Die Lagerfeuer loderten, Holzkloben prasselten in den Flammen, der Wind trieb die Funken hoch in den Nachthimmel, es roch nach gebratenem Fleisch, verschwitzten Kleidern und nach fremdem, romantischem Abenteuer.
Zigeuner waren ins Dorf gekommen. Zehn blitzende große Wagen mit Wohnanhängern, geräumig wie kleine Bungalows. Langsam waren sie am Vormittag durch die stille Dorfstraße von Barsfeld gezogen, bestaunt von den Kindern, argwöhnisch beobachtet von den Bauersfrauen, die sofort ihre auf den Leinen hängende Wäsche ins Haus holten.
Aber sie kamen nicht unangemeldet, die Zigeuner. Ein >Quar-tiermacher< war am Tag vorher in Barsfeld gewesen und hatte um Erlaubnis nachgesucht, zwei Tage irgendwo mit seiner Sippe rasten und einen Kinderzirkus vorführen zu dürfen.
«Haben wir gutes Pferd«, sagte der dunkel gelockte Mann mit dem wetterbraunen zerfurchten Gesicht. Er trug einen eleganten Maßanzug, italienische Schuhe, einen französischen Schlips und einen englischen Hut. Zigeuner kommen heute nicht mehr in Lumpen, wie man sie aus Operetten oder Klischeefilmen kennt… sie sind Handelsleute, besitzen einen Wandergewerbeschein und zahlen Steuern — auf die letztere Feststellung legen sie besonderen Wert. So blätterte auch der abenteuerlich aussehende Mann dem Bürgermeister von Barsfeld seine Papiere auf den Tisch: Paß, Sozialversicherungskarte, Gewerbeschein als Zirkusunternehmer und Textilvertreter, letzte Abmeldung von der Behörde in Ebbenrode, das lag vierzig Kilometer nördlich von Barsfeld. Sogar ein Brief des Bischofs von Paderborn war dabei, in dem dieser bestätigte, daß die Sippe Zugan Kaiman eine im Glauben an Christus gefestigte kleine Gemeinde sei.
Das gab den Ausschlag. Der Bürgermeister von Barsfeld wies den Zigeunern ein gemeindeeigenes Wiesenstück am Flüßchen Bars zu.
Ortspolizist Jens Bisterfeld erhielt den Auftrag, für Ordnung zu sorgen.
Nun waren sie da — eine Karawane von teuren Autos und Wohnwagen. Eine Demonstration der Geschäftstüchtigkeit.»Wie bei 'ner Versammlung von Industriebossen«, sagte der Bauer Rumpfe, der mit seinem Trecker um das Zigeunerlager herumgekreist war und den Barsfeldern die ersten Nachrichten brachte.»Sitzen da wie die dicken Wilhelms, verrückt, sage ich euch. Anzüge wie aus 'nem Nek-kermannkatalog und dann ein Lagerfeuer wie im Mittelalter. «Und unter der Hand, augenzwinkernd:»Und schicke Weiber heben se dabei. So schwarzgelockte, wißt ihr… mit Feuer im Hintern. «Er lachte glucksend, rieb sich die Handflächen an der Hose ab und trank noch einen Schnaps. In der Schankstube von Gasthof und Hotel >Zur Eiche<, der einzigen Wirtschaft von Barsfeld, verbreitete sich Spannung. Was hatte Barsfeld schon zu bieten? Saftige Weiden, eine Ziegelei, einen guten Wald, Rehwild und H.H.
Dieses H.H. bedeutete Horst Hartung. Er war das Renommierstück von Barsfeld, die einzige Verbindung zur großen, weiten Welt, denn Hartung besaß nicht nur ein Mustergut — nicht groß, aber gepflegt wie ein Schmuckkästchen —, eine kleine Pferdezucht und eine Reitschule, sondern er war auch ein international bekannter Turnierreiter. Immer, wenn irgendwo ein Preisspringen stattfand und das Fernsehen den Kampf um Hindernishöhe und Sekunden übertrug, saß Barsfeld vor dem Bildschirm und starrte auf seinen Bürger Horst Hartung. Gewann er, trank man auf sein Wohl, verlor er, überschüttete man ihn mit bitterer Kritik. Man sieht — Barsfeld kann überall liegen. Seine Einwohner sind so wie alle Menschen.
Das war aber auch alles, was der kleine Ort zu bieten hatte. Das große Leben floß an ihm vorbei wie ein ferner Strom, die Politik endete im Gemeinderat, und außer hin und wieder einem Sterbefall gab es wenig Abwechslung im täglichen Einerlei.
Nun aber waren Zigeuner gekommen. Hübsche schwarzgelockte Frauen, Männer, die völlig frei und ungebunden wirkten — eine Karawane aus dem Morgenland gewissermaßen. Sie bauten ihre chromblitzenden Autos wie eine Wagenburg auf — die Barsfelder kannten das vom Fernsehen, so machten es die Trecks im Wilden Westen auch, aus den Wohnwagen erklang Radiomusik, ein kleines Zeltdach wurde hochgezogen; es erinnerte an einen Zirkus, dessen Romantik immer mehr stirbt, vier Pferde wieherten an den Pflöcken, der Bauer Muckemann lieferte Strohballen und eine große Schütte Heu, hielt sofort die Hand auf und bekam auch sofort sein Geld. Und dann wurde es Abend, die Lagerfeuer loderten auf, die ersten Besucher umstanden das Zigeunerlager und starrten auf die fremden Menschen aus einer anderen Welt.
