6 Aegwynn und Sargeras

Medivh blieb eine ganze Woche fort, und es war eine Woche, die Khadgar gut nutzte. Er richtete sich in der Bibliothek ein und ließ sich das Essen von Moroes dorthin bringen. Häufig kehrte er nicht einmal nachts in sein Quartier zurück und schlief stattdessen lieber auf einem der großen Tische der Bibliothek.

Er suchte nach Visionen.

Seine eigene Korrespondenz blieb unbeantwortet, während er die alten Bücher und Grimoires nach Antworten auf seine Fragen über Zeit, Licht und Magie durchforstete. Auf seine ersten Berichte waren schnelle Antworten der Magier der Violetten Zitadelle erfolgt. Guzbah wollte eine Abschrift des Epos über Aegwynn. Lady Delth erklärte, sie kenne keinen der Titel, die er ihr geschickt hatte. Konnte er sie ihr noch einmal schicken, dieses Mal mit dem ersten Absatz eines jeden Buches, damit sie sie vielleicht doch noch wiedererkennen konnte? Und Alonda bestand weiterhin darauf, dass es eine fünfte Troll-Rasse gab, und dass Khadgar offensichtlich nicht die richtigen Bestiarien zu Rate gezogen hatte. Der junge Magier ließ, während er einen Weg suchte, die Visionen zu kontrollieren, die Gesuche unerwidert.

Der Schlüssel zu seiner Beschwörung, so schien es, würde ein einfacher Fernsicht-Zauber sein, ein Wahrsage-Ritus, der einen Blick auf ferne Gegenstände und Orte erlaubte. Ein Buch mit priesterlicher Magie hatte ihn als eine Beschwörung heiliger Gesichte beschrieben, doch er funktionierte für Khadgar ebenso gut wie für die Kleriker. Obwohl dieses priesterliche Ritual für den Raum gedacht war, konnte man es mit ein paar Modifikationen vielleicht auch auf die Zeit anwenden. Normalerweise, und wenn man den Fluss der Zeit in einem determinierten Uhrwerk-Universum voraussetzte, war dies unmöglich.

Doch es schien, als sei zumindest in den Mauern von Karazhan die Zeit ein Stundenglas, und es war durchaus möglich, hier Splitter losgelöster Zeit aufzuspüren. Und sobald man ein Sandkorn der Zeit in seinen Griff gebracht hatte, sollte es leichter fallen, sich von einem Korn zum anderen zu bewegen.

Falls andere dies innerhalb der Mauern von Medivhs Turm bereits versucht haben sollten, so fand sich kein Hinweis darauf in der Bibliothek – außer vielleicht in den am besten gehütetsten oder unleserlichsten Büchern, die sich auf dem eisernen Balkon befanden. Seltsamerweise waren die Notizen in Medivhs eigener Handschrift nicht an den Visionen interessiert, während sie die Niederschriften anderer Besucher zu beherrschen schienen. Hielt Medivh diese Informationen an einem anderen Ort versteckt, oder war er tatsächlich stärker an Dingen interessiert, die sich außerhalb der Mauern des Turms abspielten, als an den Aktivitäten in dessen Innern?

Einen Zauber für einen neuen Zweck umzuformen, war eine komplexe Angelegenheit. Es reichte nicht aus, hier eine Beschwörungsformel zu ändern und dort eine Geste. Man benötigte ein tiefes und detailliertes Verständnis davon, wie Wahrsagen funktionierte, was es enthüllte und wie. Wenn man eine Handbewegung änderte oder einen andere Sorte Weihrauch benutzte, war das Ergebnis möglicherweise ein vollkommenes Scheitern, und die Energien verpufften nutzlos. Manchmal wurden die Energien auch wild und gerieten außer Kontrolle, aber im Allgemeinen war das einzige Ergebnis eines gescheiterten Zaubers ein frustrierter Zauberer.

Bei seinen Studien entdeckte Khadgar jedoch noch eine weitere Alternative: Wenn ein Zauber auf höchst spektakuläre Art versagte, war dies ein Hinweis darauf, dass der fehlgeschlagene Zauber der eigentlich beabsichtigten Beschwörung doch sehr nahe gekommen war. Die Magie versuchte, die Kluft zu schließen, und sorgte dafür, dass Dinge geschahen – wenn auch nicht immer mit dem Ergebnis, das der Magier beabsichtigt hatte. Natürlich überlebten die gescheiterten Zauberer solche Erfahrungen nur selten.

Während seiner Studien fürchtete Khadgar, dass Medivh jederzeit zurückkehren könne und wieder in die Bibliothek geweht käme, um nach dem so oft gelesenen Epos oder einer anderen Belanglosigkeit zu suchen. Würde er seinem Meister davon erzählen, was er versuchte? Und wenn er dies tat, würde Medivh ihn ermutigen – oder würde er ihm untersagen, es weiter zu probieren?

