gekocht worden sein. Man sagte, Kaiser Konstantin habe hier vor langer Zeit geherrscht. Was für Gerichte wohl auf seiner Tafel gestanden hatten?

Golo leckte sich nachdenklich die Lippen und dachte an Gerichte, die er bislang nur vom Hörensagen kannte. Nüsse so groß wie Kinderköpfe, in deren Inneren angeblich Milch war, süßes Gebäck, aromatisiert mit Zimt und anderen Gewürzen aus dem fernen Arabia Felix, geharzte Weine aus Lesbos und aus Ephesos, serviert in Gläsern, so klar wie die Luft an einem kalten Wintertag. Der Recke seufzte leise.

Mit einem lauten Krachen fiel etwas vor seine Füße. Golo blickte hinab. Es war ein Stock, mit Kaninchenfell umwickelt.

»Bist du bereit zur Fechtstunde, Krieger?«

»Mechthild!«

Hinter einer Säule trat das junge Mädchen hervor. Sie hatte ihre Haare mit Knochenkämmen hochgesteckt und trug neue Kleider. Eine lederne Hose, eine Tunika aus grüner Wolle und eine pelzbesetzte Weste. In den Händen hielt sie einen fellumwickelten Stock. »Nun, Fechtmeister? Wie steht es mit uns?«

Golo lachte und hob den Stock zu seinen Füßen auf. »Schön dich zu sehen, Kleine. Mal schauen, ob du noch etwas behalten hast.« Der junge Ritter machte einen Ausfallschritt nach vorne und zielte mit einem Stich auf die Brust des Mädchens.

Geschickt wich Mechthild mit einer Drehung zur Seite aus, täuschte ihn mit einer Finte und versetzte Golo dann einen leichten Schlag auf den rechten Arm.

»Beim gehörnten Baphomet! Wo hast du das denn gelernt!«

Das Mädchen grinste. »Ich hatte eine gute Lehrerin. Aber...« Sie stockte und blickte ihn auf eigenartige Weise an. »Ich habe dich vermißt, Golo.«

Der Ritter ließ den Stock sinken und erwiderte ihren Blick. Erst jetzt, in ihren neuen Kleidern, fiel ihm auf, wie reif die Formen des Mädchens doch schon waren. Oder war es möglich, daß sie sich in weniger als einem Monat so sehr verändert hatte? Er schloß sie in die Arme. »Es ist kaum eine Stunde vergangen, in der ich mich nicht gefragt habe, was aus dir geworden ist und wohin dein Weg dich geführt haben mochte. Komm laß uns an einen ruhigen Ort gehen. Es gibt viel zu erzählen.«

Statt einer Antwort lächelte Mechthild nur. Dann griff sie ihn bei der Hand, und sie gingen zu den Ställen.



Volker hatte vor Ärger fast keinen Bissen während des abendlichen Festmahls herunterbekommen, das Giselher ihm zu Ehren veranstaltete. Er saß auf dem Platz zur Rechten des Gastgebers; es machte ihm zu schaffen, wie er den ganzen Abend über angegafft wurde. Nicht, daß er es nicht gewohnt gewesen wäre, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Im Gegenteil, als Spielmann genoß er es sogar, wenn niemand ihm Saale den Blick von ihm zu wenden vermochte und er einem Teil der Frauen ansah, wie ihre Herzen schneller zu schlagen begannen, wenn er seine traurigen Liebeslieder sang. Doch das hier war etwas gänzlich anderes! Diesmal woben die Blicke kein Band, sondern sie schufen Distanz. Es war, als sei er für die Gäste wie eines der Heiligenbilder im Bogen über dem Hauptportal des Wormser Münsters. Ein Heiligenbild, aus Stein geschlagen. Nah und doch unnahbar!

Und dann kam der Auftritt Belliesas! Ihm hatte Giselher verboten, seine Laute mitzubringen und eines seiner Lieder zu singen. Angeblich würde er damit seinem neuen Ruf und indirekt auch der Sache des Königs schaden, hatte der junge Kriegsherr behauptet. Volker schnaubte verächtlich! Was für ein Unsinn! Die Hälfte der Gäste an der Tafel kannte er schon seit Jahren. Sie mußten doch wissen, wer er war!

