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»Ich weiß wirklich nicht, warum es immer regnet, wenn man nach England zurückkehrt«, sagte Mrs Sutcliffe ärgerlich, während sie zum Hotelfenster hinausblickte. »Schrecklich deprimierend!«

»Ich finde es herrlich, wieder zuhause zu sein«, erwiderte Jennifer. »Es ist so schön, die Leute auf der Straße Englisch sprechen zu hören, und ich freue mich schon auf einen wirklich guten Tee mit Butterbrot, Marmelade und richtigem Kuchen.«

»Ich wünschte, du wärst nicht so ein Gewohnheitstier«, seufzte Mrs Sutcliffe. »Welchen Sinn hat es, mit dir zum Persischen Golf zu fahren, wenn du am liebsten zuhause bleibst?«

»Das hab ich nicht gesagt. Ich verreise ganz gern für ein bis zwei Monate, aber in England gefällt es mir dann doch immer am besten.«

»So, und jetzt geh mir bitte mal aus dem Weg, Kind. Ich muss mich davon überzeugen, dass sie das ganze Gepäck nach oben gebracht haben. Heutzutage kann man sich auf niemanden verlassen. Vor dem Krieg war das alles ganz anders, damals gab’s noch ehrliche Menschen. Wenn ich am Hafen nicht so aufgepasst hätte, wäre dieser Mann bestimmt mit meiner grünen Tasche abgezogen. Ein anderer Kerl schien ebenfalls ein Auge auf unser Gepäck geworfen zu haben – ich sah ihn übrigens später noch einmal im Zug. Diese Gepäckdiebe kommen zum Landungssteg, weil sie damit rechnen, dass die Leute nervös sind, vielleicht seekrank waren und deshalb nicht auf ihre Koffer achten.«

»Das bildest du dir ein, Mum. Du hältst alle Leute für unehrlich.«

»Die meisten sind es leider auch«, behauptete Mrs Sutcliffe.

»Nicht in England«, berichtigte die patriotische Jennifer.

»Du hast keine Ahnung, Kind! Das ist es ja gerade – Ausländern traut man nicht über den Weg, aber in England fühlt man sich sicher, und das machen sich die Gauner zu Nutze. So, nun will ich mal nachzählen. Da steht der große grüne Handkoffer, der schwarze, die beiden kleinen braunen und die Reißverschlusstasche; hier sind die Golfschläger, die Stofftasche, das Lederköfferchen und die Tennisschläger… Aber wo ist die grüne Tasche? Ach, hier! Der große Metallkoffer, den wir in Ramat gekauft haben, steht in der Ecke. Ja, scheint alles da zu sein, alle vierzehn Gepäckstücke.«

»Gibt es bald Tee?«, erkundigte sich Jennifer.

»Tee? Es ist doch erst drei Uhr.«

»Ich bin entsetzlich hungrig.«

»Also gut, geh runter und bestell dir deinen Tee. Ich muss mich unbedingt erst ein bisschen ausruhen; dann werde ich nur die Sachen auspacken, die wir heute Abend brauchen. Zu dumm, dass dein Vater uns nicht abholen konnte. Warum musste er gerade heute zu einer Generalversammlung nach Newcastle? Schließlich hat er uns drei Monate nicht gesehen… Es ist dir doch nicht unangenehm, allein in die Hotelhalle zu gehen, Kind?«

»Unangenehm? Warum denn? Ich bin doch kein kleines Kind mehr. Kann ich etwas englisches Geld haben?«

Ihre Mutter gab ihr einen Zehnshillingschein, und Jennifer rauschte mit gekränkter Miene ab.

Das Telefon neben dem Bett läutete. Mrs Sutcliffe ging hinüber und nahm den Hörer ab.

»Hallo? Ja, hier spricht Mrs Sutcliffe…«

In diesem Moment wurde an die Tür geklopft. Mrs Sutcliffe entschuldigte sich, legte den Hörer auf den Nachttisch und ging zur Tür.

Draußen stand ein junger Mann im blauen Overall, der eine Werkzeugtasche bei sich hatte.

»Ich bin der Elektriker, hier soll etwas nicht in Ordnung sein«, erklärte er kurz und bündig.

»So? Dann kommen Sie bitte herein.«

Der Elektriker folgte ihr ins Zimmer.

»Wo ist das Bad?«, fragte er.

»Nebenan. Sie müssen durch das andere Schlafzimmer gehen.«

Sie ging wieder zum Nachttisch und nahm den Hörer in die Hand.

