50.000 Dollar Lösegeld

In Mexiko ist alles sehenswert, begeisternd, anfeuernd — nur die Luft nicht. Sie ist dünn, und wer hier, in 2.240 Meter Höhe — denn so hoch liegt Mexiko City —, etwas schneller läuft als normal, wer sogar rennt, rasch Treppen steigt oder schwere Lasten hebt, fängt an zu keuchen und pumpt diese dünne Luft in sich hinein wie ein Maikäfer, bevor er zum Flug ansetzt. Die Mexikaner sind es gewöhnt, ihr Körper, ihr Blut haben sich auf diesen geringen Sauerstoffgehalt eingestellt, ein Mitteleuropäer jedoch, plötzlich in diese Höhe gebracht, wird weich in den Knien, wenn er auch nur einen lebhaften Tanzschritt macht. Und Pferde reagieren wie Menschen, und Springpferde zumal müssen in dieser dünnen Luft Unvorstellbares leisten.

Es zeigte sich gleich nach dem ersten leichten Konditionstraining. Laska rang nach Luft, ihre schönen Augen quollen aus den Höhlen, sie zitterte am ganzen Körper und stolperte beim Gang zum Stall über die eigenen Beine.

«Sauerstoffmangel«, stellte Dr. Rölle fest.»Die gleiche Erscheinung wie bei den anderen Pferden. Auch Laska ist hier kein Wundergaul. Nur die Russen haben keine Schwierigkeiten, die haben ihre Pferde vor dem Flug nach Mexiko im Kaukasus gedrillt.«

Also erhielt Laska eine Sauerstoffmaske. Es war ein merkwürdiges Ding, eine Eigenkonstruktion Dr. Rölles. Ein Trichter aus Kunststoff, groß genug, daß die Nüstern hineinpaßten, zwei Lederbänder, um ihn festzuschnallen, dann ein Gummischlauch, der an eine Sauerstoffflasche angeschlossen war. Hier saß Dr. Rölle vor dem Manometer, regulierte die Luftzufuhr, während Romanowski Laska zuredete, zu atmen und sich an die Maske zu gewöhnen.

«Nu schluck doch, Olle«, sagte er und klopfte ihr auf den Hals.»Is doch jut, wat? Mußte doch selbst merken. Aba uffn Parcours mußte dir selbst Luft holen, da kann ick dir nich mit'n Trichter vornewegrennen. Und wenn de Mauer zwei Meter hoch is, dann schnauf-ste ein und drüber. Haste mir vastanden?«

Nicht nur die Pferde, auch die Reiter hatten Schwierigkeiten mit der dünnen Luft. Hartung trainierte jeden Tag zweimal im riesigen Stadion von Mexiko City, morgens um sieben und abends um acht. Er rannte in mäßigem Tempo über die rote Laufbahn, assistiert von Angela, die merkwürdigerweise die Höhe besser vertrug als die Männer. Sie lief neben ihm her, und wenn er zu keuchen begann und die Arme empor warf, hielt sie ihm das kleine, tragbare Sauerstoffgerät vor den Mund, zwei, drei tiefe Atemzüge genügten, und Hartung rannte weiter, einmal um das Rund des Azteken-Stadions, auf dessen Rasen die Hindernisse schon aufgebaut wurden. In vier Tagen würde der unerbittliche Kampflosgehen. >Der große Preis von Me-xiko< — ein riesiger Silberpokal und 50.000 Dollar Geldprämie. Es wurde keine Nationen-, sondern eine Einzelwertung geritten. Auch wenn Hartung das Geld an den Deutschen Reitsport-Verband weitergeben mußte, um den Amateurstatus zu erhalten, war dieser Sieg für ihn wichtig. Er würde den Namen Laska bis in die fernste Ecke Mittel- und Südamerikas tragen.

Laska, das Pferd, das — wie die Mohammedaner sagen — Allah aus der Sonne gemacht hatte.

Niemand achtete darauf, daß bei diesem Training ab und zu zwei Männer oben auf einer der Rangbänke saßen und Hartung, Angela, Dr. Rölle und auch Laska mit Romanowski beobachteten. Der eine von ihnen trug einen weißen, eleganten Seidenanzug, einen ebenso weißen breitkrempigen Hut, ein blaßrosa Hemd und eine rote Krawatte. Dicke Goldringe mit großen, in der Sonne blitzenden Brillanten steckten an den dicken Fingern. Meistens hing dem Senor eine dünne, lange Zigarre zwischen den wulstigen Lippen, die er auch nicht herausnahm, wenn er sprach. War sie aufgeraucht, folgte die nächste. Gute Freunde behaupteten, er habe auch nachts ein solches Ding im Mund hängen, mit einer Ausnahme — wenn eine schöne Frau neben ihm im Bett lag.

Der andere Hombre war lang und dürr; er wirkte irgendwie ausgehungert und vertrocknet. Seine Haut war gelbbraun, auf dem schmalen Kopf trug er einen topfartigen schwarzen Filzhut und um den Oberkörper einen gestreiften indianischen Poncho. Er kaute getrocknete, zu kleinen Kugeln zusammengerollte Blätter, die Meskalin enthielten und eine Art Euphorie erzeugten. Seine Augen glänzten wie poliert und waren von einer unnatürlichen Starre.

«Sie sind zäh, diese alemanes«, sagte der elegante Mann. Seine lange Zigarre wackelte zwischen den Lippen.»Sie gehen wissenschaftlich vor, das ist gefährlich. Pedro, haben sie eine Chance zu gewinnen?«

Pedro Calabozo, der Dürre, nahm seinen runden Hut ab, fächelte sich Kühlung zu, denn jetzt am Abend strömte alles die Hitze des Tages aus, das Holz, die Steine, sogar der Boden waren wie ein Backofen. Er starrte hinunter auf die rote Bahn, auf der Hartung mit ausgreifenden Schritten sein Pensum herunterlief, schwitzend, mit zusammengebissenen Zähnen. Neben ihm her fuhr Dr. Rölle auf einem kleinen, niedrigen Fahrrad. Angela, in Shorts und weißem Polohemd, lief zwei Schritte hinter Hartung.

«Sie essen zu gut, Horst!«rief Dr. Rölle, als Hartung ins Gehen zurückfiel und mit den Armen ruderte.»Und abends ein Bierchen, jetzt rächt sich das.«

«Sie haben gut reden, wenn Sie mit dem Rad nebenher fahren. Los, runter vom Sattel, Doktor, und mitgelaufen!«

«Bin ich ein Sportsmann?«Dr. Rölle winkte lachend ab.»Ich habe nie Ambitionen gehabt, über meterhohe Hindernisse zu springen. Ich muß nur eure Knochen in Ordnung halten. Also weiter, noch vierhundert Meter!«

Ein paar Züge aus dem Plexiglastrichter, reiner Sauerstoff, Kraft und neuer Mut. Horst Hartung rannte weiter.

