7 Ein kaltes Medaillon

Meanchanische Soldaten. Blut und Asche! Das konnte Mat nun wirklich nicht gebrauchen, wo die Würfel in seinem Kopf klapperten. »Noal, findet Egeanin und warnt sie. Olver, du warnst die Aes Sedai, und Bethamin und Seta.« Wenigstens würden die fünf zusammen oder zumindest nahe beieinander sein. Die beiden ehemaligen Sul'dam verfolgten die Schwestern jedes Mal, wenn sie den Wagen verließen, den sie alle teilten. Beim Licht, er hoffte, dass keine von ihnen wieder in die Stadt gegangen war. Das könnte ein Wiesel auf den Hühnerhof schicken! »Ich gehe zum Eingang und versuche herauszubekommen, ob wir in Schwierigkeiten stecken.«

»Sie wird nicht auf diesen Namen reagieren«, murmelte Noal und schob sich von dem Bett. Er bewegte sich recht flink für einen Burschen, der aussah, als hätte er sich irgendwann einmal die Hälfte seiner Knochen gebrochen. »Das wisst Ihr.«

»Ihr wisst, wen ich meine«, sagte Mat scharf und bedachte Tuon und Selucia mit einem Stirnrunzeln. Dieser Blödsinn mit den Namen war ihre Schuld. Selucia hatte Egeanin gesagt, sie würde ab sofort Leilwin Schiffslos heißen, und das war der Name, den Egeanin benutzte. Nun, er würde diesen Unsinn nicht unterstützen. Früher oder später musste sie wieder zu Verstand kommen.

»Ich sage es ja bloß«, meinte Noal. »Komm mit, Olver.«

Mat stand nach ihnen auf, aber bevor er die Tür erreichte, ergriff Tuon das Wort.

»Keine Warnung, dass wir drinnen bleiben sollen, Spielzeug? Keiner, der uns bewacht?«

Die Würfel sagten ihm, er sollte Harnan oder einen der anderen Rotwaffen finden und ihn draußen postieren, nur vorsichtshalber, falls es zu Zwischenfällen kommen sollte, aber er zögerte nicht. »Ihr habt Euer Wort gegeben«, sagte er und setzte den Hut auf. Das Lächeln, das er zur Erwiderung erhielt, war das Risiko wert. Sollte man ihn doch zu Asche verbrennen, es erhellte ihr ganzes Gesicht. Frauen waren immer ein Glückspiel, aber manchmal konnte ein Lächeln Gewinn genug sein.

Juradors Tage ohne seanchanische Besetzung waren vorbei, das sah er am Eingang. Direkt auf der dem Zirkus gegenüberliegenden Straßenseite zogen mehrere hundert Männer die Rüstungen aus, entluden Waffen, schlugen in ordentlichen Reihen Zelte auf, spannten Pferdeseile. Alles sehr effizient. Er sah Taraboner mit Kettenschleiern an den Helmen und auf die Brustharnische gemalten blauen, gelben und grünen Strichen, sowie Männer, die offensichtlich zur Infanterie gehörten und lange Piken und Bogen aufstapelten, die bedeutend kürzer als Zwei-Flüsse-Bogen waren. Er hielt sie für Amadicianer. Weder Tarabon noch Altara unterhielten ein großes stehendes Heer, und Altaraner in Diensten der Seanchaner trugen aus irgendeinem Grund ihre Rüstungen anders gekennzeichnet. Natürlich waren auch richtige Seanchaner dabei, etwa zwanzig oder dreißig. Die bemalten Rüstungen aus sich überlappenden Panzerplatten waren genauso unverkennbar wie diese seltsamen, insektenähnlichen Helme.

Drei Soldaten überquerten gemächlich die Straße, schlanke, hartgesottene Männer. Ihre blauen Mäntel mit den grüngelb gestreiften Kragen waren trotz der Farben recht schlicht und zeigten Abnutzungserscheinungen von den Rüstungen, aber keine Rangabzeichen. Es waren also keine Offiziere, aber vermutlich waren sie trotzdem so gefährlich wie rote Nattern. Zwei der Burschen hätten aus Andor oder Murandy oder sogar von den Zwei Flüssen stammen können, aber der dritte hatte die schrägen Augen eines Saldaeaners und eine honigfarbene Hautfarbe. Ohne langsamer zu werden, kamen sie auf den Zirkus zu.