Die junge Bardin hatte die Abfolge ihrer Lieder und der vorgetragenen Epen wohl durchdacht. Sie begann mit biblischen Geschichten um die Erzengel und fuhr dann damit fort, wie ihm, Volker, in Castra Bonna der Erzengel Gabriel erschienen sei, um ihn zu erleuchten. Seine Mission sei, das Land vom Ketzerfürsten zu befreien. Der Spielmann lachte stumm in sich hinein. Unsinn!

Danach trug Belliesa ein Epos über den Cheruskerfürsten Arminius vor, der mit wenigen schlecht bewaffneten Gefährten die Römer von seinem Land vertrieben hatte. Das nächste Lied, drehte sich dann darum, wie Volker allein in Icorigium die Macht Ricchars herausgefordert hatte. Sie berichtete auch, wie der Erzengel selbst in einem Kampf mit dem Eber seine Schwerthand führte, so daß er den gefährlichen Räuber mit verbundenen Augen bezwingen konnte und ihn anschließend zu seiner Sache bekehrte. Zum Schluß hörte der Spielmann kaum noch zu. Glaubte man ihr, war er mittlerweile der Anführer einer kleinen Armee, die sich gegen die Tyrannei erhoben hatte.

In der Festhalle herrschte Totenstille. Jeder, selbst die Bediensteten, die Fleisch und Wein auftrugen, schienen an den Lippen der Bardin zu hängen. Sogar Golo, der es eigentlich besser wissen müßte, hatte einen seltsam entrückten Blick. Glaubte er etwa den Unsinn, den Belliesa verbreitete? Wie konnte jemand, der ihn kannte und dem in den letzten beiden Jahren keines seiner Laster verborgen geblieben war, ernsthaft in Erwägung ziehen, er sei der Auserwählte eines Erzengels!

Sollte diese zweitklassige Bardin mit ihren holpernden Daktylen erst einmal fertig werden. Der Palast Giselhers mochte groß sein, doch nicht groß genug für sie beide! Volker würde sie finden. Und wenn es soweit war, würde er dem Weibsbild sagen, was er von ihr hielt! Als nächstes mußte er dann dem Schwindel ein Ende bereiten! Es war genug! Er, der Auserwählte eines Erzengels! Das war der größte Unsinn, den er jemals gehört hatte! Ihn interessierte dieser Aufstand in den Bergen einen feuchten Dreck. Wenn es denn überhaupt einen Aufstand gab und das nicht auch nur eine Geschichte der Bardin war.

Volker war einzig und allein gekommen, um den Feuervogel zu finden. Damit hatte er auch noch nicht abgeschlossen. Er würde in die Berge zurückkehren. Allein! Was er dort tat und wonach er suchte, ging niemanden etwas an. Er konnte von Golo nicht erwarten, daß er mit ihm ritt. Bald würde der erste Schnee fallen. Gott allein wußte, ob es sein Schicksal war, vielleicht in den Bergen zu verrecken. Deshalb würde er gehen, ohne es irgend jemand zu sagen. Er wollte für niemanden mehr verantwortlich sein. Und schon gar nicht für einen Aufstand. Was sollte er mit einem Haufen schlechtbewaffneter Rebellen anfangen, die sich in ihre Dickschädel gesetzt hatten, gegen den fähigsten Kriegsherren Germaniens Krieg zu führen? Nach der ersten Schlacht wäre dieser Aufstand beendet.

Ricchar würde bis zum Frühling warten, bis das Wetter gut genug war, um Armeen zu bewegen. Dann würde er längstens noch einen Monat brauchen, um auch den letzten Rebellen zur Hölle zu schicken.

Und wer wäre schuld an diesem Aufstand? Wer hätte dieses ganze sinnlose Gemetzel entfesselt?

