Siebtes Kapitel

I

Nachdem sie Jeffersons Tür hinter sich geschlossen hatten, sagte Harper: «Also, wenn Sie mich fragen, Sir: Ein Motiv hätten wir jetzt.»

«Hm», machte Melchett. «Die fünfzigtausend Pfund, wie?»

«Ja. Morde sind schon für viel weniger begangen worden.»

«Ja, aber…»

Colonel Melchett beendete den Satz nicht, doch Harper verstand ihn auch so.

«In diesem Fall überzeugt Sie das nicht? Nun ja, mich eigentlich auch nicht. Trotzdem müssen wir uns damit befassen.»

«Natürlich.»

«Wenn Mr. Gaskell und Mrs. Jefferson gut versorgt sind und über ein ausreichendes Einkommen verfügen, wie Mr. Jefferson sagt», fuhr Harper fort, «wieso sollten sie dann einen brutalen Mord begehen?»

«Ganz recht. Aber ihre finanziellen Verhältnisse müssen natürlich untersucht werden. Kann nicht behaupten, dass mir Gaskell besonders sympathisch wäre – scheint ein gerissener, skrupelloser Bursche zu sein –, aber das macht ihn noch lange nicht zum Mörder.»

«Ja, eben, Sir, wie gesagt: Ich halte es für unwahrscheinlich, dass es einer der beiden war, und nach dem, was Josie sagt, wäre es auch gar nicht möglich gewesen. Beide haben von zwanzig vor elf bis zwölf Bridge gespielt. Nein, eine andere Variante wäre da meiner Ansicht nach plausibler.»

«Ruby Keenes Freund?»

«Genau, Sir. Irgendein eifersüchtiger junger Mann, vielleicht kein allzu heller Kopf. Jemand, den sie schon kannte, bevor sie hierher kam, würde ich sagen. Die Sache mit der Adoption – gesetzt den Fall, er hat davon Wind bekommen – könnte das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Er hatte Angst, sie zu verlieren, sah sie in eine ganz andere Welt entschwinden und hat vor Wut den Kopf verloren. Gestern Abend hat er sie überredet, sich mit ihm zu treffen, sie bekamen Streit, er hat nur noch rot gesehen und sie umgebracht.»

«Und wie kam sie in Bantrys Bibliothek?»

«Das dürfte nicht allzu schwierig gewesen sein. Sie befanden sich zu diesem Zeitpunkt, sagen wir, in seinem Wagen, und als er wieder zu sich kam und sah, was er angerichtet hatte, da war sein erster Gedanke, die Leiche loszuwerden. Möglicherweise hat er nicht weit entfernt das Parktor eines Landsitzes gesehen. Wenn sie dort gefunden wird, denkt er, wird sich die ganze Aufregung auf das Haus und seine Bewohner konzentrieren, und er selbst kann sich in Sicherheit wiegen. Das zarte Persönchen ist nicht schwer zu tragen. Mit einem Meißel, den er im Auto hat, bricht er das Fenster auf und legt sie dann auf den Kaminvorleger. Da es sich um einen Fall von Erdrosseln handelt, bleiben im Wagen keine Blut- oder sonstigen Spuren zurück, die ihn verraten könnten. Verstehen Sie, was ich meine, Sir?»

«Sicher, Harper, so könnte es durchaus gewesen sein. Bleibt nur noch eins: Cherchez l’homme.»

«Bitte?», fragte Superintendent Harper und quittierte den Scherz seines Vorgesetzten dann mit einem taktvoll beifälligen «Ach so, köstlich, Sir», nachdem ihm der exzellenten französischen Aussprache des Colonels wegen der Sinn der Worte beinahe entgangen wäre.


II

«Ach, äh, hören Sie, äh, k-könnte ich Sie wohl kurz sprechen?»

Es war George Bartlett, der die beiden Männer mit diesen Worten überfiel.

«Was ist denn los, was wollen Sie?», herrschte Colonel Melchett ihn an, der sich zu Mr. Bartlett nicht eben hingezogen fühlte und es außerdem eilig hatte, von Slack Näheres über die Durchsuchung des Zimmers der Ermordeten und die Verhöre der Zimmermädchen zu erfahren.

Der junge Bartlett wich ein paar Schritte zurück und klappte wie ein Fisch im Aquarium den Mund auf und wieder zu.

