24. KAPITEL


»Und was geschah dann?« fragte der König mit leiser Stimme. Im Gegensatz zu Hagen, der hinter seinem Thron stand, vermochte Gunther seine Gefühle nicht zu verbergen. Doch vielleicht hatte der Tronjer ja auch gar keine Gefühle, die er niederringen mußte. Mit unbewegtem Gesicht hatte er Golos Bericht gelauscht. Die drei waren allein im kalten Festsaal der Wormser Königsburg, denn der König hatte entschieden, daß niemand außer ihnen um jene Dinge wissen sollte, die in den Bergen jenseits von Treveris geschehen waren.

»Ricchar hatte seine sächsischen Söldner noch nicht ausgezahlt, und als sie vom Tod des Kriegsherren hörten, fürchteten sie, daß sie kein Gold mehr sehen würden. Sie stürmten die brennende Stadt und mordeten jene, die den Flammen entgangen waren. Drei Tage und drei Nächte dauerten das Feuer und das Töten. Die Felder rings um Icorigium lagen so dicht voller Leichen, daß man kaum zwei Schritt gehen konnte, ohne auf einen Toten zu treten. Am vierten Tage, als die Flammen verloschen, zogen die Sachsen zum großen Fluß, um von dort in ihre Heimat zurückzukehren.«

»Und wie kommt es, daß du den Mordbrennern entgangen bist?« fragte Hagen scharf.

»In meinen schmutzigen Fellen und mit meinem Bart haben sie mich für einen der ihren gehalten, Herr. Ich irrte durch die brennende Stadt und suchte nach Volker. Das letzte, was ich von ihm sah, war, wie er vom Gerüst stürzte. Dann wurde ich von den Stieren vom Platz gedrängt. Als ich Stunden später endlich wiederkehren konnte, waren beide Gerüste verbrannt. Es lagen mehrere Leichen dort, doch das Feuer hatte sie so sehr entstellt, daß es unmöglich war, zu erkennen, ob Volker einer der Toten war. Eine der Leichen jedoch hatte eine Wunde im Bein, und neben ihr lag ein verkohlter Krückstock.« Golo schluckte. Für einen Moment lang konnte er nicht mehr sprechen.

»Das heißt, du glaubst, mein Spielmann sei tot...«

Der Ritter vermochte dem König nicht in die Augen zu sehen. »Unter den Lebenden konnte ich ihn nicht finden. Sieben Tage bin ich geblieben und habe ihn gesucht, habe die Leichen in weitem Umkreis aus dem Schnee gezerrt und in ihre Gesichter gestarrt. Doch nirgends konnte ich ihn finden. Eine Meile rings um die Stadt war der Schnee schwarz vor Asche. Alle Bäume in weitem Rund hatte der Sturmwind geknickt. Das Land sah aus, als sei das jüngste Gericht gekommen... Kein Haus in Icorigium war von den Flammen verschont geblieben. Die meisten waren bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Flammen und Eis ließen die Festungswälle an vielen Stellen bersten... Nach sieben Tagen brachten die Raben, die unter den Toten ihr Festmahl hielten, die Pest. Da habe ich gewußt, daß es sinnlos ist, noch weiter zu suchen...«

Für lange Zeit herrschte Schweigen zwischen den dreien. Schließlich sagte Gunther. »Du hast mir treu gedient. Hast du einen Wunsch, Golo?«

»Ja, Herr. Laßt mich in das Dorf zurückkehren, in dem ich aufgewachsen bin. Ich hoffe, daß ich dort vergessen kann, was mir auch jetzt noch jede Nacht den Schlaf raubt.«

»Der Wunsch sei dir gewährt.«

Obwohl die beiden offenbar erwarteten, daß er nun gehen würde, rührte sich der Ritter nicht von der Stelle. Abgemagert, in rußgeschwärzte Felle gehüllt und mit nur halb verheilten Brandwunden im Gesicht, sah der junge Ritter aus wie der Tod.

»Gibt es noch etwas?«

»Ja, Herr!« Golo blickte seinem König herausfordernd ins Angesicht. »Ihr habt den Spielmann zurück in die Berge geschickt, weil er Euch den Kopf des Ketzerfürsten bringen sollte. Ihr hattet Angst, Ricchar würde schon bald seine Hand nach Eurem Thron ausstrecken. Zugleich habt Ihr auch gewußt, daß Volker nur mit einer Handvoll an Rittern und Waffenknechten kaum eine Aussicht auf Erfolg hatte. Ihr könnt nicht geglaubt haben, daß er siegt. War es nicht so? Doch ein Aufstand hätte den Intriganten am Hof des fränkischen Königs einen Vorwand gegeben, Ricchar um sein Amt als Kriegsherr und um seinen Gau zu bringen. Deshalb habt Ihr ihn zurückgeschickt...«

»Was fällt dir ein!« Hagen war hinter dem Thron hervorgetreten. »Wie wagst du es, so mit deinem König zu sprechen!«

Golo blieb unerschütterlich stehen. Er griff unter seinen Umhang, zog eine verbeulte, rußgeschwärzte Eisenmaske hervor und warf sie dem König vor die Füße. »Der Spielmann hat seinen Dienst getan. Das ist alles, was von Ricchar geblieben ist. Seine Leiche konnte ich finden. Sie lag nur ein paar Schritt von dem Gerüst entfernt, bei dem Volker gestorben sein muß.«

Der König hob die Maske auf und starrte auf das eherne Antlitz seines Feindes. Für einen Herzschlag lang spielte ein triumphierendes Lächeln um Gunthers Lippen. Dann richtete er sich wieder auf, und obwohl er nur leise sprach, war der drohende Unterton in seiner Stimme unüberhörbar. »Du darfst gehen, Ritter!«


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