Und um 20 Uhr — so hatten die Zigeuner durch Handzettel bekanntgegeben — war die erste Vorstellung. Gemeindepolizist Bisterfeld begutachtete die Sicherheitsvorkehrungen und wunderte sich über die Kombination von Zirkus und Textilverkauf. Denn neben der >Manege<, einer kreisrunden Bahn aus Sand — ihn lieferte der Bauunternehmer Vierbach, zum Sonderpreis von 10,- DM je Tonne frei Manege —, bauten die Zigeuner Stände mit Unterwäsche, Schürzen, Kittelkleidern, Cordhosen, Oberhemden, Tischdecken, Federbetten, Steppdecken und Teppichen auf.
«Sie bleiben eben Gauner«, sagte Bisterfeld leise zum Bürgermeister, der als Ehrengast geladen war.»Aber die Kerle haben den Dreh 'raus wie kein anderer. Wetten, die machen bei uns ein Bombengeschäft!«
Die Zirkusvorstellung war schlecht. Siffa, eine bildhübsche junge Zigeunerin im engen Trikot, hüpfte vom Boden auf ein trabendes Pferd und wieder hinunter, kniete auf dem Rücken des Gaules, streckte das linke Bein von sich und lächelte so verführerisch, daß sie Applaus bekam, als habe sie einen dreifachen Salto geboten. Dann kam Zugan Kaiman, der Sippenchef, in die Manege, schluckte Feuer und spie es wieder aus, verschluckte zehn flammende Fackeln, blies dann einen Berg Papier an und steckte ihn damit in Brand.
«'n alter Hut«, sagte Polizist Bisterfeld leise zu seinem Bürgermeister.»Das wär 'ne Nummer — Flammen schlucken und durch den Hintern wieder ausblasen.«
Die Umstehenden lachten und klatschten. Zugan verbeugte sich
und bot als Zugabe noch ein kleines Feuerwerk.
Dann trabten alle vier Pferdchen in das Rund, und für eine Mark durfte jeder drei Runden reiten. Obzwar man in Barsfeld umsonst reiten konnte, denn die meisten Bauern besaßen noch Pferde, drängte man sich in die Manege. Siffa, die temperamentvolle Schöne aus dem Süden, half jedem in den Sattel. Und das war schon eine Mark wert.
Unbemerkt von den meisten war während der bescheidenen Vorstellung auch Horst Hartung zum Zigeunerlager gekommen. Er erschien zu Pferde, so, wie man ihn kannte, in hellen Reithosen, braunen Stiefeln und einer karierten Jacke. Auf den braunen Haaren trug er eine braune Sportmütze. Bei dem Stand für Tischwäsche stieg er ab und warf seinem Pferd die Zügel über den Kopf. Es blieb stehen, scharrte mit dem rechten Vorderhuf im Gras und sah dann mit hochgestellten Ohren auf die lodernden Lagerfeuer neben dem Manegenrund.
Auf der Sandbahn trabten die vier Pferde. Immer im Kreise, mit hängenden Köpfen, geduldig und im dressierten Schritt. Zugan Kaiman stand in der Mitte, ließ ab und zu die lange Peitsche knallen, schrie:»Hoi! Hoi!«und verbreitete damit Spannung. Gleich mußten die Zigeunerpferdchen losrennen — Peitschenknallen und Schreie, das mußte sie wild machen. Aber sie trabten lammfromm weiter, hoben nur ab und zu den Kopf und blähten die Nüstern. Das einzige Zeichen von Temperament.
Hartung lehnte sich an einen der Wohnwagen und beobachtete die armen Pferde. Von Pferden verstand er so viel, daß man in Barsfeld behauptete, wenn es eine Seelenwanderung gäbe, müßte Horst Hartung früher ein Pferd gewesen sein. Seine Zucht war berühmt, und seine beiden Springpferde kannte die ganze Welt. In der Wohn-halle seines Hauses blitzten in meterlangen Glasschränken die er-rittenen Trophäen: Becher, Kelche, Teller, Pokale, Medaillen, Figuren, eine Galerie von Silber und Gold.»Er denkt sogar wie ein Pferd«, behaupteten die Barsfelder.»Deshalb heiratet er auch nicht. Was soll eine Frau mit einem Mann, der im Bett wiehert?«
Das war zwar übertrieben, aber eines stimmte: H.H. war der eisernste Junggeselle zwischen Hamburg und Münster. Warum — darüber sprach er nicht. Im Wirtshaus hatte man versucht, seinen Pferdepfleger und Vertrauten Pedro Romanowski auszuhorchen, aber Romanowski, Ostpreuße, in Berlin aufgewachsen, starrte nur dumpf ins Glas, sagte:»Leckt mich. «und schwieg wieder. Aber soviel bekam man doch heraus: Irgendwann einmal war Horst Hartung verlobt gewesen, eine Komteß soll es sogar gewesen sein, aber die große Liebe zerbrach an den Pferden. Immer unterwegs, immer Turniere, immer nur Pokale sammeln, Ruhm und Anerkennung, das war zuviel gewesen. Eine junge Frau will geliebt werden, aber nicht immer nur ihren Geliebten im Sattel sehen, zwar mit Siegeslorbeeren umkränzt, doch weit von ihrem Bett. Seitdem ging H.H. den Frauen nicht aus dem Weg, aber er umgab sein Herz mit einem undurchdringlichen Panzer.
