Flucht durch die Wüste

Ich gebe Ihnen eine Million«, sagte Joe Heerekamp mit einer so ruhigen Stimme, als bestelle er eine Tasse Kaffee.»Eine Million in bar. Ich glaube, das ist ein Angebot, wie Sie es nie wieder erhalten.«

Horst Hartung musterte den Mann, der mit einer Million rechnete wie andere mit hundert Mark. Es war ein kleiner, dicklicher, gemütlich wirkender Mann in einem khakifarbenen Anzug und mit einem breitkrempigen weißen Hut auf dem spärlich behaarten Kopf. Mit der rechten Hand stützte er sich auf einen Spazierstock, an der linken baumelte ein Fotoapparat, mit dem er gerade Laska fotografiert hatte. Angela Diepholt führte das Pferd hinüber zum Übungsgarten, wo einige mittelschwere Hindernisse aufgebaut waren. Romanowski stand bereits in der Mitte des Platzes und beschäftigte sich mit der Longe. Die Morgenarbeit begann. Lockerungsübungen und das Gewöhnen an das ungewohnte afrikanische Klima.

Seit fünf Tagen waren die deutschen Springreiter in Johannesburg, der Millionenstadt im Süden Afrikas, der Stadt, deren Reichtum von den Goldfunden im Witwatersrand und noch südlicher von den Diamantenfunden rund um Kimberley stammte. Eine moderne Stadt mit breiten Straßen und Hochhäusern, Parks und äußerst gepflegten Golfplätzen, eleganten Geschäften und Restaurants, aber auch elenden Slums der farbigen Minenarbeiter und staubigen Dörfern am Rande der Großstadt, wo die Bantus hausten.

Rund um den Rennplatz des Johannesburger Turf-Clubs, wo die große Springreiterkonkurrenz ausgetragen werden sollte — der >Gro-ße Preis von Südafrika< —, waren die Lager der einzelnen Länder aufgeschlagen. Die Pferde waren in Zelten untergebracht, in denen sich die Hitze staute wie in einem Backofen. Romanowski, der wie immer neben Laska schlief, liefnur noch in der Badehose herum, bis er am dritten Tag einen Sonnenbrand bekam, der ihn vor schwere Probleme stellte.

«Hinlegen kann ick mir nich«, sagte er zu Hartung.»Wenn ick sitze, kann ick mir ooch uff'ner Herdplatte etablieren. Wat wer ick tun? Im Stehen schlafen! Sieht so harmlos aus, diese Sonne, verdammt noch mal!«

Von da ab trug er ein leichtes Hemd und einen riesigen geflochtenen Hut, den er in einem Bantuladen gekauft hatte. Laska gefiel dieser Hut nicht, sie biß Romanowski ein Stück aus der Krempe heraus und fraß es. Das war kein Kunststück, denn der Hut war aus Stroh.

Horst Hartung, dem gerade das Millionenangebot gemacht worden war, betrachtete Joe Heerekamp mit jenem Unglauben, der einen Menschen immer überfällt, wenn ihm etwas Unerklärliches begegnet.

«Eine Million? Für Laska?«fragte er gedehnt.

«Ja. «Heerekamp klopfte mit dem Spazierstock auf die Erde. Hinter ihm stand ein riesiger, breitschultriger Bantu in kurzen Hosen und einer geflickten Leinenjacke. An den Beinen aber trug er Reitstiefel. Der Bantu grinste, die beiden Zahnreihen leuchteten in der Sonne wie Zahnpastareklame.»Eine Million. Ich habe über Laska viel gelesen, ich habe sie vier Tage lang beobachtet, ich bin ein Pfer-denarr. Irgendeine Narrheit muß der Mensch haben. Der eine sammelt Bierdeckel, der andere Zuckerstückchen. Wem's gefällt, der ruiniert sich durch die Weiber. Ich liebe Pferde, schöne Pferde, seltene Pferde, berühmte Pferde. Laska fehlt mir in meiner Sammlung. Ich nehme an, daß Ihnen noch niemand eine Million für sie geboten hat, und es wird auch keiner mehr bieten.«

«Bestimmt nicht«, sagte Hartung abweisend.

«Also machen wir das Geschäft, Mr. Hartung?«

«Nein.«

Heerekamp sah verwundert hoch. Es war ihm neu, daß er nicht alles kaufen konnte, was ihm gefiel. Das Glück hatte ihn verwöhnt, er besaß eine Farm im Norden, am Rande der Kalahari-Wüste. In Vryburg, der Kreisstadt, war sein Name bekannter als der des Ministerpräsidenten der Republik Südafrika, und auch sein Wort galt mehr. Der Präsident war weit weg in Pretoria, Heerekamp aber war nah, immer zugegen, und wenn er befahl, war das wie ein Gesetz. Denn nicht allein seine Farm hatte ihn zum vielfachen Millionär gemacht, sondern auch die Entdeckung einer Diamantenmine in einem kleinen Felsental, das zu seinem Landbesitz gehörte. Da keiner so nördlich Diamanten vermutete und geologische Untersuchungen auch ergaben, daß nur dieser Felsen Edelsteineinsprengungen enthielt, während drum herum nur Weideland und später glühender Sand lagen, ein Kuriosum der Natur also, baute Heerekamp mit Regierungserlaubnis gewissermaßen als >Handwerksbetrieb< seine glitzernden Schätze ab und wurde täglich reicher, ohne sich groß zu bemühen. So hatte er sich daran gewöhnt, daß man alles auf der Welt kaufen kann, wenn nur der Preis stimmte. In Vryburg wußte man das. Heerekamp war vierundfünfzig Jahre alt, hatte die vierte Frau, eine blonde Schönheit von fünfundzwanzig Jahren, von der er selbst sagte:»Gekauft mit der Erbaussicht von vier Millionen. Wer würde mich dicken, schwitzenden Menschen schon ehrlich lieben?«

«Sie glauben, ich scherze?«fragte Heerekamp verwirrt.»Ich bin in der Lage, Ihnen innerhalb von zwei Stunden eine Million in Scheinen auf den Tisch zu legen.«

«Ich glaube Ihnen das gern. «Hartung blickte hinüber zu Laska. Angela führte sie am langen Zügel über die Cavalettis, sie lief neben ihr her, ihr langes Haar wehte im heißen Wind.

Sie haben sich zusammengerauft, dachte Hartung. Früher, noch vor drei Monaten, wäre es unmöglich gewesen, daß Angela auch nur an die Trense faßt. Laska hätte sofort gebissen oder getreten. Jetzt läuft sie mit Angela zusammen über den Trainingsplatz und gehorcht sogar ihren Zurufen. Und wenn Angela abschirrt, fährt Laska mit ihren weichen Nüstern über die früher so verhaßten Hände. Nur eins darf Angela noch nicht: in Laskas Gegenwart Hartung umarmen oder küssen. Dann schnellen die Ohren zurück, und die schönen braunen, sprechenden Augen werden starr und böse.

