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Etwa sechs Wochen später klopfte ein junger Mann diskret an die Tür eines Zimmers in Bloomsbury, im Zentrum Londons.

Man bat ihn einzutreten.

In einem kleinen Zimmer saß ein korpulenter Mann mittleren Alters zusammengesunken an einem Schreibtisch. Sein zerknitterter Anzug war von Zigarrenasche bestäubt. Die Fenster waren geschlossen, und die Luft war zum Ersticken.

»Sie wünschen?«, fragte der Dicke gereizt. Seine Augen waren nur halb geöffnet. »Was ist denn jetzt schon wieder los?«

Es wurde behauptet, dass Colonel Pikeaway meistens im Begriff sei, einzuschlafen oder aufzuwachen. Außerdem wollte man wissen, dass er weder Pikeaway heiße noch Colonel sei. Aber die Leute reden viel, wenn der Tag lang ist…

»Ein Mr Edmundson vom Auswärtigen Amt möchte Sie sprechen, Colonel.«

»Edmundson?« Colonel Pikeaway blinzelte verschlafen. »War der nicht dritter Sekretär bei unserer Botschaft in Ramat, als die Revolution ausbrach?«

»Jawohl, Colonel.«

»Na, dann muss ich ihn wohl empfangen«, brummte Colonel Pikeaway missmutig. Er setzte sich auf und klopfte die Asche von seinem Bauch.

Mr Edmundson war jung, groß und blond. Er war sehr korrekt gekleidet und verfügte über entsprechende Manieren, obwohl seine ruhigen Züge eine gewisse Missbilligung auszudrücken schienen.

»Colonel Pikeaway? Ich bin John Edmundson. Man hat mich zu Ihnen geschickt in der Annahme, dass Sie mich zu sprechen wünschen.«

»Tatsächlich? Wird wohl so sein«, entgegnete der Colonel. »Nehmen Sie Platz«, fügte er hinzu.

Seine Augen begannen wieder zuzufallen, aber bevor sie sich ganz schlossen, begann er zu sprechen.

»Sie waren während der Revolution in Ramat?«

»Ja – es war furchtbar.«

»Das kann ich mir vorstellen. Sie waren ein Freund von Bob Rawlinson, nicht wahr?«

»Ja, ich kenne ihn ziemlich gut.«

»Falsche Zeitform«, erklärte Pikeaway. »Er ist tot.«

»Ja, ich weiß, Colonel, aber ich war nicht ganz sicher…« Er machte eine Pause.

»Hier brauchen Sie kein Blatt vor den Mund zu nehmen«, sagte Colonel Pikeaway. »Wir sind über alles informiert – jedenfalls tun wir so. Rawlinson war der Pilot des Flugzeugs, in dem Ali Yusuf Ramat am Tag der Revolution verlassen hat. Seitdem ist das Flugzeug verschollen – mag an einem unzugänglichen Ort gelandet oder abgestürzt sein. Die Trümmer eines Zweisitzers wurden in den Arolez-Bergen entdeckt. Und zwei Leichen. Die Nachricht wird morgen an die Presse weitergegeben. Stimmt’s?«

Edmundson nickte.

»Wir sind genau im Bilde, dazu sind wir schließlich da«, erklärte Pikeaway. »Das Flugzeug mag im Nebel an einem Berg zerschellt sein, aber wir glauben eher an Sabotage. Wahrscheinlich eine Zeitbombe. Wir warten noch auf einen ausführlichen Bericht. Man hat eine Belohnung für weitere Informationen ausgesetzt, aber die Nachrichten tröpfeln nur. Wir haben uns entschlossen, eine Reihe von Sachverständigen an den Unglücksort zu schicken. Allerdings hat man es unseren Leuten nicht leicht gemacht. Gesuche an die Behörden, Verhandlungen, Bestechungen, Trinkgelder in die ausgestreckten Hände – na, Sie wissen ja Bescheid.«

Er sah Edmundson forschend an.

