»Nein!«, schrie Khadgar, und die Vision erlosch augenblicklich. Allein standen sie im Speisesaal in der Mitte eines Kreises aus zerstoßenem Rosenquarz und Amethyst.
In seinen Ohren rauschte es, und die Ränder seines Gesichtsfelds waren verschwommen. Er war in die Knie gegangen, hatte aber nicht gemerkt, dass er sich überhaupt bewegte. Garonas Stimme neben ihm klang leise, beinahe erstickt.
»Medivh«, sagte sie ruhig. »Der alte Mann. Das kann nicht sein.«
»Das kann sein«, sagte Khadgar. Sein Magen fühlte sich an, als sei er voll mit wimmelnden Schlangen. Seine Gedanken rasten, und obwohl er es verneinen wollte, wusste er, in welche Richtung sie drängten.
»Nein«, sagte Garona grimmig. »Das muss ein Irrtum sein. Eine falsche Vision. Wir haben nach einer Sache gesucht – und eine andere gefunden. Du hast gesagt, dass das schon mal passiert ist.«
»Nicht so«, sagte Khadgar. »Wir sehen vielleicht nicht immer, was wir wollen, aber wir sehen immer die Wahrheit.«
»Vielleicht war es nur eine Warnung«, sagte die Halb-Ork.
»Es ergibt Sinn«, sagte Khadgar, und seine Stimme klang belegt, bedauernd. »Denk doch mal nach. Deshalb funktionierten die Schutzzauber nach dem Angriff noch. Er war bereits innerhalb der Zauber und hat den Dämon von dort aus beschworen.«
»Aber die Gestalt wirkte nicht wie er«, sagte Garona. »Vielleicht war es eine Illusion, ein magischer Betrug. Das passte nicht zu ihm.«
»Er war es«, sagte der Lehrling und erhob sich. »Ich kenne die Stimme des Meisters. Ich kenne das Gesicht des Meisters. All seine Angewohnheiten und Stimmungen.«
»Aber es war, als habe sich etwas anderes dieses Gesicht übergestülpt«, sagte Garona. »Etwas Falsches. Als wäre er nur Kleidung oder eine Rüstung, die von jemandem getragen wird.«
Khadgar sah die Halb-Ork an. Ihre Stimme zitterte, und ihre Augen schwammen in Tränen. Sie wollte es nicht glauben. Sie konnte es einfach nicht glauben.
Khadgar wollte es ebenfalls nicht wahrhaben. Er nickte langsam. »Es könnte ein Trick sein. Vielleicht ist er es doch selbst und versucht den Ork zu überlisten, dazu zu bringen, in diese Welt zu kommen. Vielleicht eine Vision der Zukunft.«
Jetzt schüttelte Garona den Kopf. »Nein. Das war Gul’dan. Er ist bereits hier. Er hat uns durch das Portal gebracht. Das war in der Vergangenheit, das war ihr erstes Treffen. Aber wieso will Medivh die Orks nach Azeroth bringen?«
»Es erklärt jedenfalls, warum er nichts gegen sie unternimmt«, sagte Khadgar. Er schüttelte den Kopf und versuchte die Gedanken loszuwerden, die sich dort festgesetzt hatten. So viele Dinge ergaben jetzt Sinn. Die seltsamen Abwesenheiten. Das fehlende Interesse an der stärker werdenden Ork-Präsenz. Sogar die Anwesenheit der Halb-Ork in der Burg.
Er betrachtete Garona und fragte sich, wie sehr sie in die Angelegenheit verstrickt war. Die Neuigkeiten schienen sie zu schockieren, aber gehörte sie dennoch zu den Verschwörern, oder war sie nur eine Figur in dem dunklen Spiel, das Medivh zu spielen schien.
»Wir müssen das herausfinden«, sagte er einfach. »Wir müssen herausfinden, weshalb er dort war. Was er dort gemacht hat. Er ist der Wächter – wir sollten ihn nicht wegen einer einzigen Vision verurteilen.«
Garona nickte langsam. »Also fragen wir ihn, aber wie?«
Khadgar öffnete den Mund, um zu antworten, aber eine andere Stimme hallte durch den Raum.
»Was soll dieser Lärm?«, fragte Medivh und bog um die Ecke des Speisesaals.
Khadgars Kehle wurde eng und trocken.
Der Magus stand im Türrahmen, und Khadgar sah ihn an, suchte nach etwas in seinem Gang, seinem Aussehen, seiner Stimme. Irgendetwas, das ihn verriet. Aber da war nichts. Es war Medivh.
»Was macht ihr Kinder denn hier?«, fragte der Magus mit zusammengezogenen Augenbrauen.
