Der letzte, verzweifelte Versuch, etwas zu retten, galt Monika Horten.
Dahlmann jagte nach seinen sinnlosen Runden durch Hannover wieder hinaus zu der kleinen Waldhütte. Er war sich klar darüber, daß Sanden sofort nach seinem Weggang Luise angerufen hatte. Viel-leicht war sie jetzt schon aus dem Haus. Das kümmerte ihn in diesem Augenblick nicht, man konnte sie zurückholen, wenn es gelang, was ihm als letzter Ausweg in den Kopf geschossen war.
Ein Ausweg über die Straße der Seele.
Wenn es ihm gelang, Monika umzustimmen, wenn er bescheiden wurde und nur einen Bruchteil des Geldes mitnahm, soviel, daß er sich im Ausland eine andere Existenz gründen konnte, ja, selbst wenn es ihm gelang, sein Ziel unter Zwang zu erreichen. Monika mußte einen Brief schreiben! Nichts als einen Brief an ihre Schwester Luise, abgeschickt aus Köln. Sie sollte darin schreiben, daß sie gehört hätte, Luise wolle sich von Ernst abwenden. Der Text flog Dahlmann durch den Kopf, als er auf der Landstraße nach Osten jagte.
».ich habe dich im Leben noch nie um etwas gebeten, Luise, aber nun flehe ich dich an, beim Andenken an Vater und Mutter, bleib bei Ernst, verlaß ihn nicht, er liebt dich doch.«
Dahlmann war sich nicht klar, ob dieser Brief bei Luise wirken würde . aber er zögerte wieder hinaus, er machte Luise nachdenklich, vielleicht kam es zu einer klärenden Aussprache . jede Stunde war Dahlmann wichtig, die er für sich gewann, denn er war von früheren Monaten her noch im Besitz von zwei Blankoschecks, die er einlösen wollte, wenn auf den Bankkonten die Mittel vorhanden waren. Es könnten fünfzigtausend Mark sein, dachte er. Ein Fünftel dessen, was ich haben könnte. Man wird bescheiden wie der Teufel, der in der Not Fliegen frißt.
Als er das Waldhaus sah, wurde er ganz ruhig. Aus dem Kamin stieg kein Rauch auf, er hörte keinen Lärm, kein Hämmern an die Läden, denn Monika mußte das Kommen des Wagens ja gehört haben.
Hunger wird sie haben, dachte Dahlmann. Fast vierundzwanzig Stunden nur mit Kakao! Er schleifte die beiden Kartons mit Lebensmitteln zur Tür und schloß auf.
Wieder schlug ihm der schimmlig-süße Geruch entgegen, er ließ die Tür offenstehen und drückte die Kartons in den großen Raum.
In der Hütte brannte kein Licht, die Petroleumlampen standen noch so, wie er sie hingestellt hatte. Auch der Zettel mit seiner Nachricht stak noch am geblümten Schirm.
Ernst Dahlmann ließ den Karton mit Büchsen, den er trug, auf den Tisch fallen.
»Monika.«, rief er. Und dann lauter, mit zitternder Stimme ... »Monika -«
Mit ein paar großen Sätzen sprang er zum Alkoven und riß den Vorhang zurück.
Monika Horten lag in dem breiten Bett, wie er sie gestern hingelegt hatte. Bis zum Hals zugedeckt, das blonde Haar um den Puppenkopf, weggestrichen von der Stirn. Nur das Gesicht war jetzt gelb, die Nase stach spitz und weiß hervor, die Augen waren unter den geschlossenen Lidern eingesunken. Aus den ein wenig geöffneten Lippen kam kein Atem mehr. Als Dahlmann die Hand auf ihre Stirn legte, zuckte er entsetzt zurück. Sie war eiskalt.
»Monika.«, stammelte er. »Monika . das ist doch nicht wahr. Moni. Mein Gott, mein Gott ... das ist nicht wahr.«
Als er das Unabänderliche erkannte, als er ihren Tod bestätigt fand, nachdem er sie abgehorcht und den Puls gefühlt hatte, als er begriff, daß sie an seiner Morphiuminjektion gestorben war, an einer zu hohen Dosierung, die ihr Herz nicht verarbeiten konnte, als ihm bewußt wurde: Du bist ein Mörder! Nun ist es soweit. Du hast einen Menschen getötet . mit deinen Händen . da brach er zusammen und fiel ohnmächtig neben dem Bett auf den Dielenboden.
Wie lange er gelegen hatte, wußte er nicht. Seine Gedanken richteten sich nicht nach der Uhrzeit, als er erwachte und sich neben dem Bett mit der Toten fand. Die Ohnmacht hatte das Entsetzen nicht gemildert, aber sie hatte den Kopf frei gemacht für schnelle Entschlüsse.
Die Tatsache war nicht mehr zu ändern. Hier lag eine Tote, und sie war getötet worden durch Ernst Dahlmann. Wenn es auch ein Versehen war, wenn es auch keine Absicht gewesen war, also kein
Mord, so war es doch ein Tod durch die Injektion, ein Totschlag, ein Unfall, den er herbeigeführt hatte.