»Eine traurige Angelegenheit«, sagte Edmundson. »Prinz Ali Yusuf wäre ein modernes Staatsoberhaupt mit demokratischen Prinzipien gewesen.«

»Genau deshalb haben sie den armen Kerl wahrscheinlich umgebracht«, erklärte Colonel Pikeaway. »Aber wir haben keine Zeit, uns über sein trauriges Schicksal zu unterhalten. Wir haben den Auftrag erhalten, gewisse Erkundigungen einzuziehen, und zwar von einer bestimmten Stelle, die das Vertrauen der Regierung Ihrer Majestät genießt.« Er sah Edmundson scharf an. »Wissen Sie, worum es sich handelt?«

»Ich habe etwas läuten hören«, erwiderte Edmundson zögernd.

»Vielleicht haben Sie gehört, dass man unter den Trümmern und in den Taschen der Leichen keinerlei Wertgegenstände gefunden hat. Man nimmt nicht an, dass die Bauern der Gegend etwas gestohlen haben, allerdings würde ich keinen Eid darauf leisten. Bauern können ebenso verschwiegen sein wie das Auswärtige Amt. Haben Sie sonst noch etwas gehört?«

»Nein.«

»Wissen Sie wirklich nicht, dass bestimmte Wertgegenstände vermisst werden? Weshalb hat man Sie eigentlich zu mir geschickt?«

»Um etwaige Fragen zu beantworten«, erwiderte Edmundson steif.

»Na also! Und wenn ich Fragen stelle, erwarte ich Antworten.«

»Das versteht sich.«

»Anscheinend nicht bei den Herren vom Diplomatischen Dienst«, bemerkte Colonel Pikeaway spitz. »Aber kommen wir zur Sache. Hat sich Bob Rawlinson mit Ihnen in Verbindung gesetzt, bevor er Ramat verließ? Natürlich ist uns bekannt, dass er der Vertraute des Prinzen Ali Yusuf war, und wir möchten wissen, ob er Ihnen irgendetwas gesagt hat.«

»Wie kommen Sie darauf, Colonel?«

Colonel Pikeaway sah ihn scharf an, dann kratzte er sich hinter dem Ohr.

»Wenn Sie darauf bestehen, sich in diplomatisches Schweigen zu hüllen, kann man nichts machen«, bemerkte er ärgerlich. »Aber meiner Ansicht nach übertreiben Sie etwas, lieber Edmundson. Wenn Sie jedoch weiter vorgeben, von nichts zu wissen, ist der Fall für mich erledigt.«

»Ich bin nicht ganz sicher, aber ich glaube, dass Bob die Absicht hatte, mir etwas Wichtiges mitzuteilen«, erklärte Edmundson nach einigem Zögern.

»Das bestätigt meine Vermutungen. Können Sie mir mehr darüber erzählen?«

»Leider nicht viel, Colonel. Bob und ich hatten eine einfache Geheimsprache, da wir wussten, dass alle Telefongespräche in Ramat abgehört wurden. Er war über die Vorgänge im Palast informiert, und ich konnte ihm manchmal wichtige Nachrichten von draußen übermitteln. Wenn wir von einem schönen Mädchen schwärmten und sagten: ›Das hat die Welt noch nicht gesehen‹, so bedeutete das, dass wir uns etwas Wichtiges mitzuteilen hatten. Am Tag, an dem die Revolte begann, rief Bob mich an und benutzte diese Phrase. Wir verabredeten uns vor der Handelsbank, in der Hauptstraße, aber wir konnten uns nicht mehr treffen, da kurz nach unserem Telefongespräch Unruhen ausbrachen und die Straße von der Polizei gesperrt wurde. Ich hatte keine Möglichkeit mehr, mit Bob zu sprechen, der am gleichen Nachmittag mit Prinz Ali Yusuf das Land verließ.«

»Ich verstehe… Wussten Sie, von wo aus er Sie angerufen hatte?«, fragte Colonel Pikeaway.