Das hatte Romanowski nach vielen Wirtshausbesuchen langsam von sich gegeben. Überhaupt Pedro Romanowski — von ihm wird noch eine Menge zu erzählen sein.
Die Zigeunerpferdchen machten eine Pause. Die Reiter, meistens halbwüchsige Jungen, stiegen ab, die schöne, glutäugige Siffa zeigte noch ein Kunststück: Sie sprang auf den Rücken einer goldschimmernden Stute, breitete die Arme aus und ließ sich zweimal um die Manege tragen. Dann sprang sie mit einem einfachen Salto auf den Boden.
Horst Hartung beobachtete mit zusammengekniffenen Augen nicht die verführerische Siffa, bei der man beim Salto ein gut Teil ihrer festen Brüste sehen konnte, sondern die goldschimmernde Stute.
Sie hatte einen schönen, ebenmäßigen Kopf mit einer leichten Rammsnase, große, braune, ausdrucksvolle Augen, einen wunderbaren gebogenen Hals beim Trab, einen selten anmutigen stechenden Schritt und eine so kräftige Hinterhand, daß Hartung dachte: Damit müßte sie über die Hindernisse fliegen, als gäbe es gar keine Höhen und Weiten.
Er stieß sich von der Wohnwagenwand ab, trat näher an das Stall-zelt heran und steckte die Hände in die Taschen seiner Reithosen.
Die goldschimmernde Stute gab eine Sondervorstellung. Sie stellte sich auf die Hinterhand, tanzte nach einer Tonbandmusik durch den Sand und wieherte laut. Aber das war kein einstudiertes Wiehern, sondern ein hoffnungsloser, verzweifelter Protest. Hartung verstand ihn sofort, er sah die Augen der Stute, die Stellung der Ohren, die Haltung des Halses, die Beine stampften im Sand, die Vorderhufe schlugen durch die Nachtluft, die Peitsche Zugan Kaimans knallte, und das Pferd tanzte, um sein Futter zu verdienen, es wieherte seinen Protest hinaus, und alle, die ihn hörten, klatschten Beifall, weil es >so schön< klang.
Dann war die Vorstellung zu Ende. Die Zuschauer gingen zurück nach Barsfeld, die meisten in das Wirtshaus >Zur Eiche<, denn Zuschauen macht durstig. Die Frauen umlagerten die Verkaufsstände, das eigentliche Geschäft begann zu laufen. Nur vier junge Burschen hielten aus, sie drückten sich in der Nähe des Wohnwagens herum, in dem die schöne Siffa wohnte. Erst als Geza Bodvany erschien, ein Bulle von Zigeuner, mit den Händen wedelte und» Weg! Weg!«sagte, verschwanden auch sie in Richtung Barsfeld.
Zugan Kaiman betrachtete nachdenklich den Mann in Reitkleidung, der neben dem Pferdezelt stand und keine Anstalten machte, wegzugehen. Drei Pferde waren schon im Zelt angepflockt, nur die goldschimmernde Stute blieb noch in der Bahn. Sie lief jetzt an einer Longe im Kreis, und es war ein anderes Laufen als während der Zirkusvorstellung. Hier entfaltete sich Temperament, lief sich die ungenützte Kraft müde.
Zugan ließ die Longe fallen und kam auf Hartung zu. Die Stute, befreit von allem Zwang, begann zu galoppieren. Ein herrlicher Galopp, kraftvoll, ein Spiel der Muskeln, eine Lebenslust, die ansteckte.
«Schönes Pferdchen, was?«sagte Zugan und schnalzte mit der Zunge.»Ist echtes Araber.«
«Lügen Sie nicht. «Hartung lächelte breit.»Die Stute ist ein Hannoveraner mit einem Schuß Holsteiner.«
«Oh!«Zugan Kaiman rollte die schwarzen Augen und klemmte die lange Peitsche unter den Arm.»Sie verstehen Zucht von Pferde?«
«Ich züchte selbst. Woher haben Sie die Stute?«
«Ist gekommen aus Spanien von bestes Freund, der ist großes Pferdekenner.«
«Und das soll ich Ihnen glauben?«
«Warum nicht?«Kaiman lächelte. Sein zerknittertes braunes Gesicht mit dem dünnen Bärtchen auf der Oberlippe verzog sich und wurde fast schön.»Wissen Sie anderes?«
«Natürlich nicht. Wie alt ist die Stute?«
«Fünf Jahre. Ehrlich.«
«Das wiederum glaube ich Ihnen unbesehen. Darf ich einmal in die Bahn? Ich möchte sie näher kennenlernen.«
«Sie wird Sie umrennen, Herr!«Zugan legte dramatisch beide Hände an die schwarzen Haare.»Ein wildes Vieh ist sie. Rennt Sie einfach um!«
Hartung schüttelte den Kopf. Er trat aus der Dunkelheit des Zeltes in die kümmerliche Manege und blieb in der Mitte stehen. Er tat nichts, er stand nur da und beobachtete das Pferd, das um ihn herumgaloppierte.
Die Stute blickte zu ihm hin. Ihre großen braunen Augen musterten ihn, während des Galoppierens drehte sie den Kopf nach ihm, als wolle sie sagen: Nun sieh mich an. Bin ich nicht schön? Ist mein Tritt nicht voller Kraft? Und beachte, wie ich meinen Hals halte! Sie wieherte, und diesmal klang es anders, lockender, befreiter.
