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Julia Upjohn an ihre Mutter:


Liebe Mummy,

ich habe mich schon gut eingelebt, und es gefällt mir hier. Ich habe mich mit einem Mädchen angefreundet, das auch erst in diesem Jahr hergekommen ist; es heißt Jennifer. Wir sind beide wild auf Tennis, und sie spielt ziemlich gut. Ihr Aufschlag ist fabelhaft, wenn er kommt, aber sie haut oft daneben – angeblich, weil ihr Tennisschläger verbogen ist, und zwar von der furchtbaren Hitze im Persischen Golf. Sie war dort, als diese Revolution ausbrach, aber es soll nicht sehr interessant gewesen sein. Sie hat so gut wie nichts gesehen.

Miss Bulstrode ist sehr nett, manchmal kann sie allerdings auch furchtbar streng sein. Aber die Neuen behandelt sie meistens ganz gut. Ihr Spitzname ist »Der Bulle«, oder einfach kurz »Bully«. Englische Literatur haben wir bei Miss Rich; sie ist großartig. Sie hat ein merkwürdiges Gesicht, eigentlich gar nicht schön, aber wenn sie uns Shakespeare vorliest, verändert es sich völlig. Sie ist sehr dramatisch. Neulich sprach sie über Jago, und sie erklärte uns, wie furchtbar die Qualen der Eifersucht seien und wie man leide, bis man halb wahnsinnig werde und dem Menschen, den man liebt, wehtun möchte. Uns allen wurde es ganz sonderbar, bis auf Jennifer, die sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt.

Außerdem haben wir auch Erdkunde bei Miss Rich, und obwohl ich Erdkunde sonst langweilig finde, macht es mir bei Miss Rich richtig Spaß. Kunstgeschichte haben wir bei Miss Laurie. Sie kommt zweimal in der Woche her, und manchmal fährt sie mit uns nach London, um Galerien zu besuchen. Französisch haben wir bei Mademoiselle Blanche, die nicht sehr gut mit uns auskommt. Sie wird niemals wütend, sondern zeigt sich höchstens gelangweilt. Sie sagt dann: »Enfin, vous m’ennuiez, mes enfants!«

Unsere Turnlehrerin, Miss Springer, ist scheußlich. Sie hat rotes Haar und einen unangenehmen Körpergeruch, besonders wenn ihr heiß ist. Dann gibt’s noch Miss Chadwick, Chaddy genannt, die die Schule mitgegründet hat. Sie gibt Mathematik und ist streng aber ganz nett.

Ach ja, und dann gibt’s noch Miss Vansittart, bei der wir Deutsch und Geschichte haben. Sie erinnert mich an Miss Bulstrode, aber sie ist nicht halb so interessant. Ausländerinnen haben wir hier haufenweise: zwei Italienerinnen, mehrere Deutsche, eine sehr lustige Schwedin (eine Prinzessin oder so was) und ein Mädchen, das halb türkisch und halb persisch ist. Sie behauptet, dass sie mit Prinz Ali Yusuf verlobt war, der im Flugzeug abgestürzt ist. Jennifer sagt, es sei nicht wahr, Shanda glaube das nur, weil er ein Vetter zweiten Grades war und weil Vettern und Kusinen in Persien oft heiraten. Ali Yusuf soll in Wirklichkeit eine andere geliebt haben. Jennifer weiß eine ganze Menge, aber meistens behält sie es für sich. Du wirst nun wohl bald deine Reise antreten, nicht wahr? Vergiss nicht wieder deinen Pass, Mummy, und den kleinen Verbandkasten!

Gruß und Kuss, Julia.

Jennifer Sutcliffe an ihre Mutter:


Liebe Mum,

es ist gar nicht so schlimm hier. Mir gefällt es besser, als ich erwartet hatte. Das Wetter ist schön. Wir sollen einen Aufsatz über den Charakterunterschied zwischen Desdemona und Julia schreiben. Mir fällt leider nicht viel ein. Könnte ich einen neuen Tennisschläger bekommen? Ich weiß, dass meiner erst im Herbst neu bespannt worden ist, aber irgendwas stimmt nicht mit ihm. Vielleicht ist er verbogen. Ich möchte ganz gern Griechisch lernen. Darf ich? Ich liebe Sprachen. Nächste Woche fahren wir nach London, um das Ballett Schwanensee zu besuchen. Das Essen ist sehr gut. Gestern gab es Huhn, und zum Tee bekommen wir selbst gebackenen Kuchen. Mehr fällt mir im Augenblick nicht ein. Ist bei euch wieder mal eingebrochen worden?