Khadgar suche nach einer Antwort, aber Garona kam ihm zuvor. »Der Lehrling wollte mir einen Zauberspruch zeigen, an dem er gearbeitet hat.« Ihre Stimme klang unsicher.
Medivh grunzte. »Wieder eine deiner Visionen, mein Vertrauen? Sie sind hier schon schlimm genug, ohne dass du die Vergangenheit beschwörst. Komm sofort da raus, wir haben zu tun. Und Ihr ebenfalls, Abgesandte.«
Seine Stimme war gemäßigt, voller Verständnis, aber auch fest. Die Stimme eines weisen Mentors. Khadgar trat einen Schritt vor, aber Garona griff nach seinem Arm.
»Schatten«, zischte sie.
Khadgar blinzelte und sah den Magier noch einmal an. Sein Gesicht zeigte jetzt Ungeduld und Ablehnung. Seine Schultern waren immer noch breit, und er hielt sich trotz des Drucks, der auf ihm lastete, aufrecht. Er trug eine Robe, die Khadgar schon häufiger an ihm bemerkt hatte.
Und hinter ihm befanden sich zwei Schatten. Einer, der direkt von der Fackel wegzeigte und ein anderer, ebenso dunkler, der in einem seltsamen Winkel fiel.
Khadgar zögerte. Medivhs Ärger war jetzt deutlicher. Ein Sturm braute sich auf seinen Zügen zusammen. »Was ist, mein Vertrauen?«
»Wir sollten unsere Unordnung wegräumen«, sagte Khadgar und versuchte, unbekümmert zu klingen. »Moroes soll nicht unnötig Arbeit mit uns haben. Wir kommen dann nach.«
»Das gehört nicht zu den Pflichten eines Schülers«, sagte Medivh. »Komm jetzt sofort her.«
Niemand bewegte sich. Garona raunte: »Wieso kommt er nicht ins Zimmer?«
Gute Frage, dachte Khadgar. Laut sagte er: »Eine Frage, Meister?«
»Was denn noch?«, knurrte der Meisterzauberer.
»Warum habt Ihr Gul’dan in seinen Träumen besucht?« Khadgar fühlte, wie seine Kehle erneut eng wurde. »Wieso habt Ihr den Orks gezeigt, wie sie in unsere Welt gelangen können?«
Medivhs Blick wandte sich an Garona. »Ich wusste nicht, dass Gul’dan dir von mir erzählt hat. Ich habe ihn nicht für so dumm oder geschwätzig gehalten.«
Garona machte einen Schritt zurück, doch dieses Mal hielt Khadgar sie fest. »Ich habe bis eben nichts davon gewusst«, sagte sie.
Medivh grunzte. »Es spielt keine Rolle. Kommt jetzt her. Beide.«
»Wieso habt Ihr den Orks den Weg hierher gezeigt?«, wiederholte Khadgar.
»Du hast mir nicht zu widersprechen!«, zischte der Magier.
»Wieso habt Ihr die Orks nach Azeroth gebracht?«, fragte Khadgar, er bettelte jetzt beinahe.
»Das geht dich nichts an, Kind. Du kommst her, und zwar jetzt!« Das Gesicht des Magus war rot und verzerrt.
»Bei allem Respekt, Herr«, sagte Khadgar. Seine Worte waren wie Dolchstöße. »Das werde ich nicht tun.«
Medivh brüllte vor Wut. »Kind, ich werde dich …« Noch während er sprach, betrat er das Zimmer.
Funken sprühten empor und hüllten den älteren Magier ein. Der Magus taumelte einen Schritt zurück, hob die Hände und murmelte einen Fluch.
»Was …?«, begann Garona.
»Ein Schutz, mit dem beschworene Dämonen unter Kontrolle gehalten werden. Der Magus kann ihn nicht durchdringen«, erklärte Khadgar.
»Aber wenn er nur Dämonen aufhält, warum dann auch …? Außer …« Garona stockte erneut und sah Khadgar an. »Nein«, sagte sie. »Kann die Beschwörung ihn zurückhalten?«
Khadgar dachte an das Stroh, dass man im Turm von Stormwind dort am Boden über die Schutzzauber gelegt hatte und an die Energie, die im Türrahmen aufgeflammt war. Er schüttelte den Kopf.