Die goldschimmernde Stute blieb plötzlich stehen. Ihr Fell dampfte in der Nachtluft, glänzte wie Seide und war wie mit rötlichem Gold überpudert. Hartung streckte die rechte Hand aus. Das Pferd nickte und kam langsam näher. Drei Schritte vor dem fremden Menschen blieb es stehen und sah ihn an, die Ohren weit zurückgelegt.
«Weg!«schrie Zugan Kaiman und hüpfte auf beiden Beinen.»Weg, Herr, ein Teufel ist sie! Gleich kommt sie!«
Und die Stute kam wirklich. Nur galoppierte sie nicht auf den
Mann, sondern machte fast zierlich die letzten drei Schritte vorwärts, hob den herrlichen Kopf und legte ihn Hartung dann auf die Schulter. Die heiße Luft aus ihren Nüstern blies ihm in den Nacken, der Schweiß des goldenen Felles näßte seine Wange.
Hartung griff in die Rocktasche, holte eine Mohrrübe heraus und hielt sie hoch. Mit weichem Maul nahm die Stute den Leckerbissen und begann zu kauen. Ihre Augen sahen dabei Hartung mit fast menschlicher Dankbarkeit an.
«So ein Aas!«schrie Zugan Kaiman vom Zelt.»So ein Schauspieler. Mein Herr, gehen Sie weg! Sie versauen mir mein bestes Pferd.«
Hartung und die Stute blickten sich stumm an. Nur wer Pferde kennt und liebt, wer ihre Seele erforscht hat und weiß, daß auch sie zu Empfindungen fähig sind, nur wer wie die Araber in einem Pferd eine Gnade Allahs sehen und behaupten kann: Aus der Sonne, ihr Götter, habt ihr ein Pferd gemacht! — nur der kann verstehen, was in diesen Sekunden zwischen Hartung und der goldschimmernden Stute vorging.
Es war Liebe auf den ersten Blick, es war ein stummer Bund fürs Leben.
«Was kostet sie?«fragte Hartung und legte beide Hände um die weichen Nüstern. Zärtlich leckte ihm die Stute die Handflächen.
«Kostet?«Zugan Kaiman rannte wie ein Irrer in die Manege.»Unverkäuflich! Mein Broterwerb ist sie. Was soll ich ohne sie?«
«Nennen Sie einen Preis!«
«Sie ist wert soviel wie hundert andere normale Pferde.«
«Sie ist soviel wert wie ein Pferd.«
«Sie kann tanzen, im Walzertakt, Foxtrott, Samba, Cha-Cha-Cha!«
«Sie soll bei mir leben wie ein Pferd.«
Zugan Kaiman verdrehte die Augen, als würge ihn jemand.»Fünftausend«, sagte er heiser.»Und mein Herz bricht dabei.«
«Zweitausend. Und Ihr Herz jubelt.«
«Soll ich mich selbst umbringen?«brüllte Kaiman.»Soll ich mich jedesmal, wenn ich in einen Spiegel schaue, anspucken? Viertausend, und ich weine sechs Wochen lang.«
«Dreitausend! Auf die Hand. Und Sie lachen ein ganzes Jahr.«
«Dreitausend. O heiliger Sankt Georg! O blutende Madonna von Toledo! Hört euch diesen Barbaren an! Er zerreißt mich in Stücke!«Zugan Kaiman begann zu weinen. Wirklich, dicke Tränen rollten aus seinen Augen. Fasziniert von diesem Schauspiel starrte Hartung ihn an.»Dreitausend. Meine Kinder werden mich verachten, meine Frau wird sich mir entziehen! Aber ich bin ein guter Mensch, viel zu gut für diese Welt! Nehmen Sie Pferd für dreitausend. Sie machen mich zwanzig Jahre älter vor Kummer!«
Er streckte die rechte Hand aus, und Horst Hartung schlug ein. Der Kauf war perfekt — wie überall auf der Welt galt der Handschlag als unlösbarer Vertrag über einen Pferdekauf. Zugan Kaiman hörte auf zu weinen und wurde sachlich wie ein Finanzbeamter.»Wo bekomme ich Geld?«
«Kommen Sie mit zu mir. Ich reite voraus.«
«So machen wir es. Ich folge Ihnen mit Laska.«
«Laska heißt sie also?«Hartung streichelte die Stute zwischen den Augen. Sie preßte den Kopf gegen seine Hände, eine Liebkosung, in der Kraft und Anschmiegsamkeit zugleich lagen.»Willst du zu mir, Laska?«
Die Stute schien ihn zu verstehen. Sie ging ein paar Schritte zurück und scharrte im Sand. Die Nüstern hoben sich, es war, als lächelte sie.
«Das werde ich dir abgewöhnen«, sagte Hartung ruhig.»Von heute ab bist du kein Zirkuspferd mehr. Du sollst laufen und springen lernen. Du sollst leben wie ein richtiges Pferd.«
«Oh, sie kann springen!«rief Kaiman und klatschte in die Hände.»Über jeden Zaun springt sie! Ist das nicht viertausend wert?«
«Dreitausend, und keinen Pfennig mehr. «Hartung drehte sich um und ging zu seinem wartenden Pferd. Es sah zu der fremden Stute hin, die Hartung folgte, als gäbe es keinen Zugan Kaiman mehr, der schimpfend neben ihr herlief. Erst als Zugan aufsaß, warf Las-ka den Kopf in den Nacken und stemmte die Vorderbeine ins Gras.