Nach fünf Tagen hatte Khadgar das Gefühl, dass er den nötigen Zauber fehlerfrei erstellt hatte. Der Rahmen blieb weiterhin jener der Fernsicht, aber Khadgar hatte ihm einen willkürlichen Faktor hinzugefügt, der ihm erlauben sollte, auf die Diskontinuitäten zuzugreifen, die im Turm zu existieren schienen. Diese Stücke verlorener Zeit würden etwas heller sein, ein wenig wärmer oder vielleicht einfach nur ein bisschen seltsamer als die unmittelbare Umgebung, und so sollten sie die volle Kraft des Zaubers anziehen.

Der Zauber, so er funktionierte, würde außerdem besser auf die jeweilige Vision ausgerichtet sein. Dies würde es ermöglichen, auch die Geräusche am anderen Ende zu hören und die Verzerrungen zu beseitigen, um die Laute ähnlich zu konzentrieren wie ein Greis es tut, der eine Hand an ein Ohr legt, um besser hören zu können. Dies würde nicht bei Geräuschen jenseits des zentralen Ortes funktionieren, aber der Zauberer sollte nun in der Lage sein, die Personen nicht nur zu sehen, sondern sie auch zu vernehmen.

Am Abend des fünften Tages hatte Khadgar seine Berechnungen beendet, den Zauber in Tabellen und Macht-Befehle geordnet und in einem einfachen Text niedergelegt. Sollte etwas schrecklich schieflaufen, so würde zumindest Medivh später in der Lage sein, zu erkennen, was geschehen war.

Medivh besaß natürlich einen lückenlosen Fundus mit Zauber-Komponenten, in der auch ein Schrank mit aromatischen und thaumaturgischen Kräutern und ein Lapidarium zerstoßener, Halbedelsteine standen. Aus diesen wählte Khadgar Amethyst aus, um in der Bibliothek seinen magischen Kreis auszubringen, der von Runen aus pulverisiertem Rosenquarz kreuz und quer durchschnitten wurde. Er ging noch einmal die Worte der Macht (von denen der junge Magier die meisten bereits gekannt hatte, bevor er Dalaran verließ) und die Gesten (fast alle neu erdacht) durch. In eine Beschwörungsrobe gekleidet (mehr um sein Glück zu fördern, als des Effektes wegen) trat er in das magische Rund.

Khadgar entspannte sich und ließ seinen Geist zur Ruhe kommen. Dies war kein schnell hingeworfener Kampfzauber oder beiläufiger Zaubertrick. Dies war eine tiefe und mächtige Beschwörung. Hätte er sie in der Violetten Zitadelle durchgeführt, so hätten ihn alle anderen Magier dringend davor gewarnt und wären gekommen, um dabei zu sein.

Er atmete tief ein und begann das Ritual.

In seinem Geist formte sich der Zauber, ein warmer Energieball. Er fühlte, wie er in seinem Innern gerann, während sich ein Regenbogen von Farben auf der Oberfläche kräuselte. Dies war der Kern des Zaubers, normalerweise schnell entsandt, um die reale Welt zu ändern, so wie es dem Magier gefiel.

Khadgar stattete die Energiekugel mit den Eigenschaften aus, die sie besitzen musste, um die Zeitfragmente aufzuspüren, die diesen Turm heimsuchten, sie zu durchsuchen und eine einzelne Vision herauszuschälen, die sich dann vor Khadgars Augen ausbreitete. Die Ideen sanken in die imaginäre Sphäre in seinem Geist ein, und diese begann auf einer höheren Frequenz zu summen, während sie nur noch die Freigabe und die Richtung erwartete.

»Bring mir eine Vision«, sagte der junge Magier. »Bring mir eine Vision des jungen Medivh.«

Mit dem Geräusch eines implodierenden Eis verschwand die Magie aus seinem Geist und sickerte in die reale Welt ein, um sein Geheiß zu erfüllen. Die Luft begann zu rauschen, und als Khadgar sich umblickte, verwandelte sich die Bibliothek um ihn, wie sie es schon einmal getan hatte. Die Vision bewegte sich langsam in seinen Raum, in seine Zeit hinein.

Erst als es plötzlich kälter wurde, erkannte Khadgar, dass er die falsche Vision beschworen hatte.

Sie bewegte sich plötzlich durch die Bibliothek, ein kalter Zugwind, als habe jemand ein Fenster offen gelassen. Die Brise wurde von einem Luftzug zu einem Frostwind und schließlich zu einem arktischen Sturm, und obwohl er wusste, dass dies nur eine Illusion war, zitterte Khadgar am ganzen Leib.

Die Wände der Bibliothek verschwanden, während die Vision eine weite Fläche von Weiß erfasste. Der eisige Wind wirbelte um die Bücher und Manuskripte und hinterließ, wo er vorüber zog, eine dicke, harte Schneedecke. Tische, Regale und Stühle wurden verhüllt und dann durch Wirbel dicker, schwerer Flocken ersetzt.

Und Khadgar befand sich auf einem Hügel. Seine Beine verschwanden bis zu den Knien in einer Schneewehe, doch sie hinterließen keine Spuren. Er war ein Geist in dieser Vision.