Einer der Pferdeknechte am Eingang stieß einen schrillen, dreitonigen Pfiff aus, der im ganzen Zirkus weitergegeben wurde, während der andere, ein Kerl namens Bollin, den dreien den Glaskrug vor die Nase hielt. »Eintritt ist ein Silberpfennig pro Mann, Hauptmann«, sagte er mit täuschender Sanftheit. Mat hatte den großen Mann in dem gleichen Tonfall sprechen hören, einen Augenblick, bevor er einem anderen Pferdeknecht einen Hocker über den Schädel geschlagen hatte. »Kinder kosten fünf Kupferstücke, wenn sie meine Taille überragen, und drei, wenn sie kleiner sind. Freier Eintritt nur für Kinder, die noch getragen werden können.«

Der honigfarbene Seanchaner hob die Hand, als wollte er Bollin beiseite stoßen, dann zögerte er, und sein Ausdruck wurde noch härter, falls das möglich war. Die anderen beiden bauten sich mit geballten Fäusten neben ihm auf, als stampfende Stiefel die Ankunft scheinbar eines jeden Mannes des Zirkus verkündeten, Artisten in bunten Kostümen und Pferdeknechte in grober Wolle. Jeder Mann hielt irgendeine Art von Keule in der Hand, Luca in seinem grellroten, mit goldenen Sternen verzierten Mantel und selbst den halb nackten Petra eingeschlossen. Petra war der sanfteste Mann, den Mat je kennen gelernt hatte, aber jetzt trug sein Gesicht einen finsteren Ausdruck, der an eine Gewitterwolke erinnerte.

Beim Licht, das trug alle Anzeichen eines Massakers, waren die Kameraden dieser Kerle doch keine hundert Schritte weit entfernt und alle bewaffnet. Ein guter Ort für Mat Cauthon, sich zu verdrücken. Verstohlen berührte er die in den Ärmeln verborgenen Wurfmesser und zuckte mit den Schultern, nur um die dort hängende Klinge zu fühlen. Leider war es unmöglich, die unter dem Mantel und in seinen Stiefeln unauffällig zu kontrollieren. Die Würfel grollten wie Donner. Er fing an zu planen, wie er Tuon und die anderen wegschaffen konnte. Er musste sie noch eine Weile mitschleppen.

Bevor die Katastrophe eintreten konnte, erschien eine weitere Seanchanerin in einer blau, grün und gelb gestreiften Rüstung, die den Helm auf die rechte Hüfte stützte. Sie hatte die schräg stehenden Augen und die honigfarbene Haut, und in ihrem kurz geschnittenen schwarzen Haar zeigten sich ein paar weiße Strähnen. Sie war fast einen Fuß kleiner als die anderen drei, und ihr Helm wies keine Federn auf, sondern nur vorn einen kleinen Kamm, der wie eine bronzene Pfeilspitze erschien, aber als die drei Soldaten sie sahen, nahmen sie sofort Haltung an. »Warum bin ich nicht überrascht, dich bei etwas zu finden, das nach dem Anfang eines schönen Aufruhrs aussieht, Mürel?« Ihr genuschelter Akzent wies einen näselnden Unterton auf. »Was ist hier los?«

»Wir haben unseren Eintritt bezahlt, Standartenträgerin«, erwiderte der honigfarbene Mann mit dem gleichen näselnden Akzent, »dann wollten sie, dass wir noch mehr zahlen, weil wir Soldaten des Kaiserreichs sind.«

Bollin öffnete den Mund, aber sie brachte ihn mit einer erhobenen Hand zum Schweigen. Sie hatte diese Art Ausstrahlung. Sie ließ die Blicke über den Halbkreis aus Männern mit Keulen schweifen, verharrte kurz, um über Luca den Kopf zu schütteln, und blieb bei Mat hängen. »Habt Ihr gesehen, was passiert ist?«

»Das habe ich«, erwiderte Mat. »Und sie wollten rein, ohne zu bezahlen.«

»Das ist gut für dich, Mürel«, sagte sie, was bei dem Mann ein überraschtes Blinzeln hervorrief. »Für euch alle. Bedeutet, dass ihr eure Münzen behalten könnt. Weil ihr das Lager zehn Tage nicht verlassen dürft, und ich bezweifle, dass der Zirkus noch so lange hier sein wird. Und ihr bekommt alle zehn Tage Sold abgezogen. Ihr sollt Wagen entladen, damit die Einheimischen nicht auf die Idee kommen, dass wir glauben, wir wären besser als sie. Oder wollt ihr eine Anklage wegen Unruhestiften in den Rängen?« Die drei Männer erbleichten sichtlich. Anscheinend war das eine ernste Anklage. »Ich glaube kaum. Und jetzt verschwindet aus meinen Augen und macht euch an die Arbeit, bevor ich einen vollen Monat statt eine Woche daraus mache.«

»Ja, Standartenträgerin«, stießen sie wie aus einem Munde hervor und rannten so schnell sie konnten über die Straße und zogen dabei bereits die Mäntel aus. Harte Männer, aber die Standartenträgerin war härter.