«Die alemanes können immer gewinnen, Senor Laredo. «Calabo-zo setzte seinen Topfhut wieder auf.»Denken Sie an die Olympiaden. Zuerst sehen sie aus wie ein hombrecillo (Männchen), und plötzlich, wenn's darauf ankommt, sind's die Helden. Und ihre Pferde sind genauso. Haben Sie Laska gesehen? Mit jedem Training fühlt sie sich wohler.«

«Es geht um 50.000 Dollar, Pedro.«

«Ich weiß es, Senor Laredo. «Pedro Calabozo, für die Allgemeinheit der Sekretär des reichen Caballero Fernandez y Laredo, in Wahrheit ein kleiner mieser Dieb und Meskalinverteiler, der für Laredo den Verbindungsmann zu anderen organisierten Rauschgifthändlern abgab, dunkle Kanäle, in denen das Fleisch und der Saft der auf der Hazienda Laredos angebauten Peyotl-Kakteen verschwanden und gute Dollars einbrachten, faltete die Hände vor seinem Poncho.»Aber was soll man tun? Unsere Mannschaft ist gut, die Alemanes dagegen sind vorzüglich. Wir können nur theoretisch gewinnen.«

«Wir müssen praktisch gewinnen, Pedro. «Laredo, der überall bekannte und geschätzte Edelmann, zog die buschigen Brauen zusammen. Er dachte nach, und Calabozo störte ihn nicht. Er wußte genau, daß dabei etwas Gesetzwidriges herauskommen würde.»Erinnere dich, was die Zeitungen schrieben.«

«Sie wissen, Senor Laredo, daß ich nur mühsam lesen kann.«

Laredo lächelte breit. Mühsam! Er kann überhaupt nicht lesen. Als er vor zehn Jahren aus der Sierra Madre del Sur zu mir auf die Hazienda kam, abgerissen, halb verdurstet, ein Skelett mit Haut, kannte er gerade seinen Namen. Seine Mutter war eine Indianerin, sein Vater ein durchziehender Saisonarbeiter, der danach wieder das Weite suchte. Buchstaben waren für Pedro ein Rätsel mit sieben Siegeln, aber er war ein Genie im Aufreißen immer neuer Abnehmer von Peyotlsaft.

«Es ist jedesmal mißlungen, wenn man Laska von einem Turnier fernhalten wollte. Alles hat man versucht. Betäuben, vergiften, entführen, sogar töten, einmal hat man Hartung gekidnappt, dann wieder das Pferd, sie haben diesen Romanowski überfallen — er heißt übrigens auch Pedro —, oder in die Hindernisse Tricks eingebaut. Alles umsonst. Laska siegte. Hombre, und jetzt geht es um 50.000 Dollar.«

«Wir werden sie nie gewinnen.«

«Nicht auf dem Parcours. Wir werden klüger sein als unsere Vorgänger.«

«Das ist Ihre Stärke, Caballero y Laredo. «Calabozo bewunderte seinen Herrn rückhaltlos. Als er damals als armseliger Tramp von ihm aufgenommen wurde, hätte er ihm den Staub von den Stiefeln geküßt und wie ein Hund zu seinen Füßen geschlafen. Jetzt, nach zehn Jahren, hatte er sich als zweiter Mann auf der Hazienda mit dem poetischen Namen Cielo de flores, das heißt >Blumenhimmel<, unentbehrlich gemacht. Seine Kenntnis von allen möglichen dunklen Machenschaften könnte ihm allerdings gefährlich werden, denn wenn Laredo diesen Mitwisser loswerden wollte, gab es nur einen Weg — den Tod. Calabozo aber dachte nicht daran, sich irgendwo in der Wildnis verscharren zu lassen; deshalb übte er sich in der leichten Kunst, seinen Herrn immer und überall zu bewundern.»An was denken Sie?«

«Daran, daß Laska um den >Großen Preis von Mexiko< springen und siegen wird. Mit unserer Hilfe.«

«Ich verstehe gar nichts mehr, Senor. «Calabozo nahm seinen schwarzen Topfhut ab.»Unsere Reiter sollen verlieren?«

«Sie werden es zwangsläufig.«

«Und die 50.000 Dollar?«

«Gewinnen wir trotzdem. «Fernandez y Laredo stand auf. Er war größer, als er beim Sitzen wirkte, kräftig, breitschultrig und muskulös. Nur seine penetrante Eitelkeit zerstörte das Bild eines schönen, eleganten Mannes.»Komm, sehen wir uns Laska an. Wie wird sie bewacht?«

«Wie das Gold in der Staatsbank, Caballero.«

«Ist in die Staatsbank schon einmal eingebrochen worden?«

«Nein. Nur bei Revolutionen — die Politiker. «Pedro grinste breit.

«Dann leihen wir uns von den Politikern die Unverfrorenheit. «Fernandez y Laredo klopfte Calabozo auf die schmale Schulter. Das war eine hohe Auszeichnung.»Und nicht ein einziges Haar wird Las-ka dabei gekrümmt. Ich liebe dieses Pferd, madre de dios!«

Eine halbe Stunde später standen die beiden am Trainingsplatz und beobachteten Laska beim Ablongieren. Romanowski schielte ein paarmal zu ihnen hinüber. Er hatte sich einen riesigen, geflochtenen mexikanischen Sombrero gekauft, nach dem Laska sofort geschnappt hatte. Zum Glück war Romanowski schneller gewesen und hatte den Kopf zurückgezogen.

«Da sind se schon wieder«, sagte er halblaut.»Olle, paß uff, zuviel Interesse is ooch nich jut.«

«Romanowski ist das einzige Hindernis«, sagte Laredo leise.»Er ist wie ein Stier.«

«Er heißt Pedro. Mit meinem Namensvetter werde ich schon fertig. «Calabozo schob sich eine neue getrocknete Blattkugel in den Mund.»Darf ich ihn — rrrtsch?«Er deutete vielsagend auf seine Keh-le.

«Wohl verrückt, was?«Laredo drehte die lange Zigarre zwischen den Zähnen.»Keine Gewalt. Mit Eleganz, Pedro. Wir sind doch Ehrenmänner. Gehen wir.«

Es gibt in Mexiko zwei Dinge, über denen ein Fremder sofort den Verstand verliert — die schwarzhaarigen, glutäugigen, heißblütigen Frauen und den nicht weniger feurig ins Blut gehenden Tequila. Ein höllischer Schnaps, den sogar der Teufel nur schlückchenweise trinken würde.

