VII

Kim war zu erschöpft, um den Gedanken in seiner vollen Tragweite zu erfassen. Und er schien nicht der einzige zu sein, dem der Ritt unter dem Schattengebirge das Letzte abverlangt hatte. Die Reiter verteilten sich, und Kim ritt inmitten der ihm schon vertraut gewordenen Gruppe zum südlichen Ende des Talkessels. Diesmal verzichtete man darauf, Zelte aufzuschlagen, und auch die Pferde wurden nicht weggeführt. Die Krieger ließen sich, wo sie gerade waren, aus den Sätteln fallen und rollten sich zum Schlafen ein.

Der Wunsch, es ihnen gleichzutun, war übermächtig, aber Kim riß sich zusammen. Wenn es eine Möglichkeit gab, dem schwarzen Heer zu entkommen, dann jetzt.

Vornübergebeugt, die Hände auf den Hals des Pferdes gestützt, trottete er an endlosen Reihen schlafender oder teilnahmslos dahockender Soldaten vorbei. Der Talkessel war rundum geschlossen, nur im Norden gab es einen schmalen, wie mit einer gigantischen Axt in den Felsen gehauenen Spalt. Natürlich war der Ausgang bewacht, aber darüber machte Kim sich im ersten Hochgefühl keine Sorgen. Er hatte das Unmögliche geschafft und einen Weg über das Schattengebirge gefunden - nach all dem würde er sich jetzt nicht von ein paar Wachen aufhalten lassen.

Er ritt langsamer, legte dem Pferd beruhigend die Hand zwischen die Ohren und murmelte leise, sinnlose Worte. Den Blick wachsam geradeaus gerichtet, näherte er sich dem Talausgang. Ein halbes Dutzend schwarzgepanzerter Wächter stand, auf ihre Speere gestützt, vor dem etwa zwanzig Meter breiten Durchlaß. Kim zügelte sein Pferd und hielt an. Er hatte sich noch keine klare Vorstellung darüber gemacht, wie er den Talkessel verlassen konnte. Vielleicht würde es ihm sogar gelingen, in wildem Galopp durch die Reihe der Wächter zu brechen. Aber das andere Ende der Schlucht war garantiert ebenfalls bewacht, und spätestens dort würde seine Flucht zu Ende sein, wenn ihn nicht vorher ein Pfeil oder ein Speer aus dem Sattel hob.

Hufgeklapper ließ ihn herumfahren. Eine kleine Gruppe schwarzer Reiter näherte sich dem Durchlaß. Der Anführer wechselte ein paar Worte mit einem der Wächter, worauf sich der Kordon teilte und die Reiter durchließ.

Kim überlegte nicht lange. Mit sanftem Schenkeldruck zwang er sein Pferd herum, reihte sich ans Ende der Kolonne und passierte mit ihr die Wachtposten. Niemand nahm Notiz von ihm.

Die Schlucht war vielleicht hundert Meter lang, aber seine Aufregung und Ungeduld ließen sie ihn viel länger erscheinen. Endlich passierten sie wieder eine Reihe gutgetarnter Wächter am Ausgang der Klamm, und vor ihnen lag ein unglaublich weites, lichtes Land.

Kim hätte am liebsten laut aufgejubelt. Sie befanden sich noch immer im Gebirge, aber es war eine Gebirgslandschaft ganz anderer Art als diesseits der Schattenberge. Zwischen dem hellen Felsgestein leuchteten grüne Büsche und Farnkraut und bunte Gebirgsblumen. Gras und Moos dämpften die Tritte der Pferde, und aus einem Spalt hoch oben im Felsen wuchs eine verkrüppelte Kiefer in den durchsichtig blauen Himmel. Vogelgezwitscher erfüllte die Luft, und ein Gebirgsbach mit glasklarem Wasser kreuzte ihren Weg.

Jetzt! dachte Kim.

Er riß sein Pferd herum, preßte ihm die Schenkel in die Seiten und beugte sich tief über seinen Hals. Ein überraschter Aufschrei lief durch die Reitergruppe. Jemand rief etwas, was Kim nicht verstand, dann erscholl ein kurzer, wütender Befehl. Ein Pfeil zischte knapp an ihm vorbei und zersplitterte am Felsen, ein zweiter schrammte über seine Rüstung und hinterließ einen langen blutigen Kratzer an der Flanke seines Pferdes. Dann war er um eine Biegung und vorläufig in Sicherheit.

Kim schätzte blitzartig seine Lage ab. Der Weg führte steil den Hang hinunter und schlängelte sich zwischen Felsen und Baumgruppen hindurch, so daß er fürs erste vor Pfeilen und anderen Geschossen geschützt war. Aber er mußte ein Versteck finden. Sein Pferd war genauso erschöpft wie er selbst, es würde das Rennen mit den starken und ausgeruhten Tieren der Verfolger nicht mehr lange durchhalten.