«Mit einer Million haben Sie keine Sorgen mehr. «Heerekamp riß Hartung aus seinen Betrachtungen.

«Das deutsche Finanzamt nimmt mir 550.000 Mark davon weg«, sagte Hartung voll Sarkasmus.»Also ein mieses Geschäft, Mr. Heerekamp.«

«Gut, daß Sie mich daran erinnern. «Heerekamp schlug wieder mit dem Spazierstock auf den Boden.»Sie sollen sorglos leben. Zwei Millionen. Dann bleibt Ihnen trotz Ihres räuberischen Finanzamtes noch genug! Schlagen Sie ein.«

«Nicht für zehn Millionen, nicht für den britischen Kronschatz, Mr. Heerekamp. «Hartung steckte die Hände in die Taschen seiner Reithose.»Laska ist unverkäuflich.«

«Das glaube ich einfach nicht.«

«Bei mir müssen Sie umlernen.«

Joe Heerekamp sah sich um. Der Bantu hinter ihm, sein Stallmeister, grinste noch immer.»Hau ab. Petelo!«schrie Heerekamp.»Warte am Wagen!«Mit rotem Kopf wandte sich Heerekamp wieder an Hartung.»Sie wissen gar nicht, was Sie eben angerichtet haben«, sagte er. Seine Stimme klang etwas schrill.»Petelo Nsombo, für den ich der zweite Herrgott bin, hat erlebt, daß man mir etwas abschlägt. So etwas ist völlig unbekannt bei Heerekamp. Ich habe einen Teil meines Gesichtes verloren. Er wird überall erzählen: >Der

Herr ist nicht der Größte! Auch er muß nachgeben.< Das ist unmöglich. Mr. Hartung. Sie müssen mir Laska verkaufen.«

«Ich denke nicht daran. «Hartung lachte etwas gequält. Diese Augen, dachte er plötzlich. Wenn man Heerekamp unbefangen ansieht, ist er ein kleiner, dicker, gemütlicher Mensch, den das Leben verwöhnt hat. Aber dann diese Augen — hart, mit einem eiskalten Glanz, ohne einen Funken Seele. Augen eines menschlichen Automaten, eines Roboters, eines Irren! Ein Fanatiker, den seine Leidenschaft zum Wahnsinn treibt. Er sammelt Pferde wie andere Briefmarken. Gibt es nicht auch Briefmarken, die über hunderttausend Mark kosten? Laska ist ihm zwei Millionen wert.

«Ich nehme an«, sagte Hartung und setzte sich in Bewegung,»daß Laska bei Ihnen einen Palast als Stall bekommt.«

Heerekamp, der neben ihm her trippelte, nickte.»Sie wird ein Leben haben wie kein anderes Pferd auf dieser Welt. «Er hob den Stock, hielt ihn waagerecht, so daß Hartung stehenbleiben mußte.»Zufrieden? Wollen Sie die zwei Millionen auf Ihr Konto oder in bar?«

«Überhaupt nicht. «Hartung schob den Stock beiseite.»Mr. Heerekamp, begreifen Sie bitte, daß Laska um keinen Preis zu haben ist.«

«Um keinen?«

«Ich sagte es bereits.«

«Wir sprechen uns noch, Mr. Hartung.«

Heerekamp blieb stehen. Er blickte Hartung nach, wie er sich unter dem Zaun hindurchduckte, wie Angela ihm Laska brachte, wie er aufsaß und das herrliche Pferd im Schritt um das Viereck des Übungsgartens ritt. Mit funkelnden Augen stützte er sich auf seinen Spazierstock und musterte Laska, wie ein bis zum Wahnsinn Verliebter eine Frau anstarrt, die für ihn unerreichbar ist.

Als Laska später die ersten Hindernisse übersprang, atmete er schwer und seine Hände ballten sich zu Fäusten.

Er war ein Irrer. Langsam war dieser Irrsinn gewachsen, keiner hatte es gemerkt — man sah immer nur den superreichen Heerekamp, der mit den Jahren etwas exzentrisch wurde. Meine Güte, wer wird das nicht, wenn er soviel Geld hat, daß kein Wunsch unerfüllt bleibt? Aber jetzt, am Zaun des Übungsplatzes, brach es aus Heerekamp heraus. Er schwitzte, wenn Laska über den Rasen galoppierte, er schlug die Fäuste gegeneinander, wenn sie über die Doppeloxer und die Mauer flog.

Erst als Hartung zum Stallzelt wegritt, ging auch Heerekamp zu seinem Wagen zurück. Petelo Nsombo saß hinter dem Steuer und trank aus einer Flasche Mineralwasser.

«Kommt er zu uns, Bwana?« fragte er, als Heerekamp hinten einstieg.

«Ja.«

«Das ist schön.«

Die Welt war wieder in Ordnung. Heerekamp hatte gesiegt. Der Bwana war doch der größte Mann der Welt. Keiner konnte ihm widerstehen, auch diese Deutschen nicht.

Langsam rollte der Wagen nach Johannesburg hinein. In die Polster zurückgelehnt saß Heerekamp da mit geschlossenen Augen. Seine Mundwinkel zitterten. Er dachte an Laska — aber weiß man wirklich, was ein Irrer denkt?

In der Nacht blieb Romanowski noch lange auf. Er saß mit den anderen Stallburschen vor dem Zelt und spielte Karten. Sie hatten zwei Kisten zusammengeschoben, hockten darum herum und klatschten die Trümpfe auf das Holz. Romanowskis Partner waren zwei Franzosen, um sie herum saßen die schweigsamen Engländer und rauchten Pfeife, die Italiener sorgten für Musik. Sie hatten zwei Mandolinen bei sich und spielten sehnsüchtige Lieder von Neapel, Rom und Florenz. Abseits von dieser Gruppe saßen die Amerikaner um ein Kofferradio und versuchten, einen amerikanischen Sender zu bekommen. In einiger Entfernung strichen ein paar Schatten um die Zeltlager — farbige Mädchen, die sich auf einfache Art ein paar Rand verdienen wollten.

«Finger davon!«hatte schon am ersten Tag einer der südafrikanischen Pferdeburschen gesagt.»Wenn einer von euch Weißen mit einer Negerin erwischt wird, gibt es Zuchthaus und Ausweisung! Da sind sie hier ganz streng und kennen kein Pardon. Also, Jungs, Blick weg von den schwarzen Evas!«

Ein paarmal ging Romanowski in Laskas Zelt und sah nach. Las-ka stand in ihrer hölzernen Box und kaute melancholisch an einem kleinen Bündel Heu.