»Nein, keine Ahnung.«

»Das ist ein Jammer.«

Der Colonel machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort: »Kennen Sie übrigens Mrs Sutcliffe?«

»Bob Rawlinsons Schwester? Ja, natürlich, allerdings nur flüchtig. Sie war mit ihrer Tochter in Ramat.«

»Bestand ein sehr enges Verhältnis zwischen Mrs Sutcliffe und ihrem Bruder?«

Edmundson überlegte.

»Nein, eigentlich nicht. Bob war viel jünger, und sie spielte die ältere Schwester, wie sie im Buch steht. Außerdem mochte er seinen Schwager nicht, den er für einen hochnäsigen Burschen hielt.«

»Da hatte er nicht ganz Unrecht; Sutcliffe ist einer unserer führenden Großindustriellen, arrogant und eingebildet… Aber das gehört nicht zur Sache. Halten Sie es für wahrscheinlich, dass Rawlinson seiner Schwester ein Geheimnis anvertraut hat?«

»Schwer zu sagen, aber ich glaube es kaum.«

»Ich bin ganz Ihrer Meinung.« Pikeaway seufzte. »Übrigens befinden sich Mrs Sutcliffe und ihre Tochter noch an Bord der ›Eastern Queen‹, die morgen in Tilbury landen soll.«

Er betrachtete den jungen Diplomaten nachdenklich, dann streckte er ihm plötzlich die Hand entgegen.

»Vielen Dank für Ihren Besuch.«

»Keine Ursache. Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht mehr Informationen geben konnte.«

John Edmundson ging, und der diskrete junge Mann trat wieder ins Zimmer.

»Eigentlich wollte ich ihn bitten, Mrs Sutcliffe in Tilbury abzuholen, um ihr die traurige Nachricht zu überbringen, weil er ein Freund ihres Bruders war«, erklärte Colonel Pikeaway. »Inzwischen habe ich es mir jedoch anders überlegt. Er ist so entsetzlich steif und förmlich. Das hat man ihm beim Auswärtigen Amt beigebracht. Ich werde lieber Derek hinschicken… aber als Erstes muss ich etwas mit Ronnie besprechen. Bitten Sie ihn, sofort zu mir zu kommen.«

Colonel Pikeaway schien gerade wieder im Begriff zu sein einzuschlafen, als Ronnie ins Zimmer kam. Er war jung, groß und kräftig und machte einen vergnügten, etwas spitzbübischen Eindruck.

Pikeaway betrachtete ihn einen Augenblick, dann fragte er lächelnd: »Hätten Sie Lust, in ein Mädchenpensionat einzudringen?«

»In ein Mädchenpensionat?«, wiederholte der junge Mann stirnrunzelnd. »Das wäre mal eine Abwechslung! Was geht in dieser Schule vor? Haben die Mädchen in der Chemiestunde heimlich Bomben fabriziert?«

»Sie sind auf der falschen Fährte, mein Lieber! Es handelt sich um ein sehr vornehmes Internat – um Meadowbank.«

»Ja, ist denn das die Möglichkeit?«

»Halten Sie Ihren vorlauten Mund und hören Sie zu. Prinzessin Shanda, die Kusine und einzige nahe Verwandte des verstorbenen Prinzen Ali Yusuf, kommt fürs nächste Schuljahr nach Meadowbank. Bisher ist sie in der Schweiz zur Schule gegangen.«

»Soll ich sie vielleicht entführen?«

»Unsinn! Versuchen Sie doch zur Abwechslung mal ernsthaft zu sein, Ronnie! Ich halte es für möglich, dass Shanda bald im Mittelpunkt des Interesses stehen wird, und ich möchte, dass Sie die Entwicklungen in Meadowbank aus unmittelbarer Nähe beobachten. Genauere Anweisungen kann ich Ihnen vorläufig nicht geben. Ich weiß nicht, was geschehen wird oder wer dort auftauchen mag. Sollten sich verdächtige Gestalten zeigen, bitte ich Sie, uns umgehend zu verständigen.«

Der junge Mann nickte.