»Entschuldigen Sie bitte was sagten Sie?«

»Ich heiße Derek O’Connor. Darf ich vielleicht zu Ihnen hinaufkommen, Mrs Sutcliffe? Es handelt sich um Ihren Bruder.«

»Um Bob? Haben Sie etwas von ihm gehört?«

»Ja – leider ja.«

»Oh!… Oh, ich verstehe. Bitte kommen Sie herauf. Mein Zimmer ist im dritten Stock, Nummer 310.«

Sie sank auf ihr Bett. Sie wusste bereits, welche Nachricht sie erwartete.

Kurz darauf klopfte es, und ein junger Mann trat ein, der ihr mitfühlend die Hand schüttelte.

»Kommen Sie vom Auswärtigen Amt?«

»Ja, ich bin Derek O’Connor. Mein Chef hat mich gebeten, Ihnen mitzuteilen, dass…«

»… dass er tot ist?«

»Ja. Es tut mir sehr leid, dass ich Ihnen die traurige Nachricht überbringen muss, Mrs Sutcliffe. Ihr Bruder hat mit Prinz Ali Yusuf Ramat verlassen, und das Flugzeug ist in den Bergen abgestürzt.«

»Warum hat man mich nicht eher benachrichtigt? Warum ist mir kein Telegramm aufs Schiff geschickt worden?«

»Weil wir bis vor Kurzem selbst nichts Genaues wussten. Es war uns lediglich bekannt, dass das Flugzeug vermisst wurde, und wir hatten die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Erst jetzt sind die Trümmer gefunden worden. Vielleicht ist es Ihnen ein Trost zu wissen, dass Ihr Bruder innerhalb weniger Sekunden tot gewesen sein muss.«

»Ist der Prinz auch umgekommen?«

»Ja.«

»Ich bin nicht einmal erstaunt«, sagte Mrs Sutcliffe. Ihre Stimme zitterte etwas, aber sonst hatte sie sich völlig in der Gewalt. »Ich fürchtete immer, dass Bob jung sterben würde. Er war zu waghalsig; immer bereit, neue Flugzeuge und neue Tricks auszuprobieren. Ich habe ihn in den letzten vier Jahren kaum gesehen… Henry hat auch prophezeit, dass er eines Tages abstürzen würde.«

Es schien ihr eine gewisse Befriedigung zu geben, dass sich die Voraussage ihres Gatten bewahrheitet hatte. Eine Träne rollte über ihre Wange, und sie suchte nach einem Taschentuch.

»Es ist ein schwerer Schock«, flüsterte sie.

»Ich spreche Ihnen mein herzlichstes Beileid aus, Mrs Sutcliffe.«

»Bob konnte natürlich nichts anderes tun, er war schließlich der Privatpilot des Prinzen«, fuhr Mrs Sutcliffe mit erstickter Stimme fort. »Er durfte ihn nicht im Stich lassen… Er war ein ausgezeichneter Pilot, es war bestimmt nicht seine Schuld, dass sie gegen einen Berg geflogen sind.«

»Bestimmt nicht«, pflichtete O’Connor bei. »Ihr Bruder konnte auf das Wetter keine Rücksicht nehmen, denn der Prinz war seines Lebens in Ramat nicht mehr sicher. Er musste den gefährlichen Flug um jeden Preis wagen, und leider endete er tragisch.«

Mrs Sutcliffe nickte.

»Ich muss Sie noch etwas fragen… Hat Ihr Bruder Ihnen irgendetwas anvertraut, bevor Sie Ramat verließen?«

»Ob er mir etwas anvertraut hat? Ich weiß wirklich nicht, was Sie meinen.«

»Hat er Ihnen ein kleines Päckchen übergeben und Sie gebeten, es jemandem in England auszuhändigen?«

Sie schüttelte erstaunt den Kopf.

»Wie kommen Sie denn darauf?«

»Es handelt sich um einen sehr wichtigen Gegenstand, und da Ihr Bruder am Tag der Revolution in Ihrem Hotel war…«

»Ja, er wollte mich besuchen, aber ich war nicht da; er hinterließ mir eine Nachricht – völlig uninteressant. Er erkundigte sich, ob ich am nächsten Tag mit ihm Golf spielen wollte. Er scheint keine Ahnung gehabt zu haben, dass er noch am gleichen Tag mit Prinz Ali das Land verlassen musste.«

»War das alles? Haben Sie den Brief aufbewahrt, Mrs Sutcliffe?«

»Aber nein. Er war viel zu unwichtig. Ich habe den Bogen sofort zerrissen und weggeworfen. Warum hätte ich ihn aufheben sollen?«

»Weil er vielleicht noch eine versteckte Botschaft enthielt – möglicherweise mit unsichtbarer Tinte geschrieben.«

»Mit unsichtbarer Tinte!«, wiederholte Mrs Sutcliffe verächtlich. »So etwas geschieht doch nur in Kriminalromanen.«

»Da muss ich Ihnen leider widersprechen«, entgegnete O’Connor entschuldigend.

