Bolitho schritt mit gelöstem Halstuch und bis zur Taille offenem Hemd langsam über die schöne Heckgalerie der Argonaute. Es mochte zwar Oktober sein, aber der Tag war heiß; kaum mehr als eine leichte Brise füllte die Segel.
Er mochte die Heckgalerie, einen Luxus, den er auf einem englischen Schiff nie genossen hätte. Hier auf diesem schmalen Umgang war er ganz allein, kein Auge beobachtete ihn, prüfte ihn auf Zuversicht oder Schwäche. Selbst die Geräusche waren hier gedämpfter, übertönt vom Rauschen des Wassers unter der Gillung und dem Knarren des Ruders, wenn die Steuerleute den Zweidecker auf Kurs hielten.
Ein Geräusch drang jedoch durch: der regelmäßige Trommelwirbel, die qualvolle Pause, das Klatschen der Peitsche auf dem nackten Rücken eines Mannes.
Nur eine Eintragung mehr im Strafbuch und kaum einen Kommentar von der Besatzung wert. Disziplin war Disziplin und hier oben in mancher Hinsicht weniger streng als im Zwischendeck, wenn jemand beim Kameradendiebstahl ertappt worden war.
Bolitho dachte an Zenoria und fragte sich, weshalb er Adam nichts von ihr erzählt hatte, als Firefly gerade lange genug zum Geschwader gestoßen war, um Depeschen zu übergeben und Briefe in die Heimat mitzunehmen. Denn Firefly, Nelsons Bindeglied zur fernen Admiralität, kehrte zurück nach England.
Adam hatte wehmütig gesagt:»Dabei bin ich gerade erst angekommen, Onkel. «Seine Miene hatte sich aufgehellt, als er von Bolitho einen Brief an Belinda bekam.»Aber mit etwas Glück bin ich bald wieder da.»
Bolitho ging zum Ende der Heckgalerie und stützte sich auf die vergoldete Schulter einer lebensgroßen Meerjungfrau, die auf der anderen Seite ihr Gegenstück hatte. Er lächelte. Diese Figur war in jenem mörderischen Gefecht um Argonaute von einer Kugel enthauptet worden. Der alte Holzschnitzer aus Plymouth, der den neuen Kopf geschaffen hatte, mußte einen besonderen Sinn für Humor gehabt haben, denn nun lächelte die Meerjungfrau spöttisch, als ergötze sie sich an einem Geheimnis.
Er hatte Adam nach seinem Eindruck von Nelson gefragt und gesehen, wie sich der junge Mann seine Antwort zurechtlegte.»Er war ganz anders, als ich erwartet hatte. Er wirkte rastlos, und sein Arm schien ihm Schmerzen zu bereiten. Doch obwohl ich größer bin als er, schien er die Kajüte auszufüllen. Und seine Verachtung für Autorität ist erstaunlich. Als Admiral Sheaffe erwähnt wurde, lachte Nelson nur und meinte, Sheaffes Ozeane bestünden aus Papier und Schlachtplänen. Er habe vergessen, daß Männer braucht, wer Kriege gewinnen will.»
«Du fandest ihn trotz dieser Offenheit vor einem Untergebenen sympathisch?»
Adam war ein wenig unsicher geworden.»Ich weiß nicht recht, Onkel. Erst fand ich ihn eitel, fast oberflächlich, und dann wieder beeindruckte mich sein totaler Überblick über den Krieg hier draußen. «Adam hatte schüchtern gegrinst.»Ich weiß nur, daß ich ihm in die Hölle und zurück folgen würde, wenn er das verlangte. Aber warum, kann ich nicht sagen. Ich weiß es eben.»
Das hatten auch viele andere gesagt. Nelson, bei seinen Vorgesetzten verhaßt, wurde von den Männern, die er führte und die ihn meist nie zu Gesicht bekamen, abgöttisch verehrt.
«Er hat sich nach dir erkundigt, Onkel, und dir alles Gute gewünscht«, hatte Adam gesagt.
Und nun jagte die Firefly nach Gibraltar und von dort aus weiter nach England. Ohne Mühe konnte sich Bolitho Ports-mouth vorstellen: kalt und regnerisch, aber so wichtig in seinem Leben.
Er begann wieder auf- und abzugehen. Nelson hatte ihm zu verstehen gegeben, wo sich eine passende Wasserstelle für seine Schiffe befand: auf Sardinien und den kleinen Inseln am Osteingang der gefährlichen Straße von Bonifacio. Die Maddalena-Inseln, wie man sie nannte, lagen keine zweihundert Meilen von Toulon entfernt. Typisch für Nelson, daß er so etwas wußte und Leuten wie Sheaffe eine Nase drehen konnte — bis ihn das Glück verließ.
Pfeifen zwitscherten. Bolitho wußte, daß die Mannschaft nun abtrat, daß die Gräting entfernt und abgewaschen wurde. Der Gerechtigkeit war Genüge getan.
Dem Geschwader war ein zweihundert Meilen breiter Sektor westlich von Toulon bis zur spanischen Grenze zuge — wiesen worden. Wenn die Franzosen in voller Stärke ausbrachen, war es gut möglich, daß sie erneut versuchten, nach
Ägypten und zum Nil vorzustoßen. Schon beim letzten Mal war ihnen das fast gelungen. Wenn sie bei einem erneuten Versuch Erfolg hatten, konnte Bonaparte Indien angreifen, denn dort winkte reiche Beute, von dem taktischen Vorteil ganz zu schweigen. Doch Bolitho hielt es für ebenso wahrscheinlich, daß die französische Flotte auf die Straße von Gibraltar zusteuern würde, um sich den Weg in die Biskaya zu erzwingen und die Stärke der französischen Geschwader dort zu verdoppeln.