Wie auf ein Stichwort sprengten in diesem Moment die Reiter um die Ecke. Kim erschrak, als er die hünenhafte Gestalt im Sattel des ersten Pferdes erkannte, die einen riesigen schwarzen Morgenstern schwang. Der Reiter hinter ihm war niemand anders als Baron Kart!

»Lauf, Junge!« rief Kim seinem Pferd zu. »Lauf um dein Leben. Und um meines. Sie bringen uns beide um, wenn sie uns kriegen!«

Das Pferd wieherte, als habe es verstanden. In rasendem Galopp stürmte es den Berg hinunter, sein Atem flog, und vor den Nüstern stand flockiger, weißer Schaum. Kim krallte sich in seiner Mähne fest und schaute verzweifelt nach einem Fluchtweg aus. Aber auf der einen Seite war nur freies, offenes Gelände und auf der anderen ein senkrechter Absturz. Der Weg führte jetzt hart am Rand einer mindestens zehn Meter breiten Schlucht entlang, deren jenseitige Kante durch das steile Gefälle erheblich tiefer lag.

Kim blickte über die Schulter zurück. Der Abstand zwischen ihm und seinen Verfolgern hatte sich verringert. Er glaubte in den Augen des schwarzen Barons abgrundtiefen Haß zu erkennen. Nie würde er Kim verzeihen, ihn derart an der Nase herumgeführt zu haben. So etwas war ihm wohl in seinem ganzen Leben noch nicht passiert.

Um so schrecklicher würde seine Rache sein. Eine Rache, von der ihn nur noch wenige Augenblicke trennten...

Kim riß den Kopf herum und blickte nach vorn. Er faßte einen verzweifelten Entschluß. Seine Hand zerrte am Zügel. Das Pferd bäumte sich auf, widersetzte sich einen Augenblick seinem Befehl und schwenkte dann willig herum. Ein vielstimmiger Aufschrei aus den Reihen seiner Verfolger folgte ihm, als sie sahen, wie Pferd und Reiter in halsbrecherischem Tempo auf die Schlucht zusprengten.

Kim warf sich nach vorn, klammerte sich mit beiden Armen am Hals des Tieres fest und schloß die Augen. Er spürte, wie sich die Muskeln des Pferdes spannten, als es zum Absprung ansetzte. Zwei, drei endlose Sekunden segelten sie durch die leere Luft. Kim riß die Augen auf und sah die gegenüberliegende Absturzkante auf sich zufliegen.

Der Aufprall schleuderte ihn aus dem Sattel. Er überschlug sich in der Luft, kam mit fürchterlicher Wucht am Boden auf und rollte etliche Meter wie ein Stein weiter, ehe er zur Ruhe kam. Das Pferd stolperte noch ein paar Schritte, brach dann mit einem Schmerzenslaut in die Knie und richtete sich mühsam wieder auf.

Kim stemmte sich ächzend hoch. Sein ganzer Körper schmerzte, und in den Ohren rauschte das Blut. Er wandte den Kopf und blickte zum gegenüberliegenden Rand der Schlucht hinauf. Die Verfolger waren zum Stehen gekommen. Der Baron tobte. Kim sah, wie sich die schwarzen Reiter unter seinen Flüchen duckten.

Etwas zischte an ihm vorbei und bohrte sich vor ihm in den Boden. Kim zuckte zusammen, wich einem zweiten Pfeil aus und wandte sich dann schleunigst zur Flucht. Ein Hagel langer schwarzer Pfeile prasselte rings um ihn nieder, und mehr als einmal rettete ihn nur sein Panzer vor einem tödlichen Treffer.

Dann war er hinter einem Felsblock in Sicherheit. Die Pfeile flogen noch immer, erreichten ihn jedoch nicht mehr, fielen zu Boden oder prallten klappernd von den Felswänden ab. Wahrscheinlich schossen die Ritter nur noch, um ihrer Wut Luft zu machen.

Kim pfiff sein Pferd herbei, tastete nach dem Sattelknauf und ließ sich erschöpft gegen seine Flanke sinken. Das Pferd war naß vor Schweiß, und sein keuchender Atem hatte sich noch nicht beruhigt. Kim ruhte ein paar Sekunden aus, dann richtete er sich auf, hob die Hände an den Kopf und setzte zum ersten Mal seit einer Ewigkeit, wie ihm schien, den schwarzen Helm ab. Er legte ihn behutsam neben sich ins Gras, ließ sich auf ein Knie nieder und fuhr prüfend mit den Fingerspitzen über die Vorderläufe des Pferdes. Das Tier wieherte, und Kim spürte, daß seine Gelenke angeschwollen waren. Es war das reinste Wunder, daß es sich bei dem Sprung nicht alle vier Beine gebrochen hatte.

»Armer Junge«, sagte er. »Du fühlst dich genauso elend wie ich, nicht wahr?«

Das Pferd bewegte den Kopf, als habe es die Worte verstanden, wieherte und stieß Kim mit seiner feuchten Nase vor die Brust. Kim verlor das Gleichgewicht, ruderte mit den Armen und landete lachend auf dem Hosenboden. Aber er wurde gleich wieder ernst.

