Kapitel 5

In der Nacht, nach einigen Gläsern Wein, die Ernst Dahlmann für sich allein im nur von einer Stehlampe erleuchteten Zimmer getrunken hatte, blieb er nicht wie schon so oft vor der Tür des Fremdenzimmers stehen, sondern faßte die Klinke und drückte sie herunter.

Die Tür war nicht verschlossen. Sie knarrte auch nicht, als er sie vorsichtig öffnete, in den dunklen Raum schlüpfte und sie wieder hinter sich zuzog.

Das erste, was ihm entgegenkam, war ein herbsüßer Parfümgeruch und ein tiefes, gleichmäßiges Atmen. Er blieb an der Tür stehen, lehnte sich dagegen und starrte in die Dunkelheit, bis sich seine Augen daran gewöhnt hatten. Aus den Schatten wurden Gegenstände ... der Schrank, das Waschbecken, eine Frisierkommode, zwei kleine Sessel, ein Tisch, ein flaches Bett, darüber die Umrisse eines Bildes, eine Steppdecke mit den Wölbungen eines Körpers darunter, ein kleiner, heller Fleck ... der Teil eines Gesichtes und aufgelöste blonde Haare.

Ernst Dahlmann preßte die Lippen zusammen und atmete laut durch die Nase. Eine heiße Welle Blut spülte zu seinen Schläfen und trocknete ihm die Kehle und den Gaumen aus. Sein Herz brannte. Er schluckte mehrmals, und es tat weh, dieses Schlucken mit einer Kehle, die ausgedörrt war wie nach einer Wüstenwanderung.

Langsam ging er auf das Bett zu, setzte sich vorsichtig auf die Kante und beugte sich über Monikas Kopf. Sie schlief wie ein Kind, den Kopf zur Seite, mit fast trotzigen Lippen, die Beine etwas angezogen. Er sah das leichte Zittern ihrer Augendeckel, die sich im Schlaf beim Atmen ein wenig blähenden Nasenflügel, er roch ihren Körper und verfolgte die weiße, weiche Linie ihres Halses bis zu den Spitzen des Hemdes, die den Brustansatz verdeckten. Mit zitternden Fingern streifte er langsam die Steppdecke von ihr ... zentimeterweise, als schäle er eine wertvolle Skulptur aus ihrer schützenden Umhüllung, ein Porzellanfigürchen, zerbrechlich bei jeder rauhen Berührung. Monika Horten seufzte im Schlaf, sie drehte den Kopf, streckte sich und schob einen Arm unter den Kopf.

Das war der Augenblick, in dem Ernst Dahlmann die mühsame Beherrschung verließ. Stumm, nach einem tiefen Aufatmen, warf er sich über sie und riß sie in seine Arme. Den Schrei, den sie ausstieß, erstickte er mit seinen Lippen, er preßte sie in die Kissen zurück, während seine Hände an ihrem Körper auf und ab glitten.

»Bist du wahnsinnig?!« schrie sie, als er Atem schöpfen mußte und ihren Mund freigab. Sie preßte die Fäuste zwischen sich und ihn und zog die Beine an. »Du bist ja betrunken, Ernst! Du bist ... du bist.«

»Ich bin wahnsinnig, ja. Ich bin wahnsinnig.« Dahlmann ergriff ihre Fäuste und drückte sie weg. »Du weißt, daß ich dich liebe . daß ich dich seit der ersten Begegnung liebe, daß ich Luise nur geheiratet habe, um dir nahe zu sein, dich zu sehen, immer und immer wieder zu hoffen, jahrelang, daß einmal diese Stunde kommt, diese Stunde, wie sie jetzt ist. Dafür habe ich hingenommen . die Demütigungen deines Vaters, die Duldung Luises, die Überlegenheit ihres Geistes, die sie mir immer zu spüren gab . alles, alles habe ich in mich hineingefressen, weil ich wußte: Einmal kommt die Stunde, für die ich lebe, für die ich mich geopfert habe. Moni, habe ich gedacht, wenn Luise zärtlich war, und das war selten. Moni, habe ich gefühlt, wenn ich die Hand ausstreckte und ihren Körper spürte. Moni, nur immer Moni . ich habe für dich gelebt, die ganze Zeit . und nun sind wir zusammen, nun kann uns nichts mehr trennen, nun ist uns das Schicksal entgegengekommen.« Er riß sie zu sich, seine heißen Hände fuhren über sie.

»Ernst!« schrie sie. »Das ist doch Irrsinn! Ernst! Sie ist meine Schwester . und sie ist blind -«

»Sie wird nie sehen, wie erfüllt unser Leben ist. Ist das nicht wie eine Fügung? Sie wird es nie erfahren, nie merken . sie wird in einem Traumhaus sitzen . und wir werden glücklich sein . wir alle.«

»Ich kann das nicht, Ernst! Ich kann sie nicht immer belügen . ich habe die Nerven nicht dazu.«

»Ich werde die Nerven für dich mit haben!« Er küßte sie wieder, und er spürte, als er sie umfing, wie sie zitterte und wie der innere Widerstand in seiner Glut verbrannte. Noch einmal versuchte sie, mit den Fäusten ihn wegzudrängen, sich zur Seite zu wälzen, die

Lippen fest zusammenzupressen. Dann, ganz plötzlich, als schalte man ein Licht aus, wurde sie schlaff, erstarb aller Widerstand, lag sie hilflos in seinen Armen, um ebenso plötzlich wieder zu entbrennen, aber anders, gebend und fordernd, mit spitzen Nägeln, die sich in seinen Rücken gruben und einen Schmerz in ihm aufrissen, den er wie Wonne empfand.

»Es ist Wahnsinn, Ernst.«, stammelte sie. »Mein Gott, wie wahnsinnig sind wir.«

Dann schwieg sie, und das Gefühl, eine Frau zu sein, besiegte den letzten Rest von Reue -

Am übernächsten Tag holte Ernst Dahlmann seine Frau Luise nach Hause. Er führte sie zärtlich zum Wagen, küßte sie auf die Stirn und sagte:

»Es ist schön, daß du zurückkommst, Luiserl.«

Sie lächelte und streichelte seine Hand.

»Jetzt brauche ich dich doppelt, Ernst -«

»Ich weiß, Luiserl.« Er küßte sie auf die trüben Augen. »Ich werde immer für dich dasein . das weißt du -«

Sie lehnte sich in die Polster zurück und nickte.

»Das macht mir ja alles so leicht«, sagte sie leise. »Wenn ich euch nicht hätte . dich und Monika -«

Загрузка...