Das erste Problem hieß: Wie kann man Monika Horten wegbringen? Und wohin? Es war Ernst Dahlmann unmöglich, sie irgendwo in dem dichten Wald, der sie umgab, zu verscharren, so wie man einen tollwütigen Hund unter die Erde bringt. Es war aber auch unmöglich, sich der Polizei zu stellen. Und da war dieser junge Schriftsteller Julius Salzer, der keine Ruhe geben würde und Monika suchte, da war Luise, die nach ihr fragen würde, da war vor allem der Rechtsanwalt Dr. Kutscher, der sich durch ausweichende Reden nicht abschütteln lassen würde.
Es gibt keinen perfekten Mord, das hatte Dahlmann immer gelesen. Und es würde auch keinen perfekten Totschlag geben. Monika war zuletzt bei ihm gesehen worden ... also würde man die Spur der Verschwundenen zuerst bei ihm aufrollen. Er wußte nicht, ob er die Nerven besaß, die Rolle des Unwissenden zu spielen. Er glaubte es nicht, vor allem nicht mehr in den Sekunden, in denen sein Blick zu der lang hingestreckten Gestalt zuckte, zu dem hübschen Gesicht mit den langen goldblonden Locken, das jetzt ein wenig spitz geworden war und sehr ernst.
Zunächst setzte er sich an den schweren Tisch und stützte den Kopf in beide Hände. Ihm war speiübel, er würgte und fühlte, wie sein Herz schmerzte. Die Angst überkam ihn wieder, jene schreckliche Lebensangst, die ihn von jeher gepeinigt und zu Taten getrieben hatte, die oft jenseits aller Vernunft standen.
Sie muß weg, dachte er immer wieder. Monika muß weg. Er hatte nie geglaubt, wie schwer es ist, einen Menschen völlig verschwinden zu lassen, so restlos aus der Welt zu bringen, daß er nie wieder entdeckt wurde. Wenn man ihm das früher erzählt hätte, würde er gelacht haben. Nichts einfacher als das... die Welt ist groß genug, um einen einzelnen Körper zu verstecken. Nun saß er hilflos vor einer Leiche und wußte nicht, was er mit ihr anfangen sollte.
Das einfachste war das Vergraben. Irgendwo in der Tiefe des Waldes, unter weichem Humusboden . oder das Versenken im Moor . es war nur eine Fahrt von zwei Stunden, bis er die einsamen, von ewiger Melancholie überschatteten Sümpfe erreichte . über die Autobahn bis Fallingbostel, dann über Walsrode, Visselhövede und Rotenburg nach Zeven . von dort war der Weg frei in verschiedene Moore, in weite Landstriche, deren Einsamkeit nur von den schmalen Moorkanälen unterbrochen wurde. Hier konnte man einen Körper für immer versenken . die breiige Tiefe gab ihn nicht mehr her . vielleicht in fünfzig oder hundert Jahren, wenn man diesen Teil des Moores trocken legte und begann, Torf zu stechen. Aber wer erinnerte sich da noch an eine Monika Horten . und einen Ernst Dahlmann gab es dann auch nicht mehr.
Der Gedanke an das Moor ließ Dahlmann nicht mehr los. Nur durfte er Monika dabei nicht ansehen. Ihr schöner Körper in der fauligen Tiefe eines Sumpfes .ihr schönes Gesicht mit den goldenen Haaren, versinkend im grundlosen Brei aus Erde und Pflanzen und schlammigem Wasser . es war ihm unmöglich, weiterzudenken, und doch war es die einzige Möglichkeit; Monika für immer aus dieser Welt zu schaffen.
Für Dahlmann war es klar, daß es jetzt für ihn auch nur um das nackte Leben ging, um einen Abgang von der Bühne einer von ihm geschriebenen Tragödie, der ihn, den Hauptakteur, nicht mit in den Strudel hinabriß. Es mußte ein stilles Verschwinden sein. Einlösung der beiden Blankoschecks, von denen Luise nichts mehr wußte (sie waren ein Jahr alt, und damals hatte Dahlmann ihre Hand geführt, da sie die Schecks unterschrieb), es konnten immerhin 45.000 Mark sein, die er aus den beiden Konten herausziehen würde, nicht viel, aber für einen neuen Anfang irgendwo in der Welt mußte es reichen. Eine Flugkarte nach Zürich . von dort mit dem Zug nach Mailand, von Mailand mit dem Bus nach Genua, von Genua mit dem Schiff nach Südamerika . ein glatter Weg, zu dessen Vorbereitung er vier Tage brauchte. Nur noch vier Tage . und der Vorhang konnte fallen über das erste Leben des Apothekers Ernst Dahlmann, der für eine Sünde zuviel Ordnung, Moral und Gewissen eintauschte. Was das zweite Leben bringen würde, wer konnte es vorher wissen? Eine neue Sünde? Oder eine ewige Flucht vor der Erinnerung? Ein ständiges Verstecken vor der Vergangenheit? Niemals Ruhe, niemals Freude, niemals ohne Angst? War das ein zweites Leben.?
Ernst Dahlmann wischte sich über das Gesicht. Kalter Schweiß überzog ihn.
