Auf der Rückfahrt von der Ciderfarm mussten sie hinter einem Reisebus einherschleichen, und darum brauchten sie wesentlich länger nach Casvelyn, als Bea angenommen hatte. Unter anderen Umständen hätte sie das nicht nur ungeduldig gestimmt, sodass sie aggressiv und unter Aufbietung ihrer schlechtesten Manieren die Hupe malträtiert hätte, sondern auch leichtsinnig: Ohne lange zu zögern, hätte sie versucht, den Bus auf der engen Straße zu überholen. Doch jetzt gab die Verzögerung ihr Gelegenheit zum Nachdenken, und es war der unkonventionelle Lebensstil der Frau, die sie gerade vernommen hatten, der sie beschäftigte. Sie fragte sich indes nicht nur, inwieweit dieser Lebensstil mit ihrem Fall in Zusammenhang stand, sondern sie bestaunte ihn auch. Und sie stellte fest, dass sie damit nicht allein war, denn Detective Sergeant Havers brachte das Thema schließlich zur Sprache.
»Sie ist ein ganz schönes Luder. Das muss man ihr lassen.«
Bea sah, dass Sergeant Havers sich nach ihrem Gespräch mit Aldara Pappas nach einer Zigarette sehnte. Sie hatte ihre Players-Schachtel aus der Handtasche gefischt und rollte nun eine Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger, als hoffte sie, das Nikotin über die Haut zu absorbieren. Aber sie war klug genug, sie nicht anzuzünden.
»Ich muss sie beinah bewundern«, gestand Bea. »Soll ich ehrlich sein? Ich wäre für mein Leben gern genauso.«
»Wirklich? Sie haben's ja wohl faustdick hinter den Ohren, Detective! Haben Sie zu Hause einen Achtzehnjährigen im Kleiderschrank versteckt?«
»Es geht doch um Bindungen«, antwortete Bea. »Darum, wie es ihr gelingt, sie zu vermeiden.« Sie bedachte den Reisebus vor ihnen und seine schwarze Abgaswolke mit einem Stirnrunzeln. Dann bremste sie ab, um ein wenig auf Abstand zu gehen. »Bindungen scheinen sie nicht zu interessieren. Sie scheint sie nicht einmal ansatzweise zu brauchen.«
»Zu ihren Liebhabern, meinen Sie?«
»Ist das nicht das Schreckliche daran, eine Frau zu sein? Sie lassen sich mit einem Mann ein, gehen ein, was Sie für eine Bindung halten, und dann auf einmal — zack! — tut er irgendetwas, was Ihnen beweist: Trotz all der Sehnsüchte, Regungen und absurd romantischen Vorstellungen in Ihrem treuen Herzchen ist er nicht im Geringsten an Sie gebunden.«
»Persönliche Erfahrung?«, fragte Havers, und Bea fühlte ihren musternden Blick auf sich.
»In gewisser Weise«, räumte Bea ein.
»In welcher Weise?«
»Die Weise, die in Scheidung endet, weil eine unvorhergesehene Schwangerschaft die Lebensplanung des Ehemanns durcheinanderbringt. Wobei ich immer finde, dass das ein Oxymoron ist.«
»Was? Unvorhergesehene Schwangerschaft?«
»Nein: Lebensplanung. Und wie steht es mit Ihnen, Sergeant?«
»Ich halte mir all das vom Leib. Unvorhergesehene Schwangerschaften, Lebensplanung, Bindungen, das ganze Tamtam. Je mehr ich sehe und höre, umso überzeugter bin ich davon, eine Frau ist besser dran, wenn sie eine tiefe, bedeutungsvolle Liebesbeziehung mit einem Vibrator eingeht. Und sich möglicherweise eine Katze hält, aber nur möglicherweise. Es ist immer nett, abends zu einem Lebewesen nach Hause zu kommen, obwohl es notfalls auch eine Schusterpalme tut.«
»Weise Worte«, räumte Bea ein. »Das erspart einem jedenfalls dieses ewige Männlich-Weiblich-Theater mit all seinen Missverständnissen und destruktiven Tendenzen. Aber ich glaube, letztlich läuft alles auf Bindung hinaus. Dieses Problem, das wir mit Männern zu haben scheinen. Frauen binden sich, Männer nicht. Das ist biologisch begründet, und wir wären vermutlich alle besser dran, wenn wir es fertig brächten, in Herden oder Rudeln oder so zu leben. Ein Männchen, das an einem Dutzend Weibchen herumschnüffelt, und die Weibchen akzeptieren das als Normalität.«
»Sie brüten, während er… was tut? Einen Kadaver zum Frühstück heimschleift?«
»Sie sind eine Gemeinschaft von Schwestern. Er nur Zierrat. Er erfüllt ihre Bedürfnisse, aber die Bindung gehen sie untereinander ein.«
»Das ist mal ein Gedanke…«, stimmte Havers zu.
»Aber wirklich.«
Der Reisebus blinkte und bog ab, sodass die Straße endlich frei war. Bea beschleunigte. »Nun, Aldara scheint das Mann-Frau-Problem jedenfalls gelöst zu haben. Das Mädchen bindet sich nicht. Für den Fall, dass doch eine Bindung droht, wird einfach ein Zweitmann angeschafft. Und vielleicht gleich auch noch Nummer drei oder vier.«
»Die Umkehr der Herdenidee.«
»Wirklich bewundernswert.«
Den Rest der Fahrt hingen sie dieser Idee schweigend nach und gelangten schließlich zur Princes Street und der Redaktion des Watchman. Dort konferierten sie kurz mit einer Empfangsdame und Sekretärin in Personalunion, die zu Beas Frisur bemerkte: »Super! Das ist genau die Farbe, die meine Großmutter auch haben will. Verraten Sie mir den Namen?«, was nicht gerade dazu führte, dass Detective Inspector Hannaford sie ins Herz schloss. Doch die junge Frau eröffnete ihnen bedenkenlos, dass Max Priestley sich mit jemandem namens Lily am St. Mevan Down befand, und wenn sie ihn sprechen wollten, müssten sie nur "eben um die Ecke und den Hügel rauf" gehen.