«Sehen Sie sich den Teufel an!«brüllte Kaiman und hieb die Stiefelabsätze in die Flanken der Stute.»Reiten Sie bloß los, sonst kriege ich das Vieh nicht mehr von der Stelle.«
Es war wirklich so, als warte Laska auf Hartungs Abreiten. Als er im leichten Trab in die Nacht hineinritt, folgte sie ihm, als säße Zu-gan gar nicht auf ihrem Rücken. Sie stach die Beine vor, holte Hartung ein und setzte sich neben ihn. Dann spielte sie mit den Ohren, betrachtete die Stute, auf der Hartung saß, wieherte dunkel und kurz und hatte damit das andere Pferd gewarnt.
Sieh dich vor, hieß dieser dunkle Laut. Spiel dich nicht auf!Ich liebe den Herrn, ich allein! Wer mir in die Quere kommt, wird erleben, wer der Stärkere ist. Ich bin ungezähmt aufgewachsen, sieh dich vor!
Auch Hartung verstand dieses kurze Wiehern.
Zwischen uns wird es noch manchen Kampf geben, dachte er. Nicht alles ist eitel Liebe, wir werden miteinander arbeiten müssen, bis wir schweißgetränkt sind. Du mußt alles vergessen, was du in deinem bisherigen fünfjährigen Leben gelernt hast. Du mußt als Pferd neu geboren werden. Aber wir werden es schaffen, nicht wahr, wir haben aufeinander gewartet, irgendwann mußten wir uns begegnen. Wir werden einmal die Welt das Staunen lehren.
Wir werden gemeinsam kämpfen und siegen.
Nicht umsonst heißt du Laska. Laska ist ein tschechisches Wort und heißt >Die Liebe<.
Seite an Seite trabten Hartung und Laska durch die Nacht, als sei es immer so gewesen.
Zugan Kaiman bekam seine dreitausend Mark, trank noch zwei Gläser Kognak, bewunderte das kleine Gut Hartungs, besichtigte die Ställe, deren schön sterile Sauberkeit er in den höchsten Tönen lobte, begrüßte Pedro Romanowski, der — obgleich Hartung ihm eine Wohnung zur Verfügung gestellt hatte — in einer mit einem Bett und einem Tisch eingerichteten Box im Pferdestall schlief, und ließ es sich gefallen, daß Romanowski ihn mit» Aha, der Roßtäuscher «begrüßte (für dreitausend Mark muß man auch mal schwerhörig sein). Ja, und dann nahm Kaiman Abschied von Laska, warf sich an ihren Hals, heulte wie ein Schloßhund, schrie Worte in einer seltsamen kehligen Sprache und riß sich dann los, mit einer Dramatik, die selbst Romanowski bestaunte.
Ins Zigeunerlager zurückgekehrt, empfing ihn seine gesamte Sippe wie einen Sieger. Zugan wedelte mit den Geldscheinen, die alte Emelga, die Spezialistin für Bettwäsche und Handlesen war, stieß ein heiseres Geheul aus, Siffa umarmte ihr Väterchen, und der bärenstarke Geza Bodvany rief:»Freunde, das war ein guter Abend! Laßt uns feiern. «Auch die anderen der Sippe fanden, daß Zugan wieder einmal sein Genie gezeigt habe, und umarmten den Alten reihum.
«Warten wir jetzt ab«, sagte Kaiman, als sie alle im Pferdezelt standen, und blickte auf seine goldene Armbanduhr.»In spätestens drei Stunden ist Laska wieder hier. Buschi«- das war der Sohn von Zugans Schwester —,»du versteckst sie sofort auf der anderen Seite des Flusses im Wald und wartest, bis wir morgen in Steinfels sind. «Er rieb sich die Hände, lachte in die Runde und ließ sich einen Schnaps einschenken.»Das ist das fünfzehnte Mal, daß Laska verschwindet und wieder zurückkommt. Habe ich nicht ein gutes Auge gehabt, meine Lieben, als ich sie dem Roßschlächter in Celle abkaufte? Fohlenfleisch wollte er aus ihr machen, der kleine Idiot! Und was haben wir gemacht? Wir haben mit Laska schon 42.000 Mark verdient. Immer ist das treue Viecherl zurückgekommen. «Er sah wieder auf die Uhr.»Noch drei Stunden, und dreitausend Mark hat sie uns gebracht, mein goldenes Schätzchen!«
Die Feuer brannten nieder und wurden ausgestampft. In den Wohnwagen erloschen die Propangaslampen. Stille senkte sich über die kleine Zigeunerwagenburg. Schlaf. Zufriedenheit.
Nur Kaiman und Buschi blieben auf, saßen draußen im Dunkeln am Pferdezelt auf zwei Klappstühlen, rauchten und warteten auf Las-ka.
«Ein Grund mehr, eifersüchtig zu werden«, sagte Angela Diepholt. Sie stand im Stall hinter Laska und lehnte sich gegen die zurückgeschobene Gittertür.