«Ja, also, äh, wahrscheinlich ist es ja nicht weiter wichtig, aber ich dachte, ich muss es Ihnen sagen. Die Sache ist nämlich die: Mein Auto ist weg.»

«Ihr Auto ist weg? Was wollen Sie damit sagen?»

Unter ausgiebigem Gestotter erklärte Mr. Bartlett, er wolle damit sagen, dass sein Auto weg sei.

«Sie meinen, es ist gestohlen worden?», fragte Superintendent Harper.

George Bartlett wandte sich dankbar der milderen Stimme zu.

«Na ja, das ist es ja gerade, ich meine, man weiß ja nie, könnte ja sein, dass jemand einfach damit abgezischt ist, ohne sich was dabei zu denken, sozusagen.»

«Wann haben Sie den Wagen denn zuletzt gesehen, Mr. Bartlett?»

«Das weiß ich eben nicht mehr. Verrückt, wie schwer es ist, sich an so etwas zu erinnern, was?»

«Für einen durchschnittlich intelligenten Menschen wohl kaum», antwortete Melchett kühl. «Sagten Sie nicht, das Auto stand gestern Abend im Hof des Hotels…»

Mr. Bartlett erkühnte sich, ihn zu unterbrechen: «Ja, eben – oder?»

«Was meinen Sie mit ‹oder›? Sie sagten doch, es stand dort.»

«Na ja, also, das dachte ich ja auch, ich, äh, ich hab nicht nachgesehen, verstehen Sie?»

Colonel Melchett seufzte. Er bot alle Geduld auf, deren er noch fähig war, und sagte: «Nun mal der Reihe nach. Wann haben Sie Ihren Wagen zuletzt gesehen, mit eigenen Augen, meine ich. Was ist es überhaupt für einer?»

«Ein Minoan 14.»

«Und zuletzt gesehen haben Sie ihn wann?»

George Bartletts Adamsapfel hüpfte wild auf und ab.

«Daran versuch ich mich ja zu erinnern. Vor dem Mittagessen war er noch da. Wollte am Nachmittag einen Ausflug machen. Aber dann hab ich doch lieber einen Mittagsschlaf gehalten – Sie wissen ja, wie das ist. Nach dem Tee hab ich Squash gespielt und so weiter, und danach war ich schwimmen.»

«Und in der ganzen Zeit stand der Wagen im Hof des Hotels?»

«Ich nehm’s an. Jedenfalls hatte ich ihn da hingestellt. Dachte, ich könnte später mit jemand eine Fahrt machen, verstehen Sie? Nach dem Abendessen, meine ich. War aber nicht mein Glückstag gestern. Nichts los. Hab die Karre dann gar nicht mehr bewegt.»

«Aber Sie nahmen an, dass Ihr Auto noch im Hof steht?»

«Ja, klar. Ich meine, da hatte ich’s ja hingestellt.»

«Hätten Sie es gemerkt, wenn es nicht da gewesen wäre?»

Mr. Bartlett schüttelte den Kopf.

«Glaub ich nicht. Da fahren ja jede Menge Autos rein und raus. Jede Menge Minoans.»

Superintendent Harper nickte. Er hatte einen kurzen Blick aus dem Fenster geworfen. Nicht weniger als acht Wagen vom Typ Minoan 14 standen im Hof. Es war das Billigauto des Jahres.

«Pflegen Sie Ihr Auto über Nacht nicht in die Garage zu stellen?», fragte Colonel Melchett.

«Normalerweise nicht. Schönes Wetter und so, verstehen Sie? Zu viel Aufwand, ein Auto in die Garage zu stellen.»

Mit einem Blick auf Colonel Melchett sagte Superintendent Harper: «Ich komme gleich nach, Sir. Ich will nur rasch Sergeant Higgins verständigen, damit Mr. Bartlett die Einzelheiten zu Protokoll geben kann.»

«In Ordnung, Harper.»

«Dachte, ich sag’s Ihnen lieber», murmelte Mr. Bartlett gedankenvoll. «Könnte ja wichtig sein, oder?»


III

Mr. Prestcott hatte seiner neuen Tänzerin Kost und Logis gewährt. Von welcher Qualität die Kost auch sein mochte – das Logis war das dürftigste, das es im ganzen Hotel gab.

