8


Sergeant Green hatte Nachtdienst auf der Polizeistation von St. Cyprian. Gerade als er laut und herzhaft gähnte, schrillte das Telefon; er nahm den Hörer ab. Kurz darauf begann er mit völlig veränderter Miene eifrig Notizen zu machen.

»Ja? Meadowbank? Ja… und der Name? Bitte buchstabieren Sie: S-P-R-I-N-G-E-R. Jawohl, Springer… Bitte sorgen Sie dafür, dass niemand etwas berührt… Unsere Beamten kommen so schnell wie möglich zu Ihnen.«

Er setzte sofort alle Hebel in Bewegung.

»Meadowbank? Ist das nicht ein Mädchenpensionat?«, fragte Kommissar Kelsey. »Wer ist denn dort ermordet worden?«

»Die Turnlehrerin.«

»Tod einer Turnlehrerin«, sagte Kelsey nachdenklich. »Klingt wie der Titel eines Kriminalromans.«

»Wer mag sie wohl um die Ecke gebracht haben?«, fragte der Sergeant. »Ich kann’s mir wirklich nicht vorstellen.«

»Selbst Turnlehrerinnen mögen ein Liebesleben haben«, bemerkte Kommissar Kelsey. »Wo soll die Leiche gefunden worden sein?«

»In der Turnhalle.«

»Also Mord in der Turnhalle… sagten Sie, sie wurde erschossen?«

»Ja.«

»Hat man den Revolver gefunden?«

»Nein.«

»Interessanter Fall«, bemerkte Kommissar Kelsey und machte sich mit seinem Gefolge auf den Weg zum Tatort.

Aus der offenen Haustür von Meadowbank fiel ein breiter Lichtstrahl in den Garten. Miss Bulstrode begrüßte Kommissar Kelsey. Wie die meisten Leute in der Gegend kannte er sie vom Sehen. Selbst in diesem Augenblick der Unsicherheit und Verwirrung war Miss Bulstrode Herrin der Situation und ihrer Untergebenen.

»Kommissar Kelsey«, stellte er sich mit einer Verbeugung vor.

»Was wünschen Sie zuerst zu tun, Kommissar? Wollen Sie in die Turnhalle gehen oder zuerst nähere Einzelheiten hören?«

»Ich habe den Polizeiarzt mitgebracht. Würden Sie ihn und zwei meiner Leute bitte an den Tatort führen lassen, während Sie mir alle nötigen Informationen geben?«

»Selbstverständlich. Bitte kommen Sie mit in mein Wohnzimmer. Miss Rowan, zeigen Sie dem Arzt und den Polizisten den Weg zur Turnhalle.« Sie fügte freundlich hinzu: »Eine meiner Angestellten ist dort, um dafür zu sorgen, dass nichts berührt wird.«

»Ausgezeichnet – vielen Dank.«

Kelsey folgte Miss Bulstrode in ihr Wohnzimmer.

»Wer hat die Leiche gefunden?«

»Miss Johnson, die Hausmutter. Eins der Mädchen hatte Ohrenschmerzen, und Miss Johnson war aufgestanden, um es zu behandeln. Dabei fiel ihr auf, dass die Vorhänge nicht richtig zugezogen waren. Sie ging zum Fenster und sah Licht in der Turnhalle, was ihr seltsam vorkam, da es ein Uhr nachts war.«

»Sehr richtig. Wo ist Miss Johnson jetzt?«, fragte Kelsey.

»Hier. Möchten Sie sie sehen?«

»Etwas später. Bitte fahren Sie fort, Miss Bulstrode.«

»Miss Johnson weckte Miss Chadwick, eine unserer Lehrerinnen, und sie beschlossen, zur Turnhalle rüberzugehen und zu schauen, was los ist. Als sie das Haus durch eine Seitentür verließen, hörten sie einen Schuss. Daraufhin liefen sie, so schnell sie konnten, zur Turnhalle. Bei ihrer Ankunft…«

»Vielen Dank, Miss Bulstrode«, unterbrach der Kommissar. »Wenn es Ihnen recht ist, möchte ich den weiteren Verlauf der Dinge von Miss Johnson selbst erfahren. Können Sie mir nur noch etwas über die Ermordete mitteilen?«

»Sie heißt Grace Springer.«

»War sie lange bei Ihnen angestellt?«

»Nein, sie ist erst vor einigen Wochen zu uns gekommen. Unsere frühere Turnlehrerin ist nach Australien gegangen.«

»Was wussten Sie von Miss Springer?«

»Sie hatte hervorragende Zeugnisse.«

»Sie war Ihnen vorher nicht persönlich bekannt?«

»Nein.«

»Haben Sie eine Ahnung, wie es zu dieser Tragödie gekommen ist? War sie unglücklich? Vielleicht eine Liebesgeschichte?«

Miss Bulstrode schüttelte den Kopf.

