Das Schiff lag am Quai — lang, mit riesigen, den Himmel verdunkelnden Bordwänden, einem Gewirr von Ladebalken und Kränen, weißen Aufbauten, Fenstern, Bullaugen, Tauen, Entlüftungsrohren, kleinen und großen Masten, Ladeklappen, offenen La-debunkern, Winden und Kettenrollen. Lastwagen warteten hintereinander, um an die Kranarme zu kommen, dann schwebten Ballen und Kisten in den Bauch des Schiffes, Säcke und holzverschalte Maschinenteile. Wagen nach Wagen, es war, als sei der leere Leib des Schiffes nicht zu füllen oder die Ladung rutschte unten heraus in das Meer.
Dr. Rölle und Horst Hartung standen neben dem hohen, innen gepolsterten Transporter, auf dessen Seiten >Achtung, Turnierpfer-de!< stand. Romanowski saß vorn auf der Stoßstange und rauchte eine Zigarette.
Warten. Auch das Beladen eines Schiffes verläuft genau nach Plan. Die deutschen Reiter waren zu früh im Hafen von Durban erschienen, nun standen ihre Pferdetransporter abseits, Lademeister rannten an ihnen vorbei, brüllten mit den farbigen Schauerleuten, kommandierten die Lastwagenfahrer herum, schrien Transportnummern durch das Gekreisch der Kräne und sorgten für das, was man in diesem Gewühl für völlig unmöglich hielt — Ordnung.
Dr. Rölle starrte an dem hohen Schiffsrumpf empor und schüttelte den Kopf über das Gewirr von Tauen, Ketten, Balken, Kränen, Klappen und Rollen.
«Wenn man bedenkt, daß alles seinen eigenen Namen hat«, sagte er.»Die Seefahrt ist eine Wissenschaft für sich.«
«Tiermedizin ist leichter. «Hartung lachte und steckte die Hände in die Taschen.»Da kommt man mit einer schwarzen und einer gelben Salbe aus, vier verschiedenen Tabletten, einer Einlaufspritze und einer Grunddiagnose. Sie wissen, was ich meine, Doktor? Da ist ein Pferd mit Koliken. Der Tierarzt kommt, sagt zu dem Besitzer des Pferdes: >Heben Sie mal den Schwanz und sehen Sie ins Loch!<, tritt selbst ans Maul, reißt es auf und blickt auch hinein. >Sehen Sie mich?< ruft er dem Pferdehalter zu. Der antwortet: >Nein!< Darauf der Tierarzt: >Klare Diagnose: Darmverschlin-gung!<«
«Ein uralter Hut, den nicht mal ein Esel frißt!«Dr. Rölle verzog das Gesicht. Dann erhellte es sich, und seine Figur straffte sich. Er fuhr sich mit der Hand schnell über das Haar und begann zu lächeln, mit einem so romantischen Blick, daß Hartung verblüfft die Zigarette auf den Boden warf.
«Ist Ihnen nicht wohl, Doktor?«fragte er.
«Afrika ist ein schönes Land.«
Hartung stieß Dr. Rölle vorsichtig in die Seite.»Doktor, allen Ernstes, haben Sie einen Anfall? Natürlich ist Afrika schön, aber Sie stehen da wie hypnotisiert! Beim Anblick eines dreckigen Schiffskörpers.«
«Es kann gar keinen schöneren Körper geben. Horst, wenden Sie mal die Augen nach links. Halt. «Dr. Rölle hielt Hartungs Kopf fest.»Ehe Sie hinblicken — diesmal ist es für mich reserviert! Feste Regel bei den Seefahrern, wer das Land entdeckt, dem gehört es! So — und nun Augen links!«
Hartung drehte sich herum. Er wollte lachen über Dr. Rölles verschrobenen Einfall, aber das Lachen blieb ihm vor Staunen in der Kehle stecken.
Aus einem schweren englischen Wagen stieg gerade eine Frau. Rote, leuchtende Haare, schmales Gesicht, lange Beine in weißen, enganliegenden Hosen, kurvenreicher Oberkörper in einer fast durchsichtigen geblümten Bluse. Ein farbiger Chauffeur in weißer Uniform rannte um das Auto herum und klappte den Kofferraum auf. Rote Lederkoffer wurden vorsichtig auf den Boden gehoben.
«Rot scheint ihre Farbe zu sein«, sagte Hartung und strich seinen Rock glatt.
«Aha!«knirschte Dr. Rölle hinter ihm.
«Was heißt hier aha!«
«Sie stellen sich schon in Positur, Horst. Diese Dame da ist für Sie off limits!«
«Sogar einen roten Schirm hat sie«, sagte Hartung.»Vielleicht die Tochter des sowjetischen Botschafters?«
«Ihre dummen Witze!«Dr. Rölle schob sich an Hartung vorbei nach vorn.»Denken Sie daran, Angela ist schon an Bord! Ich aber bin Witwer! Und da diese Dame allem Anschein nach auch aufun-serem Schiff nach Australien fahren will, kann man Komplikationen entgehen, indem Sie, Horst, sich nicht um sie kümmern.«
«Ein meisterhafter Satz. «Hartung klopfte Dr. Rölle von hinten auf die Schultern.»Viel Glück, Doktor. Die Dame wird begeistert sein, wenn Sie ihr die erste Eiweißurinprobe unserer Pferde vorführen!«
Die Dame mit den roten Haaren hatte ihre Koffer gezählt, sprach mit ihrem pechschwarzen Chauffeur und winkte dann zum Schiff hin. Auf dem Fallreep für Passagiere erschien oben eine weiße Gestalt, der Erste Zahlmeister. Er grüßte stramm und sah in seiner Uniform sehr attraktiv aus.
«Schon ist sie da, die Konkurrenz«, lachte Hartung leise und gab Dr. Rölle einen Stoß in den Rücken.»Auf in den Kampf, Doktor. Sie konnten Uniformen ja nie leiden. Boxen Sie den Zahlmeister aus dem Feld. Aha, jetzt kommt die Dame in Rot. Genau auf uns zu. Kein Herzklopfen, Doktor! Ich gebe zu — die schönste Stute verblaßt dagegen.«
Die Dame — beim Näherkommen sah man, daß sie nicht älter als fünfundzwanzig sein konnte — blieb plötzlich mit einem Ruck bei den Pferdewagen der deutschen Equipe stehen und lächelte an Dr. Rölle vorbei Horst Hartung an. Es war ein so betörendes, jedes Männerherz treffendes Lächeln, daß Dr. Rölle verhalten schnaufte. Die Sonne reflektierte in ihrem Haar und ließ es in vielfarbigen Rot- und Goldtönen flimmern.
«Sie sind Horst Hartung, nicht wahr?«fragte die Dame in fließendem Deutsch mit einem leichten englischen Akzent.
Hartung verbeugte sich kurz.»Ihre Vermutung ist richtig, Madam.«
«Ich bin nicht verheiratet. «Wieder das Lächeln.»Ich habe Sie nach Bildern wiedererkannt. Zeitungsbilder. Ich bin Eve Walkering.«
«Ich freue mich, daß wir anscheinend das gleiche Ziel haben. «Hartung ging um Dr. Rölle herum.»Sydney?«
«Nein. Ich steige schon in Adelaide aus. «Eve Walkering zeigte auf den noch verschlossenen Transporter, auf dessen Stoßstange noch immer Romanowski saß, die Mütze schief auf dem Kopf und mit einem verhaltenen Grinsen.»Ist Laska darin?«»Ja.«
«Welch ein Unglück damals. Ich war auf der Tribüne, als wir erfuhren, was ihr passiert war. Ist sie wieder gesund?«
«Die Krise ist überstanden. Sie sieht noch aus wie ein alter, häßlicher Klepper, dem die Haare gleich quadratmeterweise ausfallen. Aber bis Sydney wird sie wieder fit sein.«
«Und Sie reiten in Sydney?«
«Bestimmt.«
«Dann werde ich von Adelaide herüberfliegen und zuschauen. «Sie sah ihren Koffern nach, die von vier Boys auf das Schiff getragen wurden. Dann rollte der schwere englische Wagen an ihnen vorbei zu einem der Kräne. Er wurde also auch verladen.