«Kannste ooch nich schlafen, olles Luder?«fragte Romanowski und tätschelte ihr die Kruppe.»Is det 'ne Hitze, wat? Aba in sieben Tagen mußte springen. Leg dir hin, Olle, und penn! Ich komme jleich. Nur noch drei Runden, die Franzosen dreschen 'nen verdammten Skat!«

Es dauerte bis nach Mitternacht, ehe Romanowski zu Laska ins Zelt schwankte. Die Italiener hatten heimatlichen Wein ausgegeben, ein süßes Gesöff, das wie Öl durch die Kehle rann. Zuerst waren die Amerikaner betrunken, dann die Engländer, die Franzosen, die Schweizer, die Italiener selbst, und ganz zum Schluß erst Romanowski. Als Sieger verließ er den Platz, begrüßte Laska mit einem Rülpser und sagte laut:

«Olle, ick hab se wegjesoffen wie in alten Zeiten. Nu schlafen wir, wat?«

Es war das letzte, was Romanowski denken konnte. Er fiel hin, mitten im Zelt, aber nicht der Alkohol besiegte ihn, sondern er bekam einen harten Schlag auf den Hinterkopf. Aus der Dunkelheit schlug jemand zu, es machte leise plop, und Pedro Romanowski verdrehte die Augen, ging in die Knie und stürzte dann der Länge nach zu Boden.

Am Morgen, als Angela als erste das Zelt betrat, war Laska verschwunden. Romanowski lag vor ihrer Box und schnarchte schauerlich.

«Das war Heerekamp!«sagte Hartung sofort, als Angela ihn alarmierte.»Keine Aufregung, jeder kennt ihn. Er ist ein Verrückter. Und nur ein Verrückter kann Laska stehlen. In ein paar Stunden haben wir sie wieder.«

Aber das war ein Irrtum.

Laska blieb verschwunden. Und Heerekamp lag friedlich in seinem Bett im Park Royal Hotel von Johannesburg. Sein Alibi war felsenfest.

Die Suche begann. Die Suche nach einem Pferd im riesigen Südafrika.

Polizeikommissar Herman Verschuren verhörte zunächst Pedro Romanowski. Das war eine mühselige Angelegenheit, denn Romanowski wußte nichts weiter, als daß er umgefallen war.»Det war'n Turnier, Herrchen«, sagte er treuherzig, als Hartung ihn ein versoffenes Individuum nannte.»Um den Preis der Nationen jing et. Ich hab's jewonnen für uns. Alle Länder hab ick untern Tisch jetrunken!«

Die Beule auf seinem Hinterkopf aber bewies, daß jemand ihn niedergeschlagen hatte. Ein Polizeiarzt bestätigte es eindeutig aus Erfahrung:»Ein Sandsack! Wirkt prompt und hinterläßt keine nennenswerten Verletzungen. Es waren Profis.«

Joe Heerekamp, der sich duschte, rasierte und einen weißen Leinenanzug anzog, war entsetzt über das Verschwinden Laskas. Seine Vernehmung begann mit einer Anklage gegen Hartung. Um es so unauffällig wie möglich zu machen, hatte Kommissar Verschu-ren das Büro des Hoteldirektors zum Vernehmungszimmer bestimmt.

«Hätten Sie die Millionen angenommen, wäre das alles nicht passiert!«schrie Heerekamp, als habe man sein Pferd gestohlen.»Nun haben Sie keine Laska mehr, keine Millionen und ich keine Hoffnung, dieses Wunderpferd jemals wiederzusehen. Welch ein Verlust!«

Er griff in die Rocktasche, holte eine Tablette heraus und schluckte sie. Er zitterte vor Aufregung. Kommissar Verschuren faltete die Hände — es war ihm peinlich, einen der reichsten Männer der nördlichen Provinz wie einen Verbrecher zu verhören.

«Sie lagen also die ganze Nacht im Bett?«fragte er.

Heerekamp zuckte zusammen. Diese Frage schien ihn zu treffen.»Was soll das?«bellte er.»Verdächtigt man mich? Nur weil ich zwei Millionen für Laska geboten habe? Wann soll das Pferd entführt worden sein?«

«Nach den Aussagen der anderen Stallknechte muß die Sauferei nach Mitternacht zu Ende gegangen sein.«

«Mitternacht! Hah! Gegen halb eins ließ ich mir vom Nachtkellner eine Karaffe Orangensaft bringen. Die Schwüle — ich bekam einen unbändigen Durst. Wie kann ich in der Nacht Orangensaft trinken und gleichzeitig ein Pferd stehlen? Überhaupt — habe ich das nötig? Eine solche Anschuldigung. Ich höre mir diesen Blödsinn nicht länger an!«

Heerekamp verließ das Direktionsbüro. Keiner hielt ihn zurück. Kommissar Verschuren schüttelte bekümmert den Kopf.»Er hat recht, Mr. Hartung. Ein Mann wie er — das ist absurd! Trotzdem prüfe ich alles nach. Es soll nicht heißen, in Südafrika werden unseren Gästen die Pferde gestohlen.«

Verschuren rannte offene Türen ein. Jedes Wort Heerekamps stimmte. Er hatte das Hotel nicht verlassen. Was nicht hieß, daß er nicht ein kleines Heer bezahlter Helfer eingesetzt haben könnte, die Las-ka entführt hatten. Aber das zu beweisen, war unmöglich. Auch der riesige Bantu Petelo Nsombo, der im Dienertrakt des Hotels wohnte, konnte zehn Zeugen vorweisen, mit denen er bis tief in die Nacht hinein palavert hatte. Da diese Zeugen alle Bantus waren, gab Kommissar Verschuren die Verhöre sehr schnell auf. Gegen eine schwarze Mauer zu rennen, ist sinnlos.

«Keine Spur«, sagte er zu Hartung und Angela Diepholt.»Es ist uns äußerst peinlich, Mr. Hartung.«

«Und was jetzt?«fragte Hartung.

Verschuren hob die Schultern.»Glauben wir an den großen Detektiv Zufall. Mehr können wir nicht tun.«

In Deutschland erlitt Fallersfeld einen Schwächeanfall, als ihm durch Telegramm die Entführung Laskas mitgeteilt wurde.»Wir sehen sie nie wieder«, sagte er dumpf, als er sich etwas erholt hatte.»Ein Pferd verschwindet in Afrika — das ist, als wenn man ein Sandkorn in eine Kiesgrube wirft.«

«Hoffen wir auf Laska selbst. «Hartung saß auf seinem Klappstuhl in der leeren Box des Stallzeltes. Angela stand hinter ihm und strei-chelte seinen Nacken. So gefaßt sich Hartung gab, sie wußte, wie er innerlich litt.»Sie wird die nächste Gelegenheit wahrnehmen und ausbrechen.«

Es war ein schwacher Trost, denn wer Laska entführt hatte, verfügte auch über die Möglichkeiten, sie zu behalten.