»Nicht dass ich wüsste – außerdem halte ich das auch für unwahrscheinlich. Sie war nicht der Typ…«

»Sie würden staunen«, bemerkte Kommissar Kelsey ironisch.

»Soll ich jetzt Miss Johnson kommen lassen?«

»Ja, bitte. Nachdem ich mit ihr gesprochen habe, werde ich dann zur Turnhalle gehen.«

»Sie ist erst in diesem Jahr gebaut worden«, erklärte Miss Bulstrode. »Das Gebäude befindet sich neben dem Schwimmbad, es gibt dort darum auch einen Trockenraum für die Badeanzüge – und einen Raum, in dem Tennis- und Hockeyschläger aufbewahrt werden; die Tennisplätze liegen gleich gegenüber.«

»Hatte Miss Springer einen besonderen Grund, sich nachts in der Turnhalle aufzuhalten?«

»Nein, bestimmt nicht.«

»Gut. Dann werde ich jetzt mit Miss Johnson reden.«

Miss Bulstrode verließ das Zimmer, das sie kurz darauf, von Miss Johnson gefolgt, wieder betrat. Nachdem sie die Leiche entdeckt hatte, war Miss Johnson ein großes Glas Kognak eingeflößt worden, dessen Wirkung sich jetzt in einer ungewöhnlichen Geschwätzigkeit zeigte.

»Das ist Kommissar Kelsey«, sagte Miss Bulstrode. »Sie müssen versuchen, sich zusammenzunehmen, Elsbeth, und ihm genau erzählen, was sich ereignet hat.«

»Furchtbar, furchtbar«, jammerte Miss Johnson. »So etwas habe ich noch nie erlebt. Noch nie! Ich kann es noch immer kaum fassen. Entsetzlich! Und ausgerechnet Miss Springer!«

Kommissar Kelsey war ein aufmerksamer Zuhörer und ein guter Beobachter.

»Mir scheint, dass Sie es als besonders seltsam empfinden, dass gerade Miss Springer ermordet worden ist, nicht wahr?«

»Allerdings. Sie war so… so forsch und entschlossen. Eine Frau, die es gewiss mit einem Einbrecher aufnehmen konnte, die sich nicht fürchtete.«

»Einbrecher? Gibt es in der Turnhalle irgendetwas, das einen Einbrecher reizen könnte?«, fragte Kelsey.

»Eigentlich nicht. Höchstens Badeanzüge und ein paar Sportgeräte.«

»Kaum anzunehmen, dass deshalb jemand einbrechen würde«, meinte Kelsey. »Ist die Tür gewaltsam geöffnet worden?«

»Das weiß ich leider nicht. Als wir ankamen, stand die Tür offen, und dann…«

»Sie ist nicht gewaltsam geöffnet worden«, erklärte Miss Bulstrode.

»Sie wurde also aufgeschlossen«, stellte der Kommissar fest.

»War Miss Springer beliebt?«, fragte er mit einem prüfenden Blick auf Miss Johnson.

»Das ist schwer zu sagen… ich meine… sie ist doch tot, und…«

»Mit anderen Worten: Sie konnten sie nicht leiden«, schloss Kelsey, ohne Miss Johnsons Gefühle zu schonen.

»Ich glaube nicht, dass sie sich besonderer Beliebtheit erfreute«, sagte Miss Johnson. »Sie war eigenwillig und nicht besonders höflich, aber sie nahm ihre Arbeit ernst und war sehr tüchtig, nicht wahr, Miss Bulstrode?«

»Stimmt«, erwiderte Miss Bulstrode.

Der Kommissar kehrte zum Hauptthema zurück.

»So, und jetzt erzählen Sie uns genau, was sich ereignet hat, Miss Johnson«, bat er.