»Unter welchem Vorwand soll ich mir Zutritt verschaffen? Vielleicht als Zeichenlehrer?«

»In Meadowbank gibt es nur Lehrerinnen… wie wäre es, wenn wir Sie zum Gärtner ernennen würden?«

»Zum Gärtner?«

»Warum nicht? Wenn ich mich nicht irre, verstehen Sie sogar etwas davon.«

»Allerdings. Ich habe in jungen Jahren eine Artikelserie über ›Freuden und Leiden des Gärtners‹ für die Sunday Mail geschrieben.«

»Das beweist noch nicht, dass Sie praktische Kenntnisse besitzen – und darauf kommt es hier an… in die Hände spucken, den Spaten fest anpacken, umgraben, düngen, rechen, jäten, tiefe Gräben für die Wicken ziehen, schwer arbeiten – können Sie das?«

»Natürlich, das habe ich von Jugend auf getan.«

»Das wollte ich nur hören, Ronnie, denn ich kannte Ihre Mutter und bin überzeugt, dass sie ihre Kinder zu praktischen Menschen erzogen hat. Gut, das wäre erledigt.«

»Wissen Sie, ob in dem Internat ein Gärtner gebraucht wird?«

»Es gibt kein englisches Landhaus, dessen Besitzer nicht verzweifelt nach Gärtnern sucht. Die Nachfrage ist viel größer als das Angebot. Nein, darüber brauchen Sie sich nicht den Kopf zu zerbrechen. Wir werden Ihnen erstklassige Zeugnisse mitgeben, und man wird Sie mit Begeisterung anstellen. Sie haben übrigens keine Zeit zu verlieren, da der Unterricht am 29. beginnt.«

»Ich soll also mit weit offenen Augen und gespitzten Ohren im Garten arbeiten…«

»Stimmt. Und vermeiden Sie möglichst, sich von einem temperamentvollen Teenager verführen zu lassen. Wir wollen nicht riskieren, dass Sie Ihre Stellung zu schnell wieder verlieren.«

Colonel Pikeaway nahm einen Bleistift und ein Notizbuch zur Hand.

»Wie wollen Sie sich nennen?«

›»Adam‹ wäre vielleicht nicht unangebracht.«

»Familienname?«

»Was halten Sie von ›Eden‹?«

»Lassen Sie die Witze… Sagen wir: ›Adam Goodman‹. Legen Sie mit Jenson alle notwendigen Einzelheiten im Hinblick auf Ihre Vergangenheit fest. Danach bewerben Sie sich unverzüglich um den Posten eines Gärtners.« Pikeaway sah auf die Uhr. »Ich muss unsere Unterredung jetzt abbrechen, denn ich möchte Mr Robinson nicht warten lassen.«

Adam – um ihn bei seinem neuen Namen zu nennen – blieb an der Tür stehen.

»Sie erwarten Mr Robinson?«, fragte er neugierig.

»Das haben Sie doch gehört.« Auf dem Schreibtisch surrte eine Klingel. »Das ist er – pünktlich wie immer.«

Adam konnte seine Neugier nicht bezähmen.

»Wer ist dieser Robinson? Wie heißt er wirklich?«

»Er heißt Robinson, mehr kann ich Ihnen im Augenblick nicht sagen.«

Der Mann, der jetzt ins Zimmer trat, sah tatsächlich nicht wie ein Mr Robinson aus. Viel eher hätte er Demetrius, Isaaksohn oder Perenna heißen können; er mochte ein Grieche, ein Jude, ein Spanier oder ein Südamerikaner sein – es war schwer, ihn herkunftsmäßig einzuordnen. Nur wie ein durchschnittlicher Engländer mit dem weit verbreiteten Namen Robinson wirkte er nicht.

Er war korpulent, elegant gekleidet, und sein Teint schien gelblich. Er hatte melancholische dunkle Augen, eine hohe Stirn, einen großzügigen Mund und übertrieben weiße Zähne. Seine gut geformten Hände waren sorgfältig manikürt. Er sprach ein akzentfreies Englisch.

Colonel Pikeaway und Mr Robinson begrüßten sich mit der Höflichkeit regierender Fürsten.