Seit neun Stunden war Laska unterwegs. Unter der Plane eines alten, schnaufenden, schaukelnden und hüpfenden Lastwagens fuhr sie nach Norden, der Kalahari-Wüste entgegen. Man hatte sie mit einem Strick an eine eiserne Öse gebunden, so daß sie kaum den Kopfhochheben konnte, alle vier Beine waren mit Lederriemen gefesselt. Ein kleiner Bantu hockte aufdem Boden vor der Ladeklappe, gab Laska jede Stunde aus einem Eimer etwas Wasser zu trinken, kehrte den Kot zusammen und warf ihn aus dem Wagen. Niemand fiel der alte Lastwagen auf — so wie er rumpelten Tausende über die guten Straßen. Bis zur Farm Heerekamps waren es noch zwei Tage Fahrt, für afrikanische Verhältnisse eine kurze Strecke. Gegen Abend hielt der Wagen mitten zwischen kahlen Bergen. Laska bekam einen Haufen Heu, der kleine Bantu lockerte den Strick und sprang mit einem Satz zurück, als Laska blitzschnell den Kopfdrehte und zubiß.

«Mokirialuo akosakela bokako oa tuu mongo! Gott schicke dir einen dunklen Segen!«brüllte der Kleine und weigerte sich später, Laska wieder anzufassen. Vier Männer, durch Bretter geschützt, die sie vor sich hielten, gelang es endlich, Laska wieder kurz anzubinden.

«Der Bwana hat uns einen Teufel gekauft«, sagte der Fahrer des Lastwagens und bekreuzigte sich.»Ich bin froh, wenn wir sie im Stall haben, ohne daß sie uns die Knochen gebrochen hat.«

Und weiter ging die Fahrt. Immer nach Norden, dann westlich, der großen Wüste entgegen. Was niemand wußte, auch Heerekamp nicht — ein Hubschrauber der Polizei von Johannesburg war schneller, flog zunächst nach Vryburg und landete dann auf dem Gebiet der Heerekamp-Farm, in einem einsamen, kahlen, von Wüstensand bedeckten Tal, in das sich selbst die Bantus nicht verirrten, weil hier alles Leben unter der Glut der Sonne erstorben war. Das Tal gehörte zwar zur Farm, aber auch Heerekamp hatte es nur einmal aus der Luft betrachtet, als er seinen Besitz überflog, um sich ein Bild über die Größe des Gebietes zu machen, das ihm gehörte.

Hier, im Glutkessel weißgelber Felsen, errichteten die vier Polizisten ein Zelt, verfluchten ihren Beruf, tranken Eiswasser, das ein Batterieaggregat im Hubschrauber kühlte, und warteten. Über Funk teilten sie Kommissar Verschuren mit, daß die Landung gelungen sei, aber daß es auf dem Mond wohnlicher sein müsse als hier.

«Es wird nicht lange dauern«, sagte Verschuren.»Sie können Las-ka nur mit einem Lastwagen transportieren. In knapp zwei Tagen muß er sich der Farm nähern, dann steigt ihr auf und fliegt die Straße ab. Befehl kommt rechtzeitig.«

Es war ein qualvolles Warten in diesem Höllental. In der Nacht wehte ein Sandwind das Zelt bis zur Hälfte zu. Den Motor und das Getriebe der Rotorflügel hatten die Polizisten vorsorglich mit Plastikplanen abgedeckt. Sie konnten nicht versanden. Aber sonst drang der staubfeine Sand überall ein, jedes Wort knirschte im Mund, die Zunge drehte Sandkugeln im Gaumen, jeder Schluck kratzte in der Kehle.

Einen Tag später flog Heerekamp mit einer Privatmaschine von Johannesburg nach Vryburg. Dort stand sein Auto, ein Landrover. Der >Stadtwagen< blieb in Johannesburg. Petelo Nsombo tankte voll, während Heerekamp einen Besuch beim Bürgermeister machte.

«Falls er Laska entführt hat, verhielt sich Heerekamp überaus geschickt«, sagte Verschuren voll Anerkennung.»Eine Meisterleistung an Kaltblütigkeit. Er muß damit rechnen, daß wir ihn beobachten, und was tut er? Er ißt mit dem Bürgermeister von Vryburg zu Mittag und besichtigt die neuen Viehhöfe und Verladerampen.«

«Wir sollten auch nach Vryburg fliegen«, sagte Hartung.

«Das fiele sofort auf. Außerdem wissen wir ja gar nicht, ob Heerekamp wirklich. «Verschuren hob die Hände und wiegte den Kopf.»Es ist ein vertrackter Fall, der delikat behandelt werden muß. Tun wir Heerekamp Unrecht, kann das unabsehbare Komplikationen geben. Er ist mit allen maßgebenden Persönlichkeiten des Landes gut Freund.«

«Er ist der einzige, der ein Zwei-Millionen-Interesse an Laska hat«, rief Hartung.

«Irrtum. Ungezählte Pferdeliebhaber würden sich um Laska reißen. Es gibt Pferdenarren genug, auch bei uns, die jeden Kniff anwenden würden, um sie zu entführen. Es ist sogar möglich, daß herumstreunende Bantus Ihre Laska geklaut, geschlachtet und längst gefressen haben.«

«Daran wollen wir gar nicht denken«, sagte Angela leise und tastete nach Hartungs Hand.»Das wäre zu furchtbar!«

In der Nacht schlüpfte Angela in Hartungs Zimmer. Er war noch wach, saß am Fenster und starrte in die Dunkelheit hinaus. In den Zweigen der Parkbäume des Sunnyside Park-Hotels kreischten Nachtvögel. In der Bar wurde noch getanzt, leise tönte die rhythmische Musik durch die warme Nacht.

«Laska wird wiederkommen«, flüsterte Angela an der Tür.

Hartung drehte sich nicht um. Seine Schultern fielen nach vorn. Von hinten sah er alt und sehr schwach aus.

«Es ist gut, daß du kommst«, sagte er.

«Soll ich dir etwas zu trinken bringen?«

«Nein, danke. «Hartung starrte in den Park. Seit Laska zum >Wun-derpferd< erklärt wurde, hatte er schon viele Schwierigkeiten überwunden. Erfolge züchten Mißgunst, Siege zeitigen Gegner, Triumph zeugt Haß — er hatte mit Laska alles überstanden. Aber jetzt spürte er, daß die Trennung endgültig war. Laska war verloren.»Ich werde nie wieder reiten«, sagte er leise.

«Horst, bitte, verlier nicht den Mut. «Angela lief zu ihm und umarmte ihn. Ihre Zärtlichkeit war wohltuend, aber gleichzeitig erinnerte sie ihn an Laska.

«Ich werde alles aufgeben«, sagte Hartung und lehnte sich zurück. Sein Kopf lag zwischen Angelas Brüsten, und er war froh, daß sie jetzt hier war; sie war der einzige Mensch, der ihn trösten konnte.