Bea und Havers machten sich auf den Weg zum höchsten Punkt der Stadt, wo eine etwa dreieckige Fläche aus Strandhafer und wilder Möhre von einer Straße durchschnitten wurde, die von der Stadtmitte in Richtung Sawsneck führte. Hier hatten an der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert die oberen Zehntausend aus den Großstädten die Sommerfrische in einer Reihe nobler Hotels verbracht, die inzwischen ziemlich heruntergekommen aussahen.
Lily entpuppte sich als eine Golden-Retriever-Hündin, die übermütig durch das hohe Gras tollte und mit großem Entzücken einem Tennisball nachjagte, den ihr Herrchen mittels eines Tennisschlägers so weit ins Gelände schlug, wie er konnte. Sobald Lily den Ball aus dem üppigen Gesträuch geholt hatte, legte sie ihn einladend zurück auf den Schläger. Der Mann trug eine gewachste grüne Jacke und Gummistiefel, eine Schirmmütze auf dem Kopf, die bei jedem anderen lächerlich ausgesehen hätte — das manifestierte Klischee des Landmanns, aber seltsamerweise ließ sie Max Priestley eher wie ein Model aus der Country Life wirken. Es war der Mann selbst, der dies zustande brachte. Die Bildunterschrift unter seinem Country-Life-Foto hätte vermutlich gelautet: auf herbe Weise gut aussehende — Bea verstand auf den ersten Blick, wieso Aldara Pappas ihn anziehend fand.
Auf dem Hügel war es windig, und außer Max Priestley war niemand dort. Er feuerte seine Hündin an, die jedoch kaum Ermunterung zu brauchen schien, auch wenn sie heftiger keuchte, als für ein Tier in ihrem Alter und ihrer Verfassung gut sein konnte.
Bea ging geradewegs auf Priestley zu, und Havers folgte ihr über die Trampelpfade im Gras. In den zahlreichen Vertiefungen hatten sich große Regenwasserpfützen gesammelt. Keine der Frauen trug die richtigen Schuhe für dieses Gelände, aber Sergeant Havers' knöchelhohe Turnschuhe waren allemal besser geeignet als Beas Pumps. Sie fluchte, als ihr Fuß in eine versteckte Pfütze tauchte.
»Mr. Priestley?«, rief sie, sobald sie in Hörweite waren. »Können wir Sie kurz sprechen?« Sie griff nach ihrem Dienstausweis.
Sein Blick schien auf ihrem feurigen Haar zu verharren. »Sie müssen Detective Inspector Hannaford sein«, sagte er. »Mein Reporter hat alle relevanten Informationen von Ihrem Sergeant Collins erhalten, der offenbar einigen Respekt vor Ihnen hat. Und das ist Scotland Yard?«, fügte er mit einem Blick auf Havers hinzu.
»Beides korrekt«, bestätigte Bea. »Detective Sergeant Havers.«
»Ich muss dafür sorgen, dass Lily in Bewegung bleibt, während wir reden. Wir arbeiten an ihrem Gewicht. An der Gewichtsreduktion, um genau zu sein. Gewichtszunahme war für sie noch nie ein Problem. Zu den Mahlzeiten erscheint sie pünktlich wie ein Uhrwerk. Und ich war seit jeher unfähig, diesen Augen zu widerstehen.«
»Ich habe selbst Hunde«, sagte Bea.
»Dann wissen Sie ja, wie es ist.« Er schlug den Ball rund fünfzig Meter weit, und Lily setzte ihm mit einem begeisterten Bellen nach. »Ich nehme an, Sie sind wegen Santo Kerne hier. Ich habe damit gerechnet, dass Sie früher oder später zu mir kommen. Wer hat Ihnen meinen Namen genannt?«
»Ist das denn wichtig?«
»Es kann nur Aldara oder Daidre gewesen sein. Niemand sonst wisse davon, hat Santo behauptet. Das Nichtwissen der Welt im Allgemeinen verhindere, dass mein Ego Schaden nähme, hat er freundlicherweise ausgeführt, falls mein Ego dazu neigte, Schaden zu nehmen. Reizend von ihm, nicht wahr?«
»Tammy Penrule wusste es auch, wie sich herausgestellt hat«, eröffnete Bea ihm. »Jedenfalls wusste sie es teilweise.«
»Wirklich? Also hat Santo mich angelogen. Unglaublich. Wer hätte von so einem Pfundskerl Unaufrichtigkeit erwartet? Hat Tammy Penrule Ihnen meinen Namen gegeben?«
»Nein. Nicht Tammy.«
»Also Daidre oder Aldara. Und von den beiden ist Aldara die wahrscheinlichere Kandidatin. Daidre ist ein stilles Wasser.«
Er war so gelassen in dieser ganzen Sache, dass Bea einen Augenblick verdutzt war. Sie hatte im Laufe der Zeit gelernt, keine Erwartungen über den Hergang einer Vernehmung zu hegen, aber sie war nicht auf die Gleichgültigkeit gefasst, die Max Priestley so freigebig an den Tag legte, obwohl ein achtzehnjähriger Bengel ihn zum Hahnrei gemacht hatte. Bea sah zu Sergeant Havers, die ihrerseits Priestley studierte. Sie hatte die Gelegenheit ergriffen, sich mit ihrem Plastikfeuerzeug eine Zigarette anzustecken, und sie verengte die Augen gegen den Qualm, während sie das Gesicht des Mannes betrachtete.
Es wirkte offen, der Ausdruck sympathisch. Aber der sarkastische Tonfall war unüberhörbar gewesen. Nach Beas Erfahrung bedeutete seine Art von Offenheit entweder, dass seine Wunden wirklich tief saßen oder dass er nur das erfahren hatte, was er früher einmal selbst jemand anderem angetan hatte. Allerdings gab es in dieser konkreten Situation noch eine dritte Alternative, die sie in Betracht ziehen musste: den Versuch eines Mörders, seine Fährte durch vorgetäuschte Gelassenheit zu verwischen. Doch ihr kam diese Alternative im Moment nicht sehr wahrscheinlich vor, und Bea konnte nicht recht sagen, warum. Sie hoffte nur, es hatte nichts mit seinem Magnetismus zu tun. Bedauerlicherweise war er ein Bild von einem Kerl.