Romanowski probierte nur den Tequila, von den Frauen hatte er die Nase voll. Sein letztes Erlebnis mit Yana Michimoko, der >Man-delblüte< in Tokio, war noch zu frisch, als daß er sich wieder in ein Abenteuer gestürzt hätte, diesmal mit einer hüftenwiegenden Mexikanerin, deren Freund bestimmt nicht Judo und Karate anwenden, sondern mit einem Messer Rache nehmen würde. Romanowski hatte etwas gegen Messer, vor allem, wenn sie in seinem Leib steckten, und so beschaffte er sich heimlich — Hartung hatte ihm das Trinken streng verboten — einen Tonkrug mit dem merkwürdig säuerlich riechenden Schnaps, setzte sich neben Laska in die Box und begann zu Abend zu essen. Ein Stück Brot, ein Stück Wurst, ein Gläschen Tequila.

Die ersten Schlucke nahm er vorsichtig. Das Zeug schmeckte merkwürdig, aber es rann feurig durch die Speiseröhre in den Magen und wirkte dort wie ein richtiger Schnaps. Romanowski wurde wohl zumute.

«Det verrat nur nich«, sagte er zu Laska, hauchte sie an und beobachtete sie. Bei Schnaps zog sie immer die Nüstern hoch. Diesmal zeigte sie keinerlei Reaktion.»Riecht also nich«, stellte Romanowski zufrieden fest.»Det is jut. Ich kann's mir nich leisten, 'ne Fahne zu hissen.«

Tequila ist ein Teufelszeug, wie schon gesagt. Man gewöhnt sich an ihn, trinkt ihn nachher wie Limonade und fällt dann um, ohne noch einen Mucks zu sagen. Die mexikanischen Indianer behaupten, daß er schöne Träume schenkt. Romanowski bescherte er Blei, das träge durch sein Gehirn floß. Schnarchend lag er neben Laskas Box im Stroh, Arme und Beine von sich gestreckt. Er war eben kein Indianer.

Am Morgen wachte er früh auf. Zehntausend Bienen summten in seinem Kopf, seine Beine waren aus Pudding, im Magen brannte es wie Salzsäure.»O Jott!«sagte Romanowski erschüttert.»Det ick imma der Leidtrajende bin! Zum Jlück bin ick der erste, der uff-steht. Laska, Olle, uff de Beene, der Tag is da!«

Aber Laska rührte sich nicht. Romanowski stemmte sich an der Stallwand hoch, gähnte, machte drei Kniebeugen, um den Pudding in den Beinen zu vertreiben, und stakste dann zur Box.

Es war unmöglich, daß Laska aufstand — denn Laska war nicht mehr da.

Das Aufgebot an Polizei war so umfangreich, als sei ein Staatsmann ermordet worden. Alles drängelte sich vor den Ställen, Wege und Straßen wurden abgesperrt, das Azteken-Stadion durfte niemand betreten, alle, die nachts auf dem Gelände gewesen waren, standen unter Arrest, der Polizeichef von Mexiko City, Senor Juan Socorro, leitete persönlich die Ermittlungen. Es war eine große Schau, ein Aufmarsch von Uniformen, ein Durcheinander aus Worten und Gesten, ein Hin- und Hergerenne, aber es kam nichts dabei heraus. Horst Hartung wußte es bereits, als Polizeichef Socorro schwitzend und mit rollenden Augen aus der Schar seiner Polizisten auftauchte.

«Senor, es ist bedauerlich, aber wir finden keine Spuren«, sagte er.»Die Verbrecher sind raffiniert vorgegangen. Sie haben sogar Ihren Transportwagen benutzt, Senor. Zwei Nachtwächter haben ihn abfahren sehen, aber sie dachten, es seien die Deutschen, und hielten ihn deshalb nicht an. Was sagen Sie nun?«

«Wenig. «Hartung hatte schon vor Stunden festgestellt, was nun die Polizei lauthals bekanntgab: Laska war mit ihrem eigenen Transportwagen weggefahren worden. Wie weit, und ob man sie außerhalb der Stadt umgeladen hatte, war noch nicht bekannt. Polizisten auf Motorrädern jagten über alle Ausfallstraßen und suchten das auffällige Gefährt. Drei Hubschrauber flogen um den Lago Texcoco, in Richtung Yukatan und zur Sierra Madre del Sur.

Romanowski, der jetzt völlig entnervt im Stall hockte und vor sich hinstierte, konnte gar nichts sagen.

«Ick hab jeschlafen«, beteuerte er Hartung, nachdem Laskas Verschwinden den Alarm ausgelöst hatte.»Eenmal muß der Mensch ooch ruhen, bei die dünne Luft!«

Hartung schnupperte. Aber Romanowski roch nach Pfefferminztee. Bevor er Hartung aus dem Bett holte, hatte er eine ganze Kanne davon getrunken, mit Tee gegurgelt und seinen Gaumen ausgespült. Hartung sah Romanowski streng an. Wenn ein Mensch wie er nach Pfefferminz duftete, war das verdächtig, aber beweisen konnte man ihm nichts.

«Det se mitjejangen is, det wundert mir!«sagte Romanowski immer wieder.»Ick habe keene Erklärung nich dafür.«

«Langsam wird es langweilig. «Hartung hörte die Funkmeldungen, die aus den Hubschraubern kamen. Neben Polizeichef Socorro war der Empfänger mit einem Verstärker gekoppelt.»Immer die alte Leier — Laska darf nicht siegen. Es ist doch nur Sport!«

«Für Sie, Senor. «Socorro trocknete sich mit einem großen Taschentuch das Gesicht.»Aber die anderen machen daraus ein Geschäft. 50.000 Dollar Prämie, das lohnt sich. Bei Ihnen ist es nicht üblich, aber hier und drüben in den USA und woanders, da wird gewettet, da wetten sie um alles und für alles, sogar Kamelkämpfe soll es geben. Und wo leicht Geld verdient wird, sind auch die Gangster zur Stelle. Sport! Daß ich nicht lache!«

Aus dem Lautsprecher ertönte eine ferne Stimme. Socorro riß sich die Mütze mit den goldenen Verzierungen vom Kopf.