»Unsinn! Bob hat bestimmt niemals unsichtbare Tinte benutzt. Warum sollte er? Er war ein lieber, vernünftiger Junge, der mit beiden Beinen fest auf der Erde stand.« Wieder begannen die Tränen über ihr Gesicht zu rollen. »Wo ist denn nur meine Handtasche? Ich brauche unbedingt ein Taschentuch. Vielleicht hab ich sie im anderen Zimmer gelassen.«

»Ich hole sie Ihnen«, sagte O’Connor.

Er ging durch die Verbindungstür und blieb erstaunt stehen, als ein junger Mann im blauen Overall, der über einen Koffer gebeugt dastand, verlegen aufblickte.

»Ich bin der Elektriker, die Leitung war defekt«, erklärte der junge Mann eilig.

O’Connor drückte auf einen Schalter.

»Scheint doch alles in bester Ordnung zu sein«, meinte er liebenswürdig.

»Dann haben die mir wohl eine falsche Nummer gegeben«, entgegnete der Elektriker.

Er nahm seine Werkzeugtasche und verließ rasch das Zimmer.

O’Connor runzelte die Stirn, nahm die Handtasche vom Frisiertisch und gab sie Mrs Sutcliffe.

»Entschuldigen Sie einen Moment«, sagte er und nahm den Hörer ab.

»Hier Zimmer 310. Haben Sie eben einen Elektriker hierhergeschickt?… Ja, ich warte… Nein? Dachte ich mir’s doch… Ja, das Licht ist in Ordnung, vielen Dank.«

Er legte den Hörer auf.

»Unten wissen sie nichts von einem Elektriker.«

»Was wollte der Mann hier? War es ein Dieb?«

»Möglich.«

Mrs Sutcliffe prüfte aufgeregt den Inhalt ihrer Handtasche. »Aus meiner Tasche hat er nichts genommen – auch kein Geld.«

»Sind Sie ganz sicher, dass Ihr Bruder Ihnen nichts mitgegeben hat? Hat er Sie nicht gebeten, etwas in einen Ihrer Koffer zu packen?«

»Ganz bestimmt nicht«, erwiderte Mrs Sutcliffe.

»Hat er sich vielleicht an Ihre Tochter gewandt? Sie haben doch eine Tochter?«

»Ja, sie trinkt unten Tee.«

»Könnte es sein, dass Ihr Bruder ihr etwas mitgegeben hat?«

»Ausgeschlossen.«

»Es besteht auch noch die Möglichkeit, dass er etwas in Ihrem Gepäck versteckt hat, als er allein in Ihrem Hotelzimmer war.«

»Aber warum sollte er? Das ist eine völlig absurde Idee.«

»Nein, es ist nicht so absurd, wie Sie annehmen. Es wäre denkbar, dass Prinz Ali Ihren Bruder beauftragt hat, etwas für ihn aufzubewahren. Vielleicht glaubte Ihr Bruder, dass dieser Gegenstand bei Ihnen sicherer wäre als bei ihm.«

»Klingt höchst unwahrscheinlich.«

»Würden Sie mir gestatten, Ihr Gepäck zu durchsuchen?«

»Wie? Das ganze Gepäck?«, fragte Mrs Sutcliffe entsetzt.

»Ich weiß, dass es eine Zumutung ist«, erklärte O’Connor. »Aber es könnte von größter Wichtigkeit sein. Ich würde Ihnen dann gern wieder beim Einpacken helfen«, fuhr O’Connor liebenswürdig fort. »Meine Mutter, der ich oft helfe, hält mich für einen sehr guten Packer.«

Der junge O’Connor besaß viel Charme – das hatte Colonel Pikeaway richtig eingeschätzt –, dem Mrs Sutcliffe jetzt seufzend erlag.

»Also gut«, sagte sie, »wenn Sie es für unbedingt nötig halten…«

»Es könnte von außerordentlicher Wichtigkeit sein«, wiederholte O’Connor. Er sah sich um und bat mit einem reizenden Lächeln: »Können wir gleich anfangen?«

Als Jennifer eine Dreiviertelstunde später vom Tee zurückkam, blickte sie sich erstaunt im Zimmer um.