»Wir würden gern mit Ihnen über Ihre Beziehung zu Aldara Pappas sprechen«, bestätigte Bea. »Sie hat uns ein paar Brocken hingeworfen. Wir interessieren uns für Ihre Sichtweise der Affäre.«
»Und dafür, ob ich Santo umgebracht habe, als ich herausgefunden hatte, dass er es mit meiner Freundin trieb?«, formulierte er für sie. »Die Antwort lautet Nein. Aber damit haben Sie sicher gerechnet, nicht wahr? Dass ich das sage. Der Durchschnittsmörder kommt wohl eher selten mit einem Geständnis daher.«
»Das ist meiner Erfahrung nach leider der Fall.«
»Lily!«, brüllte Priestley plötzlich und sah stirnrunzelnd in die Ferne. Am anderen Ende des Hügels war ein weiterer Hundebesitzer aufgetaucht. Das war Priestleys Retriever nicht entgangen, und Lily stob in dessen Richtung davon. »Verdammter Köter«, murmelte er, und dann: »Lily! Fuß!« Doch sein Hund ignorierte ihn vollkommen. Er seufzte und sah wieder zu Bea und Havers. »Und das, wo ich doch einmal so eine glückliche Hand mit Frauen hatte.«
Die Überleitung war so gut wie jede andere. Bea fragte: »Aber bei Aldara hat sie Sie im Stich gelassen?«
»Zu Anfang nicht. Erst in dem Moment, als mir klar wurde, dass ihr Zauber stärker war als meiner. Und dann…« Ein beinah schelmisches Lächeln überflog sein Gesicht. »Ich habe eine Portion meiner eigenen Medizin verabreicht bekommen, wie man so schön sagt, und sie hat mir nicht geschmeckt.«
Da sich das wie eine Eröffnung für weitere Enthüllungen anhörte, zückte Sergeant Havers ihr Notizbuch und den Bleistift. Die Zigarette hing in ihrem Mundwinkel. Priestley sah all das, nickte und sagte: »Also schön, zum Teufel damit«, und begann, das Bild von seiner Beziehung zu Aldara Pappas zu vervollständigen.
Sie hatten sich auf einer Zusammenkunft von Unternehmern aus Casvelyn und Umgebung kennengelernt. Er war dort gewesen, um über das Treffen zu berichten, und die Unternehmer, um Ideen zur Tourismusförderung außerhalb der Hauptsaison auszutauschen. Aldara war einfach eine andere Klasse gewesen als die Surfshop-Betreiber und kleinen Hoteliers und Gastwirte — unmöglich, sagte er, sie nicht zur Kenntnis zu nehmen.
»Ihre Geschichte war interessant«, fuhr Priestley fort. »Eine geschiedene Frau, die sich eine heruntergekommene Apfelplantage ans Bein hängt und daraus eine florierende Touristenattraktion macht. Ich wollte eine Story über sie bringen.«
»Bloß eine Story?«
»Zunächst ja. Ich bin Journalist. Ich bin immer auf der Suche nach Storys.«
Bei der Unternehmerversammlung hatten sie sich unterhalten und später auch noch. Man verabredete sich. Obwohl er auch seinen Redakteur hätte schicken können, um die Fakten zusammenzutragen, fuhr er selbst hin. Er fühlte sich zugegebenermaßen angezogen von ihr.
»Also war der Artikel nur ein Vorwand?«, fragte Bea.
»Ich wollte ihn schreiben. Das habe ich später sogar getan.«
»Nachdem Sie sie ins Bett gekriegt hatten?«, fragte Havers.
»Immer eines nach dem anderen«, erwiderte Priestley.
»Und das heißt…?« Bea zögerte, und dann ging ihr ein Licht auf. »Ah. Sie sind gleich beim ersten Mal mit ihr in die Kissen gesunken? Am Tag, als Sie hingefahren sind, um sie zu interviewen. Ist das Ihr üblicher Modus Operandi, Mr. Priestley, oder war das etwas Besonderes für Sie?«
»Wir fühlten uns zueinander hingezogen«, erklärte Priestley. »Es war unglaublich intensiv. Unmöglich zu ignorieren.« Ein Romantiker hätte das, was zwischen ihm und Aldara Pappas geschehen war, wohl Liebe auf den ersten Blick genannt, meinte er; ein Analytiker der Liebe womöglich Kathexis.
»Und wie nannten Sie es?«, fragte Bea.
»Liebe auf den ersten Blick.«
»Also sind Sie ein Romantiker?«
»Es sah ganz danach aus, als wäre ich zu einem geworden.«
Seine Retriever-Hündin kam wieder angerannt. Nach einer eingehenden Untersuchung der Körperöffnungen des anderen Hundes war sie nun bereit für eine weitere Runde mit dem Tennisball. Priestley schlug ihn mit Schwung ans Ende des Plateaus.
»Und damit hatten Sie nicht gerechnet?«
»Niemals.« Er beobachtete seinen Hund einen Moment, ehe er sich wieder den beiden Frauen zuwandte. »Vor Aldara war ich mein Leben lang ein Spieler gewesen. Ich hatte nie die Absicht gehabt, mich einfangen zu lassen, und um das zu verhindern…«
»Was? Ehe und Kinder?«
»… hatte ich immer mehr als eine Frau.«
»Genau wie sie«, bemerkte Havers.