Sie war allerdings noch nicht fertig. Luca trat vor und verbeugte sich pompös, aber sie erstickte seine beginnende Dankeshymne im Keim. »Ich mag es nicht besonders, wenn meine Männer mit Keulen bedroht werden«, sagte sie und legte die freie Hand auf den Schwertgriff, »nicht einmal Mürel, nicht mit so einem Kräfteverhältnis. Immerhin zeigt es, dass ihr Rückgrat habt. Will einer von euch prächtigen Burschen ein Leben voller Ruhm und Abenteuer? Begleitet mich über die Straße, und ich schreibe euch ein. Ihr da in dem hübschen roten Mantel. In meinen Augen seht Ihr wie der geborene Lanzenreiter aus. Ich wette, ich könnte Euch im Handumdrehen zu einem anständigen Helden drillen.«

Die versammelten Männer schüttelten die Köpfe; einige sahen, dass es vermutlich keinen Ärger mehr geben würde, und verdrückten sich. Petra gehörte zu ihnen. Luca sah aus, als hätte man ihn mit der Axt niedergestreckt. Ein paar der anderen schienen von dem Angebot mindestens genauso verblüfft zu sein. Kunststücke vorführen brachte mehr Geld als das Soldatentum ein, und man vermied das Risiko, von einem Schwert durchbohrt zu werden.

»Nun, so lange ihr noch dasteht, vielleicht kann ich euch ja überzeugen. Ihr werdet vermutlich nicht reich dabei, aber der Sold wird für gewöhnlich pünktlich ausgezahlt, und es besteht immer die Möglichkeit, dass man plündern kann, wenn der Befehl dazu erfolgt. Kommt gelegentlich vor. Das Essen ist unterschiedlich, aber für gewöhnlich ist es heiß, und es reicht meistens, um einen satt zu machen. Die Tage sind lang, aber das bedeutet bloß, dass ihr müde genug seid, um gut zu schlafen. Falls ihr nicht nachts arbeiten müsst. Noch keiner interessiert?«

Luca riss sich zusammen. »Danke, Hauptmann, aber nein«, sagte er und klang halb erstickt. Manche Narren glaubten, Soldaten wären geschmeichelt, wenn jemand annahm, dass sie einen höheren Rang hatten, als sie tatsächlich einnahmen. Bei ein paar dummen Soldaten funktionierte das auch. »Entschuldigt mich, wenn Ihr so freundlich wärt. Wir haben eine Vorstellung zu geben. Und es gibt Leute, die nicht besonders erfreut wären, wenn sie noch viel länger darauf warten müssten.« Mit einem letzten misstrauischen Blick auf die Frau, als fürchtete er, sie könnte ihn am Kragen packen und wegschleifen, trieb er die Männer zusammen.

»Ihr alle geht zurück an eure Plätze. Was lungert ihr überhaupt hier herum? Ich habe alles im Griff. Geht zurück auf eure Plätze, bevor die Besucher ihr Geld zurückhaben wollen.« Soweit es ihn betraf, wäre das eine Katastrophe gewesen. Vor die Wahl gestellt, was schlimmer gewesen wäre, den Eintritt zurückgeben zu müssen oder einen Aufruhr zu haben, hätte sich Luca nicht entscheiden können.

Da die Artisten gingen und Luca forteilte — wobei er der Frau immer noch Blicke über die Schulter zuwarf —, wandte sich die Frau Mat zu, dem einzigen Mann, der außer den beiden Pferdeknechten noch da war. »Und was ist mit Euch? Eurem Aussehen nach zu urteilen, könntet Ihr Offizier werden und mir dann Befehle geben.« Die Vorstellung schien sie zu amüsieren.

Er wusste, was sie tat. Die Leute in der Schlange hatten gesehen, dass drei seanchanische Soldaten davongerannt waren, und wer konnte schon mit Sicherheit sagen, warum sie davongerannt waren, aber jetzt hatten sie gesehen, wie sie ganz allein eine viel größere Menge zerstreut hatte. Er hätte ihr in seiner Bande sofort einen Posten als Bannerträgerin gegeben.

»Ich würde einen schrecklichen Soldaten abgeben, Standartenträgerin«, sagte er und tippte den Hut an, und sie lachte.

Als er sich abwandte, hörte er Ballin sanft sagen: »Habt Ihr nicht gehört, was ich diesem Mann gesagt habe? Es ist ein Silberpfennig für Euch und einen weiteren für Eure Frau.« Münzen klirrten in den Krug. »Danke.« Die Dinge verliefen wieder in gewohnten Bahnen. Und die Würfel lärmten noch immer in seinem Kopf.