«Sie kommen noch nicht an Bord?«
«Später, Miss Walkering. Erst die Pferde, dann wir. «Hartung hob bedauernd beide Hände.»So ist das bei uns — wichtiger als wir sind die Tiere. Nur mein Freund, Dr. Rölle, der Tierarzt, darf vor uns allen an Bord. Er muß oben sein und den Pferden den Puls fühlen, wenn sie vom Kran heruntergelassen werden.«
Eve Walkering lachte. Ein glockenheller Ton, vielleicht ein wenig zu hart und kalt. Es fehlte die Wärme.»Bis nachher«, sagte sie.
Hartung und Dr. Rölle sahen ihr nach. Ein schwebender Gang, die Figur einer Sylphide, um den Kopf wie ein Strahlenkranz das rote Haar.
«Das vergesse ich Ihnen nie!«knirschte Dr. Rölle.
«Was?«
«Sie ist auf Sie geflogen!«
«Kann ich dafür, daß Sie mich nach Bildern wiedererkennt und nicht Sie? Soviel ich weiß, existiert von Ihnen nur ein Pressefoto, auf dem Sie einem Pferd mit Blähbauch einen Einlauf machen. Geben Sie zu, daß so etwas nicht gerade anreizend ist. Außerdem habe ich Sie der roten Eve vorgestellt, empfohlen und angedeutet, daß Sie vor mir an Deck sind. Was wollen Sie noch mehr? Soll ich Ihnen Eve Walkering in Ihre Kabine tragen?«
Dr. Rölle seufzte laut, strich sich wieder über seine Haare und blickte Hartung böse an. Aber im Hintergrund seiner Augen schimmerten Fröhlichkeit und jungenhafte Abenteuerlust.
«Horst, wenn Sie einmal vom Pferd fallen sollten und sich den Nackenwirbel brechen, verspreche ich Ihnen erste Hilfe — ich blase Ihnen Kolikmittel in den Hintern!«
Mit schnellen Schritten ging er Eve Walkering nach, die schon am Fallreep war. Der Zahlmeister kam ihr entgegen, fast tänzelnd, ein ziemlich widerlicher Kerl, wie Dr. Rölle feststellte.
«Herrchen!«Romanowski kam heran. Mit der Mütze wedelte er sich Luft zu. Die Geruchsmischung von Brackwasser, Öl, Benzin, Teer, Pferdeschweiß, Farbe, heißem Eisen und Schmierfett legte sich selbst ihm auf die Lunge.»Sie fährt mit uns?«
«Wer?«
«Det rote Weib!«
«Ich kann es nicht verhindern. Es wollen auch noch andere Leute nach Australien.«
«Ick prophezeie, det jiebt wieder 'ne jroße Szene mit Frollein An-jela.«
«Das befürchte ich auch, Pedro. Was soll ich machen?«
«Tote Fliege spielen, Herrchen.«
«Auf dem blauen Meer? Bei diesem Himmel?«
«Angela, Herrchen.«
«Ich werde mich vor ihr verkriechen, wo ich kann, Pedro. «Hartung blickte seinem Pferdeknecht tief in die Augen —,»warum habe ich immer die Frauen am Hals?«
«Wenn ick det wüßte, Herrchen. Viel ist an Ihnen wirklich nich dran.«
Vom Fallreep erschien der Zahlmeister, eine Liste in der Hand.»In zehn Minuten verladen wir Sie!«rief er.»Alles bereit?«
«Alles. «Hartung gab Romanowski einen Schubs.»Fahr zum Kran, du Affe!«
Romanowski grinste und lief zum Wagen. Der Zahlmeister klemmte seine Listen unter die Achsel und blickte hinauf zur Reling. Dort stand Dr. Rölle und hatte es fertiggebracht, mit Eve Walkering ins
Gespräch zu kommen.
«Wissen Sie, wer das ist?«fragte der Zahlmeister.
«Miß Walkering.«
«Sonst nichts?«
«Nein. Offensichtlich liebt sie Rot.«
«Ihr Vater besitzt in Australien und hier in Afrika Goldminen. Ein Mädchen aus Gold gewissermaßen. «Vom Schiff, irgendwoher aus dem Gewühl, ertönte eine Sirene. Dumpf, durchdringend. Der Zahlmeister nickte.»Sie sind dran. Wollen Sie die Wagen getrennt von den Pferden hochhieven lassen oder mit den Pferden?«
«Lieber getrennt.«
«Okay! Sie können mit den Pferden hinten über Fallreep III an Bord. Die Wagen kurbeln wir hier hoch. Bis nachher, Mr. Hartung.«
Der Zahlmeister grüßte, wandte sich um und rannte wieder an Bord.
«Pferde ausladen!«rief Hartung.
Die jungen Nachwuchsreiter der deutschen Equipe rannten zu den Transportern. Romanowski öffnete die Falltür seines Wagens. Las-kas Kopf erschien, edel und schön wie immer, mit großen, sprechenden, klugen Augen, aber dann folgte ein Körper mit einem so zerstörten Fell, daß nicht einmal ein blinder Zigeuner zehn Mark für sie in die offene Hand gelegt hätte.
Laskas erster Blick suchte Hartung. Als sie ihn gefunden hatte, wieherte sie leise, voll Zärtlichkeit.
«Et jeht los, Olle«, sagte Romanowski und führte sie aus dem Transporter.»Und vornehm jehn wir an Bord — zu Fuß.«
Hartung trat an Laska heran. Ihre weichen Nüstern tasteten nach ihm. Er umarmte ihren Kopf und streichelte über ihren gebogenen Hals.
«Wie geht's dir, mein Mädchen?«fragte er leise.
Und ebenso leise schnaufte Laska an seiner Schulter und zwickte ihn ganz leicht in den Rock.
«Wie ein Liebespaar«, sagte oben an der Reling Eve Walkering.»Man könnte eifersüchtig werden!«
«Ich bin es seit vier Jahren«, antwortete Angela Diepholt.
So lernten sie sich kennen, zwei Frauen wie Feuer und Wasser. Und sie mußten jetzt zusammenleben, über eine Strecke von sechstausend Seemeilen, drei Wochen lang Seite an Seite, und zwischen ihnen der Mann, den die eine erobern und die andere behalten wollte.
Aber daran dachten sie hier oben an der Reling noch nicht, sie beobachteten gemeinsam, wie Romanowski Laska zu dem schrägen, breiten Fallreep führte und wie Laska plötzlich unruhig wurde, den Kopf hochwarf, die Ohren zurücknahm und zu tänzeln begann. Elegant sah das aus, aber wer Pferde kennt, weiß, daß es keine Lebenslust, sondern Abwehr, Angst, Widerstand ist. Vor dem Holzsteg gehorchte Laska der Führung Romanowskis nicht mehr, sie warfden Kopfmit einem heftigen Ruck hoch, Romanowski fluchte, schüttelte seine aus dem Halfter gerissene Hand und sprang zur Seite. Laska machte einen Satz und blieb dann mit zitternden Flanken vor dem Fallreep stehen.
«Dämliches Luder!«schrie Romanowski.»Biste noch nie uffn Schiff jeklettert? Benimm dir bloß nich wie von 'ner Wespe jestochen! Los, ruff uffn Kahn!«
Aber Laska blieb stehen. Als Romanowski zu ihr trat, zog sie die Nüstern hoch und bleckte das Gebiß. Ihre Beine stemmten sich gegen den Betonboden, als wolle sie sich darin verankern. Romanowski unternahm keinen Gewaltakt, er versuchte nicht einmal mehr, auf Laska einzureden. Resignierend schob er die Mütze ins Genick und winkte ab.