»Mit einem großen Unterschied. Ich hatte zwei oder drei. Einmal waren es auch vier. Aber sie wussten immer voneinander. Ich war von Anfang an ehrlich zu ihnen.«
»Da haben Sie's, Inspector«, sagte Havers beinah triumphierend zu Bea. »Manchmal funktioniert es also doch. Er hat ihnen den Kadaver zum Frühstück gebracht.«
Priestley war verwirrt. Bea hakte nach. »Aber im Fall von Mrs. Pappas?«
»Sie war wie keine andere, die ich je hatte. Es war nicht nur der Sex. Es war alles an ihr. Ihre Intensität, ihre Intelligenz, die Tatkraft, die Selbstsicherheit, die Zielstrebigkeit. An ihr gibt es nichts Jämmerliches, Schwaches oder Weiches. Nichts Manipulatives. Kein subtiles Manövrieren. Keine Zweideutigkeit, keine missverständlichen oder verwirrenden Signale. Nichts an ihrem Verhalten, das gelesen oder interpretiert werden müsste. Aldara ist wie ein Mann im Körper einer Frau.«
»Mir fällt auf, dass Sie Aufrichtigkeit nicht als eine ihre Eigenschaften aufgezählt haben«, warf Bea ein.
»Richtig«, antwortete er. »Das war mein Fehler.«
Er hatte begonnen zu glauben, mit Aldara Pappas hätte er endlich die eine für sein Leben gefunden. Er hatte nie an Hochzeit gedacht. Er hatte nie heiraten wollen. Er hatte genug von der Ehe seiner Eltern gesehen, um niemals so leben zu wollen wie sie: unfähig, miteinander auszukommen, ihre Differenzen zu überwinden oder sich zu trennen. Sie waren nie in der Lage gewesen, irgendeine ihrer Optionen zu nutzen. Sie hatten nicht einmal begriffen, dass sie überhaupt Optionen hatten. Priestley hatte so ein Leben nicht führen wollen, und das hatte er auch nie getan.
»Aber mit Aldara war es anders«, erklärte er. »Sie hatte eine furchtbare erste Ehe. Ihr Mann war ein Dreckskerl, der ihr eingeredet hat, sie wäre unfruchtbar, als sie keine Kinder bekamen. Er hat behauptet, er habe jeden nur denkbaren Test gemacht und sei nachweislich zeugungsfähig. Er ließ sie die Ärzte abklappern und alle möglichen Behandlungen durchführen, während er die ganze Zeit über Nieten abschoss. Nach den Jahren mit ihm hatte sie die Nase voll von Männern, aber ich habe sie umgestimmt. Ich wollte, was sie wollte, was immer das sein würde. Heiraten? Bitte sehr. Kinder kriegen? Warum nicht. Eine Schimpansenherde? Ich in Nylons und Tutu? Ich wäre zu allem bereit gewesen.«
»Es hatte Sie ordentlich erwischt«, bemerkte Sergeant Havers und sah von ihrem Notizbuch auf. Sie klang fast schon ein bisschen mitfühlend, und Bea fragte sich, ob die glückliche Hand mit Frauen, die der Mann für sich in Anspruch nahm, sich soeben bemerkbar machte.
»Es war das Feuer«, sagte Priestley. »Es ging niemals aus zwischen uns, und ich sah keinerlei Anzeichen, dass es je zu verlöschen drohte. Dann habe ich herausgefunden, warum das so war.«
»Santo Kerne«, sagte Bea. »Ihre Affäre mit ihm fachte ihr Feuer für Sie immer neu an. Nervenkitzel. Heimlichkeit.«
»Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Ich geriet ins Trudeln. Er kam zu mir und hat mir alles erzählt. Weil sein Gewissen ihn plagte, hat er gesagt.«
»Aber das haben Sie ihm nicht geglaubt.«
»Seine Gewissensbisse? Nie und nimmer. Sein Gewissen bewog ihn ja auch nicht dazu, es seiner Freundin zu sagen. Um sie gehe es nicht, hat er daraufhin gesagt, denn er habe nicht die Absicht, wegen Aldara mit ihr Schluss zu machen. Ich solle mir also keine Sorgen machen, dass er — Santo — mehr von Aldara wolle, als sie zu geben bereit sei. Zwischen ihnen sei nur Sex. "Sie sind ihre Nummer eins", versicherte er mir. "Ich fülle nur eine Lücke aus."«
»Darin war er gut, ja?«, fragte Havers.
»Ich bin nicht mehr lange genug geblieben, um es herauszufinden. Ich habe Aldara angerufen und Schluss gemacht.«
»Haben Sie ihr gesagt, warum?«
»Ich nehme an, sie ist von selbst dahintergekommen. Entweder das, oder Santo war so ehrlich zu ihr wie zu mir. Womit Aldara selbst ein Motiv hätte, ihn umzubringen, wenn ich so darüber nachdenke, oder?«
»Spricht da Ihr Ego, Mr. Priestley?«
Priestley lachte auf. »Glauben Sie mir, Inspector, von meinem Ego ist nicht mehr allzu viel übrig.«
»Wir brauchen Ihre Fingerabdrücke. Sind Sie gewillt, sie uns zu geben?«
»Fingerabdrücke, Zehenabdrücke und was immer Sie sonst noch von mir wollen. Ich habe nichts zu verbergen, vor niemandem.«
»Das ist klug von Ihnen.« Bea nickte Havers zu, die ihr Notizbuch zuklappte. Dann bat sie den Zeitungsmann, zur Polizeiwache zu kommen, wo man ihn erkennungsdienstlich behandeln werde. »Nur aus Neugier«, fragte sie schließlich. »Haben Sie Santo Kerne ein blaues Auge verpasst?«
»Das hätte ich nur zu gern getan«, gestand er. »Aber ehrlich gesagt, fand ich nicht, dass er die Mühe wert war.«
Die Strategie, die Jago Cadan empfahl, war, ein Gespräch von Mann zu Mann zu führen. Wenn Cadan räumliche Distanz zu Dellen Kerne wollte, gab es nur einen Weg, das zu erreichen, nämlich Lew Angarrack ins Auge zu blicken. Sie hatten reichlich Arbeit bei LiquidEarth, sodass Jago in dieser Hinsicht nicht bei Cadans Vater würde eintreten müssen. Alles, was nötig war, sagte er, sei eine ehrliche Aussprache, in deren Verlauf Fehler eingeräumt, Entschuldigungen ausgesprochen und Besserung gelobt wurden.