»Ich fürchte, du mußt mich noch eine kleine Weile tragen, Junge«, sagte er. »Wir sind nämlich noch lange nicht in Sicherheit. Baron Kart wird einen Weg finden, über die Schlucht zu gelangen, und dann möchte ich so weit wie nur möglich weg sein. Du wohl auch, oder?« Seufzend befestigte er seinen Helm am Sattelknauf und kletterte wieder auf den Rücken des Pferdes.

Sie ritten weiter bergab. Die steinige Landschaft überzog sich mehr und mehr mit Grün, und aus den vereinzelten Bäumen wurden Haine und kleine, schattige Wälder, die zum Verweilen einluden. Kim tränkte sein Pferd an einem der zahlreichen klaren Bäche, die ihren Weg kreuzten, stärkte sich selbst mit ein paar Schlucken eiskalten Wassers und riß eine Handvoll Beeren von den Büschen ab. Hunger und Erschöpfung machten sich wieder bemerkbar. Er war hundemüde, und er hätte wer weiß was darum gegeben, ein paar Stunden in einem weichen Bett oder auch nur auf nacktem Boden zu schlafen, aber er war noch nicht weit genug von Kart und seinen schwarzen Reitern entfernt. Wenigstens bis zum Abend mußte er durchhalten. In der Dunkelheit konnte er es vielleicht riskieren, sich in einer Felsspalte oder unter einem Busch zum Schlafen zu legen.

Spät am Nachmittag verließen sie das Gebirge. Der steinige Berghang ging in eine sanft abfallende, saftiggrüne Wiese über, die an einen schattigen Wald grenzte. Der Anblick gab ihm und seinem Pferd neue Kraft. Er spornte das Tier noch einmal an und ritt im Galopp auf den Waldrand zu.

Als sie die ersten Bäume erreichten, ließ er die Zügel fahren, nahm einen Fuß aus dem Steigbügel und fiel aus dem Sattel. Der Wald und der helle, wolkenlose Himmel begannen sich um ihn zu drehen, Übelkeit und ein Gefühl nie gekannter Schwäche übermannten ihn. Er fiel auf die Knie, rollte sich auf die Seite und versuchte vergeblich, wieder hochzukommen. Sein Körper hatte mehr gegeben, als er geben konnte, und selbst wenn die Welt in diesem Moment um ihn herum zusammengebrochen wäre, hätte Kim keinen Schritt mehr gehen können.

Plötzlich hörte er ein Geräusch. Er hob den Kopf und sah, wie sich die Büsche vor ihm bewegten.

Aber es war nur ein Dachs, der, angelockt durch den Lärm und den fremden Geruch, den er und sein Pferd ausströmen mochten, herbeikam und neugierig schnüffelte.

Kim lächelte matt.

»Hallo, Dachs«, sagte er. »Du glaubst gar nicht, wie ich mich freue, ein lebendes Wesen zu sehen.« Er streckte die Hand aus und bewegte die Finger. Der Dachs schnüffelte erneut, ließ sich dann auf sein breites Hinterteil sinken und begutachtete diesen seltsamen Besucher aus seinen kleinen, klugen Augen.

»Du bist zwar nur ein Dachs«, murmelte Kim, schon halb im Schlaf, »aber du bist trotzdem das schönste Wesen, das ich seit Tagen zu Gesicht bekomme. Schade, daß du mir nicht helfen kannst.«

Der Dachs legte den Kopf auf die Seite und zwinkerte ein paarmal.

Kim ließ den Kopf ins weiche Gras sinken, schloß die Augen und seufzte: »Nimm's mir nicht übel, Dachs, aber ich muß einfach ein paar Minuten schlafen. Wenn du wartest, bis ich aufwache, unterhalten wir uns ein bißchen.«

Der Dachs grunzte, kratzte sich mit dem Hinterlauf am Ohr und schüttelte sich.

»Soviel Zeit habe ich leider nicht«, brummte er. »Aber ich komme gerne wieder. Man trifft hier nicht oft Leute, mit denen man ein gemütliches Schwätzchen halten kann, weißt du.«

Kim wußte später nicht zu sagen, ob er im nächsten Moment eingeschlafen oder vor Schreck in Ohnmacht gefallen war.

Kim blieb fast eine Woche bei Tak, dem Dachs. Der alte Grimbart bewohnte zusammen mit seiner Frau und einer Horde streitlustiger kleiner Dachskinder eine ausgedehnte Höhle tief unter dem Waldboden, groß genug, daß auch noch Kim darin Platz fand.