Deine dich liebende Tochter Jennifer.

Margaret Gore-West, eine der älteren Schülerinnen, an ihre Mutter:


Liebe Mummy,

ich kann dir nicht viel Neues berichten. Ich fange jetzt bei Miss Vansittart mit Deutschstunden an. Einem Gerücht zufolge wird sich Miss Bulstrode zur Ruhe setzen. Miss Vansittart soll ihre Nachfolgerin werden. Aber das wird schon seit über einem Jahr behauptet, und ich glaube nicht recht daran. Ich erkundigte mich bei Miss Chadwick danach, und sie fuhr mir über den Mund und sagte, ich sollte diesen Klatsch nicht für bare Münze nehmen. Am Dienstag haben wir Schwanensee gesehen. Es war ein Traum! Prinzessin Ingrid ist süß, blond und blauäugig – aber sie trägt eine Zahnspange. Die beiden neuen Deutschen sprechen sehr gut Englisch. Miss Rich, die während des letzten Schuljahrs nicht hier war, ist zurückgekommen. Unsere neue Turnlehrerin, Miss Springer, ist allgemein ziemlich unbeliebt, aber sie gibt großartigen Tennisunterricht. Eine von den Neuen, Jennifer Sutcliffe, spielt ausgezeichnet, obwohl ihre Rückhand noch etwas schwach ist. Sie hat sich sehr mit einer anderen Neuen angefreundet, die Julia Upjohn heißt. Die beiden sind unzertrennlich.

Bitte vergiss nicht, dass am 19. das Turnfest stattfindet und dass du versprochen hast, am 20. mit mir auszugehen!

Grüße und Küsse von deiner Margaret.

Ann Shapland an Dennis Rathbone:


Lieber Dennis,

ich bekomme erst am Ende der dritten Woche des neuen Schuljahrs Urlaub, aber dann würde ich gern einen Abend mit dir verbringen. Es wird entweder ein Sonnabend oder ein Sonntag sein. Ich sage dir noch rechtzeitig Bescheid. Es macht mir Spaß, in einer Schule zu arbeiten, aber ich bin heilfroh, dass ich keine Lehrerin bin. Allein die Vorstellung macht mich ganz krank.

Auf bald, Ann.

Miss Johnson an ihre Schwester:


Liebe Edith,

hier ist alles wie gewöhnlich. Das Sommerhalbjahr ist immer besonders angenehm. Der Garten sieht wunderschön aus, und wir haben einen starken jungen Hilfsgärtner, der den alten Briggs nach Kräften unterstützt.

Miss Bulstrode hat bisher nicht wieder erwähnt, dass sie die Leitung der Schule aufgeben will, und ich hoffe sehr, dass sie es sich anders überlegt hat. Miss Vansittart wäre bestimmt kein gleichwertiger Ersatz.

Ich würde, falls sie Schulvorsteherin werden sollte, meinen Posten höchstwahrscheinlich aufgeben.

Herzliche Grüße an dich und die Kinder, ebenfalls an Oliver und Kate.


Viele Grüße, Elsbeth.

Mademoiselle Angele Blanche an René Dupont:

Postlagernd, Bordeaux


Lieber René,

ich kann nicht behaupten, dass ich mich hier amüsiere. Die Mädchen wissen sich nicht zu benehmen und erweisen mir nicht den gebührenden Respekt.

Ich halte es jedoch für besser, mich nicht bei Miss Bulstrode zu beschweren; sie ist mit Vorsicht zu genießen! Bisher habe ich nichts Interessantes zu vermelden.


Mouche.

Miss Vansittart an eine Freundin:

Liebe Gloria,

das Sommersemester hat ohne Zwischenfälle begonnen. Die neuen Schülerinnen sind recht nett. Die Ausländerinnen haben sich gut eingewöhnt. Unsere kleine Prinzessin – die orientalische, nicht die skandinavische – ist etwas indolent, aber das kann man wohl kaum anders erwarten. Sie hat jedoch sehr gute Manieren.