Er suchte sich einen Weg durch die Menge. Die Akrobaten zeigten bereits wieder ihre Kunststücke auf den Holzplattformen, Jongleure jonglierten, Clarines Hunde liefen auf großen Holzbällen, und Miyoras Leoparden standen in einem Käfig, der kaum stark genug erschien, um sie aufzuhalten, auf den Hinterbeinen. Er entschied sich, nach den Aes Sedai zu sehen. Die Leoparden brachten ihn auf die Idee. Das Fußvolk würde den Rest des Tages mit der Arbeit verbringen, aber er würde darauf wetten, dass zumindest ein paar der Offiziere über kurz oder lang vorbeischauen würden. Seltsamerweise vertraute er Tuon, und Egeanin hatte genug Verstand, außer Sicht zu bleiben, wenn sich andere Seanchaner in der Nähe herumtrieben, aber den Aes Sedai schien es an gesundem Menschenverstand zu mangeln. Selbst Teslyn und Edesina, die beide Zeit als Damane verbracht hatten, gingen dumme Risiken ein. Joline, der das erspart geblieben war, schien sich für unverwundbar zu halten.

Mittlerweile wusste jeder im Zirkus, dass es sich bei den drei Frauen um Aes Sedai handelte, aber ihr großer Wagen stand noch immer neben den Vorratswagen nicht weit von den Pferdeseilen. Luca war bereit gewesen, den Stellplan seines Wanderzirkus für eine Hochlady zu ändern, die ihm einen Schutzbrief ausstellte, aber nicht für Aes Sedai, die ihn mit ihrer Anwesenheit in Gefahr brachten und außerdem so gut wie mittellos waren. Die Frauen unter den Artisten hatten größtenteils Mitgefühl mit den Schwestern, die Männer teilweise auch — das war immer so bei Aes Sedai —, aber ohne Mats Gold hätte Luca sie vermutlich hinausgeworfen und ihrer Wege geschickt. Aes Sedai waren mehr als andere eine Bedrohung, so lange sie sich in den von Seanchanern kontrollierten Gebieten aufhielten. Natürlich dankten sie es Mat Cauthon nicht, nicht dass er darauf aus war. Er hätte sich mit einem Funken Respekt zufrieden gegeben, aber es war sehr unwahrscheinlich, dass er selbst den bekam. Aes Sedai waren schließlich Aes Sedai.

Jolines Behüter Blaeric und Fen waren nirgendwo zu sehen, also musste er nicht mit ihnen herumdiskutieren, damit sie ihm den Weg freimachten, aber als er sich den schmutzverkrusteten Stufen am Ende des Wagens näherte, wurde das Fuchsmedaillon auf seiner Brust unter dem Hemd plötzlich eiskalt. Einen Augenblick lang erstarrte er wie eine Statue. Diese närrischen Weiber lenkten dort drinnen die Macht! Er schüttelte seine Beklemmung ab, stürmte die Stufen hoch und stieß die Tür auf.

Die Frauen, die er dort erwartet hatte, waren alle anwesend. Joline, eine Schwester der Grünen, schlank und hübsch und mit großen Augen; Teslyn, eine Rote mit schmalen Schultern, die aussah, als würde sie Steine zerkauen, und Edesina, eine Gelbe, eher ansehnlich als hübsch zu nennen, mit langem schwarzen Haar, das bis zu ihrer Taille reichte. Er hatte alle drei vor den Seanchanern gerettet, hatte Teslyn und Edesina höchstpersönlich aus den Damane-Zwingern geholt, aber ihre Dankbarkeit war bestenfalls schwankend.

Bethamin, so dunkelhäutig wie Tuon, aber hochgewachsen und mit hübschen Kurven versehen, und die blonde Seta waren Sul’dam gewesen, bevor man sie gezwungen hatte, bei der Rettung der drei Aes Sedai zu helfen. Die fünf Frauen teilten sich den Wagen, die Aes Sedai, um die ehemaligen Sul’dam im Auge zu behalten, die ehemaligen Sul’dam, um die Aes Sedai im Auge zu behalten. Keine von ihnen war sich dessen wirklich bewusst, aber das gegenseitige Misstrauen sorgte dafür, dass sie diese Aufgabe emsig erfüllten.

Die Frau, die Mat hier nicht erwartet hatte, war Setalle Anan, die in Ebou Dar das Gasthaus Die Wanderin geleitet hatte, bevor sie sich aus irgendeinem Grund zu einem Teil der Rettungsmission gemacht hatte. Aber Setalle hatte so eine Art, sich in alles hineinzudrängen. Sich einzumischen. Sie mischte sich ständig in Tuons und seine Beziehung ein. Was sie hier jedoch taten, war allerdings völlig unerwartet.