Dann brüllte er den Magus an: »Hast du das Gleiche mit Huglar und Hugarin gemacht? Und mit Guzbah? Und mit den anderen? Hatten sie das Geheimnis entdeckt?«
»Sie waren noch weiter von der Wahrheit weg als du«, sagte der Magier durch zusammengebissene Zähne. »Aber ich musste vorsichtig sein. Ich habe dir deine Neugier wegen deiner Jugend verziehen.« Er knurrte, während die Schutzzauber ihn weiterhin zurückhielten. »Ich dachte, dass Loyalität noch etwas in dieser Welt zählen würde.«
Die Schutzzauber flammten auf, als Medivh sich in sie bewegte, und Khadgar sah, wie sie sich unter seinen ausgestreckten Händen dehnten. Die Funken schienen Medivhs Bart in Brand zu setzen, und Rauch stieg wie Hörner aus seiner Stirn auf.
Und dann setzte Khadgars Herz einen Schlag aus, als er begriff, dass er ein zweites Bild sah, das sich über den Anblick seines Meisters schob. Das Bild, das zu dem zweiten Schatten gehörte.
»Er dringt hindurch!«, sagte Garona.
Khadgar biss die Zähne zusammen. »Früher oder später. Er setzt gewaltige Energien frei, um den Kreis zu durchbrechen.«
»Kann er das?«, fragte die Halb-Ork.
»Er ist der Wächter von Tirisfal«, sagte Khadgar. »Er kann machen, was er will. Es kostet ihn nur Zeit.«
»Können wir hinaus?«, fragte Garona. In ihrer Stimme schwang Panik.
»Der einzige Weg führt an ihm vorbei.«
Garona sah sich um. »Dann sprenge eine Wand. Erschaffe eine zweite Tür.«
Khadgar sah die Steinwand des Turms abschätzend an und schüttelte dann den Kopf.
»Dann tu irgendwas!«
»Ich versuche es«, sagte Khadgar. Vor ihnen wurde Medivh größer. Blitze umspielten seine aus dem Rauch aufragende Gestalt.
Er wurde ruhig und sammelte die magischen Energien in seinem Geist. Dann machte er die gleiche Handbewegung wie schon einige Minuten zuvor und sprach die Worte, die Sterblichen verborgen blieben, und als er die Energien zu einer einzelnen Lichtkugel geformt hatte, ließ er sie los.
»Bring mir eine Vision«, verlangte Khadgar, »von einem, der die Bestie bereits bekämpft hat.«
Es gab einen kurzen desorientierten Moment, und Khadgar dachte, der Zauberspruch sei fehlgeschlagen und habe ihn ins Observatorium an der Spitze des Turms gebracht.
Doch dann erkannte er, dass es Nacht war. Eine wütende Frauenstimme zerriss die Stille.
»Wie kannst du es wagen, deine eigene Mutter zu schlagen!«, schrie Aegwynn. Ihr Gesicht war wutverzerrt.
Aegwynn stand auf der einen Seite des Observatoriums, Medivh auf der anderen. Es war der Medivh, den er kannte – groß, stolz und sichtlich besorgt. Weder Aegwynn noch er kümmerten sich um Khadgar und Garona. Plötzlich bemerkte Khadgar, dass der gegenwärtige Medivh ebenfalls anwesend war und funkensprühend an der Wand stand. Die beiden Gestalten aus der Vergangenheit bemerkten auch ihn nicht, aber der gegenwärtige Medivh beobachtete die Szene, die sich vor ihm abspielte.
»Mutter, ich dachte, du seiest hysterisch«, sagte der vergangene Medivh.
»Und ein mystischer Blitz sollte das ändern?«, zischte die ehemalige Wächterin.
Khadgar bemerkte, dass sie jetzt viel älter war. Ihr vormals blondes Haar war weiß, und ihre Augen und ihr Mund waren von Falten umgeben. Trotzdem wirkte sie noch ebenso beeindruckend wie früher.
»Beantworte meine Frage«, sagte sie.
»Mutter, du betrachtest die Dinge von der falschen Seite«, sagte der vergangene Medivh.
»Antworte«, verlangte Aegwynn streng. »Wieso hast du die Orks nach Azeroth gebracht?«
»Kein Wunder, dass er verärgert war, als du ihn gefragt hast«, sagte Garona. Khadgar legte den Finger an seine Lippen und beobachtete den gegenwärtigen Medivh. Er stemmte sich nicht mehr gegen die Schutzzauber, und sein Gesicht hatte jede Regung verloren.
»Mutter?«, fragte der vergangene Medivh. Seine Miene wirkte verständnislos.