Ins Moor, dachte er wieder. Es bleibt kein anderer Weg. Sie muß ins Moor. Er stand auf und tappte mit schweren Füßen zu dem Alkoven. Wie Blei lag es in seinen Gliedern, jeder Schritt war ein Schleppen von Zentnergewichten. Er zog den bunten Vorhang wieder vor das Bett, löschte die Petroleumlampe und verschloß hinter sich die dicke Bohlentür. Im Freien, nicht mehr umgeben von dem süßlichen Geruch, atmete er ein paarmal tief durch und schwankte zu seinem Wagen.
Man muß das alles genau planen, dachte er. Man kann nicht einfach mit der Leiche im Kofferraum durch die Gegend irren und sich ein Moorstück aussuchen. Man muß wissen, wo der Sumpf tief ist, wo nie oder selten ein Mensch hinkommt, wo man auf Jahrzehnte hinaus nicht daran denkt, Torf zu stechen oder zu kultivieren.
Jetzt sah er auf die Uhr. Die Zeit rast ... früher war sie sein Verbündeter gewesen ... nun wurde auch sie zu seinem Feind. Vier Tage sind nichts für alles das, was er zu tun gedachte. Ein Tag davon war schon zur Hälfte herum, und er hatte nichts getan als dagesessen, einen toten Körper angestarrt und sich bemitleidet.
Bevor er abfuhr, sah er noch einmal auf die einsame Waldhütte. Wieder packte ihn ein kalter Schauer, eine würgende Angst. Er jagte aus dem Wald hinaus, über die halbzugewachsene Schneise, den Feldweg, die sandige Straße und hinauf auf die Chaussee. Erst am Stadtrand Hannovers wurde er ruhiger.
In der Wohnung erwarteten ihn Luise, Dr. Ronnefeld, Dr. Kutscher und Julius Salzer. Sie saßen da wie ein Femegericht, ernst und ihn anstarrend, als er eintrat. Ernst Dahlmann sah zuerst Dr. Ronnefeld und krauste die Stirn. Dann bemerkte er Salzer, und er wußte, daß es ernst wurde.
»Sie, Doktor?« sagte Dahlmann arrogant. »Habe ich vergessen, Ihnen eine Rechnung zu bezahlen? Das hätten Sie auch schriftlich anmahnen können, statt sich hierher zu bemühen.«
»Ich bin als Arzt Herrn Salzers hier.«
»Das kümmert mich wenig! Auch Herrn Salzer habe ich nicht eingeladen, ebensowenig wie Herrn Dr. Kutscher. Es sei denn, Sie alle sind von meiner Frau hierher gebeten worden. Dann verlange ich allerdings eine deutliche Erklärung dieser Versammlung mir unangenehmer Gesichter -«
Das klang sehr stolz und sehr verletzend. Dr. Ronnefeld wurde rot, aber die Hand Dr. Kutschers, die sich auf seinen Arm legte, beruhigte ihn etwas. Luise sah ihn durch ihre dunkle Brille groß an. Die Haltung der Blinden gab sie nicht auf. Noch wußte keiner der Anwesenden, daß sie sehen konnte. Aber sie war gewillt, jetzt, in dieser Stunde, die Brille abzunehmen und den letzten Schlag zu versetzen, der Dahlmann vernichtete.
»Wo ist Monika?« fragte sie mit fester Stimme.
»Wie soll ich das wissen?« Dahlmann hob die Schultern. »Ich bitte dich, Luiserl . deine Schwester läuft einfach weg, und ich soll mich noch um sie kümmern wie eine Amme? Sie ist alt genug. Überhaupt sollte dieser Herr dort wissen, wo sie ist.«
»Sie ist nicht in Soltau!« schrie Julius Salzer. »Aber bei Ihnen war sie zuletzt!«
»Anscheinend nicht. Sonst wäre sie ja noch hier! Es scheint überhaupt in der Familie Horten zu liegen, daß die Töchter auswärts übernachten.« Das war eine Anspielung auf Luise und Sanden. Dr. Kutscher fiel sofort ein.
»Lassen Sie den Quatsch, Dahlmann. Das gehört nicht hierher.«
»Und ob das hierhergehört!« rief Dahlmann. »Ich möchte Ihre Reaktion sehen, wenn Ihnen Ihre Frau eröffnet, daß sie einen Geliebten hat!«
»Ich würde mich scheiden lassen.« Dr. Kutscher lächelte breit. »Ich bin hier, um das einzuleiten. Oder wollen Sie nicht? Ihre Frau verzichtet auf jeden Sühnetermin ... sie nimmt die volle Schuld auf sich!
Was wollen Sie mehr?«
Dahlmann wurde es heiß. Noch dreieinhalb Tage, dachte er. Ich muß die Post durchsehen, wie hoch die Kontenstände sind. Ich werde sie bis auf den letzten Pfennig leer machen.
»Wir werden noch darüber reden, Doktor. Nächste Woche. Im allgemeinen bin ich einverstanden.«
Luises Kopf fuhr vor. Auch Dr. Kutscher richtete sich verblüfft auf.