«Alles, Angi! Das Gut, die Zucht — ich will nichts mehr um mich haben, was mich an Pferde erinnert. Ich beginne wieder von vorn, irgendwo weit weg vom jetzigen Leben.«

«Das würdest du nie aushalten, Horst.«

«Ausgerechnet du sagst das? Wer hat die Reiterei verdammt?«

«Hast du das jemals ernst genommen?«

«Manchmal ja. Was ist das für eine Frau, habe ich mich oft gefragt. Sie liebt mich, und ich liebe sie, und trotzdem scheitert unser Zusammenleben an den Pferden. Wie lange wartest du jetzt?«

«Sieben Jahre.«

«Du bist ein Wunder, Angi.«

«Nein, ich liebe dich nur. Und ich habe in diesen sieben Jahren gelernt, mit deinen Pferden zu leben. Es war schwer, glaub es mir! Immer zuerst die Pferde, dann ich, welche Frau hält das aus? Dann kam Laska, ich habe sie verflucht, denn mit ihr sank meine Chance, dich ganz für mich zu haben, auf den Nullpunkt. Bis ich auch hier erkannte, welchen Platz ich hatte. Zwei Jahre brauchte Laska, um mich anzuerkennen; jetzt gehören wir zusammen.«

«Und jetzt ist sie für immer weg. «Hartung schloß die Augen.»Ich warte das Turnier nicht ab. Wir fliegen früher zurück nach Deutschland.«

«Bis dahin sind es noch fünf Tage. Was kann in fünf Tagen alles geschehen!«

«Kommissar Verschuren hat keinerlei Hoffnung. Wenn er Heerekamp überwachen läßt, so nur, um mir zu zeigen, daß die Polizei nicht untätig herumsitzt. Ich lese in seinem Blick, was er denkt. Vielleicht stimmt es wirklich, daß man Laska geschlachtet und gebraten hat!«

Es war eine schreckliche Nacht. Auch Angelas Liebe vermochte Hartungs Trauer nicht zu vertreiben. Erst gegen Morgen schlief er ein, in Angelas Armen; er zuckte im Schlaf, als jagten elektrische Ströme durch seinen Körper.

In dem einsamen Felsental stieg an diesem Morgen der Polizeihubschrauber auf und flog dicht über die kahlen, verbrannten Ber-ge. Nach der Berechnung Verschurens mußte Heerekamps Lastwagen jetzt dreißig Meilen vor der Farm über die Piste rumpeln. Aber sooft der Hubschrauber das ganze Gebiet umkreiste es war kein Fahrzeug zu sehen. Nur Heerekamps kleiner Landrover tauchte auf, ein Floh in einer Staubwolke.

«Diese mißtrauischen Burschen«, sagte Heerekamp und griff nach dem Funksprechgerät, dessen Wellenlänge bis zu dem Lastwagen reichte.»Fahr unbeirrt weiter, Petelo. Verschuren ist ein Idiot. Denkt er, ich präsentiere ihm das Pferd hier auf einem silbernen Tablett?«Er hob das Sprechgerät an den Mund und drückte auf die Ruftaste.»Lokwa, melden! Lokwa, melden!«

Auf dem Armaturenbrett des Lastwagens flammte ein rotes Lämpchen auf. Lokwa, der Fahrer, nahm den Hörer von der Gabel.

«Hier Lokwa, Bwana. Ich höre.«

«Wo steckt ihr?«bellte Heerekamp.

«Wie befohlen in der Höhle am Pietersberg.«

«Ihr bleibt dort bis zur Dunkelheit. Ein Hubschrauber kreist über euch. Steckt ihr den Kopf aus der Höhle, reiß ich ihn' euch ab!«

«Wir hören ihn, Bwana. Aber das Pferd macht Schwierigkeiten.«

«Wieso?«

«Wir können es nicht mehr füttern oder tränken. Immer wenn wir ihm den Kopflosbinden, benimmt es sich wie der Teufel. Keiner will mehr in seine Nähe, und ich allein schaffe es nicht.«

«Idioten! Ich bin nur von Idioten umgeben!«schrie Heerekamp.»Fünf Männer, und können ein Pferd nicht bändigen! Lokwa, wenn dem Pferd etwas passiert, hänge ich euch alle auf! Das Pferd ist unbezahlbar. Ich werde in der Nacht selbst herauskommen. Wehe euch, wenn Laska auch nur einen Kratzer hat!«

Heerekamp schaltete das Funkgerät aus. Sein rundes Gesicht war rot und verzerrt. Verblüfft, erschrocken schielte Nsombo zur Seite auf seinen Herrn. Er erkannte ihn nicht wieder. Die Dämonen haben ihn gepackt, dachte er, und der uralte Glaube an Geister regte sich wieder in ihm, obwohl er ein getaufter Christ war und in Vryburg in der Kirche die Soli in der Messe sang. Er war auch des-halb sofort am nächsten Morgen zu einem Pfarrer gegangen und hatte gebeichtet, den ahnungslosen Pferdeknecht des deutschen Springreiters im Stallzelt mit einem schweren Sandsack niedergeschlagen zu haben.

«Geh hin und stelle dich der Polizei!«hatte der Pfarrer geraten.»Und das wertvolle Pferd hast du auch mitgenommen? Wie lautet das siebte Gebot?«

Nsombo war erschüttert weggeschlichen, hatte zwei Vaterunser gemurmelt, aber zur Polizei war er nicht gelaufen. Heerekamp war mächtiger als der Pfarrer, da gab es gar keine Diskussion, aber man fühlt sich innerlich etwas erleichtert, wenn man dem Pfarrer alles erzählt hat, auch wenn man's nicht büßen kann.

Jetzt aber, auf der Rückfahrt zur Farm, bekam Nsombo Angst. Er war froh, als sie das breitgestreckte Gebäude erreichten und er in sein eigenes kleines, hüttenähnliches Steinhaus verschwinden konnte. Hier erwarteten ihn seine Frau und sieben Kinder, er setzte sich in ihre Mitte, stierte auf den Boden und sagte:»Ich habe den Gedanken, in die Stadt zu ziehen. Die Dämonen breiten sich aus.«

Drei Stunden später landeten zwei Hubschrauber auf der Wiese hinter dem Farmhaus. Der Polizeihubschrauber, der keinen Lastwagen gesehen hatte, und Kommissar Verschuren mit einem Protokollbeamten. Heerekamp kam ihnen vom Hauseingang entgegen. Klein, auf seinen Stock gestützt, mit giftigem Blick.

«Habe ich Sie um Hilfe gerufen?«fragte er laut, als Verschuren grüßte.»Ich lebe hier in der friedlichsten Gegend der Welt, Kommissar. Sie wünschen also?«

«Ich komme aus Neugier, Mr. Heerekamp. «Verschuren versuchte ein Lächeln, aber es gefror auf seinen Lippen.»Sie schwärmten von Ihren edlen Pferden. Jetzt nehme ich Ihre Einladung an, sie zu besichtigen.«

«Bitte.«

Joe Heerekamp ging voraus. Hinter dem Farmhaus und zwischen den Arbeiterhütten lag, hufeisenförmig gebaut, eine große Stallung. Verschuren sog verwundert und laut die von einer Klimaanlage geregelte, gut temperierte Luft ein, als sie die Ställe betraten.