Wenn er Nelson richtig verstanden hatte, würde dieser den Löwenanteil des Kampfes für sich selbst beanspruchen.
Die See wirkte leer, da die Hälfte seiner Schiffe fehlte. Inchs Dispatch hatte er zusammen mit Lapishs Fregatte als Aufklärer und Vermittler losgeschickt. Icarus, deren Segel sich in der schwachen Brise kaum füllten, folgte achteraus. Ihre Stückpforten standen offen, denn Kapitän Houston ließ seine Mannschaften an den Geschützen üben. Der Kutter sah weit in Luv wie die helle Rückenflosse eines Hais aus, und Rapid, die ihre großen Schwestern führte wie Tiere an der Leine, war nur vom Masttopp aus sichtbar.
Weit an Steuerbord färbte sich der Horizont dunkellila: Korsika. Bolitho stützte sich auf die Reling und starrte aufs Wasser, das müde am Ruder ablief. Bei diesem schwachen Wind würde es länger als erwartet dauern, bis sie einen Ankerplatz gefunden und Trinkwasser an Bord genommen hatten. Aber die Nähe des Landes mußte bei Matrosen und Seesoldaten Wunder wirken.
Eine Tür zur Galerie ging auf, und Allday sagte:»Empfehlung von Käpt'n Keen, Sir: Rapid hat im Osten ein Segel gesichtet. Der Ausguck kann es gerade noch ausmachen.»
Bolitho nickte.»Ich warte hier unten. «Seltsam, er hatte den Ruf des Ausgucks nicht gehört. Er grinste sein Spiegelbild im Fenster an. Wirst wohl alt.
Keen erschien wenige Minuten später.
«Ein Schoner, Sir. Und zwar laut Mr. Paget, der mit einem Fernrohr aufenterte, ein Genuese.»
Bolitho ging in die Kajüte und trat an die Seekarte.
«Na schön, solange es kein Spanier ist. Die Dons mögen zwar noch nicht in den Krieg eingetreten sein, sind aber nach wie vor ein Feind, der uns an die Franzosen verraten würde.»
«Es wird ein Handelsschiff sein, Sir«, meinte Keen.»Ich würde gern selbst mit ihm reden, wenn wir es erreicht haben.»
Bolitho dachte an Quarrell, den Kapitän der Rapid. Ein guter Offizier, dem es aber wie Lapish an Erfahrung mangelte.»Gut, übernehmen Sie das. Vielleicht weiß der Kapitän etwas. «In jähem Zorn fügte er hinzu:»Ich frage mich, was er im Schilde führt.»
Keen beobachtete ihn. Er? Jobert wurde nur selten mit Namen erwähnt, war aber immer in Bolithos Gedanken.
Der Admiral sagte gerade:»Zwischen diesen Inseln gibt es allerhand Verstecke. Wir werden die Augen offenhalten müssen, ehe wir uns sicher fühlen können. «Er klopfte mit einem Zirkel auf die Karte.»Hier, dieser Hügel zum Beispiel. Von dem aus kann ein guter Mann meilenweit sehen.»
Keen wartete, denn er wußte, daß das noch nicht alles war.
Bolitho rieb sich das Kinn.»Ich würde ihn mir gern selbst ansehen. Wenn Sie sich um diesen Schoner gekümmert haben, rufen Sie Supreme zum Flaggschiff. Ich beabsichtige, an Bord zu gehen und mit ihr vorauszufahren. «Er sah Keens Unbehagen und fügte hinzu:»Keine Sorge, Val, ich habe nicht vor, mich ein zweites Mal gefangennehmen zu lassen.»
Keen sollte sich inzwischen an Bolithos unorthodoxe Methoden gewöhnt haben, aber dem Admiral fiel immer wie — der etwas Neues ein. Auf jeden Fall würde sein Auftauchen der kleinen Besatzung des Kutters Beine machen.
Bolitho zupfte sich das Hemd von der feuchten Haut.»Wie sieht's hinten aus, Val?»
«Es geht ihr gut, Sir«, erwiderte Keen.»Wenn man ihr nur Mut machen könnte. «Er zuckte hilflos die Achseln.»Aber wir wissen selbst nicht mal…»
Es klopfte, und nach kurzem Zögern schaute Midshipman Sheaffe in die Kajüte.
«Empfehlung von Mr. Paget, Sir. Der Schoner hat beigedreht.»
«Wir müssen ihn vor Sonnenuntergang erreicht haben«, sagte Bolitho.»Er darf uns nicht entwischen.»
Bolitho sah Sheaffes aufmerksamen Blick und fragte sich, was der Junge wohl sagen würde, wenn er wüßte, was Nelson von seinem Vater hielt. In einer Beziehung war Sheaffe seinem Vater sehr ähnlich: er hatte keine Freundschaften geschlossen und ging engen Kontakten aus dem Weg, was auf einem überfüllten Kriegsschiff nicht einfach war.
Bolitho sagte:»Mr. Sheaffe kommt mit mir. Da kann er Erfahrungen sammeln.»