»Sie willigen in die Scheidung ein?«
»Ja. Über Einzelheiten müssen wir noch sprechen.«
»Natürlich.«
Luise nagte an der Unterlippe. Die Bereitschaft Dahlmanns war ihr willkommen, aber andererseits unheimlich. Sie mußte einen tieferen Grund haben als die Beleidigung, die ihr Verhältnis, ihr angebliches Verhältnis zu Sanden, für ihn bedeutete. Vor allem war es undenkbar, daß er den Kampf um das Vermögen der Hortens aufgab, einen Kampf, den er bisher mit teuflischer Phantasie geführt hatte.
»Wo warst du?« fragte sie.
»Das interessiert dich noch?« fragte er zurück.
»Ja.«
»Ich bin durch Hannover gerast. Kreuz und quer. Ich habe irgendwie in der Raserei eine Erlösung gesucht. Du weißt gar nicht, was du mir angetan hast. Luiserl. Ich hatte einen Augenblick den Gedanken, den Wagen in voller Fahrt gegen eine Mauer prallen zu lassen.«
Luise schwieg. Sie sah sein zerknittertes, bleiches, wie aufgeweichtes Gesicht. Was hat ihn innerlich so zerstört?, grübelte sie. Der Zusammenbruch unserer Ehe kann es nicht sein, denn sie ist vor über einem Jahr schon zerbrochen. Der Verlust des Geldes . das höhlt ihn nicht innerlich aus. Monika? Kann er den Weggang Monikas nicht verschmerzen?
»Warum hast du Monika geschlagen?« fragte sie.
Julius Salzer hieb mit der Faust auf den Tisch. »Jawohl! Ich habe alles erzählt. Dr. Ronnefeld hat mich durch Spritzen wieder fit gemacht. Wo ist Moni?« brüllte er plötzlich und sprang auf.
»Ich habe Monika geohrfeigt, weil sie zu mir frech wurde. Sie hat mich beleidigt. Sie hat mich einen Schmarotzer der Ehefrau genannt. Da gingen die Nerven mit mir einfach durch -«
»Das ist nicht wahr!« schrie Salzer. Dr. Kutscher hielt ihn am Rock fest, sonst wäre er vorgestürzt. »Monika war Ihre Geliebte!«
Ernst Dahlmann hatte es erwartet. Er nahm es hin und lächelte sogar, so, wie man über einen miesen Clown lächelt, dessen Späße angestanden sind. Luise starrte ihn verwundert an. Die große Überraschung war mißlungen.
»Stimmt das?« fragte sie hart.
»Nein!«
»So ein Feigling!« schrie Salzer.
»Du leugnest es ab?«
»Ich leugne nicht ... ich halte diese Verdächtigung für so absurd, daß ich nur noch aus Höflichkeit darauf antworte. Es erschreckt mich fast, daß du so etwas glauben kannst. Monika und ich ... das ist doch lächerlich!«
Du Lump, dachte Luise und legte die Hände in den Schoß. Du erbärmlicher Schuft. Auch Julius Salzer strich sich mit zitternder Hand die Haare von den Augen.
»Sie hat es mir selbst gesagt.«, keuchte er. »Sie hat es mir unter Tränen gebeichtet.«
»Dann hat sie gelogen und Ihnen eine schöne Szene vorgespielt.«
»Lassen Sie mich los, Doktor!« schrie Salzer und zerrte an seinem Rock.
»Es wäre am einfachsten, Monika selbst zu fragen«, sagte Dahlmann völlig ruhig. »Hier, vor Ihnen allen, in meiner Gegenwart. Ich glaube kaum, daß sie dann ihre Behauptung wiederholt.«
»Wo ist Monika -«, fragte Luise wieder. Die Sicherheit Dahlmanns war ihr unheimlich.
»Ich weiß es nicht.« Dahlmann hob bedauernd beide Arme. »Mir läge jetzt sehr viel daran, Monika hier zu haben, um diese Infamie aufzuklären!«
»Wenn Ihre Schwägerin nicht bis heute abend neunzehn Uhr aufgetaucht ist, werden wir die Polizei einschalten«, sagte Dr. Kutscher. Dahlmann schüttelte den Kopf.
»Nein! Ich bin dafür, daß dies sofort geschieht! Sofort! Man wird nur auf der Polizei darüber lachen, daß aus der Mohren-Apotheke die Frauen verschwinden und sich nachher in anderen Betten wiederfinden. Doch das ist Geschmackssache! Ich bitte Sie, Doktor, die Polizei umgehend zu benachrichtigen.«
»Ich rufe erst in Soltau an.« Julius Salzer machte sich mit einem Ruck frei und ging zum Telefon. Luise starrte noch immer ihren Mann an. Er leugnet Tatsachen, als seien es Utopien. Und er läßt es darauf ankommen, daß man ihm Monika gegenüberstellt. Welch ein Mensch ist das bloß?! Wie kann so viel Gemeinheit in einem Körper wohnen?! Ernst Dahlmann blickte von einem zu anderen. Seine Mundwinkel zogen sich herab wie bei einem schmollenden Kind.