Trotzdem gefror sein Atem und stieg, während er sich umblickte, in kräuselndem Nebel vor seinem Gesicht nach oben. Zu seiner Rechten war ein Wäldchen mit dunklen Bäumen zu erkennen, schwer mit Schnee beladen. Weit zu seiner Linken befand sich eine große weiße Felswand. Khadgar glaubte zuerst, auf eine kreideartige Substanz zu blicken, aber dann erkannte er, dass es Eis war, als habe jemand einen gefrorenen Fluss aus seinem Bett gerissen und ihn senkrecht aufgestellt. Das Eisgebilde war so hoch wie die Berge von Dalaran, und kleine, dunkle Gestalten bewegten sich vor seiner Kulisse – Falken oder Adler, obwohl sie von gewaltiger Größe sein mussten, wenn sie wirklich den eisigen Klippen nahe waren.

Vor ihm lag ein Tal, und aus diesem Tal zog eine Armee herauf.

Die Armee schmolz den Schnee, während sie über ihn hinweg marschierte, und hinterließ eine schmutzige schwarze Linie wie die Spur einer Schnecke. Die Angehörigen der Armee waren in Rot gekleidet. Sie trugen große, gehörnte Helme und breite, steife, schwarze Umhänge. Es waren Jäger, denn sie trugen alle möglichen Arten von Waffen bei sich. Und sie waren erstaunlich groß.

An der Spitze der Armee hielt jemand eine Standarte, und auf dieser Standarte befand sich ein abgeschlagenes, blutiges Haupt. Es handelte sich um den Kopf einer großen, grünschuppigen Bestie. Khadgar erkannte zu seiner Überraschung einen Drachen.

Es gab den Schädel einer solchen Kreatur in der Violetten Zitadelle, aber er hatte nicht geglaubt, jemals einen Drachen zu sehen, der noch vor ganz kurzer Zeit am Leben gewesen sein musste. Wie weit zurück hatte diese Vision ihn tatsächlich geworfen?

Die Armee der Giganten brüllte etwas, das ein Marschlied sein mochte, doch genauso gut hätte es auch eine Kette von Flüchen oder Schlachtrufen sein können. Die Stimmen waren gedämpft, als kämen sie aus der Tiefe eines Brunnens hervor, aber immerhin konnte Khadgar sie hören.

Als sie sich näherten, wurde ihm klar, was sie waren. Ihre verzierten Helme waren keine Helme, es waren Hörner, die aus ihrem eigenen Fleisch herausragten. Und ihre Umhänge waren keine Umhänge, sondern riesige, fledermausartige, aus ihrem Rücken sprießende Schwingen. Ihre roten Rüstungen waren ihr eigenes dickes Fleisch, das heiß aus seinem Innern heraus glühte und so den Schnee zum Schmelzen brachte.

Es waren Dämonen, Kreaturen aus Guzbahs Vorträgen und Korrigans geheimen Pamphleten. Monströse Wesen, die selbst die Orks an Blutdurst und Sadismus noch übertrafen. Die großen, breitklingigen Schwerter hatten offensichtlich erst vor kurzem Blut gekostet, und jetzt konnte Khadgar sehen, dass auch ihre Körper von Blut besudelt waren.

Sie waren hier – wo auch immer und wann auch immer hier sein mochte –, um Drachen zu jagen.

Ein leises Geräusch erklang hinter Khadgar, nicht lauter als Schritte auf einem dicken Teppich. Er wandte sich um und erkannte, dass er nicht allein auf dem Hügel war, der über der Jagdgesellschaft der Dämonen aufragte.

Sie hatte sich ihm von hinten genähert, und wenn sie ihn sah, so nahm sie keine Notiz von ihm. Ebenso wie die Dämonen ein Fleisch gewordener Fluch auf dem Land waren, so strahlte auch sie ihre eigene Art von Macht aus. Es war eine leuchtende Kraft, die um sie zu wirbeln und sich zu verstärken schien, während sie gleitend über die Oberfläche des Schnees hinweg schritt. Sie war real, aber ihre weißen Lederstiefel hinterließen nur die allerschwächsten Spuren im Schnee.

Sie war groß und stark und ohne Angst vor den Abscheulichkeiten im Tal. Ihre Kleidung war weiß und unbefleckt vom Schnee, der sie umgab, und sie trug ein Hemd aus kleinen, silbernen Schuppen. Ein weiter, weißer Fellumhang mit einem Futter aus grüner Seide bauschte sich hinter ihr und wurde an ihrem Hals von einem großen, grünen Stein festgehalten, der zu der Farbe ihrer Augen passte. Ihr langes, blondes Haar wurde durch einen silbernen Stirnreif gebändigt. Sie schien die Kälte weniger zu spüren als der geisterhafte Khadgar.

Doch es waren ihre Augen, die seine Aufmerksamkeit erregten – grün wie ein sommerlicher Wald, grün wie polierte Jade, grün wie der Ozean nach einem Sturm. Khadgar erkannte diese Augen wieder, denn er hatte ihren durchdringenden Blick bereits gespürt. Es waren die gleichen Augen wie sie ihr Sohn besaß.