«Danke, Sir Richard. «Entweder war Sheaffe alles gleichgültig, oder er hatte an der Tür gelauscht.
Sobald die anderen gegangen waren, protestierte Allday:»Sie können aber nicht ohne mich gehen, Sir!»
«Benimm dich nicht wie ein altes Weib, Allday. «Er lächelte.»Ich habe keine Lust, die gute Arbeit des Arztes an dir zunichte zu machen, indem ich dich einen Berg hochschleppe. «Bei Alldays trotzigem Blick fügte er hinzu:»Außerdem finde ich, daß mein Zweiter Bootsführer auch mal eine Chance bekommen sollte.»
Allday nickte langsam, blieb aber mißtrauisch.»Wenn Sie meinen, Sir?»
Bolitho hatte richtig geschätzt. Es dämmerte schon, als sie den schäbigen Schoner in ihrem Lee erreichten, und als Keen von ihm zurückkehrte, hatte er nur wenig zu berichten.»Der spanische Kapitän sagt, er habe vor vier Tagen eine Fregatte gesichtet, könnte ein Franzose gewesen sein. Er hielt sich aber nicht lange auf und ist jetzt unterwegs nach Lissabon.»
«In dieser Nußschale?«Bolitho schüttelte den Kopf. Nicht nur Kriegsschiffe hatten ihre Probleme.
Von einer einsamen Fregatte mußte angenommen werden, daß sie feindlich war. Denn Nelson hatte lediglich zwei, und ansonsten gab es nur Barracouta. Oder ein neutraler Spanier? Unwahrscheinlich, daß er in diesen umstrittenen Gewässern ohne Begleitung segelte. Bolitho trug die Position, die Keen vom Kapitän des Schoners erfahren hatte, auf der Karte ein. War die Fregatte aus Toulon gekommen, oder hatte sie versucht, in diesen Hafen zurück zu gelangen?
Er faßte einen Entschluß.»Ich gehe noch vor Einbruch der Nacht auf die Supreme. Treffen Sie die entsprechenden Vorkehrungen, Val.»
Keen kam ohne ihn sehr gut zurecht, und Inch war durchaus in der Lage, für den Rest des Geschwaders zu sorgen, falls etwas passierte.
Er hörte die schrillen Pfiffe und das Klappern der Flaschenzüge über den Booten.
Allday tat ihm leid, aber es war sinnlos, ihn zu überbeanspruchen. Die grauenhafte Wunde war verheilt, doch nicht verschwunden.
Er wartete, während Ozzard sich umständlich mit seinem Seemantel und dem Hut mit der stumpfen Stickerei befaßte.
«Barkasse liegt längsseits, Sir Richard.»
Ein letzter Blick in die Runde. Die Kajüte schien ihn zu beobachten, vielleicht auf die Rückkehr ihres Herrn zu warten. Bolitho ließ sich von Allday den alten Degen an den Gürtel haken. Jobert wieder hier? Nie im Leben, dachte er. Dann lockerte er die Klinge in der Scheide und dachte an die Vergangenheit.
Laut sagte er:»Nur über meine Leiche.»
An der Schanzkleidpforte, wo die Ehrenwache angetreten war, nahm Bolitho Keen beiseite und sagte leise:»Wir sehen uns am Treffpunkt. «Er schaute zum Himmel.»Es kommt Sturm auf. Sorgen Sie dafür, daß Icarus in der Nähe bleibt.»
Keen wollte etwas sagen, überlegte es sich aber anders. Die Brise drückte die gerefften Marssegel des beigedrehten Schiffes kaum gegen die Wanten, und abgesehen von einigen Altocumulus-Wolken sah der Himmel so leer aus wie bisher. Woher nahm Bolitho sein Wissen?
Fallowfield, der alte Master, trat zu seinem Rudergänger. Selbst er war beeindruckt. Er starrte den Midshipman, der den Vizeadmiral mit offenem Mund angaffte, finster an und grollte:»Warten Sie nur, bis auch Sie das Wetter so gut vorhersagen können, Mr. Penton, aber da habe ich wenig Hoffnung!»
Keen legte die Hand an den Hut.»Aye, Sir. Ich schicke Ihnen notfalls Rapid hinterher.»
Bolitho schaute auf zu seiner Flagge.»Dies wäre Ihr Schiff, wenn ich mich nicht an Bord befände, Val. Benutzen Sie während meiner Abwesenheit mein Quartier. «Er drückte den Hut fester auf den Kopf und kletterte über Bord, während die Bootsmannsgehilfen Salut pfiffen. Gut, daß Keen Gelegenheit zu ein wenig Freiheit bekam. Was er mit ihr anfing, war seine Angelegenheit.
Als das Morgenlicht auf die benachbarte Insel fiel, trat Bolitho mit im Wind flatterndem Hemd auf das schräge Deck des Kutters. Es war schwer, hier noch einen Stehplatz zu finden, dachte er, denn das Deck der Supreme schien vor geschäftigen Menschen und Tauwerk zu wimmeln. Der Toppsegelkutter war nur einundzwanzig Meter lang, hatte aber eine sechzigköpfige Besatzung. Als Midshipman hatte Bolitho einmal vorübergehend auf einem solchen Schiff gedient, das von seinem Bruder Hugh befehligt worden war. Trotzdem konnte er sich nur schwer vorstellen, wie alle diese eifrigen Matrosen unter Supremes glattem Deck genug Platz zum Essen und Schlafen finden sollten.