Weite, helle Boxen. Unten dicke Bohlen, oben weiße Kacheln. Ein Stallgang, so sauber wie der Flur eines Krankenhauses. Verchromte Gitter an den Boxentüren. Gekachelte Futterkrippen. Automatische Wasserversorgung. Und in den Boxen standen die schönsten Pferde, die Verschuren je gesehen hatte.

«Donnerwetter!«sagte er ehrlich.»Das ist ein teures Hobby.«

«Das einzige, das ich habe. «Heerekamp ging von Pferd zu Pferd, und seine Augen glänzten vor Stolz.»Ich kann hier stundenlang sitzen und ihnen zusehen. Irgendwie begreife ich die orientalischen Fürsten, die sich einen Harem von zweihundert Frauen hielten.«

In diesem Moment wußte auch Verschuren, daß Heerekamp ein Irrer war. Die Erkenntnis kam so plötzlich und umwerfend, daß er mehrmals tief durchatmen mußte. Dann sagte er:

«Mr. Heerekamp, wo ist Laska?«

«Gestohlen.«

«Von Ihnen!«

«Das müssen Sie erst beweisen. In wenigen Minuten beschwere ich mich telefonisch über Sie in Johannesburg.«

«Ich werde es beweisen. Meine Beamten werden Ihre Farm durchsuchen und jeden begleiten, der sie verläßt. Auch Sie! Das übernehme ich sogar selbst. Mir ist klar, daß Sie Laska außerhalb der Farm versteckt halten. Irgendwann muß sie aus dem Versteck heraus, sonst geht das Pferd zugrunde. Und diesen Augenblick erlebe ich mit.«

«Gut, warten Sie, ich höre mir diesen Blödsinn nicht länger mit an. «Heerekamp drehte sich um und verließ den Stall. An der großen Tür blieb er noch einmal stehen.»Ich werde den Polizeipräsidenten anrufen. Ihre vorzeitige Pensionierung ist sicher, Verschu-ren. Die Polizei kann sich keine gefährlichen Phantasten leisten. Ich, Joe Heerekamp, ein Pferdedieb! Warum nicht gleich die Königin von England?«

In seiner riesigen Wohnhalle warf sich Heerekamp in einen Sessel und drückte aufeinen Knopfin der Lehne. Ein Funkgerät klappte hoch, er stellte die Frequenz ein und rief das versteckte Lastau-to. Lokwa meldete sich, seine Stimme war erregt.

«Bwana, seit fünf Minuten kreist der Hubschrauber über uns. Er kann uns nicht sehen, und wir lassen uns nicht blicken, aber vielleicht sind im Sand noch Reifenspuren.«

Heerekamp schwieg. Er atmete schwer, beugte sich nach vorn und preßte die flache Hand auf das Herz.

«Bwana«, tönte die Stimme Lokwas quäkend aus dem Lautsprecher. »Bwana, hören Sie mich? Bwana Heerekamp!«

«Es hat sich vieles geändert, Lokwa«, sagte Heerekamp endlich. Seine Stimme klang matt. Für ihn gab es keinen Ausweg mehr. Das Schönste, seine größte Liebe, die Erfüllung seines Lebens mußte er opfern — Laska. Einen Pferdedieb Heerekamp durfte es niemals geben. Tränen rannen ihm aus den Augen, als er weitersprach.»Tötet sie! Nein! Laßt sie laufen, wenn die Dunkelheit kommt. Laßt sie einfach laufen, jagt sie in die Wüste. «Er wischte sich die Augen und lag halb im Sessel. Zittern überlief ihn wie Schüttelfrost.»Man gönnt sie uns nicht, Lokwa, aber auch die anderen sollen sie nicht haben. Wenn sie die Wüste überlebt, soll sie nicht mehr das schönste, sondern das häßlichste Pferd der Welt sein. Leg ihr eine Decke um und tränke die Decke mit Loa-loa. Frage nicht, Lokwa«-seine Stimme überschlug sich —»tu, was ich dir befehle! Wickele sie in Loa-loa ein!«

Mit der Faust hieb er auf die Aus-Taste, schlug dann die Hände vors Gesicht und weinte wie ein Kind.

Über Laska war das Todesurteil gesprochen.

Unterdessen suchten Kommissar Verschuren und seine Männer systematisch die Gegend ab. Petelo Nsombo stand vor der Tür seiner Steinhütte und sah ihnen zu. Frau und Kindern hatte er verboten, vor die Hütte zu kommen. Er rauchte eine selbstgedrehte Zigarette nach der anderen und stand bald in einem Kreis von Zigarettenenden.

«Der Schwarze weiß mehr, als er sagt«, meinte einer der Polizisten zu Verschuren.»Wir sollten ihn mal in die Mangel nehmen.«

«Warum? Verlorene Zeit. «Verschuren winkte ab.»Ich kenne Nsom-bo. Wenn er freiwillig nichts sagt, könnt ihr ihn mit dem Kopfnach unten an einen Ast hängen — er wird keinen Ton von sich geben.«

In der Felsenhöhle präparierte Lokwa eine Decke mit dem Pflanzensaft Loa-loa. Es war ein uraltes Negermittel, das man zur Beseitigung unliebsamer Nachbarn angewendet hatte. Die Methode war einfach, sicher und grausam: Man tränkte ein Stück Stoff mit dem Saft dieser kakteenähnlichen Pflanze, wickelte den Gegner darin ein und wartete einen Tag, bis das Schreien des Gequälten erstarb. Dann rollte man ihn aus dem Tuch, wobei sich die gesamte Haut löste. Bisher hatte noch niemand diese Behandlung überlebt.

Lokwa handelte genau nach dem Befehl seines Herrn. Bei Einbruch der Dunkelheit, als der Hubschrauber wieder auf der Farm gelandet war, köpfte er mit einer Machete einige Loa-loa-Pflanzen, ließ vorsichtig den Saft auf eine alte Decke fließen, dann ergriff jeder der vier Bantus eine Ecke, und sie warfen die Decke mit einem Schwung über Laskas Rücken. Damit die Decke nicht verrutschte, band Lokwa noch einen Strick darum und löste dann vorsichtig die Fesseln. Mit einem Sprung rettete er sich vor dem befreiten Pferd.

Laska blieb zunächst stehen. Sie bewegte die Füße, hob den Kopf, ging zwei Schritte zurück, zwei Schritte vor. Wartete, was weiter geschah, und als niemand kam, drehte sie sich langsam um. Die Ladeklappe war heruntergelassen, vor ihr lag die Freiheit. Fahle, warme Dunkelheit. Felsen, Sand, wasserlose Einöde — der Tod. Vorn am Wagen, hinter dem Kühler versteckt, warteten die fünf Bantus.