»Du hast keine Antwort, nicht wahr?«, sagte Aegwynn. »Du spielst nur ein kleines Spiel. Das ist eine Herausforderung, mit der sich Llane und Lothar amüsieren sollen, aber die Macht der Tirisfalen ist kein Spiel, Kind. Mehr und mehr Orks kommen zu uns, und schon jetzt werden Karawanen in der Nähe des Schwarzen Morasts überfallen. Jeder Anfänger könnte sie bis zu deinem Portal zurückverfolgen, aber nur deine Mutter kann die Macht schmecken, die es erschuf. Noch einmal meine Frage, Kind: Welche Rechtfertigung hast du dafür?«
Khadgar duckte sich unter den peitschenden Worten und erwartete, dass der jüngere Medivh aus dem Zimmer fliehen würde. Doch der überraschte ihn, als er laut zu lachen begann.
»Amüsiert dich die Ablehnung deiner Mutter, Kind?«, fragte Aegwynn streng.
»Nein«, sagte Medivh mit einem raubtierhaften Grinsen. »Die Dummheit meiner Mutter amüsiert mich.«
Khadgar blickte zur anderen Seite des Zimmers und sah, wie der gegenwärtige Medivh unter diesen Worten zusammenzuckte.
»Wie kannst du es wagen?«, schrie Aegwynn und hob die Hand. Eine weißleuchtende Kugel schoss aus ihrer Hand und flog auf den vergangenen Medivh zu. Der Magus hob eine Hand und lenkte sie mit Leichtigkeit ab.
»Ich wage es, Mutter«, sagte das Bild aus der Vergangenheit. »Und ich habe die nötige Macht. Die Macht, die du mir bei meiner Geburt verliehst. Eine Macht, die ich weder gewollt noch erbeten habe.«
Der vergangene Medivh gestikulierte knapp, und ein Blitz fuhr seiner Mutter entgegen. Khadgar bemerkte, dass sie beide Hände benötigte, um ihn abzuwehren, und trotzdem noch zurückstolperte.
»Aber wieso hast du die Orks nach Azeroth gebracht?«, zischte die ältere Frau. »Das ergibt keinen Sinn. Du gefährdest die gesamte Bevölkerung – wofür?«
»Um den Kreis zu durchbrechen, natürlich«, sagte der vergangene Medivh. »Um das starre Universum zu zerstören, das du für mich errichtet hast. Alles hat darin seinen Platz, sogar dein Kind. Wenn du schon nicht ewig die Wächterin sein kannst, dann willst du zumindest einen Nachfolger, den du selbst geboren und ausgebildet hast – und der deinen Regeln genauso sicher folgt wie die anderen Figuren in deinem Spiel.«
Der gegenwärtige Medivh war auf die Knie gesunken und beobachtete das Schauspiel. Seine Lippen formten die Worte, die sein vergangenes Ich sprach.
Garona zupfte an Khadgars Ärmel, und er nickte. Gemeinsam verließen sie das Innere des Schutzkreises und bewegten sich durch den Raum. Sie wollten sich an der gegenwärtigen Inkarnation des Magus vorbeischleichen.
»Aber das Risiko, Kind …«, sagte Aegwynn.
»Risiko?«, erwiderte Medivh. »Für wen besteht ein Risiko? Für mich nicht, nicht so lange ich über die Macht der Tirisfalen verfüge. Für den Rest des Ordens? Dort interessiert man sich mehr für interne Intrigen als für Dämonen. Für das Land der Menschen? Sie sind fett und glücklich, werden vor Gefahren geschützt, von denen sie nichts ahnen. Besteht für irgendeine wichtige Person tatsächlich ein Risiko?«
»Du spielst mit Kräften, die stärker sind als du, Sohn«, sagte Aegwynn. Khadgar und Garona waren fast bis zur Tür vorgedrungen. Der gegenwärtige Medivh beobachtete gefesselt die Vision.
»Oh, natürlich«, sagte der vergangene Magus mit bösem Lächeln. »Wenn ich der Meinung bin, ich könnte solche Kräfte beherrschen, ist das die Sünde des Stolzes. So ähnlich, als würde man glauben, gegen einen Dämonenherrscher antreten und siegen zu können.«
Sie waren jetzt hinter Medivh, und Garona griff nach dem Messer unter ihrer Bluse. Khadgar hielt ihre Hand fest und schüttelte den Kopf. Sie schlichen sich an Medivh vorbei. Tränen glitzerten in den Augenwinkeln des alten Mannes.
»Was passiert, wenn diese Orks siegen?«, fragte Aegwynn. »Sie beten dunkle Götter und Schatten an. Wieso willst du ihnen Azeroth geben?«
»Wenn sie siegen«, sagte der vergangene Medivh, »werden sie mich zu ihrem Herrscher machen. Im Gegensatz zu dir und dem Rest dieser traurigen Welt respektieren sie Stärke. Und dank deiner Fürsorge bin ich das mächtigste Wesen auf dieser Welt. Ich werde die Ketten zerschmettern, die du und andere mir angelegt haben, und ich werde herrschen.«
Es wurde ruhig in der Vision. Khadgar und Garona blieben stehen und hielten den Atem an. Würde der gegenwärtige Medivh sie in der Stille bemerken?