«Denn also nich! Wirst sehn, wat se mit dir machen! Schnallen dir 'nen Jurt um 'n Bauch und ruff geht's in de Luft. Da kannste quieken, det stört die nich.«
Von den Wagen kam Hartung. Hinter ihm klapperten die Hufe der deutschen Springpferde. Neun edle, wie Schmuckstücke bewachte Pferde wurden von ihren Pflegern und begleitet von ihren Reitern zum Fallreep geführt.
«Was ist denn los?«rief Hartung schon von weitem.
«Se will nich, Herrchen!«brüllte Romanowski zurück.»Sehn Se sich det an. Ick jeh nich mehr ran!«
Oben an der Reling erläuterte Dr. Rölle Name und Rasse der einzelnen Pferde. Interessiert hörte Eve Walkering zu. Aber ihre Augen verfolgten Hartung. Forderung und Leidenschaft lagen in diesem Blick.
«Was jetzt?«fragte sie plötzlich.
«Ich verstehe Sie nicht, Gnädigste«, sagte Dr. Rölle, aus seinem Vortrag gerissen.
«Was macht Hartung jetzt, wenn Laska nicht aufs Schiff will?«
«Das gibt es gar nicht. Laska tut alles, was Hartung will.«
«Heute scheint es umgekehrt zu laufen.«
«Warten Sie ab.«
Hartung war vor Laska hingetreten. Sie hatte den Kopf erhoben, ihre großen, klaren Augen hatten einen furchtsamen Ausdruck. Die Ohren spielten unruhig. Sie stand wie ein Denkmal, zitterte nur ab und zu in den Flanken.
«Stell dich nicht an«, sagte Hartung leise.»Mein Mädchen, du tust so, als hättest du noch nie ein Schiff betreten. Was sollen die anderen von uns denken? Alle sehen uns zu. Komm, Laska!«
Laska rührte sich nicht. Ihre Nüstern schoben sich ein wenig über die Zähne.»So 'n hysterisches Weibsstück!«schnaubte Romanowski.»Det hat se noch nie jetan! Die beißt, wenn Se ihr anpacken. Ooch bei Ihnen, Herrchen.«
Hartung sah Laska ruhig in die schreckgeweiteten Augen. Er gab zu — so hatte er sie noch nie gesehen. Es war das erstemal, daß selbst er nicht mehr ihre Absicht erkannte, daß ihm ihr Verhalten fremd war. Irgend etwas stimmt hier nicht, dachte er. Laskas Instinkt ist ein Wunderwerk der Natur, wir haben es oft genug erlebt.
«Komm«, sagte er noch einmal und winkte.
Laska stand wie ein brauner Marmorblock.
«Es ist gut«, sagte Hartung laut.»Dann bleibst du in Afrika zurück, und wir fahren allein nach Sydney. Es gibt nicht nur eine Las-ka auf der Welt.«
Er drehte sich um und ging den schrägen Laufsteg hinauf zum unteren Deck. Von den Kränen her rollten bereits die Transportwagen der Turnierpferde, wurden vertäut und mit Planen überspannt.
Laska blickte ihrem Herrn nach. Sie schnaubte, wieherte dann leise, schließlich lauter, immer heller, bis ihr Wiehern wie ein Schrei war. Sie warf den Kopf hoch und stieß einen so grellen Ton aus, daß Hartung zusammenzuckte und Romanowski die Mütze vom Kopf riß.
Hartung zögerte, ging aber dann weiter, langsamer, doch ohne sich umzublicken.
Laska durchfuhr ein heftiges Zittern. Mit einem tiefen Schnaufen senkte sie den Kopf, zögernd hob sich der rechte Fuß, sie scharrte ein paarmal, blickte dann Romanowski mit tieftraurigen Augen an und setzte sich in Bewegung. Allein, ohne Führung, folgte sie Hartung langsam, mit hängendem Kopf, ihre Hufe klapperten über die Holzplanken, und Hartung, der es hörte, ging weiter, aber sein Herz schlug plötzlich schneller. Erst oben an Deck drehte er sich um und erwartete Laska, die sich jeden Schritt abrang. Man sah es, ihre Füße verharrten in der Luft, ehe sich die Hufe wieder senkten.
«Bist ein dummes Mädchen«, sagte Hartung, als sie endlich an Deck war. Er umarmte ihren Kopf und küßte sie auf die Nüstern.»Ich hätte dich unten stehen und in Afrika zurückgelassen.«
Es gab niemanden, der Hartung das glaubte. Auch Laska nicht.
Nach vier Stunden legte die >Seemaid< ab.
Ohne Bordkapelle, ohne große Feierlichkeiten, das Schiff war ein Riesentransporter mit einem Passagierteil, der als weißer Klotz hinter der Brücke, dem Kapitänsraum, den Navigations- und Funkkabinen angebaut war. Allerdings ein feudaler Teil mit fünfundzwanzig Erster-Klasse-Kabinen, einem Speisesaal, einer kleinen Bar, einer Bibliothek, einer gedeckten und verglasten Wandelhalle, einem Zwischendeck mit Liegeterrasse und einem kleinen Schwimmbad, alles verbunden durch Treppen und Treppchen, die immer neue Winkel des Schiffes erschlossen. Dann wurde das Schiff flach, die Ladebäume über riesigen Luken beherrschten das Bild, ein langes Deck, auf dem sich in genau berechneten Blocks riesige Kisten und Behälter aus Aluminium stapelten, durch Taue gesichert gegen alle Gefahren, die ein unruhiges Meer für ein Schiff bereithielt. Noch weiter zum Bug standen die Transporter der deutschen Equipe, der Luxuswagen Eve Walkerings und Maschinen in Bretterverschlägen. Fast vorn am Bug hatte man eine Art Stall aufgebaut. Ein langes und breites hölzernes Dach, unter dem die Boxen lagen, enge Holzkäfige, damit die Pferde bei grobem Seegang nicht ausrutschten und hinfielen. Der Boden war hoch mit Stroh bedeckt, darunter, als >Sau-boden<, eine Schicht Sägemehl. Vor dem >Stall< hatte man einen Auslauf abgegrenzt mit einer mittelhohen Bretterwand. Hier konnten die Pferdeknechte die Tiere tagsüber bewegen, ganz vorsichtig, denn die Bohlen des Decks waren für die empfindlichen Turnierpferde glatt wie Eis, und jedes Ausrutschen konnte einen Bruch bedeuten, eine Verstauchung, eine innere Verletzung, das Aus für den Einsatz in Sydney. Standen die Pferde in den Boxen, waren sie angebunden. Sie blickten nur auf die Bretter vor sich, das Meer, die Wellen, die Schaumkronen sahen sie nicht. Es wurde alles vermieden, was sie nervös machen könnte.
Es ist unbekannt, ob Pferde seekrank werden können — für Romanowski stellte sich diese Frage nicht. Kaum schwamm die >See-maid< ein paar Meilen von Afrikas Küste entfernt, wurde er grün im Gesicht und verschwand irgendwo auf dem Schiff.
Ab und zu tauchte er auf, sehr wortkarg, bleich, mit geröteten Augen, flüchtete zu Laska in den Stall, spürte dort wieder das Wiegen und Rollen des Schiffes, preßte die Hände vor den Mund und rannte davon.
Am Abend lag er erschöpft auf Deck, lehnte an einer Maschinenkiste und starrte in die glutrot untergehende Sonne. Er würgte schon wieder, aber wo nichts ist, kann auch nichts kommen, sein Magen war leer, und auch die Galle streikte. Er kam sich wie ausgedörrt vor.