«Sie haben ihn! Sie haben ihn! Na, sind meine Leute nicht tolle Burschen? Ihr Transportwagen steht unauffällig geparkt neben der Straße nach Uruapan del Progeso. Zwischen Morelia und Pazcua-ro. Was sagen Sie nun?«

«Der Wagen ist natürlich leer.«

«Natürlich! Aber wir wissen jetzt die Richtung, die die Gauner genommen haben!«

«Und wohin sind sie?«

«In die Sierra Madre del Sur — oder in die Berge von Guerrero. Aber sie können sich auch im Hochland von Michoacan verstecken.«

«Beruhigend. «Socorro bemerkte den sarkastischen Unterton in Hartungs Stimme nicht.»Suchen wir also ein Gebiet ab, das so groß wie Deutschland ist.«

«Gar kein Problem. In Deutschland ist das Suchen eine Qual, bei uns eine Kleinigkeit. Es gibt in diesen Gebieten nur wenige Straßen, und im Gebirge kommt man bloß auf einigen Pfaden voran. Sie kennen unser Land nicht, Senor. Bis zum Abend bringen wir Ihnen Ihr Pferd.«

Polizeichef Socorro sollte sich irren. Die Stelle, wo man Laska umgeladen hatte, wurde millimeterweise untersucht, aber außer einem Haufen Pferdedung fand man gar nichts. Sogar die Reifenspuren waren verwischt worden.

«Profis!«sagte Socorro mit erhobenem Finger.»Aber dem Pferd geht es gut. Es hat geapfelt. Außerdem wurde es hier getränkt und gefüttert. Sehen Sie die Heureste? Es sind Pferdekenner.«

«Sehr tröstlich. In drei Tagen ist das Turnier. «Hartung blickte zurück zu Romanowski.»Du hast nichts zu sagen, was?«

«Nee. Aba ick nehme mir det Leben, Herrchen. Ick bin zu nischt nutze.«

«Doch. Zum Vertilgen von Alkohol!«Hartung sah hinüber zu den Küstenbergen. Ich gebe den Turniersport auf, dachte er. Seit man Laska zum Wunderpferd gemacht hat, wird das Leben immer gefährlicher. Wir werden uns zurückziehen nach Barsfeld, dort wirst du auf der Koppel ein ruhiges Leben führen, wir werden nur zu unserem Vergnügen springen, durch die Wälder reiten, an Jagden teilnehmen und eine Menge Fohlen bekommen. Wir haben die Ruhe verdient, mein Mädchen, wenn du nur wieder da wärst!

Angela umarmte ihn von hinten. Ihr Kopf lag auf seiner Schulter.

«Es ist immer gut gegangen«, sagte sie tröstend.»In Rom, San Fran-zisko, Südafrika — warum nicht auch in Mexiko?«

«Ich höre nach dieser Tournee auf. «Hartung atmete tiefein.»Las-ka soll länger leben als zehn Jahre!«

«Man wird es dir übelnehmen, Horst.«

«Wer?«

«Fallersfeld. Der deutsche Reitsport. Ganz Deutschland. Die ganze Welt. Wie sagte Miss Walkering: Sie gehören allen Menschen.«

«Und das sagst du? Ausgerechnet du? Die Frau, die immer nur wartet?«

«Ich habe mich daran gewöhnt, zweigleisig zu denken und zu fühlen. Einmal als die Frau, die dich liebt — da hasse ich alles, was mit Turnieren zusammenhängt, denn jede Stunde ohne dich existiert nicht für mich. Und einmal als Frau eines großen Sportsmannes — da bewundere ich dich und Laska und kann vor Herzklopfen kaum atmen, wenn ihr auf den Parcours reitet.«

«Ich höre auf, Angi. «Hartung sagte es mit einer Endgültigkeit, die keine Frage mehr zuließ.»Ich habe mein Gut, die Pferdezucht, den Reitstall.«

«Und mich und Laska. Eigentlich ein vollkommenes Leben.«

«Nicht eigentlich — sicherlich!«Er blickte wieder hinüber zu den Bergen. Die Sonne brannte auf die kahlen Hochflächen. Die Luft flimmerte. Im Sonnenglast verzerrten sich die Konturen.»Fahr mit den Polizisten ins Hotel. Wir suchen hier weiter. Ich habe so eine Ahnung, daß sich die Banditen an mich wenden.«

Sie taten es wirklich.

Fernandez y Laredo persönlich war es, der im Hotel >Playa del Sol< anrief. Er brauchte seine Stimme nicht zu verstellen, die Deutschen kannten sie nicht, und selbst wenn das Telefon von der Polizei abgehört wurde, war ein Caballero wie Laredo über jeden Zweifel er-haben.

«Ah, Senorita«, sagte er, als sich Angela meldete. Laredo sprach ein gebrochenes Deutsch, aber da er jedes Wort vorher notiert hatte, gelang ihm eine flüssige Unterhaltung. Er hatte Hartung oder einen Polizeibeamten erwartet, nun war diese hübsche Deutsche am Apparat, und der spanische Edelmann in ihm wurde wach.»Ich küsse Ihre Hand. Oh, ich kenne Sie, ich habe Sie oft gesehen. Sie sind ein Stern über einer Wüste, eine Blume in einem öden Tal.«

«Wer sind Sie?«fragte Angela und atmete schneller. Gleichzeitig schaltete sie ein Tonbandgerät ein, das mit dem Telefon verbunden war. Die Polizei hatte es montiert, außerdem war die Leitung angezapft, zur doppelten Kontrolle.

«Oh, ich liebe die Schönheit«, säuselte Laredo.»Mit Ihnen, Madonna, zu plaudern — «

«Was wollen Sie? Haben Sie Laska gestohlen?«

«Ein Mann meiner Herkunft stiehlt nicht, er macht Geschäfte.«

«Wo ist Laska? Ich flehe Sie an, behandeln Sie sie gut. Mit einem wehrlosen Tier Gangster zu spielen, ist das Gemeinste, was es gibt. Genauso gemein wie eine Kindesentführung.«

«Sie haben völlig recht, Madonna. «Laredos Stimme klang, als wolle sie um Verzeihung bitten.»Aber manchmal zwingt einen das harte, unerbittliche Leben, gegen seine eigene innere Überzeugung zu handeln. Ich bewundere Laska, und deshalb ist sie mir auch 50.000 Dollar wert.«

«Also Erpressung?«Angela atmete auf. Sie wußte, daß jetzt die Polizei fieberhaft den Ort suchte, von dem aus der Bandit telefonierte. Je länger sie mit ihm sprach, um so größer war die Chance, ihn zu erwischen.