Dies war Aegwynn, Medivhs Mutter, die mächtige, fast unsterbliche Zauberin, so alt, dass sie längst zur Legende geworden war.

Und jetzt wurde Khadgar auch klar, wo er sich befinden musste. Dies war Aegwynns Kampf gegen die Dämonenhorden, eine Legende, die nur in Fragmenten erhalten war, in den Gesängen eines Epos in einer Schriftrolle der Bibliothek.

Mit einem Stich im Herzen erkannte Khadgar, dass sein Zauber fehlgeschlagen war. Medivh hatte nach der Schriftrolle gefragt, bevor er ging – das letzte Mal, dass Khadgar ihn gesehen hatte. War der Zauber daneben gegangen und hatte eine Vision Medivhs aus dessen eigener Vergangenheit verfehlt, weil der Magus vor kurzem nach dieser Legende gesucht hatte?

Aegwynn runzelte die Stirn, während sie hinab zu der dämonischen Jagdgesellschaft blickte, und die einzelne Furche, die ihre Augenbrauen trennte, verriet ihr Missfallen. Ihre Jade-Augen blitzten, und Khadgar ahnte, welch ein Sturm der Macht sich hinter ihnen zusammenbraute.

Es dauerte nicht lange, bis diese Wut sich einen Weg bahnte. Aegwynn erhob einen Arm, sang einen kurzen, abgehackten Satz, und Blitze tanzten auf ihren Fingerspitzen.

Es waren nicht die einfachen Blitze eines Zauberers, nicht einmal die schwersten Schläge eines sommerlichen Gewitters. Dies war die Inkarnation einer elementaren Kraft, die sich durch die kalte Luft bog und ihr Ziel unter den überraschten Dämonen fand. Die Luft wurde in ihre Elemente aufgespalten, als der Blitz durch sie hindurch fuhr, und sie roch scharf und bitter, wo er vorüber gezogen war. Obwohl Khadgar wusste, dass er hier nur ein Phantom war, obwohl er wusste, dass dies eine Vision war – trotz all dieser Umstände und der Tatsache, dass der Lärm durch seinen geisterhaften Zustand gedämpft wurde, verzog Khadgar das Gesicht und zuckte zurück vor dem Blitz und dem metallischen Grollen des mystischen Donners.

Der Blitz traf den Standartenträger, der den abgeschlagenen Kopf des grünen Drachen trug. Er verbrannte den Dämon, und jene, die um ihn herum marschierten, wurden von den Beinen gerissen. Sie fielen wie glühende Kohlestücke in den Schnee. Manche von ihnen standen nicht wieder auf.

Aber die Mehrheit der Jagdgesellschaft befand sich außerhalb des Bannkreises von Aegwynns Zauber, ob nun durch Zufall oder mit Absicht. Die Dämonen, jeder von ihnen größer als zehn Männer, wichen entsetzt zurück, aber ihre Verwirrung dauerte nur einen Moment. Der Größte von ihnen brüllte etwas in einer Sprache, die wie das Geläut gebrochener Glocken klang, und die Hälfte der Dämonen flog auf. Sie breiteten ihre ledrigen Schwingen aus und stießen auf Aegwynn (und Khadgar) zu. Die anderen zogen eiserne Pfeile und schwere Bögen aus schwarzer Eiche hervor. Als sie ihre Pfeile abschossen, entzündeten sich diese, und ein Regen aus Feuer erhob sich über den Dämonen und raste auf die blonde Frau zu.

Aegwynn blieb ganz ruhig und hob in einer eleganten Bewegung eine Hand. Die Luft zwischen ihr und dem Feuerregen explodierte in einer Wand bläulicher Flammen, die die orange-roten Pfeile verschlang, als seien sie einfach in einen Fluss gefallen.

Doch die Pfeile hatten nur Deckung für die eigentlichen Angreifer sein sollen, die durch die blaue Feuerwand brachen, als diese sich auflöste, und die sich nun von oben auf Aegwynn stürzten. Es mussten mindestens zwanzig sein, jeder von ihnen ein Gigant, und sie verdunkelten den Himmel mit ihren riesigen Schwingen.

Khadgar blickte auf Aegwynn und sah, dass sie lächelte. Es war ein wissendes, selbstbewusstes Lächeln, ein Lächeln, das der junge Magier auch auf Medivhs Gesicht gesehen hatte, als dieser gegen die Orks kämpfte. Sie war mehr als zuversichtlich.

Khadgar blickte hinab ins Tal, wo die Bogenschützen waren. Sie hatten ihre nutzlosen Waffen aufgegeben und sich zu einem Kreis versammelt. Nun sangen sie in einem tiefen, brummenden Ton. Die Luft verzerrte sich um sie, und ein Loch erschien in der Realität, eine dunkle Bösartigkeit vor dem unberührten Weiß. Und aus dem Loch quollen weitere Dämonen – Kreaturen in allen nur erdenklichen Gestalten, mit den Köpfen von Tieren, mit flammenden Augen, mit den Schwingen von Fledermäusen und Insekten und großen Raubvögeln. Diese Dämonen schlossen sich dem Chor in seinem schrecklichen Gesang an, und der Riss öffnete sich weiter. Er saugte mehr und mehr von der Brut des Twisting Nether in die kalte Luft des Nordens.