Josephine Turner und Ruby Keene wohnten am Ende eines düsteren, schmuddeligen, schmalen Flurs. Die Zimmer waren klein und gingen nach Norden auf das Kliff hinter dem Hotel, das Mobiliar bestand aus bunt zusammengewürfelten Stücken, die vor dreißig Jahren zur Luxusausstattung der besten Suiten gehört hatten. Als Letztere im Zuge der Modernisierung des Hotels mit Einbauschränken versehen worden waren, hatte man die großen viktorianischen Eichen- und Mahagonischränke in die Zimmer des im Hause wohnenden Personals oder in jene Räume verbannt, in denen während der Hochsaison, wenn das Hotel ausgebucht war, einzelne Gäste untergebracht wurden.

Melchett sah auf den ersten Blick, dass Ruby Keenes Zimmer ideal geeignet war, das Hotel unbemerkt zu verlassen, und denkbar ungeeignet, die Umstände dieses Verlassens zu erhellen.

Am Ende des Flurs führte eine schmale Treppe auf einen ebenso düsteren Flur im Erdgeschoss hinab. Durch eine Glastür gelangte man von dort auf die wenig frequentierte Seitenterrasse des Hotels, die keinen Blick aufs Meer bot. Von hier aus ging es auf die Hauptterrasse oder aber über einen gewundenen Pfad zu einem Sträßchen, das weiter entfernt in die Kliffstraße mündete und seines schlechten Zustandes wegen selten befahren wurde.

Inspektor Slack hatte die Zimmermädchen in die Mangel genommen und Rubys Zimmer auf Spuren abgesucht. Zu seinem Glück hatte er den Raum noch in genau dem Zustand vorgefunden, wie er am Abend zuvor verlassen worden war.

Ruby Keene war keine Frühaufsteherin gewesen. Sie hatte gewöhnlich bis zehn, halb elf geschlafen, wie Slack herausgefunden hatte, und dann nach dem Frühstück geklingelt. So hatte die Polizei, nachdem Conway Jefferson beim Hoteldirektor vorstellig geworden war, die Dinge in die Hand nehmen können, bevor die Zimmermädchen den Raum betraten. Sie waren nicht einmal auf dem Flur gewesen, denn die anderen Zimmer dort wurden um diese Jahreszeit nur einmal in der Woche aufgeschlossen und abgestaubt.

«So weit, so gut», sagte Slack düster. «Wenn hier etwas zu finden wäre, würden wir es auch finden. Aber da ist nichts.»

Die Polizei von Glenshire hatte den Raum bereits auf Fingerabdrücke untersucht, aber nur Rubys eigene, Josies und die der beiden Zimmermädchen von der Früh- und der Spätschicht gefunden. Einige stammten auch von Raymond Starr, der ja mit Josie zusammen nach Ruby hatte sehen wollen, nachdem sie nicht zur Mitternachtsvorstellung erschienen war.

In den Fächern des schweren Mahagonischreibtischs in der Ecke hatte Slack allerlei Krimskrams und einen Stapel Briefe gefunden. Er hatte alles sorgfältig geprüft, aber nichts Brauchbares entdeckt. Rechnungen, Quittungen, Theaterprogramme, Abschnitte von Kinokarten, Zeitungsausschnitte, aus Zeitschriften herausgerissene Schönheitstipps. Unter den Briefen fanden sich einige von einer gewissen Lil, offenbar einer Freundin aus dem Palais de Danse. Sie berichtete von diversen Affären, breitete allerlei Klatsch und Tratsch aus und schrieb, man vermisse «Rube» schrecklich. «Mr. Findeison hat noch so oft nach dir gefragt! Ganz geknickt ist er! Reg hat mit May angebandelt, nachdem du weg warst. Barny fragt auch noch ab und zu nach dir. Sonst ist alles beim Alten. Der alte Grouser ist zu uns Mädchen gemein wie eh und je. Ada hat einen Rüffel von ihm bekommen, weil sie mit einem Jungen geht.»

Slack hatte sich alle Namen, die in den Briefen vorkamen, gewissenhaft notiert. Man würde Nachforschungen anstellen, die vielleicht einiges Wissenswerte ergeben würden. Der Meinung war Colonel Melchett auch, ebenso wie Superintendent Harper, der sich inzwischen zu ihnen gesellt hatte. Ansonsten hatte das Zimmer wenig Verwertbares zu bieten.