Der von Bolitho vorhergesagte Sturm war nach Einbruch der Dunkelheit aufgekommen, und die schwereren Schiffe, die er zurückgelassen hatte, taten ihm leid. Supreme hingegen flog vor dem Wind dahin; ihr gewaltiges Großsegel mit Baum, ihr Klüver- und Focksegel blähten sich, und sie schien über die Wellen zu springen.
Ein Kriegskutter verfügte vergleichsweise über mehr Manövrierfähigkeit und Segelfläche als jedes andere Kriegsschiff und konnte bis auf fünf Strich am Wind segeln.
Er sah, wie Hallowes seinem Ersten Offizier, einem rundlichen, rotgesichtigen Mann, der dem Alter nach sein Vater hätte sein können, etwas zurief. Leutnant Okes war aus dem Mannschaftsstand befördert worden und hatte zuletzt als Gehilfe eines Masters auf den Planken gestanden. Hallowes hatte zwar bei der Eroberung der Argonaute Mut und Geschick bewiesen, doch Supreme bedurfte jener Seemannschaft, die nur auf langer Erfahrung beruhte.
Bei zunehmendem Wind und gröberer See waren die Matrosen zu beschäftigt gewesen, um sich Gedanken über die Anwesenheit ihres Admirals zu machen; doch nun, da der Wind leicht nachließ und der volle Bug in Küstennähe durch geschütztere Gewässer pflügte, hielten viele Männer inne und starrten neugierig herüber. Bolitho, dem das Haar gischtdurchnäßt am Kopf klebte, der das nicht mehr saubere Hemd am Kragen geöffnet hatte, entsprach nicht ganz den Vorstellungen, die man sich von einem Flaggoffizier machte.
Er sah, wie sich Midshipman Sheaffe verzweifelt an eine Pardune klammerte. Sein Gesicht war blaßgrün, und er hatte sich mehrere Male erbrochen. Leutnant Stayt war unter Deck, zwar nicht seekrank, aber als Passagier doch nicht ganz auf der Höhe und immer im Weg.
Hallowes kam zu Bolitho und sagte:»Mit Ihrer Erlaubnis werde ich den nächsten Landvorsprung runden und mich danach näher zur Küste vortasten, Sir. «Er mußte schreien, um sich bei dem Lärm im Rigg verständlich zu machen. Er sah sehr jung aus und schien seine Freiheit trotz Bolithos Anwesenheit zu genießen. Zwei Lotgasten standen bereits am Bug und hielten ihre Leinen bereit.
Bolitho nahm ein Teleskop und wartete, bis das Schiff halbwegs ruhig lag, ehe er es aufs Land richtete. Üppiges Dunkelgrün, dahinter Lilatöne. Das mußte der beschriebene Berg sein. Eher ein hoher, kahler Hügel.
Er trat zurück, als weitere Matrosen mit Fallen und Taljen vorbeigetaumelt kamen und nur dem Gebrüll des Bootsmanns Beachtung schenkten.
Der lange Baum des Großsegels, der bis weit übers Heck ragte, schwang gefährlich tief über die Köpfe der Rudergänger hinweg, als das Schiff halste. Gischt fegte übers Deck, und Bolitho wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel. Er fühlte sich wieder lebendig, hatte die Ansprüche von Admiralität und Flaggschiff vorübergehend vergessen.
Die Bestückung der Supreme bestand aus zwölf winzigen Kanonen und zwei Drehbassen. Wenn es nicht gerade zu einem Seegefecht kam, war ihre Feuerkraft dennoch nicht zu verachten.
Das Vorland blieb hinter einem Gischtvorhang zurück.
Hallowes sah, daß Okes ihn beobachtete, und rief:»Alle Mann! Segel kürzen! Lotgasten, aufgepaßt!»
Hallowes wartete, bis man begonnen hatte, seine Befehle auszuführen und fragte dann:»Haben Sie vor, hier an Land zu gehen, Sir Richard?»
Bolitho verkniff sich ein Lächeln. Für Hallowes war es offenbar noch immer unvorstellbar, daß Bolitho selbst ausbooten wollte, obwohl andere bereitstanden, das für ihn zu tun.
«Während Ihre Männer Trinkwasser übernehmen, werde ich mich mit einem Fernrohr auf diesen Hügel begeben. «Das würde ein langer, steiler Marsch werden. Er sah Bankart in seiner blauen Jacke vor dem mächtigen Mast stehen und fragte sich, was er wirklich für seinen Vater empfand.
«Schauen Sie, Sir. «Hallowes beugte sich übers Schanzkleid und deutete nach unten ins klare Wasser.
Wo sich die Bugwelle verlief, sah Bolitho, wie der Grund stieg und fiel, als atme er. Tausende von Fischen huschten hin und her, und gelegentlich tauchte aus dem fahlen Sand bedrohlich ein Felsband auf.
«Fünf Faden!«Das Aussingen der Wassertiefe klang ermutigend. Die Boote wurden bereits klar zum Aussetzen gemacht: eine Gig und eine Jolle. Bolitho hörte Sheaffe tief Atem holen. Das Ärgste war vorbei.
«Freuen Sie sich aufs Land, Mr. Sheaffe?»
Der Midshipman zog Schulterriemen und Dolch gerade und erwiderte:»Jawohl, Sir. Gehe ich mit Ihnen, Sir?»
Bolitho grinste.»Es wird uns beiden guttun.»