«Bis Australien bin ick wie 'ne Rosine«, sagte er zu Hartung, der nach Laska sehen wollte.»Herrchen, wenn ick kotzen muß, hol ick mir schon die Flüssigkeit aus 'n Zehen.«
«Und Laska?«fragte Hartung. Er bedauerte Romanowski nicht, er kannte diesen Zustand. Bisher waren sie fünfmal mit dem Schiff gefahren, und Romanowski hatte fünfmal wie ein Sterbender herumgelegen. Sogar bei der kurzen Überfahrt nach Norderney, wo Hartung ein Schauspringen absolviert hatte.
«Die Olle is munter. «Romanowski würgte und hielt seine Mütze vor den Mund. Aber es kam nur Luft.»Herrchen, ick jehe ein.«
«Trink drei Kognaks.«
«Uffn nüchternen Majen?«
«Eben. Dann merkst du nicht, daß du seekrank bist. Ans Betrunkensein hast du dich ja gewöhnt.«
Romanowski seufzte, würgte wieder und rollte die geröteten Augen. Dann sprang er auf und rannte davon.
Im Speisesaal hatte man eine große hufeisenförmige Tafel aufgebaut, an der alle Passagiere, die Offiziere des Schiffes, die Zahlmeister und der Schiffsarzt Platz hatten. Man umging damit die sogenannte >Kapitänstafel<, an der zu sitzen eine besondere Ehre war und um die es sonst jeden Tag eine ausgeklügelte Sitzordnung zu erstellen galt. So saß jetzt alles neben dem Kapitän, der als Mittelpunkt des Hufeisens seine Liebenswürdigkeiten gleichmäßig auf die Passagiere verteilte.
«Das laß ich mir patentieren«, sagte Kapitän McClean, als er diese Tischordnung bestimmte.»Bis zu fünfzig Passagieren kann man das praktizieren.«
Eve Walkering hatte die Männer der >Seemaid< schon durcheinandergebracht, ehe das erste Essen stattfand. Der Erste Zahlmeister und der Erste Offizier Phil Donald, ein großer, schlanker Mann mit dem Gesicht eines Hollywoodstars, brillant aussehend in seiner weißen Uniform, wenn die goldenen Ärmelstreifen in der Sonne blitzten, hatten sich schon am Morgen gestritten, neben wem Eve sitzen sollte.
«Sie werden auf der Brücke sein«, sagte der Zahlmeister und grin-ste anzüglich.»Einer muß sich um das Schiff kümmern, wenn der Käpt'n ißt.«
«Und Sie werden mit Ihrem langweiligen Gesicht Miss Walkering den Appetit verderben!«Phil Donald rieb sich die Hände.»Gut, ich überlasse Miss Eve für das Mittagessen Ihrer Obhut, sie wird beim Abendessen garantiert zu mir flüchten, wenn sie Sie sieht.«
Auch Dr. Rölle schlich herum und suchte den Verantwortlichen für die Sitzordnung. Er erfuhr, daß Kapitän McClean die letzte Instanz war, und erkletterte die Kommandobrücke. McClean, der keinen Laien in seinem Kommandostand duldete, sah Dr. Rölle mit gerunzelten Brauen entgegen.
«Ich bin nicht krank«, sagte er grob.»Außerdem bin ich kein Pferd, sondern ein Bulle.«
«Ich behandle auch Rindviecher«, antwortete Dr. Rölle schlagfertig.»Nur eine Frage, Herr Kapitän — ist es möglich, daß Miss Walkering neben mir sitzt?«
«Nein.«
«Warum nicht?«
«Weil sie neben mir sitzt.«
«Aha! Immer? Zu jeder Mahlzeit?«
«Um allen Komplikationen, die ich kommen sehe, aus dem Wege zu gehen, wäre das die beste Lösung.«
«Und wenn Miss Walkering das nicht will?«
«Das ist etwas anderes. Der Wunsch einer Dame ist einem Kavalier Befehl. «McClean blickte Dr. Rölle mit Schadenfreude an.»Sie hat übrigens ihren Wunsch schon geäußert. Sie möchte neben Mr. Hartung sitzen.«
Dr. Rölle schlug die Hände zusammen.»Um Himmels willen!«rief er.»Haben Sie ihr das zugesagt?«
«Ja. Warum denn nicht?«
«Und das nennen Sie Komplikationen vermeiden? Wo soll Miss Diepholt sitzen?«
«Neben dem Zweiten Offizier. Ein angenehmer Mensch.«
«Damit legen Sie eine Bombe, Kapitän. Werfen Sie mich nicht von der Brücke, wenn ich Ihnen rate — setzen Sie Miss Walkering und Hartung so weit wie möglich auseinander, sonst können Sie Ihr schönes Schiff gleich in die Luft sprengen.«
McClean sah Dr. Rölle nach. Sein Gesicht war sehr nachdenklich. Er griff zum Telefon und rief die Zahlmeisterei an.
«Sitzänderung bei Tisch. Miss Walkering kommt zu mir, Mr. Hartung zusammen mit Miss Diepholt am rechten Tischende. Daneben Mr. Donald mit der netten alten Dame — wie heißt sie noch?«
«Mabel Zukerman. «Der Zahlmeister raufte sich die Haare.
«Richtig. Sonst bleibt alles solo. Noch Fragen?«
«Keine Fragen.«
McClean hängte ein.
«Diese Weiber«, sagte er brummend.»Ein Schiff mit wilden Affen ist leichter zu übersehen.«
Er sollte recht behalten.
Zunächst geschah nichts.
Die Mittag- und Abendmahlzeiten verliefen ruhig. McClean erzählte haarsträubende Seefahrergeschichten, die keiner glaubte, aber alle taten so, als nehme man sie für bare Münze. Es gehörte zu einer Kapitänstafel, sich in Seemannsgarn einwickeln zu lassen. Die Atmosphäre war gelockert, Eve Walkering flirtete mit dem Kapitän, der es souverän überstand, mit dem Zahlmeister, der Herzschmerzen bekam, dem Ersten Offizier, der am zweiten Abend verdächtig oft an Eves Kabine vorbeistrich, mit Dr. Rölle, der von seiner Tierarztzeit bei Sarasani und dem amerikanischen Zirkus Dudley Brothers erzählte und eine Löwenoperation so plastisch schilderte, daß Miss Walkering nach einem Cocktail verlangte — mit allen Männern, auch den jungen deutschen Reitern, spielte Eve Katz und Maus, aber aus den Augenwinkeln schielte sie immer wieder zu Horst Hartung, dem großen Fang.
«Sie ist sechsundzwanzig Jahre alt«, sagte Dr. Rölle am zweiten Abend zu Hartung.»Ohne Blinddarm.«
«Oha! Sie haben die Narbe schon gesehen?«
«Quatsch. Sie sagte es so im Gespräch. Ich glaube, ich habe reelle Chancen.«
«Dann verliert die deutsche Equipe einen leidlich guten Arzt. Als Ehemann einer Millionärin haben Sie es nicht mehr nötig, Koliken zu kurieren. Schade. Sie konnten so gute Darmspülungen machen!«
Und Angela sagte:»Sie wartet! Sie wartet nur auf eine Gelegenheit. Wie ein Raubtier liegt sie im Hinterhalt und duckt sich zum Sprung. Aber das Wild ist noch nicht nah genug.«
Sie sagte es zu Dr. Rölle, der ihr sofort zustimmte.»Lassen Sie Horst nie aus den Augen. Wir wissen alle, wie er ist. Er trägt ein moralisches Korsett, aber wie Siegfried hat er eine verwundbare Stelle.«
Die Tage, herrliche Sonnentage unter einem wolkenlosen, blaßblauen Himmel, sanft dahinwiegend auf einem fast spiegelglatten Meer, verträumte man in den Liegestühlen, planschte im Swimmingpool, spielte Karten, las, stand an der Reling und beobachtete Delphine und fliegende Fische, sah auch einmal ein paar Haie, dreieckige Rückenflossen, die auftauchten und durch die Wellen pflügten. Tage voller Träumen und Nichtstun, wenn man davon absieht, daß Eve Walkering den Vorschlag machte, auf dem Ladedeck ein Stück abzustecken und Federball darauf zu spielen.