Über einem Stuhl in der Mitte des Raumes hing das rosa Tüllkleid, das Ruby am Abend getragen hatte. Die rosa Satinstöckelschuhe waren achtlos fortgeschleudert worden. Ein Paar hauchdünner Seidenstrümpfe, einer davon mit einer Laufmasche, lag zusammengeknüllt am Boden. Melchett dachte daran, dass man das Mädchen mit nackten Füßen und Beinen aufgefunden hatte. Das war bei Ruby nichts Ungewöhnliches gewesen, wie Slack ermittelt hatte. Um Geld zu sparen, hatte sie Make-up auf ihre Beine aufgetragen und nur zum Tanzen hin und wieder Strümpfe angezogen. Durch die offene Schranktür sah man glitzernde Abendkleider und darunter eine Reihe Schuhe. Der Wäschekorb enthielt schmutzige Unterwäsche, der Papierkorb abgeschnittene Fingernägel, benutzte Abschminktücher, Wattebäusche mit Rouge- und Nagellackflecken – nichts Außergewöhnliches. Die Fakten schienen auf der Hand zu liegen. Ruby Keene war hinaufgeeilt, hatte sich umgezogen und war wieder fortgeeilt – aber wohin?

Josephine Turner, von der man hätte annehmen können, dass sie am meisten über Rubys Leben und ihre Freunde wusste, hatte ihnen nicht weiterhelfen können, was aber, wie Inspektor Slack darlegte, möglicherweise ganz verständlich sei.

«Wenn es stimmt, was Sie sagen, Sir – ich meine die Sache mit der Adoption –, dann musste Josie doch sehr daran gelegen sein, dass Ruby den Kontakt zu allen alten Freunden abbrach, die ihr sozusagen noch einen Strich durch die Rechnung machen konnten. Dieser Invalide schwärmt ja in den höchsten Tönen davon, was für ein liebes, kindliches, unschuldiges kleines Ding Ruby Keene gewesen sei. Angenommen, sie hatte einen Freund, einen rauen Burschen – das hätte dem alten Knaben ganz und gar nicht gefallen. Ruby musste die Sache also geheim halten. Josie weiß sowieso nicht viel von ihr, weder von ihren Freunden noch sonst. Aber eins hätte sie ihr nicht durchgehen lassen: dass sie für irgendeinen Kerl alles aufs Spiel setzt. Es ist also nur logisch, dass Ruby – die offenbar ein raffiniertes kleines Biest war! – kein Sterbenswörtchen davon hat verlauten lassen, wenn sie sich mit einem alten Freund traf. Josie durfte nichts davon wissen, sonst hätte sie gesagt: (Kommt nicht in Frage, Mädchen!) Aber Sie wissen ja, wie diese Mädchen sind, die jungen ganz besonders: fallen nur zu leicht auf einen harten Burschen rein. Ruby möchte ihn sehen. Er kommt hierher, regt sich furchtbar über die Sache auf und dreht ihr den Hals um.»

«Durchaus möglich, Slack», sagte Colonel Melchett und bemühte sich, seinen Widerwillen gegen Slacks wenig ansprechende Darstellungsweise zu verbergen. «Dann dürfte es nicht weiter schwierig sein, diesen Freund zu finden.»

«Überlassen Sie das nur mir, Sir», sagte Slack mit gewohntem Selbstvertrauen. «Ich werde mir mal diese Lil im Palais de Danse vorknöpfen und sie nach allen Regeln der Kunst ausquetschen. Nicht mehr lange, und wir kennen die Wahrheit.»

Colonel Melchett hatte da seine Zweifel. Slacks Tatendrang machte ihn immer ganz müde.

«Da ist noch jemand, der Ihnen vielleicht einen Tipp geben könnte», fuhr Slack fort. «Dieser Raymond Starr. Er war ja wohl viel mit Ruby zusammen und weiß bestimmt mehr als Josie. Wäre doch nahe liegend, dass sie ihm gegenüber etwas gesprächiger war.»

«Diesen Punkt habe ich mit Superintendent Harper bereits erörtert.»