«Königin der Sterne, das ist ein böses Wort. Ich schlage ein Geschäft vor, einen Austausch.«

«Wir haben keine 50.000 Dollar.«

«Man kann sie sich leihen, Madonna. Jeder gibt sie Ihnen, jede Bank, Ihre Botschaft, reiche Caballeros. Laska wird diese 50.000 Dollar ja im >Großen Preis< gewinnen, etwas Sichereres gibt es gar nicht für einen Bankier. Sie leihen sich das Geld, geben es mir, gewinnen mit Laska den Preis und zahlen es zurück. Ein Ringgeschäft, weiter nichts. Es liegt in der Natur dieses Geschäftes, daß ich dabei als einziger verdiene. Dafür garantiere ich Ihnen, daß Laska zurückkommt, gepflegt wie eine Prinzessin und topfit für das Turnier.«

«Und wohin soll das Geld gebracht werden?«

«Das sage ich Ihnen noch. Ich rufe am Abend noch einmal an.«

Ein Knacken, der Fremde hatte aufgelegt. Hatte es für die Polizei gereicht, seinen Standort zu ermitteln?

Polizeichef Socorro, immer mit seinen Leuten in Mexiko City verbunden und jetzt auf einer staubigen Landstraße bei Ario de Rosales, bekam einen Wutanfall, als das Funkgerät den Erfolg der Telefonüberwachung meldete und warf seine Mütze theatralisch auf den Boden.

«Sie haben den Apparat!«brüllte er und raufte sich die Haare.»Eine Telefonzelle im Kaufhaus >Exito<. Und wer steht drin, als die Idioten in das Warenhaus stürmen? Ein zehnjähriger Junge, der mit seiner Großmutter telefoniert. Senor, ich schäme mich.«

Hartung schwieg. Socorro tat ihm leid. Der Mann gab sich alle Mühe, aber ein Polizist in Mexiko ist eben auch nur ein Mensch.

Am Abend saßen sie alle in Hartungs Zimmer — Socorro, Angela, Dr. Rölle, die anderen Reiter, Romanowski, der sich wünschte, klein zu sein wie ein Sandfloh, und ein Botschaftsrat der deutschen Botschaft in Mexiko. Mit ihm hatte Hartung eine harte halbe Stunde verbracht.

Es ging darum, ob die deutsche Botschaft die 50.000 Dollar vorstrecken wollte. Diese Frage löste eine so rege diplomatische Tätigkeit aus, daß Hartung erschrocken bereute, sie gestellt zu haben.

«Grundsätzlich lassen wir uns nicht erpressen«, sagte der Botschaftsrat im Namen des Botschafters, der selbst verhindert war, aber anscheinend immer informiert werden konnte.»Nur bei Personenentführungen sind wir ermächtigt, nach Rücksprache mit dem Auswärtigen Amt in Bonn.«

«Ich weiß. Hier aber handelt es sich um ein Tier.«

«Eben! Ist ein Tier 50.000 Dollar wert?«

«Es ist Laska, Herr Botschaftsrat.«

«Es geht um 50.000 Dollar, Herr Hartung. «Der Botschaftsrat war konsterniert.»Ich weiß nicht, ist Laska das wert?«

«Fünfzig Millionen!«

«Bleiben wir doch sachlich, Herr Hartung. «Der Botschaftsrat steckte sich eine Zigarette an und rauchte nervös. Seine Mission mißfiel ihm sichtlich.

«Kommen wir auf Ihre Rechnung zurück. Sie erhalten 50.000 Dollar, werfen sie den Banditen in den Rachen, lösen Laska aus und gewinnen den >Großen Preis von Mexiko<. Dann zahlen Sie die Summe zurück. So weit, so gut. Aber — wer kann denn dafür garantieren, daß Sie gewinnen?«

«Niemand. Keiner kann Siege garantieren, Favoriten können Letzter werden.«

«Sie sagen es. Und da sprechen Sie von einer Garantie für 50.000 Dollar?«

«Ich habe gedacht«, sagte Hartung leise,»daß Ihnen Laska dieses Geld wert ist, mit oder ohne Garantie. Sie hat in drei Jahren für Deutschland viele Siege ersprungen. Dreimal habe ich den Silbernen Lorbeer vom Bundespräsidenten verliehen bekommen, aber jetzt, wo es um Geld geht, ist Laska nur ein einfacher Gaul, den man abschlachten kann. Ich pfeife auf Ihr Geld, Herr Botschaftsrat, und ich pfeife auf den deutschen Sport!«

Hier brach das Gespräch ab. Der Botschaftsrat ging hinunter in die Hotelhalle und telefonierte mit seinem Botschafter. Nach zwanzig Minuten erschien er wieder in Hartungs Zimmer.

«Wir haben dem AA in Bonn fernmündlich Bericht gegeben«, sagte er steif.»Es wird eine Ausnahme gemacht. Sie erhalten die 50.000 Dollar. Ein Bote ist in einer halben Stunde mit dem Geld im Hotel. Wir hoffen aber, daß es nicht zu einer Übergabe kommt. «Er sah dabei Polizeichef Juan Socorro an. Der knirschte mit den Zähnen, trank Sangrita und qualmte einen Zigarillo nach dem anderen.

Um halb neun rief Fernandez y Laredo wieder an. Über einen Verstärker konnten alle Anwesenden das Gespräch mithören.

«Aha, Senor Hartung persönlich«, sagte die Stimme.»Für die Madonna einen Handkuß. Ihre Stimme ist so schön wie sie selbst. Ich beneide Sie, Senor, das schönste Pferd, die schönste Frau. Das Glück hat Sie geküßt.«

«Ein gebildeter Mann«, ächzte Socorro und raufte sich die Haare.»Ein Caballero. Das ist kein einfacher Bandit. Madre de Dios, das macht eine Fahndung fast unmöglich. Hier kann nur noch der Zufall helfen.«

Wer die Macht der Reichen in Mexiko kennt, kann Socorros Zusammenbruch verstehen. An den Mauern der Paläste rannte sich von jeher die Staatsmacht den Kopf ein. Wie soll man unter den Caballeros einen Banditen finden?

«Sie haben das Geld?«fragte Laredo.