»Jane, eine unserer Schülerinnen, wachte mit Ohrenschmerzen auf und kam zu mir. Nachdem ich sie verarztet hatte, brachte ich sie wieder ins Bett. Ich sah, dass die Vorhänge flatterten, und hielt es unter den besonderen Umständen für besser, die Fenster zu schließen. Sonst schlafen die Mädchen natürlich bei offenen Fenstern. Mit den Ausländerinnen haben wir da manchmal Schwierigkeiten, aber ich bestehe immer darauf…«

»Das gehört nicht zur Sache«, unterbrach Miss Bulstrode den Redefluss. »Kommissar Kelsey interessiert sich nicht für die hygienischen Regeln unserer Schule.«

»Natürlich nicht«, erwiderte Miss Johnson. »Ich bitte um Entschuldigung. – Ich ging, wie gesagt, zum Fenster, und als ich es zumachen wollte, sah ich zu meinem Erstaunen ein Licht in der Turnhalle, das sich hin und her zu bewegen schien.«

»Es war also nicht das normale elektrische Licht, sondern Sie glauben, den flackernden Schein einer Taschenlampe gesehen zu haben?«

»Ja, das muss es wohl gewesen sein. Ich konnte mir nicht vorstellen, wer sich um diese Zeit in der Turnhalle aufhalten mochte. An Einbrecher habe ich natürlich nicht gedacht.«

»An was haben Sie denn gedacht?«, fragte Kelsey.

Miss Johnson sah Miss Bulstrode scheu von der Seite an.

»Nun… ich habe eigentlich… ich glaube, ich habe an nichts Besonderes gedacht…«

Wieder wurde sie von Miss Bulstrode unterbrochen.

»Wahrscheinlich glaubte Miss Johnson, dass eine unserer Schülerinnen ein Stelldichein mit einem jungen Mann hatte. Habe ich Recht, Elsbeth?«

Miss Johnson stockte der Atem.

»Allerdings hielt ich das tatsächlich für möglich… ich… dachte an eine der jungen Italienerinnen. Ausländerinnen sind ja bekanntlich oft frühreif – ganz anders als die englischen jungen Mädchen.«

»Seien Sie nicht so borniert, Elsbeth! Sie wissen ganz genau, dass wir in dieser Beziehung auch schon mit Engländerinnen Schwierigkeiten hatten. Warum sollten Sie nicht daran denken? Auch ich wäre an Ihrer Stelle auf diese Idee gekommen«, sagte Miss Bulstrode.

»Fahren Sie fort«, bat Kommissar Kelsey.

»Ich hielt es für richtig, Miss Chadwick zu wecken und sie zu bitten, mit mir zu kommen«, fuhr Miss Johnson fort.

»Warum gerade Miss Chadwick?«

»Ich wollte Miss Bulstrode nicht stören, und wir wenden uns immer an Miss Chadwick, wenn Miss Bulstrode nicht da ist«, erklärte Miss Johnson. »Sie ist schon sehr lange hier und hat viel Erfahrung. Sie meinte, wir müssten unverzüglich hinuntergehen. Wir warfen nur einen Mantel über und verließen das Haus durch eine Seitentür. In diesem Augenblick hörten wir einen Schuss aus der Richtung der Turnhalle. Wir liefen, so schnell wir konnten, über den Gartenweg. Dummerweise hatten wir vergessen, eine Taschenlampe mitzunehmen, und wir stolperten ein paar Mal in der Dunkelheit. Als wir ankamen, stand die Tür weit offen. Wir knipsten das Licht an…«

Kelsey unterbrach sie.

»Es war jetzt also ganz dunkel. Sie bemerkten auch keine Taschenlampe oder irgendein anderes Licht?«, fragte er.

»Nein. Es war stockdunkel. Wir knipsten das Licht an, und da lag sie… sie war…«

»Das genügt, mehr brauchen Sie mir nicht zu erzählen«, unterbrach Kelsey freundlich. »Ich gehe jetzt zur Turnhalle rüber und werde mich selbst an Ort und Stelle über alles informieren. Ist Ihnen jemand auf dem Weg begegnet?«

»Nein.«

»Sie hörten auch niemanden fortlaufen?«

»Nein, wir haben nichts gehört.«

Kelsey wandte sich an Miss Bulstrode.

»Hat sonst noch jemand im Haus den Schuss gehört?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Meines Wissens nicht. Die Turnhalle liegt ziemlich weit vom Haus entfernt.«

»Ich danke Ihnen«, sagte Kommissar Kelsey. »Nun möchte ich zur Turnhalle gehen.«

»Ich begleite Sie«, erklärte Miss Bulstrode.

»Soll ich auch mitkommen?«, fragte Miss Johnson. »Wenn Sie es für nötig halten, tue ich es natürlich. Man soll sich nicht vor seiner Pflicht drücken, und muss den Tatsachen ins Auge sehen…«

»Vielen Dank, aber ich halte Ihre Anwesenheit im Augenblick nicht für erforderlich«, entgegnete Kelsey.