Aegwynn beachtete die Sänger und die Verstärkung nicht, sondern konzentrierte sich ganz gelassen auf jene, die sich von oben auf sie herabstürzten.

Sie schwang eine Hand durch die Luft. Alle fliegenden Gestalten wurden vom Himmel geschmettert. Die Hälfte von ihnen verwandelte sich in Glas und zersplitterte beim Aufprall mit einem hässlichen Misston. Jene, die noch lebten, landeten mit einem schweren, dumpfen Geräusch und erhoben sich wieder, blutgetränkte Waffen in den Händen. Es waren noch zehn übrig.

Aegwynn legte ihre linke Faust auf ihre erhobene rechte Handfläche, und vier der Überlebenden schmolzen. Das rote Fleisch floss von ihren Knochen, während sie in die Schneewehen fielen. Sie schrien entsetzlich, bis sich ihre verfallenden Kehlen mit ihrem eigenen flüssig gewordenen Fleisch füllten. Es waren noch sechs übrig.

Aegwynn griff nach der Luft, und drei weitere Dämonen explodierten, als ihre Innereien sich in Insekten verwandelten und sie zerrissen. Sie hatten nicht einmal mehr Zeit zu schreien, als ihre Leiber durch Schwärme von Stechmücken, Bienen und Wespen ersetzt wurden, die dem kleinen Wald entgegen strebten. Es waren noch drei übrig.

Aegwynn zog ihre Hände auseinander, und einem Dämon wurden die Arme und Beine von unsichtbaren Klauen aus dem Torso gerissen.

Noch zwei. Aegwynn hob zwei Finger, und ein Dämon verwandelte sich in Sand. Sein letzter Fluch verlor sich im kalten Wind.

Noch einer. Es war der Größte von ihnen, der Anführer, der die Befehle gebrüllt hatte. Aus der Nähe konnte Khadgar sehen, dass seine nackte Brust von Narben übersät war. Eine Augenhöhle war leer, in dem anderen Auge brannte der Hass.

Er griff nicht an. Auch Aegwynn rührte sich nicht. Stattdessen standen sie sich ein paar Sekunden lang bewegungslos gegenüber, während sich das Tal unter ihnen mit Dämonen füllte.

Schließlich knurrte der riesige Dämon, und seine Stimme klang klar, wenn auch wie aus weiter Ferne an Khadgars Ohr.

»Du bist eine Närrin, Wächterin von Tirisfal«, sagte er und passte seine Lippen mühsam der unbequemen, menschlichen Sprache an.

Aegwynn stieß ein Lachen aus, das so scharf und dünn war wie ein Glasdolch. »Bin ich das, Foulspawn? Ich bin gekommen, um euch die Drachenjagd zu verderben, und es scheint, als hätte ich Erfolg gehabt.«

»Du bist zu sehr von deiner eigenen Macht geblendet, Närrin«, sprach der Dämon mit schwerer Zunge. »Während du gegen wenige gekämpft hast, riefen meine Brüder von der Hexerei andere herbei – eine Legion von Dämonen! Jeder Inkubus und kleine Teufel, jeder Alptraum und Schattenhund, jeder Dunkle Lord und Captain der Brennenden Legion, alle sind sie hierher gekommen, während du gegen diese Wenigen gekämpft hast.«

»Ich weiß«, sagte Aegwynn ruhig.

»Du weißt?«, brüllte der Dämon mit kehligem Lachen. »Du weißt, dass du allein in der Wildnis bist und dir alle Heerscharen der Dämonen gegenüber stehen. Du weißt

»Ich weiß«, sagte Aegwynn, und in ihrer Stimme spiegelte sich das Lächeln, das auf ihren Lippen lag. »Ich wusste, du würdest so viele deiner Verbündeten rufen wie nur möglich. Ein Wächter ist einfach ein viel zu verlockendes Ziel, als dass ihr dem widerstehen könntet.«

»Du weißt?«, schrie der Dämon wieder. »Und trotzdem kamst du allein an diesen verlassenen Ort?«

»Ich weiß«, sagte Aegwynn. »Aber ich habe niemals gesagt, ich sei allein gekommen.«

Aegwynn schnippte mit den Fingern, und plötzlich verdunkelte sich der Himmel, als sei ein großer Vogelschwarm aufgestört worden und verdecke die Sonne.

Nur waren dies keine Vögel. Es waren Drachen. Khadgar hätte nicht gedacht, dass überhaupt so viele Drachen existierten. Sie schwebten auf ihren gigantischen Schwingen über der Landschaft und warteten auf das Signal der Wächterin.

»Foulspawn von der Brennenden Legion«, sagte Aegwynn. »Du bist es, der hier der Narr ist.«

Der Dämonen-Anführer stieß einen Schrei aus und reckte sein blutiges Schwert, aber Aegwynn war zu schnell für ihn. Sie hob eine Hand mit drei ausgestreckten Fingern. Die narbenbedeckte Brust Foulspawns löste sich auf und ließ nur eine Wolke blutiger Splitter zurück. Seine muskulösen Arme sanken herab, seine Beine gaben nach, und er brach zusammen. Sein Gesicht, auf dem noch immer ein Blick entsetzter Überraschung eingegraben war, fiel nach vorne in den schmelzenden Schnee und verschwand.