Es klang so einfach, wie Jago es darstellte. Cadan brannte darauf, den Plan sogleich in die Tat umzusetzen. Das einzige Problem war, dass Lew Surfen gegangen war. »Die Wellen vor Widemouth Bay sind gut heute«, erklärte Jago Cadan. Also musste er auf die Rückkehr seines Vaters warten oder selbst hinaus nach Widemouth Bay fahren und ihn dort abfangen, wenn er vom Surfen zurückkam. Letzteres klang nach einer großartigen Idee, zumal Lews Laune nach dem Surfen voraussichtlich gut sein würde, was Cadan — so hoffte er zumindest — die Sache erleichterte.
Jago lieh ihm bereitwillig seinen Wagen. »Fahr ja anständig«, mahnte er, überreichte ihm die Schlüssel, und Cadan machte sich auf den Weg. Da er keinen Führerschein bei sich trug und Jagos Vertrauen nicht enttäuschen wollte, fuhr er extrem vorsichtig. Die Hände auf zwei und zehn Uhr, den Blick konzentriert nach vorn gerichtet oder im Spiegel, gelegentlich auch auf dem Tacho.
Widemouth Bay lag etwa fünf Meilen südlich von Casvelyn die Küste entlang. Flankiert von bröseligen Sandsteinklippen, war sie genau das, was ihr Name besagte: eine breite Bucht, zugänglich von einem großen Parkplatz gleich an der Küstenstraße. Kein nennenswertes Städtchen in der Nähe, nur ein paar Sommerhäuschen, die über den Hügeln jenseits der Straße verstreut lagen, und die einzigen Geschäfte, die den Bewohnern, den Surfern und übrigen Touristen zur Verfügung standen, waren ein Imbiss, der nur in der Saison geöffnet hatte, und ein Laden, der Bodyboards, Surfbretter und Neoprenanzüge vermietete.
Im Sommer war in der Bucht der Teufel los. Anders als viele andere Buchten in Cornwall war sie nicht schwer zu erreichen. Darum zog sie Tagesausflügler zu Hunderten an, Urlauber ebenso wie Einheimische. Außerhalb der Saison gehörte sie allein den Surfern, die herbeiströmten, wenn die Flut etwa halb angestiegen war, der Wind von Osten kam und die Wellen sich auf dem Riff zur Rechten brachen.
An diesem Tag waren die Bedingungen exzellent und die Wellen etwa zwei Meter hoch. Darum war der Parkplatz voll und die Warteschlange der Surfer lang. Trotzdem entdeckte Cadan seinen Vater gleich, als er den Wagen abstellte. Lew surfte so, wie er die meisten Dinge tat: allein.
Es war ohnehin ein einsamer Sport, aber Lew brachte es fertig, ihn noch einsamer erscheinen zu lassen. Er hatte sich von den restlichen Surfern entfernt, war weiter draußen, zufrieden damit, auf die Wellen zu warten, die sich in dieser Entfernung zum Riff seltener erhoben. Wenn man ihn so sah, hätte man meinen können, er verstünde nichts von diesem Sport, denn es wäre doch gewiss besser, er würde bei den anderen Surfern warten, dort wo die Wellen sich einigermaßen regelmäßig brachen. Aber das war nicht seine Art, und wenn eine Welle kam, die ihm gefiel, paddelte er mit minimalem Aufwand und dreißig Jahren Erfahrung und stieg schließlich mühelos auf ihre Schulter.
Die anderen beobachteten ihn. Er ließ sich elegant hineinfallen, glitt über die grüne Wasserwand hinab, carvte dann zurück in Richtung Barrel, und immer wenn es so aussah, als würde er den Bogen jeden Moment überspannen und stürzen, wusste er intuitiv, wann er wieder carven musste, und so gehörte die Welle ihm allein.
Cadan brauchte keine Anzeigetafel mit Punkteständen und auch keinen Sportkommentator, um zu wissen, dass sein Vater gut war. Lew sprach nicht oft darüber, aber als junger Mann war er Wettkampfsurfer gewesen und hatte davon geträumt, um die Welt zu ziehen und Erfolge zu feiern, ehe das Miststück ihn mit zwei kleinen Kindern hatte sitzen lassen. Da war Lew gezwungen gewesen, seine Pläne zu beerdigen. Allein LiquidEarth verband ihn noch mit seinem alten Leben. Nachdem er früher seine eigenen Bretter gebaut hatte, baute er nun Bretter für all die anderen, die quasi stellvertretend für ihn um die Welt vagabundierten. Es musste schwer für seinen Vater gewesen sein, seinen Lebenstraum aufzugeben, erkannte Cadan, und er fragte sich, warum er nie zuvor darüber nachgedacht hatte.
Als Lew aus dem Wasser kam, wartete Cadan bereits auf ihn. Er hatte ein Handtuch aus dem RAV4 geholt und hielt es seinem Vater wortlos hin. Lew lehnte sein Shortboard an den Wagen und nahm das Handtuch mit einem Nicken entgegen. Dann zog er die Kapuze ab und rubbelte sich die Haare trocken, ehe er sich aus dem Neoprenanzug zu schälen begann. Er hatte seinen Winteranzug gewählt, sah Cadan. Es würde noch zwei Monate dauern, ehe das Wasser sich erwärmte.
»Was machst du hier, Cadan?«, fragte Lew schließlich. »Und wie bist du hierhergekommen? Müsstest du nicht bei der Arbeit sein?« Er streifte den Anzug von den Beinen und wickelte sich das Handtuch um die Hüften. Aus dem Wagen holte er sich ein T-Shirt und dann ein Sweatshirt mit dem Logo von LiquidEarth. Erst als er beides übereinander angezogen hatte, stieg er umständlich aus der Badehose. Er schwieg, bis er vollständig angezogen war und seine Ausrüstung hinten im Auto verstaut hatte. Dann wiederholte er seine Fragen: »Was machst du hier, Cadan? Wie bist du hergekommen?«
»Jago hat mir seinen Wagen geliehen.«
Lew sah sich auf dem Parkplatz um und entdeckte den Defender. »Ohne Führerschein«, bemerkte er.