Sie verbrauchte in fünf Tagen neun Partner, darunter den Ersten Zahlmeister und Dr. Rölle.»Ich werde das Rauchen aufgeben!«stöhnte Dr. Rölle. Er hockte schwitzend im Schatten eines Entlüftungsrohres auf einem Klappschemel.»Die ganze Luft ist ja voll Dampf!«
Die deutsche Springreiter-Equipe war tagsüber voll beschäftigt. Die Pferde wurden bewegt, so gut es auf den Deckplanken ging. Hartung machte am zweiten Tag einen Vorschlag: Wenn man die Holzdielen mit großen Segeltüchern bedeckte, könnte man sogar im leichten Trab reiten. Die Rutschgefahr wäre gebannt.
«Eine gute Idee«, sagte McClean.
Zwei Stunden später hatten Matrosen einen Teil des Vorderdecks mit Segelleinen belegt. Hartung probierte den >Abreiteplatz< aus, er ließ Laska satteln und stieg auf. Auf dem Oberdeck ihrer Kabinenbauten standen die Passagiere und sahen zu.
Laska ging brav im Schritt. Aber man sah, wie ihre Hufe den neuen Boden abtasteten. Als sie spürte, daß der Halt besser war, warf sie die Beine wieder so elegant und mit jener unnachahmlichen Grazie, die Hartung schon begeistert hatte, als er Laska zum erstenmal im Rund des Zigeuner-Zirkus sah.
«Ein herrliches Pferd«, sagte Eve Walkering. Sie trug nur einen Bikini, so eng und knapp, daß Dr. Rölle Hustenreiz bekam. Das war kein Badeanzug mehr, sondern eine Demonstration.
Hartung fiel in ganz leichten Trab. Laska warfdie Beine, der Halsbogen war vollkommen, ihr Gang sah schwerelos aus, wie ein Huschen der Hufe über den Boden. Wer sah bei soviel Eleganz noch die häßlichen Flecken auf ihrem Fell?
Von diesem Tag an arbeitete die deutsche Equipe jeden Vormittag zwei Stunden und am Nachmittag drei Stunden mit den Pferden. Die >Seemaid< stampfte ruhig übers Meer, an den wiegenden Boden hatten sich die Pferde schnell gewöhnt. Nur Romanowski rang mit der See. Wenn er zur blassen Linie des Horizontes blickte, wo Himmel und Meer zusammenflossen zu einer blauschimmernden Einheit, und wenn dieser Horizont dann zu schwanken begann, verdrehte Romanowski die Augen und klammerte sich an der Reling fest.
«Und det, wo mein Vater bei de Marine jedient hat«, stammelte er, als Hartung ihm vom Schiffsarzt Tabletten brachte.»Aba bei 'n U-Booten war er, da sieht man det Meer nur von unten!«
Die Abende und Nächte waren wie Samt. Dunkelblauer Samt, mit Sternen bestickt. Warmer Samt, in den man sich einhüllen konnte und träumen. Nach dem Essen spielte eine Dreimann-Band aus Matrosen. Sie waren keine Profis, aber sie hatten Schwung, ein modernes Repertoire, machten auf Show-Band mit wechselnden Kostümen und sorgten jedenfalls für Stimmung im Speisesaal. Da an Bord nur sechs Frauen waren, ging es streng der Reihe nach, wer mit wem tanzen durfte, sogar die alte Mrs. Zukerman wurde zum
Walzer und Slowfox geholt, was ihr jedesmal einen leisen Aufschrei entlockte. Nach einem solchen Abend rief sie den Schiffsarzt in ihre Kabine und ließ sich eine Schlafspritze geben, so aufgeregt und beschwingt war sie plötzlich.
Unmerklich drängte sich die Katastrophe in diese lauen, samtigen Nächte hinein. Hartung tanzte nur mit Angela und den anderen Damen, seinen Pflichttanz mit Eve Walkering absolvierte er wie in der Tanzstunde. Aber am zehnten Abend ging Eve zum Angriff über. Während sie zusammen im Hintergrund des Speisesaales einen langsamen Walzer tanzten, spürte Hartung plötzlich, wie sie die Führung übernehmen wollte.
«Nanu?«sagte er.»Tanzen wir seitenverkehrt?«
«Ordnen Sie sich einmal unter«, entgegnete sie leise.
«Wenn das Ihr Wunsch ist.«
Er gab nach, ließ sie beim Tanz führen und sah, daß sie mit ihm aus dem Saal tanzte, hinaus auf die gedeckte Veranda und von dort auf das Oberdeck. Hier war die Musik so leise, daß sie ihn lächelnd losließ und sich gegen die Reling lehnte. Ihr Kleid war tief ausgeschnitten und zeigte den Brustansatz. Darüber flossen ihre roten Haare.
«Sie wird Gift und Galle spucken«, sagte sie.
«Wer?«
«Ihre Braut. Diese Eifersucht ist dumm. Man sagt, ein großer Künstler gehört nie einem Menschen allein, er gehört der ganzen Welt. Sie sind auch ein Künstler, der größte vielleicht — ein Künstler auf dem Pferderücken. Sie gehören ebenfalls der ganzen Welt, und damit eigentlich auch mir. Ist das logisch?«
«Weibliche Logik.«
«Die beste Logik.«
Sie warf den Kopf zurück und blickte in den Sternenhimmel. Ihre Brüste strafften sich. Hartung blickte sich schnell um. Sie waren allein, Angela war ihnen nicht gefolgt.
«Sie lieben das Abenteuer?«fragte er.
«Sie nicht?«
Hartung holte ein Zigarettenetui aus der Tasche und hielt es ihr hin. Eve nahm eine Zigarette, rauchte sie an und warf sie dann über die Schulter ins Meer. Dabei lachte sie — ihr helles, hartes Lachen, hinter dem Gefahr lauerte.
«Sie haben in Ihrem Leben alles bekommen, was Sie wollten, nicht wahr?«fragte Hartung.»Kleider, Pelze, Autos, Häuser, Tiere und Menschen.«
«Ja. Ich bin Abraham Walkerings einzige Tochter. Zum fünfundzwanzigsten Geburtstag hat er mir die afrikanische Goldmine geschenkt. «Sie sah Hartung mit einem tiefen Blick an, warf plötzlich die Arme um seinen Hals und preßte sich an ihn.»Gibt es für Sie noch etwas anderes als Pferde?«
«Eine ganze Menge.«
«Auch die Liebe?«
«Auch die.«
«Ich weiß es. Hätten Sie eine andere Antwort gegeben, hätte ich Sie Lügner genannt. Jeden Abend, wenn sie glaubt, die anderen schlafen schon, schleicht ein Mädchen in Ihre Kabine.«
Hartung wurde verlegen. Sie hat Angela beobachtet. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, der späten Zeit und dem blitzschnellen Huschen von Tür zu Tür — denn Angelas Kabine lag neben seiner — war Eve Walkering Zeugin ihrer Liebe geworden.
«Angela und ich sind verlobt«, sagte er, ohne einen Grund zu sehen, weshalb er sich rechtfertigte.
«Ich weiß es von Dr. Rölle. «Eve hing an seinem Hals, ihr schmales, porzellanhaftes Gesicht war ihm ganz nah. Der Wind wehte ihre roten Haare über seine Augen, Haare wie Seide, leicht nach einem französischen Parfüm duftend, das an Gras in der Sommersonne erinnerte.»Aber Sie gehören der ganzen Welt, davon gingen wir vorhin aus. Auch mir! Küß mich!«
«Was haben Sie davon?«fragte eine Stimme hinter ihnen.