Das war das Signal für die Drachen. Sie alle wandten nun ihre Köpfe der versammelten Horde der gerufenen Dämonen zu. Die großen, fliegenden Kreaturen stürzten herab, und Flammen schossen aus ihren geöffneten Mäulern. Die vorderste Reihe der Dämonen wurde verbrannt, in einem einzigen Augenblick zu nicht mehr als Asche reduziert, während andere versuchten, ihre Waffen zu ziehen, ihre eigenen Zauber bereit zu machen, zu fliehen.

Im Zentrum der Armee erhob sich ein Gesang, der nun ein intensives Flehen war – und ein leidenschaftlicher Ruf. Dies waren die Mächtigsten der dämonischen Hexer, die ihre Energie konzentrierten, während die Krieger an den Rändern die Drachen mit tödlichen Opfern bekämpften.

Die Dämonen gruppierten sich neu und schlugen zurück, und auch Drachen begannen nun, vom Himmel zu fallen, ihre Körper von eisernen Pfeilen und flammenden Blitzen durchbohrt, ihr Geist von zauberischen Giften und höllischen Visionen heimgesucht. Doch weiter schrumpfte der Kreis um das Zentrum der Dämonen, als mehr und mehr Drachen sich für die Jagd rächten. Die Rufe im Zentrum wurden verzweifelter und undeutlicher.

Khadgar betrachtete Aegwynn. Sie stand stocksteif im Schnee, ihre Fäuste waren geballt, ihre grünen Augen brannten vor Macht, und ihre Lippen hatten sich zu einem bösen Grinsen geöffnet. Auch sie sang, etwas Dunkles und Unmenschliches, das Khadgar noch nie zuvor gehört hatte. Sie bekämpfte den Zauber, den die Dämonen gewoben hatten, aber sie entzog ihm auch Energie für sich selbst und formte sie zu einem Schwert, das für ihre Hände bestimmt war – einer hellen Klinge, um ihre Feinde zu vernichten.

Die Schreie der Dämonen im Zentrum erreichten eine fiebrige Höhe, und jetzt schrie auch Aegwynn, während ein Nimbus von Energie um sie herum knisterte. Ihr Haar wehte in mystischen Winden um ihren Kopf. Sie erhob beide Arme und entließ die letzten Worte ihrer Beschwörung.

Und es gab einen Blitz im Zentrum der dämonischen Horde, wo die Hexer sangen und schrien und beteten. Es war ein Riss im Universum, dieses Mal ein heller Spalt, als habe sich ein Tor zur Sonne selbst geöffnet. Die Energie wirbelte in Spiralarmen heraus, und die Dämonen hatten nicht einmal genug Zeit zu schreien, als sie sie ergriff, sie von innen heraus verbrannte und nur tote Schatten zurückließ, wo sie gerade noch gestanden hatten.

Alle Dämonen wurden von dem Zauber erfasst und auch ein paar der Drachen, die sich dem Zentrum der dämonischen Horde zu sehr genähert hatten. Sie waren gefangen wie Motten in einer Flamme und starben in einem einzigen furchtbaren Augenblick.

Aegwynn stieß einen matten Atemzug aus und lächelte. Es war das Lächeln des Wolfs, des Raubtiers, des Siegers. Wo die dämonische Horde gewesen war, stand jetzt nur noch eine Rauchsäule, die sich als große Wolke zum Himmel erhob.

Doch während Khadgar zusah, wurde die Wolke flacher und sammelte sich um sich selbst, wurde dunkler und intensiver, wie eine düstere Gewitterfront. Doch indem sie ihre Macht konzentrierte, wurde sie stärker, und ihr Herz wurde schwärzer, wurde Purpur und Ebenholz.

Aus der finsteren Wolke trat ein Gott.

Es war eine titanische Gestalt, größer als alle Riesen der Legenden, größer als jeder Drache. Die Haut des Gottes sah aus, als sei sie aus Bronze gegossen, und er trug eine schwarze Rüstung aus geschmolzenem Obsidian. Sein langer Bart und sein wildes Haar bestanden aus lebenden Flammen, und mächtige Hörner ragten über seinen dunklen Brauen hervor. Seine Augen hatten die Farbe des Unendlichen Abgrunds. Als er seine Füße in diese Welt setzte, bebte die Erde. Er trug einen gigantischen Speer, in den Runen eingegraben waren, von denen brennendes Blut tropfte, und er hatte einen langen Schwanz, der in einem Feuerball endete.

Die überlebenden Drachen flohen vom Schlachtfeld und suchten die Sicherheit des dunklen Waldes und der fernen Felswände. Khadgar konnte es ihnen nicht verübeln. So viel Macht Medivh auch besitzen mochte, so viel Macht seine Mutter hier bewiesen hatte, sie waren nur zwei kleine Kerzen verglichen mit der wütenden Feuersbrunst der Macht dieses Dämonenlords.