Die Taks - nicht nur Tak hieß Tak, sondern auch seine Frau und jedes der acht Jungen, so daß Kim sich oft fragte, wie um alles in der Welt Frau Tak ihre Sprößlinge wohl auseinanderhalten konnte -, die Taks waren jedenfalls sehr freundliche Leute, wenn sie auch im ersten Moment einen etwas verschlossenen und eigenbrötlerischen Eindruck machten. Während der ersten drei Tage lag Kim fast die ganze Zeit in einer stillen, dunklen Ecke der Höhle und wachte nur auf, wenn ihm Frau Tak etwas zu essen brachte oder einer der jungen Taks ihn aus purem Übermut an den Haaren zog oder versuchte, unter seine Rüstung zu kriechen. Erst am vierten Tag verließ er die Höhle, um sich in der näheren Umgebung umzusehen und sein Pferd zu versorgen. Aber der kurze Ausflug zeigte ihm deutlich, daß seine Kräfte noch lange nicht zurückgekehrt waren. Er versuchte zu reiten, fiel aber schon beim ersten Versuch aus dem Sattel und kroch niedergeschlagen in den Dachsbau zurück.

Unten war es kühl und schattig wie immer. Kim verkroch sich in seine Ecke und kuschelte sich in das trockene Laub, das die Dachse zu einem Bett zusammengetragen hatten. Die Taks waren tagsüber fast immer in der Höhle. Nachts gingen sie auf Nahrungssuche und kehrten meist erst im Morgengrauen von der Jagd zurück. Kim hatte während der letzten Tage nicht viel mit ihnen geredet. Die Dachse waren nicht sehr gesprächig. Wenn sie nach Hause kamen, ging Frau Tak sofort daran, die Vorräte zu verstauen und das Essen vorzubereiten, während sich die Jungen in ihre Spielhöhle zurückzogen und der alte Dachs an seinem Lieblingsplatz hockte und friedlich vor sich hin döste.

Der Dachsbau war behaglich und sicher, ein Ort, an dem man sich geborgen fühlte und wo man alle Sorgen und Nöte vergessen konnte. Ein ganz klein wenig wie zu Hause, dachte Kim, verdrängte den Gedanken aber sofort wieder. Er war nicht hierhergekommen, um sich auszuruhen. Es gab noch viel zu tun.

Kim stand wieder auf, kroch auf allen vieren zu Tak hinüber und hockte sich schweigend neben ihn auf den Boden.

Tak machte ein Auge auf und sah Kim prüfend an.

»Ich hoffe, du fühlst dich besser«, sagte er.

Kim nickte. »Ja. Ich... ich fühle mich schon wieder ganz gut. Und das habe ich nur eurer Hilfe zu verdanken.«

»Laß nur. Ich sagte schon, daß hier nicht oft Leute vorbeikommen. Da ist es doch selbstverständlich, daß man sich umeinander kümmert.«

»Aber ich kann nicht hierbleiben«, murmelte Kim.

»Ich weiß.« Tak wackelte mit dem Kopf. »Ayyah«, seufzte er. »Diese jungen Leute heute. Immer in Eile, niemals haben sie Zeit für ein Schwätzchen.« Wieder wackelte er mit dem Kopf und sah Kim traurig an. »Ich hatte gehofft, daß du ein Weilchen bei uns bleiben und uns Gesellschaft leisten würdest. Aber ich sehe schon, daß ich dich nicht halten kann.« Kim sah ihm verdutzt an. Nachdem Tak in den letzten drei Tagen kaum drei Worte mit ihm gewechselt hatte, kam dieser plötzliche Anflug von Geselligkeit etwas überraschend.

»Bleib noch ein paar Monate«, sagte Tak. »Der Winter steht vor der Tür, dann können wir hier gemütlich beisammensitzen und reden. Es gibt viel zu besprechen.« Er hob schnuppernd den Kopf. »Es geht Schlimmes vor im Land«, murmelte er. »Alles ist so aufgeregt und nervös. Niemand hat mehr Zeit für einen netten Plausch. Ayyah.«

»Wie meinst du das?« fragte Kim. »Was geht Schlimmes vor im Land?«

»Du weißt es nicht?«

Kim schüttelte den Kopf. »Ich, äh... ich war lange weg«, sagte er.

Tak nickte. Er schwieg fast eine Minute lang und seufzte dann wieder. »Ayyah. Man sagt, es geschehen schreckliche Dinge. Wir leben hier sehr ruhig und abgeschieden, aber man hört so manches.«

»Was für schreckliche Dinge?« bohrte Kim.

»Schreckliche Dinge, mein Sohn. Man sagt, es gäbe Krieg. Krieg und noch Schlimmeres. Aber Nachrichten brauchen lange, um bis zu uns heraufzukommen. Wenn du mehr wissen willst«, fügte er nach einer Pause hinzu, »wirst du wohl ins Tal hinuntergehen müssen.«

Kim nickte. »Das werde ich wohl.«

»Aber nicht sofort«, mischte sich Frau Tak energisch ein. »Zuerst ruhst du dich noch ein paar Tage aus und ißt anständig.« Sie knuffte Kim schmerzhaft zwischen die Rippen. »An dir ist ja überhaupt nichts dran. Wenn du mein Sohn wärst...« Sie schüttelte mißbilligend den Kopf. »Du gehst hier nicht weg, bevor du wieder anständig Fleisch auf den Rippen hast«, sagte Frau Tak bestimmt.