»Ich bin vorsichtig gefahren. Wie eine Nonne.«
»Darum geht es nicht. Und wieso bist du nicht bei der Arbeit? Bist du rausgeflogen?«
Cadan hatte nicht damit gerechnet, aber er fühlte die plötzliche Wut in sich aufwallen, die stets das einzig verlässliche Ergebnis seiner Unterhaltungen mit Lew zu sein schien. Ohne zu bedenken, wohin es führen würde, sagte er: »War ja klar, dass du das denkst.«
»Deine Vergangenheit legt den Schluss nahe.« Lew ging um Cadan herum und nahm das Board in beide Hände. Auf der anderen Seite des Parkplatzes gab es Duschen, und dort hätte er das Salzwasser von seiner Ausrüstung spülen können, aber das würde er zu Hause nachholen, weil er es dort gründlicher würde tun können, was mehr seiner Neigung entsprach. Und Cadan schien es, als sei ebendas seine Neigung, nicht etwa der weise Rat eines anderen entscheidend für alles, was sein Vater tat.
»Zufällig bin ich nicht rausgeflogen«, stellte Cadan klar. »Ich hab da sogar einen verdammt guten Job gemacht.«
»Verstehe. Gratuliere. Also, was führt dich dann hierher?«
»Ich bin gekommen, um mit dir zu reden. Jago hat mir gesagt, dass du hier bist. Und mir seinen Wagen angeboten, nebenbei bemerkt, ich habe ihn nicht darum gebeten.«
»Und worüber willst du mit mir reden?« Lew knallte die Hecktür des RAV4 zu. Von der Fahrerseite aus durchwühlte er eine Papiertüte und brachte ein Sandwich in einer Plastikverpackung zum Vorschein. Er zog die Folie auf und nahm eine Hälfte heraus. Die andere bot er Cadan an.
Cadan wertete es als Friedensangebot. Er schüttelte den Kopf, bedankte sich aber. »Darüber, dass ich zu LiquidEarth zurückkommen möchte«, antwortete er dann. »Wenn du mich nimmst«, fügte er als seinen Friedensbeitrag hinzu. Sein Vater war derjenige, der in dieser Situation die Oberhand hatte, und Cadan wusste, es war an ihm, diese Tatsache anzuerkennen.
»Cadan, du hast mir doch gerade gesagt…«
»Ich weiß, was ich gesagt habe. Aber ich würde lieber für dich arbeiten.«
»Warum? Was ist passiert? Gefällt es dir bei Adventures Unlimited nicht mehr?«
»Es ist gar nichts passiert. Ich tue nur, was du immer von mir wolltest: Ich denke an die Zukunft.«
Lew blickte auf die See hinaus, wo die Surfer geduldig auf die nächste gute Welle warteten. »Ich nehme an, du hast irgendeinen Plan?«
»Du brauchst einen Lackierer«, antwortete Cadan.
»Ich brauche vor allen Dingen einen Shaper. Der Sommer steht kurz bevor. Wir kommen mit unseren Aufträgen kaum nach. Wir konkurrieren mit diesen Hohlkernbrettern, aber was wir ihnen voraushaben, ist…«
»Dass wir individuelle Bedürfnisse berücksichtigen können, ich weiß. Aber Teil dieser Bedürfnisse ist die künstlerische Gestaltung, oder? Wie die Boards aussehen, gehört genauso dazu wie die Form. Das könnte ich übernehmen. Darin bin ich gut. Ich kann nicht shapen, Dad.«
»Du könntest es lernen.«
An diesem Punkt kamen sie letztlich immer wieder heraus: was Cadan wollte einerseits, was Lew glaubte andererseits. »Ich hab's versucht. Ich habe mehr Blöcke versaut, als ordentliche Bretter zu formen, und das kann dir doch nicht recht sein. Das ist Zeitverschwendung und Verschwendung von Geld.«
»Du musst es aber lernen. Es ist Teil des Herstellungsprozesses, und wenn du den nicht lernst…«
»Scheiße, du hast Santo doch auch nicht gezwungen, den ganzen Herstellungsprozess zu lernen. Warum musste er es nicht von der Pike auf lernen, so wie du's von mir verlangst?«
Lew sah Cadan direkt in die Augen. »Weil ich das verdammte Geschäft nicht für Santo aufgebaut habe«, gab er leise zurück. »Sondern für dich. Aber wie zum Teufel soll ich es dir irgendwann guten Gewissens hinterlassen, wenn du die Abläufe nicht begreifst?«
»Dann lass mich doch zuerst lackieren, bis ich das richtig beherrsche, und dann lerne ich das Shapen.«
»Nein«, entgegnete Lew. »So funktioniert es nicht.«
»Herrgott noch mal, was spielt es für eine Rolle, wie es funktioniert?«
»Wir tun es auf meine Art, Cadan, oder wir tun es gar nicht.«
»So war's schon immer bei dir. Fragst du dich je, ob du dich vielleicht mal irrst?«
»Nicht bei dieser Sache. Jetzt steig ein. Ich fahr dich zurück in die Stadt.«
»Ich hab doch…«
»Ich erlaube nicht, dass du Jagos Wagen fährst, Cadan. Dein Führerschein ist weg…«
»Weil du ihn mir abgenommen hast.«
»… und bis du mir nicht beweist, dass du verantwortungsvoll genug bist, um…«
»Vergiss es! Verfluchte Scheiße, Dad, vergiss es einfach!«
Cadan überquerte den Parkplatz mit langen Schritten und marschierte zu Jagos Auto hinüber. Sein Vater rief ihn mit scharfer Stimme zurück, doch Cadan ging weiter.