«Gut, Sir. Die Zimmermädchen hab ich ganz schön rangenommen. Aber sie wissen nichts. Haben, soweit ich sehe, auf die beiden herabgeschaut. Haben den Service schleifen lassen, wann immer sie sich getraut haben. Eine war gestern Abend um sieben hier und hat das Bett gerichtet, die Vorhänge zugezogen und ein bisschen aufgeräumt. Nebenan ist ein Badezimmer, falls Sie sich’s ansehen wollen.»

Das Badezimmer lag zwischen Rubys und dem etwas größeren Zimmer, das Josie bewohnte. Es bot einen höchst aufschlussreichen Anblick. Colonel Melchett staunte, was für ein Arsenal an Schönheitsmitteln manche Frauen benutzten. Zahllose Töpfchen und Tuben mit Gesichtscremes, Reinigungscremes, Tagescremes und Nährcremes waren da zu sehen, Puder in allen Schattierungen, ein wirrer Haufen von Lippenstiften jeglicher Art, Haarwässer und Haar-«Aufheller», Wimperntusche, Lidschatten, blaue Abdeckcreme für die Augenpartie, mindestens zwölf verschiedene Nagellacksorten, Gesichtstücher, Wattebäusche, schmutzige Puderquasten, Flaschen mit adstringierenden, tonisierenden und beruhigenden Lotionen und dergleichen mehr.

«Soll das etwa heißen», murmelte er schwach, «dass Frauen all das benutzen?»

Der allwissende Inspektor Slack klärte ihn freundlicherweise auf: «Im Privatleben, sozusagen, Sir, geschränkt sich eine Dame auf ein oder zwei verschiedene Make-ups, eins für den Tag, eins für den Abend. Frauen wissen, was ihnen steht, und bleiben dabei. Aber diese Berufstänzerinnen müssen gewissermaßen auf vielen Hochzeiten tanzen. An einem Abend ist es ein Tango, am nächsten ein viktorianischer Tanz mit Krinoline, dann wieder ein Indianertanz oder ein ganz normaler Gesellschaftstanz. Da ist natürlich jedes Mal ein anderes Make-up gefragt.»

«Großer Gott!», sagte der Colonel. «Kein Wunder, dass die Leute, die diesen Schminkkram herstellen, ein Vermögen damit machen.»

«Leicht verdientes Geld, kann man da nur sagen», meinte Slack, «leicht verdientes Geld. Ein bisschen was muss allerdings in die Reklame investiert werden.»

Colonel Melchett riss seine Gedanken vom faszinierenden, uralten Thema weiblicher Verschönerung los und sagte zu Superintendent Harper, der zu ihnen getreten war: «Bleibt uns noch dieser Eintänzer. Übernehmen Sie ihn, Superintendent?»

«Ja, Sir.»

Im Hinuntergehen fragte Harper: «Was halten Sie von der Geschichte, die Mr. Bartlett uns erzählt hat, Sir?»

«Von seinem Auto? Ich glaube, Harper, wir sollten den jungen Mann im Auge behalten. Irgendwas ist da faul. Möglicherweise ist er gestern Abend doch noch mit Ruby Keene weggefahren.»


IV

Superintendent Harper war ein Mann, der stets ruhig, freundlich und ganz und gar unverbindlich blieb. Fälle, bei denen die Polizei zweier Grafschaften zusammenarbeiten musste, waren immer schwierig. Er schätzte Colonel Melchett zwar als einen fähigen Chief Constable, war aber dennoch froh, das anstehende Verhör allein durchführen zu können. Nur nicht zu viel auf einmal, so lautete seine Devise. Reine Routinefragen beim ersten Mal, dann war der Befragte erleichtert und beim nächsten Verhör weniger auf der Hut.

Vom Sehen kannte Harper Raymond Starr bereits. Ein Prachtexemplar von Mann, groß und gut aussehend, dunkelhaarig, elegant und geschmeidig, schneeweiße Zähne im sonnengebräunten Gesicht. Er hatte eine angenehme, freundliche Art und war im Hotel überaus beliebt.

«Ich werde Ihnen wohl kaum weiterhelfen können, fürchte ich, Superintendent. Ich kannte Ruby zwar recht gut – sie war ja seit über vier Wochen hier, und wir haben unsere Tänze zusammen einstudiert und so weiter –, aber viel kann ich Ihnen im Grunde nicht über sie sagen. Ein nettes, aber nicht sehr intelligentes Mädchen.»