Bethamin und Seta standen so starr wie Pfosten in der Wagenmitte, Schulter an Schulter zwischen den beiden Betten, die man nicht hochklappen konnte, und Joline schlug Bethamin immer wieder ins Gesicht, zuerst mit der einen Hand, dann mit der anderen. Stumme Tränen rannen der hochgewachsenen Frau die Wangen hinunter, und Seta schien Angst zu haben, die nächste zu sein. Edesina und Teslyn sahen ausdruckslos mit unter den Brüsten verschränkten Armen zu, während Frau Anan ihr Missfallen deutlich anzusehen war. Mat hätte allerdings nicht sagen können, ob sie die Schläge missbilligte oder das, was Bethamin getan hatte, um sie zu verdienen, und es war ihm auch egal.

Er stand mit einem Schritt hinter Joline, packte ihre erhobene Hand und wirbelte sie herum. »Was beim Licht tut Ihr…?« Soweit kam er, bevor sie ihm mit der anderen Hand eine so harte Maulschelle verpasste, dass ihm die Ohren dröhnten.

»Nun, das hat der Ziege endgültig den Rest gegeben«, sagte er, ließ sich auf das am nächsten stehende Bett sacken, während er noch immer Sterne sah, und zog eine überraschte Joline über den Schoß. Seine rechte Hand landete mit einem lauten Klatschen auf ihrem Hintern und entlockte ihr ein überraschtes Kreischen. Das Medaillon wurde noch kälter, und Edesina keuchte auf, als nichts passierte, aber er versuchte ein Auge auf die anderen beiden Schwestern und eines wegen Jolines Behütern auf die offen stehende Tür zu halten, während er sie gepackt hielt und so hart und schnell auf sie einhieb, wie er nur konnte. Da er keine Ahnung hatte, wie viele Hemden oder Unterröcke sie unter dem abgetragenen blauen Wollkleid trug, wollte er sichergehen, dass er Eindruck hinterließ. Es kam ihm vor, als würde seine Hand den Takt für die in seinem Kopf rollenden Würfel vorgeben. Joline wehrte sich und strampelte mit den Beinen, sie fing an, wie ein Wagenkutscher zu fluchen, während sich das Medaillon in Eis zu verwandeln schien und dann so kalt wurde, dass er sich fragte, ob es ihm Erfrierungen zufügen würde, aber bald gesellten sich wortlose spitze Schreie zu ihrem beißenden Vokabular. Sein Arm mochte nicht an den von Petra herankommen, aber er war alles andere als schwach. Übung mit Bogen und Kampfstab gab einem starke Arme.

Edesina und Teslyn schienen genauso erstarrt zu sein wie die beiden ehemaligen Sul’dam mit ihren weit aufgerissenen Augen — nun ja, Bethamin grinste, aber sie wirkte genauso erstaunt wie Seta —, aber gerade, als er endlich zu der Ansicht kam, dass die Schreie die Flüche überwogen, versuchte sich Frau Anan an den beiden Aes Sedai vorbeizudrängen. Erstaunlicherweise bedeutete Teslyn ihr entschieden, dort zu bleiben, wo sie war! Nur sehr wenige Frauen — oder Männerwidersprachen den Befehlen einer Aes Sedai, aber Frau Anan schenkte der Roten einen frostigen Blick, zwängte sich an den beiden Aes Sedai vorbei und murmelte dabei etwas, dass sie sie beide neugierig ansehen ließen. Sie musste sich trotzdem an ihnen vorbeizwängen, und Mat nutzte die Gelegenheit, eine abschließende Reihe harter Schläge zu landen, dann rollte er die Grüne Schwester von seinem Schoß. Seine Hand hatte sowieso angefangen zu brennen. Joline landete mit einem dumpfen Dröhnen auf dem Boden und keuchte: »Oh!«

Frau Anan pflanzte sich vor ihm auf, nahe genug, dass sie Joline im Weg stand, die sich hastig aufrappeln wollte, und musterte ihn mit unter den Brüsten verschränkten Armen, die dadurch den großzügigen Ausschnitt ihres Kleides noch hervorhoben. Trotz des Kleides war sie keine Ebou Dari, nicht mit diesen haselnussbraunen Augen, aber sie trug große, goldene Ohrringe, einen Hochzeitsdolch, dessen Griff mit großen roten und weißen Steinen für ihre Söhne und Töchter versehen war und der von einer breiten Silberkette an ihrem Hals hing, sowie einen Krummdolch hinter dem Gürtel. Ihre dunkelgrünen Röcke waren auf der linken Seite hochgenäht, um ihre roten Unterröcke zu zeigen. Mit grauen Strähnen in ihrem Haar war sie jeden Zoll die majestätische Ebou Dari-Wirtin, selbstsicher und befehlsgewohnt. Er rechnete damit, von ihr beschimpft zu werden — wenn es ums Beschimpfen ging, war sie so gut wie jede Aes Sedai! —, also war er überrascht, als sie sehr nachdenklich klang.