»Eine furchtbare Tragödie, und gerade weil ich Miss Springer nicht leiden konnte, empfinde ich sie als besonders quälend«, jammerte Miss Johnson. »Erst gestern stritten wir uns im Lehrerinnenzimmer. Ich war der Ansicht, dass zu viel Sport den zarteren Mädchen schaden könnte. Sie behauptete das Gegenteil und sagte, dass strammes Turnen und Freiübungen neue Menschen aus ihnen machen würden. Und dann sagte ich, sie sollte sich nur nicht einbilden, alles besser zu wissen, ich selbst hätte bestimmt mehr Erfahrung als sie. Aber jetzt wünschte ich von ganzem Herzen, es nicht gesagt zu haben. Ich mache mir die entsetzlichsten Vorwürfe.«

Miss Bulstrode führte Miss Johnson zum Sofa.

»So, und jetzt setzen Sie sich ganz ruhig hierhin, meine Liebe«, befahl sie. »Machen Sie sich keine Vorwürfe. Wir alle haben gelegentlich Meinungsverschiedenheiten; ohne sie wäre das Leben recht langweilig.« Miss Johnson nahm kopfschüttelnd auf dem Sofa Platz. Dann gähnte sie herzhaft. Miss Bulstrode folgte dem Kommissar in die Vorhalle.

»Ich habe ihr ziemlich viel Kognak gegeben«, erklärte sie entschuldigend. »Deshalb ist sie jetzt wohl so geschwätzig. Hoffentlich fanden Sie ihren Bericht nicht zu verworren.«

»Durchaus nicht«, sagte Kelsey. »Sie hat alles sehr gut beschrieben.«

Miss Bulstrode führte ihn zur Seitentür.

»Sind Miss Johnson und Miss Chadwick durch diese Tür hinausgegangen?«, fragte er.

»Ja. Wie Sie sehen, führt diese Tür direkt auf den Weg mit den Rhododendronbüschen und zur Turnhalle.«

Der Kommissar hatte eine starke Taschenlampe, und er und Miss Bulstrode gingen mit schnellen Schritten auf das Gebäude zu, das jetzt hell erleuchtet war.

»Schöner Bau«, meinte Kelsey anerkennend.

»Hat auch eine Stange Geld gekostet – aber wir könnens uns leisten«, erwiderte Miss Bulstrode.

Sie betraten einen ziemlich großen Raum. Die Schließfächer trugen die Namen der einzelnen Schülerinnen. Am Ende des Raumes befand sich ein Ständer für Tennis- und Hockeyschläger. Die Seitentür führte zu den Dusch- und Umkleidekabinen. Kelsey blieb einen Augenblick am Eingang stehen. Zwei seiner Leute waren bereits an der Arbeit. Der Fotograf hatte soeben die notwendigen Aufnahmen gemacht; ein anderer Mann, der nach Fingerabdrücken suchte, blickte auf und sagte: »Sie können ruhig reinkommen, Kommissar. Wir haben nur noch in dieser Ecke zu tun.«

Kelsey ging bis zur Mitte des Raumes. Dort kniete der Polizeiarzt neben der Leiche. Als Kelsey sich näherte, blickte er auf.

»Sie ist aus einer Entfernung von gut einem Meter erschossen worden«, sagte er. »Herzschuss. Sie muss sofort tot gewesen sein.«

»Wann?«

»Ungefähr vor einer Stunde.«

Kelsey nickte. Dann näherte er sich einer großen, grauhaarigen Frau, die mit dem grimmigen Gesicht eines Wachhundes an der Wand lehnte. Etwa fünfundfünfzig, dachte er, intelligente Stirn, eigensinniger Mund, bestimmt nicht hysterisch. Eine Frau, die man im täglichen Leben vielleicht leicht übersieht, auf die man sich in kritischen Zeiten aber verlassen konnte.

»Miss Chadwick?«, fragte er.

»Ja.«

»Sie haben zusammen mit Miss Johnson die Leiche gefunden, nicht wahr?«

»Ja. Als wir kamen, war Miss Springer bereits tot.«

»Um welche Zeit war das?«

»Als Miss Johnson mich weckte, sah ich auf die Uhr. Es war zehn Minuten vor eins.«

Kelsey nickte. Das stimmte mit Miss Johnsons Aussage überein. Er betrachtete die Tote nachdenklich. Ihr brandrotes Haar war kurzgeschnitten. Ihr Gesicht war mit Sommersprossen übersät, sie hatte ein kräftiges Kinn und einen sehnigen, durchtrainierten Körper. Sie trug einen Tweedrock, einen schweren, dunklen Pullover, flache Schuhe, jedoch keine Strümpfe.