Stayt kam an Deck. Anders als Bolitho trug er Uniformrock und Hut und hatte zweifellos seine feine Pistole griffbereit.
Füße klatschten über die nassen Planken, und der Anker fiel ins klare Wasser.
Hallowes legte die Hände auf den Rücken, und Bolitho sah, daß er die Finger fest verschränkt hatte. Er war nervös, aber das schadete nichts. Die Boote wurden gefiert.
«Ich schicke einen guten Ausguck auf diesen Kamm da, Sir«, sagte er.»Der Seekarte zufolge sollte er mit einem Fernglas bis hinüber zum nächsten Landvorsprung sehen können.»
Stayt gab Bankart einen Wink.»In die Gig!«Sein Ton war scharf, und Bolitho wußte, daß er auch Allday so barsch angesprochen hätte. Aber Bankart hatte eben noch viel zu lernen.
Bolitho wartete, bis die anderen hinunter geklettert waren. Leutnant Okes übernahm die Jolle, sein wettergegerbtes Gesicht sah wie eine alte Galionsfigur aus.
Sheaffe und Stayt zwängten sich zusammen mit ihm ins Heck, und Duncannon, der einzige Midshipman der Supreme, ein pickliger Knabe, piepste:»Ruder an!»
Bolitho hielt seinen Degen zwischen den Knien und dachte an Cornwall, wo er mit seinem Bruder in den Buchten und Höhlen gespielt hatte. Er seufzte. Das schien tausend Jahre her zu sein. Was würde Belinda denken, wenn sie seinen Brief erhielt? Er hatte versucht, nicht an ihren Streit zu rühren.
«Die Jolle ist gelandet, Sir«, meldete Sheaffe.
Bolitho sah Okes, dessen weißbestrumpfte Beine wie mächtige, umgekehrte Flaschen wirkten, durchs seichte Wasser waten. Ein breitschultriger Seemann, der nur eine zerfetzte Hose und einen Hut trug, trennte sich bereits von den anderen. Er war einer von Okes' besten Männern und braun wie ein Eingeborener; mit einem Fernglas unterm Arm schlenderte er lässig auf die Bäume und die Anhöhe zu.
Die Gig lief auf Grund. Bolitho stieg aus und wartete auf dem festen Sand, bis die Matrosen das Boot ins Trockene zogen.
Die Bäume sahen fast tropisch aus, und ihre buschigen Kronen wiegten sich wie im Tanz in der Brise. Die Besatzung der Gig fuhr bereits zum Kutter zurück, um Wasserfässer zu holen.
Bolitho fühlte an der Stirn wieder die tiefe Narbe, die ihn fast das Leben gekostet hätte. Auch damals hatten sie auf einer Insel Wasser an Bord genommen. Sonderbar, daß die Strähne über der Narbe nun weiß war, denn der Rest seines Haars war nach wie vor schwarz. Warum machte ihm das Kummer? Aus Eitelkeit oder wegen des Altersunterschieds zwischen ihm und Belinda?
Zwei mit Entermessern und Musketen bewaffnete Matrosen schlenderten hinter der kleinen Gruppe her, die unter Bolithos Führung den Hang zu erklimmen begann. Im Windschutz des Gebüschs war es schwül. Kein Vogel sang oder stieß einen Warnruf aus. Die Atmosphäre war fast schläfrig.
«Hier könnten gleich zwei Geschwader Unterschlupf finden, Sir«, sagte Stayt, der — erstaunlich für einen Mann seines Alters — bereits heftig schnaufte.»Nelson hatte recht.»
Bald sahen sie einen funkelnden Bach, der von einem plätschernden Wasserfall ausging. Okes war bereits zur Stelle und rief dröhnend nach Äxten, um eine Rollbahn für seine Fässer freihauen zu lassen.
Als sie in die helle Sonne hinaustraten, hielt Bolitho die Hand über die Augen und schaute hinab zu dem verankerten Kutter. Er sah mit seinen gefalteten Segeln wie ein anmutiges Spielzeug aus. Auf dem benachbarten Hügel richtete sich der Ausguck ein. Der Mann legte sein langes Teleskop auf eine Pyramide von Feldsteinen und konnte von dort aus die ganze Küste überblicken.
Bolitho merkte, daß ihm das Hemd am Leib klebte. Er war verschwitzt, aber in Hochstimmung und stellte sich vor, wie herrlich es wäre, in dem klaren, einladenden Wasser zu schwimmen.
Der Anstieg zur Kuppe dauerte länger als erwartet und hinterließ sie erschöpft und verschwitzt. Nur Bankart wirkte noch frisch. Kräfte wie einstmals Allday hatte der Junge, dachte Bolitho wehmütig.
Er schaute erneut hinab zum Kutter, auf dessen Deck winzige Gestalten wimmelten. Die Boote zogen langsam zwischen Schiff und Strand hin und her wie Wasserkäfer.
Dann richtete er das Fernrohr auf den Ausguckposten und sah die Sonne vom Glas des Mannes reflektieren. Er hatte sich als Sonnenschutz trockene Zweige über den bloßen Rücken gelegt und den Hut über das Teleskop gezogen.
Bolitho setzte sich auf den heißen Boden und entfaltete seine kleine Landkarte. Wo Jobert jetzt wohl steckte? Was war das Ziel der französischen Flotte?