Und dabei blieb es.

Am nächsten Abend nahmen ihn die Dachse mit auf die Jagd. Kim fühlte sich längst noch nicht kräftig genug für ein solches Unternehmen, aber Tak bestand darauf, daß er mitkam, und Kim hätte es als undankbar empfunden, ihm diesen Wunsch abzuschlagen.

Seine Meinung über die Dachse änderte sich gründlich, als er sie auf der Jagd erlebte. Daheim in der Höhle waren Tak, Tak, Tak, Tak, Tak, Tak, Tak und Tak, die jungen Dachse, unausstehliche Quälgeister, richtige Frechdachse eben. Auf der Jagd verwandelten sie sich in disziplinierte, folgsame Kinder, deren Blicke wie gebannt an jeder Bewegung ihres Vaters hingen und die auch nicht das mindeste überflüssige Geräusch verursachten. Sie streiften einen halben Tag durch den Wald, ehe sie auf Beute stießen. Als es schließlich soweit war, ging alles so schnell, daß Kim kaum wußte, was geschehen war, als der alte Tak schon mit einem geschlagenen Kaninchen in der Schnauze angelaufen kam.

Kim freute sich für die Taks, aber er konnte sich eines leisen Gefühls des Bedauerns nicht erwehren, als er den reglosen Kaninchenkörper betrachtete. Tak bemerkte seinen Blick.

»Dir tut das Langohr leid, wie?« sagte er.

Kim druckste herum und nickte dann. »Aber es muß wohl sein«, murmelte er.

»Ayyah, es muß sein«, bestätigte Tak. »So ist das nun mal. Man frißt oder wird gefressen. Bei euch Menschen ist es auch nicht anders.«

Kim wußte nicht, worauf Tak hinauswollte. Er wartete schweigend, bis der Dachs nach einer Weile fortfuhr.

»Siehst du, Kim«, sagte er, »die Natur hat es nun einmal so eingerichtet, daß der Starke den Schwachen frißt und der Schwache den Schwächeren. Und solange jeder das tut, weil er Hunger hat oder weil er für seine Jungen sorgen muß, ist das auch ganz in Ordnung. Es ist das System, und solange sich alle daran halten, bleiben die Dinge im Gleichgewicht.« Er legte den Kopf auf die Seite und betrachtete Kims schwarze Rüstung. »Das sieht nicht schön aus, was du da anhast«, stellte er fest und musterte Kim mit zusammengekniffenen Augen. »Heute früh bin ich noch einmal aus der Höhle gegangen«, fuhr er fort. »Und da habe ich viele Männer gesehen. Männer auf Pferden wie dem deinen. Und auch ihre Rüstungen waren so wie die, die du trägst. Waren das deine Leute?«

Kim war über diese Eröffnung so erschrocken, daß er nicht gleich antworten konnte.

»Viele... Männer?« stotterte er.

Tak nickte. »Sehr viele. Sie haben mir nicht gefallen. Ayyah, gar nicht, mein Sohn. Gehörst du zu ihnen?«

Kim schüttelte energisch den Kopf. »Nein. Bestimmt nicht. Ich... ich habe mich unter sie gemischt, aber sie sind meine Feinde. Und eure auch, glaube ich. Was haben sie gemacht?«

»Nichts. Sie zogen vorbei. Suchen sie dich?«

»Ich glaube schon«, murmelte Kim. »Aber sie sind nicht bloß aus diesem Grund gekommen. Wohin sind sie geritten?«

»Ins Tal«, antwortete Tak. »Sie schienen es nicht eilig zu haben. Was waren das für Leute?«

Kim überlegte eine Weile, ehe er antwortete. Er hätte viel erzählen können, von Flucht und Verfolgung, von Baron Kart, von Boraas und seinem finsteren Begleiter, aber er hatte den Eindruck, daß Tak das alles bereits wußte.

»Gestern hast du mir erzählt, daß man von Krieg spricht«, sagte er, »erinnerst du dich?«

Tak nickte.

»Die Reiter, die du gesehen hast, sind hierhergekommen, um dieses Land zu erobern«, sagte Kim. Er erwartete, daß Tak Erschrecken oder zumindest Überraschung zeigen würde, aber der alte Dachs nickte nur wieder, als hätte er nichts anderes erwartet.

»So hat er es denn getan«, murmelte Tak.