»Ist die Waffe gefunden worden?«

Einer der Polizeibeamten schüttelte den Kopf.

»Nein.«

»Und die Taschenlampe?«

»Liegt dort in der Ecke.«

»Fingerabdrücke?«

»Ja, die der Toten.«

»Also ist sie mit einer Taschenlampe hergekommen«, sagte Kelsey nachdenklich. »Aber warum?« Er richtete diese Frage zum Teil an sich selbst und seine Leute, zum Teil an Miss Bulstrode und an Miss Chadwick. Schließlich fragte er die Letztere nochmal ausdrücklich: »Was denken Sie?«

Miss Chadwick schüttelte den Kopf.

»Ich habe keine Ahnung. Sie mag hier etwas vergessen haben. Allerdings kann ich mir in diesem Fall nicht vorstellen, warum sie es mitten in der Nacht holen wollte.«

»Es sei denn, dass es sich um etwas sehr Wichtiges handelte«, meinte Kelsey.

Er blickte sich um. Nichts schien berührt worden zu sein, mit Ausnahme des Schlägerständers, der von der Wand abgerückt worden war. Auf dem Boden lagen mehrere Tennisschläger.

»Es ist durchaus möglich, dass auch sie, ebenso wie Miss Johnson, hier ein Licht bemerkt hat und nach dem Rechten sehen wollte. Das scheint mir sogar am wahrscheinlichsten zu sein.«

»Das glaube ich auch«, entgegnete Kelsey. »Ich frage mich nur, ob sie wirklich allein in die Turnhalle gegangen wäre.«

»Ja«, sagte Miss Chadwick ohne Zögern.

»Aber Miss Johnson hat Sie geweckt und Sie gebeten, mitzukommen.«

»Sehr richtig, und ich hätte ebenfalls eine meiner Kolleginnen geweckt, wenn ich das Licht zuerst gesehen hätte«, erwiderte Miss Chadwick. »Miss Springer war da anders. Sie besaß enormes Selbstvertrauen – sie hätte es sogar vorgezogen, sich einem Eindringling allein entgegenzustellen.«

»Noch eine Frage: War die Seitentür, durch die Sie und Miss Johnson das Haus verließen, offen?«

»Ja.«

»Vielleicht hatte Miss Springer die Tür aufgeschlossen?«

»Das scheint die logische Schlussfolgerung zu sein«, erwiderte Miss Chadwick.

»Wir nehmen also an, dass Miss Springer Licht in der Turnhalle sah, dass sie hierher kam, um nach dem Rechten zu sehen, und dass sie dabei von dem Eindringling entdeckt und erschossen worden ist.«

Er drehte sich mit einer brüsken Bewegung um und richtete die folgende Frage an Miss Bulstrode, die regungslos im Türrahmen stand.

»Erscheint Ihnen das ebenfalls als wahrscheinlich?«

»Keineswegs«, erwiderte Miss Bulstrode. »Der erste Teil Ihrer Annahme leuchtet mir ein. Ich kann mir vorstellen, dass Miss Springer in die Turnhalle kam, weil sie ein verdächtiges Licht bemerkt hatte. Dagegen verstehe ich nicht, warum die Person, die von ihr gestört wurde, sie erschossen haben soll. Warum ist sie nicht einfach fortgelaufen? Warum sollte irgendjemand sich nachts hier, mit einem Revolver bewaffnet, einschleichen? Lächerlich – einfach lächerlich! Hier ist nichts Wertvolles zu finden, bestimmt nichts, wofür man einen Mord riskieren würde.«

»Halten Sie es für wahrscheinlicher, dass Miss Springer hier ein Rendezvous gestört hat?«

»Diese Erklärung liegt auf der Hand«, sagte Miss Bulstrode. »Aber warum wurde sie ermordet? Ich halte es für ausgeschlossen, dass meine Schülerinnen oder deren Verehrer Revolver mit sich herumtragen.«

Kelsey war derselben Meinung.

»Auch ich glaube kaum, dass die jungen Freunde Ihrer Schülerinnen Schusswaffen besitzen. Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass Miss Springer hier mit einem Mann verabredet war…«

Miss Chadwick begann plötzlich zu kichern.

»Ausgeschlossen! Miss Springer hatte bestimmt kein nächtliches Rendezvous.«

»Ich dachte nicht an eine amouröse Verabredung«, bemerkte der Kommissar trocken. »Ich bin der Ansicht, dass es sich um einen geplanten Mord handelt. Jemand, der beabsichtigte, Miss Springer zu töten, hatte sich, lediglich zu diesem Zweck, hier mit ihr verabredet.«


Загрузка...