Er hörte die anderen sich ausstrecken, dann das Geräusch einer Feldflasche, die geschüttelt wurde. Was hätte er jetzt für den klaren Rheinwein gegeben, den Ozzard in der Bilge kühl hielt!
Bolitho griff unter sein Hemd und berührte seine nasse Haut. Es fiel ihm nur zu leicht, sie sich in seinen Armen vorzustellen. Ihre Hände auf seiner Haut, ihr Flüstern, das lustvolle Wölben ihres Rückens, wenn er in sie eindrang… In jäher Verzweiflung faltete er die Karte zusammen. An wen dachte er eigentlich?
«Schauen Sie sich bloß diese Masse Vögel an«, sagte Stayt.
Ein riesiger Schwarm Möwen stieß wie von Fäden zusammengehalten aufs Wasser nieder. Es mußten Tausende sein. Als sie im Sturzflug die verankerte Supreme passierten, sah Bolitho rasche, zuckende Bewegungen im Wasser und entsann sich der Fische. Die Möwen griffen zum richtigen Zeitpunkt an, und Bolitho konnte selbst über die weite Entfernung ihr Kreischen hören.
Auf dem Deck des Kutters war die Arbeit zum Erliegen gekommen. Die Seeleute sahen zu, wie eine Möwe nach der anderen wild flatternd und mit einem silbrigen Fisch im Schnabel an Höhe gewann.
«Unser Ausguckposten ist gut, Sir«, merkte Stayt an.»Er hat keinen Blick an die Möwen gewandt. Dabei habe ich noch nie gesehen, daß Vögel sich so.»
«Der Ausguck?«fragte Bolitho abrupt. Er griff hastig nach seinem Fernrohr und zog es rasch auseinander. Als er es übers helle Wasser und den Möwenschwarm schwenkte, brannte ihm der Schweiß in den Augen. Aus unerfindlichem Grund schmerzte ihn die alte Narbe. Was ist nur mit mir los? dachte er.
Dann entspannte er sich zögernd, denn der braungebrannte Ausguck war noch auf seinem Posten.»Jagen Sie eine Kugel in die Felsen unter ihm«, befahl er.»Der Kerl ist eingeschlafen.»
Stayt winkte ärgerlich einem Matrosen. Der Mann ging auf ein Knie nieder und hob die Muskete an die Schulter. Der Schuß mochte die anderen aufschrecken, aber ein schlafender Ausguck stellte eine große Gefahr dar.
Auf den Knall hin kreisten die Vögel zuerst wild und flogen dann davon. Hier und dort fiel ein Fisch zurück ins Meer.
Bolitho schob das Fernrohr zusammen und richtete sich auf. Sein Gesicht blieb ausdruckslos, obwohl er glaubte, ihm müsse das Herz im Leib bersten. Der Ausguck hatte sich nicht gerührt; die Sonne spiegelte sich noch immer in seinem Teleskop.
«Dieser Mann schläft nicht, er ist tot. «Er war bemüht, gelassen zu sprechen.»Ich fürchte, wir sind in Gefahr. «Die Männer reagierten nicht, sahen ratlos erst den treibenden Pulverdampf an und dann in sein Gesicht.
«Hier, Sir?«rief Stayt verdutzt aus.
«Mr. Sheaffe, Sie sind der Jüngste«, bellte Bolitho.»Laufen Sie hinunter zum Strand und warnen Sie Leutnant Hallowes.»
Der Midshipman starrte ihn an und sprach stumm die Worte nach, als traue er seinen Ohren nicht.»Und Sie, Bankart, gehen mit.»
Als die beiden bergab sprangen und zwischen den Bäumen verschwanden, befahl Bolitho:»Ladet eure Waffen.»
Er machte sich Vorwürfe, weil er keine Pistole mitgebracht hatte. Aber wer hätte ausgerechnet hier mit Gefahr gerechnet?
Vorsichtig schritten sie den Hang hinunter, lauschten angestrengt in alle Richtungen, hörten aber nur das Rascheln der Bäume; es klang, als habe sich eine versteckte Armee in Bewegung gesetzt.
Am Waldrand sagte Bolitho:»Wir gehen um den Hügel herum. «Er sah den Zweifel in Stayts dunklen Augen. Die beiden bewaffneten Matrosen steckten die Köpfe zusammen.
«Nach dem Musketenschuß haben sie uns gesehen«, erklärte Bolitho.»Aber jetzt sind wir außer Sicht. Sie nehmen bestimmt an, daß wir den kürzesten Weg zum Landeplatz einschlagen.»
«Aber wer sind sie?«zischte Stayt.
Bolitho zog seinen Degen.»Franzosen wahrscheinlich.»
Der Feind schien ihnen immer zuvorzukommen. Niemand konnte wissen, daß er auf den Kutter umgestiegen war, aber Supreme gehörte zu seinem Geschwader. Und sie war vor einer Leeküste in eben jene Lage geraten, die Barracouta beinahe zum Verhängnis geworden wäre.
Auch Stayt hatte seinen Degen gezogen, und gemeinsam hielten sie auf den Hang zu, mieden Lichtungen, um sich nicht zu verraten. Bolitho fragte sich, ob Sheaffe den Strand schon erreicht hatte.
Er biß die Zähne zusammen, um nicht laute Verwünschungen auszustoßen. Wo war ich mit meinen Gedanken? Ich hätte doch erkennen müssen, daß dies genau die Art Falle ist, die sich Jobert einfüllen läßt.