Hartung fuhr herum. Eve, die noch immer die Arme um seinen Nacken geschlungen hatte, wirbelte um ihre eigene Achse. Angela stand an der Reling, lautlos aus der Dunkelheit aufgetaucht. In der
Tür zur gedeckten Glasveranda erschien Dr. Rölle, mit wedelnden Armen und zerknittertem Gesicht.
«Ich konnte sie nicht ablenken«, stammelte er.»Als Sie aus dem Saal tanzten.«
«Küssen Sie ihn!«sagte Angela laut. Sie zeigte auf Hartung.»Los! Küssen Sie ihn! Wenn darin Ihre ganze Seligkeit liegt, ich trete ihn Ihnen für ein paar Sekunden ab!«
«Angela!«Hartung versuchte, Eves Arme von seinem Nacken zu lösen. Aber je mehr er zerrte, um so fester umschlangen sie ihn, zogen seinen Kopf zu ihr hinunter. Er sah ihr ins Gesicht und erschrak. Die braungrünlichen Augen funkelten wie bei einem Raubtier.
Plötzlich ließ sie ihn los und stieß ihn so heftig zurück, daß er gegen Angela taumelte. Mit einem wilden Kopfschwung warf sie die roten Haare nach hinten.
«Von Ihnen soll ich mir etwas schenken lassen?«sagte sie hart.»Und wer sind Sie denn, Horst Hartung? Ein Mann, der auf einem Pferd sitzt. Der ein paar Schenkeldrücke beherrscht und die Beine zusammenkneift, wenn es über ein Hindernis geht. Das ist Ihr ganzer Ruhm! Zum Lachen ist das! Sie und dieses deutsche Gretchen da«- sie zeigte wütend auf Angela —»Sie passen zusammen. «An der Tür der Veranda erschien Kapitän McClean, vom Ersten Offizier alarmiert.
«Gehen Sie schnell zum Oberdeck, Sir«, hatte er ihm zugeflüstert.»Der Rummel geht los. Die Weiber zerfleischen sich wegen Hartung.«
«Kapitän!«rief Eve Walkering.»Ihren Schutz! Ich bin beleidigt worden.«
Kapitän McClean nahm schweigend den Arm Eves und führte sie zurück in den Saal. Beim Weggehen warf er einen eindeutigen, entschuldigenden Blick zu Hartung zurück, der stumm den Kopf schüttelte.
Wir verstehen uns, besagte dieser Blick. Aber sie kann ihre Hysterie mit Millionen zudecken. Das ist ein vorzügliches Pflaster.
Von diesem Abend an sah man Eve Walkering nur noch selten an der Kapitäns-Tafel. Meist ließ sie sich das Essen in ihrer Kabi-ne servieren. Die herrlichen, sonnigen, von einem märchenhaften Blau überspannten Tage verbrachte sie in ihrem Liegestuhl und unter einem Sonnenschirm in einer Ecke des Oberdecks, wo sie der Steward Joshua Dunham, genannt >Blacky<, ein Neger aus Alabama, rührend bediente, als sei er Eves Mammi, Blacky war es auch, der nachts manchmal für alle Passagiere mit tiefer, rollender Stimme die Lieder seiner Heimat sang. Sehnsüchtige Liebeserklärungen an den Mississippi und die Baumwollfelder.
«Wer hätte das gedacht«, sagte Dr. Rölle konsterniert nach dem Streit auf Deck.»Das Weib hat ja zwei Seelen.«
«Welche Weisheit. «Hartung lächelte sarkastisch.»Nennen Sie mir eine Frau, die nicht zwei Seelen hat.«
«Sie haben's nötig. «Dr. Rölle sog hastig an seiner Zigarette.»Ich stand bis heute in Flammen. Wer löscht mich nun?«
Hartung lachte und zeigte auf den Swimming-pool. Aber es war ein gekünsteltes Lachen. Noch lagen fast zwei Wochen gemeinsamer Fahrt vor ihnen. Und ein Schiff, allein auf hoher See, ist eine kleine Welt für sich.
Vierzehn Tage Meer. Vierzehn Tage leichtes Wiegen und Stampfen der Maschinen. Vierzehn Tage eine blaugoldene Unendlichkeit. Ein Verschmelzen von Himmel und Erde. Die >Seemaid< durchfürchte den Ozean ohne Sturm, Regen und Gewitter. Es waren einmalig strahlende Tage.
Die Reiter arbeiteten wie bisher. Morgens Lockerungsübungen, nachmittags kleine Reitübungen. Die meiste Zeit aber standen die Pferde in ihren Boxen. Sie hatten sich an das Meer und an das leichte Schlingern des Schiffes gewöhnt. Sogar Laska legte die Ohren nicht mehr an, wenn sie auf das Deck geführt wurde. Romanowskis Kampf gegen die Seekrankheit war vorüber — er wunderte sich seit drei Tagen selbst, daß er nicht mehr über der Reling hing.»Det kommt davon, dat ick keenen Majen mehr habe«, erklärte er jedem.»Ick hab'n ausjekotzt. Bestimmt!«
An dem Nachmittag des sechzehnten Tages trafen der Steward Blak-ky und der chinesische Koch Hu-shai bei Laskas Box zusammen. Hu-shai saß vor dem provisorischen Stall und kochte auf einem Spirituskocher einen stinkenden gelben Brei.
«Was soll denn das?«fragte Joshua Dunham verblüfft.
«Pfeld sein klank!«antwortete Hu-shai. Chinesen können bekanntlich kein >R< sprechen, zuerst verstand niemand an Bord den kleinen, dicken Koch, aber später gewöhnte man sich daran und erriet, was er sagte.»Ich koche Blei.«
«Ein schöner Gestank, dein Brei. «Blacky sah sich um.»Weiß das Mr. Hartung?«
«Nein.«
«Pedro?«
«Auch Pedlo nicht. Aber Pfeld hat lechte dicke Bein. Am Knöchel. Da hilft alte Lezept von Oma. Ich gloße Pferleliebhabel.«
«Sofort hörst du auf!«Blacky wollte nach dem Topf greifen, aber Hu-shai drehte sich schnell um.»Mit einem Kocher bei den Ställen! Bist du verrückt? Soll das ganze Schiff brennen? Weg mit dir!«
«Du nichts zu befehlen!«schrie der kleine Chinese.»Ich wie du Mannschaft. Halt Maul, Niggel!«
Joshua Dunham war ein friedlicher Mensch, aber wenn ihn jemand Nigger nannte, auch mit chinesischer Zunge, wurde er wild. Er griff deshalb zu, packte Hu-shai hinten am Kragen und hob ihn hoch. Kreischend ließ der Koch den Topf und den Kocher fallen und trat um sich.
«Ich dich umblingen! Umblingen!«brüllte er.»Du nul neidisch, weil nicht viel im Kopf!Ha!«
Entsetzt starrten sie hinter sich. Der Spiritus war aus dem Kocher ausgelaufen, hatte sich entzündet und floß nun als feuriger Bach durch das Stroh. Im Nu stand es in Flammen, fraß sich, vom Wind angetrieben, rasend schnell weiter, ergriff die Bretter und Planen und wurde zu einer Feuerwand, ehe Blacky und Hu-shai noch aus ihrer Erstarrung erwachten.
«Weg!«sagte Blacky zähneknirschend.»Weg, du gelbes Aas, da-mit man uns nicht sieht.«
«Du Schuld, du Niggel!«stammelte Hu-shai.»Ich übelfallen von dil.«
Sie rannten in verschiedenen Richtungen davon und verschwanden blitzschnell in Luken, die hinunter in die haushohen Ladebunker führten. Als sie untertauchten, hörten sie schon die gellende Sirene.