»Ich nehme an, daß Sie vorhaben, sich noch länger in diesem Raum aufzuhalten. Da Sie Gäste meiner Frau sind, bin ich so unhöflich, mich von Ihrer Gegenwart zu befreien. Wenn irgend etwas ist -, ich bin unten in der Apotheke. Sie können mich dort sprechen, wenn ich die nötige Zeit dazu frei habe.«
In stolzer Haltung verließ er die Wohnung. Die große Schau, die Luise geben wollte, war vertan. Sie sank zurück in den Sessel, noch einmal für kurze Zeit die Blinde, die nur hört und fühlt. Und noch etwas hielt sie ab, ihre dunkle Brille abzunehmen und zu sagen: »Dr. Ronnefeld . sie haben auf dem linken Revers Ihres Anzuges einen kleinen Fleck.« - die unverständliche Sicherheit Dahlmanns, mit der er eine Situation, aus der es für ihn keinen Ausweg mehr gab, souverän überging, als gäbe es diese Situation gar nicht. Er nahm den Schauspieler Sanden hin, die Scheidung, den Verlust der Apotheke, des Vermögens, des Erbes . er gab alles auf mit gleichgültiger Miene, ja fast befriedigt darüber, worum er noch vor einem Tag mit der Erbitterung eines Irren gerungen hatte.
Das mußte einen Grund haben. Ihn zu erfahren, war nur als Blinde möglich, denn vor ihren toten Augen fielen alle Hemmungen Dahlmanns ab. Sie mußte mit ihm allein sein ... heute und morgen . ihn beobachten, aushorchen, ihm Fallen stellen . die eine Blinde nicht einmal hörte.
Julius Salzer hatte in Soltau angerufen. Da der >Grüne Krug< kein Telefon besaß, hatte er mit dem Metzger gesprochen, der täglich das Fleisch lieferte. Die Möbel waren angekommen und standen vor dem Haus. Niemand wußte, was man mit ihnen machen sollte, keiner wußte, wie man sie aufstellen sollte. Von Monika Horten hatte man seit ihrer Wegfahrt nach Hannover nichts mehr gesehen.
»Ihr ist etwas zugestoßen!« rief Salzer völlig gebrochen. »Und ich wette meinen Kopf, daß dieser Dahlmann weiß, was mit ihr geschehen ist.« Dr. Kutscher winkte ihm zu und zeigte kopfschüttelnd auf die Blinde. Mehr Rücksicht, hieß das. Auch wenn die Ehe auseinandergeht, noch ist er ihr Mann. Salzer winkte erregt ab. Rücksicht! Wie kann man von Rücksicht reden, wenn ein Mensch spurlos verschwunden ist? Luise konnte nichts sagen . sie starrte ins Leere und hatte den gleichen Gedanken wie Julius Salzer: Was verbirgt Dahlmann vor uns? Weiß er mehr über Monika?
Dr. Kutscher war der erste, der hinunter in die Apotheke ging. Er fand Dahlmann in den Hinterräumen beim Anrühren einer Schwefelsalbe.
»Ihre Schwägerin ist noch nicht in Soltau«, sagte Dr. Kutscher ernst.
»Haben Sie das erwartet? Sie hat den jungen Spund über und schwirrt als Bienchen durch die Lande.«
»Lassen Sie mal alle Gehässigkeiten weg, Dahlmann, und überlegen wir einmal zusammen.«
»Mit Ihnen nicht, Doktor. Sie sehen, ich habe Kundschaft im Laden und muß eine Salbe anrichten. Ich lasse meine Kunden nicht unnötig warten.«
»Wir werden jetzt die Polizei anrufen.«
»Das hätten Sie schon längst tun müssen.«
»Man wird Sie verhören.«
»Wenn die Polizei diese Zeitverschwendung auf sich nehmen will, bitte!«
»Sie haben Monika zuletzt gesehen.«
»Ja. Und? Bitte, Doktor, leiten Sie davon keine Wallace-Geschichte ab.« Dahlmann ließ den Rührer durch die gelbe, zähflüssige Salbe laufen und träufelte aus einer Pipette einige Tropfen in die Masse. Dabei zählte er und winkte ab, als Dr. Kutscher weitersprach. ».neun . zehn . elf . zwölf.. Seien Sie doch still, Doktor. Oder wollen Sie schuld sein, wenn die Salbe zu stark ist und auf der Haut brennt?! Hier geht es um Tropfen . dreizehn . vierzehn.« Er legte die Pipette weg. Dr. Kutscher schnaufte durch die Nase.
»Sie wissen etwas, Dahlmann.«
»Allerdings.«
»Dann sagen Sie es.«
»Ich weiß, daß ich Sie widerlich finde!«
Dr. Kutscher drehte sich schroff um und verließ das Apothekenlabor. Dahlmann füllte die Salbe in einen Porzellantiegel und schob ihn dem wartenden Lehrling zu. Dann setzte er sich hinter die hohen Glaskolben und die unter Glas stehende Feinwaage und dachte nach.