Nachdem sein Gast dankend eine Zigarre angenommen hatte, sagte der Colonel: »Wir sind Ihnen sehr dankbar, dass Sie sich bereiterklärt haben, uns zu helfen.«

Mr Robinson machte mit sichtlichem Genuss ein paar Züge.

»Das ist doch selbstverständlich, lieber Pikeaway«, bemerkte er liebenswürdig. »Wie Sie wissen, komme ich viel herum und treffe die verschiedensten Leute. Merkwürdigerweise schenken sie mir oft ihr Vertrauen. Manchmal frage ich mich wirklich, warum.«

Colonel Pikeaway ging nicht weiter auf diese Bemerkung ein, sondern fragte ohne Umschweife: »Dann wissen Sie wohl auch, dass Prinz Ali Yusufs Flugzeug gefunden worden ist?«

»Vorigen Mittwoch«, erwiderte Mr Robinson. »Schwieriger Flug, aber das Unglück war nicht die Schuld des Piloten. Die Maschine ist kurz vor dem Abflug beschädigt worden, und zwar von einem gewissen Achmed, einem Flugzeugmechaniker, den Bob Rawlinson für äußerst zuverlässig hielt. Leider hat er sich geirrt. Achmed hat übrigens jetzt einen sehr einträglichen Posten unter dem neuen Regime.«

»Es war also tatsächlich ein Sabotageakt! Wir waren unserer Sache bisher noch nicht ganz sicher. Tragische Angelegenheit!«

»Der arme Prinz Ali war den Intrigen und der Korruption in Ramat nicht gewachsen. Wahrscheinlich war es ein Fehler, ihm eine englische Erziehung angedeihen zu lassen… Aber welchen Sinn hat es, über die Vergangenheit zu lamentieren? Ali Yusuf ist tot, und nichts ist so tot wie ein toter König. Wir, und auch Sie, Colonel, sind nun nur noch an Prinz Alis Hinterlassenschaft interessiert.«

»Worin besteht diese Hinterlassenschaft?«

Mr Robinson zuckte die Achseln.

»Aus einem ansehnlichen Bankguthaben in Genf, einem kleinen Konto in London, ausgedehnten Besitzungen in seiner Heimat, die natürlich von den Rebellen beschlagnahmt wurden, und – aus einer persönlichen Kleinigkeit.«

»Einer Kleinigkeit?«

»Ich spreche nicht vom Wert des Gegenstandes, sondern von seinem äußeren Umfang. Es handelt sich um etwas, das man in der Tasche mit sich tragen kann.«

»Soviel ich weiß, hat man bei der Leiche nichts gefunden.«

»Nein, weil er dem jungen Rawlinson seine… seine Juwelen anvertraut hatte.«

»Wissen Sie das genau?«, fragte Pikeaway erregt.

»Ganz genau weiß man es natürlich nicht«, erklärte Mr Robinson fast entschuldigend. »Natürlich kann man nicht alle Palastgerüchte für bare Münze nehmen, aber in diesem Fall bin ich meiner Sache ziemlich sicher.«

»Aber auch bei Rawlinson wurde nichts gefunden.«

»Dann müssen sie auf eine andere Art aus dem Land geschmuggelt worden sein.«

»Auf welche Art? Haben Sie einen bestimmten Verdacht?«

»Nachdem Rawlinson die Juwelen erhalten hatte, verließ er den Palast und ging in ein Café in der Stadt. Dort soll er mit niemandem gesprochen oder sonst wie Kontakt aufgenommen haben. Dann begab er sich ins ›Ritz Savoy‹, wo seine Schwester wohnte. Er ging in ihr Zimmer hinauf und hielt sich dort etwa zwanzig Minuten auf. Seine Schwester war nicht da. Nach Verlassen des Hotels ging Rawlinson zur Handelsbank, wo er sich einen Scheck auszahlen ließ. Als er das Bankgebäude verließ, hatte die Revolte bereits mit einem Aufstand der Studenten begonnen. Es verging einige Zeit, bis die Straße geräumt war. Danach machte Rawlinson sich auf den Weg zum Flugplatz, wo er die Maschine, im Beisein von Achmed, überprüfte.