»Wer hat was getan?«

»Boraas«, antwortete Tak. »Wir wußten schon lange, daß er Eroberungspläne schmiedet. Doch bisher hat er sich nicht getraut, uns offen anzugreifen. Es gab Gerüchte.«

»Gerüchte?«

Tak antwortete nicht sofort. Schließlich sagte er: »Es ist nicht immer etwas dran an Gerüchten, mein Sohn. Aber es ist auch nicht immer nichts dran, wenn du verstehst, was ich meine. Es heißt, daß Boraas einen mächtigen Verbündeten gefunden hat, durch dessen Hilfe es ihm möglich war, das Schattengebirge zu überwinden und mit seinem Heer in das Land einzufallen. Ayyah. Es werden schlimme Zeiten kommen. Ich spüre es in meinen alten Knochen.«

»Du... du solltest fliehen«, sagte Kim. Ohne es begründen zu können, fühlte er sich mitschuldig an dem, was geschehen war.

Tak schüttelte den Kopf. »Ich fürchte nicht um mich, Kim«, sagte er. »Ich bin alt, und einen alten Baum soll man nicht verpflanzen. Ich habe lange und glücklich gelebt, und wenn es mich trifft, so trifft es mich eben, egal, wo ich gerade bin. Und es wird noch lange dauern, bis die Schwarzen auch hier ihre Herrschaft errichtet haben. Nein - ich denke nicht an mich. Aber ich mache mir Sorgen um Tak und die anderen Taks, meine Jungen. Sie haben kein so glückliches Leben vor sich. Das stimmt mich traurig, auch wenn sie selbst noch zu jung und ungestüm sind, um es zu begreifen. Jemand muß ihnen helfen.«

»Und... dieser Jemand soll ich sein?«

Tak nickte ernst.

»Aber was kann ich tun?« fragte Kim. »Ich bin selbst nur ein kleiner schwacher Junge, und die Schwarzen sind so viele...«

»Du magst ein kleiner Junge sein«, sagte Tak, »aber es kommt nicht darauf an, was du bist, sondern darauf, was du tust. Boraas mit all seiner Macht vermag nichts gegen dich auszurichten, wenn du wirklich fest entschlossen bist, ihm zu widerstehen.« Tak schwieg, aber Kim hatte den Eindruck, daß der Dachs ihm noch nicht alles gesagt hatte. Und tatsächlich fuhr er nach einer Weile fort. »Du hast noch einen weiten Weg vor dir, Kim. Einen Weg voller Gefahren, wogegen die, die du überstanden hast, harmlos sind. Aber du kannst ihn gehen, wenn du es wirklich willst. Ich weiß es.« Der Dachs schwieg wieder, und diesmal fühlte Kim, daß es sein letztes Wort war und alles gesagt war, was es zu sagen gab. Kim stand ruckartig auf, hängte sich das Kaninchen an den Gürtel und pfiff Junge - er hatte beschlossen, das Pferd immer so zu rufen - herbei. Er schwang sich in den Sattel und ritt in gemächlichem Tempo zur Dachshöhle zurück, während ihm die Taks wie ein Schwarm kleiner, schwarzweißer Schatten folgten.

Taks Worte gingen Kim nicht aus dem Sinn. Er saß hier oben und ruhte sich aus, während rings um ihn herum die schwarzen Reiter bereits in das Land eingefallen waren und Boraas vielleicht schon in diesem Moment damit begann, auch hier seine Schreckensherrschaft zu errichten. Er mußte an Ado und dessen Vater, den Tümpelkönig, denken, und als Kim auf die quicklebendigen, verspielten Dachsjungen herunterblickte, wurde ihm erst richtig klar, welch großer Verlust den Tümpelkönig getroffen hatte. Es würde nicht mehr lange dauern, und dieses Land würde dem Schattenreich gleich werden. Und schließlich würde aus Tak ein verbitterter böser alter Dachs geworden sein und aus seinen Jungen verbitterte böse junge Dachse, die nichts als Groll im Herzen trugen und einer Zeit nachtrauerten, die sie kaum oder gar nicht erlebt hatten. Nein - so weit durfte es nicht kommen.

Aber was konnte er schon tun? Sicher, zweimal hatte er Boraas und seinen finsteren Statthalter an der Nase herumgeführt. Doch jetzt war die Sache vollkommen anders. Es ging nun nicht mehr um ihn, Kim, allein. Und alle Klugheit der Welt vermochte Boraas und sein gigantisches Heer nicht aufzuhalten.

Am Morgen des sechsten Tages verabschiedete sich Kim von der Dachsfamilie. Es fiel ihm nicht leicht zu gehen, aber er hatte schon viel zuviel Zeit verloren. Seine Wunden waren geheilt, und Frau Tak hatte ihr Versprechen wahr gemacht und ihn so gründlich gemästet, daß er sich gesund und kräftig fühlte. Es gab keinen Grund, noch länger zu bleiben.

Die beiden alten Dachse geleiteten ihn noch ein Stück des Weges hinunter, und als Kim endgültig Abschied von ihnen nahm, glaubte er im Augenwinkel von Frau Tak eine einzelne Träne glitzern zu sehen.

Kim wollte noch etwas sagen, aber er fand nicht die richtigen Worte. Ein Blick in Taks Gesicht sagte ihm, daß es keiner bedurfte. Kim nickte noch einmal zum Abschied, lenkte sein Pferd herum und gab ihm die Sporen.