»Was ist denn hier los, Mum?«

»Wir haben alles ausgepackt, und jetzt packen wir wieder ein«, erwiderte Mrs Sutcliffe verärgert. »Das ist Mr O’Connor, und das ist meine Tochter Jennifer.«

»Aber warum denn?«

»Frag nicht so viel… Man nimmt anscheinend an, dass Onkel Bob etwas in meinem Gepäck versteckt hat. Dir hat er doch wohl nichts gegeben, Jennifer?«

»Nein. Wie kommst du nur darauf? Hast du meine Sachen auch ausgepackt?«

»Wir haben alles ausgepackt«, erklärte O’Connor freundlich, »aber wir haben nichts gefunden. Jetzt packen wir alles wieder in die Koffer. Möchten Sie nicht eine Tasse Tee oder vielleicht einen Kognak trinken, Mrs Sutcliffe?«

»Einen starken Tee, bitte.«

»Ich habe furchtbar viel gegessen, Mum. Butterbrote und Marmelade und Kuchen und Sandwiches. Es war himmlisch.«

O’Connor ging zum Telefon und bestellte den Tee, dann half er Mrs Sutcliffe weiter beim Packen.

Er packte so ordentlich und geschickt, dass sie ihre Bewunderung nicht verhehlen konnte.

»Ihre Mutter hat Recht, Sie sind wirklich sehr tüchtig.«

O’Connor lächelte.

Seine Mutter war schon lange tot, und das Packen hatte er von Colonel Pikeaway gelernt.

»Nun noch etwas, Mrs Sutcliffe – ich möchte Sie bitten, sehr, sehr vorsichtig zu sein.«

»Vorsichtig? Inwiefern?«

»Die Folgen einer Revolution sind oft unabsehbar und erstrecken sich weit über den Schauplatz des Aufstandes hinaus«, erwiderte er etwas vage. »Bleiben Sie länger in London?«

»Nein, morgen holt uns mein Mann mit dem Wagen ab, und wir fahren aufs Land.«

»Das ist gut. Aber ich bitte Sie noch einmal dringend, vorsichtig zu sein. Falls sich irgendetwas ereignen sollte, das Ihnen merkwürdig erscheint, müssen Sie umgehend 999 wählen.«

»Au fein, ich wollte schon immer mal bei der Polizei anrufen«, erklärte Jennifer begeistert.

»Sei nicht so albern, Jennifer«, wies ihre Mutter sie zurecht.

Auszug aus einer Regionalzeitung:

Gestern wurde in die Villa von Mr Henry Sutcliffe eingebrochen. Der Dieb war in das Schlafzimmer von Mrs Sutcliffe eingedrungen, als die Familie dem Sonntagsgottesdienst in der Dorfkirche beiwohnte. Das Küchenpersonal, das das Mittagessen vorbereitete, hatte nichts gehört. Der Mann wurde von der Polizei verhaftet, als er sich aus dem Haus schlich. Er muss gestört worden sein, denn er machte sich davon, ohne etwas gestohlen zu haben; er hinterließ nur eine wüste Unordnung in Mrs Sutcliffes Zimmer.

Er sagte aus, er heiße Andrew Ball, und behauptete, keine feste Adresse zu haben. Er sei arbeitslos und habe Geld gesucht. Mrs Sutcliffes Schmuck wird im Tresor einer Bank aufbewahrt, mit Ausnahme einiger weniger Stücke, die sie täglich trägt.

»Ich habe dich immer wieder darum gebeten, das Schloss der Gartentür reparieren zu lassen«, kommentierte Mr Sutcliffe das Ereignis im Kreise der Familie.

»Du scheinst vergessen zu haben, dass ich drei Monate im Ausland war, Henry«, erwiderte Mrs Sutcliffe. »Außerdem habe ich neulich erst gelesen, dass es Einbrechern immer gelingt, in ein Haus einzudringen, wenn sie es sich vorgenommen haben.«

Nach einem weiteren Blick in die Zeitung fügte sie versonnen hinzu: »Wie großartig das klingt: ›Küchenpersonal.‹ Dabei handelt es sich nur um die taube alte Mrs Ellis, die sich kaum mehr auf den Beinen halten kann, und die kleine, zurückgebliebene Bardwell, die am Sonntag in der Küche hilft.«

»Ich begreife nur nicht, wie die Polizei wissen konnte, dass bei uns eingebrochen worden ist, und schnell genug zur Stelle sein konnte, um den Einbrecher festzunehmen«, meinte Jennifer nachdenklich.

»Seltsam, dass er nichts gestohlen hat«, erklärte ihre Mutter.