Feuer an Bord!
Das Vorschiff war bereits in dichten Qualm gehüllt, als die Matrosen die Schläuche ausrollten und mit den Schaumlöschern herbeirannten.
Hartung, Dr. Rölle, Romanowski und die anderen Reiter halfen, die Motorspritzen heranzuschaffen. Alle Pferde waren bei Ausbruch des Feuers jenseits des Bretterzaunes auf dem >Übungsdeck< gewesen, nur Laska stand allein in ihrer Box. Ihre Arbeit sollte in einer halben Stunde beginnen. Seit zwei Tagen wurde sie geschont, der geschwollene Knöchel, den Hu-shai mit Omas Mittel behandeln wollte, war eine Tatsache. Dr. Rölle hatte ihn entdeckt, als Laska kaum sichtbar lahmte. Bei einem unglücklichen Tritt gegen die Boxendielen mußte sie ihn sich verstaucht haben.
Jetzt stand Laska allein hinter der Feuerwand — einem Flammenmeer, das schneller in ihren Stall hineinkroch, als man die Schläuche ausrollen und anschließen konnte. Die Schaumlöscher, die zischend ihren weißen Schnee in die Flammen spritzten, waren bereits unwirksam geworden, überall lag leicht brennbares Material herum, Stroh, Heu, Holzstapel, Kisten, Tücher, Leinwand, Stricke, und der brennende Spiritus floß überallhin.
«Meene Olle!«schrie Romanowski und starrte auf die Feuerwand vor sich.»Ick häng mir uff, wenn se nich rauskommt. Anjebunden is se, ick muß zu ihr, ich muß hin!«
Er warfsich in einen Wasserstrahl, ließ sich vollspritzen und wollte sich durch die Flammen zu dem Stall stürzen. Vier Matrosen hielten ihn fest. Der Erste Offizier hatte das Löschkommando übernommen, Kapitän McClean stand neben Hartung, der wie versteinert
in das Feuer starrte.
«Loslassen!«brüllte Romanowski.»Ick hol ihr raus!«Er schlug um sich, trat und stieß die Matrosen mit dem Kopf, riß sich los, rannte auf die Feuerwand zu, wurde eingeholt und zurückgeschleift.»Se verbrennt! Laska! Laska!«heulte Romanowski.»Laß mir doch los!«
«Es ist Wahnsinn«, sagte McClean zu Hartung. Sie standen neben der großen Motorspritze. Ein dicker Strahl zischte in die Flammen, aber er zeigte keine Wirkung. Nur undurchdringlicher Qualm entwickelte sich, beißend, Tränen in die Augen treibend. Angela Diepholt rannte von den Kabinen herbei. Sie trug Hartungs dicken Mantel über dem Arm. Entsetzen hatte alle Züge ihres Gesichtes verwischt.
«Hier!«keuchte sie.»Hier! Zieh ihn an, Horst!«
McClean starrte sie ungläubig an. Er begriff noch nichts, aber Hartung verstand Angela sofort. Er schlüpfte in den Mantel, knöpfte ihn zu und warf sich wie Romanowski in den Strahl der Spritze. Im Nu durchnäßte der dicke Wasserstrahl ihn völlig. Er taumelte unter der Wucht des Anpralls hin und her und schwankte dann zur Seite. Da verstand auch McClean, was Hartung wollte.
«Festhalten!«schrie er. Er griff zu, hielt Hartung am Ärmel fest, der Erste Zahlmeister und sogar Dr. Rölle folgten und klammerten sich an Hartung.
«Das ist Irrsinn, Horst«, brüllte Dr. Rölle ihm ins Ohr.»Auch wenn Sie hinüberkommen — zurück schaffen Sie es nie mehr. Das ganze Stroh brennt, der Stall.«
Hartung befreite sich mit einem heftigen Ruck. Bis zur Feuerwand waren es zwanzig Schritte, die Glut war schon jetzt fast unerträglich, in sie hineinzutauchen schien unmöglich. McClean rannte Hartung nach, als er zum Lauf ansetzte, der Erste Zahlmeister klammerte sich fest an Hartung, von Romanowski, den jetzt fünf Matrosen bändigten, kamen zwei Männer herüber und stellten sich Hartung in den Weg.
In der Funkkabine gingen die Signale hinaus über den Ozean.»Feuer an Bord! Seemaid — Feuer an Bord. Position.«
Hartung zog den Kopf ein. In vollem Lauf stieß er beide Fäuste vor, rammte sie den Matrosen in die Brust, warf sie zur Seite, der Erste Zahlmeister ließ von allein los, als er sah, daß er in die Flammen gezerrt wurde, dann zögerte Hartung einen Wimpernschlag lang, zog den von Nässe triefenden Mantel über den Kopf und warf sich in die Flammen. Das letzte, was man von ihm sah, waren seine vorwärtsschnellenden Beine.
«Ein Irrsinn!«brüllte McClean und warfseine Kapitänsmütze weit weg. Der Schweiß rann ihm über das Gesicht.»Den sehen wir nicht wieder.«
Dr. Rölle wurde es übel. Er lehnte sich gegen ein Entlüftungsrohr und rang nach Luft. Angela Diepholt schlug beide Hände vors Gesicht.
«Er ist durch!«schrie vom Oberdeck eine helle Stimme. Alles fuhr herum. Dort stand Eve Walkering an der Reling, zusammen mit den anderen fassungslosen Passagieren, und zeigte mit ausgestreckten Armen nach unten.»Er hat den Stall erreicht! Ich kann es sehen! Er ist mitten im Feuer.«
«Auch Mut kann Blödsinn sein!«sagte McClean.»Jetzt verbrennt er mit seinem Pferd.«
Dr. Rölle hatte sich gefangen. Er faltete die Hände hinter seinem Rücken.»Kapitän, wenn ein Schiff untergeht, wer bleibt bis zuletzt an Bord?«
«Ein Pferd ist kein Schiff. «schrie McClean.
«Für Hartung hat es die gleiche Bedeutung wie ein Schiff für Sie!«
«Alle Spritzen in Richtung Stall!«brüllte McClean.»Wir bekommen das Feuer unter Kontrolle, aber für Laska und Hartung ist es zu spät.«
Hartung war durchgebrochen. Die Feuerwand aus Stroh und Heu lag hinter ihm, aber die Flammen hatten schon ihren Weg zum Stall genommen. Die Seitenbretter brannten, das Feuer kroch zum Dach hinauf, lief in die Boxen zu dem Sägemehl. Ein dichter, ätzender Rauchvorhang hing zwischen Laska und ihm. Die Glut benahm ihm den Atem. Er spürte, wie die Hitze seinen Wasserschutz verdunsten ließ, wie der Mantel, sein Anzug austrockneten.
Es blieben ihm nur noch Sekunden, Laska zu retten. Hinter dem Rauchvorhang hörte er sie wiehern, hell, um Hilfe schreiend, mit einem so menschlichen Ton, daß es Hartung trotz der Glut eisig über den Rücken lief.
Er riß den Mantel von sich, zog den Kopf tief zwischen die Schultern und stürzte vorwärts. Mit dem nassen Mantel um sich schlagend, rannte er in den Stall, der Rauch drang in ihn ein, er hustete, preßte den Mantel vor den Mund und stolperte über brennende Bretter zu Laskas Box. Er konnte sie kaum sehen, so scharf und ätzend biß der Rauch in seine Augen, sie tränten und schwollen zu, und hinter diesem Schleier erkannte er Laska. Sie zerrte an dem festen Lederstrick, ihr Kopf war hochgeworfen, die Beine schlugen nach allen Seiten aus. Sie kämpfte um ihr Leben, das sie durch einen einzigen Lederriemen verlieren würde.