«Was uns besonders interessiert, sind ihre Freundschaften. Ihre Freundschaften mit Männern.»

«Das kann ich mir denken. Also, ich weiß darüber nichts. Sie hatte hier im Hotel immer ein paar junge Männer im Schlepptau, aber nichts Spezielles. Die Jeffersons haben sie ja praktisch mit Beschlag belegt.»

«Die Jeffersons, ja.» Harper hielt nachdenklich inne und warf dem jungen Mann einen scharfen Blick zu. «Was halten Sie von dieser Sache, Mr. Starr?»

«Von welcher Sache?», fragte Raymond Starr kühl.

«Wussten Sie nicht, dass Mr. Jefferson Ruby Keene adoptieren wollte?»

Das schien Starr neu zu sein. Er spitzte die Lippen und stieß einen Pfiff aus. «Das raffinierte kleine Biest! Na, Alter schützt vor Torheit nicht.»

«So sehen Sie das also.»

«Wie sonst? Aber wenn der alte Knabe unbedingt jemanden adoptieren wollte, wieso hat er sich dann nicht ein Mädchen aus seinen eigenen Kreisen ausgesucht?»

«Hat Ruby Keene Ihnen gar nichts davon erzählt?»

«Nein. Ich weiß, dass sie sich über irgendetwas sehr gefreut hat, aber ich wusste nicht, worüber.»

«Und Josie?»

«Die müsste eigentlich gewusst haben, was da im Busch war. Bestimmt hat sie das Ganze eingefädelt. Sie ist nämlich nicht auf den Kopf gefallen, diese Josie.»

Harper nickte. Josie hatte ihre Kusine ja überhaupt erst hergeholt, und zweifellos hatte sie deren engen Kontakt mit Mr. Jefferson gefördert. Kein Wunder, dass sie aufgebracht gewesen war, als Ruby nicht zu ihrer Tanzvorführung erschienen und Conway Jefferson in Panik geraten war. Sie hatte ihre Felle davonschwimmen sehen.

«Meinen Sie, Ruby konnte ein Geheimnis für sich behalten?», fragte Harper.

«So gut wie jeder andere auch. Über ihre Privatangelegenheiten hat sie nicht viel verlauten lassen.»

«Hat sie irgendwann einmal etwas – egal, was – von einem Freund erzählt, jemandem von früher, der sie besuchen wollte oder mit dem sie Ärger hatte – Sie kennen das ja sicher.»

«Und ob. Aber soviel ich weiß, war da niemand. Jedenfalls hat sie nichts davon gesagt.»

«Vielen Dank, Mr. Starr. Würden Sie mir jetzt bitte mit Ihren eigenen Worten genau schildern, was gestern Abend vorgefallen ist?»

«Aber sicher. Ruby und ich hatten unsere Halb-elf-Uhr-Vorführung…»

«Und da haben Sie nichts Ungewöhnliches an ihr bemerkt?»

Raymond überlegte.

«Eigentlich nicht. Was danach war, hab ich nicht mitbekommen, weil ich mich um meine eigenen Partnerinnen kümmern musste. Aber ich weiß, dass sie nicht im Ballsaal war. Und um zwölf ist sie nicht erschienen. Ich hab mich sehr geärgert und bin zu Josie, die mit den Jeffersons Bridge gespielt hat. Sie wusste auch nicht, wo Ruby war, und ich glaube, sie ist ziemlich erschrocken. Ich hab gesehen, wie sie Mr. Jefferson einen besorgten Blick zugeworfen hat. Ich hab die Kapelle überredet, noch einen Tanz zu spielen, und bin ins Büro, um in Rubys Zimmer anrufen zu lassen. Aber sie hat sich nicht gemeldet. Dann bin ich wieder zu Josie. Sie hat gemeint, Ruby würde vielleicht schlafen, was natürlich völliger Quatsch war, sie wollte nur die Jeffersons beruhigen. Dann ist sie aufgestanden und hat gesagt, wir gehen zusammen rauf.»

«Aha. Und als Sie mit ihr allein waren, Mr. Starr, was hat sie da gesagt?»