Zwischen Angela Diepholt und Horst Hartung bestand seit fünf Jahren ein merkwürdiges Verhältnis. Sie liebten sich, und während Angela immer wieder ihre Liebe zeigte, wich Hartung ihr aus und flüchtete gewissermaßen zu seinen Pferden. Die bittere Erfahrung seiner ersten großen Liebe war fast zu einem Trauma geworden.»Erst wenn ich vom Pferd falle und nicht mehr aufsteigen kann«, sagte er einmal,»habe ich Zeit für eine Frau. Bis dahin wird jede Frau meine Pferde hassen, weil sie mich ihr wegnehmen.«
Angela Diepholt bestritt das. Ihr Vater war Professor für Mineralogie an der Universität Göttingen, sie besaßen ein großes Landhaus bei Barsfeld, und es war selbstverständlich gewesen, daß Angela den berühmten Springreiter Hartung zuerst bewunderte und dann, bei näherer Bekanntschaft, auch zu lieben begann. Siebenmal — Romanowski hatte es mitgezählt — standen sie kurz vor der offiziellen Verlobung, dann kam ein Turnier dazwischen, H.H. reiste in der Welt herum, und als er mit seinen Silberpokalen und Goldmedaillen nach Barsfeld zurückkehrte, sprach niemand mehr von Verlobung. Bis zur nächsten großen Liebesszene, bis zur nächsten Katastrophe. Fünf Jahre ging das hin und her, Angela Diepholt machte ihr Diplom als Ökonomin, nur mit dem Ziel, einmal das Gut Hartung gut verwalten zu können.
«Ich habe ihn irgendwann mal soweit, Vater«, sagte sie immer wieder, wenn Zweifel an ihrer Zukunft aufkamen.»Wir lieben uns. Horst ist — um in seiner Sprache zu reden — das schwierigste Tier auf dem Parcours. Und ich habe einen Plan, wie ich ihn kleinkriege.«
Nun stand sie neben Laska, bewunderte das goldschimmernde Pferd und hatte soviel Verstand und Gefühl, um zu wissen, daß es berechtigt war, auf dieses Tier eifersüchtig zu sein. Hartung saß vor Laska auf dem Krippenrand und sah zu, wie sie genüßlich im gemahlenen Hafer wühlte.
«Ein schönes Pferd«, sagte Angela.»Aber ob du es fertigbringst, ihr die Zirkusmanieren abzugewöhnen? Sie wird immer im Kreis traben, und wenn sie Musik hört, wird sie zu tanzen beginnen. Stell dir das vor — auf dem Parcours in Aachen ein Pferd, das um die Hindernisse tänzelt.«
«Wir werden trainieren auf Teufel komm 'raus. «Hartung streichelte Laska die lange, ungeschnittene Mähne.»Sieh dir ihre Hinterhand an. Was da für eine Sprungkraft sitzt! Zwei, drei Jahre, und sie erobert alle Turnierplätze der Welt.«
«Zwei, drei Jahre«, wiederholte Angela gedehnt und hob fragend die Stimme.»Ich werde in alle Ewigkeit deine unsterbliche Geliebte sein!«
«Angi!«Hartung drückte Laskas Kopf zur Seite. Mit haferverschmierten Nüstern versuchte sie, ihn zu küssen.»Müssen wir uns wieder darüber streiten? Ich tauge nicht für den sogenannten häuslichen Herd. In vierzehn Tagen bin ich schon wieder in London, dann in Rom, am Ende des Monats in Madrid. Angi!«Hartung ging um Laska herum, legte den Arm um Angela und küßte sie auf die Augen.»Laß uns vernünftig sein.«
«Ich liebe dich, Horst«, sagte sie leise.»Mein Gott, ich kann nichts dafür, ich liebe dich eben. Auch dagegen kann man nichts machen.«
Sie küßten sich, und sie wußten, daß sie diese Nacht wieder zusammen sein würden, Mann und Frau und dennoch eins, aber am Morgen verflog die Illusion der Einheit wie die Nebelschleier über den Weiden in der Morgensonne.
Die Pferde! Die verdammten Pferde! Und jetzt auch noch Laska, schön und eifersüchtig wie eine Nebenbuhlerin.
Laska drehte den Kopf nach hinten, als Hartung Angela küßte. Sie wieherte, trat gegen die Seitenwand, donnerte den Huf gegen das Holz.
«Es fängt schon an«, sagte Angela tief atmend.»Laska und ich, wir werden uns hassen.«
Schnell schob Hartung die Boxentür zu und verließ mit Angela den Stall. Hinter ihnen krachte es. Laska stieg hoch und hieb mit den Hufen gegen die Wände. Vor ihren Nüstern stand Schaum.
Keiner wußte, wie sie es geschafft hatte, aber als Pedro Romanowski aus dem ersten Schlaf erwachte und wie immer über die Boxen hinblickte, war die Tür zu Laskas Box aufgeschoben und das Pferd verschwunden.
«Ein Luder!«schrie Romanowski.»Ein verfluchtes Luder! Det wird noch 'ne Arbeet mit der!«Er rannte aus dem Stall, aber draußen war natürlich nichts zu sehen und zu hören. Die Frühnebel stiegen aus den Weiden empor, die Sonne schwamm in einer weißlichen Dunstschicht. Nur das Krähen von Emil, dem Hahn, einem bunten Italiener, unterbrach die Morgenstille.
Romanowski fluchte, wusch sich unter der Pumpe im Hof, und stellte sich dann unter das Schlafzimmerfenster Hartungs. Es muß sein, dachte er. Auch wenn er noch so weich in ihren Armen liegt. Laska, das Aas, ist auf und davon. Jetzt hilft keine Diskretion mehr.