»Bist du ganz sicher, Joan?«, fragte ihr Gatte.

Mrs Sutcliffe stieß einen ungeduldigen Seufzer aus.

»Ich bin so gut wie sicher, aber es war eine Unordnung in meinem Zimmer, wie du sie dir kaum vorstellen kannst. Alle Schubladen waren ausgeräumt, nichts lag mehr am richtigen Platz. Wie gesagt, ich glaube, dass nichts fehlt, außer meinem besten rosa Seidenschal.«

»Den hatte ich mir auf dem Schiff geborgt… bitte sei nicht böse, Mum. Ich vergaß es dir zu sagen. Und dann hat ihn – hat ihn der Wind ins Meer geweht.«

»Wie oft habe ich dich schon gebeten, nicht an meine Sachen zu gehen, ohne mich vorher zu fragen, Jennifer!«

»Kann ich noch etwas Pudding kriegen?«, bat Jennifer, um die Unterhaltung schnell auf ein anderes Thema zu lenken.

»Du hast doch schon zwei Portionen gegessen… also gut. Ich hoffe nur, dass deine Gier in der neuen Schule nicht unangenehm auffällt. Vergiss nicht, dass Meadowbank keine gewöhnliche Schule ist.«

»Ich bin gar nicht so wild auf Meadowbank«, bemerkte Jennifer. »Ich kenne ein Mädchen, dessen Kusine dort war und es grässlich fand. Sie sollen nur darüber gesprochen haben, wie man graziös in einen Rolls-Royce steigt und wie man sich benimmt, wenn man bei der Königin zum Lunch eingeladen ist.«

»Red keinen Unsinn, Jennifer«, mahnte Mrs Sutcliffe. »Du weißt gar nicht, wie gut du es hast. Miss Bulstrode nimmt nicht jedes junge Mädchen in ihre Schule auf. Du verdankst das nur der Stellung deines Vaters und dem Einfluss von Tante Rosamund, dass du nach Meadowbank kommst. Wenn du, wider Erwarten, je die Ehre haben solltest, von der Königin zum Lunch eingeladen zu werden, kann es dir nur nützen zu wissen, wie du dich dann zu benehmen hast.«

Nachdem Andrew Ball, der keine feste Adresse besaß, wegen Einbruchs zu drei Monaten Gefängnis verurteilt worden war, stand Derek O’Connor, der bescheiden im Hintergrund des Gerichtssaales gesessen hatte, auf, um ein Gespräch nach London anzumelden.

»Man hat absolut nichts bei dem Burschen gefunden«, erklärte Derek am Telefon.

»Wer ist es? Kennen wir ihn?«

»Er gehört, glaube ich, zur Gecko-Bande. Ein eher kleines Licht, aber sehr gründlich, wie man mir sagte.«

»Und er hat sich verurteilen lassen, ohne mit der Wimper zu zucken?«, fragte Colonel Pikeaway grinsend am anderen Ende der Leitung.

»Ja, wie ein Lamm. Er spielte die Rolle des arroganten Schnösels aus gutem Hause, der irgendwie auf die schiefe Bahn geraten ist. Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, ihn mit einer internationalen Organisation in Zusammenhang zu bringen. Und darin liegt sein Wert.«

»Aber er hat nichts gefunden«, stellte Colonel Pikeaway nachdenklich fest. »Auch Sie haben nichts gefunden. Es sieht so aus, als hätten wir uns geirrt, und Rawlinson hat gar nichts im Gepäck seiner Schwester versteckt.«

»Andere Leute scheinen auf dasselbe Pferd gesetzt zu haben.«

»Das ist schon richtig, aber vielleicht wollte man uns absichtlich auf eine falsche Spur lenken.«

»Mag sein. Gibt es noch andere Möglichkeiten?«, fragte O’Connor.

»Natürlich – viele. Der gesuchte Gegenstand mag noch in Ramat sein, vielleicht wird er irgendwo im ›Ritz Savoy‹ versteckt. Oder Rawlinson hat ihn vor dem Abflug jemandem übergeben, vielleicht auf dem Flugplatz… Oder er war doch im Besitz von Mrs Sutcliffe, ohne dass sie davon wusste. Es ist sogar möglich, dass sie ihn ahnungslos ins Meer geworfen hat… Vielleicht wäre das für alle Beteiligten die beste Lösung«, fügte er nachdenklich hinzu.

»Aber es handelt sich doch um enorme Werte, Colonel!«

»Auch das Leben eines Menschen ist eine Menge wert«, sagte Colonel Pikeaway.



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