»Joline muss versucht haben, Euch aufzuhalten, und Teslyn und Edesina auch, aber sie haben versagt. Ich glaube, das bedeutet, Ihr habt ein Ter’angreal in Eurem Besitz, das die Ströme der Macht zerstören kann. Ich habe davon gehört, angeblich besaß Cadsuane Melaidhrin eines, zumindest gerüchteweise, aber ich habe noch nie eins gesehen. Das würde ich sehr gern. Ich würde nicht versuchen, es Euch wegzunehmen, aber ich würde es sehr gern sehen.«

»Woher kennt Ihr Cadsuane?«, verlangte Joline zu wissen und versuchte, sich das Hinterteil ihrer Röcke abzuwischen. Die erste Berührung ihrer Hand rief ein gequältes Zusammenzucken hervor, und sie warf Mat einen finsteren Blick zu, der besagte, dass sie das keineswegs vergessen würde. Tränen funkelten in ihren großen braunen Augen und auf ihren Wangen, aber wenn er dafür bezahlen musste, war es den Preis wert.

»Sie hat etwas über die Erhebung zur Aes Sedai erwähnt«, sagte Edesina.

»Sie hat gesagt ›Wie könnt ihr die Prüfung bestanden haben, wenn ihr in solchen Augenblicken erstarrt?‹«, fügte Teslyn hinzu.

Frau Anan presste die Lippen kurz zusammen, aber falls sie aufgeregt war, gewann sie einen Atemzug später ihre Fassung zurück. »Ihr werdet euch daran erinnern, dass ich ein Gasthaus besaß«, sagte sie trocken. »Viele Leute haben Der Wanderin einen Besuch abgestattet, und viele von ihnen haben geredet, vielleicht mehr, als sie sollten.«

»Aber keine Aes Sedai«, fing Joline an und drehte sich dann schnell um. Blaeric und Fen kamen die Treppe hinauf. Die beiden Grenzländer waren große Männer, und Mat sprang schnell auf die Füße, bereit, falls nötig zu seinen Messern zu greifen. Möglicherweise würden sie ihn überwältigen, aber nicht ohne dafür zu bluten.

Überraschenderweise schoss Joline zur Tür und schlug sie direkt vor Fens Nase zu, dann legte sie den Riegel vor. Der Saldaeaner machte keine Anstalten, die Tür zu öffnen, aber Mat hatte nicht den geringsten Zweifel, dass die beiden auf ihn warten würden. Als sie sich umdrehte, glühten ihre Augen förmlich, trotz der Tränen und allem, und sie schien Frau Anan für den Augenblick vergessen zu haben. »Wenn Ihr auch nur daran denken solltet…«, fing sie an und fuchtelte mit dem Finger vor seinem Gesicht herum.

Er machte einen Schritt nach vorn und stach so schnell selbst mit dem Finger nach ihrer Nase, dass sie zurücksprang und gegen die Tür stieß. Von der sie mit einem spitzen Aufschrei und roten Flecken auf den Wangen zurückwich. Es war ihm völlig egal, ob sie von Wut oder Verlegenheit hervorgerufen wurden. Sie öffnete den Mund, aber er dachte nicht daran, sie zu Wort kommen zu lassen.

»Wäre ich nicht gewesen, würdet Ihr den Kragen einer Damane um den Hals tragen, und das gilt auch für Edesina und Teslyn«, sagte er mit der gleichen Heftigkeit, die auch in ihren Augen loderte. »Im Gegenzug versucht Ihr alle, mich zu bevormunden. Ihr geht Eure eigenen Wege und bringt uns alle in Gefahr. Ihr benutzt verdammt noch mal die Macht, wo Ihr genau wisst, dass Seanchaner auf der anderen Straßenseite sind! Sie könnten eine Damane dabeihaben, oder ein Dutzend, soweit wir wissen.« Er bezweifelte das, aber Zweifel waren keine Sicherheit, und auf keinen Fall würde er seine Zweifel mit ihr teilen, nicht in diesem Augenblick. »Nun, einiges davon werde ich wohl ertragen müssen, obwohl Euch besser klar sein sollte, dass ich langsam die Grenzen meiner Geduld erreicht habe, aber ich werde mich nicht von Euch schlagen lassen. Macht das noch einmal, und ich schwöre, ich gerbe Euch das Fell noch einmal doppelt so hart. Mein Wort darauf!«

»Und ich werde das nächste Mal nicht versuchen, ihn aufzuhalten«, sagte Frau Anan.

»Ich auch nicht«, fügte Teslyn hinzu, und Edesina schloss sich ihr nach einem langen Moment an.

Joline sah aus, als hätte sie ein Hammerschlag zwischen die Augen getroffen. Sehr zufrieden stellend. So lange er eine Möglichkeit fand, sich von Blaeric und Fen nicht die Knochen brechen zu lassen.