«Ja. 50.000 Dollar. Nach dem Muster Ihrer amerikanischen Gangsterkollegen in kleinen, gebrauchten Scheinen.«

«Sie überschätzen mich. Ich bin nur ein Geschäftsmann. 50.000 Dollar sind für mich nichts weiter als eine sportliche Angelegenheit, und als Sportsmann möchte ich sie gewinnen.«

Der Hohn in Laredos Worten war so dick aufgetragen, daß Socorro nach Atem rang.»Vorbei!«stöhnte er.»Vorbei. Den bekommen wir nie! Das ist einer von den Caballeros, vor denen jeder den Hut zieht. Zahlen Sie, Senor Hartung, und vergessen Sie diese Tage in Mexiko.«

«Wohin soll das Geld gebracht werden?«

«Fahren Sie — allein, bitte, Caballero — die Straße nach Toluca de Lerdo hinunter. Hinter Toluca kommen Sie durch das Valle de Bravo. An der Straße steht eine Kakteengruppe, Sie können sie nicht verfehlen, sie ist zu auffällig. Dort werfen Sie die Tasche mit dem Geld aus dem Fenster, wenden und fahren zurück nach Mexiko. «Fernandez y Laredo lachte leise.»Mein lieber Juan!«PolizeichefSo-corro zuckte zusammen und lief rot an.»Sie sitzen jetzt neben dem Telefon, ich weiß es. Kommen Sie nicht auf den Gedanken, Ihre

Leute in den Bergen zu verstecken. Ich sehe alles. Sie gefährden nur Laska und entfesseln einen Skandal, der dem Namen unseres Landes schadet. Unternehmen Sie nichts, es könnte sonst Tote geben.«

«Diablo!«schrie Socorro und hieb auf die Tischplatte.»Diablo!«

«Und was wird aus Laska?«fragte Hartung ruhig.

«Wir bringen sie Ihnen zurück. Plötzlich wird sie da sein.«

«Und wer garantiert das?«

«Mein Wort. Das Wort eines mexikanischen honrado.« Ein Knacken. Das Gespräch war beendet.»Der hat Nerven«, sagte Dr. Rölle in die Stille hinein.»Ehrenmann!«

Hartung wandte sich an den Botschaftsrat.»Sie haben es gehört. Stellt man mir das Geld zur Verfügung?«

«Ja.«

«Dann kann ich also fahren?«

«Halt!«Polizeichef Socorro sprang auf.»Was dieser Bandit zu mir gesagt hat, ist eine Provokation! Das Turnier ist übermorgen, wir haben noch achtundvierzig Stunden Zeit!«

«Die haben wir nicht. Ich kann nicht mit einem Pferd springen, das eine Stunde vorher aus wer weiß welchen Qualen und nervlichen Belastungen entlassen worden ist.«

Socorro riß die schwarzen Augen auf.»Pferde haben Nerven?«

«Zartere als Sie und ich!«

Das Funkgerät summte. Socorro warf den Hebel auf Empfang. Die Stimme eines aufgeregten Polizisten.»Er hat aus einer Telefonzelle im Hauptbahnhof angerufen. Aber der Mann, den wir verhaftet haben, ist es nicht gewesen. Er hatte gerade mit dem vorherigen Anrufer die Kabine gewechselt.«

«Wieder zu spät!«brüllte Socorro. Er war den Tränen nahe.»Wie sah der Mann aus?«

«Kräftig, gepflegt, elegant gekleidet. Mehr weiß der Verhaftete auch nicht. Sollen wir ihn laufenlassen?«

«Natürlich!«Socorro stellte das Gerät ab.»Sie hören es, hombres. Ich werde jetzt Miguel Rivera einsetzen.«

«Wer ist das?«fragte der Botschaftsrat.

«Ein Erzgauner, der die ganze Unterwelt kennt. Er ist mir verpflichtet — ich habe ihn einmal vor der Liquidation durch eine gegnerische Bande bewahrt. Seitdem singt er ab und zu, wenn es nötig ist und er nicht in die Sache mitverwickelt ist.«

«Also ein Spitzel«, sagte Dr. Rölle.

«Immer diese klaren Begriffe. «Socorro lächelte breit.»Wir nennen so etwas einen heimlichen Freund, wir sind höflicher, hombres.«

Miguel Rivera erfuhr auch nach zwölf Stunden Herumhorchens nicht, wer hinter dem Pferderaub steckte. Aber er brachte die genaue Lage des Versteckes mit, in dem sich Laska befand. Socorro belohnte ihn mit 1.000 Pesos, die Hartung stiftete, und verließ durch einen Kellerausgang das Hotel. Dann beugten sich Hartung, Angela, Socorro und Dr. Rölle über eine große Autokarte von Mexiko.

«Hier ist es«, sagte Socorro.»Meine Ahnung! In den Michoacan-Bergen. In den verfluchten Felsentälern beim Monte Paricutin. Fast auf dem Mond, hombres. Aber da man den Mond erreichen kann, werden wir auch in dieses Tal gelangen. Jetzt sollen Sie etwas erleben! Wir möchten, daß Sie Mexiko in guter Erinnerung behalten.«

«Das kann ich Ihnen versprechen. «Hartung griff seine Jacke. Angela stand schon an der Tür.»Du bleibst hier, Angi!«

«Auf gar keinen Fall. Ich komme mit.«

«Es ist zu gefährlich.«

«Wenn es für dich nicht zu gefährlich ist, warum dann für mich?«

«Doktor!«Hartung wandte sich an Dr. Rölle.»Was kann man da tun?«

«Nichts. «Dr. Rölle hob die Schultern.»Ist es schon jemals gelungen, eine verliebte Frau zu bremsen?«

Eine halbe Stunde später brauste eine kleine Autokolonne hinaus in die Küstenberge. Dr. Rölle blieb als Telefonwache zurück. Er sollte, wenn der Erpresser noch einmal anrief, sagen, daß die 50.000 Dollar am Abend, wie gewünscht, bei der Kakteengruppe aus einem Wagen geworfen würden.

Die staubige, aber gut ausgebaute Straße war bis Morelia, einer typischen mexikanischen Provinzstadt mit einer herrlichen Kathedrale, in schnellem Tempo befahrbar. Dann aber begann es schwierig zu werden, bis der steinige Weg plötzlich ganz aufhörte und nur noch ein schmaler Pfad in die Schluchten des Paricutin führte.

Socorro ließ die Wagen stehen, lud vier Maschinenpistolen, ein Maschinengewehr und zwei Kisten mit Handgranaten aus, die Polizisten setzten Stahlhelme auf und schnallten sich die Waffen um. Es sah sehr imponierend aus.

«Wollen Sie einen Krieg führen?«fragte Hartung.

Socorro streifte den Kinnriemen seines Helms über.»Die Demonstration der Übermacht ist immer ein gutes Argument, Senor. Wenn die Banditen uns so sehen, heben sie die Hände hoch, und es gibt kein Blutvergießen. Man liebt hier das eigene Leben viel zu sehr.«

Hartung war nicht davon überzeugt. Vor allem hatte er Angst um Laska. Wenn sie in den bestimmt unkontrollierten Kugelregen geriet, war sie zwar befreit, aber erschossen.