Vor einer plötzlichen Entdeckung Monikas hatte er keine Angst - kritisch war nur die Routinearbeit der Polizei. Bei ihr mußten sie zwangsläufig auf Dr. Forster stoßen, als Angehöriger des Bekanntenkreises Dahlmanns. Mit Dr. Forster kam man auf die Waldhütte, sie wurde besichtigt, nur aus Routine natürlich . der Lauf der Dinge war so logisch und einfach, daß Dahlmann beschloß, am nächsten Morgen mit Monika Horten ins Moor zu fahren.
In der Wohnung hatten sich unterdessen die Herren verabschiedet. Sie fuhren zu Dr. Ronnefeld. Julius Salzer litt unter den Nachwirkungen seines Alkohols . sein Schädel stach an den Schläfen, er konnte kaum noch denken und spürte Gleichgewichtsstörungen, als er ein paar Schritte machte und gegen die Wand taumelte. Dr. Kutscher wollte bleiben, ihm schien es zu kritisch, Luise jetzt allein mit Dahlmann zu lassen. Erst als ihn Luise bat, zu gehen, entschloß er sich dazu schweren Herzens.
Kaum war die Wohnung leer, rannte Luise ins Schlafzimmer. In der Kommode und dem Schrank suchte sie etwas, sie wußte, daß es noch vorhanden war und daß Dahlmann es kannte. Endlich fand sie den Gegenstand im Kofferraum, einem kleinen Anbau neben dem Bad, in dem die Koffer aufbewahrt wurden. Sie legte den Gegenstand deutlich sichtbar auf den Sessel in der Blumenecke, stellte dann das Radio an und setzte sich, wie sie es als Blinde immer getan hatte, vor das Gerät, den Kopf etwas zur Seite geneigt, genau gegenüber dem großen Blumenfenster.
Jetzt wird er sich verraten, dachte sie. Hier kommt etwas auf ihn zu, was er mit keiner Selbstbeherrschung überwinden kann.
Sie drehte das Radio etwas leiser, als sie die Dielentür zuklappen hörte. Er kommt, dachte sie. Und gleich wird er es sehen.
Ernst Dahlmann lauschte erst an der Tür des Zimmers. Die Musik war von Mozart, Hochzeit des Figaro. Aber sonst hörte er keine Stimmen . nicht das polternde Organ Dr. Kutschers, nicht die etwas helle Stimme Salzers. Auch die Garderobe war leer, wo die Mäntel gehangen hatten. Luise schien allein zu sein. Endlich allein!
Er öffnete die Tür. Das große Zimmer war leer, Luise saß wie seit Monaten am Radio, die Hände auf der Sessellehne, mit geneigtem Kopf, und ließ sich von den Klängen einfangen.
Dahlmann räusperte sich. Luise fuhr etwas hoch und hob den Kopf.
»Ernst?«
»Ja, Luiserl.«
»Du hast mich erschreckt.«
»Bitte verzeih.« Er blieb an der Tür stehen, unschlüssig, was er nun tun sollte. Ob er es wollte oder nicht . die Wand, die Robert San-den hieß, war aufgerichtet und stand zwischen ihm und Luise. Eine
Wand, die wohl die Stimme hinüberließ, aber keinerlei Berührung mehr. »Dein Besuch ist weg?«
»Ja. Schon seit einer halben Stunde.«
»Wie konntest du mir das bloß antun. Luiserl?!« sagte er heiser.
»Was?«
»Die Sache mit Sanden.«
»Du warst bei ihm?«
»Ja.«
»Ich weiß. Er hat mich angerufen. Du wolltest mich abkaufen.«
»Ich habe mit allen Mitteln um dich gerungen, Luiserl. Selbst die schäbigste Art, Geld zu bieten, war mir nicht blöd genug. Ich habe mich bis zum Tiefsten erniedrigt. Aber du willst nicht mehr.«
»Nein, Ernst.«
In diesem Augenblick fiel sein Blick auf den Sessel in der Blumenecke. Seine Augen wurden starr, sein Kinn klappte herunter, als spränge es aus den Sehnen.
Auf dem Sessel lag eine Handtasche. Monikas weiße Handtasche. Er erkannte sie sofort . sie war das erste Geschenk, das er ihr gemacht hatte, damals, im Frühsommer, als sie eine Welt vor sich sahen, die in einen rosa Schleier gehüllt schien. Nun lag sie hier . auf einem Sessel, in dem vorhin Dr. Ronnefeld gesessen hatte.
Dahlmann wischte sich mit beiden Händen übers Gesicht und starrte dann wieder auf den Sessel. Es war keine Täuschung. Monikas Handtasche lag dort, und vor einer halben Stunde hatte sie noch nicht dort gelegen. Luise schob den Kopf etwas vor, wie es Blinde immer tun, wenn sie angestrengt lauschen.
»Ist etwas, Ernst?« fragte sie. »Du bist so still.«
Dahlmann schluckte krampfhaft. »Nein, nichts, Luiserl.« Seine Stimme klang hohl und wie durch ein langes Rohr gerufen. »Du warst die ganze Zeit allein?«
»Nachdem die Herren weggingen? Ja. Warum?«
»Ich meine bloß.« Er ging zu dem Sessel, hob die Tasche auf und öffnete leise den Verschlußbügel. Sie war leer bis auf ein Taschentuch und ein Portemonnaie, in dem sieben Mark lagen. Ein Lip-penstift war in einer Seitentasche und eine Fahrkarte der Straßenbahn. Fast ein Jahr alt.