»Sargeras«, zischte Aegwynn.

»Wächterin«, donnerte der große Dämon mit einer Stimme, die so tief war wie der Ozean. In der Ferne zerbarsten die eisigen Klippen, als sie sein höllisches Organ als Echo zurückwerfen wollten.

Die Wächterin richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und sagte: »Ich habe dein Spielzeug zerbrochen. Wir sind hier fertig. Flieh, so lange du noch dein Leben hast.«

Khadgar sah die Wächterin an, als habe sie den Verstand verloren. Selbst er konnte sehen, dass sie von ihrem Kampf erschöpft war, fast so leer wie Khadgar nach seiner Konfrontation mit den Orks. Sicher durchschaute der titanische Dämon ihre List. Das Epos sprach von Aegwynns Sieg. Würde Khadgar stattdessen Zeuge ihres Todes werden?

Sargeras lachte nicht, aber seine Stimme donnerte über das Land hinweg und drückte es nieder, auch den geisterhaften Khadgar.

»Die Zeit von Tirisfal ist zu Ende«, erklärte der Dämon. »Diese Welt wird bald der Invasion der Brennenden Legion zum Opfer fallen.«

»Nicht so lange es einen Wächter gibt«, sagte Aegwynn. »Nicht so lange ich lebe und jene, die nach mir kommen.« Ihre Finger schlossen sich, und Khadgar konnte sehen, dass sie Macht in sich hinein zog, ihren Geist, ihren Willen und ihre Energie für einen großen Angriff konzentrierte. Khadgar trat einen Schritt zurück, dann noch einen, dann einen dritten. Wenn sein älteres Selbst ihn in der Vision hatte sehen können, wenn der junge Medivh ihn hatte sehen können, konnten ihn dann nicht auch diese beiden großen Mächte, Zauberin und Monster, wahrnehmen?

Oder war er vielleicht zu klein, um von Wesen wie ihnen bemerkt zu werden?

»Ergib dich jetzt«, sagte Sargeras. »Ich könnte jemanden von deiner Stärke gebrauchen.«

»Nein«, sagte Aegwynn, ihre Hände zu festen Fäusten geballt.

»Dann stirb, Wächterin, und lass deine Welt mit dir sterben«, sagte der titanische Dämon und hob seinen blutenden Runenspeer.

Aegwynn riss beide Hände in die Höhe und entließ einen wilden Schrei, halb Fluch, halb Gebet. Ein flammender Regenbogen von Farben, wie man ihn auf dieser Welt noch nie gesehen hatte, brach aus ihren Handflächen hervor und schlängelte sich nach oben wie ein lebender Blitz. Er drang wie ein Dolch ins Zentrum von Sargeras’ Brust ein.

Der Angriff schien Khadgar wie ein Bogenschuss, der gegen ein Schiff abgefeuert wurde, ebenso klein, ebenso wirkungslos. Doch Sargeras stolperte unter dem Schlag, wurde einen halben Schritt zurückgeworfen und ließ seinen großen Speer fallen. Die Waffe schlug auf den Boden wie ein Meteorit, der in die Erde fährt. Der Schnee kräuselte sich unter Khadgars Füßen. Er fiel auf ein Knie, blickte aber weiter zum Dämonen-Lord auf.

Wo Aegwynns Zauber den Dämon getroffen hatte, dehnte sich Finsternis aus. Nein, nicht Finsternis, eher Kälte. Das heiße, bronzene Fleisch des Titanen starb und wurde durch eine kalte, leblose Masse ersetzt. Sie breitete sich vom Zentrum seiner Brust aus wie eine Feuersbrunst und verschlang das dämonische Fleisch.

Sargeras betrachtete die sich ausweitende Vernichtung mit Überraschung, dann Besorgnis, dann Furcht. Er hob eine Hand, um sie zu berühren, und sie sprang auch auf seine Finger über, fraß sich den Arm hinauf und verwandelte ihn in eine tote Masse rauen, schwarzen Metalls. Nun begann Sargeras einen eigenen Zauber zu singen. Er zog alle Energie, die er besaß, zusammen, um den Prozess umzukehren, um die Flut zu stoppen, um das ihn verschlingende Feuer zu löschen. Seine Worte wurden heißer und leidenschaftlicher, und seine noch nicht angegriffene Haut flackerte vor leuchtender Energie. Er strahlte wie eine Sonne und schrie Flüche, als die dunkle Kälte den Ort erreichte, wo sein Herz sein musste.

Und dann gab es einen weiteren Blitz. Dieser war ebenso intensiv wie jener, der die Dämonenhorde verschlungen hatte, und er konzentrierte sich auf Sargeras. Khadgar sah weg, blickte auf Aegwynn, die zuschaute, wie das Feuer und die Finsternis ihren Feind verschlangen. Das grelle Leuchten ließ selbst das Tageslicht verblassen, und lange Schatten dehnten sich hinter der Zauberin aus.