«Ein Vorschlag, Caballero Socorro — unternehmen Sie nichts, bis ich mit den Kerlen verhandelt habe. Umstellen Sie meinetwegen das Versteck, aber schießen Sie nicht gleich los. Dazu bleibt immer noch Zeit.«

«Einverstanden. «Socorro gab seine Befehle. Die Polizisten rückten in kleinen Gruppen ab.»Viel Glück, Senor. Gehen Sie immer geradeaus. Der Weg steigt steil an, endet auf einem Plateau. Dort senkt sich der Boden zu einem flachen Kessel. Nach meinen Berechnungen muß Laska da versteckt sein. Wir besetzen die Höhen ringsum.«

Die Banditen — für die Bewachung Laskas von Pedro Calabozo gekaufte Männer, die keine Ahnung hatten und nur wußten, daß sie dieses eine Pferd, das noch nicht einmal schön in ihrem Sinne war, nicht aus den Augen lassen sollten, fühlten sich ziemlich sicher. Sie hatten nur eine Wache aufgestellt — oben, wo der Weg in den flachen Kessel hinunterführte. Der Mann saß auf einem Fels-brocken, rauchte eine geschnitzte Pfeife, starrte schläfrig vor sich hin und verfluchte die Langeweile. Keine zehn Meter von ihm entfernt lagen Hartung, Angela und Romanowski hinter einem Felsen und beobachteten ihn.

«Ick hau ihn vor de Birne«, flüsterte Romanowski.»Een Bums, und er träumt.«

«Erst mußt du hinkommen. Vor uns liegen zehn Meter dek-kungsloses Gelände.«

«Wozu jibt et Fernsehn, na?«Romanowski grinste.»Wie machen's da die Kerle? Is doch jut, det ick alle Krimis sehe. Uffjepaßt, Herrchen!«

Er nahm einen Stein und warf ihn über den Wächter hinweg auf die andere Seite. Polternd fiel er auf die nackten Felsen und rollte weg.

Der Mann fuhr hoch, griff in seinen Poncho und holte einen Trommelrevolver heraus. Dann warf er sich hinter einem großen Stein in Deckung und zielte in die Richtung, aus der das Poltern gekommen war.

Gleichzeitig aber schnellte Romanowski vor. Verblüfft sah Hartung, mit welcher Lautlosigkeit und Schnelligkeit dieser Koloß sich bewegen konnte.

Wenn zwei Zentner aus der Luft auf einen Menschen fallen, bleibt ihm zunächst der Atem weg, wenn er nicht sofort erschlagen wird. Nicht anders war es, als Romanowski beim letzten Sprung mit voller Wucht auf den liegenden Mexikaner stürzte und ihn dadurch flach auf den Felsenboden preßte, daß an eine Gegenwehr nicht mehr zu denken war. Der Faustschlag, der dann seinen Kopf traf, war nur als zusätzliche Sicherheit gedacht, denn der Mann war bereits ohnmächtig, weil er mit dem Kinn auf den Stein aufgeschlagen war.

«Erledigt, Herrchen«, sagte Romanowski und erhob sich. Den Revolver des Banditen steckte er in die Hosentasche.»Dem juckt de Bandscheibe noch wochenlang.«

Sie krochen an den Rand des Felsenkessels und blickten hinunter.

Mitten auf einer saftigen Wiese stand Laska und fraß gemächlich. Eine Hütte für die Wächter klebte an den Felsen, drei andere Pferde, gesattelt, dösten in einem Pferch. In einem verzinkten Behälter mit Pumpe wurde das Trinkwasser verwahrt. Das alles war nicht so wichtig, auch nicht die vier Männer, die wie Hühner nebeneinander auf einer Bank hockten und rauchten. Auch sie kämpften mit der Langeweile. Fast unüberwindlich erschienen zwei Dinge: Um das Rasenstück, auf dem Laska weidete, hatte man aus Felssteinen eine hohe Mauer gebaut — Hartung schätzte sie auf zwei Meter —, und außerdem hatte man Laska die Vorder- und Hinterbeine so zusammengebunden, daß sie nur kleine Schritte machen konnte. Sie bewegte sich fast hüpfend, wenn sie ihren Standort wechseln wollte.

«Det mach ick mit denen ooch!«knirschte Romanowski. Tränen standen ihm in den Augen.»Meene Olle jefesselt.«

«Ruhig, Pedro, ruhig. «Hartung blickte sich um. Er sah an dem vereinzelten Aufblitzen, daß Socorros Polizisten den Kessel umstellten. Keine Zeit war zu verlieren, um Laska gefahrlos aus dem Felstal zu holen. Bei der Vorliebe der Mexikaner für alles, was kracht und dramatisch ist, war abzusehen, wann Socorro den Befehl gab, aus allen Rohren zu ballern.

«Willst du die Banditen anrufen?«flüsterte Angela.»Und wenn sie als erste schießen?«

Hartung lag flach auf der Erde und starrte hinunter zu Laska.»Ob sie alles verlernt hat?«fragte er.

«Was?«

«Ihre kleinen Kunststückchen beim Zigeunerzirkus. Ihre beste Nummer war, sich auf einen bestimmten Pfiff hinzuwerfen und totzustellen. Zugan Kaiman hat es mir vorgemacht, und ich habe ein paarmal zur Freude Laskas diesen Pfiff wiederholt. Wie vom Blitz getroffen fiel sie hin. Aber das war vor drei Jahren.«

«Und wenn se hinfällt, was dann?«fragte Romanowski.

«Paß auf. Ich versuche es.«

Hartung hob den Kopf so weit, daß er auch hinüber zu den vier

rauchenden Männern sehen konnte. Dann spitzte er die Lippen und pfiff. Es war ein kurzer, trillernder Laut, der drei Sekunden dauerte und dann verhallte. Die Männer auf der Bank hörten ihn nicht, Laska aber spitzte sofort die Ohren. Ihr Kopf flog herum, die Augen suchten den Felsrand ab, sie wieherte kurz, als wollte sie sagen: Verstanden! Dann schwankte sie plötzlich und fiel mit einem Plumps auf die Seite. Regungslos lag sie im Gras, den Kopf weggestreckt.

Die Männer auf der Bank sprangen auf, als sei unter ihnen eine Bombe explodiert. Sie schrien durcheinander, rannten zu dem liegenden Pferd, beugten sich über Laska, einer hob den Kopf hoch, der zweite legte das Ohr auf ihre Seite, um den Herzschlag zu kontrollieren, die beiden anderen lösten sofort die Lederfesseln von den Füßen.