»Und würde mir jetzt jemand verraten, warum Ihr Euch verflucht noch mal dazu entschieden habt, die Macht zu lenken, als wäre die Letzte Schlacht da? Müsst Ihr sie so festhalten, Edesina?« Er deutete mit dem Kopf auf Seta und Bethamin. Es war nur eine fundierte Annahme, aber Edesinas Augen weiteten sich einen Augenblick lang, so als würde sie glauben, dass ihn sein Ter’angreal die Ströme der Macht sehen als auch zerreißen lassen würde. Auf jeden Fall standen beide Frauen gleich darauf normal da. Bethamin fing ruhig an, sich die Tränen mit einem weißen Leinentaschentuch zu trocknen. Seta setzte sich auf das nächste Bett, hielt sich selbst und zitterte; sie sah erschütterter aus als Bethamin.

Keine der Aes Sedai schien antworten zu wollen, also tat es Frau Anan für sie. »Es gab keinen Streit. Joline wollte sich die Seanchaner selbst ansehen, und sie ließ es sich nicht ausreden. Bethamin entschied, sie zu disziplinieren, so als hätte sie keine Ahnung, was passieren würde.« Die Wirtin schüttelte angewidert den Kopf. »Sie wollte Joline über die Knie ziehen, und Seta half ihr, und Edesina fesselte sie mit Strömen aus Luft. Nehme ich jedenfalls an«, sagte sie, als die Aes Sedai sie scharf musterten. »Ich kann vielleicht die Macht nicht lenken, aber ich habe Augen im Kopf.«

»Das erklärt aber nicht das, was ich gefühlt habe«, sagte Mat. »Hier wurde viel Macht gelenkt.«

Frau Anan und die drei Aes Sedai musterten ihn nachdenklich, bohrende Blicke, die das Medaillon zu suchen schienen. Sie würden sein Ter’angreal nicht vergessen, so viel stand fest.

Joline erzählte weiter. »Bethamin hat die Macht gelenkt.

Ich habe das Gewebe, das sie benutzt hat, noch nie zuvor gesehen, aber ein paar Augenblicke lang, bis sie die Quelle verlor, hat sie uns drei in einen Funkenregen gehüllt. Ich glaube, sie hat so viel von der Macht benutzt, wie sie aufnehmen konnte.«

Plötzlich wurde Bethamin von Schluchzern geschüttelt. Sie sackte zusammen, fiel fast zu Boden. »Ich wollte es nicht«, weinte sie mit zuckenden Schultern und verzerrtem Gesicht. »Ich glaubte, ihr wolltet mich töten, aber ich habe das nicht beabsichtigt.« Seta fing an, vor und zurück zu schaukeln und starrte ihre Freundin entsetzt an. Oder vielleicht auch ihre ehemalige Freundin. Sie wussten beide, dass ein A’dam sie kontrollieren konnte, vielleicht sogar jede Sul’dam, aber sie hatten die volle Bedeutung dieser Tatsache vermutlich verdrängt. Jede Frau, die ein A’dam benutzen konnte, konnte lernen, die Macht zu lenken. Vermutlich hatten sie versucht, dies zu leugnen, es zu vergessen. Die Macht dann tatsächlich zu lenken veränderte natürlich alles.

Sollte man ihn doch zu Asche verbrennen, das war das Letzte, was er gebrauchen konnte. »Was wollt Ihr deswegen unternehmen?« Nur eine Aes Sedai konnte das regeln.

»Wenn sie jetzt damit angefangen hat, kann sie nicht mehr damit aufhören. Das weiß ich.«

»Lasst sie sterben«, sagte Teslyn grob. »Wir können sie abgeschirmt halten, bis wir sie loswerden können, dann kann sie sterben.«

»Das können wir nicht tun.« Edesina klang schockiert. Wenn auch offenbar nicht wegen der Vorstellung, dass Bethamin sterben würde. »Sobald wie sie gehen lassen, wird sie zu einer Gefahr für alle in ihrer Umgebung.«

»Ich werde es nicht wieder tun.« Bethamin weinte, bettelte fast. »Bestimmt nicht!«

Joline drängte sich an Mat vorbei, als wäre er ein Kleiderständer, baute sich vor Bethamin auf und starrte mit in die Hüften gestemmten Fäusten zu der größeren Frau hoch. »Ihr werdet nicht aufhören. Das geht nicht mehr, nachdem Ihr einmal angefangen habt. Oh, Ihr könnt vielleicht Monate ohne den Versuch verbringen, die Macht zu lenken, aber Ihr werdet es wieder versuchen, und wieder, und jedes Mal wird sich die Gefahr für Euch erhöhen.« Mit einem Seufzen senkte sie die Hände. »Ihr seid viel zu alt für das Novizinnenbuch, aber das lässt sich nicht ändern. Wir werden Euch unterrichten müssen. Jedenfalls genug, damit Ihr wenigstens keine Gefahr darstellt.«