Giselher beugte sich zu ihm herüber. »Singt sie nicht wunderschön? Wenn ich sie höre, muß ich an Engel denken.«

Volker nickte. Antworten konnte er nicht. Man hätte seiner Stimme angehört, was er dachte. Ein Engel! Weiß der Henker, woher sie wirklich kam! Vielleicht hatte Ricchars Statthalter am Ende recht, als er sie der Zauberei anklagte und verbrennen wollte.

Mißmutig blickte sich der Spielmann um. Es herrschte eine Stimmung im Saal wie im Münster zu Worms, wenn während der Ostermesse der Knabenchor sang. Alle waren in stummer Andacht erstarrt. Und sie sahen immer wieder verstohlen zu ihm herüber.

Wenn er zurückschaute und einen der Blicke zu fangen versuchte, dann blickten sie wieder demütig zu Boden. Verdammt, er war kein Auserwählter in einer heiligen Sache! Und er wollte auch nicht so behandelt werden!

Irgendwann würde Belliesa aufhören zu singen und den Saal wieder verlassen. Dann würde er sie finden!



»Bitte entschuldigt mich.« Volker verneigte sich vor Giselher und den anderen Adligen, die ihn umstanden. »Doch es ist nun an der Zeit, in mich zu gehen.«

Der Kriegsherr nickte bedeutungsschwer. »So warst du früher nie. Es ist wirklich ein Wunder geschehen!«

Was hätte man darauf noch sagen sollen? Der Spielmann drehte sich um und verließ gemessenen Schrittes den Festsaal. Es waren nur ein paar Augenblicke verstrichen, seitdem Belliesa sich verabschiedet hatte. Wohin immer sie ging, er würde sie finden!

Als die Pforten des Festsaals sich hinter ihm schlossen, beschleunigte Volker seine Schritte. Er wußte, daß sie in einem der Nebengebäude auf der linken Seite des Palastvorplatzes gemeinsam mit Mechthild untergebracht worden war.

Volker betrat den Säulengang, der sich entlang der Gebäudefront zog. In regelmäßigen Abständen waren hier Nischen in der Seitenwand ausgespart, in denen hohe Steinsockel standen.

»Du hast länger gebraucht, als ich erwartet hätte.« erklang plötzlich eine vertraute Stimme in seinem Rücken.

Überrascht fuhr der Spielmann herum. Hinter einem der steinernen Sockel trat Belliesa hervor. »Ich wußte, daß du mir folgen würdest. Du solltest lernen, deine Gefühle besser zu verbergen. Man kann sie an deinen Augen ablesen.«

»Dann weißt du also schon, daß ich dir den Hals umdrehen werde!«

Die Bardin lachte leise. »Du hast mir das Leben gerettet. Warum solltest du mir etwas antun? Nicht du bist es, den ich fürchten muß. Auch wenn du es nicht wahrhaben willst, so bin doch ich es, die du suchst, um deine geheimsten Sehnsüchte zu erfüllen.«

Volker schnaubte verächtlich. »Du solltest nicht zu sehr darauf vertrauen, daß jeder Mann verrückt danach ist, mit dir sein Lager zu teilen. Mich läßt deine Schönheit kalt. Ich verlange von dir, daß du damit aufhörst, diese Lieder über mich zu singen! Warum tust du das? Willst du, daß ich in den Bergen sterbe? Es ist vollkommen sinnlos, sich gegen Ricchar zu erheben. Ich hege keine Feindschaft gegen den Franken. Wenn du glaubst, ich würde in die Berge zurückkehren, um dort einen Haufen von zwei Dutzend abgerissenen Rebellen anzuführen, dann hast du dich geirrt!«

»Du kannst deinem Schicksal nicht entgehen, Volker. Sieh dir den Sockel an, vor dem wir stehen. Glaubst du, daß es Zufall ist, daß wir uns an diesem Ort wiederbegegnet sind?«

Alles, was von der Statue geblieben war, die einmal an diesem Ort gestanden hatte, waren ein paar Füße auf dem Marmorpodest. Sie steckten in Sandalen, und es waren auch noch Ansätze von Beinschienen zu erkennen. Irgendein Held der Römer wahrscheinlich. Volkers Blick wanderte tiefer. Vier Buchstaben waren in den Sockel gemeißelt. MARS. Der Gott des Krieges!