«Wasser!«brüllte einer der Männer.»Zum Teufel, Wasser! Und eine Decke! Sie hat einen Hitzschlag. Madre de Dios, der Chef bringt uns um!«

«Jetzt, mein Mädchen, jetzt. «Hartung ballte die Fäuste. Der Schweiß floß in Bächen über sein Gesicht. Er zitterte vor Aufregung. Totspielen — das dauerte drei Minuten. Für die >Erweckung< gab es keinen Pfiff, man mußte abwarten, bis Laska von selbst wieder aufsprang. Drei Minuten — das sind drei Ewigkeiten in der Situation, in der sich Hartung jetzt befand. Drei Minuten, in denen einem das Herz zerspringen kann.

Plötzlich war es soweit — mit einem ungestümen Satz sprang Las-ka auf. Die vier Männer stoben auseinander, kugelten über den Boden und schrien. Aus dem Stand heraus setzte Laska zu einem Galopp an, den Kopf vorgestreckt, mit wehender Mähne und fast waagerechtem Schweif, ein Bild von ungeheurer Kraft und hinreißender Schönheit. Die Mauer, keine Holzattrappe wie auf dem Parcours, sondern Felssteine, deren obere Schicht nicht herunterfiel, wenn man sie berührte, sondern an der die Knochen brachen, wenn Laska nur einen Millimeter zu niedrig sprang.

«Hoch, Olle!«brüllte Romanowski. Er war aufgesprungen und warf beide Arme empor. Deckungslos stand er am Rande des Kessels,

eine Zielscheibe für die Banditen.»Hoch!«

Laska visierte die mörderische Mauer an. Ihr Körper streckte sich noch mehr, Kopf, Hals und Rücken bildeten fast eine gerade Linie, und dann stieß sie sich ab, legte alle Kraft in die Hinterhände, schnellte hoch in den Himmel, schwebte über der Mauer, zog alle vier Beine dicht unter ihren Bauch. In diesem Augenblick war sie kein Pferd mehr, sondern ein goldbrauner, glänzender Schatten in der Sonne, keine Handbreit höher fegte sie über die Mauerkrone und federte auf der anderen Seite elegant auf den Boden.

Mit ausgebreiteten Armen rannten Hartung, Angela und Romanowski ihr entgegen. Laska warf den Kopf hoch und wieherte triumphierend. In diesem Moment, als sie in Sicherheit war, brüllte Juan Socorro sein Kommando:

«Hacerfuego!«

Von allen Seiten dröhnten die Schüsse. Das Maschinengewehr ratterte. Handgranaten explodierten auf der Weide. Es war ein imposanter Feuerzauber, aber niemand wurde verletzt. Alle Schüsse wurden bewußt vorbeigezielt, denn die vier Banditen standen mit hocherhobenen Armen an der Mauer und dachten gar nicht an Widerstand.

PolizeichefSocorro war zufrieden. Als stürme er eine Festung, rannte er mit seinen Polizisten hinunter in den Talkessel. Von allen Seiten kamen sie, stolz über diesen Sieg.

«Ihr räudigen Hunde!«schrie unten Socorro die zitternden Banditen an.»Ich verspreche euch, daß ihr vor Hunger noch die Wanzen in eurer Zelle freßt!«

Am Abend berichteten der mexikanische Rundfunk und das Fernsehen über die Festnahme der Bande. Socorro gab eine dramatische Schilderung seines Kampfes auf Leben und Tod mit den Räubern und warf sich stolz in die Brust, als der Oberbürgermeister von Mexiko City ihm ein Geschenk überreichte, eine goldene Medaille, die man ihm an die Uniform heftete, vor den Augen von Millionen Fernsehzuschauern. Fernandez y Laredo saß in seinem palastähnlichen Haus, trank Orangensaft und hatte die Hände gegeneinander gelegt.

Hinter ihm stand der lange, dürre Pedro Calabozo. Er hatte ängstliche Augen.

«Wie konnte das passieren?«fragte Laredo.

«Madonna, ich weiß es nicht, Caballero. Es war der sicherste Ort. Jemand muß ihn verraten haben.«

«Kennen die Verhafteten meinen Namen?«

«Gar keine Rede. Sie haben nur mit mir zu tun. Sie sehen in mir den Chef. Aber ich habe ihnen einen falschen Namen genannt. Und bar bezahlt.«

«Also keine Gefahr für uns?«

«Gar keine, Caballero.«

«Dein Glück, Pedro. Der Weg zurück ist kurz.«

«Ich denke immer daran, Caballero. Ich lebe ganz von Ihrer Güte. «Calabozo schluckte. Die Armut, dachte er. Madre de Dios, ich will nie wieder so arm sein wie damals, als ich Schlangen fraß und irgendwo auf der Erde schlief. Und wenn ich dem Herrn die Füße lecken müßte — ich täte es.

«Stell ab«, sagte Laredo, als Laska und Hartung ins Fernsehbild kamen. Calabozo drehte den Knopf, das Bild zerrann.»Ich will mir den Genuß, Laska zu sehen, aufheben. Wir werden morgen beim Springen dabeisein.«

Am nächsten Tag saß der ehrenwerte Fernandez y Laredo auf der Tribüne des Azteken-Stadions neben dem Oberbürgermeister und dem Minister des Inneren. Er war umgeben von der Elite Mexikos, lauter einflußreichen Männern, deren Namen jeder kannte. Polizeichef Socorra musterte sie alle und seufzte ergeben. Einer von ihnen ist der Erzgauner, dachte er, aber es wird nie herauskommen. Mit ihren Millionen decken sie alles, und das Gesetz ist machtlos.

Er steckte sich einen Zigarillo an, verzichtete darauf, die hohen Herren weiter zu mustern, und widmete sich dem Turnier auf dem wunderbaren grünen, aber harten Rasen.

Um 17 Uhr 16 gewann Hartung auf Laska den >Großen Preis von Mexiko< und 50.000 Dollar.

Siebzigtausend Mexikaner jubelten sich die Kehlen wund, unter ihnen auch Fernandez y Laredo. Wie nach einem Stierkampf schleuderte er seinen weißen Hut in das Stadion. Hartung und Laska ritten rund um die Ränge und Tausende von Papierschnipseln regneten auf sie hinunter. Es war der größte Triumph, den je ein Reiter und sein Pferd erlebt hatten.

«Und die beiden wollen aufhören«, sagte Dr. Rölle und klatschte dabei so heftig, daß seine Hände rot anschwollen.»Wer's glaubt, wird selig!«

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