«Da!«Stayt ging in die Knie. Zwei Männer schlenderten gemächlich durch den Wald, offenbar Matrosen. Als sie näherkamen, hörte Bolitho sie französisch sprechen.
Sie mußten einen größeren Trupp verlassen haben, um das Teleskop des Ausguckpostens vom Hügel zu holen. Bolitho konnte sich noch genau an ihn erinnern, er war ein guter, zuverlässiger Mann gewesen. Nun trug ein anderer sein Fernrohr, und am Futteral waren Blutspuren.
«Drauf!»
Bolitho setzte übers Gebüsch und ging auf den ersten Mann los. Der starrte ihn zunächst völlig verdutzt an und machte dann Anstalten, sein Entermesser zu ziehen; doch das Teleskop war ihm hinderlich. Bolitho hieb ihm quer ins Gesicht und stieß ihm die Klinge unter der Achselhöhle in die Seite. Der Mann stürzte lautlos zu Boden. Sein Kamerad fiel auf die Knie und streckte flehend die Hände aus. Doch der Ausguckposten mußte beliebt gewesen sein, denn einer der beiden Matrosen schwang die Muskete und schlug dem zweiten Franzosen den Schädel ein. Die Muskete wurde erneut erhoben, aber Stayt bellte:»Genug, du Narr, der rührt sich nicht mehr.»
Der Mann mit der Muskete hob das Teleskop auf und folgte Bolitho bergab. Hätten sie den Umweg nicht gemacht, wären sie in einen Hinterhalt geraten. Er hörte den dumpfen Knall einer Kanone. Endlich hatte man auf der Supreme erkannt, was geschah, und rief die Männer zurück.
Dann jäh eine Musketensalve, wilde Schreie, ein kurzes Aufeinanderprallen von Stahl. Bolitho fiel in Laufschritt, brach durch die letzten Büsche und erreichte den Strand. In wenigen Sekunden überblickte er alles: Die Jolle lag auf dem Trockenen, die Gig war auf halbem Weg zwischen Strand und Kutter. Leutnant Okes stand mit gezogenen Pistolen unten am Wasser. Eine hatte er gerade abgefeuert, die andere richtete er auf eine Gestalt, die mit mehreren anderen im Zickzack auf seine Handvoll Männer losstürmte. Bolitho fand die Zeit, festzustellen, daß Okes trotz des Geschreis und gelegentlichen Musketenfeuers dabei ganz still stand, eher einem Jäger vergleichbar als einem Seeoffizier. Die Pistole knallte, die laufende Gestalt stürzte, wühlte den Sand auf wie ein Pflug und blieb reglos liegen.
Das schien die anderen abzuschrecken, zumal Bolitho und seine drei Begleiter nun auf sie losgingen. Stayt, dessen Pistole zwei Läufe haben mußte, feuerte zweimal, und jede Kugel traf ihr Ziel.
Okes fuhr sich mit dem Ärmel übers Gesicht.»Dem Himmel sei gedankt, Sir. Ich dachte schon, die Kerle hätten Ihnen den Garaus gemacht.»
Bolitho sah Bankart im Boot. Okes lud seine Pistole nach und bemerkte dabei:»Wenn dieser Junge nicht gewesen wäre, hätten sie uns überrascht.»
Bolitho schaute an ihm vorbei.»Wo ist Mr. Sheaffe?»
Okes zog seine andere Pistole.»Ich dachte, er wäre bei Ihnen, Sir.»
Bolitho winkte Bankart herbei.»Wo ist Midshipman Sheaffe?»
«Gestürzt, Sir«, erwiderte Bankart.»Da hinten war ein Loch, er stürzte und rollte einen Steilhang hinunter.»
Bolitho starrte ihn an.»Steilhang? So etwas gibt es hier doch gar nicht.»
Die anderen kletterten in die Boote; bis auf den Ausguckposten hatte es keine Verluste gegeben. Aber wo steckte Sheaffe? Vier Franzosen, deren Blut bereits im Sand versik-kerte, lagen, wo sie gefallen waren.
Stayt warf seinen Degen in die Luft und fing ihn an der Klinge auf, ehe er ihn in die Scheide gleiten ließ.»Ich gehe ihn holen«, sagte er und betrachtete Bankart kalt.»Zeig mir, wo er liegt.»
Als sie das Gebüsch erreichten, sahen sie Sheaffe in die Sonne torkeln. Er hatte eine Platzwunde im Gesicht und blutete, schien aber sonst unversehrt.
«In die Boote!«rief Bolitho und legte Sheaffe eine Hand auf die Schulter.»Alles klar?»
«Ich bin hingefallen. «Sheaffe tupfte sich die Lippe.»Über zwei Baumstümpfe. «Er zog eine Grimasse.»Das verschlug mir den Atem, Sir. «Als er Bankart erblickte, wurden seine Augen schmal.»Wo warst du?»
Bankart fuhr trotzig herum.»Ich habe die anderen gewarnt, wie mir befohlen wurde.»
Bolitho ging zur Gig. Da steckte offenbar mehr dahinter, aber er war dankbar, daß die beiden überlebt hatten.
Er stieg ins Boot und schaute hinüber zur Supreme. Dort wurde bereits die Ankertrosse kurzgeholt, und die Segel flatterten wild, als Hallowes klar zum Auslaufen machte.