«Herrchen!«schrie er.»Aufwachen, Herrchen!«Es war eine der Besonderheiten des Ostpreußen Romanowski, da er zwar in Berlin aufgewachsen war, aber an den Denkweisen seiner Heimat festhielt. Für ihn war Hartung die halbe Welt, die andere war der Pferdestall. Alles andere war für ihn nur eine Randerscheinung.
«Herrchen! Laska ist weg! Det Luder ist ausjebrochen!«
Am Fenster erschien Hartung. Hinter ihm, ungeniert, tauchte der Kopf Angelas auf. Wie Romanowski gehörte sie auf diesen Hof, und Romanowski erkannte das an.
«Weg is se!«schrie er.»Boxentür uff, und jehört hab ick ooch nischt. Det fangt ja jut an, Herrchen!«
Zehn Minuten später saßen Hartung und Romanowski im Sattel und ritten zum Zigeunerlager.
Dort herrschte echte Trauer. Zugan rannte herum wie von Sinnen, Buschi und Geza Bodvany waren heiser vom lauten Rufen, die alte Emelga hockte auf einem Campingstuhl und legte zum siebtenmal die Karten.»Sie kommt nicht wieder!«schrie sie zu Zugan hinüber.»Die Karten sagen es.«
«Ich fresse die verdammten Karten auf!«brüllte Kaiman und drehte sich um sich selbst.»Sie muß kommen! Vierzehnmal ist sie ausgerissen, warum nicht jetzt.«
«Sie liebt ihren neuen Herrn.«
«Liebt! Als ob ein Gaul eine Seele hat! Ist sie nicht darauf dressiert, auszureißen und zurückzukommen? Spätestens jetzt, wo der Stall offen ist, muß sie kommen. Bis jetzt hat sie noch jeden umgerannt.«
«Sie kommt nicht!«sagte die alte Emelga stur. Sie warf die Karten hin und hustete.»Die Karten lügen nicht.«
«Reiter!«schrie Geza, der außerhalb der Wagenburg stand.»Der Mann, der Laska gekauft hat. Und dieser schreckliche Knecht. Zugan, Laska ist doch weg!«
«Aber wo ist sie?«brüllte Kaiman und hielt sich den brummenden Schädel.»Warum ist sie nicht hier? Mein Gott, man hat sie auf dem Weg zu mir geklaut. Der heilige Stephan verfluche den Dieb! Meine schöne, treue Laska!«
Hartung und Romanowski trafen auf eine Zigeunersippe, die äußerst erstaunt tat, als man sie fragte:»Ist das Pferd hier?«
«Wieso?«fragte Kaiman mit bebender Stimme zurück.»Sie haben es gekauft, mein Herr. Warum soll es hier sein? Ist Laska weg? So eine Tragödie! Sie waren es nicht wert, ein solches Pferd zu besitzen! O Gott, o Gott, hätte ich sie doch nie verkauft!«Der letzte Satz war ehrlich und klang aufrichtig verzweifelt.
Romanowski kümmerte sich nicht um den Protest der Zigeuner. Er sah sich um, im Zelt, zwischen den Wohnwagen, verfolgt von den finsteren Blicken der Männer. Sie sollten ihm Angst einjagen, aber wer bekam es schon fertig, Romanowski Angst zu machen? Und wäre der Teufel persönlich gekommen, er hätte mit ihm Skat gespielt und ihm auch noch den letzten Dukaten abgenommen.
«Nischt«, sagte Romanowski nach Erkundung des Lagers.»Det Luder is im Jelände. Fangen wir an mit de Suche.«
Horst Hartung mobilisierte ganz Barsfeld, nach Laska zu suchen. Mit Treckern und Autos, auf Fahrrädern und zu Pferde durchstreifte alles die Gegend. Der rote Wagen der Freiwilligen Feuerwehr beteiligte sich ebenso wie der Polizist Jens Bisterfeld, der auf einem Motor-rad, mit Sturzhelm und Sprechfunkgerät, durch die Waldschneisen brauste und schließlich in einem Sumpfloch steckenblieb.
Zugan Kaiman und seine Zigeunersippe schwärmten aus und durchkämmten das Gelände. Ihre Rufe» Laska! Laska! Laska!«schallten weithin über das stille Land.
Aber Laska blieb verschwunden. Pferdespuren gab es genug, doch damit konnte in Barsfeld keiner etwas anfangen. Man hatte selber zu viele Pferde im Ort.
«Sie ist weg!«sagte Zugan nach mehrstündiger Suche und weinte.»Einfach weg. Wer weiß, wo sie auftaucht. Ein Pferd, das Gott geküßt hat. Ein Jammer!«
Und dabei blieb es. Die Suchaktion wurde eingestellt, Hartung stiftete für alle Beteiligten Schnaps und Bier im Wirtshaus >Zur Ei-che<, am nächsten Morgen zogen die Zigeuner weiter. Sie waren tiefbetrübt und begriffen nicht, daß Laska zwar ausgebrochen war, aber dann vergessen hatte, zurückzukehren.
«Auf nichts ist mehr Verlaß«, klagte Zugan Kaiman.»Nicht mal auf ein Pferd.«
«Nur auf die Karten!«sagte die alte Emelga, und diesmal widersprach ihr niemand.
Romanowski schlief fest und schnarchte wie eine Baumsäge, als leise die Stalltür aufgedrückt wurde und ein großer Schatten fast lautlos hereinkam. Es klapperte leise auf dem Steinboden, ein verhaltenes Schnauben, dann beugte sich ein schmaler Kopf mit großen, glänzenden braunen Augen hinunter zu Romanowski. Weiche Nüstern glitten über sein Gesicht und zwickten ihn dann in die Schulter.