Der Spielmann schüttelte den Kopf. »Glaubst du, du könntest mich so leicht täuschen? Auch ich trete als wandernder Barde auf. Ich weiß, wie man seine Zuhörer hinters Licht führt und schlichte Gemüter von Omen überzeugt. Du hast den Platz gewählt, an dem wir nun stehen. Versuche nicht, mir zu erzählen, du hättest nicht genau darauf geachtet, in welcher Nische du dich versteckst. Ich glaube nicht an diese Art von Orakeln!«

»Und was ist mit dem Erzengel, der dir erschienen ist? Und wie konntest du den Eber besiegen, obwohl du mit verbundenen Augen gegen ihn gekämpft hast? Du sahst aus wie ein Jäger aus den Bergen, als du nach Treveris gekommen bist. Du gehörst dorthin. Die Menschen werden dir folgen. Ich habe auf der Stadtmauer gestanden und dich kommen sehen. Glaubst du, das sind alles Zufälle? Du kannst nicht vor deinem Schicksal davonlaufen, Volker. Stelle dich! Nimm es an!«

»Du meinst das Schicksal, das du mir bestimmt hast?« Er lachte bitter. »Alles was in den letzten Wochen geschehen ist, hast du verdreht, bis es in deine Pläne paßte! Du weißt doch wohl sehr gut, daß keines der Lieder, die du heute abend gesungen hast, wahr ist!«

»Hast du einmal darüber nachgedacht, daß du vielleicht derjenige bist, der blind für die Wahrheit ist, weil er sie nicht sehen will! Und was ist mit all den Menschen, die ihre ganze Hoffnung in dich setzen? Wirst du sie enttäuschen? Wohin willst du gehen? Sogar dein eigener König erwartet von dir, daß du in die Berge zurückkehrst und den Kampf gegen den Tyrannen Ricchar aufnimmst. Willst du dich gegen den Herren stellen, dem du die Treue geschworen hast? Ist das deine Vorstellung von Ritterlichkeit?«

In hilfloser Wut ballte Volker die Fäuste. »Du...« Wäre sie ein Mann gewesen, er hätte sie jetzt niedergeschlagen. »Du... Was willst du von mir? Was habe ich dir getan? Du bist selbst eine Heidin. Warum befehdest du Ricchar? Was hat dir der Franke getan?«

»Er verachtet die Freiheit! Du hast gesehen, was er seinem Volk angetan hat! Erinnerst du dich nicht mehr an den Priester, der in Icorigium erhängt worden ist?«

»Es gibt viele Herren, die ungerecht sind. Warum er? Er will den Frieden, auch wenn er vielleicht manchmal die falschen Mittel wählt, um zum Ziel zu kommen. Er ist nicht der Unmensch, als den du ihn in deinen Liedern darstellst!«

Die Bardin schüttelte den Kopf. »Wie gut kennst du ihn schon? Auch ich war an seinem Hof. Ich habe ihn beobachtet, bevor ich begonnen habe, ihn zu bekämpfen. Er ist von Ehrgeiz zerfressen, und er hat das Zeug dazu, seine Ziele zu erreichen. Das ist es, was ihn so gefährlich macht. Noch kann er aufgehalten werden. Jetzt ist er nur ein Graf in einem Grenzgau des Frankenreiches. Doch was wird sein, wenn er für König Merowech noch ein paar Siege erringt? In Kriegszeiten ist er der Heermeister. Das heißt, er befehligt die ganze Armee des Frankenreiches. Und seine Soldaten vergöttern ihn! Sie sehen in ihm den Günstling des Sol Invictus. Unbesiegbar scheint er. Und wenn wir ihn nicht in diesem Winter aufhalten, dann wird er wirklich unbesiegbar sein. Du weißt, wie krank König Merowech ist. Ricchar will den Thron, und er wird ihn bekommen, denn die Soldaten folgen ihm. Er begeistert sich so sehr an den Römern... Davon hat er dir sicher auch erzählt. Er sieht sich als Soldatenkaiser. Als den, der von Mithras auserwählt ist, das römische Reich aus seinen Ruinen wieder aufzurichten, so, wie er damit begonnen hat, in seinem Gau die zerstörten römischen Städte wieder aufzubauen.«