Bolitho rieb sich das Kinn und überlegte. Die Franzosen mußten einen Trupp angelandet haben, der erkunden sollte, was sie hier taten. Wären die Seevögel nicht gewesen und die scheinbare Gleichgültigkeit des Ausguckpostens, wären sie erst angegriffen worden, nachdem die Franzosen noch mehr Männer gelandet hatten. Wo waren sie also?
Wieder knallte auf Supreme ein Vierpfünder, und Stayt sagte heiser:»Anker ist frei!»
Hallowes hatte vom Schiff aus gesehen, was dem Ausguck entgangen war.
Es schien, als triebe jäh ein Stück der Landzunge davon. Bolitho sah ein Schiff den Vorsprung runden, dessen Vorsegel flatterten, als es scharf wendete, um den Riffen auszuweichen.
Es war eine Fregatte.
«Pullt, Jungs! Mit aller Kraft!«rief Bolitho. Sie bedurften der Aufmunterung nicht.
Hätten sie nicht gemerkt, daß der Ausguckposten tot war, wäre diese Fregatte überraschend quer durch die Bucht gesegelt und hätte Supreme mit ihren Kanonen in ein blutiges Chaos verwandelt.
Endlich lag die Gig längsseits, und die Männer kletterten hastig an Bord, um sich ans Segelsetzen zu machen.
Die beiden Boote trieben ab. Hallowes sah ihnen verkniffen und besorgt nach. Sie mochten sie noch brauchen, hatten aber keine Zeit, sie an Bord zu holen. Bolitho hielt sich an einem Want fest und sah zu, wie die Fregatte die Bramsegel setzte.
Was Hallowes auch tat, er würde sich niemals rechtzeitig vom Land freikreuzen können.
«Lotgasten in die Rüsten!«sagte Bolitho.»Mr. Okes, kennen Sie sich in diesen Gewässern aus?»
Okes hatte seinen Hut verloren.»Aye, einigermaßen, Sir.»
Er drehte sich um, als der Lotgast die Wassertiefen auszusingen begann.»Der Franzose kann es nicht wagen, uns zu folgen. Da gerät er nämlich auf Grund.»
«Finde ich auch. «Dem Kommandant der Fregatte mußte jetzt klarwerden, daß er den Überraschungseffekt verspielt hatte. Er würde sich freihalten und vielleicht bei Einbruch der Dunkelheit versuchen, Supreme den Weg abzuschneiden. Aber bis dahin waren es noch sechs Stunden.
Bolitho gab Hallowes einen Wink.»Ich schlage vor, daß Sie auf flachem Wasser ankern.»
Hallowes nickte wie eine Marionette.
«Der Franzose hat leicht Kurs geändert, Sir«, meldete Okes.
Die Fregatte war eine knappe Meile entfernt und im Begriff, hinter dem nächsten Landvorsprung zu verschwinden. Zuvor aber versuchte ihr Kommandant, seine Beute aktionsunfähig zu machen.
Bolitho sah plötzlich lange orangefarbene Zungen aus ihren vorderen Rohren schießen. Die Kugeln rissen weiße Schaumspuren in den Wasserspiegel.
Ein schlechtgezielter Versuch. Der zweite jedoch war besser.
Das Meer um sie herum kochte plötzlich, neben ihnen schoß eine Wassersäule gen Himmel. Bolitho hörte den Einschlag einiger Kugeln in den Rumpfund einen entsetzlichen Schrei, als die Splitter einen Mann zu Boden rissen.
Hallowes starrte stumm das Chaos aus zerfetztem Rigg und durchlöcherten Segeln an. Aus den Speigatten an Backbord sickerte bereits Blut.
«Werfen Sie endlich Anker, verdammt noch mal!«Bo-litho packte ihn am Arm und schüttelte ihn. »Sie haben hier das Kommando!»
Zwei Kanonenkugeln fanden gleichzeitig ihr Ziel. Eine pflügte eine schwarze Furche quer übers Deck und tötete einen Mann auf der anderen Seite. Die zweite knallte in den wie ein Makrelenschwanz geformten Heckspiegel und ließ mehrere Pützen mit Sand zerstieben.
Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Bolitho, von der Explo — sion benommen, fiel auf die Seite, und beim Aufprall durchfuhr ihn der Schmerz der alten Wunde. Männer schrien auf, und das Deck erbebte, als etwas Schweres aus der Takelage stürzte.
Er faßte sich hastig ins Gesicht und spürte Blut. Eine fremde Stimme rief:»Hier, Sir! Ich helfe Ihnen!»
«Ankern!«stieß Bolitho hervor. Nun, da das Feuer eingestellt war, klang seine Stimme plötzlich laut.
Er stolperte über einen reglosen Körper und hielt sich an baumelnden Leinen fest.
«Hier, Sir. «Der Unbekannte schwieg, als Bolitho die Hände vom Gesicht nahm, um sich umzuschauen.
Aber er sah nichts. Es war Mittag gewesen, als die Fregatte gefeuert hatte, doch nun stand er in tiefster Nacht. Hände berührten ihn, ringsum erklangen wirre Stimmen.
«Ich bin hier, Sir. «Das war Stayt.
Bolitho schlug die Hände vor die Augen, als der Schmerz stärker wurde.»Ich bin blind! Mein Gott, ich kann nichts sehen!»
Er tastete nach Stayts Arm.»Bringen Sie mich unter Deck. Die Männer dürfen mich nicht so sehen. «Er holte scharf Luft, als die Schmerzen noch heftiger wurden. Besser wäre ich tot, dachte er.