Dahlmann sah sich um. Er ging zur Tür, öffnete sie und lauschte in der Diele nach oben, die Treppe hinauf zum Atelier. Er hörte nichts ... nur die Musik Mozarts umgaukelte ihn. Dann hörte er Luise rufen und rannte zurück in das Wohnzimmer.
»Wo bist du denn?« fragte sie erstaunt. »Warum läufst du denn hinaus?«
»War wirklich niemand hier? Hast du nichts gehört? Schritte.« Seine Stimme war heiser vor Aufregung. Das ist doch nicht möglich, dachte er. Das ist einfach nicht wahr. Monika ist tot. Sie liegt kalt und steif in einem Alkovenbett mitten im Wald. Ich bin kein Arzt, aber ich kann feststellen, ob ein Mensch lebt oder nicht. Ich kann einen Puls fühlen, ich weiß, was eine Leichenstarre ist. Und ein Körper, der nicht mehr atmet, ist tot . und Monika war tot . tot . tot.
Und nun liegt ihre Tasche hier.
»Schritte?« Luise hob lauernd den Kopf. »Ja ... doch ... ein leises Tapsen . Ich dachte, es wäre die Katze. Ist etwas, Ernst? Du machst mir Angst.«
Sie spielte ihre Rolle vorzüglich ... sie streckte beide Arme hilfesuchend aus, sie zitterte und bettelte stumm um Schutz. Dahlmann war weit davon entfernt, nun noch den liebevoll sorgenden Ehemann herauszustellen. Er warf die Tasche auf den Sessel zurück und ballte erregt die Fäuste.
Ein Tapsen ... wie von einer Katze. Wer war hier durch das Zimmer geschlichen . wer hatte die Tasche dorthin gelegt? Monika selbst . das war unmöglich. Das war zu unwahrscheinlich, um überhaupt mit diesem Gedanken zu spielen. Und doch kam Dahlmann immer wieder auf ihn zurück. Kein anderer konnte an diese Tasche kommen, ja, in der Rekapitulation der letzten Stunden glaubte er sogar, zu wissen, daß Monika diese Tasche um den Arm hängen hatte, als sie zuletzt hier im Zimmer gewesen war . und er hatte die Tasche mit in die Decke gerollt, das wußte er ebenfalls ganz ge-nau.
Und nun lag sie hier! Dahlmann setzte sich schwer und biß sich in die rechte Faust.
Das ist unmöglich, dachte er immer wieder. Das ist völlig unmöglich. Er glaubte so fest daran, gerade diese Tasche zuletzt bei Monika gesehen zu haben, daß aus seinem inneren Zureden unmöglich . unmöglich . langsam die Frage wurde: Wie ist es möglich?!
Eine Frage, die nur eine Antwort zuließ: Er mußte sich überzeugen, ob die Waldhütte leer war.
Zunächst ging er hinauf in das ausgeräumte Atelier. Hier hatte sich nichts verändert, ein kahler, verwohnter, häßlicher Raum, in dem nichts mehr an den Zauber erinnerte, den er einmal ausströmte. Anschließend durchsuchte er das Schlafzimmer, die Küche, sein Herrenzimmer, das Gastzimmer . nirgendwo sah er eine Spur, daß Monika hier gewesen war.
Als er zurückkam ins Wohnzimmer, fand er den Sessel, in dem Luise gesessen hatte, leer. Das Radio lief noch. Immer noch Mozart. Ein Mädchen oder Weibchen wünscht Papageno sich.
»Luiserl!« rief er. Und dann lauter, in die Küche rennend und in das Schlafzimmer, in dem er gerade gewesen war. »Luise! Luise!«
Die Wohnung war leer. Er riß alle Türen auf. jagte die Treppe hinunter in die Apotheke . die Angestellten wunderten sich, daß ihr Chef wie ein Irrer durch die Räume lief, zum Hinterhof, auf die Straße . zurück . hinauf in die Wohnung . ins Atelier, unter das Dach. Das Rätsel blieb, und seine Panik wurde unerträglich: Luise war nicht mehr da! Während er oben im Atelier gestanden hatte, war sie von jemandem abgeholt worden. Anders war es nicht möglich . als Blinde konnte sie allein in dieser kurzen Zeit sich nicht weit getastet haben.
Hatte Monika sie abgeholt?!
Dahlmann spürte, wie sein Gehirn brannte und er im Begriff war, wahnsinnig zu werden. Er riß seinen Mantel von der Garderobe und rannte hinaus. Wenig später schoß sein Wagen aus der Garage und schleuderte fast auf die Straße.
An der gegenüberliegenden Ecke drehte Dr. Kutscher den Zündschlüssel um. Luise, die neben ihm saß, umklammerte seinen Arm.