Hartung fiel fast in ihre Box und umklammerte Laskas Hals.»Ich bin da«, keuchte er.»Ruhe! Nur Ruhe! Wir kommen heraus, mein Mädchen, wir schaffen es!«
Laska wurde jetzt ganz ruhig. Ihre schreckgeweiteten Augen starrten Hartung an. Dann fuhr sie ihm mit den Nüstern über das Gesicht, als wollte sie sagen: Ich wußte, daß du mich nicht allein läßt. Sieh, wie ruhig ich bin. Ich habe keine Angst mehr.
Hartung löste mit zitternden Fingern den Strick und führte Las-ka aus der Box. Der beißende Rauch war unerträglich, er rang nach Atem und durfte doch nicht atmen, um nicht den Rauch einzusaugen.
Nur 'raus, dachte er, 'raus aus diesem Stall. Auch draußen ist Feuer, aber da ist wenigstens Luft. Luft! Atmen! Mein Gott, wie wertvoll ist Luft! Man nimmt dieses Atmen einfach so hin, niemand weiß, wie unbezahlbar jeder Atemzug ist.
Nebeneinander laufend drangen sie durch Feuer und Rauch und standen dann draußen vor dem Stall. Vor ihnen loderte die Feuerwand. Nun brannten auch die hohen Bretterzäune des Übungs-platzes. Die großen Planen, die man über das Deck gespannt hatte, um das Ausrutschen der Pferde zu vermeiden, hatten sich in einen Flammenteppich verwandelt. Jenseits der Flammen zischten die Spritzen, Wasserschwälle klatschten auf die Planken, Wolken von Wasserdampf und Rauch hüllten das ganze Vorschiff ein.
Hartung sprang mit einem Satz aufLaskas Rücken. Er deckte seinen Mantel über ihren Hals und beugte sich nach vorn.
«Wir müssen es versuchen, mein Mädchen«, sagte er mit einer plötzlichen Ruhe, die sich auch aufLaska übertrug.»Spring so hoch und weit wie du kannst. Drüber kommst du nicht, mein Schatz, mitten hindurch mußt du. Über die Kisten und durch die Ballen. Es wird dich noch mehr Fell kosten, aber wir werden leben. Und jetzt los, mein Mädchen!«
Er hielt sich an den Trensenriemen fest, beugte sich weit über ihren Hals und stieß Laska die Fersen in die Seiten.
Einen Augenblick reagierte Laska nicht, sie stand wie ein Pflock, starrte in das Feuer und schätzte ihre Sprünge ab. Dann aber dehnte sie sich, ihr Körper wurde wie eine Sehne, angespannt bis zum Zerreißen, und plötzlich schoß sie sich von den Planken ab, ohne Antritt in ein paar Galoppsprünge, hob sich dann ab, mit einem unwahrscheinlichen, noch nie vollführten hohen und weiten Sprung. Sie schwebte über den Flammen, Hartung klammerte sich an ihr fest, duckte sich tief an ihren Hals, verkroch sich auf ihrem Rücken. Sie kommt mitten in den Flammen auf, sie schafft es nicht, die Wand ist zu breit, überall brennt es ja! Der Aufprall, wirklich mitten in einem Stapel lodernder Bretter, Funken stieben hoch, eine Wolke von Glut frißt sich in sie hinein, schlägt über ihnen zusammen. Der zweite Sprung, aus der Funkenwolke heraus, ein verzweifelter Satz in den freien Himmel, ins Leben, in einen Sprühregen aus neun Spritzen.
Hartung rutschte von Laskas Rücken, als er die Kühle spürte, fast eisig nach der Gluthölle, aus der sie kamen. Er konnte die Augen nicht mehr öffnen, sie waren zugeschwollen, er fühlte plötzlich, wie alle Kraft aus ihm wich und Hände ihn hochhoben und wegtrugen.
Er wollte die Augen aufreißen, aber mehr als einen Lichtschimmer sah er nicht.
«Laska!«rief er.»Kümmert euch um Laska! Wie sieht sie aus?«
«Seien Sie ruhig, Sie Narr!«Die Stimme von Kapitän McClean.»Als Sie aus den Flammen heraussprangen, habe ich gelernt, wieder an Wunder zu glauben. Ihrer Laska geht es gut, sie brennt nicht, das ist die Hauptsache.«
Eine kleine, kalte, nasse Hand auf seiner Stirn.
Angela.
Sie lief neben ihm her, als sie Hartung ins Schiffslazarett brachten. Der Schiffsarzt hatte schon alles vorbereitet. Herzspritzen, Sauerstoffmasken, Brandwundensalbe.
«Ich habe es geschafft«, sagte Hartung leise. An dem Schütteln merkte er, daß einige Männer ihn im Laufschritt wegtrugen.»Ich habe es geschafft. Ist Laska schwer verletzt?«
«Pedro kümmert sich um sie und Dr. Rölle. «Die Stimme Angelas. Ein Kuß auf seine zugeschwollenen Augen.»Du mußt tief atmen, Liebling, ganz tief. Ganz tief. Hörst du? Atmen — atmen!«
Hartung nickte. Er lag irgendwo auf einem harten Bett, Sauerstoff zischte über sein Gesicht. Eine Müdigkeit überspülte ihn, die ihn federleicht werden ließ.
Er verlor das Bewußtsein.
Das Feuer wurde unter Kontrolle gebracht und gelöscht. Bis auf die Vernichtung des Stalles, eines Stapels Kisten mit Maschinenteilen, des gesamten Strohs und der Hälfte des Futterheus, der Bodenplanen und dreier Transportwagen hatte die >Seemaid< keine größeren Schäden erlitten. Die Schiffe, die auf die SOS-Rufe von allen Seiten zu Hilfe eilten, konnten wieder abdrehen und ihren alten Kurs aufnehmen.
Kapitän McClean dankte über Funk allen und machte sich dann daran, die Brandursache zu untersuchen.
Er kam zu keinem Ergebnis. Schiffsbrände sind die geheimnis-vollsten und die verheerendsten, obwohl rundum überall Wasser ist. Auch als die >Seemaid< Sydney erreichte und eine Kommission an Bord kam, um den Vorfall zu untersuchen, stieß sie auf lauter Rätsel. Joshua Dunham, der Steward, und Hu-shai, der Koch, wurden erst gar nicht verdächtigt und deshalb auch nur flüchtig verhört.
In Adelaide ging Eve Walkering von Bord. Unauffällig, ohne Abschied, aber Hartung fand am Abend eine Karte auf seinem Bett. Blacky hatte sie im Auftrag von Miss Walkering hingelegt.
«Verzeihen Sie mir«, schrieb Eve Walkering,»Sie sind der mutigste Mann, den ich kenne.«
Fünf Tage später schon ritt Hartung die ersten Turniere um den größten Preis Australiens, den >Preis eines Erdteils<. Mit einem dicken Kopfverband trabte er in den Parcours. Der Beifall von vierzigtausend Menschen umbrauste ihn. Auch Laska sah furchtbar lädiert aus, große Hautstellen fehlten, das Fell war an vielen Stellen noch versengt. Aber sie sprang, wie vor ihr noch nie ein Pferd über australische Parcours gesprungen war. Nach jedem genommenen Hindernis schrien die Vierzigtausend im Stadion auf.
Horst Hartung und die deutsche Equipe gewannen den >Preis eines Erdteiles<.
In Deutschland aber sagte Fallersfeld:»Lange machen sie das nicht mehr! Ein Pferd ist ein Pferd und ein Mann auch nur ein Mann. Die beiden sind wie ein Komet, der plötzlich hell am Himmel leuchtet und die Augen blendet. Wann stürzen sie ab?«
Als Fallersfeld das sagte, waren Hartung und Laska schon auf dem Weg nach Tokio.