Mit ein paar Schritten war Laska am Rand der Ladefläche. Sie witterte in die Nacht, sah sich um, schätzte den Boden unter sich ab und sprang dann. Es klapperte laut, als ihre Hufeisen auf die Steine prallten. Die Bantus hinter dem Kühler bekreuzigten sich. Der Teufel ist 'raus! Nun renn weg, du Satan von einem Pferd!

Sie sprangen ins Führerhaus, drängten sich aufdie Sitzbank, Lok-wa zündete den Motor, trat auf das Gas, der Wagen schoß unter dem überhängenden Felsen hervor, begrub Laska unter einer Wolke von Staub und Sand und hüpfte dann den engen Pfad hinun-ter.

Laska lief ein paar Minuten hinter dem Lastwagen her, dann blieb sie stehen und schabte ihren Rücken an einer Felsnase. Ein unerträglicher Juckreiz breitete sich über ihren Körper aus, der bald in ein heißes Brennen überging.

Das Loa-loa begann zu wirken. Erst die Körpertemperatur, die Verbindung mit dem Schweiß, ließ es zum Gift werden.

Laska drehte sich um, versuchte, mit den Zähnen die Decke zu fassen. Vergeblich. Das juckende Feuer fraß sich in sie hinein.

Da begann sie zu galoppieren. Immer geradeaus, einem unergründlichen Instinkt folgend. Geradeaus — das war in diesem Falle nach Süden. Zurück zu den Menschen, nicht in die Wüste, die im Norden lag. Die fürchterliche Kalahari, die wasserärmste Wüste der Welt.

Und das Feuer rund um Laskas Leib breitete sich aus. Sie wieherte laut, wälzte sich ein paarmal im Sand, aber es wurde nicht besser davon, sondern das Brennen verstärkte sich. Es war, als fräßen sich glühende Kohlen durch das Fell.

Bis zum Morgen war Verschurens Polizeitrupp auf der Suche. Aber auch Heerekamp schlief nicht, er ließ sich einen Sessel vors Haus tragen und blieb dort sitzen, bis der Morgen graute. Müde, verschwitzt und dreckig kamen die Polizisten zurück. Auch Verschuren kapitulierte. Er hatte den Lastwagen untersucht, der gegen Mitternacht auf der Farm eingetroffen war. Lokwa sagte im Verhör, er habe draußen nach zwei verlaufenen Rindern gesucht, sie aber nicht gefunden. Die vier anderen Bantus bestätigten das lebhaft nickend.

«Im Wagen riecht es aber nach Pferd!«brüllte Verschuren.»Ihr habt ein Pferd transportiert.«

«Vorgestern. Ja. Der Wagen wird für alles benutzt. «Lokwa war nicht zu erschüttern. Heerekamp kam herüber, klopfte Lokwa auf die Schulter und ging wieder, ohne ein Wort gesagt zu haben.

«Aus!«sagte Verschuren resignierend.»Jetzt können wir den Schwar-zen vierteilen, er sagt nichts mehr. Sein Bwana hat ihn gelobt. Scheiße!«

Als die Morgensonne schien und der Sand wie Messing glänzte, stand Heerekamp wieder von seinem Sessel auf und ging zu Ver-schuren.

«Na?«fragte er ironisch.»Sie großer Kriminalist! Wo ist Laska? Sie suchen am falschen Ende, Verschuren. Wenn Sie nach Johannesburg zurückkommen, haben Sie viel Zeit, man wird Sie nämlich zwangspensionieren. Ein Heerekamp kauft sich alles, aber er stiehlt nicht! Guten Flug.«

Verschuren antwortete nicht. Nach zehn Minuten waren beide Hubschrauber in der Luft, drehten noch eine Runde um die HeerekampFarm und schwirrten dann nach Süden davon. Heerekamp starrte ihnen nach. Er schwankte wie ein Betrunkener. Das war seine erste Niederlage — und Laska war tot.

Unter Verschuren lag das teils öde, von Sandfeldern durchzogene Land, teils Felshänge mit mattgrünen Weiden, so wie die Natur das Wasser spendete, das Wasser, das hier allein Leben bedeutete.

Leben — das war auch der einzige Gedanke, der Laska beherrschte. Das Brennen auf ihrem Fell machte sie verrückt, sie rannte durch Sand und Steinschluchten, und je mehr sie schwitzte, um so grausamer fraß sich das Feuer in sie hinein. In einer Senke sah sie einen kleinen Tümpel, Wasser, das aus einer unterirdischen Quelle kam und das sich jetzt am frühen Morgen eine Herde Springböcke versammelt hatte. Mit lautem Wiehern stürzte sich Laska in den Tümpel, wälzte sich im Wasser und spürte, wie das Brennen sofort nachließ und nur noch das Jucken blieb. Die Springböcke stoben davon, erschreckt von dem unbekannten schreienden Laut.

Laska wälzte sich weiter im Wasser, blieb dann auf der Seite liegen und atmete schwer. Diese herrliche Kühle! Und kein Feuer mehr, kein Feuer!

«Verdammt, da ist doch etwas los!«sagte Verschuren und zeigte nach unten. Eine Springbockherde jagte in panischer Flucht über das Land.

«Löwen!«rief der Pilot durch den Lärm der Rotoren.

«Hier? Nie! Geh 'runter, James. Zurück, wo die Böcke herkommen.«

Nur ein paar hundert Meter weiter sahen sie den Tümpel und einen braunen Körper, der halb im Wasser lag. Er strampelte mit den Beinen und wälzte sich hin und her.

«Ein Pferd!«brüllte Verschuren.»Laska! Laska!«Er hieb mit den Fäusten gegen die Glaskuppel des Hubschraubers.»Wir haben sie! Wir haben sie!«

Waghalsig setzte der Hubschrauber zur Landung an.

Zwei Tage später stand Laska wieder im Stallzelt des Turf-Clubs von Johannesburg. Dr. Rölle und vier südafrikanische Tierärzte, die besten Spezialisten aus Johannesburg, Pretoria und Durban, umringten Laska und wußten keinen Rat.

Das Fell war auf dem Rücken, an den Seiten und am Bauch in großen Partien zerstört. Die Haare fielen aus, als hätten sie keine Wurzeln mehr. Darunter kam das rohe Fleisch zum Vorschein, über das Dr. Rölle Penicillinpuder geschüttet hatte. Aus Laska war ein häßliches Pferd geworden, aber sie lebte. Weinend saß Angela unter Laskas Kopfund streichelte ihre Nüstern. Hartung rauchte nervös eine Zigarette nach der anderen, obwohl im Zelt Rauchen verboten war.