Der Wald wurde dichter, je weiter sie nach Westen kamen. Der Boden fiel sanft, aber beständig weiter ab. Kim begriff, daß er noch lange nicht aus dem Vorgebirge heraus war und in Wirklichkeit einen gewaltigen bewaldeten Hügel hinunterritt. Spät am Nachmittag rastete er an einem kleinen, einsamen See, trank ein paar Hände voll des eiskalten, wohlschmeckenden Wassers und aß etwas aus dem Beutel, den ihm Frau Tak mit Eßbarem angefüllt hatte. Die alte Dächsin hatte Kim gut versorgt, so daß er für die nächsten zwei Wochen weder zu jagen noch Früchte und Beeren zu sammeln brauchte.

Der Wald wurde immer noch dichter, zugleich aber auch belebter. Kim traf jetzt oft auf Tiere - Kaninchen, Eichhörnchen, ein paar Rehe, die ihn aus der Ferne mißtrauisch, doch ohne Anzeichen von Furcht beäugten. Einmal kam ihm ein Eichhörnchen so nahe, daß Kim die Hand ausstrecken und den winzigen pelzigen Kopf streicheln konnte. Ein andermal äste ein Hirsch mitten auf dem Weg, ohne sich durch Kims Näherkommen stören zu lassen. Obwohl der Wald so dicht war, ließ das Blätterdach hoch über seinem Kopf genügend Licht durch, so daß Kim durch einen ständigen Wechsel von goldenem Licht und warmem, dunkelgrünem Schatten ritt.

Erst am späten Nachmittag erreichte er den Waldrand, besser gesagt den Rand einer Lichtung, die so groß war, daß man den gegenüberliegenden Waldrand nur als schmale dunkle Linie erkennen konnte. Kim verhielt sein Pferd einen Moment im Schatten der letzten Bäume und trieb es dann auf die Lichtung hinaus. Etwa in der Mitte befand sich eine Ansammlung dunkler, nur als kleine Punkte zu erkennender Gebäude - ein Dorf oder ein größeres Gehöft vielleicht. Kim beschleunigte sein Tempo und ritt schließlich in scharfem Galopp auf die Häuser zu. Nach allem, was er erlebt hatte, konnte er es kaum mehr erwarten, endlich wieder auf Menschen zu treffen. Flüchtig dachte er daran, daß seine schwarze Rüstung vielleicht Argwohn oder gar Angst erwecken mochte, aber dieses Mißverständnis würde er bald aus dem Weg räumen. Er war sicher, daß man ihn mit offenen Armen empfangen würde, sobald er seine Geschichte erzählte.

Als er näher kam, sah er, daß es sich tatsächlich um ein großes Gehöft handelte. Rings um das dreistöckige Wohngebäude gruppierten sich fast ein Dutzend Scheunen und Ställe, und der rechteckige, mehr als hundert Schritte im Quadrat messende Innenhof wurde von einer brusthohen Mauer umgeben, die aber offensichtlich nur zur Abgrenzung des Grundstückes und nicht etwa für Verteidigungszwecke diente.

Alles war ruhig. Kein Mensch war zu sehen, obwohl Türen und Fenster offenstanden. Der Hof schien jedoch nicht verlassen zu sein, denn vor den Scheunen lagen Werkzeuge und Bündel herum, und aus der Esse des Hauptgebäudes kräuselte sich eine Rauchfahne in die unbewegte Luft empor.

Aber sonst rührte sich nichts. Neben dem Tor stand ein zweirädriger Karren, der zur Hälfte mit frisch getrocknetem Heu beladen war, daneben lagen Harken, hölzerne Heugabeln und ein aufgeplatzter Beutel mit frischen grünen Äpfeln, fast als hätten die, die hier gearbeitet hatten, alles stehen- und liegenlassen, um Hals über Kopf zu flüchten.

Kim ritt durch das weitoffene Tor, zügelte sein Pferd und sah sich aufmerksam um. Im Haus rührte sich noch immer nichts, und auf einmal fiel Kim die grabesähnliche Stille auf, die sich über das weitläufige Gelände gebreitet hatte. Ein unheimliches Gefühl kroch in ihm hoch, Instinktiv legte er die Rechte auf den Griff des Schwertes und klappte das Visier herunter.

Der Hof wirkte tot, dachte Kim erschrocken. Ein Anwesen von dieser Größe konnte einfach nicht so völlig still sein. Selbst wenn alle Bewohner schliefen oder auf den Feldern waren. Es mußte hier Tiere geben, Hunde, Katzen, Hunderte von Hühnern und Kühen und Schweinen, irgend etwas, was Lärm machte, lebte, sich bewegte.

Aber da war nichts. Alles blieb still, so still, daß das leise Knarren seiner Rüstung von den lehmverputzten Wänden widerhallte.