Und dann war es vorüber. Khadgar blinzelte, als das Sehvermögen seiner Augen zurückkehrte. Er wandte sich wieder dem Tal zu, und dort stand der titanische Sargeras, leblos wie eine Statue aus Eisen. Die Macht war aus ihm herausgebrannt. Unter seinem Gewicht begann der erhitzte arktische Boden nachzugeben, und langsam fiel die tote Gestalt nach vorne. Sie blieb heil, als sie zu Boden schmetterte.

Für einige Sekunden herrschte Stille.

Dann lachte Aegwynn. Khadgar blickte sie an, und sie sah ausgezehrt aus, sowohl von Erschöpfung als auch von Wahnsinn. Sie rieb sich die Hände und kicherte und begann, zu dem gestürzten Titanen hinabzusteigen. Khadgar bemerkte, dass sie nicht länger leichten Fußes über den Schnee glitt, sondern sich jetzt ihren Weg den Hügel hinabschleppen musste.

Als sie ihn verließ, begann die Bibliothek zurückzukehren. Der Schnee löste sich in dicke Dampfwolken auf, und die schattenhaften Umrisse der Regale, der oberen Galerie und der Stühle wurden langsam wieder sichtbar.

Khadgar wandte leicht den Kopf dorthin, wo der Tisch hätte sein sollen, und alles war wieder normal. Die Bibliothek stellte ihre Realität mit sicherer Plötzlichkeit wieder her.

Khadgar stieß einen frostigen Atemhauch aus und rieb sich die Hände. Kühl, aber nicht kalt. Der Zauber hatte ziemlich gut funktioniert – im Großen und Ganzen, wenn auch nicht in allen Einzelheiten. Er hatte eine Vision gerufen, wenn auch nicht die gewünschte. Die Frage war, was schiefgelaufen war, und wie man das Problem am Besten löste.

Der junge Magier griff nach seinem Schreiber-Beutel und zog einen leeren Streifen Pergament und Werkzeuge heraus. Er steckte eine Metallfeder auf das Ende des Griffels, schmolz etwas von der Octopus-Tinte in einer Schale und begann schnell alles aufzuschreiben, was geschehen war, vom Beginn des Zaubers bis zu Aegwynns tiefem Einsinken in den Schnee, als sie davonging.

Stunden später schrieb er immer noch, als ein kränkliches Husten in der Tür zu hören war. Khadgar war so in seinen Gedanken versunken, dass er den greisen Diener nicht bemerkte, bis Moroes ein zweites Mal hustete.

Khadgar blickte leicht irritiert auf. Da war etwas Wichtiges, das er niederschreiben wollte, aber es fiel ihm nicht mehr ein. Eine Bewegung im Augenwinkel seines Geistes.

»Der Magus ist zurück«, verkündete Moroes. »Will dich im Observatorium sehen.«

Khadgar blickte Moroes ein paar Sekunden lang mit leeren Augen an, bevor die Worte in seinen Geist sickerten. »Medivh ist zurück?«, gelang es ihm schließlich hervorzubringen.

»Das habe ich gesagt«, ächzte Moroes. Er schien jedes Wort nur widerwillig auszusprechen. »Du wirst mit ihm nach Stormwind fliegen.«

»Stormwind? Ich? Warum?« fragte der junge Magier.

»Weil du sein Schüler bist, darum«, versetzte Moroes mürrisch. »Observatorium. Ich habe schon die Greife gerufen.«

Khadgar blickte auf seine Arbeit, Zeile um Zeile in ordentlicher Handschrift, die jedes Detail genau beschrieb. Aber da war noch etwas, das er vergessen hatte. Stattdessen sagte er: »Ja. Ja. Ich werde meine Sachen zusammensuchen. Das hier zu Ende schreiben.«

»Lass dir Zeit«, sagte der Kastellan. »Es ist nur der Magus, der mit dir nach Stormwind fliegen will. Nichts Wichtiges.« Und Moroes verschwand wieder im Gang. »Observatorium«, ließ er noch einmal seine Stimme hören, fast wie einen nachträglichen Einfall.

Stormwind!, dachte Khadgar. König Llanes Burg! Was konnte so wichtig sein, dass er dorthin gehen musste? Vielleicht ein Bericht über die Orks?

Khadgar blickte von seinem Pergament auf. Die Nachricht von Medivhs Rückkehr und ihrem baldigen Aufbruch hatte seine Gedanken unterbrochen, und jetzt war sein Geist bei der neuen Mission. Er blickte auf die letzten Worte, die er geschrieben hatte.

Aegwynn hat zwei Schatten, stand dort.

Khadgar schüttelte den Kopf. Welchen Weg sein Geist auch immer gerade genommen hatte, er hatte ihn verloren. Er löschte sorgfältig die überschüssige Tinte ab, damit sie nicht schmierte, und legte das Pergament zur Seite. Dann sammelte er sein Werkzeug zusammen und eilte in sein Quartier. Er würde sich umziehen müssen. Für den Ritt auf einem Greifen benötigte er Reisekleidung. Und es war wohl besser, seinen guten Zaubermantel einzupacken, falls er dem König begegnen sollte.

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