«Soweit ich mich erinnere, war sie ziemlich wütend und hat gesagt: ‹Die dumme Gans! Das kann sie doch nicht machen! Damit setzt sie alles aufs Spiel! Weißt du, mit wem sie zusammen ist?› Ich hab gesagt, ich hätte keine Ahnung, aber zuletzt hätte ich sie mit dem jungen Bartlett tanzen sehen. Da hat sie gesagt: ‹Mit dem ist sie bestimmt nicht zusammen. Was macht sie bloß für Sachen? Meinst du, sie ist mit diesem Filmmenschen unterwegs?›»

«Filmmensch?», unterbrach Harper scharf. «Wer soll das sein?»

«Wie er heißt, weiß ich nicht», sagte Raymond. «Er hat nie hier im Hotel gewohnt. Ziemlich auffallender Typ, schwarze Haare, sieht aus wie ein Schauspieler. Hat wohl was mit der Filmbranche zu tun – das hat er Ruby jedenfalls gesagt. War ein paar Mal zum Dinner hier und hat dann mit Ruby getanzt, aber näher gekannt hat sie ihn, glaube ich, nicht. Deswegen war ich so überrascht, als Josie ihn erwähnt hat. Ich hab zu ihr gesagt, heute Abend sei er wohl nicht da gewesen, und sie hat gesagt: ‹Aber mit irgendjemand muss sie doch unterwegs sein. Was sag ich denn jetzt bloß den Jeffersons?› Ich wollte wissen, was die Jeffersons das angeht, und sie hat gesagt, es geht sie was an. Und dass sie’s Ruby nie verzeihen würde, wenn sie jetzt alles verdirbt.

Inzwischen waren wir in Rubys Zimmer angelangt. Sie war nicht da, klar, aber da gewesen war sie, denn das Kleid, das sie getragen hatte, lag über einem Stuhl. Josie hat in den Schrank geschaut und gesagt, sie hätte ihr altes weißes Kleid angezogen. Eigentlich hätte sie für unseren spanischen Tanz ein schwarzes Samtkleid tragen müssen. Ich war inzwischen ziemlich sauer, weil sie mich versetzt hatte. Josie hat sich alle Mühe gegeben, mich zu beruhigen, und gesagt, sie würde selbst mit mir tanzen, dann könne der alte Prestcott nichts sagen. Sie ging sich umziehen, und wir sind wieder runter und haben einen Tango vorgeführt – etwas übertrieben im Stil, ganz auf Effekt angelegt, aber für Josies Knöchel nicht allzu belastend. Josie war wirklich tapfer – ich hab gemerkt, dass sie Schmerzen hat. Danach wollte sie, dass ich ihr helfe, die Jeffersons zu beruhigen. Es sei wichtig, hat sie gesagt. Ich hab natürlich mein Bestes getan.»

Superintendent Harper nickte. «Vielen Dank, Mr. Starr», sagte er.

Und ob es wichtig war, dachte er bei sich. Fünfzigtausend Pfund!

Er sah Raymond Starr nach, wie er geschmeidig die Terrassenstufen hinunterging und unterwegs ein Netz mit Tennisbällen und einen Tennisschläger an sich nahm. Mrs. Jefferson, ebenfalls mit einem Schläger bewaffnet, gesellte sich zu ihm, und sie gingen zusammen zu den Tennisplätzen.

«Verzeihung, Sir.»

Ein nach Atem ringender Sergeant Higgins stand neben Harper.

Der Superintendent, aus seinen Gedanken gerissen, sah ganz erschrocken drein.

«Meldung aus dem Präsidium für Sie, Sir. Ein Landarbeiter hat heute Morgen einen Feuerschein gesehen. Vor einer halben Stunde ist in einem Steinbruch ein ausgebranntes Auto gefunden worden. Venn’s Quarry, etwa zwei Meilen von hier. Spuren einer verkohlten Leiche im Wagen.»

Das Blut schoss Harper ins Gesicht.

«Was ist denn nur auf einmal los in Glenshire?», fragte er. «Ist hier eine Gewaltepidemie ausgebrochen? Sagen Sie jetzt nur nicht, das wird ein zweiter Fall Rouse! Haben Sie das Kennzeichen?»

«Nein, Sir, aber wir können den Wagen anhand der Motornummer identifizieren. Vermutlich ein Minoan 14.»




Загрузка...