»Und was ist so schlecht daran, wenn ein Mann Visionen hat. Er will letzten Endes Frieden, und er will, daß die Zivilisation der Alten zurückkehrt. Hast du das zerstörte Theater in Castra Bonna gesehen, Belliesa? Dort war Platz für Hunderte, die den Epen der Dichter ihrer Zeit gelauscht haben! Wie kümmerlich sind wir dagegen, die einen Marktplatz oder manchmal auch einen kleinen Fürstenhof als Bühne haben. Ricchar ist ein Dichter! Er wird all dies wieder erstehen lassen.«

»Und es wird auf den Ruinen des Burgundenreiches erstehen. Dein König wird sein erstes Opfer sein, wenn Ricchar zum Herrscher der Franken werden sollte. Das ist dir doch wohl klar, Volker!«

Der Spielmann wußte, daß sie recht hatte. Aber es gab ja noch die Bischöfe. Ricchar war auch unter den Franken nicht unumstritten. Vielleicht würde er niemals Herrscher sein. »Was hat er dir getan, daß du ihn so sehr haßt, Belliesa? Hat er dich zurückgewiesen? Dir den Platz an seiner Seite verweigert, nachdem er sich ein paar Nächte lang mit dir amüsierte? Hast du vielleicht geglaubt, ein Fürst, der dichtet, würde eine fahrende Sängerin an seiner Seite dulden?«

Für einen Augenblick erwartete Volker, daß Belliesa ihn ohrfeigen würde. Er sah, wie sich ihre Wangenmuskeln spannten. Doch fast sofort hatte die Sängerin sich wieder in der Gewalt. »Nach allem, was ich über dich gehört habe, hätte ich gedacht, daß du die Frauen besser kennst, Spielmann.« Sie blickte ihn an und wirkte unendlich enttäuscht.

Volker biß sich auf die Lippen. Dieser eine Blick wühlte ihn mehr auf als all ihre Worte zuvor.

»Geh deiner Wege, Spielmann! Wenn du glaubst, du könntest deinem Schicksal davonlaufen, dann tu es. Paß gut auf dich auf! Du trägst eine tödliche Kälte in deinem Herzen. Ich hatte geglaubt, sie von dort vertreiben zu können... Ich wollte dich auf den Weg zurückführen, den du einst in den Sümpfen verloren hast. Doch du bist dein eigener Herr! Ich hoffe, du begreifst, daß du in diesen Tagen am Wegekreuz deines Schicksals angelangt bist. Du vermagst kaum über die Spitzen deiner Stiefel hinauszusehen... So kannst du dich bei deiner Wahl nur auf dein Herz verlassen. Höre gut auf das, was es dir sagt!«

Der Spielmann schluckte. »Rede nicht so mit mir! Du bist nicht die Pythia aus dem Orakel von Delphi. Also maße dir nicht an, mir meine Zukunft zu prophezeien.«

Die Bardin blickte ihn traurig an. Dann nickte sie. »Du hast recht. Es gibt nichts mehr zu sagen zwischen uns.« Ihr Gesicht war wie versteinert. Sie wandte sich ab und ging den dunklen Gang hinauf.

Stumm starrte ihr Volker nach. Seine Wut war verraucht. Jetzt hatte er das Gefühl, etwas verloren zu haben. Hatte sie recht, wenn sie ihm vorwarf, daß sein Herz in Kälte erstarrt war? Was geschah mit ihm? War er vielleicht wirklich blind dafür, daß er auserwählt war?


Загрузка...