Fuchsteufelswild fuhr er los. Also schön, dachte er. Alles klar. Sein Vater wollte, dass er ihm etwas bewies, also würde er ihm etwas beweisen. Er würde es ihm zeigen, bis ihm die Puste ausging, und er wusste auch schon ganz genau, wo der richtige Ort war, um dies zu tun.
Auf dem Rückweg in die Stadt fuhr er mit wesentlich weniger Vorsicht. Er raste über die Brücke, die den Casvelyn Canal überspannte ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass er dem Gegenverkehr die Vorfahrt hätte gewähren müssen, was ihm zwei Finger vom Fahrer eines Kurierdienstes einbrachte, und am Ende der Küstenstraße schoss er in den Kreisverkehr, ohne darauf zu achten, ob der Weg frei war. Dann raste er den Hügel hinauf, über den St. Mevan Crescent und weiter zum alten King-George-Hotel. Als er Adventures Unlimited erreichte, war "wutschäumend" der beste Ausdruck, um seinen Zustand zu beschreiben.
Doch seine Gedanken beherrschte nur ein Wort: unfair. Lew war unfair. Das Leben war unfair. Die Welt war unfair. Seine gesamte Existenz wäre so viel einfacher, wenn andere Leute die Dinge nur so sehen wollten wie er. Aber das taten sie nie.
Er stieß die Tür zu dem alten Hotel mit etwas zu viel Schwung auf, sodass sie mit einem Donnern gegen die Wand schlug, das durch die ganze Rezeption hallte. Alan Cheston schoss aus seinem Büro. Er sah von der Tür zu Cadan und dann auf seine Armbanduhr.
»Solltest du nicht schon heute Morgen hier sein?«, fragte er.
»Ich hatte was zu besorgen«, gab Cadan zurück.
»Deine Besorgungen solltest du besser in der Freizeit erledigen, nicht während der Arbeitszeit.«
»Kommt nicht wieder vor.«
»Das will ich hoffen. Wir können uns keine Mitarbeiter leisten, die nicht zur vereinbarten Zeit erscheinen, Cadan. In einem Unternehmen wie diesem müssen wir uns auf jeden verlassen…«
»Ich hab doch gesagt, es kommt nicht wieder vor. Was willst du denn sonst noch? Eine in Blut geschriebene Garantieerklärung?«
Alan verschränkte die Arme. Er wartete einen Moment, ehe er antwortete, und während dieses Moments konnte Cadan das Echo seiner eigenen, eingeschnappten Stimme in seinem Kopf hören. »Du befolgst nicht gerne die Anweisungen eines Vorgesetzten, oder?«, bemerkte Alan.
»Niemand hat mir gesagt, dass du mein Vorgesetzter bist.«
»Das ist jeder hier. Bis du dich bewährt hast, bist du so etwas wie ein Komparse, wenn du mich verstehst.«
Cadan verstand ihn sehr wohl, aber er hatte die Nase gestrichen voll davon, sich bewähren zu müssen. In den Augen dieses Mannes, in den Augen seines Vaters oder in wessen Augen auch immer. Er wollte doch nur weiterkommen, aber nie ließ ihn irgendeiner gewähren. Diese Tatsache weckte das Bedürfnis in ihm, Alan Cheston gegen die erstbeste Wand zu schleudern. Er liebäugelte ernsthaft damit, es zu tun, dem Impuls zu folgen, ohne die Konsequenzen auch nur zu bedenken. Es würde sich so gut anfühlen.
Doch dann sagte er nur: »Scheiß drauf. Ich bin weg. Ich bin nur gekommen, um mein Zeug zu holen.« Er wandte sich zur Treppe.
»Hast du das Mr. Kerne schon mitgeteilt?«
»Das kannst du ja für mich erledigen.«
»Es wird kaum gut aussehen…«
»Ist mir scheißegal, wie das aussieht.« Er ließ Alan stehen, der ihm hinterherstarrte, die Lippen leicht geöffnet, als wollte er noch etwas sagen, als wollte er beispielsweise und völlig zu Recht darauf hinweisen, dass Cadans Habseligkeiten, falls er überhaupt je welche bei Adventures Unlimited zurückgelassen hatte, wohl kaum im Obergeschoss zu finden wären. Aber Alan sagte nichts, und sein Schweigen ließ Cackdan die Kontrolle, und das war einzig und allein, was er wollte.
Wahrscheinlich hatte er nichts bei Adventures Unlimited liegen gelassen. Nichts Privates, keine Ausrüstung, rein gar nichts. Aber er sagte sich, er wollte lieber jeden Raum einzeln überprüfen, in dem er während seiner kurzen Karriere bei den Kernes gearbeitet hatte. Denn man wusste schließlich nie, ob man nicht doch irgendwann etwas vergessen hatte, und nach der heutigen Szene wäre es ein bisschen peinlich, wenn er zurückkommen müsste, um abzuholen, was immer er liegen gelassen haben mochte…
Zimmer um Zimmer. Tür auf, kurzer Blick, Tür zu. Ein leises: »Hallo, ist hier jemand?«, als erwartete er, dass irgendein Gegenstand aus seinem vermeintlichen Besitz das Wort ergriff.
Im obersten Stock, wo die Familie wohnte, wurde er schließlich fündig. Er hätte auch auf direktem Wege hingelangen können, wenn er in der Stimmung gewesen wäre, ehrlich zu sich selbst zu sein, aber das war er nicht gewesen.
Sie war in Santos Zimmer. Jedenfalls nahm Cadan an, dass es Santos Zimmer war, denn an den Wänden hingen Surfposter, ein Einzelbett stand in der Ecke, auf einem Stuhl lag ein Stapel T-Shirts, und Dellen liebkoste ein Paar Turnschuhe, die sie im Schoß hielt.
Sie trug Schwarz Pulli und Hose und ein Band, das das blonde Haar zurückhielt. Sie hatte kein Make-up aufgelegt, und über ihre Wange verlief ein Kratzer. Ihre Füße waren nackt. Sie saß auf der Bettkante. Ihre Augen waren geschlossen.