Kurz darauf kam Ali Yusuf in seinem Auto auf dem Flugplatz an und erklärte, dass er den Bau des neuen Dammes von der Luft aus besichtigen wolle. Er und Rawlinson flogen ab und kehrten nicht mehr zurück.«

»Und zu welchem Schluss sind Sie gekommen?«

»Zum gleichen Schluss wie Sie, Colonel. Warum verbrachte Bob Rawlinson zwanzig Minuten im Zimmer seiner Schwester, wo er doch wusste, dass sie unterwegs war? Er schrieb ihr einen kurzen Brief; dazu brauchte er höchstens zwei Minuten. Was tat er in der übrigen Zeit?«

»Wollen Sie damit andeuten, dass er die Edelsteine im Gepäck seiner Schwester versteckt hat?«

»Es sieht so aus, nicht wahr?… Mrs Sutcliffe und alle anderen Engländer wurden noch am selben Tag evakuiert. Sie wurde mit ihrer Tochter im Flugzeug nach Aden gebracht. Soviel ich weiß, kommt sie morgen in Tilbury an.«

Pikeaway nickte.

»Ich rate Ihnen, sie nicht aus den Augen zu lassen«, sagte Mr Robinson.

»Darauf können Sie sich verlassen. Wir haben bereits alles arrangiert«, erwiderte der Colonel.

»Wenn sie die Juwelen hat, ist sie in großer Gefahr.«

Mr Robinson schloss die Augen. »Ich hasse Gewalttaten.«

»Glauben Sie, dass es dazu kommen wird?«

»Gewisse Leute sind interessiert daran – gewisse unerwünschte Elemente – Sie verstehen?«

»Ich verstehe«, erwiderte Colonel Pikeaway finster.

»Das Ganze ist so verwirrend.« Wieder schüttelte Robinson traurig den Kopf.

»Sind Sie aus irgendeinem Grund persönlich interessiert?«, fragte Pikeaway zurückhaltend.

»Ich bin Vertreter einer bestimmten Gruppe, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Wahrheit herauszufinden«, erklärte Mr Robinson in leicht vorwurfsvollem Ton. »Seine Hoheit hat einen Teil der Steine von meinem Syndikat erworben, und ich darf wohl sagen, dass wir sie Prinz Ali zu einem sehr günstigen Preis verkauft haben. Die von mir vertretenen Personen sind an der Auffindung der Juwelen interessiert, und ich bin sicher, dass wir da im Sinne des Verstorbenen handeln. Mehr kann ich im Augenblick nicht sagen. Diese Angelegenheit ist äußerst delikat.«

»Jedenfalls dienen Sie der gerechten Sache«, meinte Colonel Pikeaway lächelnd.

»Der gerechten Sache – zweifellos!« Er machte eine Pause. »Wissen Sie zufällig, wer die Nachbarn von Mrs Sutcliffe im ›Ritz Savoy‹ in Ramat waren?«

»Einen Augenblick – ich glaube, ja. Im Zimmer links von Mrs Sutcliffe wohnte, soviel ich weiß, eine gewisse Angelica de Toredo, eine spanische Tänzerin, die in einem Kabarett auftrat. Vielleicht war sie keine echte Spanierin und auch keine sehr gute Tänzerin – jedenfalls war sie beliebt bei den ›Kunden‹. Auf der anderen Seite soll eine Lehrerin gewohnt haben.«

Mr Robinson nickte wohlwollend. »Es ist immer dasselbe. Ich komme her, um Ihnen etwas mitzuteilen, und dann stellt es sich heraus, dass Sie bereits Bescheid wissen.«

»Nein, nein. Nicht immer«, erwiderte Pikeaway liebenswürdig.

»Wir sind beide nicht schlecht informiert«, bemerkte Mr Robinson.

Ihre Blicke trafen sich. Mr Robinson stand auf und sagte: »Ich hoffe nur, dass wir gut genug informiert sind…«



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