Mit einem Schrei schoß Romanowski hoch.
«Du Luder!«schrie er und umarmte den Hals, der vor ihm hin und her pendelte.»Du verdammtes rotes Aas! Du, du. «Er preßte den Pferdekopf und bekam keine Luft mehr vor Freude und Glück.»Wo kommste denn her?«stammelte er Laska ins Ohr.»Mädchen, wo warste denn? O Jott, haste mir Kummer jemacht!«
Am Morgen erlebte Hartung sein schönstes Frühstück. Er saß auf der kleinen Terrasse des Herrenhauses und schnitt gerade ein Brötchen auf, als Romanowski um die Ecke geritten kam. Unter ihm tänzelte eine in der Sonne golden schimmernde Fuchsstute.
«Laska!«rief Hartung und sprang auf. Der Tisch fiel dabei um, er setzte über die Scherben des Geschirrs hinweg und rannte auf das Pferd zu.»Laska!«
Das Pferd hob den herrlichen Kopf und wieherte triumphierend. Dann stieg es vorne hoch, Pedro Romanowski stieß einen Urlaut aus und flog in hohem Bogen auf die Erde. Halb betäubt blieb er dort hocken. Er sah, wie Laska auf Hartung zutrabte und den Kopf auf seine Schulter legte. Demütig, glücklich, ja verliebt. Ihre Nüstern streichelten seine Wange.
«Hol dich der Deibel!«schrie Romanowski auf der Erde.»Herrchen, mit der erleben wir noch unser blaues Wunder! Det is ja keen Pferd nich. Det hat der Satan ausjeschissen!«
Eine Stunde später fuhr Angela Diepholt mit ihrem kleinen Sportwagen auf den Innenhof von Gut Hartung. Als sie Laska vor dem Stall stehen sah, gesattelt, in der Sonne glänzend wie bronziert, blieb sie im Auto sitzen und hupte nur dreimal. Hartung erschien in der Stalltür.
«Ich sehe, die Geliebte ist zurückgekommen!«rief sie ihm zu.»Dann kann ich ja wieder fahren?«
«Blödsinn. Steig aus und trink mit mir Kaffee. Ich habe das erste Frühstück auf die Erde gekippt.«
«Laska wird auch das zweite Frühstück umwerfen. «Sie schwang sich aus dem Wagen. Laska legte die Ohren zurück. Ihr Blick wurde böse. Hartung bemerkte die Veränderung des Tieres und packte es an der Trense.
«Das hört auf, mein Mädchen«, sagte er ernst.»Angi gehört zu uns, wie du jetzt zu uns gehörst. Es gibt keine Feindschaft, sonst rasseln wir beide aneinander. Und das wird schlimm für dich, mein Liebling. Benimm dich also.«
Er ließ die Trense los. Laska senkte den Kopf, scharrte über den Boden und sah Hartung nicht mehr an. Nur als Romanowski kam und sie wegführen wollte, stieß sie den Kopf nach vorn und schnaubte laut. Romanowski blieb in respektvollem Abstand vor ihr stehen.
«Deibel!«knurrte er leise.»Deibel verfluchter!«
Es war eine Haßliebe zwischen den beiden, wie es sie selten zwischen Mensch und Pferd gibt.
Langsam setzte sich Laska in Bewegung. Romanowski folgte ihr, eine aufgerollte Longe über dem rechten Arm. Laska ging um das Haus herum, immer im gleichen Abstand von Hartung und Angela, und blieb unterhalb der Treppe zur Terrasse stehen. Von dort blickte sie unverwandt auf Hartung, wie er mit Angela Kaffee trank, sein Frühstück aß und die Morgenpost öffnete. Wie ein vergoldetes Denkmal stand sie da, unbeweglich, nur der Wind spielte in ihrer Mähne, und ab und zu verscheuchte ein Schwanzschlag die Fliegen.
«Ich bringe keinen Bissen 'runter«, sagte Angela leise und legte beide Hände auf Hartungs Rechte.»Sie sieht mich an wie ein Mensch. Sie wird mir unheimlich.«
«Das stimmt. So ein Pferd habe ich noch nie gehabt. «Hartung stand auf, brach ein großes Stück Brot und hielt es Laska hin. Sie nahm es ganz vorsichtig, mit weichen Nüstern und voll Zärtlichkeit.
«Wann beginnst du mit dem Training?«
«Morgen.«
«Morgen schon?«Angela sah Laska fast mit Schaudern an.»Glaubst du, daß du sie noch umerziehen kannst?«
«Ja. «Hartung setzte sich wieder. Der Blick Laskas war voller Sanftmut.»Es wird einen mörderischen Kampf geben. Auf Biegen und Brechen. Der Stärkere wird siegen, wie immer. Und der andere wird sich unterordnen müssen.«
«Und du wirst der Stärkere sein?«»Ja.«
«Und wenn nicht?«
«Ich muß es sein. Laska und ich werden einmal die Reiterwelt erobern.«
«Und wenn sie doch die Stärkere ist?«
Hartung blickte auf Laska. Ihr Kopf war erhoben, die Nüstern blähten sich, es war, als rieche sie die Sonnenstrahlen.
«Wir werden kämpfen, bis uns der Atem wegbleibt«, sagte er.»Und morgen früh beginnen wir.«