»Sie unterrichten?«, kreischte Teslyn und stemmte ihrerseits die Fäuste in die Hüften. »Ich sage, wir lassen sie sterben! Habt Ihr auch nur eine Vorstellung davon, wie mich diese Sul’dam behandelt haben, als ich ihre Gefangene war?«

»Nein, da Ihr nie Einzelheiten erzählt habt, außer darüber zu jammern, wie schrecklich es war«, erwiderte Joline trocken, um dann energisch hinzuzufügen: »Aber ich werde keine Frau sterben lassen, wenn ich es verhindern kann.«

Das war natürlich nicht das Ende. Edesina stellte sich auf Jolines Seite, genau wie Frau Anan, so als hätte sie das gleiche Recht zu sprechen wie eine Aes Sedai.

Unbegreiflicherweise schlossen sich Bethamin und Seta Teslyn an, bestritten jeden Wunsch zu lernen, wie man die Macht lenkte, fuchtelten mit den Händen herum und argumentierten genauso laut wie alle anderen. Klugerweise nutzte Mat die Gelegenheit, sich aus dem Wagen zu stehlen und leise die Tür hinter sich zuzuziehen. Unnötig, sie an ihn zu erinnern. Die Aes Sedai würden es bald genug tun. Wenigstens musste er sich keine Sorgen mehr darüber machen, wo die verdammten A’dam waren und ob die Sul’dam versuchen würden, sie erneut zu benutzen. Das war endgültig und für alle Zeiten erledigt.

Er behielt Recht, was Blaeric und Fen betraf. Sie warteten an der letzten Stufe, und ihre Gesichter glichen Gewitterwolken. Ohne jeden Zweifel wussten sie genau, was mit Joline geschehen war. Aber wie sich herausstellte, nicht, wer die Schuld trug.

»Was ist da drin passiert, Cauthon?«, wollte Blaeric mit einem durchdringenden Blick wissen. Er war der etwas Größere der beiden, hatte seinen schienarischen Haarknoten abrasiert und war nicht über die kurzen Haare erfreut, die seinen Kopf bedeckten.

»Habt Ihr damit zu tun gehabt?«, fragte Fen kalt.

»Wie könnte ich?«, erwiderte Mat und kam die Stufen herunter, als hätte er keine Sorge auf der Welt. »Sie ist eine Aes Sedai, falls Ihr das nicht wissen solltet. Wenn Ihr wissen wollt, was passiert ist, dann schlage ich vor, dass Ihr sie fragt. Ich bin nicht so dumm, darüber zu sprechen. Aber ich würde sie nicht sofort fragen. Sie streiten sich noch immer. Ich habe die Gelegenheit genutzt, mich zu verdrücken, solange das noch mit heiler Haut ging.«

Vielleicht nicht die beste Wortwahl. Die Gesichter der beiden Behüter wurden noch finsterer, falls das überhaupt möglich war. Aber sie ließen ihn gehen, ohne dass er nach seinen Messern greifen musste. Immerhin etwas. Und keiner von ihnen schien es eilig zu haben, den Wagen zu betreten. Stattdessen machten sie es sich auf den Stufen bequem, um zu warten, Narren, die sie waren. Er bezweifelte, dass Joline ihnen viel erzählen würde, aber sie würde vielleicht ihre Wut an ihnen auslassen, weil sie Bescheid wussten. Er an ihrer Stelle hätte Arbeiten gefunden, die ihn von dem Wagen fern hielten… so einen oder zwei Monate. Das hätte vielleicht geholfen. Jedenfalls ein bisschen. Bei einigen Dingen hatten Frauen ein langes Gedächtnis. Er selbst würde Joline fortan im Auge behalten müssen. Aber das war es wert gewesen.

Da die Seanchaner auf der anderen Straßenseite kampierten und sich Aes Sedai stritten und Frauen die Macht lenkten, als hätten sie noch nie von den Seanchanern gehört, und die Würfel in seinem Kopf klapperten, konnte ihn nicht einmal die Tatsache beruhigen, dass er am Abend gegen Tuon zwei Partien Steine gewann. Er ging mit dem Würfellärm in seinem Schädel schlafen — auf dem Boden, da Domon mit dem zweiten Bett dran war; Egeanin bekam immer das andere —, aber er war davon überzeugt, dass der nächste Tag besser sein musste als der vergangene. Nun, er hatte nie behauptet, immer Recht zu behalten. Er wünschte sich nur, er würde sich nicht so oft irren.

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