»Da ist er!« sagte Dr. Kutscher und löste die Handbremse. »Meinen Sie wirklich, daß er etwas weiß?«
»Ja. Ich bin Ihnen ja so dankbar, daß Sie zurückgekommen sind, Doktor.«
»Ich hatte, ehrlich gesagt, Angst! Ich wollte sehen, ob alles in Ordnung ist. Himmel, hat der ein Tempo drauf. Daß Sie diese idiotische Fahrerei nicht sehen können, ist ein Glück.«
Luise sah es mit zusammengepreßten Lippen. Dahlmann fuhr rücksichtslos um die Straßenecken und über die Zebrastreifen. Sie fuhren ihm nach, so gut es ging unter Berücksichtigung der Verkehrsregeln, die es für Dahlmann nicht mehr gab. So kam es, daß der Zwischenraum sich immer mehr vergrößerte. Als Dahlmann bei Gelb über eine Kreuzung raste und Dr. Kutscher beim sofort aufleuchtenden Rot bremsen und warten mußte, verloren sie ihn aus den Augen. Auch als Dr. Kutscher bei Grün vorwärtsschoß und diesmal auch die Fußgänger zur Seite springen ließ, fanden sie Dahlmanns Wagen nicht wieder. Drei Ausfallstraßen standen zur Wahl .es war nicht einmal zu erraten, welche Dahlmann hinabgeschossen war.
Dr. Kutscher fuhr rechts ran und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Er ist weg, gnädige Frau. Ich tauge nicht für amerikanische Verfolgungsfahrten. Im Kino sieht das alles so schön aus, da ist nie ein Hindernis, da können sie hundert Kilometer hintereinander herrasen ... aber hier, in Hannover? Was nun?«
»Fahren wir nach Hause.«, sagte Luise leise und senkte den Kopf.
»Nicht zur Polizei?«
»Nein! Können wir etwas beweisen?«
»Das nicht. Aber man wird ihn durch die Mangel drehen.«
»Dahlmann nicht.«
»Er muß ein Alibi beibringen, wo er jetzt hinfuhr.« »Auch das wird er haben. Sie kennen ihn doch, Doktor.«
»Allerdings.«
»Trinken wir eine Tasse Kaffee.«
»Woher nehmen Sie bloß diese Ruhe?!« Dr. Kutscher vibrierte am ganzen Körper. Auch er spürte, daß Dahlmann in diesen Minuten dem Geheimnis entgegenfuhr und daß sie nahe daran gewesen waren, alle Fragen beantwortet zu bekommen.
»Es ist keine Ruhe, Doktor . es ist die Starrheit des Hasses.«
Dr. Kutscher sah sie von der Seite an. Sie saß da wie versteinert, die dunklen Brillengläser, die ihr Gesicht beherrschten, warfen den Schein der Abendsonne zurück. Dr. Kutscher hob wie frierend die Schultern.
»Trinken wir Kaffee.«, sagte er leise, ganz gegen seine Art. »Und wie wollen Sie - oder wir - beweisen, daß Ihr Mann den Verbleib Monikas weiß?!«
»Ich werde es bald wissen. Morgen schon.«
»Morgen? Aber wie denn?«
»Viele Opfer, die gebracht wurden, waren sinnloser als dieses hier.«
»Opfer? Was wollen Sie tun, gnädige Frau.?!«
»Fahren Sie, Doktor. Bitte.«
»Nicht, bevor ich weiß, was Sie vorhaben! Ich flehe Sie an . machen Sie keine Dummheiten! Sie haben Ihren Mann mit dieser erfundenen Sanden-Geschichte bis an die Grenze der Vernunft gebracht.«
»Das wollte ich! Morgen soll ihn die Vernunft ganz verlassen.«
»Das werde ich verhindern!« Dr. Kutscher ergriff Luises Hände. »Gnädige Frau, wenn Sie die Gefahr wüßten.«
»Und wenn ich sie weiß.?«
»Dann ist es um so leichtsinniger, daß Sie sich.«
»Doktor, bitte . ich habe solchen Kaffeedurst.« Luise lächelte, als sie die Angst in den Augen Dr. Kutschers sah. »Glauben Sie mir . mir wird nichts, gar nichts geschehen.«
Dr. Kutscher war davon in keiner Weise überzeugt. Er kannte Dahlmann, aber er überschätzte ihn. Er traute ihm mehr zu, als Dahl-mann zu tun fähig war.
»Bitte, nehmen Sie meinen Rat an.«, sagte er stockend. »Übernachten Sie wieder in dem Hotel.«
»Gerade die Nacht brauche ich, Doktor.«
»Wie kann man Sie bloß schützen?!« rief Dr. Kutscher. Er hieb mit der Faust auf das Lenkrad. Luise ergriff seine Faust und hielt sie fest.
»Keiner braucht mich zu schützen. Mein bester Schutz ist die Notwendigkeit, zu leben.«
Dr. Kutscher war es, als drücke ihm jemand die Kehle zu. Er umklammerte Luises Hand und atmete schwer. Verdammt, dachte er. O verdammt! Welche Nerven hat diese Frau.
»Sie wissen.«, sagte er leise.
Luise nickte. »Ich weiß alles, Doktor.« Ihr Lächeln war zu diesen Worten wie ein Blütenregen auf die Stätte einer Hinrichtung. »Und nun fahren Sie, Doktor. Ich sehne mich nach einer Tasse Kaffee -«