Kim stieg aus dem Sattel, zog seine Waffe und näherte sich der halb offenstehenden Tür einer Scheune. Seine Hand zitterte ein klein wenig, als er das Tor weiter aufschob und ins Innere sah. Durch die Ritzen im Dach sickerte Sonnenlicht in gelben, flirrenden Bahnen und verwob den Raum in ein wirres Muster aus Hell und Dunkel, in dem es Kim schwerfiel, etwas zu erkennen. Die Scheune war angefüllt mit Säcken und Werkzeugen. Ein roh zusammengezimmerter Heuboden von halber Raumtiefe warf einen messerscharf gezogenen Schatten durch den Innenraum.

Und direkt vor dem Eingang lag ein totes Schwein in einer dunklen Lache eingetrockneten Blutes.

Kim starrte den Kadaver eine Sekunde lang an, ehe er herumfuhr und - alle Vorsicht vergessend - über den Hof zum Wohngebäude hinüberrannte. Mit einem Schulterstoß drückte er die Tür auf, stolperte durch eine schmale, halbdunkle Diele und weiter in den dahinterliegenden Wohnraum.

Auf den sorgsam gebohnerten Dielen lag ein regloser schwarzer Krieger. Sein Arm war ausgestreckt, die Hand zu einer Klaue verkrümmt, das Schwert zerbrochen und gesplittert, und aus den Ritzen seiner Rüstung sickerte dunkles Blut.

Es war nicht der einzige Tote im Raum. Die Bewohner mußten sich hier, im Hauptgebäude, verschanzt, haben, als die schwarzen Reiter den Hof überfielen. Und sie hatten sich tapfer zur Wehr gesetzt, tapferer, als die Schwarzen erwartet zu haben schienen; ebenso wie dieser eine, über den Kim beinah gestolpert wäre, hatten noch andere den Überfall mit dem Leben bezahlt. Aber alle Tapferkeit hatte den Bauern schließlich nichts genutzt.

Kim wandte sich schaudernd ab. Er verließ das Haupthaus und durchsuchte den Hof Gebäude für Gebäude, Raum für Raum. Es gab kein Leben mehr. Die schwarzen Mörder hatten nicht nur die Menschen, sondern jedes Tier, jede noch so kleine Spur von Leben ausgelöscht, als hätten sie ihrer Wut in einer Orgie sinnlosen Mordens Luft gemacht. Schließlich, nach mehr als einer Stunde, in der Kim auf immer neue Spuren des Todes und der Vernichtung gestoßen war, wankte er auf den Hof hinaus, lehnte sich gegen die Flanke seines Pferdes und weinte hemmungslos.

Er war zu lange drüben gewesen, weitab von allem, zu lange bei den Taks, in der friedlichen Umgebung des Waldes und der Einsamkeit. Er hatte gewußt, daß die schwarzen Horden das Land überfielen. Und es hätte der Worte Taks nicht bedurft, ihm zu sagen, was ihn und all die anderen erwartete.

Trotzdem war diese Gefahr, so real und zum Greifen nahe sie ihm auch erschienen war, bis jetzt nur ein vager Begriff gewesen. Jetzt, in diesem Moment, erfaßte Kim zum ersten Mal, was das Wort wirklich bedeutete: Krieg.

Krieg war etwas Schlechtes, etwas abgrundtief Böses und Verachtenswertes. Er hatte es immer gewußt, aber niemals so direkt begriffen wie in diesem Augenblick. Krieg - das waren keine heroischen Reiterheere, die auf einem Schlachtfeld aufeinanderprallten, keine schimmernden Ritter, die mit dem Wimpel ihrer Liebsten in den Kampf zogen, keine strahlenden Helden, die für eine gute Sache fochten. Dies hier war Krieg. Brutaler Mord an wehrlosen Menschen und Tieren.

Kim weinte. Weinte, schluchzte und hämmerte in ohnmächtiger Verzweiflung auf den Boden. Ein anderer hätte jetzt vielleicht Zorn empfunden, Haß auf Boraas, auf Kart und die schwarzen Reiter, die für dieses sinnlose Töten verantwortlich waren. Aber Kim empfand nur Verzweiflung und Schmerz, die so groß waren, daß sie jedes andere Gefühl in den Hintergrund drängten.

Irgendwann versiegten seine Tränen. Er stand auf und schwang sich in den Sattel. Sein Pferd bockte, als er es zum Ausgang und dann die Wiese hinunterlenkte. Es witterte wohl die Nähe der Ställe und das frische Heu. Aber sosehr sich Kim noch vor wenigen Stunden auf ein weiches Bett und menschliche Gesellschaft gefreut hatte, so sehr versetzte ihn diese Stätte des Todes jetzt in Schrecken.

Er fiel in Galopp, gab dem Pferd gnadenlos die Sporen und gestattete ihm erst ein langsameres Tempo, als der Hof hinter ihm in der Dunkelheit versunken war.

Kim war dem Reich der Schatten entronnen. Aber der Krieg war ihm gefolgt und hatte ihn eingeholt. Und diesmal würde er ihm nicht wieder entkommen können.

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