Seine Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf Aegwynn in der Vergangenheit. »Du bist nicht mein Sohn«, sagte sie.
Der gegenwärtige Medivh vergrub das Gesicht in den Händen. Seine vergangene Version sagte: »Nein. Ich bin nie dein Sohn gewesen. Zumindest niemals ganz.«
Und der vergangene Medivh begann zu lachen. Es war ein tiefes donnerndes Lachen, das Khadgar schon einmal in der Eiswüste gehört hatte, als die beiden zuletzt gekämpft hatten.
Aegwynn wirkte schockiert. »Sargeras?«, stieß sie hervor, als sie die Stimme erkannte. »Ich habe dich getötet!«
»Du hast einen Körper getötet, Hexe. Du hast nur meine körperliche Abbildung vernichtet«, knurrte der Medivh aus der Vergangenheit. Khadgar konnte jetzt das zweite Wesen sehen, diesen anderen Schatten, der ihn auffraß. Ein Wesen aus Schatten und Feuer, mit einem Bart aus Flammen und Hörnern aus Ebenholz. »Du hast den Körper getötet und tief unter dem Ozean eingesperrt. Aber ich habe ihn geopfert, um eine größere Belohnung zu erlangen.«
Gegen ihren Willen legte Aegwynn eine Hand auf ihren Bauch.
»Ja, geliebte Mutter«, sagte der vergangene Medivh. Die Flammen leckten über seinen Bart, die Hörner bildeten sich aus dem Rauch auf seiner Stirn heraus. Es war Medivh – aber auch Sargeras. »Ich habe mich in deinem Bauch versteckt und in den Zellen deines ungeborenen Kinds gewartet. Ein Krebs, ein Geburtsfehler, ein Makel, mit dem du nie gerechnet hättest. Es war unmöglich, dich zu töten oder zu verführen. Also machte ich mich zu deinem Erben.«
Aegwynn schrie einen Fluch und riss die Hände empor. Ihr Ärger schloss sich um Worte, die nicht für menschliche Stimmen gedacht waren. Ein Blitz aus regenbogenfarbener Energie traf das Medivh/Sargeras-Wesen mitten in die Brust.
Das Phantom aus der Vergangenheit taumelte einen Schritt zurück, dann zwei. Erst dann hob es eine Hand und fing die Energie ab, die auf es einströmte. Das Zimmer roch nach verschmortem Fleisch. Sargeras/Medivh knurrte und spuckte. Er schrie seinen eigenen Zauberspruch und schleuderte Aegwynn damit quer durch den Raum.
»Ich kann dich nicht töten, Mutter«, zischte das Dämonenwesen. »Ein Teil von mir verhindert das. Aber ich werde dich zerbrechen. Zerbrechen und verbannen, und wenn du geheilt bist und zurückkehrst, wirst du in ein Land kommen, das mir gehört. Dieses Land und der Orden von Tirisfal!«
In der Gegenwart schrie Medivh wie eine verlorene Seele. Er bat den Himmel um eine Vergebung, die er niemals erhalten hatte.
»Das ist unser Stichwort«, sagte Garona und zog an Khadgars Kleidung. »Lass uns verschwinden, so lange wir noch können.«
Khadgar zögerte einen Moment, dann folgte er ihr zur Treppe.
Sie rannten drei Stufen auf einmal nehmend hinab und wären beinahe mit Moroes zusammengestoßen.
»Aufgeregt«, bemerkte er ruhig. »Probleme?«
Garona lief an dem Verwalter vorbei, aber Khadgar ergriff ihn an der Schulter. »Der Meister ist verrückt geworden.«
»Verrückter als sonst?«, erwiderte Moroes.
»Das ist kein Witz«, sagte Khadgar, dann blitzten seine Augen auf. »Habt Ihr die Pfeife, um Greife zu holen?«
Der Diener hob eine mit Runen verzierte Metallpfeife. »Soll ich einen …«
»Ich mach das schon«, sagte Khadgar, nahm ihm die Pfeife aus der Hand und lief hinter Garona her. »Er will vor allem uns erwischen, aber Ihr solltet auch verschwinden. Nehmt Köchin und flieht so schnell Ihr könnt.«
Und damit rannte Khadgar weiter.
»Fliehen?«, fragte der Verwalter und sah Khadgar nach. Er grunzte. »Wo sollte ich denn hingehen?«