»Hey«, sagte Cadan, wie er hoffte, mit sanfter Stimme.
Sie schlug die Augen auf. Ihr Blick war auf ihn fixiert, die Pupillen so geweitet, dass das Veilchenblau ihrer Iris fast nicht mehr zu sehen war. Mit einem dumpfen Poltern ließ sie die Turnschuhe zu Boden fallen. Dann streckte sie die Hand aus.
Er ging zu ihr und half ihr auf die Füße. Er sah, dass sie unter dem Pulli nichts anhatte. Ihre Brustwarzen waren riesig, rund und hart. Das brachte ihn in Wallung. Ausnahmsweise gestand er sich einmal die Wahrheit ein: Das hier war der Grund, warum er hergekommen war. Zur Hölle mit Jagos Ratschlägen und mit dem Rest der Welt.
Mit den Fingerspitzen fuhr er ihr über eine Brustwarze. Ihre Lider senkten sich, aber sie schloss sie nicht ganz. Er wusste, er konnte gefahrlos weitermachen. Mit einem Schritt verkleinerte er den Abstand zwischen ihnen. Eine Hand legte er auf ihre Hüfte, ließ sie nach unten gleiten und ihr Gesäß umschließen, während die andere blieb, wo sie war, und federleicht über ihre Haut strich. Dann neigte er den Kopf, um Dellen zu küssen. Ihr Mund öffnete sich willig unter dem seinen, und er zog sie näher, damit sie fühlen konnte, was sie fühlen sollte.
Als ihre Lippen sich lösten, sagte er: »Der Schlüssel, den du gestern hattest…«
Sie antwortete nicht. Er war sich sicher, dass sie wusste, wovon er sprach, denn ihr Mund hob sich seinem wieder entgegen.
Er küsste sie. Lange und heftig, bis er glaubte, seine Augen würden aus den Höhlen treten und seine Trommelfelle zerfetzen. Sein hämmerndes Herz brauchte mehr Platz, als sein Brustkorb bot, und er hatte den Verdacht, wenn es nicht bald ein neues Zuhause fand, würde er hier auf der Stelle tot umfallen. Er drängte sich an sie. Es fing an wehzutun.
Dann riss er sich von ihr los und sagte: »Die Strandhütte. Du hattest einen Schlüssel. Wir können nicht… hier.« Nicht in der Privatwohnung der Familie und ganz bestimmt nicht in Santos Zimmer. Das wäre irgendwie unanständig.
»Was können wir nicht?« Sie lehnte die Stirn an seine Brust.
»Du weißt schon. Gestern, als wir in der Küche waren, hattest du einen Schlüssel. Du hast gesagt, er sei für eine der Strandhütten. Lass uns dorthingehen.«
»Wozu?«
Wozu wohl? Was zum Teufel dachte sie denn? Gehörte sie zu der Sorte, die es ausgesprochen hören wollte? Das konnte sie haben. »Ich will dich ficken«, erklärte er. »Und du willst gefickt werden. Aber nicht hier. In der Strandhütte.«
»Warum?«
»Weil… Das liegt doch auf der Hand.«
»Wirklich?«
»Mein Gott, ja! Das hier ist Santos Zimmer, oder? Außerdem könnte sein Vater plötzlich reinschneien.« Er konnte sich nicht überwinden, "dein Mann" zu sagen. »Und wenn das passiert…« Das musste sie doch einsehen. Was war denn nur los mit ihr?
»Santos Vater«, wiederholte sie.
»Wenn er reinkommt, während wir…« Das hier war lächerlich. Er musste es ihr doch nicht erklären. Das wollte er auch nicht. Er war bereit, und er glaubte, sie wäre auch bereit, und über das ganze Wieso und Warum zu reden… Anscheinend war sie noch nicht heiß genug auf ihn. Er ging wieder auf sie zu. Dieses Mal presste er durch den Pullover die Lippen auf ihre Brustwarze, zog sacht mit den Zähnen, ließ einmal die Zunge vorschnellen. Dann zurück zu ihrem Mund. Er drückte sie an sich. Es war seltsam, dass sie so passiv blieb, aber spielte das denn eine Rolle? »Gott, hol diesen verdammten Schlüssel!«, murmelte er.
»Santos Vater«, sagte sie. »Er wird nicht kommen.«
»Woher willst du das so genau wissen?« Cadan betrachtete sie eingehender. Sie kam ihm irgendwie weggetreten vor, aber trotzdem fand er, sie müsste sich doch im Klaren darüber sein, dass sie sich im Zimmer ihres Sohnes, im Haus ihres Mannes befanden. Andererseits sah sie ihn gar nicht richtig an, und er war sich auch nicht sicher, ob sie ihn wirklich erkannt — seine Anwesenheit zur Kenntnis genommen hatte, als sie ihn angeschaut hatte.
»Er kommt nicht«, beharrte sie. »Vielleicht will er das, aber er kann nicht.«
»Süße, ich hab keine Ahnung, wovon du da redest.«
Sie murmelte: »Ich wusste, was ich hätte tun sollen, aber er ist mein Fels, verstehst du? Und als sich die Chance bot, habe ich zugegriffen. Weil ich ihn geliebt habe. Ich wusste, worauf es ankam. Ich wusste das.«
Cadan stand wie vom Donner gerührt da. Schlimmer noch, er war abgeturnt. Dellen entglitt ihm zusehends, genau wie diese ganze verrückte Situation. Trotzdem versuchte er, sie rumzukriegen: »Del… Dellen… Süße.« Wie passend, dass sie von Chancen gesprochen hatte, denn wenn auch nur die leiseste Chance bestand, sie doch noch zur Strandhütte zu locken, wollte er sie ergreifen.
Er nahm ihre Hand und hob sie an den Mund. Mit der Zunge fuhr er über die Innenfläche. Dann fragte er heiser: »Was meinst du, Del? Was ist mit dem Schlüssel?«
Und sie: »Wer sind Sie? Und was tun Sie hier?«