«Eins ist klar«, sagte Dr. Rölle.»Das Turnier ist gestorben.«

«Ich pfeife auf alle Preise«, rief Hartung,»wenn Laska diese Schweinerei übersteht. Ohne Spätschäden!«

«Sie verlangen viel, Hartung«, knurrte Dr. Rölle.»Bisher wissen wir nicht, was es überhaupt ist! Keine Säure, die Decke ist zur chemischen Untersuchung, kein Geruch an Fell und Decke, und trotzdem dieser schreckliche Haarausfall mit Loslösung der gesamten Haut. Sie sehen, auch die südafrikanischen Kollegen stehen vor einem Rätsel.«

«Es muß furchtbar leicht sein, Tierarzt zu werden!«sagte Hartung wütend.»Von der Luft kann diese Verletzung nicht kommen!«

Es war zum Verzweifeln. Man schmierte Salben auf Laskas zerstörten Körper und wußte doch, daß sie nichts nützten.

Am Abend erschien ein riesiger Bantu im Zeltlager und suchte Pedro Romanowski. Er grinste, als er ihn fand, winkte, zeigte hinter das Zelt und ging voraus. Romanowski zögerte. Det is 'n Ding, dachte er. Winkt mir zu.

Hinter dem Zelt wartete der große Bantu und deutete auf sich, als Romanowski erschien.

«Ich Petelo Nsombo«, sagte er in einem mühsamen Deutsch.»Früher bei deutsche Bwana als Boy. Ich dich umschlagen, mit Sand — bum!«

«Aha!«sagte Romanowski und knirschte mit den Zähnen.»Und nun willste de Quittung, wat?«

«Pferd sehr krank, durch Loa-loa.«

«Durch wat?«

«Loa-loa. Saft. Kann nur helfen Esanelo-Isansombo.«

«Wer is 'n det?«

«Medizinmann von Sambuko. Er hat Gegengift. Komm mit.«

«Junge, wenn det nich wahr is!«Romanowski ballte die Fäuste.»Ick mach 'nen Liliputaner aus dir!«

Romanowski lieh sich bei den amerikanischen Kollegen einen Jeep, lud Nsombo ein und raste mit ihm nach Norden, dann nach Osten in ein Gebiet aus Felsen und Weiden, wo die Sambuko-Bantus ihre Herden hatten. Nach vier Stunden Fahrt erreichten sie ein Negerdorf, und Romanowski hupte schon von weitem. Als sie auf dem Dorfplatz hielten, wurden sie von zwei starken Batteriescheinwerfern beleuchtet.

«Junge, wennste mir verschaukelt hast«, sagte Romanowski leise. Ihm wurde es unheimlich. Die Bantus umringten ihn, Speere in den Händen. Aus der größten Hütte kroch ein alter, verrunzelter Mann mit einem Hut, an dem ein Wedel aus Löwenhaaren hing.

«Longoma, der Häuptling«, flüsterte Nsombo.»Ich mit ihm sprechen und alles erklären. Dann wird Esanelo-Isansombo kommen.«

Romanowski tat alles, was Nsombo ihm sagte. Er saß aufdem Boden neben dem alten Häuptling, starrte den mit Glasketten und einer geschnitzten Maske vermummten Medizinmann Esanelo-Isan-sombo an und hörte dem Palaver zwischen Nsombo und den Sam-bukos zu. Dreimal fragte ihn der Häuptling etwas, er sagte:»Ja, so is det!«und freute sich, daß der alte Mann zufrieden nickte.

«Setz dich in die Mitte«, befahl Nsombo. Romanowski gehorchte.

Dumpfer Trommelklang erscholl. Der Medizinmann begann, um Romanowski herumzuhüpfen, klapperte mit Knochenstücken und stieß unter seiner bunten Holzmaske schrille Schreie aus. Zehnmal ließ sich Romanowski umtanzen, dann wurde es ihm zu dumm.

«Ick will keenen Original-Beat sehen!«brüllte er.»Ick will det Mittel für Laska!«

«Esanelo-Isansombo hat es bereits«, sagte Nsombo und drückte Romanowski wieder auf den Boden zurück.»Jetzt beschwört er die Geister, zu helfen!«

«Soll ick um Laska ooch so rumtanzen, wat?«schrie Romanowski.»Is det alles, wat ihr könnt?«

Es war nicht alles. Nach einer Stunde Tanz fiel der Medizinmann erschöpft um und blieb zuckend liegen. Nsombo holte aus dem Gürtel des Tänzers eine Limonadenflasche mit einer trüben, milchigen Flüssigkeit. Er warf sie Romanowski zu.

«Das Mittel! Wir wieder Freunde?«

«Wenn es hilft!«Romanowski rannte zu dem Jeep. Nsombo folgte ihm. Trommelwirbel begleitete sie.

Beim Morgengrauen erreichten sie Johannesburg wieder. Gemeinsam spülten Romanowski und Nsombo den Penicillinpuder von Laskas Körper und rieben die entsetzlichen Wunden mit der trüben Flüssigkeit aus der Mineralwasserflasche ein.

Um sieben Uhr erschienen Hartung, Angela und Dr. Rölle. Die Sorge um Laska hatte sie nicht schlafen lassen. Sie trafen Romanowski mit Tränen in den Augen bei Laska in der Box. Er schüttete gerade den zweiten Arm voll Heu in die Krippe.

«Sie frißt«, stotterte Dr. Rölle.»Sie frißt wieder! Pedro, wie haben

Sie das gemacht?«Er trat näher, fühlte Laska den Puls und legte die Hand unter ihren Bauch.»Fieberfrei! Pedro, was war los?«

«Ick habe mit dem Medizinmann palavert. «Romanowski grinste.»Und det da, det is mein neuer Freund.«

Aus der Nebenbox tauchte ein schwarzes, lachendes Gesicht auf.»Ich alles wiedergutmachen«, sagte Nsombo.»Dann Arbeit in Mine.«

Zwei Tage später begann das große Springturnier. Die deutsche Equipe ohne Laska belegte nur den dritten Platz, aber am Turnierrand stand Laska, häßlich mit ihren riesigen kahlen Fellstellen, doch ohne Fieber und mit wachen, glänzenden Augen. Das Wundermittel Esa-nelo-Isansombos lag wie eine zweite durchsichtige Haut über dem rohen Fleisch und schützte es.

Romanowski hielt Laska fest, und wenn sie hochsteigen wollte und wieherte, als sie die anderen Pferde über den Parcours gehen sah, hängte er sich in das Halfter und zog sie wieder herunter. Die Tränen liefen ihm dabei über die Wangen.

«Guckt doch mal!«stammelte er.»Wie se dasteht. Halbnackt. Jetzt macht det olle Luder ooch noch 'n Striptease!«

Und Nsombo, der Bantu, sagte mit blitzenden Zähnen:»Alles gut, alles gut. Pastor hat mir geschenkt Bild von St. Georg. Ich ganz glücklicher Mann.«

Das war Horst Hartung auch. Er lehnte an Laskas Hals und roch ihr Fell und schämte sich nicht, daß er plötzlich rote Augen bekam.

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