Miss Springer, die neue Turnlehrerin, ist kein Erfolg. Die Mädchen können sie nicht leiden, weil sie grob und unhöflich ist. Meadowbank ist schließlich keine gewöhnliche Schule, und wir legen nicht so viel Wert auf Freiübungen. Außerdem ist Miss Springer neugierig und stellt zu viele persönliche Fragen. Sie scheint aus keinem guten Haus zu stammen. Mademoiselle Blanche ist sehr liebenswürdig aber als Lehrerin ist sie mit Mademoiselle Depuy, ihrer Vorgängerin, nicht zu vergleichen. Am ersten Schultag wäre es beinahe zu einem peinlichen Zwischenfall gekommen. Lady Veronica Carlton-Sandways erschien plötzlich – in völlig betrunkenem Zustand!! Wer weiß, was sich ereignet hätte, wenn Miss Chadwick sie nicht im letzten Augenblick entdeckt und diskret fortgeführt hätte. Dabei sind die Zwillinge so reizende Mädchen.

Miss Bulstrode hat sich bisher bezüglich ihrer Zukunftspläne noch nicht geäußert; trotzdem habe ich das Gefühl, dass sie ihre Entschlüsse gefasst hat. Meadowbank hat sich wirklich zu einer ausgezeichneten Schule entwickelt, und ich werde die Traditionen unseres Internats zu wahren wissen. Bitte grüße Marjorie, wenn du sie siehst.


Herzlichst, deine Eleanor.

Brief an Colonel Pikeaway. Auf dem üblichen Weg befördert.

Ein gefährlicher Posten! Ich bin der einzige kräftige junge Mann unter etwa hundertneunzig weiblichen Wesen. Ihre Hoheit kam in großem Stil hier an. Der Großmogul, in orientalische Gewänder gehüllt, entstieg einem riesigen Cadillac, gefolgt von seiner hocheleganten Gattin, die ein Pariser Modell trug. Auch die Prinzessin war nach der letzten Mode gekleidet. Als sie am nächsten Tag ihre Schuluniform trug hätte ich sie fast nicht wiedererkannt. Es wird nicht schwer sein, freundschaftliche Beziehungen zu ihr aufzunehmen. Den ersten Schritt hat sie bereits selbst getan.

Als sie sich mit einem süßen unschuldigen Lächeln nach den verschiedenen Blumennamen erkundigte, tauchte ein rothaariger sommersprossiger Drache auf und befahl ihr mit knarrender Stimme, die Unterhaltung sofort zu beenden. Aber sie wollte nicht. Ich dachte immer, dass Orientalinnen, die mit einem Schleier vor dem Gesicht aufgewachsen sind, besonders züchtig und bescheiden sind. Diese Kleine muss während ihres Aufenthalts in der Schweiz einige Erfahrungen gesammelt haben…

Miss Springer, besagter Drache, kam etwas später noch einmal zurück, um mich zur Ordnung zu rufen. Es sei dem Personal streng untersagt, mit den Schülerinnen zu sprechen! »Entschuldigen Sie bitte, Miss. Die junge Dame hat sich doch nur nach den Fuchsien erkundigt. Die kennt man da, wo sie herkommt, nicht«, sagte ich harmlos. Der Drache beruhigte sich schnell und wurde schließlich ganz freundlich. Bei Miss Bulstrodes Sekretärin hatte ich dagegen weniger Glück – ein ziemlich hochnäsiges Ding in gut geschnittenem, sportlich-elegantem Kostüm. Die französische Lehrerin ist viel zugänglicher. Sieht aus wie eine kleine graue Maus – ist aber keine. Dann habe ich noch drei lustige Teenager kennen gelernt – Pamela, Lois und Mary. Die Nachnamen sind mir nicht bekannt, aber sie machen einen ziemlich aristokratischen Eindruck. Miss Chadwick, eine aufmerksame alte Eule, lässt mich nicht aus den Augen.

Der alte Briggs, mein Boss, spricht hauptsächlich von den guten alten Zeiten, als hier fünf Gärtner beschäftigt waren. Er beklagt sich über alles und alle, mit Ausnahme von Miss Bulstrode, vor der er gewaltigen Respekt hat – ich übrigens auch. Sie hat bisher nur einige liebenswürdige Worte mit mir gewechselt, aber ich hatte das Gefühl, dass sie mich durchschaut. Bisher hat sich noch nichts Unheimliches ereignet, aber man darf die Hoffnung nicht aufgeben…



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